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Ist die Philosophie tot?
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fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25829
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2057312) Verfasst am: 29.05.2016, 03:22    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
....
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

Sichd Hegelschäden eigentlich versicherbar?
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44089

Beitrag(#2057314) Verfasst am: 29.05.2016, 04:24    Titel: Antworten mit Zitat

Er_Win hat folgendes geschrieben:
Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten.

Damit habe ich persönlich gar kein Problem.

Eine etwas andere Deutung, die mir kürzlich in den Sinn kam, wäre die, Dialektik als einen anderen Umgang mit Logik als den üblichen aufzufassen. Die Regel der Logik, dass Kontradiktionen immer falsch und Tautologien immer wahr sind, gilt natürlich für Dialektiker genauso wie für alle anderen Menschen, Quantenphysik hin oder her. Der Unterschied scheint mir der zu sein, dass die meisten Theoretiker Kontradiktionen um jeden Preis vermeiden wollen, während Tautologien zwar als uninteressant gelten, aber sehr viel eher hingenommen werden. In der Dialektik handhabt man es genau umgekehrt: Die Tautologie ist das, was um jeden Preis zu vermeiden ist, selbst wenn das bedeutet, stattdessen eine Kontradiktion zu produzieren.

Siehe auch Wittgenstein im Tractatus:

6.12 Dass die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen - logischen - Eigenschaften der Sprache, der Welt. Dass ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakterisiert die Logik ihrer Bestandteile. Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Dass sie so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, dass sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.
6.1202 Es ist klar, dass man zu demselben Zweck statt der Tautologien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.
_________________
Geh mir aus der Sonne, Alexander!
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Er_Win
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Anmeldungsdatum: 31.01.2008
Beiträge: 4482

Beitrag(#2057315) Verfasst am: 29.05.2016, 09:02    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
....
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

Sichd Hegelschäden eigentlich versicherbar?


Natürlich - ich versichere dir, sie sind in der Natur *ääähm vorfindbar Pfeifen
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Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#2057319) Verfasst am: 29.05.2016, 10:29    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
....
6. Beim Menschen führt sie als Hegelschaden zur Allwissenheit.

Sichd Hegelschäden eigentlich versicherbar?


Hegelphobien und Hegeltraumata könnte man vielleicht in den ICD-Katalog aufnehmen ...- Am Kopf kratzen
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unquest
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Anmeldungsdatum: 10.10.2010
Beiträge: 3326

Beitrag(#2057338) Verfasst am: 29.05.2016, 12:05    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Er_Win hat folgendes geschrieben:
Ich habe dich aber vor einiger Zeit bereits auf Konzepte moderner Logiken hingewiesen, egal ob eher nach den Prinzipien Unschärfe oder Multipolarität ausgerichtet, welche quasi "Dialektik" als Spezialfall beinhalten.

Damit habe ich persönlich gar kein Problem.

Eine etwas andere Deutung, die mir kürzlich in den Sinn kam, wäre die, Dialektik als einen anderen Umgang mit Logik als den üblichen aufzufassen. Die Regel der Logik, dass Kontradiktionen immer falsch und Tautologien immer wahr sind, gilt natürlich für Dialektiker genauso wie für alle anderen Menschen, Quantenphysik hin oder her. Der Unterschied scheint mir der zu sein, dass die meisten Theoretiker Kontradiktionen um jeden Preis vermeiden wollen, während Tautologien zwar als uninteressant gelten, aber sehr viel eher hingenommen werden. In der Dialektik handhabt man es genau umgekehrt: Die Tautologie ist das, was um jeden Preis zu vermeiden ist, selbst wenn das bedeutet, stattdessen eine Kontradiktion zu produzieren.

Siehe auch Wittgenstein im Tractatus:

6.12 Dass die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen - logischen - Eigenschaften der Sprache, der Welt. Dass ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakterisiert die Logik ihrer Bestandteile. Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Dass sie so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, dass sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.
6.1202 Es ist klar, dass man zu demselben Zweck statt der Tautologien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.

Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?
So schreibt z.B. Habermas zu Brandoms Expressiver Vernunft:
Zitat:
»Expressive Vernunft ist ein ähnlicher Meilenstein in der theoretischen Philosophie wie Anfang der siebziger Jahre John Rawls' Eine Theorie der Gerechtigkeit in der praktischen.«
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44089

Beitrag(#2057367) Verfasst am: 29.05.2016, 16:05    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?

Meinst du die Rezeption des Idealismus durch die analytische Philosophie?
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Er_Win
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Anmeldungsdatum: 31.01.2008
Beiträge: 4482

Beitrag(#2057377) Verfasst am: 29.05.2016, 17:07    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Und auch dialektische Prinzipien, die nicht mehr durch die herkömmliche zweiwertige Logik interpretiert werden können, sind empirisch existent.

Mich interessiert deine Aussage von den Logiken, welche Dialektik als Spezialfall enthalten. Das kannst du ruhig mal näher erläutern. Dann werde ich bestimmt auch darauf eingehen ...- Auf den Arm nehmen


Erstens habe ich gar nichts "gegen" Dialektik und zweitens bejahe ich durchaus, dass Polarität ja sogar Multipolarität in deinem Sinne natürlich "vorfindbar" ist, sowie dass der klassischen zweiwertigen Logik keine Universallösungskompetenz zukommt.

Dialektik ist genauso wenig wie das von Kibed wieder aufgegriffene Tetralemma - welches das Prinzip der dualen Polarität erweitert - eine der formalen mehrwertigen Logiken und dieses hatte ich vordergründig im Sinn.
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unquest
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Anmeldungsdatum: 10.10.2010
Beiträge: 3326

Beitrag(#2057397) Verfasst am: 29.05.2016, 21:44    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?

Meinst du die Rezeption des Idealismus durch die analytische Philosophie?

Ja genau. U.a. bin ich auf diesen Aufsatz gestossen.
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44089

Beitrag(#2057400) Verfasst am: 29.05.2016, 21:50    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn ich etwas Zeit und Ruhe habe, werd' ich mir das mal etwas genauer anschauen.
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3387

Beitrag(#2058034) Verfasst am: 04.06.2016, 00:05    Titel: Antworten mit Zitat

Wen's interessiert:
Hegel's Dialectics (gestern neu erschienen in der Stanford Encyclopedia of Philosophy)
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3387

Beitrag(#2058038) Verfasst am: 04.06.2016, 00:23    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Für wie aussichtsreich hälst du die Rezeption der analytischen Philosophie des Idealismus?

Meinst du die Rezeption des Idealismus durch die analytische Philosophie?


Russell's & Moore's "Revolte" gegen den Idealismus hat in der Frühgeschichte der analytischen Philosophie eine entscheidende Rolle gespielt.

"Analytic philosophy underwent several internal micro-revolutions that divide its history into five phases. The first phase runs approximately from 1900 to 1910. It is characterized by the quasi-Platonic form of realism initially endorsed by Moore and Russell as an alternative to Idealism."

Analytic Philosophy: http://www.iep.utm.edu/analytic/

"British Idealism was a belated assimilation of German Idealism which held sway in Britain between the 1870s and 1920s. …Russell and his Cambridge contemporary G. E. Moore had initially sympathized with British Idealism. Their 'revolt' against it marked a decisive moment in the emergence of amalytic philosophy.

It was towards the end of 1898 that Moore and I rebelled against both Kant and Hegel. Moore led the way, but I followed closely in his footsteps…I felt a great liberation, as if I had escaped from a hot house into a wind swept headland…In the first exuberance of liberation, I became a naive realist and rejoiced in the thought that grass really is green.
([B. Russell: My Philosophical Development] 1959: 42, 62)"

(p. 31)

"[A]nalytic philosophy is also to a large extent the invention of German speakers. Of course its emergence owes much to Russell, Moore and American Pragmatism. Yet it owes even more to Frege, Wittgenstein and logical positivism. No one would think of analytic philosophy as a specifically Anglophone phenomenon, if the Nazis had not driven many of its pioneers out of central Europe."
(p. 66)

"[T]he contrast is not between Anglophone and Germanophone, or between analytic and continental philosophy per se. Rather, there is an 'Anglo-Austrian Analytic Axis' which includes Britain on the one hand and the former Habsburg empire (especially Austria, Czechoslovakia and parts of Poland) on the other. … [T]he contrast is between a level-headed and realist Austrian tradition close to, and partly inspired by, British empiricism and an obscurantist and idealist German tradition going back to Kant."
(p. 74)

(Glock, Hans-Johann. What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press, 2008.)
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3387

Beitrag(#2058039) Verfasst am: 04.06.2016, 00:51    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:

(Glock, Hans-Johann. What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press, 2008.)


Gerade erst entdeckt: Glocks empfehlenswertes Buch ist in einer deutschen Übersetzung erhältlich: http://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/de/wbg/buch/buch/was-ist-analytische-philosophie--b254965-001
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zelig
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Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2058056) Verfasst am: 04.06.2016, 11:19    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

(Glock, Hans-Johann. What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press, 2008.)


Gerade erst entdeckt: Glocks empfehlenswertes Buch ist in einer deutschen Übersetzung erhältlich: http://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/de/wbg/buch/buch/was-ist-analytische-philosophie--b254965-001


Thnx.

Übrigens erinnere ich mich an mein erstes Semester, in dem anfänglich über die formale Logik mit ungefähr den gleichen Missverständnissen hantiert wurde, wie hier. Ich erinnere mich speziell auch an das Argument, formale Logik sei ein statisches System, das Prozesse wie die Blüte einer Pflanze nicht beschreiben könne. : )
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kereng
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Anmeldungsdatum: 12.12.2006
Beiträge: 3016
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#2058086) Verfasst am: 04.06.2016, 19:30    Titel: Antworten mit Zitat

Habe heute in der Bahn gelesen: Heidrun Hesse: "Vernunft und Selbstbehauptung - Kritische Theorie als Kritik der neuzeitlichen Rationalität" (die ersten 30 Seiten). Wenn Heidrun (ich kannte sie persönlich) die Gedanken Kants und Hegels korrekt wiedergibt, kann man die beiden getrost vergessen.

Michael Schmidt-Salomon, Sam Harris und Steven Pinker können auf ganz andereren Grundlagen aufsetzen. Sind Ethik-Theoretiker, die keine Ahnung von Evolution hatten, heute noch relevant?
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44089

Beitrag(#2058088) Verfasst am: 04.06.2016, 19:36    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
[T]he contrast is between a level-headed and realist Austrian tradition close to, and partly inspired by, British empiricism and an obscurantist and idealist German tradition going back to Kant.

Selbst dieser Kontrast ist aber sehr viel uneindeutiger, als er auf den ersten Blick erscheint, und wird heute primär durch das systematische Totschweigen von Ähnlichkeiten künstlich am Leben erhalten. Tatsächlich finden sich Ähnlichkeiten nicht selten an Stellen, wo man sie am wenigsten vermutet. Beispielsweise gibt es eine inhaltliche Nähe zwischen Wittgensteins Privatsprachenargument und einigen von Hegel formulierten Gedanken, z.B. im Kapitel über sinnliche Gewissheit in der Phänomenologie, und das obwohl Wittgenstein sich bis zu seinem Tod standhaft weigerte, Hegel auch nur zu lesen.

Interessanterweise sind es in erster Linie die nüchternen und realistischen Analytiker, die diese Notwendigkeit verspüren, ihre eigene Identität und Position primär durch dieses Freund-Feind-Schema zu bestimmen. Während so manche Vertreter der analytischen Tradition sich kontinentaler Philosophie entweder überhaupt nicht oder nur zu dem Zweck widmet, sie im Schnellverfahren als Unsinn abstempeln zu können, oft bevor die Argumente wirklich durchdrungen wurden (vergleichbar mit unquests Herangehensweise hier im Forum), hatten kontinentale Philosophen in Frankreich und Deutschland nie Schwierigkeiten damit, analytische Philosophie auch positiv aufzunehmen. Ein gutes Beispiel dafür wäre die Aufnahme von Austins Sprechakttheorie durch Jean-Francois Lyotard.

Was den nüchternen und realistischen Charakter der analytischen Philosophie angeht, ist es für mich auch interessant, hier in den USA aus erster Hand zu beobachten, welche Rolle "Speech Intuition" in der Argumentation vieler Analytiker spielt. Sobald man etwas nicht mehr argumentativ begründen kann, wird an die Sprachintuition appelliert und dann die Diskussion mit diesem Appell abgebrochen. Umgekehrt scheint es mir so, als resultierte ein guter Teil des Obskurantismus der kontinentalen Philosophie gerade daraus, dass man versucht, diesen Begründungsabbruch zu vermeiden und selbst für das, von dem der britische oder österreichische nüchterne Realist sagen würde, dass es intuitiv einleuchten müsste, noch entweder eine nachvollziehbare Begründung oder zumindest eine Kritik zu formulieren. Am deutlichsten ist das bei Hegel, bei dem der Versuch "voraussetzungslosen Denkens" geradezu programmatisch ist (ob man diesen Versuch nun für erfolgreich hält oder nicht).

Die analytische Philosophie befindet sich heute in einer gewissen Krise. Man muss das nicht überbewerten, aber man kann durchaus feststellen, dass sich selbst in den USA und England, bisher die Zentren der analytischen Tradition, zunehmend mehr Philosophen kontinentalen Traditionen zuwenden - ob man diese Entwicklung nun begrüßt oder nicht. Wenn die analytische Philosophie sich nicht öffnet und ihren Zwang zur Selbstabgrenzung überwindet, könnte sie in den nächsten Jahrzehnten zunehmend bedeutungsloser werden.
_________________
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Myron
Metaphysischer Materialist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3387

Beitrag(#2058114) Verfasst am: 04.06.2016, 23:53    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
[T]he contrast is between a level-headed and realist Austrian tradition close to, and partly inspired by, British empiricism and an obscurantist and idealist German tradition going back to Kant.

Selbst dieser Kontrast ist aber sehr viel uneindeutiger, als er auf den ersten Blick erscheint, und wird heute primär durch das systematische Totschweigen von Ähnlichkeiten künstlich am Leben erhalten. Tatsächlich finden sich Ähnlichkeiten nicht selten an Stellen, wo man sie am wenigsten vermutet. Beispielsweise gibt es eine inhaltliche Nähe zwischen Wittgensteins Privatsprachenargument und einigen von Hegel formulierten Gedanken, z.B. im Kapitel über sinnliche Gewissheit in der Phänomenologie, und das obwohl Wittgenstein sich bis zu seinem Tod standhaft weigerte, Hegel auch nur zu lesen.

Interessanterweise sind es in erster Linie die nüchternen und realistischen Analytiker, die diese Notwendigkeit verspüren, ihre eigene Identität und Position primär durch dieses Freund-Feind-Schema zu bestimmen. Während so manche Vertreter der analytischen Tradition sich kontinentaler Philosophie entweder überhaupt nicht oder nur zu dem Zweck widmet, sie im Schnellverfahren als Unsinn abstempeln zu können, oft bevor die Argumente wirklich durchdrungen wurden (vergleichbar mit unquests Herangehensweise hier im Forum), hatten kontinentale Philosophen in Frankreich und Deutschland nie Schwierigkeiten damit, analytische Philosophie auch positiv aufzunehmen. Ein gutes Beispiel dafür wäre die Aufnahme von Austins Sprechakttheorie durch Jean-Francois Lyotard.

Die analytische Philosophie befindet sich heute in einer gewissen Krise. Man muss das nicht überbewerten, aber man kann durchaus feststellen, dass sich selbst in den USA und England, bisher die Zentren der analytischen Tradition, zunehmend mehr Philosophen kontinentalen Traditionen zuwenden - ob man diese Entwicklung nun begrüßt oder nicht. Wenn die analytische Philosophie sich nicht öffnet und ihren Zwang zur Selbstabgrenzung überwindet, könnte sie in den nächsten Jahrzehnten zunehmend bedeutungsloser werden.


Ich meine, die analytische Philosophie hat ihre Krise und ihre Erstarrung in "scholastischer Sterilität" durch die Rehabilitierung der Metaphysik bereits hinter sich. Die Carnap'sche "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache" ist nun selbst überwunden, wodurch sich die analytische Philosophie in fruchtbarer Weise weiterentwickelt hat. Philosophie darf längst wieder mehr sein als Logik, Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie.
Interessanterweise weist Peter Simons darauf hin, dass die Gleichung analytische Philosophie = antimetaphysische Philosophie keineswegs von Anfang an galt, sondern nur während ihrer "positivistischen" mittleren Periode in den 30er-50er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Siehe ganz unten stehendes Zitat!

Die Entspannung und Öffnung der analytischen Philosophie hat erfreulicherweise auch bewirkt, dass die (von Husserl ausgehende) Phänomenologie nicht mehr einfach als "kontinental" abgestempelt und links liegen gelassen wird.
Ebenso erfreulich ist, dass sich analytische Philosophen (die ja mehrheitlich Naturalisten sind) nun auch öfter und eingehender mit den philosophisch-ontologischen Aspekten der Sozialwissenschaften befassen, und nicht nur mit denjenigen der Naturwissenschaften. Ein Vorreiter ist John Searle (z.B. mit "Making the Social World", 2010).

Überhaupt gebe ich dir insofern recht, als allein die Unterscheidung analytische Philosophie vs. kontinentale Philosophie aufgrund dessen unsinnig erscheint, dass auf der einen Seite ein methodisches Merkmal verwendet wird und auf der anderen ein geographisches. Ein Gegensatz ist damit nicht definiert (wie z.B. bei der Unterscheidung von analytischer Philosophie und synthetischer Philosophie).

Was gilt denn als Teil der sogenannten Kontinentalphilosophie oder, besser, der "nichtanalytischen Kontinentalphilosophie"? Hier ist eine Liste:

"Continental philosophy is the name for a 200-year period in the history of philosophy that begins with the publication of Kant's critical philosophy in the 1780s. This led on to the following key movements:

1. German idealism and romanticism and its aftermath (Fichte, Schelling, Hegel, Schlegel and Novalis, Schleiermacher, Schopenhauer)

2. The critique of metaphysics and the ‘masters of suspicion’ (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud, Bergson)

3. Germanophone phenomenology and existential philosophy (Husserl, Max Scheler, Karl Jaspers, Heidegger)

4. French phenomenology, Hegelianism, and anti-Hegelianism (Kojève, Sartre, Merleau-Ponty, Levinas, Bataille, de Beauvoir)

5. Hermeneutics (Dilthey, Gadamer, Ricoeur)

6. Western Marxism and the Frankfurt School (Lukacs, Benjamin, Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas)

7. French structuralism (Lévi-Strauss, Lacan, Althusser), poststructuralism (Foucault, Derrida, Deleuze), postmodernism (Lyotard, Baudrillard), and feminism (Irigaray, Kristeva)"


(Critchley, Simon. Continental Philosophy: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2001. p. 12)


"Among those with an outdated or partial conception of analytic philosophy, the whole movement is associated with the rejection of metaphysics. But such rejection, however motivated and justified, was never the sole prerogative of analytic philosophy, nor was it ever the majority view within that movement. Early analytic philosophers engaged in metaphysics without compunction, and it was only during the 'middle period' of the 1930s–1950s that, under the influence of logical positivism and ordinary language philosophy, metaphysics was first rejected and later marginalized. It is this publicity-catching period that is taken pars pro toto.…

Whichever philosophers are taken to be the parents or progenitors of analytic philosophy, whether Russell and Moore, Frege, Bolzano, or even Leibniz, all of them were fully engaged in metaphysics. In Leibniz and Bolzano we have a monadology of mental or physical atomic substances, in Bolzano and Frege we have a timeless Platonic realm of abstract objects guaranteeing the objectivity of logic and meaning, in Moore and Russell we have a world of many material objects existing independently of minds.

As analytic philosophers grappled with the problems in the foundations of mathematics and engaged in consolidating the new logic, attention shifted to the language medium and the metaphysical dimension faded from attention. Wittgenstein's trenchant prohibitions on nonsense found resonance with continental European logicians and philosophers of science whose suspicion of metaphysics derived from empiricist tendencies in Germany and France, and these crystallized in the Vienna Circle's attempts to demonstrate the senselessness of metaphysics.

These efforts quickly emerged as self-defeating, but a general suspicion of metaphysics as reactionary and backward-looking lingered through analytic philosophy's establishment as a dominant movement. Never completely extinguished even in the analytical movement, metaphysics began to re-emerge to prominence in the 1950s with the work of Quine, Strawson, and others, and the increasing importance of logical and linguistic semantics afforded a ready avenue for the re-establishment of metaphysics as the ontic counterpart to language, as it had been among the early analytics.

The rediscovery of genuine and unsolved metaphysical problems at the hands of several analytic philosophers gradually led to a de-emphasis on the linguistic and semantic approach to metaphysics, and in a reverse of the linguistic turn, metaphysics was pursued in wide circles in relative autonomy. As the new millenium dawned, it was clear not only that metaphysics was no longer dead, but that its resurrection as analytic metaphysics was one of the more remarkable developments in philosophy in general and in its analytic strain in particular."


(Simons, Peter. "Metaphysics in Analytic Philosophy." In The Oxford Handbook of the History of Analytic Philosophy, edited by Michael Beaney, 709-728. Oxford: Oxford University Press, 2013. pp. 709-710)
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Myron
Metaphysischer Materialist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3387

Beitrag(#2058180) Verfasst am: 05.06.2016, 17:50    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Was gilt denn als Teil der sogenannten Kontinentalphilosophie oder, besser, der "nichtanalytischen Kontinentalphilosophie"? Hier ist eine Liste:

"Continental philosophy is the name for a 200-year period in the history of philosophy that begins with the publication of Kant's critical philosophy in the 1780s. This led on to the following key movements:

1. German idealism and romanticism and its aftermath (Fichte, Schelling, Hegel, Schlegel and Novalis, Schleiermacher, Schopenhauer)

2. The critique of metaphysics and the ‘masters of suspicion’ (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud, Bergson)

3. Germanophone phenomenology and existential philosophy (Husserl, Max Scheler, Karl Jaspers, Heidegger)

4. French phenomenology, Hegelianism, and anti-Hegelianism (Kojève, Sartre, Merleau-Ponty, Levinas, Bataille, de Beauvoir)

5. Hermeneutics (Dilthey, Gadamer, Ricoeur)

6. Western Marxism and the Frankfurt School (Lukacs, Benjamin, Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas)

7. French structuralism (Lévi-Strauss, Lacan, Althusser), poststructuralism (Foucault, Derrida, Deleuze), postmodernism (Lyotard, Baudrillard), and feminism (Irigaray, Kristeva)"


(Critchley, Simon. Continental Philosophy: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2001. p. 12)


Seltsamerweise wird der Neukantianismus nicht erwähnt, der immerhin zwischen ca. 1870 und 1920 die vorherrschende Richtung in der deutschen Philosophie war. Es wird tatsächlich oft übersehen, dass es eine bedeutsame Bewegung nach dem deutschen Idealismus und vor der analytischen Philosophie gegeben hat. Wen's interessiert, dem sei folgendes Buch empfohlen (das leider nur noch antiquarisch oder bibliothekarisch erhältlich ist):

* Köhnke, Klaus Chr. Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus: Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986.

Eine gute Einführung (auf Englisch): Neo-Kantianism (in der Internet Encyclopedia of Philosophy)

———

"Simply defined, neo-Kantianism, in a historical sense, was the movement in 19th-century Germany to rehabilitate Kant's philosophy. Neo-Kantianism was the predominant philosophical movement in Germany in the final decades of the 19th century, and its influence spread far and wide, to Italy, France, England and Russia. The golden age of neo-Kantianism was from 1860 to 1914.

Customarily, neo-Kantianism is divided into three main schools or groups: the Marburg school, whose chief protagonists were Hermann Cohen (1842-1918), Paul Natorp (1854-1924) and Ernst Cassirer (1874-1945); the Southwestern, Baden or Heidelberg school, whose major representatives were Wilhelm Windelband (1848-1915), Heinrich Rickert (1863-1936) and Emil Lask (1875-1915); and the neo-Friesian school in Göttingen under the leadership of Leonard Nelson (1882-1927). The dominant neo-Kantian universities were Marburg, Göttingen, Strassburg and Heidelberg; Berlin too eventually became a centre of neo-Kantianism later in the 19th and early 20th century, when Friedrich Paulsen (1896-1901) [life: 1846-1908], Alois Riehl (1884-1924) and Benno Erdmann (1851-1924) held chairs there.

It is necessary to emphasise that these three schools do not define or exhaust neo-Kantianism. If one reads every article and every book by every member of all these groups, one would still be far from having an adequate knowledge of the movement. These groups came into being relatively late, between 1880 and 1904, decades after the core of the movement had been formed. All the founding figures of neo-Kantianism preceded them; and even later neo-Kantians fell outside their orbits. Among these 'outsiders' were the Berliners Riehl, Paulsen and Erdmann, but also Johannes Volkelt (1848-1930), Hans Vaihinger (1852-1933), Erich Adickes (1866-1928), Arthur Liebert (1878-1946), Emil Arnoldt (1828-1905), and last, but certainly not least, Hermann Helmholtz (1821-1894). We too easily ignore these thinkers, some of whom played a crucial role in the movement, if we think of neo-Kantianism strictly in terms of schools.

The crucial formative decade for neo-Kantianism was the 1860s. Although there had been several neo-Kantian manifestos in earlier decades, they grew in number and coalesced into a single force only in the 1860s. It was this decade that some of the most dynamic young philosophers in Germany wrote articles, essays and even whole books, championing the cause of Kant's philosophy. There were five major figures who helped to re-establish Kant in this decade: Kuno Fischer (1824-1907), Eduard Zeller (1814-1908), Otto Liebmann (1840-1912), Jürgen Bona Meyer (1829-1897) and Friedrich Albert Lange (1828-1875)."


(Beiser, Frederick C. The Genesis of Neo-Kantianism, 1796–1880. Oxford: Oxford University Press, 2014. pp. 1-2)
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Beitrag(#2058183) Verfasst am: 05.06.2016, 18:10    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Seltsamerweise wird der Neukantianismus nicht erwähnt, der immerhin zwischen ca. 1870 und 1920 die vorherrschende Richtung in der deutschen Philosophie war.

Also mir kommt's oft so vor als sei sie das bis heute. Kann aber sein, dass das spezifisch für Bonn ist.
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unquest
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Beitrag(#2060383) Verfasst am: 29.06.2016, 23:23    Titel: Antworten mit Zitat

In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?
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schtonk
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Beitrag(#2060384) Verfasst am: 29.06.2016, 23:26    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?
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unquest
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Beitrag(#2060395) Verfasst am: 30.06.2016, 00:19    Titel: Antworten mit Zitat

schtonk hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?


In aller Kürze:
Negative Rechte hält er für leicht begründbar. Da aber jedes Recht für ihn nur auch als Pflicht realisierbar ist, könne manches positive Recht nur sehr schwer bis gar nicht begründbar sein. Konkret: Wie kann ich dazu verpflichtet werden, dass du ein Haus besitzt.

Er selbst fasst es so zusammen:

http://666kb.com/i/da8jzx02a6a5usco9.jpg
http://666kb.com/i/da8k2ma7sixs4k6cp.jpg

Bild wegen überbreite in Link umgewandelt. vrolijke.
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schtonk
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Beitrag(#2060402) Verfasst am: 30.06.2016, 00:58    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?


In aller Kürze:
Negative Rechte hält er für leicht begründbar. Da aber jedes Recht für ihn nur auch als Pflicht realisierbar ist, könne manches positive Recht nur sehr schwer bis gar nicht begründbar sein. Konkret: Wie kann ich dazu verpflichtet werden, dass du ein Haus besitzt.

Er selbst fasst es so zusammen:

[img]Abb. 1 Anhang Searle[/img]
[img]Abb. 2 Anhang Searle[/img]


Deine Frage war:
unquest hat folgendes geschrieben:
...
Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?


Ich kenne keine solche, habe mir aber selbst ein paar Gedanken gemacht, nachdem ich hier nachgelesen hatte:

-> Link gekürzt

Die Gedanken sind aber noch nicht druckreif, weil vorläufig. Ist ja schon spät Smilie



Link gekürzt. vrolijke
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smallie
resistent!?



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Beitrag(#2060498) Verfasst am: 30.06.2016, 22:19    Titel: Antworten mit Zitat

Das passt mir wunderbar in den Kram und zu dem noch Unbeantwortetem im Koran-Thread.

unquest hat folgendes geschrieben:
schtonk hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
In dem Buch "Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation" argumentiert Searle am Ende recht schlüssig für einige Einschränkungen der Menschenrechte.

Kennt jemand eine gute Kritik an seiner Position?

Ich kenne das Buch nicht. Kannst du vllt kurz umreißen, wie das Argument lautet?


In aller Kürze:
Negative Rechte hält er für leicht begründbar. Da aber jedes Recht für ihn nur auch als Pflicht realisierbar ist, könne manches positive Recht nur sehr schwer bis gar nicht begründbar sein. Konkret: Wie kann ich dazu verpflichtet werden, dass du ein Haus besitzt.

Er selbst fasst es so zusammen:

<schnipp>

Ich bin mir nur noch nicht ganz sicher, ob wir es gleich lesen. Deshalb zum Abgleich einer meiner üblichen, naiven Vergleiche. Ahhem.


    1) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen
    2) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich daran nicht zu hindern.
    3) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich vor dritten zu schützen, die mich an diesen Handlungen hindern wollen.


Ist das so eine gültige Zusammenfassung von Searle?


Falls ja, dann sag' ich schon mal was dazu. Falls nein, müßte ich mir was anderes überlegen. Pfeifen

2) folgt für mich unmittelbar aus 1). Interessant ist Fall 3).

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.

Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?
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"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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zelig
Kultürlich



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Beitrag(#2060508) Verfasst am: 01.07.2016, 06:07    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
[...]
Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?


Der Verlockung widerstehen, konzeptionelle Reinheit der Wirklichkeit überzustülpen.
Anders gesagt, mit einem sehr alten Zitat:
"Geh mir aus der Sonne!" : ) *
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unquest
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Beiträge: 3326

Beitrag(#2060524) Verfasst am: 01.07.2016, 11:14    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:

    1) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen
    2) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich daran nicht zu hindern.
    3) Ich habe das Recht zu homosexuellen Handlungen und andere die Pflicht, mich vor dritten zu schützen, die mich an diesen Handlungen hindern wollen.


Ist das so eine gültige Zusammenfassung von Searle?


Falls ja, dann sag' ich schon mal was dazu. Falls nein, müßte ich mir was anderes überlegen. Pfeifen

2) folgt für mich unmittelbar aus 1). Interessant ist Fall 3).

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.

Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?


Wenn wir Schutz als ein positives Recht ansehen, würde dein Beispiel aus meiner Sicht passen.
Da jedes Recht aus Searles Sicht ein Recht gegen jemanden ist, wärst du also für den Schutz weltweit in der Pflicht. Und wie du schreibst, mit den merkwürdigsten Konsequenzen.

Er schreibt dazu:



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Tarvoc
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Beitrag(#2060619) Verfasst am: 02.07.2016, 02:40    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.


Die Sache ist ja die, dass das Beginnen eines Krieges durchaus selbst als unmoralische Handlung zu sehen ist und auch in jedem Falle moralisch zumindest bedenkliche Handlungen nach sich zieht. Zudem ist auch gar nicht von vorne herein klar, dass eine solche Invasion den Homosexuellen in den entsprechenden Ländern auch tatsächlich langfristig nützt. Die Frage ist also, inwiefern mich die Moral zu unmoralischem Handeln verpflichten kann. Auch abgesehen von der Frage nach der Zweckmäßigkeit der Mittel haben wir hier mal wieder das alte Problem der Güterabwägung.
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Tarvoc
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Beitrag(#2060620) Verfasst am: 02.07.2016, 02:45    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:


Nein, nicht zwingend. Wären etwa die Produktionsmittel nicht in privaten Händen, sondern demokratisch vergesellschaftet und bedürfnisorientiert geplant, so würde das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und Schulbildung anderen Menschen keine Pflichten auferlegen, die sich nicht ohnehin bereits auch schon aus ihrem eigenen Recht auf die selben Dinge ergeben.
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smallie
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Beitrag(#2060737) Verfasst am: 03.07.2016, 21:00    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
[...]
Das passt eigentlich nicht zusammen. Bin ich inkonsequent? Ohne das zu Ende gedacht zu haben, sage ich vorsichtig mal ja.

Und bin von meiner eigenen Antwort erschreckt. Da kämen wir aus dem Einmarschieren gar nicht mehr heraus. Gut gemeint ist nicht immer gut. Und die Rechnung befreite Homosexuelle gegen die Verheerungen eines Krieges stelle ich lieber nicht auf.

Und auch: Was ist, wenn jemand meint, bei uns einmarschieren zu müssen, weil homosexuelle Handlungen die Menschenwürde verletzen? Das Problem scheint mir eher zu sein, daß es keine Einigkeit über 1) gibt. Was ist dann zu tun?


Der Verlockung widerstehen, konzeptionelle Reinheit der Wirklichkeit überzustülpen.

Ein schöner Satz.

Wo das Konzept nicht hinreicht, da hilft nur eine gute Dosis Pragmatismus.

Nebenbei kann man daran arbeiten, die Wirklichkeit dem Konzept überzustülpen. zwinkern

Der Vorteil eines Konzeptes ist, eine Richtung vorzugeben. Auch Pragmatismus braucht eine Richtung, um dem Vorwurf der Willkürlichkeit zu entgehen. Der Nachteil ist, daß ursprünglich pragmatische Konzepte öfter mal zum Dogma erhoben werden.


zelig hat folgendes geschrieben:
Anders gesagt, mit einem sehr alten Zitat:
"Geh mir aus der Sonne!" : ) *

Auch ein sehr schöner Satz.

Kann aber ins Auge gehen. Diogenes hatte Glück. Archimedes nicht.

    Archimedes: "Störe meine Kreise nicht." *wird erschlagen"

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smallie
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Beitrag(#2060738) Verfasst am: 03.07.2016, 21:01    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Ich hoffe doch, daß irgend jemand für mich Partei ergreifen würde, wenn ich als Schwuler auf der Straße zusammengeschlagen werde. Andererseits würde ich nicht so weit gehen und fordern, daß in Saudi-Arabien oder im Iran einmarschiert werden muß, um dort die Rechte der Homosexuellen zu schützen.


Die Sache ist ja die, dass das Beginnen eines Krieges durchaus selbst als unmoralische Handlung zu sehen ist und auch in jedem Falle moralisch zumindest bedenkliche Handlungen nach sich zieht. Zudem ist auch gar nicht von vorne herein klar, dass eine solche Invasion den Homosexuellen in den entsprechenden Ländern auch tatsächlich langfristig nützt.

Ok. Siehe Fangfrage weiter unten.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist also, inwiefern mich die Moral zu unmoralischem Handeln verpflichten kann.

Natürlich gar nicht, das wäre paradox. zwinkern


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Auch abgesehen von der Frage nach der Zweckmäßigkeit der Mittel haben wir hier mal wieder das alte Problem der Güterabwägung.

Passt. Als Versuch, wie so eine Abwägung im Detail aussehen könnte.


SCHWERE DER BEEINTRÄCHTIGUNG

    Schiefen Blicken ausgesetzt sein - beschimpft werden - verprügelt werden - aufgeknüpft werden (Einzelfall) - aufgeknüpft werden (organisiert)


RISIKO

    Notwehrbeihilfeverweigerungsrecht. (scnr)

    Wenn mir jemand die Zähne einschlagen will, dann kann ich nicht verlangen, daß eine einzelne Person dazwischen geht - besonders, wenn zu erwarten ist, daß ihr ebenfalls die Zähne eingeschlagen werden. Da hat niemand etwas davon.


SCHADEN-NUTZEN-RECHNUNG

    500 000 Befreite gegen 2 Millionen geschädigte. Welche Zahlen muß ich einsetzen damit die Rechnung ein klares pro oder contra ergibt?

    "Krieg ist eine unmoralische Handlung" - muß natürlich auch begründet werden. Die Fangfrage: Irak-Krieg vs. Ex-Jugoslawien ist ein Beispiel, bei dem die Meinungen auseinandergehen.



ENDLICHE RESOURCEN, VERWÄSSERUNG UND BEDÜRFTIGKEIT

    Wenn ich 1000 EUR für 1000 Bedürftige habe, kann ich die 1000 EUR einem einzigen oder meinetwegen 10 Bedürftigen spenden. Oder ich kann jedem 1 EUR spenden - der Betrag wäre damit aber ziemlich verwässert.


NÄHE

    Wenn neben mir ein Rad umfällt, stelle ich es wieder auf. Wenn in China ein Rad umfällt, dann laß ich's sein. So viele Resourcen habe ich nicht.

    Das ist bildlich gesprochen. Ich werde in der Antwort auf unquest konkreter werden.

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smallie
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Beitrag(#2060739) Verfasst am: 03.07.2016, 21:05    Titel: Antworten mit Zitat

schtonk hat folgendes geschrieben:

-> *linky*

Wenn du den Link in [url]Beschreibungstext[/url] setzt, bricht das Seitenlayout bei mir bestimmt nicht mehr um. Bitte. Danke.
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