Ein Fenster und ein Spiegel

[kereng]

Auf whyevolutionistrue wurde neulich Freeman Dyson vorgeführt, der gute wissenschaftliche Ideen gehabt hat, aber auch religiös ist. in einem Interview antwortete er auf die Frage, wie Wissenschaft und Glaube nebeneinander bestehen oder einander sogar ergänzen können:

[unquest]

Sofern wir von einem mittelgroßen Raum ohne Erwins Katzen ausgehen, hat diese 2 Fenster - 2 Wahrheiten Hypothese aus meiner Sicht merkwürdigige Konsequenzen.
So hätten wir bei geschätzten 10.000 Religionen 10.000 Wahrheiten zu erwarten. Goodbye Wahrheit.

[Schlumpf]

[Effô Tisetti]

Wie unquest schon richtig anmerkte, ist an diesem, bis dahin interessanten Bild der Wahrheitsbegriff das Problem. Was heißt "true" in diesem Zusammenhang? Und zwar egal, ob Fenster oder Spiegel. "True for you?" (Sorry für den Kalauer) Aber Bilder sind ja ohnehin ein beliebtes Stilmittel der Religiösen, wenn es in Prosa ansonsten droht, zu infantil zu werden.

Und Sloterdijk ist wie immer großes Tennis. Wir haben also die "Wirklichkeitszone Psyche noch nicht in ihrer Eigenmächtigkeit ausreichend durchdrungen". Herrje und jetzt? Damit kann ich wirklich jede erkenntnistheoretische Diskussion sofort beenden. Absolut null Substanz, abgesehen davon, dass er so manchen Rezipienten seiner Ergüsse offensichtlich dazu motivieren kann, in diesen für sich erst einmal hohlen und bewusst(?) vagen Mist irgendetwas wirklich Schlaues hineinzuinterpretieren zu wollen. Insofern unterscheidet er sich kaum von "guten" Theologen...
_________________
"Die einfache Formel: Jesus ist stärker! hilft Menschen, sich aus der Fixierung völlig irrationaler Wertesysteme zu lösen."

[Kramer]

Achtung, Spoileralarm. Dieser Beitrag enthält Spoiler zur Serie "The Path".

Bei dem Bild mit der Religion als Spiegel fällt mir spontan Narziss ein, der selbstverliebt in sein Spiegelbild schaute und alles andere um sich herum vergass.

Ich habe gerade auf Amazon Prime die Serie "The Path" gesehen. In der geht es um eine fiktive religiöse Sekte, die Meyeristen, so eine Mischung aus Scientology, Hippie-Kult und evangelikaler Gemeinschaft.

In der Serie spielt Aaron Paul (Jesse Pinkman aus Breaking Bad) einen Familienvater, Eddie, der nach einer schwierigen Jugend zur Sekte fand und eine Frau geheiratet hat, die seit ihrer Kindheit in dieser Sekte aufgewachsen ist und jetzt zu den oberen Führungsmitgliedern dieser Sekte gehört. Bei einem spirituellen 'Seminar' in Peru hat Eddie eine Vision, die ihn an der Glaubwürdigkeit der Sekte zweifeln lässt. Er nimmt daraufhin nach seiner Rückkehr Kontakt zu einer Sektenaussteigerin auf, deren Mann unter ominösen Umständen zu Tode kam. Seine Frau und der obere Sektenguru bemerken seinen Wandel und Eddie wird beschuldigt, in Peru eine Affäre mit einer anderen Frau gehabt zu haben. Weil Eddie wiess, dass er aus der Sekte ausgestossen wird, wenn er zugibt, dass er Zweifel an dem Glauben der Sekte hat, gibt er quasi unter Folter (ein zweiwöchiges Verhör in Einzelhaft) die Affäre zu. Darauf hin wird die Frau, mit er gar keine Affäre hat, zum Verhör verschleppt.

Es gibt in der zweiten Hälfte eine Szene, in der kommt dann alles raus. Eddies Frau erfährt, dass er gar keine Affäre hatte, sondern nur Zweifel an der Sektendoktrin, es hat sich aber nichts geändert, er liebt seine Frau und seine Familie immer noch wie vorher und fragt, was es denn überhaupt für eine Rolle spiele, dass er Zweifel habe, dass gehört doch schiesslich zum Menschsein dazu. Und seine Frau antwortet, damit negierst Du alles, an was ich glaube, alles, was ich bin - und verstösst ihn.

Das klingt jetzt so, als würde die Serie Eddies Frau als tumbe Fanatikerin darstellen und Eddie als heldenhaften Skeptiker.

Den interessanteren Aspekt finde ich, dass Eddies Frau eher dazu bereit war, ihm eine Affäre zu verzeihen, als auch nur den geringsten Zweifel am Glaubenssystem der Sekte. Das wird gerade in der Szene, in der er seine Glaubenszweifel beichtet, deutlich. Er ist nicht mehr ihr Spiegel. Dass er sie mit einer Frau betrügt, hätte sie hingenommen, solange er das wiedergespiegelt hätte, an das sie glaubt. Aber dass er Zweifel an der Sekte hat, dass er den spirituellen Überbau für ein Märchen hält, obwohl er alle weltlichen, moralischen Werte der Sekte teilt, das kann sie nicht verkraften.

Das ist nur eine Fernsehserie, also nicht die Realität. Aber das "Bild" finde ich aussagekräftig. Eine Familie, die eigentlich glücklich ist, in der es eigentlich keinen Zweifel über die gemeinsamen ethischen Werte gibt, aber sie zerbricht daran, dass einer nicht an den irrationalen Überbau glaubt (Die Welt steht vor dem Ende und nur die auserwählten kommen über die 'Leiter' in den 'Garten' und ans 'Licht'). Und am Ende schaut jeder durch sein Fenster (oder in seinen Spiegel) und sieht nur eines: Eine zerstörte Familie.

[VanHanegem]

[kereng]