Freigeisterhaus Foren-Übersicht
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   NutzungsbedingungenNutzungsbedingungen   BenutzergruppenBenutzergruppen   LinksLinks   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Kann Wissenschaft moralische Fragen beantworten?
Gehe zu Seite 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8  Weiter
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Weltanschauungen und Religionen
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Landei
Gesinnungspolizist



Anmeldungsdatum: 27.02.2011
Beiträge: 1180
Wohnort: Sandersdorf-Brehna

Beitrag(#1698440) Verfasst am: 22.10.2011, 15:41    Titel: Kann Wissenschaft moralische Fragen beantworten? Antworten mit Zitat

Sam Harris meint ja, und ich neige dazu, seiner Argumentation zuzustimmen: http://hpd.de/node/12134

Wer des Englischen mächtig ist, sollte unbedingt auch das verlinkte Video anschauen:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=Hj9oB4zpHww
_________________
Der Islam gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Diese Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet. (Kemal Atatürk)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
AgentProvocateur
registrierter User



Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1698463) Verfasst am: 22.10.2011, 17:45    Titel: Antworten mit Zitat

Sehr interessantes Thema.

Man kann es in zwei Fragen aufsplitten:

1. Ist moralischer Realismus oder moralischer Relativismus richtig / besser?

2. Kann man aus dem Sein auf das Sollen schließen?

Beide Fragen würde ich nun anders beantworten als Harris: ich halte moralischen Relativismus für richtig und ich meine, der Schluss vom Sein aufs Sollen ist ein Fehlschluss.

Diese beiden Fragen zu diskutieren fände ich interessant.

Man könnte nun noch eine dritte Frage stellen:

3. Kann Wissenschaft hilfreich sein zum Beantworten moralischer Fragen?

- aber diese Frage finde ich uninteressant, denn die Antwort auf diese Frage ist wohl weithin unbestritten: "ja".

Noch zwei Anmerkungen: den HPD-Artikel zum Buch von Harris finde ich sehr schlecht, weil uninformativ. Es werden nur ein paar Behauptungen aufgestellt, die ich nicht nachvollziehbar finde (z.B. "das Gehirn unterscheidet Fakten und Werte nicht" - was soll das?). Informativer finde ich z.B. diese Kritik an Harris' Buch, (ist aber auf englisch.).

Zweitens: unter 'moralischem Realismus' verstehe ich folgende These: "Wenn zwei moralische Statements als Empfehlungen für eine Handlung zueinander in Konflikt stehen, dann kann nur ein Statement davon wahr sein." Und 'moralischer Relativismus' ist die Verneinung dieser These - und nicht mehr als das, vor allem folgt aus moralischem Realismus nicht, dass alle moralischen Aussagen gleichermaßen wahr / berechtigt seien.

Und noch 'ne Anmerkung: ich will damit nicht sagen, dass man Harris' Buch auf die oben genannten Fragen reduzieren könne, man kann natürlich noch viel mehr Fragen stellen, ich will das hier nicht irgendwie von Vorneherein begrenzen. Nur insofern, wie gesagt, als mich Frage 3 nicht besonders interessiert, denn das sehe ich nicht als strittig an.

Edit: anderen Buchkritik-Link eingefügt, der mehr die o.g. Fragen behandelt.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 22.10.2011, 18:26, insgesamt einmal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
pera
auf eigenen Wunsch deaktiviert



Anmeldungsdatum: 01.07.2009
Beiträge: 4256

Beitrag(#1698468) Verfasst am: 22.10.2011, 18:24    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Zweitens: unter 'moralischem Realismus' verstehe ich folgende These: "Wenn zwei moralische Statements als Empfehlungen für eine Handlung zueinander in Konflikt stehen, dann kann nur ein Statement davon wahr sein."


Können nicht beide falsch sein und keines wahr?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
AgentProvocateur
registrierter User



Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1698470) Verfasst am: 22.10.2011, 18:35    Titel: Antworten mit Zitat

pera hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zweitens: unter 'moralischem Realismus' verstehe ich folgende These: "Wenn zwei moralische Statements als Empfehlungen für eine Handlung zueinander in Konflikt stehen, dann kann nur ein Statement davon wahr sein."

Können nicht beide falsch sein und keines wahr?

Könnte sein, klar, aber dieser Fall ist mE von der Formulierung bereits abgedeckt.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
narziss
auf Wunsch deaktiviert



Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 21939

Beitrag(#1698472) Verfasst am: 22.10.2011, 18:54    Titel: Antworten mit Zitat

Der Test: Wie beantwortet Harris das Trolley-Problem?

Zuletzt bearbeitet von narziss am 22.10.2011, 19:10, insgesamt einmal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698474) Verfasst am: 22.10.2011, 19:08    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zweitens: unter 'moralischem Realismus' verstehe ich folgende These: "Wenn zwei moralische Statements als Empfehlungen für eine Handlung zueinander in Konflikt stehen, dann kann nur ein Statement davon wahr sein."

"Moralische Statements" an sich haben mE keinen Wahrheitswert, denn sie beschreiben ja das Sollen und nicht das Sein. Nur wenn man ein (letztlich willkürliches) formales moralisches System axiomatisch setzen würde, könnte man innerhalb dieses Systems versuchen, Kriterien für die "Wahrheit" moralischer Sollsätze zu definieren.

Was genau bedeutet es also, wenn Du sagst, Du hieltest moralischen Realismus idS für falsch? Daß in dem moralischen System, daß Dir vorschwebt, kein widerspruchsfreies Wahrheitskalkül definierbar ist?

Falls Du das meinst und falls Du damit recht hast, wie verhinderst Du in diesem moralischen System Effekte von der Art "ex falso quodlibet"?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698477) Verfasst am: 22.10.2011, 19:18    Titel: Antworten mit Zitat

Meine Ansicht stichpunktartig:

- aus dem Sein folgt kein Sollen, eher ein Wollen

- wir haben Eigenschaften und Ziele, und diese bestimmen - mit oder ohne ethische Reflexion - unsere Moral, also was wir für gut und böse halten.

- die Wissenschaft kann helfen, die Moral so zu optimieren, daß wir unsere Ziele möglichst gut erreichen.

Zum moralischen Realismus:

Ich denke, eine funktionierende Moral (egal welche) muß ein hinreichendes Maß an moralischem Realismus besitzen, weil sie sonst zu unplausibel und widersprüchlich wird. Für die verbleibenden, möglicherweise unvermeidlichen Dilemmata, die sich natürlicherweise aus unseren heterogenen Interessen ergeben, muß man mE die moralische Bewertung offenlassen.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
AgentProvocateur
registrierter User



Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1698482) Verfasst am: 22.10.2011, 19:28    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
"Moralische Statements" an sich haben mE keinen Wahrheitswert, denn sie beschreiben ja das Sollen und nicht das Sein. Nur wenn man ein (letztlich willkürliches) formales moralisches System axiomatisch setzen würde, könnte man innerhalb dieses Systems versuchen, Kriterien für die "Wahrheit" moralischer Sollsätze zu definieren.

Was genau bedeutet es also, wenn Du sagst, Du hieltest moralischen Realismus idS für falsch? Daß in dem moralischen System, daß Dir vorschwebt, kein widerspruchsfreies Wahrheitskalkül definierbar ist?

Falls Du das meinst und falls Du damit recht hast, wie verhinderst Du in diesem moralischen System Effekte von der Art "ex falso quodlibet"?

Wie gesagt: ich bin moralischer Relativist. Ein moralischer Realist ist nun mE auf die Behauptung festgelegt, dass moralische Aussagen einen Wahrheitswert besitzen. Ich als moralischer Relativist aber nicht. Ich meine vielmehr, dass man alle Grundlagen eines moralischen / ethischen Systemes axiomatisch setzen muss (was aber nicht heißt: letztlich willkürlich, sondern die sind von unserern Bedürfnissen, Wünschen, Interessen, Wertungen etc. abhängig) und dass diese Axiome selber nicht wahr oder unwahr seien, sondern lediglich zustimmungsfähig / nicht zustimmungsfähig. Wichtig ist nur: diese Axiome können nicht rational aus dem Sein hergeleitet werden und sie sind nicht bei allen (exakt) gleich, wiewohl vieles übereinstimmen kann.

Insofern also halte ich moralischen Realismus für falsch.

Das hat aber nun noch nichts mit Widerspruchsfreiheit / Kohärenz zu tun, das ist eine andere Frage.

Beantwortet das all Deine Fragen? Wenn nicht: bitte neu formulieren.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698488) Verfasst am: 22.10.2011, 19:55    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich meine vielmehr, dass man alle Grundlagen eines moralischen / ethischen Systemes axiomatisch setzen muss (was aber nicht heißt: letztlich willkürlich, sondern die sind von unserern Bedürfnissen, Wünschen, Interessen, Wertungen etc. abhängig) ...

Mit "letztlich willkürlich" meinte ich eher so etwas wie Kontingenz. Nämlich daß diese Axiome von keinerlei absolutem Sollen beeinflußt werden, sondern sich rein aus den jeweiligen Gegebenheiten ableiten. Wenn ich also zwei Gesellschaften A und B habe, so werden die i.a. eine unterschiedliche, jeweils ihren Interesssen angepaßte Moral entwicklen. Ein Wissenschaftler könnte diese Abhängigkeiten in einen systematischen Zusammenhang bringen, wenn auch vermutlich nicht vollständig.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3661

Beitrag(#1698498) Verfasst am: 22.10.2011, 20:36    Titel: Antworten mit Zitat

Kann Wissenschaft moralische Fragen beantworten? - Vor ein paar Jahren hätte ich noch mit "ja" geantwortet. Inzwischen habe ich es mir anders überlegt.

Ich hätte damals mit ja geantwortet aus spieltheoretischen und evolutionären Überlegungen: Kooperation ist eine sehr starke Strategie - üblicherweise eine Strategie, mit der man gewinnt. Also ist Kooperation moralisch gut. QED.

Eine ähnliche Argumentation klingt auch im hpd-Artikel an:

Zitat:
Mit Altruismus bzw. Nächstenliebe hat uns die Evolution ausgestattet.


Leider hat diese Argumentation einen Pferdefuß. Sie sagt nichts darüber aus, wer kooperiert und zu welchem Zweck. Man könnte das Kooperations-Argument auch auf eine Gruppe von Mafiosi anwenden, die eng und altruistisch innerhalb ihrer Gruppe zusammenarbeiten zum gegenseitigen Vorteil. Moralisch wäre das noch lange nicht.

Soviel dazu.

Harrisens Neuro-Argument überzeugt mich ebenfalls nicht. Angenommen, wir könnten durch Messung feststellen, wie glücklich jemand ist. Und dann? Als plumpes Extrembeispiel: nehmen wir einen Sadisten und sein Opfer. Mittels einer hypothetischen fMRT-Analyse messen wir beim Sadisten + 10 Glückspunkte durch seine Handlung, bei seinem Opfer aber nur -8 Leidpunkte. Hätte der Sadist dann moralisch gehandelt? Natürlich nicht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698503) Verfasst am: 22.10.2011, 21:13    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Mittels einer hypothetischen fMRT-Analyse messen wir beim Sadisten + 10 Glückspunkte durch seine Handlung, bei seinem Opfer aber nur -8 Leidpunkte. Hätte der Sadist dann moralisch gehandelt? Natürlich nicht.

Meinst Du, daß diese Handlung in jeder Moral schlecht wäre?
Falls ja: Haben wir dann nicht eine Spur gefunden für ein moralisches Kriterium, das aus unserem Sein folgt?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
L.E.N.
im falschen Film



Anmeldungsdatum: 25.05.2004
Beiträge: 27745
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1698506) Verfasst am: 22.10.2011, 21:34    Titel: Antworten mit Zitat

narziss hat folgendes geschrieben:
Der Test: Wie beantwortet Harris das Trolley-Problem?


spontan würde ich sagen beides wären täler im moralischen spektrum und gleichzeitig gipfel- je nach perspektive.
_________________
Ich will Gott lästern dürfen! Weg mit §166 StGB!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden ICQ-Nummer
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3661

Beitrag(#1698529) Verfasst am: 22.10.2011, 22:54    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Meinst Du, daß diese Handlung in jeder Moral schlecht wäre?

Nein. Es könnte auch "Moraltheorien" geben, in denen mein hypothetischer Sadist besser abschneidet.

Grob gesagt denke ich, daß es zwei Pole von Moralvorstellungen gibt:

- der eine Pol ist Rabbi Hillel, der bereits vor der Zeitenwende gesagt hat: "Was du nicht willst, daß man dir tu, füg' auch keinem anderen zu."
- der andere Pol ist eine Moral a la Machiavelli - "Wer die Macht hat, hat das Recht. Der Zweck heiligt die Mittel."

Beide Anschauungen erscheinen mir in sich schlüssig. Mir fällt kein naturwissenschaftliches Argument ein, das den einen oder den anderen Pol bevorzugen würde.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
AgentProvocateur
registrierter User



Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1698535) Verfasst am: 22.10.2011, 23:09    Titel: Antworten mit Zitat

Übrigens: hier gibt es eine Antwort von Harris auf die oben von mir verlinkte Kritik an seinem Buch.

Die Frage 'moralischer Realismus / moralischer Relativismus' ist daher schwierig zu diskutieren, weil es diesbezüglich anscheinend höchst unterschiedliche Definitionen gibt. Je nach Definition bin ich moralischer Realist oder moralischer Relativist.

Mir scheint, dass Harris eine solche Definition von 'moralischem Relativismus' vorschwebt: "ein moralischer Relativist hält jede beliebige moralische Aussage für absolut gleichwertig".

Nach der Definition bin ich moralischer Realist, denn dieser Aussage stimme ich nicht zu. Ich finde es jedoch total langweilig, eine solche (mE merkwürdige, mir nicht bekannte, kenne niemanden, der das so vertritt) Position anzugreifen. Kommt mir vor wie ein Strohmann.

Und die Frage: "kann Wissenschaft dabei helfen, moralische Probleme zu lösen?" finde ich auch höchst langweilig, die Antwort auf diese Frage scheint mir so eindeutig "ja" zu sein, dass ich mich nicht mit einer eventuellen Gegenposition dazu beschäftigen möchte. Meiner Ansicht nach kann eine Moral / Ethik nicht von allen Gegebenheiten (= dem Sein) abstrahieren, also das Sein einfach ignorieren.

Wenn das alles ist, was Harris oder jemand anderes in diesem Thread hier vertreten möchte ("moralischer Realismus in dem Sinn, dass alle moralischen Aussagen gleichwertig, ununterscheidbar sind, ist falsch" und "Wissenschaft kann einen Beitrag zu moralischen Fragen leisten, wiewohl Wissenschaft nicht objektiv richtige Normen festlegen und somit nicht feststellen kann, was in konkreten Fragen die richtige Handlung ist") dann interessiert mich das hier nicht weiter. Diese Aussagen halte ich für komplett unstrittig, ich frage mich dann nur, wieso Harris ein Buch über unstrittige Fragen schreibt.

Hat er aber AFAIK nicht, er behauptet in seinem Buch, ein Sollen könne aus dem Sein abgeleitet werden, er behauptet, es gäbe objektiv richtige moralische Aussagen und er behauptet, das einzige Ziel einer Ethik sei die Maximierung des Wohlbefindens aller bewussten Lebewesen.

Und all das halte ich nicht für richtig, ich unterschreibe völlig die oben verlinkte Kritik an Harris' Buch und die Antwort von Harris darauf halte ich für simples Ausweichen, ("was ist besser: eine Gesellschaft, in der jeder maximal leidet oder eine Gesellschaft, in der jeder maximal glücklich ist?" -> falsche Dichotomie, das hilft bei der Frage nach einer richtigen Ethik / Moral überhaupt nicht weiter).

Er sagt nicht, was 'Wohlbefinden aller bewussten Lebewesen' genau bedeuten soll, wie man daraus die Bewertung einzelner Handlungen ableiten kann, ob man nun die Summe des Wohlbefindens oder den Durchschnitt maximieren soll, ob man das Wohlbefinden Bestimmter (z.B. das eigene oder das Angehöriger) maximieren darf oder ob das unmoralisch ist etc. pp. und wie man all das wissenschaftlich objektiv herleiten kann. Aber das müsste er können, um seinen Standpunkt nachvollziehbar darstellen zu können. Es ist etwas billig von ihm, so zu argumentieren: "Burkha-Zwang und das Schlagen von Kindern ist falsch, das seht Ihr doch auch so, also habe ich recht". Und sein Vergleich mit dem Konzept 'Gesundheit', das er ebenso als unscharf und nicht eindeutig festlegbar wie 'Wohlbefinden' ansieht, hilft überhaupt nicht weiter. Man kann natürlich in beiden Konzepten gegenseitige Extreme miteinander vergleichen und die jeweils als besser oder schlechter (oder als gesünder und kränker) ansehen, aber das hilft nicht weiter, wenn man zu näher zusammenliegenden Sachverhalten kommt.

Was er nun aber sagt, ist, dass Wohlbefinden Einzelner angeblich ein objektiv feststellbares Faktum sei, unabhängig davon, ob der Einzelne das auch so sieht oder nicht und dass man dieses objektive Wohlbefinden irgendwie maximieren soll.

Was Paternalismus Tür und Tor öffnet, ("füge Dich, ist doch nur zu Deinem Besten, wissenschaftlich von ausgewiesenen Moral-Experten festgestellt, auch wenn Du das nicht einsiehst und wir müssen ja das Wohlbefinden aller maximieren, das ist das einzige Ziel aller Ethik").

Und überhaupt: wenn das einzige Ziel das Wohlbefinden aller bewussten Wesen ist und dieses Wohlbefinden neuronal messbar ist, dann folgte daraus, dass wir möglichst wirksame (= die neuronalen Wohlbefindenszustände maximierende) Glücksdrogen entwickeln sollten und allen bewussten Wesen diese einflößen sollten.

Nochmal zusammengefasst:

- aus dem Sein folgt mE kein Sollen, (was aber nicht! heißt, dass ein Sollen aus dem Nichts gefolgert werden könne, das Sein also keine Rolle bei der Frage nach dem Sollen spielen dürfe)

- moralischen Realismus halte ich für falsch - insofern, als es meiner Ansicht nach keine objektiv wahren / richtigen moralischen Aussagen gibt, (was aber nicht! heißt, dass ich alle moralischen Aussagen als gleichwertig ansehen müsste)

daraus folgt:

- Wissenschaft kann keine objektiv wahren moralischen Normen festlegen, (und dabei ist es völlig egal, ob Normen und Fakten im Gehirn gleich / ähnlich realisiert sind oder nicht)

Und, last but not least:

- ich halte es für ziemlich gefährlich, eine solche objektiv richtige, von Moral-Experten wissenschaftlich ermittelte Moral zu proklamieren und dann zu meinen, diese deswegen gegen alle Einwände durchsetzen zu dürfen, weil die ja objektiv richtig sei

- und ich wundere mich ziemlich, dass jemand, der seine sieben Zwetschgen noch zusammen hat, auf seine falsche Trichotomie hereinfallen kann (entweder haben wir eine religiöse Moral, die nicht begründet werden kann oder wir haben eine relativistische Moral, in der alles gleichwertig ist oder wir haben eine objektive Moral, die, wissenschaftlich begründet, eindeutige Wahrheit von Normen herstellen kann)

- und wenn jemand dann noch von einem 'Paradies auf Erden' fabuliert und alle, die das anders sehen, als Psychopathen ansieht und mit Kim Jong Il vergleicht, (siehe Link oben), und denen ein 'schmerzloses firmware update' spendieren will, (und das darf man deswegen, weil das einzig sinnvolle Ziel einer Ethik angeblich das 'Wohlbefindes aller' sein soll), dann hört bei mir jegliches Verständnis auf. Da kann ich nur noch sagen: der Typ hat mAn schlicht ein Rad ab.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
pera
auf eigenen Wunsch deaktiviert



Anmeldungsdatum: 01.07.2009
Beiträge: 4256

Beitrag(#1698547) Verfasst am: 23.10.2011, 00:00    Titel: Antworten mit Zitat

@ AgentProvocateur

Wieder eine messerscharfe Analyse mit Stil. Wenn du alle relevanten Gebiete durchdacht hast, solltest du ein Buch schreiben, ich würde es kaufen. Smilie
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
L.E.N.
im falschen Film



Anmeldungsdatum: 25.05.2004
Beiträge: 27745
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1698549) Verfasst am: 23.10.2011, 00:28    Titel: Antworten mit Zitat

ich denke harris möchte deutlich machen, dass moral immer abhängig von bestimmten bedingungen sozial konstruiert ist, sich dabei in einem vernünftigen rahmen bewegen kann und dass diese konstruktion mit hilfe der wissenschaft erfolgreich eine bzw viele gute/wünschenswerte/menschenfreundliche ethiken/moralen ohne religiösen bezug möglich machen.

das dies nicht banal ist sollte jedem glaubensfreien klar werden, der das vergnügen hat mit frommen theisten über ethik oder moral zu diskutieren.
ob die erkenntnis von Harris langweilig ist, muss jeder mit sich ausmachen. Schulterzucken

edit:
in der von AP verlinkten Antwort auf seine Kritiker steht diese stark verkürzte zusammenfassung seines standpunkts den ich ganz schlüssig finde.

Sam Harris hat folgendes geschrieben:

[...]For those unfamiliar with my book, here is my argument in brief: Morality and values depend on the existence of conscious minds -- and specifically on the fact that such minds can experience various forms of well-being and suffering in this universe. Conscious minds and their states are natural phenomena, of course, fully constrained by the laws of Nature (whatever these turn out to be in the end). Therefore, there must be right and wrong answers to questions of morality and values that potentially fall within the purview of science. On this view, some people and cultures will be right (to a greater or lesser degree), and some will be wrong, with respect to what they deem important in life. [...]

_________________
Ich will Gott lästern dürfen! Weg mit §166 StGB!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden ICQ-Nummer
Dr.Tomahawk
Wer beilt hat recht.



Anmeldungsdatum: 06.04.2011
Beiträge: 15

Beitrag(#1698580) Verfasst am: 23.10.2011, 10:35    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Übrigens: hier gibt es eine Antwort von Harris auf die oben von mir verlinkte Kritik an seinem Buch.

Die Frage 'moralischer Realismus / moralischer Relativismus' ist daher schwierig zu diskutieren, weil es diesbezüglich anscheinend höchst unterschiedliche Definitionen gibt. Je nach Definition bin ich moralischer Realist oder moralischer Relativist.

Mir scheint, dass Harris eine solche Definition von 'moralischem Relativismus' vorschwebt: "ein moralischer Relativist hält jede beliebige moralische Aussage für absolut gleichwertig".

Nach der Definition bin ich moralischer Realist, denn dieser Aussage stimme ich nicht zu. Ich finde es jedoch total langweilig, eine solche (mE merkwürdige, mir nicht bekannte, kenne niemanden, der das so vertritt) Position anzugreifen. Kommt mir vor wie ein Strohmann.

Und die Frage: "kann Wissenschaft dabei helfen, moralische Probleme zu lösen?" finde ich auch höchst langweilig, die Antwort auf diese Frage scheint mir so eindeutig "ja" zu sein, dass ich mich nicht mit einer eventuellen Gegenposition dazu beschäftigen möchte. Meiner Ansicht nach kann eine Moral / Ethik nicht von allen Gegebenheiten (= dem Sein) abstrahieren, also das Sein einfach ignorieren.

Wenn das alles ist, was Harris oder jemand anderes in diesem Thread hier vertreten möchte ("moralischer Realismus in dem Sinn, dass alle moralischen Aussagen gleichwertig, ununterscheidbar sind, ist falsch" und "Wissenschaft kann einen Beitrag zu moralischen Fragen leisten, wiewohl Wissenschaft nicht objektiv richtige Normen festlegen und somit nicht feststellen kann, was in konkreten Fragen die richtige Handlung ist") dann interessiert mich das hier nicht weiter. Diese Aussagen halte ich für komplett unstrittig, ich frage mich dann nur, wieso Harris ein Buch über unstrittige Fragen schreibt.

Hat er aber AFAIK nicht, er behauptet in seinem Buch, ein Sollen könne aus dem Sein abgeleitet werden, er behauptet, es gäbe objektiv richtige moralische Aussagen und er behauptet, das einzige Ziel einer Ethik sei die Maximierung des Wohlbefindens aller bewussten Lebewesen.

Und all das halte ich nicht für richtig, ich unterschreibe völlig die oben verlinkte Kritik an Harris' Buch und die Antwort von Harris darauf halte ich für simples Ausweichen, ("was ist besser: eine Gesellschaft, in der jeder maximal leidet oder eine Gesellschaft, in der jeder maximal glücklich ist?" -> falsche Dichotomie, das hilft bei der Frage nach einer richtigen Ethik / Moral überhaupt nicht weiter).

Er sagt nicht, was 'Wohlbefinden aller bewussten Lebewesen' genau bedeuten soll, wie man daraus die Bewertung einzelner Handlungen ableiten kann, ob man nun die Summe des Wohlbefindens oder den Durchschnitt maximieren soll, ob man das Wohlbefinden Bestimmter (z.B. das eigene oder das Angehöriger) maximieren darf oder ob das unmoralisch ist etc. pp. und wie man all das wissenschaftlich objektiv herleiten kann. Aber das müsste er können, um seinen Standpunkt nachvollziehbar darstellen zu können. Es ist etwas billig von ihm, so zu argumentieren: "Burkha-Zwang und das Schlagen von Kindern ist falsch, das seht Ihr doch auch so, also habe ich recht". Und sein Vergleich mit dem Konzept 'Gesundheit', das er ebenso als unscharf und nicht eindeutig festlegbar wie 'Wohlbefinden' ansieht, hilft überhaupt nicht weiter. Man kann natürlich in beiden Konzepten gegenseitige Extreme miteinander vergleichen und die jeweils als besser oder schlechter (oder als gesünder und kränker) ansehen, aber das hilft nicht weiter, wenn man zu näher zusammenliegenden Sachverhalten kommt.

Was er nun aber sagt, ist, dass Wohlbefinden Einzelner angeblich ein objektiv feststellbares Faktum sei, unabhängig davon, ob der Einzelne das auch so sieht oder nicht und dass man dieses objektive Wohlbefinden irgendwie maximieren soll.

Was Paternalismus Tür und Tor öffnet, ("füge Dich, ist doch nur zu Deinem Besten, wissenschaftlich von ausgewiesenen Moral-Experten festgestellt, auch wenn Du das nicht einsiehst und wir müssen ja das Wohlbefinden aller maximieren, das ist das einzige Ziel aller Ethik").

Und überhaupt: wenn das einzige Ziel das Wohlbefinden aller bewussten Wesen ist und dieses Wohlbefinden neuronal messbar ist, dann folgte daraus, dass wir möglichst wirksame (= die neuronalen Wohlbefindenszustände maximierende) Glücksdrogen entwickeln sollten und allen bewussten Wesen diese einflößen sollten.

Nochmal zusammengefasst:

- aus dem Sein folgt mE kein Sollen, (was aber nicht! heißt, dass ein Sollen aus dem Nichts gefolgert werden könne, das Sein also keine Rolle bei der Frage nach dem Sollen spielen dürfe)

- moralischen Realismus halte ich für falsch - insofern, als es meiner Ansicht nach keine objektiv wahren / richtigen moralischen Aussagen gibt, (was aber nicht! heißt, dass ich alle moralischen Aussagen als gleichwertig ansehen müsste)

daraus folgt:

- Wissenschaft kann keine objektiv wahren moralischen Normen festlegen, (und dabei ist es völlig egal, ob Normen und Fakten im Gehirn gleich / ähnlich realisiert sind oder nicht)

Und, last but not least:

- ich halte es für ziemlich gefährlich, eine solche objektiv richtige, von Moral-Experten wissenschaftlich ermittelte Moral zu proklamieren und dann zu meinen, diese deswegen gegen alle Einwände durchsetzen zu dürfen, weil die ja objektiv richtig sei

- und ich wundere mich ziemlich, dass jemand, der seine sieben Zwetschgen noch zusammen hat, auf seine falsche Trichotomie hereinfallen kann (entweder haben wir eine religiöse Moral, die nicht begründet werden kann oder wir haben eine relativistische Moral, in der alles gleichwertig ist oder wir haben eine objektive Moral, die, wissenschaftlich begründet, eindeutige Wahrheit von Normen herstellen kann)

- und wenn jemand dann noch von einem 'Paradies auf Erden' fabuliert und alle, die das anders sehen, als Psychopathen ansieht und mit Kim Jong Il vergleicht, (siehe Link oben), und denen ein 'schmerzloses firmware update' spendieren will, (und das darf man deswegen, weil das einzig sinnvolle Ziel einer Ethik angeblich das 'Wohlbefindes aller' sein soll), dann hört bei mir jegliches Verständnis auf. Da kann ich nur noch sagen: der Typ hat mAn schlicht ein Rad ab.


bravo
Ich kam schon über die erste Minute des Vortrags nicht hinweg, wo er behauptete aus dem Sein könne man das Sollen folgern und dann, dass Normen ja auch sowas wie Fakten wären....whaaaat? Suspekt
_________________
Mit Fakten allein hat man nichts in der Hand, schon gar, warum manche sie nicht einsehen wollen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1698589) Verfasst am: 23.10.2011, 11:04    Titel: Re: Kann Wissenschaft moralische Fragen beantworten? Antworten mit Zitat

Landei hat folgendes geschrieben:
Sam Harris meint ja, und ich neige dazu, seiner Argumentation zuzustimmen: http://hpd.de/node/12134

Wer des Englischen mächtig ist, sollte unbedingt auch das verlinkte Video anschauen:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=Hj9oB4zpHww


Nun, ich denke, Erkenntnis und Moral sind zum einen ganz verschiedene Ebenen. Das eine beschäftigt sich mit der Suche nach Wahrheit und der Anwendung der besten Methoden dafür. Das andere beschäftigt sich mit befriedigendem Verhalten und rationalen Verhältnissen.

Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Sowohl eine wissenschaftliche Aussage als auch eine moralische Aussage taugen jeweils genau so viel wie die Qualität ihrer jeweiligen Begründung.

Aber: Die Arten der Begründungen sind andere. Während man eine wissenschaftliche Aussage mit entsprechenden Belegen empirischer und theoretischer Art unter Verwendung der besten Methoden und der Einbeziehung aller relevanten Umstände begründen muss (so dass sie nachkontrollierbar ist!), ist es für die Qualität einer moralischen Aussage erforderlich, sie mit dahinter stehenden Lebensbedürfnissen zu begründen.

Die Begründung einer wissenschaftlichen Aussage ist ein Beleg. Die Begründung für eine moralische Aussage ist ein Bedürfnis.

So darf ein wissenschaftlicher Satz nicht in Widerspruch stehen zu emprischen Befunden. Auch ein moralischer Satz darf nicht in Widerspruch stehen zu Bedürfnissen bewusst fühlender Lebewesen.

Es gibt auch noch andere Verkettungen dieser beiden Ebenen: Wie moralisch ist es, die besten (und nicht die zweitbesten oder gar überholten) Forschungsmethoden anzuwenden, um zu Aussagen mit einem wissenschaftlichen Anspruch zu kommen. Auch stellt sich die Frage, ob umgekehrt auch ein moralischer Satz die neuesten, best belegten Erkenntnisse berücksichtigen muss.

Ich denke, ja. Auch diese Anforderungen müssen erfüllt sein, so dass also die beiden Ebenen Wahrheit und Moral insgeheim doch verkettet sind.

Seinerzeit haben ja die Religionen sowohl Anspruch auf Wahrheit und Moral erhoben. Das ist passé. Aber Wahrheit und Moral sind nicht nur nicht passé, sondern ihre Zeit muss nun erst Recht kommen - und zwar auf einer natürlichen, rationalen, materialistischen und damit realen Grundlage.
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698600) Verfasst am: 23.10.2011, 11:27    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... er behauptet in seinem Buch, ein Sollen könne aus dem Sein abgeleitet werden, ...

Ich könnte mir vorstellen, Harris will sich vornehmlich von der theistischen Position abgrenzen, nach der ein aus dem Wollen abgeleitetes Sollen zu einer im päpstlichen Sinne relativistischen Moral führe und man eine göttliche, absolute Moral brauche. Daher möchte Harris zeigen, daß das Wollen, das unser Sollen bestimmt, selbst wiederum aus dem Sein - den Umständen und Eigenschaften - folgt.

Dabei begeht er aber mE den Fehler, daß er es sich bei der Nutzenfunktion viel zu einfach macht, wie Du auch zurecht kritisierst, siehe unten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... und ich wundere mich ziemlich, dass jemand ... auf seine falsche Trichotomie hereinfallen kann (entweder haben wir eine religiöse Moral, die nicht begründet werden kann oder wir haben eine relativistische Moral, in der alles gleichwertig ist oder wir haben eine objektive Moral, die, wissenschaftlich begründet, eindeutige Wahrheit von Normen herstellen kann)

Es ist aber auch schwierig, eine weitere Variante zu definieren, die sich nicht auf eine Kombination der genannten zurückführen läßt. Nehmen wir beispielsweise den relativ populären Ansatz, bewußte Wesen setzten ihre Ethik selbst, und zwar nicht aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern subjektiv aufgrund ihrer innerhalb ihrer Gruppe ausgehandelten Präferenzen. Eine solche Ethik hat in der Theorie starke unreflektierte und auch relativistische Elemente, tritt jedoch in der moralischen Praxis auf, als sei sie objektiv. Das führt - auch in der Praxis zu beobachten - zu vermehrten Forderungen nach Rationalisierung dieser Ethik, nach Zurückdrängung psychologischer Fehlschlüsse undsoweiter.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Was er nun aber sagt, ist, dass Wohlbefinden Einzelner angeblich ein objektiv feststellbares Faktum sei, unabhängig davon, ob der Einzelne das auch so sieht oder nicht und dass man dieses objektive Wohlbefinden irgendwie maximieren soll.

Obwohl ich auch der Ansicht bin, daß Wohlbefinden objektiv messbar ist, würde das allein in der Tat nicht helfen, denn man müßte bei einem solchen Ansatz konsequenterweise nicht nur die Nutzenfunktion bei gegebenen Präferenzen optimieren, sondern auch die Präferenzen selbst.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was Paternalismus Tür und Tor öffnet, ("füge Dich, ist doch nur zu Deinem Besten, wissenschaftlich von ausgewiesenen Moral-Experten festgestellt, auch wenn Du das nicht einsiehst und wir müssen ja das Wohlbefinden aller maximieren, das ist das einzige Ziel aller Ethik").

Hier möchte ich einwenden, daß dem Paternalismus in allen bisherigen Ethiken ebenfalls Tür und Tor geöffnet sind. Sprüche wie die von Dir genannten haben wir in leicht abgewandelter Weise in allen Weltreligionen, im Kommunismus, Faschismus und auch in westlichen parlamentarischen Demokratien, in den meisten Erziehungsmodellen, im Gesundheitssystem, undsoweiter.

Selbst Kant, sozusagen die Galionsfigur konservativer Aufklärung, argumentiert letztendlich paternalistisch, er meint (etwas vereinfacht dargestellt): wer hinreichend vernünftig sei, müsse letztlich "freiwillig" einsehen, daß die absolute ("göttliche") Moral die richtige sei.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und überhaupt: wenn das einzige Ziel das Wohlbefinden aller bewussten Wesen ist und dieses Wohlbefinden neuronal messbar ist, dann folgte daraus, dass wir möglichst wirksame (= die neuronalen Wohlbefindenszustände maximierende) Glücksdrogen entwickeln sollten und allen bewussten Wesen diese einflößen sollten.

Wenn Harris das wirklich meint, dann schießt er hier in der Tat viel zu kurz. Er müßte sich überlegen, wo wir als Gesellschaft zukünftig hinwollen, also auch welche Einschränkungen aktuellen Wohlbefindens wir inkaufnehmen, um wann welche Ziele zu erreichen. Da kann man schnell zeigen, daß Glücksdrogen mittelfristig eher kontraproduktiv sind. Außer wir finden, daß es das beste wäre, uns selbst schonend einzuschläfern.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
ich halte es für ziemlich gefährlich, eine solche objektiv richtige, von Moral-Experten wissenschaftlich ermittelte Moral zu proklamieren und dann zu meinen, diese deswegen gegen alle Einwände durchsetzen zu dürfen, weil die ja objektiv richtig sei

Ich würde sagen, es ist generell fragwürdig, eine Moral zu proklamieren und gegen alle Einwände durchzusetzen. Das ist nämlich Fundamentalismus.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1698605) Verfasst am: 23.10.2011, 11:56    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Ich würde sagen, es ist generell fragwürdig, eine Moral zu proklamieren und gegen alle Einwände durchzusetzen. Das ist nämlich Fundamentalismus.


Proklamieren ist in der Tat schlecht. Aber Moral gut (und nachvollziehbar/nachkontrollierbar/transparent) begründen, das ist gut. zwinkern

Im übrigen geht es ja in der Nach-Religions-Ära nicht nur um moralisches Verhalten, sondern auch um moralische Verhältnisse, welche wiederum zu moralischem Verhalten motivieren (und umgekehrt).
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Tom der Dino
registrierter User



Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1698620) Verfasst am: 23.10.2011, 13:37    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn ich Harris richtig verstanden habe, dann folgt seine Position direkt aus der Kausalität. In der Art, wie es hier schon im "Freier Wille und Quantenmechanik" Thread diskutiert wurde. Er schreibt es ja selbst in dem von L.E.N. zitiertem Teil, dass er die Naturgesetze als fundamental ansieht. Wenn das der Fall ist, und ich denke auch, dass es so ist, dann wird es eine oder einige wenige optimale Lösungen der Gesellschaftsorganisation geben. Diese sollten sich prinzipiell berechnen lassen. Damit hätte man eine "Moral" oder moralische Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis.
_________________
Am Anfang war ......das Experiment.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1698625) Verfasst am: 23.10.2011, 13:50    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Harris richtig verstanden habe, dann folgt seine Position direkt aus der Kausalität. In der Art, wie es hier schon im "Freier Wille und Quantenmechanik" Thread diskutiert wurde. Er schreibt es ja selbst in dem von L.E.N. zitiertem Teil, dass er die Naturgesetze als fundamental ansieht. Wenn das der Fall ist, und ich denke auch, dass es so ist, dann wird es eine oder einige wenige optimale Lösungen der Gesellschaftsorganisation geben. Diese sollten sich prinzipiell berechnen lassen. Damit hätte man eine "Moral" oder moralische Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis.


Die Unterscheidung zwischen fundamentalen und emergenten Gesetzen halte ich für überflüssig.

Jede Gesetzmäßigkeit ergibt sich aus der Struktur einer Sache.

Aus einer bottom-up-Gesetzmäßigkeit lässt sich aber eine übergeordnete Struktur nicht *berechnen*, wie es das alte Vorurteil des Technikers allerdings fantasiert. Der Grund ist der Aspekt der Entwicklung von Strukturen. Und diese ist einer Berechnung nicht zugänglich.
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1698631) Verfasst am: 23.10.2011, 14:42    Titel: Re: Kann Wissenschaft moralische Fragen beantworten? Antworten mit Zitat

Landei hat folgendes geschrieben:
Sam Harris meint ja, und ich neige dazu, seiner Argumentation zuzustimmen: http://hpd.de/node/12134


Sam Harris ist nahe dran. Ich bin weitgehend deckungsgleich mit seinen Ansichten, obwohl ich statt von Wohlbefinden von Bedürfnissen spreche, aber ebenfalls von fühlend-bewussten Lebewesen. Auch meint Harris nicht nur Verhalten, sondern auch Verhältnisse, er spricht von: "some people and cultures will be right".

Neben Dawkins ist Harris ein weiteres Licht der Aufklärung im doch recht dunklen anglo-amerikanischen Raum.

Landei hat folgendes geschrieben:
Wer des Englischen mächtig ist, sollte unbedingt auch das verlinkte Video anschauen:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=Hj9oB4zpHww


Yupp. Sehr anschaulich!
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
L.E.N.
im falschen Film



Anmeldungsdatum: 25.05.2004
Beiträge: 27745
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1698634) Verfasst am: 23.10.2011, 15:02    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Harris richtig verstanden habe, dann folgt seine Position direkt aus der Kausalität. In der Art, wie es hier schon im "Freier Wille und Quantenmechanik" Thread diskutiert wurde. Er schreibt es ja selbst in dem von L.E.N. zitiertem Teil, dass er die Naturgesetze als fundamental ansieht. Wenn das der Fall ist, und ich denke auch, dass es so ist, dann wird es eine oder einige wenige optimale Lösungen der Gesellschaftsorganisation geben. Diese sollten sich prinzipiell berechnen lassen. Damit hätte man eine "Moral" oder moralische Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis.


richtig. und einen wie auch immer gearteten fundamentalismus gibt es so auch nicht, denn wenn es keine einzig richtige, perfekte moral gibt, sondern viele optimale lösungen, dann gibt es auch kein singuläres sollen, welches unter allen umständen durchgesetzt werden muss.
_________________
Ich will Gott lästern dürfen! Weg mit §166 StGB!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden ICQ-Nummer
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698648) Verfasst am: 23.10.2011, 16:08    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Harris richtig verstanden habe, dann folgt seine Position direkt aus der Kausalität. In der Art, wie es hier schon im "Freier Wille und Quantenmechanik" Thread diskutiert wurde. Er schreibt es ja selbst in dem von L.E.N. zitiertem Teil, dass er die Naturgesetze als fundamental ansieht. Wenn das der Fall ist, und ich denke auch, dass es so ist, dann wird es eine oder einige wenige optimale Lösungen der Gesellschaftsorganisation geben. Diese sollten sich prinzipiell berechnen lassen. Damit hätte man eine "Moral" oder moralische Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis.

Ich verstehe ihn auch so. Das Problem ist jedoch, daß daraus erstmal nur folgen würde, daß ein Optimum der Moral von den gegebenen menschlichen Eigenschaften / Präferenzen / Interessen und einer gegebenen Nutzenfunktion abhängt. Damit ist aber noch keine Begründung der Moral gewonnen, es folgen nämlich nicht:

- die Nutzenfunktion, die zu optimieren ist
- die optimalen Eigenschaften / Präferenzen / Interessen eines zukünftigen Menschen

Wenn überhaupt, müßte man einen Ansatz ähnlich einer Differentialgleichung machen, oder ein Eigenwertproblem, in dem auch die Eigenschaften / Präferenzen / Interessen der Subjekte potenziell veränderlich und beeinflußbar sind:

n = Individuum, t= Zeit

EPI = Eigenschaften / Präferenzen / Interessen
N = Nutzenfunktion

Für welchen Satz EPI(n, t) kann man ein N(EPI) finden, so daß N(EPI) über n,t optimierbar und über EPI optimal ist?

Dazu kommt, daß es sein könnte, daß trotz strenger Kausalität die entsprechenden Funktionen nicht stetig / differenzierbar sind, oder gar noch schlimmer.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1698654) Verfasst am: 23.10.2011, 16:28    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Harris richtig verstanden habe, dann folgt seine Position direkt aus der Kausalität. In der Art, wie es hier schon im "Freier Wille und Quantenmechanik" Thread diskutiert wurde. Er schreibt es ja selbst in dem von L.E.N. zitiertem Teil, dass er die Naturgesetze als fundamental ansieht. Wenn das der Fall ist, und ich denke auch, dass es so ist, dann wird es eine oder einige wenige optimale Lösungen der Gesellschaftsorganisation geben. Diese sollten sich prinzipiell berechnen lassen. Damit hätte man eine "Moral" oder moralische Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis.

Ich verstehe ihn auch so. Das Problem ist jedoch, daß daraus erstmal nur folgen würde, daß ein Optimum der Moral von den gegebenen menschlichen Eigenschaften / Präferenzen / Interessen und einer gegebenen Nutzenfunktion abhängt. Damit ist aber noch keine Begründung der Moral gewonnen, es folgen nämlich nicht:

- die Nutzenfunktion, die zu optimieren ist
- die optimalen Eigenschaften / Präferenzen / Interessen eines zukünftigen Menschen

Wenn überhaupt, müßte man einen Ansatz ähnlich einer Differentialgleichung machen, oder ein Eigenwertproblem, in dem auch die Eigenschaften / Präferenzen / Interessen der Subjekte potenziell veränderlich und beeinflußbar sind:

n = Individuum, t= Zeit

EPI = Eigenschaften / Präferenzen / Interessen
N = Nutzenfunktion

Für welchen Satz EPI(n, t) kann man ein N(EPI) finden, so daß N(EPI) über n,t optimierbar und über EPI optimal ist?

Dazu kommt, daß es sein könnte, daß trotz strenger Kausalität die entsprechenden Funktionen nicht stetig / differenzierbar sind, oder gar noch schlimmer.


Ich glaube, Du spinnst. Berechnungswahn? Pillepalle
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Tom der Dino
registrierter User



Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1698661) Verfasst am: 23.10.2011, 17:06    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Harris richtig verstanden habe, dann folgt seine Position direkt aus der Kausalität. In der Art, wie es hier schon im "Freier Wille und Quantenmechanik" Thread diskutiert wurde. Er schreibt es ja selbst in dem von L.E.N. zitiertem Teil, dass er die Naturgesetze als fundamental ansieht. Wenn das der Fall ist, und ich denke auch, dass es so ist, dann wird es eine oder einige wenige optimale Lösungen der Gesellschaftsorganisation geben. Diese sollten sich prinzipiell berechnen lassen. Damit hätte man eine "Moral" oder moralische Empfehlung auf wissenschaftlicher Basis.

Ich verstehe ihn auch so. Das Problem ist jedoch, daß daraus erstmal nur folgen würde, daß ein Optimum der Moral von den gegebenen menschlichen Eigenschaften / Präferenzen / Interessen und einer gegebenen Nutzenfunktion abhängt. Damit ist aber noch keine Begründung der Moral gewonnen, es folgen nämlich nicht:

- die Nutzenfunktion, die zu optimieren ist
- die optimalen Eigenschaften / Präferenzen / Interessen eines zukünftigen Menschen


(fett von mir) Die Bewertung der individuellen EPI steht erstmal nicht zur Debatte. Durch die Informationsverfügbarkeit ist praktisch jede Präferenz und jede beliebige Synthese aller Präferenzen vorhanden. Ebenfalls zumindestens theoretisch vorhanden, sind alle möglichen Eigenschaften und Interessen. Letztere kann man eigentlich mit Präferenzen gleichsetzen.

Eine Evolutive Simulation der Gesellschaften, könnte eine Antwort auf die Frage nach der Stabilität bringen. Eine optimale Moral sollte ja nicht dazu führen, dass Gesellschaften untergehen. Dadurch sollten sich einige Eigenschaften die die optimale Moral nicht aufweisen sollte, schonmal ausschließen lassen.

Insofern hat man erstmal zwei Nutzenfunktionen. Die der Gesellschaft und die des Individuums. Die des Individuums komplett zu erfassen ist praktisch nicht möglich. Aber zumindest sollte man die der Gesellschaft erstmal eingrenzen können.

Ich denke, es bleiben nicht viele Möglichkeiten einer stabilen Gesellschaft (Moral) übrig. Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es dazu bzw. zu einigen Aspekten wie Aggressivität und Diplomatie, bereits Simulationen.
_________________
Am Anfang war ......das Experiment.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698665) Verfasst am: 23.10.2011, 17:28    Titel: Antworten mit Zitat

@Tom: ich denke, da liegst Du falsch. Die Bedeutung der EPI ist sogar sehr wichtig, denn die Präferenzen sind zum einen die Bestimmenden von Ethik, und zum anderen werden sie auch von ihr bestimmt, etwa durch Erziehung.

Auch Deine Axiome, z.B. Stabilität sei das Wichtigste und eine Gesellschaft dürfe nicht untergehen, sind nicht selbstverständlich. Dürfen wir uns durch etwas Besseres ersetzen? Und was ist "besser"?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tom der Dino
registrierter User



Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1698673) Verfasst am: 23.10.2011, 18:00    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
@Tom: ich denke, da liegst Du falsch. Die Bedeutung der EPI ist sogar sehr wichtig, denn die Präferenzen sind zum einen die Bestimmenden von Ethik, und zum anderen werden sie auch von ihr bestimmt, etwa durch Erziehung.

Auch Deine Axiome, z.B. Stabilität sei das Wichtigste und eine Gesellschaft dürfe nicht untergehen, sind nicht selbstverständlich. Dürfen wir uns durch etwas Besseres ersetzen? Und was ist "besser"?


Ich glaube, da hast du mich falsch verstanden. Eine optimale Gesellschaft kann nicht untergehen. Wenn sie es tut, ist sie nicht optimal, wenn sie durch etwas besseres ersetzt werden kann, ist sie nicht optimal. Auch ist die Stabilität nicht das wichtigste für mich, nur eine "relativ" einfach zu beobachtende Grundeigenschaft. Gesellschaften in denen Unterdrückung einer nennenswerten Menge an Individuen stattfindet, werden durch Revolutionen über kurz oder lang vernichtet.
Natürlich sind die EPI wichtig. Ich gehe aber davon aus, dass es nicht mehr möglich sein wird, von gesellschaftswegen, EPIs zu unterdrücken. Man wird sie vielleicht relativieren können und helfen können bestimmte EPIs unter Kontrolle des betroffenen Individuums zu halten bzw. bei z.B. schweren Vergehen auch oft gegen das Individuum und für die Gesellschaft entscheiden müssen.
Die Vorstellung der optimalen Moral bestimmt nunmal auch die Erziehung. Im Moment mag es so aussehen und das Gefühl hab ich tatsächlich, dass Egoismus einem persönlich mehr bringt, als Altruismus. Nur auf lange Sicht wird es zum Scheitern der Gesellschaft führen und damit werden auch für die Egoisten schwere Zeiten anbrechen. Gerade wenn man sich die heutigen Verhältnisse ansieht. Die Finanzkrise basiert hauptsächlich darauf, dass ein Weg gefunden wurde, Besitz in eine ungesunde Richtung zu verteilen. Das würde aus altruistischen Gründen gar nicht passieren können. Wer würde aus altruistischen Gründen gegen Staaten wetten, Wenn er sieht, wie es den Menschen aus Griechenland geht. Die Intensität des Egoismus in diesem Beispiel ist folglich Gesellschaftsschädlich. Wenn sich eine Gesellschaft altruistisch ausverkauft, ist das auch nicht förderlich, es wird also einen Mittelweg geben.

Ich denke aus solchen Überlegungen kann man Parameter abschätzen, die von einer optimalen Gesellschaft erfüllt werden müssen. Um daraus dann die tatsächliche vollständige Moral zu entwickeln, ist es natürlich vonnöten auf individuelle EPIs viel detailierter einzugehen.
_________________
Am Anfang war ......das Experiment.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Landei
Gesinnungspolizist



Anmeldungsdatum: 27.02.2011
Beiträge: 1180
Wohnort: Sandersdorf-Brehna

Beitrag(#1698701) Verfasst am: 23.10.2011, 19:10    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn ich Harris richtig verstanden habe, ist Ethik für ihn (und für mich) eine "Halbordnung": In manchen Fällen ist objektiv nicht zu klären, welche Alternative besser ist, aber in vielen Fällen (deren Existenz viele "Relativisten" nicht eingestehen wollen) eben doch.

Nehmen wir das "salomonische" Problem mit dem Kind und den zwei angeblichen Müttern. Wenn sich beide ungefähr gleich verhalten, kann nicht gesagt werden, dass die Entscheidung für eine besser als die für die andere ist. Was gesagt werden kann ist, dass die Entscheidung, das Kind in zwei Hälften zu zerteilen, mit Sicherheit schlechter ist als die beiden vorhergehenden. Und in Fällen, wo das nicht so klar ist wie hier, kann die Wissenschaft helfen, einen besseren Vergleich zwischen den Alternativen zu finden, so er denn möglich ist.
_________________
Der Islam gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Diese Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet. (Kemal Atatürk)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Weltanschauungen und Religionen Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Gehe zu Seite 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8  Weiter
Seite 1 von 8

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.



Impressum & Datenschutz


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group