Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
|
(#2079939) Verfasst am: 20.12.2016, 20:20 Titel: |
|
|
Wilson hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Es ist ein Fehler in seinen Überlegungen (so interessant sie im Einzelnen auch sein mögen). Wer findet ihn? |
du bist doch bloß neidisch. |
Was willst du? Metzinger ist ein brillanter Wissenschaftler, ich bin ein kleines Licht. Ich hätte also allen Grund. Aber es ist kein psychologisches Problem, sondern eines der, wie nennt er es so schön: empirischeren Evidenz. Er reduziert das Problem auf ein individuell-psychologisches, eines unserer psychologischen Tiefenstrukturen, die er zwar nicht mehr, wie es bei einem Philosophen naheläge, als Kants a priori identifiziert, sondern als Produkt unserer evolutionären Entwicklung, damit also als eine Art biologischem a priori.
Dem widerspricht andererseits, daß er nach einem "Fenster der Plastizität" sucht. Verständlich zwar, weil es sonst überhaupt keine Hoffnung auf Veränderung gäbe (wohl gemerkt in seinem Modell, nicht in der Wirklichkeit), andererseits im Widerspruch zur Unabänderlichkeit menschlicher "Tiefenstrukturen", die er ausgemacht zu haben glaubt.
Ich denke, da ist einerseits ein Widerspruch in seinem Konzept selbst. Das könnte man nun als Ausdruck des dem Menschen angeborenen Optimismus, unserer Fähigkeit zur Selbsttäuschung interpretieren. Ich denke, daß das Modell der uns angeborenen Tiefenstrukturen, das Modell eines biologischen a priori schon eine solche Selbsttäuschung darstellt.
Ich denke, daß das, was als psychologische Tiefenstrukturen bei jedem einzelnen Menschen so festgefügt erscheint, und sicherlich zu einem gewissen Grad auch ist, in den Gesellschaften der Menschen über Generationen entstanden ist, und über die Generationen der Menschen hinweg auch flexibler ist, als Metzinger das einschätzt. Das Subjekt unserer Erkenntnis ebenso wie das Subjekt unserer Selbstwahrnehmung ist nicht das einzelne Individuum, sondern sind die Menschen im Plural in der Folge der Generationen. Es ist daher auch nicht mit einem mathematischen Modell zu beschreiben, wie genial ihr Erfinder auch sein mag, sondern nur durch ein Prozeßmodell, ein 4-dimensionales Modell zu beschreiben, und das Objekt dieser Beschreibung ist auch nicht "das Individuum", sondern die Gesellschaft der Individuen in ihrem Lauf durch die Zeit.
Das hilft im Moment als praktische Handlungsanweisung nicht weiter. Da teile ich seinen Pessimismus. Aber es hilft, denke ich, beim Verständnis des Problems.
P.S.: Seine Charakterisierung unserer Zeit als eine der Katastrophe teile ich übrigens nicht, bzw. sie ist auch nicht katastrophaler als andere Zeiten. Dazu vielleicht noch ein kleines Zitat:
"Unsere öffentlichen Debatten über moralische oder politische Fragen finden längst nicht mehr in einem religiösen Kontext statt, aber die neue Terminologie dient auch dazu, den tiefen Einfluss der vielen Konzepten zugrunde liegenden theologischen Ideen zu verschleiern. Unsere Wortwahl hat sich geändert. Wir sprechen nicht mehr von Seele, sondern von Psyche, wir haben die Erbsünde eingetauscht gegen Schuldgefühle unseren Kindern oder Eltern gegenüber, aber der Nährboden dieser Ideen ist unverändert, wir sehen die Welt immer noch mit den Augen von Gläubigen, auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind.
Wenn wir in die Zukunft blicken, dann fürchten wir nach wie vor die Apokalypse, erwarten wir instinktiv immer noch das Ende der Geschichte im Paradies oder in ewiger Verdammnis. Neben der Erlösungsvision eines perfekten Marktes, einer vollkommenen sozialistischen Gesellschaft, einer Sciencefiction-Zukunft ohne Kriege oder Energieprobleme droht das Angstszenario eines überhitzten Planeten, das Schreckensbild eines nuklearen dritten Weltkrieges, von zusammenbrechenden Ökosystemen, zerstörerischen Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde oder einem letzten, apokalyptischen Krieg der Zivilisationen. Die Möglichkeit, die Menschheit könnte sich auch noch einige weitere Jahrtausende irgendwie durchmogeln (die bei weitem wahrscheinlichste), sie könnte einige Katastrophen vermeiden und andere erleiden, am Ende aber weder dem Himmel noch der Hölle wesentlich näher sein als heute, entspricht unseren kulturellen Instinkten deutlich weniger. Unsere theologisch konditionierten Hirne denken lieber in Bildern wie Erlösung und Verdammnis, und damit auch Belohnung und Strafe, als mit der Erwartung einer Zukunft voller Zufälle und Zwänge, unvorhersehbar, sinnlos, ohne Ziel."
(Philipp Blom: Böse Philosophen, S. 19f)
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
|
|