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Die Arroganz der Empathen
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Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2076075) Verfasst am: 13.11.2016, 19:24    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Kramer hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Das ist sehr gut begründet. Aber ist das dann nicht tatsächlich eine Reduktion von Moral auf ein Geschmacksurteil?


Nein, weil es dabei gar nicht um Moral geht. Ist Rosenkohl unmoralisch? Nein, aber es gibt Menschen, die mögen Rosenkohl nicht und bestellen Rosenkohl nicht im Restaurant und kaufen ihn nicht im Supermarkt. Ist deren Entscheidung unmoralisch? Nö, die mögen Rosenkohl einfach nicht.

Ist es unmoralisch, "Big Brother" oder "Bauer sucht Frau" nicht zu mögen? Da steckt eine Menge von Menschen viel Zeit Geld und Arbeit rein. Dennoch ist es völlig legitim, diese Sendungen scheisse zu finden.

Und wen Du einen Kommilitonen hattest, mit dem Du einfach nicht befreundet sein wolltest, weil er Ansichten hatte, die Du abstossend fandest, dann ist Deine Entscheidung keine moralische oder ethische Entscheidung, sondern einfach nur eine Entscheidung, mit welchen Menschen Du Kontakt haben möchtest. Hättest Du geschrieben, dass Du ihn nicht mochtest, weil er die falschen Klamotten getragen hat oder weil Dir seine Frisur nicht gefallen hat, dann wäre das etwas anderes. Deine Distanzierung basierte aber nicht auf einem Vorurteil, sondern - wie ich annehme - auf Gesprächen mit diesem Menschen, in denen er sich als nicht kompatibel mit Deinen Werten erwiesen hat.

@ Kramer
Kannst Du den genauen Unterschied zwischen diesem Bewertungssystem, das Du hier zeichnest, und Moral mal auf der psychischen Ebene bzw. der Ebene der Entstehung erklären?


Ich würde sagen, für eine ethische Bewertung benötigt man ein Prinzip, für eine bloße Ablehnung reicht eine Empfindung, die nicht weiter begründungsbedürftig ist. Natürlich kann man auch aus einer Empfindung ein Prinzip machen, etwa derart, dass ethisches Handeln Handeln aus Mitgefühl ist. Dann wäre auch die Ablehnung eines Nichtempathen ethisch begründet. Wobei natürlich die Frage ist, wie dann der Ausschluss aus der Gruppe zu begründen wäre. Mglw. Als eine Art Strafe, durchaus vergleichbar mit der Bestrafung von Kriminellen. Das Äquivalent zur Arroganz der Empathen gegeüber Nichtempathen wäre dann die Arroganz des Justizsystems gegenüber dem Straftäter. Wie sinnvoll es ist, ein Gefühl zu fordern, möchte ich an dieser Stelle aber nicht diskutieren.
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2076082) Verfasst am: 13.11.2016, 20:10    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ich würde sagen, für eine ethische Bewertung benötigt man ein Prinzip, für eine bloße Ablehnung reicht eine Empfindung, die nicht weiter begründungsbedürftig ist. Natürlich kann man auch aus einer Empfindung ein Prinzip machen, etwa derart, dass ethisches Handeln Handeln aus Mitgefühl ist. Dann wäre auch die Ablehnung eines Nichtempathen ethisch begründet. Wobei natürlich die Frage ist, wie dann der Ausschluss aus der Gruppe zu begründen wäre. Mglw. Als eine Art Strafe, durchaus vergleichbar mit der Bestrafung von Kriminellen. Das Äquivalent zur Arroganz der Empathen gegeüber Nichtempathen wäre dann die Arroganz des Justizsystems gegenüber dem Straftäter. Wie sinnvoll es ist, ein Gefühl zu fordern, möchte ich an dieser Stelle aber nicht diskutieren.


Ein solches Prinzip ist selbst nicht weniger begründungsbedürfig, nur daß es eine solche Begründung nicht gibt. Am Ende ist es eine Glaubensfrage, welchem Prinzip man zuneigt, und das ist auch nicht besser als ein Gefühl.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2076086) Verfasst am: 13.11.2016, 20:57    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ich würde sagen, für eine ethische Bewertung benötigt man ein Prinzip, für eine bloße Ablehnung reicht eine Empfindung, die nicht weiter begründungsbedürftig ist. Natürlich kann man auch aus einer Empfindung ein Prinzip machen, etwa derart, dass ethisches Handeln Handeln aus Mitgefühl ist. Dann wäre auch die Ablehnung eines Nichtempathen ethisch begründet. Wobei natürlich die Frage ist, wie dann der Ausschluss aus der Gruppe zu begründen wäre. Mglw. Als eine Art Strafe, durchaus vergleichbar mit der Bestrafung von Kriminellen. Das Äquivalent zur Arroganz der Empathen gegeüber Nichtempathen wäre dann die Arroganz des Justizsystems gegenüber dem Straftäter. Wie sinnvoll es ist, ein Gefühl zu fordern, möchte ich an dieser Stelle aber nicht diskutieren.


Ein solches Prinzip ist selbst nicht weniger begründungsbedürfig, nur daß es eine solche Begründung nicht gibt. Am Ende ist es eine Glaubensfrage, welchem Prinzip man zuneigt, und das ist auch nicht besser als ein Gefühl.


Kant hat seine Moral nicht mit einem Gefühl begründet und der Utilitarismus tut das höchstens indirekt. Aber selbst wenn sich das oberste Prinzip einer Ethik nicht rational begründen lässt, so steckt in seiner Formulierung doch immerhin schon mal mehr Struktur als in dem bloßen Geschwafel über moralische Einzelurteile. Denn ein Prinzip kann man entweder verwerfen oder annehmen. Nimmt man es an, muss man sich auch zu den sich daraus ergebenen Handlungsforderungen bekennen. Verwirft man es, weiß immerhin jeder, woran er ist. Und so wirllkürlich, wie du hier zu suggerieren versuchst, sind diese Prinzipien nicht. Als "unmoralisch" empfundendes Verhalten wird vom Handelnden i.d.R. nicht aus völlig anderen Prinzipien heraus gerechtfertigt, als jenen die die anerkennen, die die Handlung für unmoralisch halten. Vielmehr wird meistens versucht, die unmoralische Handlung im Sinne des Prinzips umzudeuten. Aus einer bloßen Genese sozialer Verhaltensweisen ergibt sich normativ gar nichts. Bzw. indirekt womöglich schon, indem das Wissen über Zusammenhänge natürlich Auswirkungen auf die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls haben kann.
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2076088) Verfasst am: 13.11.2016, 21:08    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Aber selbst wenn sich das oberste Prinzip einer Ethik nicht rational begründen lässt, so steckt in seiner Formulierung doch immerhin schon mal mehr Struktur als in dem bloßen Geschwafel über moralische Einzelurteile.

Und welche "ethische" Bedeutung hat "Struktur"? Daß sich Ethiker ob der Schönheit ihrer Gedankenkonstrukte gegenseitig auf die Schulter klopfen? Mit welchem Recht tust du eigentlich moralische Einzelurteile als "Geschwafel" ab, wenn du selbst nichts anderes lieferst?

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Denn ein Prinzip kann man entweder verwerfen oder annehmen. Nimmt man es an, muss man sich auch zu den sich daraus ergebenen Handlungsforderungen bekennen. Verwirft man es, weiß immerhin jeder, woran er ist.

Ich sag ja: Glaube. Da weiß man auch, woran man ist. Nur von Begründung keine Spur. Was aber soll deine Forderung nach Begründung wert sein, wenn du sie selbst nicht einlösen kannst?
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Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2076090) Verfasst am: 13.11.2016, 21:24    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Aber selbst wenn sich das oberste Prinzip einer Ethik nicht rational begründen lässt, so steckt in seiner Formulierung doch immerhin schon mal mehr Struktur als in dem bloßen Geschwafel über moralische Einzelurteile.

Und welche "ethische" Bedeutung hat "Struktur"? Daß sich Ethiker ob der Schönheit ihrer Gedankenkonstrukte gegenseitig auf die Schulter klopfen? Mit welchem Recht tust du eigentlich moralische Einzelurteile als "Geschwafel" ab, wenn du selbst nichts anderes lieferst?

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Denn ein Prinzip kann man entweder verwerfen oder annehmen. Nimmt man es an, muss man sich auch zu den sich daraus ergebenen Handlungsforderungen bekennen. Verwirft man es, weiß immerhin jeder, woran er ist.

Ich sag ja: Glaube. Da weiß man auch, woran man ist. Nur von Begründung keine Spur. Was aber soll deine Forderung nach Begründung wert sein, wenn du sie selbst nicht einlösen kannst?


Was ist denn das für eine Zitierweise? Hab ich keinen Bock drauf.
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Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#2076101) Verfasst am: 13.11.2016, 22:37    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Was aber interessant wäre, wäre eine Untersuchung, inwieweit es säkulare Trends hinsichtliche solcher Werte wie menschliche Solidarität und Empathie gibt. Das Ergebnis bezogen auf die letzten Jahrzehnte scheint mir jetzt schon festzustehen, aber die Gründe dafür wären interessant.

Es kommen heutzutage neurechte Bewegungen nach oben, die die mitmenschliche Solidarität angreifen und/oder auf bestimmte Gruppen begrenzt sehen wollen (Familie, Nation, Geschlecht, *Wertegemeinschaft*, *Religionsgemeinschaft*, etc.).

Das ist natürlich nicht neu und daran schließt sich die Frage an, warum die menschliche Geschichte auch in dieser Hinsicht einfach nicht voran kommt, sondern wir lauter déjà vues erleben. Solche Klonovskis hat es ja unter anderen Namen auch früher schon gegeben ...-


Hast du schon überlegt, daß das zwei Seiten der selben Medaille sein könnten, der Trend zu mehr menschlicher Solidarität und Empathie ebenso wie der zu mehr Abgrenzung im Namen von traditionellen Gruppen? Beides ist meiner Ansicht nach Folge der gleichen Entwicklung, des gleichen sozialen Prozesses, den wir etwas vereinfachend Globalisierung nennen, etwas genauer, die Verlängerung und Verstärkung zwischenmenschlicher Interdependenzketten, wechselseitiger Abhängigkeiten durch Warenaustausch, internationale Arbeitsteilung, internationale Konkurrenz, Vergrößerung der Märkte, technische Entwicklungen im Transportwesen, die diesen Warenaustausch erst möglich und profitabel machen, aber auch Abhängigkeiten durch wachsende militätische Bedrohungen, um nur einige Aspekte zu nennen.

Das alles verstärkt die wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den Menschen und Menschengruppen verschiedener Nationen, Länder, Kontinente. Es kommt zu mehr gegenseitigen Begegnungen, zu gegenseitigem Kennenlernen, verstärktem Interesse füreinander. Aber es erhöht eben auch die Reibungspunkte, macht unterschiedliche Interessen deutlich, die nun offen zu sehen sind, und immer mehr Menschen bewußt werden. All diese Entwicklungen bedeuten auch Veränderungen in den Machtbalancen zwischen den Menschen und Menschengruppen, und damit gibt es nicht nur Sieger, sondern auch Verlierer. Ich finde es geradezu naiv, anzunehmen, solche Entwicklungen würden nur und gewissermaßen automatisch zum Besseren führen.


Ich würde es - wenn schon so allgemein - so formulieren, dass eine zunehmend unsolidarische Moral, welche sich epidemieartig ausbreitet und verstärkt auch korrespondiert mit nach wie vor und wieder zunehmend real unsolidarischen Verhältnissen.

Der Krieg zwischen industrialisierten und deindustrialiserten Regionen, der Klassenkrieg im Inneren der Länder - das sind ja nicht einfach nur gedachte Kriege, sondern die finden so real statt. Und weil sie real stattfinden und nicht aufhören, statt zu finden, während gleichzeitig die Krise des Planeten, die Wirtschaftskrise, sich verschärfen, schlägt sich das auch im Denken bestimmter Bevölkerungsschichten nieder.

samson hatte diesen thread damit gefüttert, dass er so etwas beklagte wie eine *morally correctness* analog zur *politically correctness*.

Was aber bedeutet eine mitmenschliche Moral für die derzeitige Politik?

Die Antwort ist: eine fiktiv dominierende mitmenschliche und solidarische Moral bedeutet ein großes Hindernis für die genannten Kriegsführungen von Seiten der Mächtigen - für die Mächtigen.

Die Beseitigung moralischer Hemmungen, die Beseitigung der Beisshemmungen gegen die eigene Art macht den Weg frei für Vernichtung, Zerstörung, usw. von Mensch, Tier und Umwelt - und die hemmungslose Verfolgung etwa der Ausbeutungsziele, die solche Trumps und andere Amoralisten ganz offen aussprechen. Selbst die Atombombe ist dann plötzlich wieder eine nahe liegende Kriegs-Option. Dabei stört Empathie nur.

Diese Intention - moralische Hemmungen bei Seite zu fegen - um rauben, morden, plündern, ausbeuten und sich bereichern zu können - diese Intention liegt m.E. der verlogenen Frage von samson zu Grunde.

Und verlogener Weise fragt er, welche Gründe denn für eine allgemein menschliche, international solidarische Moral existieren würden und wieso es nicht *vertretbar* sei, dass man die Opfer des Ganzen mit einem Achselzucken oder gar mit offenem Zynismus zur Kenntnis nehmen dürfe. Die Antwort darauf kann doch nur sein, dass man jene genannten Plünderungen, Raubzüge und Zerstörungen nicht mehr will, sondern diese selbst überwinden möchte.

Das heisst: Wie auch immer die Moral beschaffen ist. Sie ist immer zweckbestimmt. Und diese Zwecke sind eben die jeweiligen Begründungen einer Moral ...-

edit: dass (A-)Moral auch vermittelt wird - z.B. durch die Eltern an ihre Kinder - ändert nichts an der Zweckgebundenheit von Werten & Normen.
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 13.11.2016, 23:02, insgesamt 4-mal bearbeitet
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fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2076104) Verfasst am: 13.11.2016, 22:51    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
....
Ich würde sagen, für eine ethische Bewertung benötigt man ein Prinzip, für eine bloße Ablehnung reicht eine Empfindung, die nicht weiter begründungsbedürftig ist. ....

@ Zumsel
Dir fällt hoffentlich auf, dass Du von Ethik schreibst, während ich ganz bewusst von Moral geschrieben hatte.
Moralen verzichten auch mal auf Begründung und nennen das dann Tabu. Und Moral wird so früh vermittelt, dass sie ins Unterbewusste übergeht und sich als Gefühl äußert, bei ordentlich katholisch erzogenen Mädchen z.B. als Ekel, wenn ein Mann (damit hier niemand auf falsche Gedanken kommt : das Mädchen war 19, von dem ich gerade erzähle) sie außerhalb der Hände, etwa am Arm, an der nackten Haut berührt.

Deshalb meine implizite Frage an Kramer, wo denn seine Gefühle herkommen, die er beschreibt, und die ja auch einen Wertung darstellen.

Zu den Begriffen, die wir lernen, gehören nicht nur Bedeutungen, sehr viele Begriffe haben auch Gefühlsgehalte, die wir mitbekommen, auch ohne dass wir sie erklärt bekommen. Auch die Tradition Tradition von Moral macht anscheinend Gebrauch davon.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2076112) Verfasst am: 13.11.2016, 23:56    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:

Zu den Begriffen, die wir lernen, gehören nicht nur Bedeutungen, sehr viele Begriffe haben auch Gefühlsgehalte, die wir mitbekommen, auch ohne dass wir sie erklärt bekommen. Auch die Tradition Tradition von Moral macht anscheinend Gebrauch davon.


Hinzu kommt, daß Moral nicht von Grund auf von jedem Einzelnen neu erfunden werden muß, sondern auch nicht erfunden werden kann, so sehr wie die damit verbundenen Gefühlsgehalte und Wertungen nicht ein unserer Persönlichkeit gewissermaßen fremd gegenüberstehendes Regelwerk sind, sondern Teil der eigenen Persönlichkeit, Im Laufe unseres Lebens kollidieren einige der moralische Vorstellungen, mit denen wir aufgewachsen sind, unseren Erfahrungen, Wünschen und Bedürfnissen, aber keineswegs alle, und die wenigen auch nicht alle auf einmal.

Nur ganz wenige von uns stehen in ihrem Leben gewissermaßen von heute auf morgen vor einem Scherbenhaufen ihrer bisherigen Wertvorstellungen. Die meisten von uns setzen in Übereinstimmung oder Ablehnung fort, was sie von der vorherigen Generation übernommen haben, ob es ihnen nun bewußt sein mag oder nicht. Gerade an der Generation der '68er, zu der ich persönliche ein gewisse Nähe habe, läßt sich zeigen, wie sehr sie in der Tradition ihrer Vorfahren stand, gerade da, wo sie meinte, sich besonders abzugrenzen.

Ich komme wieder auf meine Anfangsthese zurück, daß wir unsere Verhaltensstandards, die wir mit unserer Erziehung aufnehmen, nicht unähnlich dem Erlernen unserer Sprache, nicht anhand von Prinzipien erlernen, sowenig wie unsere Sprache anhand grammatischer Regeln, sondern in einem unsystematischen, fallbezogenen Lernprozeß. So sind diese Verhaltensstandards auch entstanden, in einem generationenübergreifenden Lernprozeß, mit Fortschritten wie Rückschritten, strukturiert (und damit nachvollziehbar), aber nicht geplant. Ihre normative Kraft zieht sie daraus, daß das darauf beruhende Zusammenleben der Menschen weitgehend funktioniert. Alle bisherigen Versuche, diese Verhaltensstandards durch von ethischen Prinzipien abgeleitete Regeln zu ersetzen, waren weit weniger überzeugend.
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Kramer
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Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#2076113) Verfasst am: 14.11.2016, 00:07    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:

@ Kramer
Kannst Du den genauen Unterschied zwischen diesem Bewertungssystem, das Du hier zeichnest, und Moral mal auf der psychischen Ebene bzw. der Ebene der Entstehung erklären?


Ich weiss nicht, ob ich Dir die Antwort geben kann, die Du erwartest. Ich sehe den Unterschied nicht so sehr in der Herkunft/Entstehung, sondern in der Anwendung/Gültigkeit oder wie man es auch nennen möchte. Ich habe das alles noch nicht zuende durchdacht, das sind also sozusagen "ideas in progress".

Vor Jahren ging es in einem christlichen Forum um das Thema Homosexualität. Da haben auch einige Hardcore-Christen mitdiskutiert, für die Homosexualität prinzipiell unmoralisch war. Ich dagegen fand die Haltung dieser Christen unmoralisch, denn was zwei Menschen im privaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit tun, geht niemanden etwas an. Ich habe das damals damit verglichen, dass ich ja auch nicht das Recht hätte, bei einem Hardchore-Christen das Wohnzimmer umzutapezieren, weil mir die Tapete nicht gefällt. Unmoralisch ist also nicht die Wahl des Partners (ich verzichte jetzt mal auf die üblichen Einschränkungen, ich denke, die sind klar) oder die Wahl der Tapete - unmoralisch ist es aber, sich in solche persönlichen Entscheidungen ungefragt einzumischen und da ein Mitspracherecht zu beanspruchen.

Jahre später bin ich dann darauf gestossen, das in der englischen Sprache einen Begriff für dieses Konzept gibt, auch wenn es nicht prinzipiell moralisch gedacht ist. Man nennt es "Personal Boundaries". Die Wahl des Partners, die Wahl der Tapete, das sind alles Entscheidungen, die innerhalb der persönlichen Grenzen liegen. Diese Entscheidungen sind für sich weder moralisch noch unmoralisch. Sie werden erst dann zu einer moralischen Frage, wenn die persönlichen Grenzen anderer Menschen verletzt werden - also wenn die Tapete z.B. geklaut ist. Eine ungefragte Einmischung in solche Entscheidungen ist eine Grenzverletzung (Boundary Busting) und da - denke ich - kommt erst die Moral ins Spiel. Ich habe das noch nicht zuende gedacht, aber ich vermute, dass jede moralisch (und letzendlich auch ethisch) verwerfliche Handlung letztendlich eine solche Grenzverletzung ist. Und wo keine Grenzverletzung vorliegt (also das Eindringen und Rumfuchteln im persönlichen Bereich anderer Menschen) liegt gar keine moralisch relevante Handlung vor.
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Kramer
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Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#2076116) Verfasst am: 14.11.2016, 00:16    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Deshalb meine implizite Frage an Kramer, wo denn seine Gefühle herkommen, die er beschreibt, und die ja auch einen Wertung darstellen.


Ich habe keine Ahnung, wo die herkommen, ich weiss nur, wo die nicht herkommen: Von meinen Eltern.
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fwo
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Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2076122) Verfasst am: 14.11.2016, 01:41    Titel: Antworten mit Zitat

Kramer hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Deshalb meine implizite Frage an Kramer, wo denn seine Gefühle herkommen, die er beschreibt, und die ja auch einen Wertung darstellen.


Ich habe keine Ahnung, wo die herkommen, ich weiss nur, wo die nicht herkommen: Von meinen Eltern.

Zumindest glaubst Du das zu wissen und es kann auch sein, dass Du in diesem Fall Recht hast.

Aber ich vermute, dass Du den Einfluss der Eltern auf die eigenen Gefühle unterschätzt. Und das sage ich nicht, weil ich so ein großer Fan meiner eigenen wäre - ich habe mich gefühlsmäßig von ihnen getrennt, als ich ca 12 war und kann mich erinnern, dass ich mit ca 14 eine ganze Weile gehirnt habe, wie ich es anstelle, mich auch nicht negativ von ihnen beeinflussen zu lassen, d.h. durch Ablehnung ihrer Position.

Belassen wir es dabei.
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Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#2076124) Verfasst am: 14.11.2016, 02:08    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:

Belassen wir es dabei.


Denke ich auch.
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