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Modernes Strafrecht
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#1353195) Verfasst am: 01.09.2009, 19:38    Titel: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Antworten mit Zitat

neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Burkhardt setzt - zwar strunzbürgerlich, aber immerhin - eine moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für seine Verhaltenserwartungen. step nicht. Das ist der Unterschied.
Es ist hier einfach nicht das Thema, was konkret Inhalt der Verhaltenserwartungen (Moral) sein sollte, sondern ob und wie man, vorausgesetzt, man hat eine - nicht: eine beliebige - Moral, die Sanktionierung von Verstößen rechtfertigen kann. Darin Moralrelativismus zu sehen, ist ziemlich abenteuerlich.

Danke, @neinguar, auch für Deine anderen postings, Skeptikers Angriffe betreffend, Du triffst den Nagel auf den Kopf.

Und @Skeptiker: Wie kommst Du darauf, daß ich anders als Burkhardt, keine "moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für ... Verhaltenserwartungen" setze? Im Gegenteil schrieb ich doch schon mehrfach, gerade die in einer Gesellschaft geltende Moral setze die Verhaltenserwartungen.
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Skeptiker
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Anmeldungsdatum: 14.01.2005
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Beitrag(#1353216) Verfasst am: 01.09.2009, 20:12    Titel: Re: Die herrschende Moral = Die Moral der Herrschenden Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Burkhardt setzt - zwar strunzbürgerlich, aber immerhin - eine moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für seine Verhaltenserwartungen. step nicht. Das ist der Unterschied.
Es ist hier einfach nicht das Thema, was konkret Inhalt der Verhaltenserwartungen (Moral) sein sollte, sondern ob und wie man, vorausgesetzt, man hat eine - nicht: eine beliebige - Moral, die Sanktionierung von Verstößen rechtfertigen kann. Darin Moralrelativismus zu sehen, ist ziemlich abenteuerlich.

Danke, @neinguar, auch für Deine anderen postings, Skeptikers Angriffe betreffend, Du triffst den Nagel auf den Kopf.

Und @Skeptiker: Wie kommst Du darauf, daß ich anders als Burkhardt, keine "moralisch verfasste Gesellschaft als Voraussetzung für ... Verhaltenserwartungen" setze? Im Gegenteil schrieb ich doch schon mehrfach, gerade die in einer Gesellschaft geltende Moral setze die Verhaltenserwartungen.


Die in einer Gesellschaft herrschende (- nicht bloß "geltende" -) Moral ist immer die Moral der Herrschenden und somit noch lange keine Moral als solche - etwa aus der Sicht der Menschenrechte.

Da Du aber forderst, dass das Individuum sich an die gesellschaftliche "Moral" anpassen solle, legst Du damit eben gerade keinen moralischen, sondern - wie ich schon sagte - einen konformistischen Maßstab an. Das hast Du noch mal unterstrichen, indem Du betont hast, dass das, was hier und heute "Gut" und "Böse" heisst, in einer anderen Gesellschaft zu einer anderen Zeit keineswegs das gleiche "Gut" und "Böse" und trotzdem (!) Moral sei! (siehe oben, mein Zitat Deiner Aussagen!).

Es kann aber ja sein, dass nicht-konformes Verhalten gegenüber einer amoralischen Gesellschaft legitim ist. Deiner Ansicht nach, sollen dann trotzdem die Konformismus-Erzwinger kommen und die Querulanten richtig "determinieren", weil die ja - wie Du wörtlich schreibst - nicht erwartungsgemäß "funktionieren".

Da frage ich noch mal: wer zum Teufel hat das Recht dazu, menschliche Grundrechte auf diese Weise ggf. auszuhebeln? Und was hat eine unausgegorene, physikalistische These in der Justiz verloren?

Noch mal zu Burckhardt:

Burckhardt hat folgendes geschrieben:
Die im Strafrecht vorherrschende Meinung hat den Verzicht auf den Begriff der persönlichen Schuld, den einige Hirnforscher fordern, längst erklärt. Sie hat das persönliche Dafürkönnen (die individuelle Vorwerfbarkeit) durch ein Konzept ersetzt, das als „sozialer (sozialvergleichender, pragmatisch-sozialer, generalisierend-normativer) Schuldbegriff“ bezeichnet wird. Strafrechtliche Schuld bedeutet danach „keineswegs wirkliche Schuld“ (Stratenwerth/Kuhlen 2004, 6), und der strafrechtliche Schuldvorwurf ist dementsprechend kein individualethischer, sondern „nur ein sozialer Tadel wegen des Zurückbleibens hinter Verhaltensanforderungen, die der freiheitlich verfaßte und daher menschliche Freiheit anerkennende Staat an seine Bürger [...] stellen muß“ (...). Voraussetzung für einen solchen sozialen Tadel sei nicht individuelles Andershandelnkönnen, nicht persönliches Dafür-Können, sondern „nur die normale Motivierbarkeit durch soziale Normen“ (...).


Man könnte auch "Bevormundung für Leute, die nicht anders können" schreiben. Dass dies eine geringere Diskriminierung wäre, indem man Menschen mit dysfunktionalen Automaten gleichsetzt, um sie dann per Gehirnwäsche gleichzuschalten, das wage ich zu bezweifeln.

Und wie Burckhardt darauf kommt, dass dies das Kennzeichen eines "freiheitlich verfaßten und daher menschliche Freiheit anerkennenden Staates" sein soll, gehört wohl zu den Geheimnissen von Juristen, die sich heuer als "fortschrittlich" ausgeben, aber bei denen man den Verdacht nicht los wird, dass sie mit anderen, verschleiernden Begriffen und Paradigmen an der Fortsetzung einer dunklen deutschen Geschichte arbeiten ...-

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neinguar
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Anmeldungsdatum: 04.02.2008
Beiträge: 3088

Beitrag(#1353247) Verfasst am: 01.09.2009, 20:48    Titel: Antworten mit Zitat

@Skeptiker:

Es ist nicht zu fassen. Du ignorierst einfach, dass step den Begriff Moral deskriptiv verwendet hat und dass das in eine andere Kategorie gehört als das, was er selbst (oder Du oder ich) gut und richtig findet. Wenn Dir der Begriff "Moral" dafür nicht passt, verwende einen anderen ("Normen", "Verhaltensanforderungen"....), aber unterstelle einem anderen nicht die Verwendung, die Du für richtig hältst, wenn das ganz offensichtlich nicht seine Intention war.

Niemand hat gefordert, dass sich der Einzelne der jeweils herrschenden Moral unabhängig von ihrem Inhalt/ihrer Legitimität unterwerfen solle. Die Behauptung wird durch penetrante Wiederholung nicht wahrer.

Zur Legitimation von Sanktionen gehören 2 Ebenen:

- Ist die Norm/Verhaltensanforderung/Moral legitim? Wenn nicht, ist auch die Sanktionierung eines Verstoßes natürlich nicht legitim.

- Vorausgesetzt, die Norm ist legitim: Ist die Sanktion legitim?

Hier geht es nur um die zweite Ebene, konkret darum, welche Konsequenzen bestimmte Annahmen über Determiniertheit, Willensfreiheit u.ä. für die Beantwortung dieser Frage haben.

Punkt.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1353312) Verfasst am: 01.09.2009, 21:45    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was mich ein bisschen stört an dieser Diskussion: es wird so getan, als ob nur Strafen staatliche Übelzufügung wären und dass man, wenn man das Wort eliminierte, auch das Übel beseitigt hätte.
Letzteres stimmt für mich nicht, da es mir vor allem um konkrete Änderungen geht, z.B. Abschaffung von Freiheitsstrafen.
Hm, aber Du hältst doch Sicherungsverwahrung für legitim oder habe ich das jetzt falsch in Erinnerung?

Richtig, das halte ich für legitim, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, die Gesellschaft vor einem Wiederholungstäter zu schützen. Ich sehe aber nicht, wieso ich deshalb meinen würde, daß "nur Strafen staatliche Übelzufügung wären".

Wenn wir uns dabei einig sind und auch darin, dass beides der Legitimation bedarf, dann ist das ja erst mal gut, da wir dann dabei übereinstimmen.

Ich hatte bei meiner Aussage oben auch nicht speziell nur Dich im Sinne, sondern auch die Beiträge von PataPata, dessen Aussagen ich so verstanden habe, als ob sich selbstverständlich die Gesellschaft schützen dürfe und als ob in diesem Zusammenhang Legitimationen zur Einschränkung von Grundrechten gar nicht erforderlich seien. Hauptsache nur, man nennt es nicht "Strafe". Dann sei alles erlaubt, einfach so, und alles gebongt, wegen der Sicherheit und so. Aber so ist das nun mal nicht.

Eine Legitimation einer Gefängnisstrafe beruht in meiner Sicht durchaus (auch) darauf, dass ein verurteilter Täter nachgewiesenermaßen (im Prozess) seine Tat bewusst und absichtlich vollzogen hat und daher eine Strafe verdient hat, er ist moralisch verantwortlich für sein Handeln und hat daher eine persönliche Schuld dafür, weil es seine, vom ihm gewollte und deswegen durchgeführte Tat war.

Wäre es das nicht, hätte er überhaupt nichts (oder zu wenig) damit zu tun oder wäre er gezwungen worden, durch Umstände, die außerhalb seiner Kontrolle lagen, dann könnte er in meiner Sicht weder verantwortlich noch schuldig sein.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Sicherungsverwahrung ist eine Übelzufügung, die sich insofern von einer normalen Freiheitsstrafe unterscheidet, als dass der soziale Tadel fehlt.

Hmm ... man sagt zwar in dem Fall nicht "Du hast Dich unerwünscht verhalten", aber man sagt "Wir erwarten, daß Du Dich auch weiter unerwünscht verhalten wirst". In beiden Fällen tadelt man ja nicht die Tat, sondern die Person, wenn mn denn überhaupt tadeln will.

Aber nein. Man tadelt bei Letzterem nicht die Person, sondern man spricht ihr ihre Kontrollfähigkeit ab, man stuft sie zu einem reinen Objekt ab, über das man meint, verfügen zu können. Da gibt es keinen persönlichen Vorwurf.

Wenn man aber sagt: "Du hast Dich unerwünscht verhalten", dann ist das natürlich ein persönlicher Vorwurf.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und daraus folgt für mich, dass eine Sicherungsverwahrung problematischer ist als eine (normale) Freiheitsstrafe. Sie bedarf einer ausführlichen Legitimation.

Die Legitimation kann z.B. darin liegen, das gesamte Leiden zu verringern. Ich sage nicht, daß das im Einzelfall leicht ist. Wenn man aber eine normverletzende Tat eher als "Fehlfunkion" denn als "persönliche Schuld" ansieht, ist mglw. auch der Stigmatisierungseffekt geringer.

Eine Legitimation für eine Grundrechtseinschränkung kann mE nicht in einer Wahrscheinlichkeitsberechnung der Zukunft liegen. Zumindest nicht einer solchen Wahrscheinlichkeitsberechnung, die bei einer Sicherungsverwahrung angewendet wird (im Zweifel gegen den potentiellen Gefährder). Das wäre nur ein Primitivst-Utilitarismus, den ich ablehne, denn der legitimiert Eingriffe in Grundrechte, die mAn letztlich schädlich sind. (Was man auch als utilitaristische Argumentation ansehen kann - ich habe nichts generell gegen Utilitarismus, nur gegen bestimmte Ausprägungen.)

Und mit dem Ausdruck "Fehlfunktion" habe ich grundsätzliche Probleme. Ein Mensch ist keine Maschine, er hat daher gar keine "richtige" Funktion. Man kann Menschen nicht reparieren.

Na gut, das hört sich erst mal schwammig an, zugegeben, vielleicht können wir das später im Thread noch besser klären.

step hat folgendes geschrieben:
Übrigens ist die "normale Freiheitsstrafe" mE überhaupt nicht gut begründet, Du stehst hier also in einer ähnlichen Pflicht.

Ja, es ist richtig, dass jegliches Eingreifen staatlicher Organe in Grundrechte einer ausführlichen Legitimation bedarf. Wenn wir uns einig sind, dass auch die Legitimation von Sicherungsverwahrung nicht mit dem lapidaren Satz: "aber wir müssen uns doch schützen, is' nun mal so!" abgehandelt sein kann.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... da natürlich auch eine nichtstrafende Maßnahme als kontrapräferentiell empfunden werden kann, z.B. die Steuerlast oder die Schulpflicht.
Naja, das finde ich in dem Zusammenhang weniger gute Beispiele. ... gelten sie für alle gleichermaßen, sie sind keine lediglich ausnahmsweise persönlichen Übelzufügungen (und keine Grundrechtseinschränkungen). ...

Das scheint mir ein schwaches Argument. Weder die Steuerlast noch die Schulpflicht ist für alle gleich, ähnlich wie auch der Wehr-und Zivildienst.

Doch, die Steuerlast und auch die Schulpflicht ist für alle in vergleichbaren Situationen gleich (X, der genausoviel verdient wie ich, muss genausoviele Steuern bezahlen). Sollte sie zumindest sein.

Wehr- und Zivildienst ist ein neuer Aspekt. Stimmt, der ist nicht für alle gleich, jedoch in dieser Beziehung mAn nicht mit Steuern oder Schulpflicht zu vergleichen. Die Wehrgerechtigkeit ist nicht gegeben, was insofern ein Problem ist.

step hat folgendes geschrieben:
Zudem geht es, meine ich, eher um die Frage, ob und mit welcher Begründung die Gemeinschaft die Freiheit des Einzelnen einschränken und ihm sogar empfundenes Übel zufügen darf.

Ja, darum geht es, genau. Denn der Urzustand, der Naturzustand gewissermaßen ist es mAn, dass Grundrechte, grundlegende Freiheiten nicht eingeschränkt werden dürfen ohne dass es eine gute Begründung dafür gibt. Denn wäre dem nicht so, dann wäre es mir nicht einsichtig, wieso ich diese Gesellschaft überhaupt akzeptieren sollte.

step hat folgendes geschrieben:
Ist es ein hinreichender Grund, daß die Mehrheit meint, es sei zu aller Bestem? Oder muß es zu desjenigem Besten sein?

Weder noch. Eine Begründung, eine Legitimation muss unabhängig davon plausibel sein.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] Deswegen gibt es ja auch die Vereinigungstheorie in der Strafzwecktheorie. [...]

Mir scheint diese "Vereinigungstheorie" nur ein Nebelbegriff zu dem Zweck, die Vergeltung mit unterzubringen. Und mehrjährige Gefängnisstrafen lassen in keinster Weise erkennen, daß sie wesentlich auf Prävention beruhen. Dann auch noch zu behaupten, ohne Vergeltungsprinzip wären die Strafen noch drakonischer (so verstehe ich Dich), finde ich absurd.

Nein, wie gesagt, hat das Vergeltungsprinzip bzw. das Schuldkonzept mAn einen begrenzenden Charakter im Strafrecht. Es verhindert, (bzw. es sollte verhindern - im Falle der Sicherungsverwahrungen wird es ja nicht angewendet), dass "Unschuldigen" des reinen Zweckes wegen (der zukünftigen angenommenen Leidvermeidung wegen) ein Übel vom Staat zugefügt werden darf.

Die Frage, ob mehrjährige Gefängnisstrafen berechtigt sind, ist dabei eine andere Frage. Allerdings meine ich, dass sie es sind. Jedoch dürfen sie als einziges Übel nur den Freiheitsentzug beinhalten, nicht mehr. Jegliche Haft, in der der Inhaftierte zusätzlich sonstigen Übeln ausgesetzt ist, halte ich für unberechtigt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein Einwand hier wäre eher die Frage, wie man überhaupt zu dem Schluss kommen kann, ein sozialer Tadel richte sich nicht verurteilend gegen die Person. Das erscheint mir falsch, denn das ist nun mal das Wesen eines sozialen Tadels: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen Deine Handlung, die wir Dir zurechnen, tu das nicht mehr!". Denn nur wenn man der Person ihre Handlung hinreichend zurechnet, ist ein solcher sozialer Tadel mE überhaupt gerechtfertigt. Wenn die Person lediglich aufgrund äußerer Umstände gehandelt hat, (z.B.: sie wurde hypnotisiert, jemand hat ihr Gehirn kontrolliert, sie handelte aufgrund eines inneren Zwanges), dann würde ein solcher Tadel wohl gar nicht erst erwogen.

Naja, Du definierst "sozialen Tadel" jetzt extra so persönlich und schuldmäßig, daß er sich natürlich an die Person richtet. Mir ging es darum, den sozialen Tadel in der Form zu nutzen: "Du hast falsch gehandelt, wir missbilligen diese Fehlfunktion, wir erwarten von Dir, daß Du dabei mithilfst, daß das nicht mehr vorkommt." Auf diese Weise kann die Person sich gewissermaßen außer sich selbst stellen und "an sich arbeiten" oder auch Hilfe annehmen.

Ja, aber ich sehe jetzt den Unterschied nicht zu dem, was ich gesagt habe. Nur wenn eine Tat der Person persönlich zugerechnet wird (und nicht den determinierten Umständen - so sie außerhalb seiner Kontrolle lagen) ist doch ein solcher Tadel berechtigt. Ansonsten wäre die "Handlung" (in Anführungszeichen deswegen, weil ich das nicht mehr Handlung nennen würde) dann gleich zu bewerten wie ein Vulkanausbruch oder ein sonstiges Naturereignis, für das niemand was könnte.

Es geht doch immer in einem Strafverfahren (und auch in einem Zivilverfahren gegen jemanden) darum, festzustellen, ob jemand verantwortlich war für seine Handlung oder nicht, ob es eben seine Handlung war oder ein Ereignis außerhalb seiner Kontrolle. Falls Letzteres, dann wäre er ja nicht moralisch verantwortlich und könnte auch nicht schuldig sein. Und jemand, der unschuldig ist, kann auch nicht bestraft werden (das folgt aus dem Prinzip: keine Strafe ohne Schuld). Und ob er dennoch irgendwelchen freiheitseinschränkenden "Maßnahmen" unterworfen werden dürfte, ist doch auch erst mal fraglich und versteht sich keineswegs von selber.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... aber das Schuldkonzept ist auch wesentlich (zumindest im heutigen Zivilrecht) für eine Schadensersatzforderung. Ohne Verschulden kein Schadensersatz (mal generell gesagt, da gibt es jedoch einige Ausnahmen, siehe Gefährdungshaftung). Würdest Du dieses Prinzip ändern wollen? Wenn ja: inwiefern?

Das hatte ich oben schon angedeutet: "Schulden" hat für mich einen anderen Fokus als "Schuld". Schadensersatzforderungen kann man begründen, indem man allen Mitgliedern der Gemeinschaft einen virtuellen Vertrag unterstellt, der u.a. beinhaltet, für Schaden ökonomisch und nach Mitteln zu haften.

Nö, Dein Verweis auf "Schulden" hilft hier überhaupt nicht weiter, denn solche sind vertraglich im Vorneherein geregelt. Aber um solche Fälle geht es hier doch nicht. Die Frage ist hier, wann jemand überhaupt Schulden hat (und zwar abseits von konkreten Verträgen - solche Schulden, die zum Schadensersatz verpflichten) und wann nicht. Die momentane Rechtsprechung ist hier eindeutig: nur wer vorsätzlich oder fahrlässig jemandem einen Schaden zufügt, ist schadensersatzpflichtig. Das bedeutet aber nun mal, dass nur derjenige schadensersatzpflichtig ist, der schuldhaft einen Schaden zufügt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte Tit for Tat für ethisch unbedenklich in persönlichen Beziehungen, jedoch halte ich das Prinzip für eher problematisch in Legitimationen gesellschaftlichen Handelns.

Ich halte es auch in persönlichen Beziehungen für problematisch, außer evtl. bei eher "ökonomischen" Einmalkontakten mit anonymen Unbekannten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich würde niemals mein Kind zurückboxen, damit es "mal merkt, wie das so ist" und es sich fortan zweimal überlegt oder nur noch bei Schwächeren anwendet. Und das ist eine sehr pesönliche Beziehung. Aber das Beispiel wird Dir sicher wieder nicht gefallen ...

Natürlich gefällt mir das nicht. Ein Kind ist nicht verantwortlich für sein Handeln, ihm fehlt die mAn dafür notwendige Einsichtsfähigkeit. Tit-for-Tat ist mE nur eine legitime Strategie in einer persönlichen Beziehung zwischen Gleichen.

Eine kurze Anmerkung noch, weil das eh schon zu lang ist: ein sozialer Tadel richtet sich übrigens nicht nur an den Verurteilten und an seine Einsicht, sondern auch an die restliche Gesellschaft. Es ist ein Signal, dass Normverletzung X nicht geduldet wird und dass dem Opfer der Normverletzung X die Solidarität der Gesellschaft gezeigt wird.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 01.09.2009, 22:59, insgesamt einmal bearbeitet
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Skeptiker
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Beitrag(#1353369) Verfasst am: 01.09.2009, 22:33    Titel: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

neinguar hat folgendes geschrieben:
@Skeptiker:

Es ist nicht zu fassen. Du ignorierst einfach, dass step den Begriff Moral deskriptiv verwendet hat und dass das in eine andere Kategorie gehört als das, was er selbst (oder Du oder ich) gut und richtig findet. Wenn Dir der Begriff "Moral" dafür nicht passt, verwende einen anderen ("Normen", "Verhaltensanforderungen"....), aber unterstelle einem anderen nicht die Verwendung, die Du für richtig hältst, wenn das ganz offensichtlich nicht seine Intention war.


Noch einmal: Es ist ein Unterschied, ob man eine Abweichung von einem moralisch-menschenrechtlichen Maßstab oder eine Abweichung von gesellschaftlichen "Erwartungen" (- so ein Originalbegriff von step -) vorliegt.

Dazu kommt, dass hier die Qualität der Abweichung entscheidend ist. Ich kann doch nicht ein Schwerverbrechen (- etwa einem kaltblütigen Mord -) wie ein Kavaliersdelikt (- kleiner Diebstahl -) in einen Topf werfen.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Niemand hat gefordert, dass sich der Einzelne der jeweils herrschenden Moral unabhängig von ihrem Inhalt/ihrer Legitimität unterwerfen solle.


Es war immer die Rede von - ich zitiere:

step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."


Da lese ich nirgendwo die Forderung, dass jene gesellschaftliche Erwünschtheit auch legitim sein soll. Oder liest Du das irgendwo? Und da Gesellschaftennun mal sehr unterschiedlich verfasst sein können, lassen sich eine Menge Forderungen der Gesellschaft an die Individuen denken, welche alles andere als menschenrechtlich-moralisch sind.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Zur Legitimation von Sanktionen gehören 2 Ebenen:

- Ist die Norm/Verhaltensanforderung/Moral legitim? Wenn nicht, ist auch die Sanktionierung eines Verstoßes natürlich nicht legitim.


Wie gesagt, von Legitimität lese ich hier bislang nur bei Dir etwas. step hat dieses Wort noch nie in den Mund genommen.

Mir jedenfalls geht es darum wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft/Staat und Individuum/Bevölkerung aussieht. Wenn immer nur der Staat fordert, dann ist die Legitimität der Forderungen sowieso nicht gegeben. Vielmehr bedeutet Demokratie, dass die Menschen den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt.

Das heisst natürlich nicht, dass man nicht von Verbrechen sprechen könne. Nur sollte man diese mit einem universellen Maßstab bewerten und nicht mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Maßstäben.

neinguar hat folgendes geschrieben:
- Vorausgesetzt, die Norm ist legitim: Ist die Sanktion legitim?


Eine Norm als Norm muss immer hinterfragt werden, wenn sie vor allem dazu dient, "die Gesellschaft" über das Individuum zu stellen, so als sei das Individuum für die Gesellschaft da und nicht die Gesellschaft für das Individuum.

Deshalb muss auch darüber nachgedacht werden, wie man mit Verbrechern verfährt, die nicht nur gegen keine gesellschaftliche Norm verstoßen, sondern nur aufgrund einer gesellschaftlichen Doppelnorm legale Verbrechen mit dem Segen des Staates begehen zu können.

Ansonsten geht es darum, Verbrechen in all ihren Bestandteilen zu erklären, damit man sie beurteilen kann.

neinguar hat folgendes geschrieben:
Hier geht es nur um die zweite Ebene, konkret darum, welche Konsequenzen bestimmte Annahmen über Determiniertheit, Willensfreiheit u.ä. für die Beantwortung dieser Frage haben.


Das ist zu simpel. Man muss sich ja auch vor Augen halten, dass bestimmte Gesellschaftsverhältnisse auf systematische Weise dafür sorgen, dass legale Verbrechen systematisch produziert werden von seiten der Herrschenden selber.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Zufallsverbrechen, welche mehr oder weniger unkontrollierbar sind für die Obrigkeit. Diese reagiert verstärkt mit Ordnungs- und Kontrollwahn, während umgekehrt die Bevölkerung den Herrschenden bei ihren systematischen Verbrechen nicht das Handwerk legen kann.

Ich sehe die Ausführungen diverser Hirnforscher und Deterministen auch unter dem Blickwinkel, dass sich dort ein Kreis von konservativen Akademkern gesammelt hat, welche die staatliche Gewalt der Justiz dafür einsetzen wollen, Menschen in neuartige, geordnet Kategorien einzuteilen. Man muss diese Entwicklung beobachten. Aber es scheint mir eine "alternative" Form der sozialen Kontrolle zu sein.

Allein schon solche Ausdrucksweisen wie jemand "funktioniere" nicht o.ä. deutet auf Parallelen zu gewissen biologistischen Eigenschaftszuschreibungen hin, während man dagegen wichtige Bedingungen sozialer Faktoren außer Betracht lässt.

Aber denk halt selbst ...-

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Beitrag(#1353452) Verfasst am: 02.09.2009, 02:49    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Is' dann vielleicht nur eine Definitionssache.

Nö. zwinkern
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step
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Beitrag(#1353546) Verfasst am: 02.09.2009, 10:37    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."
Da lese ich nirgendwo die Forderung, dass jene gesellschaftliche Erwünschtheit auch legitim sein soll.

Weil es da nicht hingehört! Das kann doch nicht so schwer zu verstehen sein. In einem thread über das korrekte postalische Versenden von Geschenken würdest Du vermutlich auch ständig darauf herumhacken, daß das Geschenk aber in einem volkseigenen Betrieb herhestellt sein müsse.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir jedenfalls geht es darum wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft/Staat und Individuum/Bevölkerung aussieht. Wenn immer nur der Staat fordert, dann ist die Legitimität der Forderungen sowieso nicht gegeben. Vielmehr bedeutet Demokratie, dass die Menschen den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt.

Du kannst ja einen eigenen thread aufmachen zum Thema "Legitimität moralischer Inhalte" oder zum Thema "Verhältnis von Individuum und Gesellschaft", das sind bestimmt interessante Themen.

Das Strafrecht, sozialer Tadel usw. dagegen wirkt immer in die Richtung auf das Individuum.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich sehe die Ausführungen diverser Hirnforscher und Deterministen auch unter dem Blickwinkel, dass sich dort ein Kreis von konservativen Akademkern gesammelt hat, welche die staatliche Gewalt der Justiz dafür einsetzen wollen, Menschen in neuartige, geordnet Kategorien einzuteilen.

Lächerlich.
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Beitrag(#1353633) Verfasst am: 02.09.2009, 12:04    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Legitimation einer Gefängnisstrafe beruht in meiner Sicht durchaus (auch) darauf, dass ein verurteilter Täter nachgewiesenermaßen (im Prozess) seine Tat bewusst und absichtlich vollzogen hat und daher eine Strafe verdient hat, er ist moralisch verantwortlich für sein Handeln und hat daher eine persönliche Schuld dafür, weil es seine, vom ihm gewollte und deswegen durchgeführte Tat war.

Dieses "und daher eine Strafe verdient hat" leuchtet mir nicht ein, selbst wenn die Tat präferent ("absichtlich") begangen wurde .

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Sicherungsverwahrung ist eine Übelzufügung, die sich insofern von einer normalen Freiheitsstrafe unterscheidet, als dass der soziale Tadel fehlt.
Hmm ... man sagt zwar in dem Fall nicht "Du hast Dich unerwünscht verhalten", aber man sagt "Wir erwarten, daß Du Dich auch weiter unerwünscht verhalten wirst". In beiden Fällen tadelt man ja nicht die Tat, sondern die Person, wenn mn denn überhaupt tadeln will.
Aber nein. Man tadelt bei Letzterem nicht die Person, sondern man spricht ihr ihre Kontrollfähigkeit ab, man stuft sie zu einem reinen Objekt ab, über das man meint, verfügen zu können. Da gibt es keinen persönlichen Vorwurf.

Das sehe ich anders. Die Person wird ja nicht als komplett kontrollunfähig eingestuft (und daher auch nicht zum "reinen Objekt herabgestuft"), sondern man appelliert an andere Teile, Instanzen, Präferenzen dieser Person, von denen man meint, daß sie kontrollfähig sind oder zumindest dazu beitragen können.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Legitimation für eine Grundrechtseinschränkung kann mE nicht in einer Wahrscheinlichkeitsberechnung der Zukunft liegen.

Grundrechte werden aber andauernd aufgrund von Zukunftssimulationen präventiv eingeschränkt, z.B. bei Notwehr, beim Wehrdienst, bei Abschiebungen, bei Suizidgefährdeten oder beim Verbot verfassungsfeindlicher Parteien und der Überwachung von Islamisten. Zudem kann ich Deine prinzipiellen Bedenken nicht teilen, solange die Verhältnismäßigkeit zwischen Gefahr und Maßnahme gewahrt bleibt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zumindest nicht einer solchen Wahrscheinlichkeitsberechnung, die bei einer Sicherungsverwahrung angewendet wird (im Zweifel gegen den potentiellen Gefährder).

Jetzt muß ich aber doch fragen, wie denn Du der Gefahr einer (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit prognostizierten) Wiederholungstat etwa bei einem Kindervergewaltiger begegnen willst. Warten, bis die Zukunft Vergangenheit wird?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und mit dem Ausdruck "Fehlfunktion" habe ich grundsätzliche Probleme. Ein Mensch ist keine Maschine, er hat daher gar keine "richtige" Funktion. Man kann Menschen nicht reparieren.

Der Ausdruck ist zugegeben etwas funktionalistisch, und manche empfinden das bereits als Verletzung ihrer "Wesenswürde". Aber der Ausdruck hat auch seine Vorteile, denn er weist keine metaphysische Schuld zu und läßt die "Reparaturmaßnahmen" als etwas erscheinen, bei dem man sein Gesicht (und damit seine zugewiesene Würde) nicht verliert, ähnlich wie eine Operation oder Psychotherapie.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, es ist richtig, dass jegliches Eingreifen staatlicher Organe in Grundrechte einer ausführlichen Legitimation bedarf. Wenn wir uns einig sind, dass auch die Legitimation von Sicherungsverwahrung nicht mit dem lapidaren Satz: "aber wir müssen uns doch schützen, is' nun mal so!" abgehandelt sein kann.

Da sind wir uns einig, ich hatte ja bereits z.B. auf die Verhältnismäßigkeit hingewiesen. Es ist vielleicht auch ein Mißverständnis: Ich will nicht mehr Sicherungsverwahrung, sondern höchstens mehr Spezialprävention, und vor allem weniger (vergeltende und abschreckende) Bestrafung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Doch, die Steuerlast und auch die Schulpflicht ist für alle in vergleichbaren Situationen gleich (X, der genausoviel verdient wie ich, muss genausoviele Steuern bezahlen). Sollte sie zumindest sein.

Wenn Du jetzt auf "vergleichbare Situationen" einschränkst, gilt Dein ursprüngliches Argument nicht mehr, denn auch präventive Maßnahmen könnten (und müßten) sich an vergleichbaren Situationen (Vorgeschichte, Persönlichkeitsprofil ...) orientieren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zudem geht es, meine ich, eher um die Frage, ob und mit welcher Begründung die Gemeinschaft die Freiheit des Einzelnen einschränken und ihm sogar empfundenes Übel zufügen darf.
Ja, darum geht es, genau. Denn der Urzustand, der Naturzustand gewissermaßen ist es mAn, dass Grundrechte, grundlegende Freiheiten nicht eingeschränkt werden dürfen ohne dass es eine gute Begründung dafür gibt. Denn wäre dem nicht so, dann wäre es mir nicht einsichtig, wieso ich diese Gesellschaft überhaupt akzeptieren sollte.

Naja, ob das der Urzustand ist, möchte ich mal bezweifeln, meinst Du vielleicht eher den Idealzustand? ANsonsten aber OK.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ist es ein hinreichender Grund, daß die Mehrheit meint, es sei zu aller Bestem? Oder muß es zu desjenigem Besten sein?
Weder noch. Eine Begründung, eine Legitimation muss unabhängig davon plausibel sein.

Das wird aber sehr schwierig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Frage, ob mehrjährige Gefängnisstrafen berechtigt sind, ist dabei eine andere Frage.

Gerade heute in der Zeitung: Amerikaner, der 16 Möchtegernmodels sexuell mißbraucht hat, zu 59 Jahren Haft veruteilt. Was bringt das??

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Allerdings meine ich, dass sie es sind. Jedoch dürfen sie als einziges Übel nur den Freiheitsentzug beinhalten, nicht mehr. Jegliche Haft, in der der Inhaftierte zusätzlich sonstigen Übeln ausgesetzt ist, halte ich für unberechtigt.

Abgesehen mal davon, daß dies in unseren Gefängnissen nicht der Fall ist: Wieso ist gerade der Freiheitsentzug als solcher legitim? Also wieso darf der Knacki 59 Jahre lang um 22:00 eingeschlossen werden? Wenn nicht zur Vergeltung?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Schulden" hat für mich einen anderen Fokus als "Schuld". Schadensersatzforderungen kann man begründen, indem man allen Mitgliedern der Gemeinschaft einen virtuellen Vertrag unterstellt, der u.a. beinhaltet, für Schaden ökonomisch und nach Mitteln zu haften.
Nö, Dein Verweis auf "Schulden" hilft hier überhaupt nicht weiter, denn solche sind vertraglich im Vorneherein geregelt. Aber um solche Fälle geht es hier doch nicht. Die Frage ist hier, wann jemand überhaupt Schulden hat (und zwar abseits von konkreten Verträgen - solche Schulden, die zum Schadensersatz verpflichten) und wann nicht. Die momentane Rechtsprechung ist hier eindeutig: nur wer vorsätzlich oder fahrlässig jemandem einen Schaden zufügt, ist schadensersatzpflichtig. Das bedeutet aber nun mal, dass nur derjenige schadensersatzpflichtig ist, der schuldhaft einen Schaden zufügt.

Das widerspricht meinem Argument aber nicht unbedingt, denn hier wird "Schuld" auf die Verursachung des Schadens bezogen und damit die Haftung begründet. Man könnte vielleicht "deterministisch" noch sauberer begründen: Der Schaden sollte von der Gesellschaft getragen werden, die sich aber das Budget dafür von ihrem virtuellen Vertragspartner (nach Mitteln) zurückholen kann.

Du könntest natürlich einwenden: Warum vom Täter und nicht von allen Steuerzahlern, wäre doch viel konsequenter? Ich denke, daß hängt davon ab, wie wir unseren Gesellschaftsvertrag gestalten. Ich persönlich fände hier eine individuelle Schadenswiedergutmachung angemessen, da persönliche Vertrgstreue bei uns eine moralische Norm darstellt.

Aber vor allem soll der Schadensersatz ja den Schaden ersetzen, das scheint mir das Wichtigste. Es ist also nicht einzusehen, warum jemand, der den Schaden nicht ersetzen kann, "ersatzweise" in den Knast sollte.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich halte Tit for Tat für ethisch unbedenklich in persönlichen Beziehungen, jedoch halte ich das Prinzip für eher problematisch in Legitimationen gesellschaftlichen Handelns.
Ich halte es auch in persönlichen Beziehungen für problematisch, außer evtl. bei eher "ökonomischen" Einmalkontakten mit anonymen Unbekannten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Ich würde niemals mein Kind zurückboxen, damit es "mal merkt, wie das so ist" und es sich fortan zweimal überlegt oder nur noch bei Schwächeren anwendet. Und das ist eine sehr pesönliche Beziehung. Aber das Beispiel wird Dir sicher wieder nicht gefallen ...
Natürlich gefällt mir das nicht. Ein Kind ist nicht verantwortlich für sein Handeln, ihm fehlt die mAn dafür notwendige Einsichtsfähigkeit.

Hmm ... ich finde es hat graduell immer mehr Einsichtsfähigkeit.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tit-for-Tat ist mE nur eine legitime Strategie in einer persönlichen Beziehung zwischen Gleichen.

Auch da sehe ich das anders. Erstens kommst Du in den Wald, denn was ist schon "gleich"? Zweitens hätte ich auch da ein Gegenbeispiel: A schlägt B's Hund, weil der ihn geärgert hat. Soll B jetzt auch A's Hund schlagen? Oder nur, wenn ihn A's Hund ärgert? Oder?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine kurze Anmerkung noch, weil das eh schon zu lang ist: ein sozialer Tadel richtet sich übrigens nicht nur an den Verurteilten und an seine Einsicht, sondern auch an die restliche Gesellschaft. Es ist ein Signal, dass Normverletzung X nicht geduldet wird und dass dem Opfer der Normverletzung X die Solidarität der Gesellschaft gezeigt wird.

Ja, das wäre in meinem Modell ebenso.
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Zuletzt bearbeitet von step am 02.09.2009, 20:06, insgesamt einmal bearbeitet
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Beitrag(#1353660) Verfasst am: 02.09.2009, 13:06    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."
Da lese ich nirgendwo die Forderung, dass jene gesellschaftliche Erwünschtheit auch legitim sein soll.

Weil es da nicht hingehört! Das kann doch nicht so schwer zu verstehen sein. In einem thread über das korrekte postalische Versenden von Geschenken würdest Du vermutlich auch ständig darauf herumhacken, daß das Geschenk aber in einem volkseigenen Betrieb herhestellt sein müsse.


Was hat das Versenden von Geschenken mit strafbaren Handlungen zu tun?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir jedenfalls geht es darum wie das Verhältnis zwischen Gesellschaft/Staat und Individuum/Bevölkerung aussieht. Wenn immer nur der Staat fordert, dann ist die Legitimität der Forderungen sowieso nicht gegeben. Vielmehr bedeutet Demokratie, dass die Menschen den Staat kontrollieren und nicht umgekehrt.

Du kannst ja einen eigenen thread aufmachen zum Thema "Legitimität moralischer Inhalte" oder zum Thema "Verhältnis von Individuum und Gesellschaft", das sind bestimmt interessante Themen.


Das gehört hierzu. Wer stellt welche Erwartungen an wen und warum?

(und wer darf keine Erwartungen an die Erwartungssteller stellen und warum nicht?)

step hat folgendes geschrieben:
Das Strafrecht, sozialer Tadel usw. dagegen wirkt immer in die Richtung auf das Individuum.


Und was ist mit kriminellen Organisationen, die systematisch Verbrechen produzieren? Reicht es da aus, nur gegen einzelne Personen vorzugehen?

Wer von Prävention redet, der muss doch auch die Bedingungen betrachten, die zu Verbrechen führen, übrigens auch die sozialen Bedingungen.

Aber Du siehst nur isolierte Einheiten, die "funktionieren" oder nicht. Du internalisierst dann die "Abweichung" vom "sozial Erwünschten" in die jeweiligen "Funktionseinheiten". (Menschen braucht man die ja nicht mehr zu nennen.) Dabei sind Dir Wechselbeziehungen, Lebensbedingungen, Sozialisation egal.

Des weiteren machst Du Dir überhaupt keinen Kopf darüber, dass "Abweichungen" legitim sein können.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Ich sehe die Ausführungen diverser Hirnforscher und Deterministen auch unter dem Blickwinkel, dass sich dort ein Kreis von konservativen Akademkern gesammelt hat, welche die staatliche Gewalt der Justiz dafür einsetzen wollen, Menschen in neuartige, geordnet Kategorien einzuteilen.

Lächerlich.


Schön wär's. ich bin da nicht so sicher, wenn ich mir Deine Kronzeugen so angucke ...-

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Beitrag(#1353665) Verfasst am: 02.09.2009, 13:11    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wer von Prävention redet, der muss doch auch die Bedingungen betrachten, die zu Verbrechen führen, übrigens auch die sozialen Bedingungen.


Aber Du siehst nur isolierte Einheiten, die "funktionieren" oder nicht. Du internalisierst dann die "Abweichung" vom "sozial Erwünschten" in die jeweiligen "Funktionseinheiten". (Menschen braucht man die ja nicht mehr zu nennen.) Dabei sind Dir Wechselbeziehungen, Lebensbedingungen, Sozialisation egal. [/quote]
So ein Unsinn. Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?
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Beitrag(#1353670) Verfasst am: 02.09.2009, 13:18    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wer von Prävention redet, der muss doch auch die Bedingungen betrachten, die zu Verbrechen führen, übrigens auch die sozialen Bedingungen.
Aber Du siehst nur isolierte Einheiten, die "funktionieren" oder nicht. Du internalisierst dann die "Abweichung" vom "sozial Erwünschten" in die jeweiligen "Funktionseinheiten". (Menschen braucht man die ja nicht mehr zu nennen.) Dabei sind Dir Wechselbeziehungen, Lebensbedingungen, Sozialisation egal.

So ein Unsinn. Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?


Dann ergibt der Begriff "Funktionieren" keinen Sinn. Denn dieser Begriff hat ausschließlich nur mit dem Individuum zu tun, dem ein internalisierter Defekt zugeschrieben wird.

Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

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Beitrag(#1353674) Verfasst am: 02.09.2009, 13:24    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?
Dann ergibt der Begriff "Funktionieren" keinen Sinn. Denn dieser Begriff hat ausschließlich nur mit dem Individuum zu tun, dem ein internalisierter Defekt zugeschrieben wird. Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Auch das kann externe Ursachen haben, etwa wenn der [strike]Besitzer[/strike] Nutzer des Autos aufgrund sozialistischer Mißwirtschaft nicht an hochwertigen Kraftstoff herankam.

Und in diesem thread hatte ich "interne" Ursachen konzentriert, weil es um Strafrecht geht (die Strafe kommt immer beim Individuum an) und weil Burkhardt ein Konzept persönlicher Schuld vorgab.
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Beitrag(#1353716) Verfasst am: 02.09.2009, 14:57    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Dieser Satz zeigt das Kommunikationsproblem hier m.E. ganz gut.

Du liest etwas und beurteilst es auf der Basis von "das hört sich an wie", d.h. auf der Basis von Assoziationen, die Du mit bestimmten Begriffen verbindest ("Moral", "funktionieren"....), ohne dass diese Begriffe das zwingend beinhalten, und stemmst Dich tapfer dagegen, Deine Interpretation anhand des Kontextes, in dem die Begriffe gefallen sind, zu überprüfen.
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Beitrag(#1353792) Verfasst am: 02.09.2009, 17:11    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wer vertritt denn hier das Primat der deterministischen Umstände anstelle eines persönlichen Schuldkonzepts?
Dann ergibt der Begriff "Funktionieren" keinen Sinn. Denn dieser Begriff hat ausschließlich nur mit dem Individuum zu tun, dem ein internalisierter Defekt zugeschrieben wird. Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Auch das kann externe Ursachen haben, etwa wenn der [strike]Besitzer[/strike] Nutzer des Autos aufgrund sozialistischer Mißwirtschaft nicht an hochwertigen Kraftstoff herankam.


Ich wies oben darauf hin, dass Du Teil eines ultrakonservativen und antisozialistischen Philosophen-Konsortiums bist und Du bestätigst es mit solchen "wirtschaftpolitischen" Fantasien.

Selbst, wenn das ein Witz sein sollte, so zeigt er den Mangel an Fantasie bei Dir. Wenn wir schon mal bei Mangelwirtschaft sind.

step hat folgendes geschrieben:
Und in diesem thread hatte ich "interne" Ursachen konzentriert, weil es um Strafrecht geht (die Strafe kommt immer beim Individuum an) und weil Burkhardt ein Konzept persönlicher Schuld vorgab.


Da Du statt von Strafe lieber von "Prävention" (- im Sinne des Schutzes der Gesellschaft vor dem Individuum -) sprichst, habe ich das aufgegriffen und gefragt, wieso Du nicht - was ja stringent wäre! - auch dafür eintrittst, dass man z.B. gesetzes- oder "erwartungs"-konforme Verbrechen präventiert.

Ist der Grund für Dein Ignorieren dieser Frage einfaches Unverständnis oder Parteinahme für doppelte Norm-Standards? Oder denkst Du, dass bestimmte Maßnahmen der Mächtigen per definitionem keine Verbrechen sein können, sofern sie den Regeln entsprechen, welche diese Mächtigen selber entwerfen oder selber in ihrem Sinne auslegen oder sonstwie zur Wirkungslosigkeit bringen?

Es geht hier nicht um Straßenverkehrsregeln, sondern um "Erwartungen" bestimmter gesellschaftlicher Gruppen gegen andere gesellschaftliche Gruppen.

Was die Internalisierung der "Fehlfunktion" angeht, da hast Du sogar geschrieben:

step hat folgendes geschrieben:
"Nein, damit kann er sich nicht herausreden. Er kann nicht leugnen, daß sein Gehirn von der sozial erwünschten Funktionsweise (aka "Moral") abgewichen ist."


Also so ein Satz zeigt, dass Deine Ersetzung des Schuldbegriffs zu noch viel reaktionäreren Folgen führt als es der bisherige, klassische Schuldbegriff überhaupt vermag. Du schließt damit explizit soziale Verhältnisse aus Deiner Betrachtung aus und errichtest eine 1:1-Parallele zu biologistischen Diskriminierungs-Konzepten.

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Beitrag(#1353794) Verfasst am: 02.09.2009, 17:14    Titel: Re: moralisch entkernter Konformismus Antworten mit Zitat

neinguar hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das hört sich an wie "Der Vergaser meines Autos ist kaputt."

Dieser Satz zeigt das Kommunikationsproblem hier m.E. ganz gut.

Du liest etwas und beurteilst es auf der Basis von "das hört sich an wie", d.h. auf der Basis von Assoziationen, die Du mit bestimmten Begriffen verbindest ("Moral", "funktionieren"....), ohne dass diese Begriffe das zwingend beinhalten, und stemmst Dich tapfer dagegen, Deine Interpretation anhand des Kontextes, in dem die Begriffe gefallen sind, zu überprüfen.


Das ist eine Fehleinschätzung.

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Beitrag(#1353829) Verfasst am: 02.09.2009, 18:54    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Legitimation einer Gefängnisstrafe beruht in meiner Sicht durchaus (auch) darauf, dass ein verurteilter Täter nachgewiesenermaßen (im Prozess) seine Tat bewusst und absichtlich vollzogen hat und daher eine Strafe verdient hat, er ist moralisch verantwortlich für sein Handeln und hat daher eine persönliche Schuld dafür, weil es seine, vom ihm gewollte und deswegen durchgeführte Tat war.

Dieses "und daher eine Strafe verdient hat" leuchtet mir nicht ein, selbst wenn die Tat präferent ("absichtlich") begangen wurde .

Ja, natürlich leuchtet Dir das nicht ein, denn genau das ist ja wohl der Knackpunkt in unseren Ansichten.

Im Strafrecht (und auch im Zivilrecht) wird unterschieden zwischen absichtlichen und gewollten Handlungen und unabsichtlichen / außerhalb der persönlichen Kontrolle liegenden Handlungen. Erstere werden als schuldhaft angesehen, zweitere nicht.

Verzichtete man ganz auf diesen Schuldbegriff, dann würde man zu einem reinen Präventivstrafrecht überwechseln, mit all den Problemen, die das mAn mit sich bringt. Mehr dazu unten.

Aber Du verzichtest ja gar nicht darauf, was man an Deiner Einstellung zur Schadensersatzverpflichtung sehen kann. Deine Einwände dazu treffen den eigentlichen Punkt bisher gar nicht: wann genau kann / soll jemand zum Schadensersatz verpflichtet werden? Wenn jemand lediglich die "Ursache" für einen Schaden ist, egal, ob der Schaden absichtlich oder ohne eigenes Zutun entstand? Nehmen wir mal ein Beispiel dazu: A möchte C verletzen. Er schubst daher B, so dass dieser auf C fällt und Letzterer einen Schaden erleidet. Die Ursache für den Schaden von C ist nun B, der aber nichts dafür kann (unschuldig ist), der deswegen heute nicht belangt werden dürfte, weder zivil- noch strafrechtlich. A würde belangt werden, obgleich er nur die indirekte Ursache des Schadens wäre und nicht die direkte Ursache.

Kommen wir mal zu einem anderen Punkt: mAn werden bei Maßnahmen zur Sicherung und Besserung die dort Behandelten letztlich sehr wohl als Unmündige / als Objekte behandelt (er kann - wahrscheinlich - halt nicht anders und daher setzen wir ihn zur Sicherheit fest). Ich sage ja gar nicht, dass das prinzipiell unzulässig sei, es mag tatsächlich in bestimmten Fällen keine Alternative dazu geben. Aber stören tut es mich dennoch, ich meine, die heutigen Bestimmungen dazu müssten nochmal sorgfältig überprüft und auch geändert werden (im Zweifel für die Freiheit und nicht im Zweifel für die Sicherheit). Und eine Übertragung dieses Prinzipes auf alle, so wie es letztlich ein Präventivstrafrecht vorsehen würde, lehne ich ab.

Denn Präventivstrafrecht bedeutet mAn:

- Einschränkungen von Grundrechten auf einen bloßen Verdacht hin
- Die Einschränkungen sind von einer konkreten Tat unabhängig und beziehen sich nur auf eine angenommene Gefährdung
- Alle die folgenden Prinzipien wären hinfällig (die jedoch mAn ganz wesentlich für einen Rechtsstaat sind):
-- Keine Strafe ohne Schuld
-- Keine Strafe ohne Gesetz
-- Unschuldsvermutung
-- Im Zweifel für den Angeklagten
-- Gleichheit vor dem Gesetz
-- Doppelbestrafungsverbot
-- Rückwirkungsverbot
-- Willkürverbot
-- Vertrauensschutz

Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.

P.S.: ich habe das mal etwas abgekürzt, der Übersicht halber. Falls Deiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt von oben fehlt / offen ist, dann musst Du den halt nochmal aufs Tapet bringen.
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step
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Beitrag(#1353923) Verfasst am: 02.09.2009, 20:55    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
wann genau kann / soll jemand zum Schadensersatz verpflichtet werden? Wenn jemand lediglich die "Ursache" für einen Schaden ist, egal, ob der Schaden absichtlich oder ohne eigenes Zutun entstand? Nehmen wir mal ein Beispiel dazu: A möchte C verletzen. Er schubst daher B, so dass dieser auf C fällt und Letzterer einen Schaden erleidet. Die Ursache für den Schaden von C ist nun B, der aber nichts dafür kann (unschuldig ist), der deswegen heute nicht belangt werden dürfte, weder zivil- noch strafrechtlich. A würde belangt werden, obgleich er nur die indirekte Ursache des Schadens wäre und nicht die direkte Ursache.

OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag:

1. Der Schaden, sofern überhaupt ersetzbar, wird grundsätzlich von der Gemeinschaft getragen, z.B. in Form einer Versicherung.

2. Zusätzlich wird untersucht, welcher der Beteiligten sich in Zukunft in ähnlichen Situationen anders verhalten soll. In Deinem Fall wird das sicher A, evtl. C, und sicher nicht B sein.

3. Je nach Erfolgswahrscheinlichkeit und Verhältnismäßigkeit wird mit diesen Personen präventiv gearbeitet.

4. Ein Aspekt, um Vertrauen wiederherzustellen, kann sein, daß A sich an den Gemeinskosten für Schadensersatz und Prävention beteiligt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Kommen wir mal zu einem anderen Punkt: mAn werden bei Maßnahmen zur Sicherung und Besserung die dort Behandelten letztlich sehr wohl als Unmündige / als Objekte behandelt (er kann - wahrscheinlich - halt nicht anders und daher setzen wir ihn zur Sicherheit fest)

Wenn ich jemand zur vergeltenden oder gar zur abschreckenden Strafe 59 Jahre einsperre, mache ich ihn damit mindestens genauso zum Objekt. Ein bißchen Abgabe von Mündigkeit (= Verantwortung) muß sein, wenn man überhaupt Prävention will. Demjenigen können dennoch viele Rechte bleiben, die ihm als Schuldgestempeltem und im Knast aber aberkannt werden.

Im übrigen wären ja nur sehr wenige Extremgefährliche in meinem Modell wirklich weggesperrt, viel weniger als jetzt zur Vergeltung und Abschreckung im Knast sitzen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich sage ja gar nicht, dass das prinzipiell unzulässig sei, es mag tatsächlich in bestimmten Fällen keine Alternative dazu geben. Aber stören tut es mich dennoch, ich meine, die heutigen Bestimmungen dazu müssten nochmal sorgfältig überprüft und auch geändert werden (im Zweifel für die Freiheit und nicht im Zweifel für die Sicherheit). Und eine Übertragung dieses Prinzipes auf alle, so wie es letztlich ein Präventivstrafrecht vorsehen würde, lehne ich ab.

Überprüfen gern. Und man bräuchte auch abgestuftere Techniken, bei denen z.B. wesentlich weniger und gezielter eingwchränkt wird als beim "wegsperren". Und zudem könnte man, um Deinen Bedenken entgegenzukommen, Präventionsmaßnahmen bei Wiederholungstätern anders nennen und anders abstufen als bei Ersttätern und noch anders bei bisher nichtüberführten Menschen. Zum Beispiel "Wiederholungsprävention" vs. "psychologische Fortbildung" oder so. Man kann dann empirisch feststellen, welche Maßnahme wieviel bringt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Denn Präventivstrafrecht bedeutet mAn:

- Einschränkungen von Grundrechten auf einen bloßen Verdacht hin

Ist der Verdacht sehr gut begründet, ist er von Wissen nicht zu unterscheiden. Ist der Verdacht weniger gut begründet, dürften auch wesentliche Grundrechte nicht eingeschränkt werden. Ich gehe jede Wette ein, daß ein potenzieller Wiederholungstäter lieber ein paar Rechte abgibt (etwa sich eine Zeitlang überwachen läßt o.ä.), als zur Strafe ein paar Jahre in den Bau zu gehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Die Einschränkungen sind von einer konkreten Tat unabhängig und beziehen sich nur auf eine angenommene Gefährdung

Eine angenommene Gefährdung ist die einzige Situation überhaupt, in der noch was zu retten ist. Nachträgliche Strafe dagegen nützt keinem etwas. Die Folgen einer präventiven Maßnahme für den potenziellen Täter wären zudem auch sozial viel geringer, da ihm keine Schuld anhaftet, im Gegenteil erhält z.B. sein neuer Arbeitgeber eine gewisse Sicherheit im Vergleich mit jemand, der einfach nur seine vergeltende Strafe abgesessen hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Alle die folgenden Prinzipien wären hinfällig (die jedoch mAn ganz wesentlich für einen Rechtsstaat sind):
-- Keine Strafe ohne Schuld

Es gäbe weder Schuld noch Strafe.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Keine Strafe ohne Gesetz

Es gälte: Keine präventive Maßnahme ohne Gesetz.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Unschuldsvermutung

Es gälte mehr als das: Jeder wäre unschuldig. Übrigens: Würdest Du dafür plädieren, auch eine "Nichtwiederholungsvermutung" einzuführen? Warum nicht? Warum überhaupt Prävention, wenn wir über die Zukunft nichts sagen können?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Im Zweifel für den Angeklagten

Es ist ja niemand angeklagt. Hier könnte man sagen: Im Zweifel für die weniger restriktive Maßnahme. So befürworte ich es auch in der Erziehung: Wenn ich mir nicht sicher bin, ob mein Kind etwas, das es möchte, überhaupt kann, tendiere ich zum Erlauben und nehme damit ein gewisses Risiko inkauf. So könnte man es auch bei der Prävention machen, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren und nicht unnötige Übelzufügungen zu haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Gleichheit vor dem Gesetz

Bleibt gültig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Doppelbestrafungsverbot

Wird ersetzt durch das einfache Bestrafungsverbot.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Rückwirkungsverbot

Bleibt gültig, siehe "Keine Strafe ohne Gesetz".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Willkürverbot

Bleibt gültig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Vertrauensschutz

Ist mir idZ unklar.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.

Meiner Ansicht nach ist das keineswegs unerheblich, da sich eine Strafe (auch) auf Vergeltung der Vergangenheit bezieht und (meist) niemandem nutzt, während eine Präventivmaßnahme sich immer auf die Zukunft bezieht und der Nutzen einsichtig ist. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
P.S.: ich habe das mal etwas abgekürzt, der Übersicht halber. Falls Deiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt von oben fehlt / offen ist, dann musst Du den halt nochmal aufs Tapet bringen.

OK, die anderen Sachen sind nicht so wichtig bzw. ich habe meinen Senf dazu gesagt. Aber es fehlt immer noch die Begründung, warum man jemand zur Vergeltung bzw. Abschreckung bestrafen darf, selbst wenn er absichtlich gehandelt hat.
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Beitrag(#1353958) Verfasst am: 02.09.2009, 21:36    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:

Würdest Du Burkhardt denn zustimmen, daß die "Freier Wille / Hätte auch anders handeln können" - Voraussetzung unter modernen Strafrechtchtlern kaum noch eine Rolle spielt? Richter, Staatsanwälte?


In der Praxis (Gerichte) spielt dieser Gedanke nach meiner Einschätzung nach wie vor eine ganz wesentliche Rolle. Dennoch ist vielen Juristen natürlich in besonders plakativen Einzelfällen durchaus bewußt, dass eine Möglichkeit, anders zu handeln tatsächlich nicht bestand (Junkie klaut etc.). Trotzdem werden auch in solchen Fällen Strafen ausgesprochen, obwohl der Richter oftmals weiß, dass es völlig sinnlos ist.

Was in der wissenschaftlichen Diskussion Stand der Dinge ist, kann ich nicht sagen, da bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Das hat aber mit der Praxis ohnehin nur bedingt zu tun.

Btw; nur kurz zum Thema positive Spezialprävention: Gibt es effektiv nur auf dem Papier. Justizvollzug soll heute billig sein und möglichst wenige Schlagzeilen produzieren. Sprich billig wegsperren, Freigang etc. möglichst auf ein absolutes Minimum begrenzen. Das ist das Konzept (mein Vater arbeitet in einer JVA in leitender Position).
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Beitrag(#1353992) Verfasst am: 02.09.2009, 22:11    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

Mario Hahna hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Würdest Du Burkhardt denn zustimmen, daß die "Freier Wille / Hätte auch anders handeln können" - Voraussetzung unter modernen Strafrechtchtlern kaum noch eine Rolle spielt? Richter, Staatsanwälte?


In der Praxis (Gerichte) spielt dieser Gedanke nach meiner Einschätzung nach wie vor eine ganz wesentliche Rolle. Dennoch ist vielen Juristen natürlich in besonders plakativen Einzelfällen durchaus bewußt, dass eine Möglichkeit, anders zu handeln tatsächlich nicht bestand (Junkie klaut etc.). Trotzdem werden auch in solchen Fällen Strafen ausgesprochen, obwohl der Richter oftmals weiß, dass es völlig sinnlos ist.

Was in der wissenschaftlichen Diskussion Stand der Dinge ist, kann ich nicht sagen, da bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Das hat aber mit der Praxis ohnehin nur bedingt zu tun.

Btw; nur kurz zum Thema positive Spezialprävention: Gibt es effektiv nur auf dem Papier. Justizvollzug soll heute billig sein und möglichst wenige Schlagzeilen produzieren. Sprich billig wegsperren, Freigang etc. möglichst auf ein absolutes Minimum begrenzen. Das ist das Konzept (mein Vater arbeitet in einer JVA in leitender Position).

Ja, so in etwa hatte ich mir das vorgestellt, danke.
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Beitrag(#1353999) Verfasst am: 02.09.2009, 22:33    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir mal ein Beispiel dazu: A möchte C verletzen. Er schubst daher B, so dass dieser auf C fällt und Letzterer einen Schaden erleidet. Die Ursache für den Schaden von C ist nun B, der aber nichts dafür kann (unschuldig ist), der deswegen heute nicht belangt werden dürfte, weder zivil- noch strafrechtlich. A würde belangt werden, obgleich er nur die indirekte Ursache des Schadens wäre und nicht die direkte Ursache.

OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag: [...]

Ja, aber, egal, wie das nun im Einzelnen ausgestaltet ist: dem liegt doch letztlich das Schuldkonzept des Rechtes zugrunde. Es ist nicht das Ursachenprinzip und auch nicht das: "niemand kann was für gar nichts"-Prinzip.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Kommen wir mal zu einem anderen Punkt: mAn werden bei Maßnahmen zur Sicherung und Besserung die dort Behandelten letztlich sehr wohl als Unmündige / als Objekte behandelt (er kann - wahrscheinlich - halt nicht anders und daher setzen wir ihn zur Sicherheit fest)

Wenn ich jemand zur vergeltenden oder gar zur abschreckenden Strafe 59 Jahre einsperre, mache ich ihn damit mindestens genauso zum Objekt.

Mal unabhängig davon, dass ich das Strafrechtssystem in den USA nicht gutheiße, keine Ahnung, wieso Du immer wieder mit diesem Beispiel ankommst: jemand wird mE dann als Objekt behandelt, wenn man ihn lediglich als Getriebenen seiner Umständen ansieht und nicht als eigenverantwortliches Subjekt. Ich weiß ja nun nicht, ob Du das (für alle Fälle) tun willst, ich tue das aber bekanntlich nicht. Wiewohl es Fälle geben mag, in denen das der Fall ist. Aber die Frage wäre hier: ist das tatsächlich gleichermaßen immer so?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Denn Präventivstrafrecht bedeutet mAn:

- Einschränkungen von Grundrechten auf einen bloßen Verdacht hin

Ist der Verdacht sehr gut begründet, ist er von Wissen nicht zu unterscheiden.

Egal, ob das stimmt oder nicht: das spielt heute keine Rolle. Eine Grundrechtseinschränkung aufgrund eines Verdachtes auf zukünftige kriminelle Handlung ist nicht zulässig.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Alle die folgenden Prinzipien wären hinfällig (die jedoch mAn ganz wesentlich für einen Rechtsstaat sind):
-- Keine Strafe ohne Schuld

Es gäbe weder Schuld noch Strafe.

Damit machst Du es Dir aber verdammt einfach. Es gibt auch in Deinem System Übelzufügungen (Grundrechtseinschränkungen).

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Keine Strafe ohne Gesetz

Es gälte: Keine präventive Maßnahme ohne Gesetz.

Aber worauf bezöge sich das Gesetz, wenn nicht auf eine konkrete Handlung / Tat?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Unschuldsvermutung

Es gälte mehr als das: Jeder wäre unschuldig.

Mit den Augen rollen

Aber Du hast doch oben bei meinem Beispiel auch das Schuldkonzept vertreten.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Im Zweifel für den Angeklagten

Es ist ja niemand angeklagt.

Nö, aber jemand soll "behandelt" werden, es sollen "Maßnahmen" an ihm vollzogen werden. Da muss es ein ähnliches Prinzip geben, wie könnte das aussehen? Oder gar nix? Verteidigung, Anwälte? Wer bestimmt's? Experten im weißen Kittel? Nicht nachvollziehbar, nicht im Vorneherein abschätzbar, nicht kalkulierbar, für niemanden, für den Deliquenten nicht und auch nicht für die Öffentlichkeit?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Gleichheit vor dem Gesetz

Bleibt gültig.

Ja, aber anders als heute. Aber wie und inwiefern?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Doppelbestrafungsverbot

Wird ersetzt durch das einfache Bestrafungsverbot.

Aber, wie gesagt, die Übelzufügung, die Grundrechtseinschränkungen bleiben doch. Ist mir ein komplettes Rätsel, wie Du das einfach so leugnen kannst.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Rückwirkungsverbot

Bleibt gültig, siehe "Keine Strafe ohne Gesetz".

Ja, aber ein Gesetz, das aussagte: "wir tun einfach, was wir für richtig halten", wäre sinnlos. Das könnte man sich sparen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Willkürverbot

Bleibt gültig.

Nur könnte es niemand nachvollziehen. Und was niemand nachvollziehen kann, ist letztlich Willkür, da gibt es keinen Unterschied.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Vertrauensschutz

Ist mir idZ unklar.

Vertrauensschutz

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.

Meiner Ansicht nach ist das keineswegs unerheblich, da sich eine Strafe (auch) auf Vergeltung der Vergangenheit bezieht und (meist) niemandem nutzt, während eine Präventivmaßnahme sich immer auf die Zukunft bezieht und der Nutzen einsichtig ist. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied.

Doch, das ist deswegen unerheblich, weil die Übelzufügung sich nicht wesentlich unterscheidet. Obwohl, genau genommen, unterscheidet sie sich doch: eine reine Präventionsmaßnahme (z.B. Sicherungsverwahrung) wird vollzogen, ohne dass die Zielperson eine Möglichkeit zur Einflussnahme hätte / hatte. Sie ist unbegrenzt (kann unbegrenzt sein) und hängt insofern nicht von (früheren) Handlungen der Person ab. Sie wird über sie verhängt, es gibt keine Möglichkeit der Verteidigung, das normale Strafrechtsverfahren wird außer Kraft gesetzt.

step hat folgendes geschrieben:
Aber es fehlt immer noch die Begründung, warum man jemand zur Vergeltung bzw. Abschreckung bestrafen darf, selbst wenn er absichtlich gehandelt hat.

Wie gesagt, ist der Vergeltungsaspekt ein begrenzender Faktor in einem Strafverfahren und insofern mAn notwendig.

Und wenn jemand nicht absichtlich gehandelt hat, dann verbieten sich Grundrechtseinschränkungen mAn eh, denn Unschuldige dürfen nicht bestraft werden (es sei denn, sie würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ernste Sicherheitsgefährdungen angesehen werden können).

Und, übrigens: wir behandeln hier zwei unterschiedliche Themen. Das eine ist eher prinzipiell (ist jemand für bestimmte Handlungen verantwortlich oder nicht? Kann er zur Rechenschaft gezogen werden oder nicht?) und das andere ist konkreter: wie könnte ein Rechts- / Strafrechtssystem aussehen, wenn man davon ausgeht, dass Menschen nur Produkte ihrer Umstände sind und sie keinen Einfluss auf ihre Handlungen haben?

Wir müssen hier erst mal Frage 1 klären. Frage 2 ist eher uninteressant, denn die Folgerungen, die Du ziehst, ziehen andere anscheinend nicht. Sie können mit der Begründung für 1, falls es tatsächlich richtig / zwingend ist, dass die Naturgesetze persönliche Zuschreibungen von Handlungen ausschließen, auch ganz andere Schlüsse ziehen. Nämlich zum Beispiel den, dass zwar niemand böse sein kann, aber total gefährlich und daher für alle Zeiten hinter Gitter gehört. Der Sicherheit wegen und sicher ist nun mal sicher. Fragte sich nur, ob das dann eine Verbesserung wäre und wenn ja, inwiefern.

Noch ein anderes Thema sind die heutigen Zustände in den Gefängnissen. Ob die gerechtfertigt sind oder nicht. Sie sind es mE nicht.
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Beitrag(#1354054) Verfasst am: 03.09.2009, 00:00    Titel: Antworten mit Zitat

Ach, und naja, mir kommt das hier tatsächlich so vor, als ob es nur um den Tadelanteil / den Vorwurf in dem Wort "Strafe" ginge, der, wenn er eliminiert würde, alles in einem ganz anderen Lichte erscheinen ließe und dann automatisch alles völlig in Ordnung wäre und somit schon jegliche Übelzufügung aufgrund von Zukunftsabschätzungen gerechtfertigt sei.

So in folgender Art (Beispiel):

Zwei Väter. Vater A und Vater B. Beide haben 8-jährige Söhne.

Vater A ist der Meinung, dass bestimmte Handlungen böse sind und der Strafe bedürfen. Zum Beispiel Nasenbohren. Jedesmal, wenn er seinen Sohn beim Nasenbohren erwischt, legt er ihn "übers Knie" und verprügelt ihn. Er sagt: "Du hast es schon wieder getan, Du bist schuldig".

Vater B ist der Meinung, dass es kein gut und böse gibt, dass einfach alles nur so ablaufen muss, wie es abläuft, aber er denkt auch, dass Kinder Respekt haben müssen, weil dieser ihnen später in der Gesellschaft helfen wird, so dass es ihnen gesamt gesehen besser gehen wird. Um diesen Respekt herzustellen, hält er eine Tracht Prügel für nützlich. Er hat ein Messgerät, das, wissenschaftlich korrekt, den aktuellen Respekt des Sohnes anzeigt. Er legt also, wenn das Messgerät ausschlägt, was der Sohn aber nicht vorhersehen und auch nicht beeinflussen kann, diesen "übers Knie" und verprügelt ihn gleichermaßen wie Vater A. Er sagt: "Du kannst ja nix dafür, niemand kann etwas für irgendwas, ich auch nichts dafür, dass ich diese Maßnahme an Dir vollziehe. Es ist nur zu deinem Besten, mir tut das ja am meisten weh."

Ohne dass dieses Beispiel jetzt direkt auf die konkrete Diskussion übertragen werden könnte, ohne dass man bestimmte Positionen daraus ablesen könnte, könnte man fragen, welche Vorgehensweise schlimmer wäre, (wobei hier wohl beide eklig / abzulehnen sind).

Ich finde den Fall B schlimmer. Wegen des Willküraspektes, der Nichtvorhersehbarkeit, der Unbeeinflussbarkeit der Übelzufügung. Sohn A hat es wenigstens durch sein Verhalten in der Hand, wann ihm eine "Tracht Prügel" verabreicht wird. Sohn B aber nicht. Er muss jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen. Und dann erwartet Vater B auch noch, dass Sohn B ein Einsehen / Verständnis hat: "ist ja keine Strafe, sieh' das doch ein, sieh' doch mal meine Seite, ich will doch nur Dein Bestes".

Sohn A hingegen mag vielleicht durch die Schuldzuweisung einen Selbsthass bekommen. Was einen auch fertig machen kann, durch das Gefühl "ich bin böse, unwürdig, nichtsnutz".

Aber dennoch würde ich B schlimmer finden. Und mir scheint, dass aber andere hier A grundsätzlich viel schlimmer finden. Weil bei A eventuell was Metaphysisches / was Religiösen mitschwingt vielleicht; ich kann das noch nicht so richtig deuten, was eigentlich der Grund dessen ist.
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Beitrag(#1354213) Verfasst am: 03.09.2009, 12:35    Titel: Re: Modernes Strafrecht Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
OK, ich skizziere mal noch einen - evtl. unausgereiften - Vorschlag: [...]
Ja, aber, egal, wie das nun im Einzelnen ausgestaltet ist: dem liegt doch letztlich das Schuldkonzept des Rechtes zugrunde.

Nö, sehe nicht, wo ich da ein Schuldkonzept habe einfließen lassen. Die zugrundeliegenden Konzepte sind "wie kann man die Zukunft verbessern?" und natürlich die Unterstützung des Opfers.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
jemand wird mE dann als Objekt behandelt, wenn man ihn lediglich als Getriebenen seiner Umständen ansieht und nicht als eigenverantwortliches Subjekt.

Ich finde, manchmal ist es besser, in bezug auf einen bestimmten Aspekt (z.B. eine Krankheit (Patient), ein Unwissen (Schüler) oder ein Fehlverhalten (Täter)) zu einem Objekt zu werden, als daß man als Gesamtsubjekt das Etikett "böse", "schuldig" verpaßt bekommt und dafür auch noch vergeltend gequält wird. Die Objektivierung eines Aspekts des Subjekts ist mE nicht nur nützlich, sondern kann auch psychisch von Vorteil sein.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich weiß ja nun nicht, ob Du das (für alle Fälle) tun willst, ich tue das aber bekanntlich nicht. Wiewohl es Fälle geben mag, in denen das der Fall ist. Aber die Frage wäre hier: ist das tatsächlich gleichermaßen immer so?

Im Prinzip immer, allerdings gibt es mE je nach Situation Unterschiede in der Frage, inwieweit der Täter durch andere, besser funktionierende Aspekte seiner Persönlichkeit an dieser arbeiten kann.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Grundrechtseinschränkung aufgrund eines Verdachtes auf zukünftige kriminelle Handlung ist nicht zulässig.

Bist Du Dir da sicher? Und findest Du das optimal so?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Es gäbe weder Schuld noch Strafe.
Damit machst Du es Dir aber verdammt einfach. Es gibt auch in Deinem System Übelzufügungen (Grundrechtseinschränkungen).

Das bestreite ich nirgends, aber es gibt eben keine Schuld und keine Strafe. Die wirklich dann noch gebotenen Grundrechtseinschränkungen hätten einen neutraleren Charakter als das eher "fluchartige" Schuld/Straf-Konzept. Und vor allem wären alle Grundrechtseinschränkungen verboten, die nach Vergeltung und Abschreckung Dritter bemessen sind.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber worauf bezöge sich das Gesetz, wenn nicht auf eine konkrete Handlung / Tat?

Das Gesetz würde z.B. regeln, welche (rein präventiven) Maßnahmen bei einer bestimmten Tat und einer bestimmten Wiederholungsgefahr infragekämen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber Du hast doch oben bei meinem Beispiel auch das Schuldkonzept vertreten.

Nein, habe ich definitiv nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Nicht nachvollziehbar, nicht im Vorneherein abschätzbar, nicht kalkulierbar, für niemanden, für den Deliquenten nicht und auch nicht für die Öffentlichkeit?

Natürlich opfert man etwas von der archaischen Simplizität eines vergeltenden Strafrechts, wenn man komplexere Abhängigkeiten und präventive Aspekte stärker berücksichtigt. Ich sehe aber nicht ein, warum das prinzipiell schlecht sein soll. Der von MH genannte stehlende Junkie oder gar der "Kinderschänder" - fragte man die Öffentlichkeit, wäre ein archaischeres Strafrecht als das heute existierende sicher angemessen.

Zudem würden ja alle eher davon profitieren. Warum hackst Du eigentlich die ganze Zeit auf den Schwierigkeiten herum, die bei bestimmten Aspekten der Prävention entstehen? Vielleicht könnten wir uns sogar auf eine sehr vorsichtige Vorgehensweise bei präventiven Maßnahmen einigen. Was mir erstmal viel wichtiger ist, ist die Abschaffung des vergeltenden (und evtl. auch des generalpräventiven) Aspekts im Strafrecht, denn für den gibt es keinerlei Legitimation mehr.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Doppelbestrafungsverbot

Wird ersetzt durch das einfache Bestrafungsverbot.
Aber, wie gesagt, die Übelzufügung, die Grundrechtseinschränkungen bleiben doch. Ist mir ein komplettes Rätsel, wie Du das einfach so leugnen kannst.

Ich muß doch sehr bitten. Wo leugne ich Übelzufügung oder Grundrechtseinschränkungen? Der Unterschied ist, daß Übelzufügungen in meinem Modell nicht mit "Schuld", "Abschreckung Dritter" und "Vergeltung" begründet werden dürfen, sondern wenn überhaupt nur mit Spezialprävention.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
-- Vertrauensschutz

Ist mir idZ unklar.
Vertrauensschutz

Ja, da hatte ich bereits nachgelesen. Aber wo siehst Du den Zusammenhang mit Strafrecht vs. Präventivrecht?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es mAn völlig unerheblich, ob man eine Übelzufügung "Strafe" oder ob man sie (euphemistisch) "Maßnahme" nennt.
Meiner Ansicht nach ist das keineswegs unerheblich, da sich eine Strafe (auch) auf Vergeltung der Vergangenheit bezieht und (meist) niemandem nutzt, während eine Präventivmaßnahme sich immer auf die Zukunft bezieht und der Nutzen einsichtig ist. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied.
Doch, das ist deswegen unerheblich, weil die Übelzufügung sich nicht wesentlich unterscheidet.

Die unterscheidet sich aber ganz gewaltig. Es gäbe überhaupt niemand mehr, der im Gefängnis sitzt, außer evtl. U-Haft, Ausnüchterungszelle und ein paar wenige Extremtäter in Sicherungsverwahrung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Obwohl, genau genommen, unterscheidet sie sich doch: eine reine Präventionsmaßnahme (z.B. Sicherungsverwahrung) wird vollzogen, ohne dass die Zielperson eine Möglichkeit zur Einflussnahme hätte / hatte. Sie ist unbegrenzt (kann unbegrenzt sein) und hängt insofern nicht von (früheren) Handlungen der Person ab. Sie wird über sie verhängt, es gibt keine Möglichkeit der Verteidigung, das normale Strafrechtsverfahren wird außer Kraft gesetzt.

Das ist falsch. Die allermeisten Präventionsmaßnahmen (wenn nicht sogar alle) wären begrenzt, wären keine "Verwahrung", wären durch das Verhalten der Zielperson beeinflußbar und hingen zumindest teilweise vom früheren Verhalten der Person ab. Wichtig wäre idZ ein durchlässiger, dynamischer Maßnahmenkatalog, in dem immer wieder die Chance gegeben werden muß, graduell wieder mit weniger Einschränkungen zu leben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Aber es fehlt immer noch die Begründung, warum man jemand zur Vergeltung bzw. Abschreckung bestrafen darf, selbst wenn er absichtlich gehandelt hat.
Wie gesagt, ist der Vergeltungsaspekt ein begrenzender Faktor in einem Strafverfahren und insofern mAn notwendig.

Das leuchtet mir bis jetzt nicht ein. Warum kann jemand, der absichtlich einen umgebracht hat, zur Strafe 20 Jahre eingesperrt werden? "Weil er schuld ist" reicht mir nicht als Begründung.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und, übrigens: wir behandeln hier zwei unterschiedliche Themen. Das eine ist eher prinzipiell (ist jemand für bestimmte Handlungen verantwortlich oder nicht? Kann er zur Rechenschaft gezogen werden oder nicht?) und das andere ist konkreter: wie könnte ein Rechts- / Strafrechtssystem aussehen, wenn man davon ausgeht, dass Menschen nur Produkte ihrer Umstände sind und sie keinen Einfluss auf ihre Handlungen haben?

Wir müssen hier erst mal Frage 1 klären.

Ja. Und während ich bei "verantwortlich" eine kompatibilistische Deutung evtl. noch durchgehen lassen würde (wegen der stark lokalen Präferenzen und weil ich ein Konzept der Verantwortung widerspruchsfrei nennen kann), sehe ich (siehe meinen Kommentar zu Burkhardt) keine nachvollziehbare Begründung des Schlusses auf Legitimität einer vergeltenden Übelzufügung. Auch Du schreibst ja als Begründung letztlich nur "weil er es verdient hat".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Frage 2 ist eher uninteressant, denn die Folgerungen, die Du ziehst, ziehen andere anscheinend nicht. Sie können mit der Begründung für 1, falls es tatsächlich richtig / zwingend ist, dass die Naturgesetze persönliche Zuschreibungen von Handlungen ausschließen, auch ganz andere Schlüsse ziehen. Nämlich zum Beispiel den, dass zwar niemand böse sein kann, aber total gefährlich und daher für alle Zeiten hinter Gitter gehört. Der Sicherheit wegen und sicher ist nun mal sicher. Fragte sich nur, ob das dann eine Verbesserung wäre und wenn ja, inwiefern.

Hier mischst Du mE einiges durcheinander. Zum Beispiel kann den Schluß, jemand sei gefährlich und daher wegzusperren, ebensogut ein Freier-Wille-Anhänger ziehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Noch ein anderes Thema sind die heutigen Zustände in den Gefängnissen. Ob die gerechtfertigt sind oder nicht. Sie sind es mE nicht.

Wenn es den Insassen aber wesentlich besser ginge, wär's dem Volk sicher auch nicht recht. Oder?
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Beitrag(#1354228) Verfasst am: 03.09.2009, 13:17    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ach, und naja, mir kommt das hier tatsächlich so vor, als ob es nur um den Tadelanteil / den Vorwurf in dem Wort "Strafe" ginge, ...

Für mich wäre der soziale Tadel ok, wenn er sich auf die Zukunft bezieht: "Das war unerwünscht, wir erwarten von Dir, ...".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zwei Väter. Vater A und Vater B. Beide haben 8-jährige Söhne.

Vater A ist der Meinung, dass bestimmte Handlungen böse sind und der Strafe bedürfen. Zum Beispiel Nasenbohren. Jedesmal, wenn er seinen Sohn beim Nasenbohren erwischt, legt er ihn "übers Knie" und verprügelt ihn. Er sagt: "Du hast es schon wieder getan, Du bist schuldig".

Meine Kritik an diesem Verhalten:
1. Der Vater hat keine nachvollziehbare Begründung für die Bestrafung, denn der Sohn ist nicht schuldig, sondern hat sich nur unerwünscht verhalten, und auch das nur, weil seine Präferenz zum Nasebohren eben so stark war.
2. Der Vater wirft sich alttestamentarisch auf zum Herrn über Gut und Böse, anstatt den Sohn zur Einsicht zu bewegen. Er will Gehorsam statt Einsicht.
3. Sollte der Vater aus rein präventiven Gründen gestraft haben (mit der Tat als "Anlaß"), wäre ihm die Härte und Ungeeignetheit der Maßnahme vorzuwerfen.
4. Ich stimme zudem Deiner Vermutung zu:


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Sohn A hingegen mag vielleicht durch die Schuldzuweisung einen Selbsthass bekommen. Was einen auch fertig machen kann, durch das Gefühl "ich bin böse, unwürdig, nichtsnutz".


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Vater B ist der Meinung, dass es kein gut und böse gibt, dass einfach alles nur so ablaufen muss, wie es abläuft, aber er denkt auch, dass Kinder Respekt haben müssen, weil dieser ihnen später in der Gesellschaft helfen wird, so dass es ihnen gesamt gesehen besser gehen wird. Um diesen Respekt herzustellen, hält er eine Tracht Prügel für nützlich. Er hat ein Messgerät, das, wissenschaftlich korrekt, den aktuellen Respekt des Sohnes anzeigt. Er legt also, wenn das Messgerät ausschlägt, was der Sohn aber nicht vorhersehen und auch nicht beeinflussen kann, diesen "übers Knie" und verprügelt ihn gleichermaßen wie Vater A. Er sagt: "Du kannst ja nix dafür, niemand kann etwas für irgendwas, ich auch nichts dafür, dass ich diese Maßnahme an Dir vollziehe. Es ist nur zu deinem Besten, mir tut das ja am meisten weh."

Vorweg: "Ich kann auch nichts dafür" - wie in dem Richterwitz - gehört hier nicht hin, auch wenn Du, ballancer usw. das immer wieder schreiben, um eine zynische Bösartigkeit von Deterministen zu suggerieren.

Meine Kritik am Verhalten von Vater B:
1. Respekt als Erziehungsziel ist sehr fragwürdig. Hinterfragen, Offenheit/Ehrlichkeit, vertrauensvoller Umgang wäre besser.
3. Siehe 3. oben - Maßnahme ungeeinet.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... (wobei hier wohl beide eklig / abzulehnen sind).

Sehe ich ebenso. Die eigentlich zugrundeliegende Frage wird völlig überschattet von den in beiden Fällen völlig unmöglichen Härte der Maßnahmen, sowie dem extrem konservativen Erziehungsziel von Vater B. Präventivsanktionen, über die wir hier im thread reden, wären ja von weit weniger entwürdigendem Charakter.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich finde den Fall B schlimmer. Wegen des Willküraspektes, der Nichtvorhersehbarkeit, der Unbeeinflussbarkeit der Übelzufügung. Sohn A hat es wenigstens durch sein Verhalten in der Hand, wann ihm eine "Tracht Prügel" verabreicht wird. Sohn B aber nicht. Er muss jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen.

Sehe ich anders: Sohn A hat es nicht in der Hand, denn der Trieb zum Nasebohren ist einfach zu stark. Und Sohn B: Warum sollte er Respekt gegenüber dem Vater nicht ebenso (oder ebensowenig) kontrollieren können wie den Trieb zum Nasenbohren?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und dann erwartet Vater B auch noch, dass Sohn B ein Einsehen / Verständnis hat: "ist ja keine Strafe, sieh' das doch ein, sieh' doch mal meine Seite, ich will doch nur Dein Bestes".

Ja, das hat etwas Heuchlerisches. Unter anderem deswegen, weil der Sohn nicht einsehen kann, warum eine körperliche Züchtigung gut für ihn sein soll. Fairerweise muß man allerdings dazusagen, daß Eltern vom Typ A oft analog argumentieren: "Ist eine verdiente Strafe, Strafe muß sein, eine Tracht Prügel hat noch keinem geschadet".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber dennoch würde ich B schlimmer finden. Und mir scheint, dass aber andere hier A grundsätzlich viel schlimmer finden. Weil bei A eventuell was Metaphysisches / was Religiösen mitschwingt vielleicht; ich kann das noch nicht so richtig deuten, was eigentlich der Grund dessen ist.

Mir gefällt bei dem Beispiel u.a. nicht, daß Du Strafe und Prävention analog setzt. Denn Prävention ist ein eigenes Thema, das eigentlich unabhängig davon ist, ob man (vergeltende) Strafe ablehnt oder befürwortet.

Daher vielleicht ein aus meiner Sicht geeigneteres Beispiel, in dem ich die Schwerpunkte etwas ... anders ... lege:

Sohn A und Sohn B zerkratzen mutwillig Nachbars geliebtes Auto.

Vater A nimmt seinen Gürtel und verprügelt seinen Sohn (zur vergeltenden Strafe) ordentlich. Danach sagt er ihm (Prävention), daß er ihn, sollte das nochmal vorkommen, noch viel schlimmer verprügeln wird, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Außerdem überlegt er sich, daß er den jüngeren Bruder schon bei viel kleineren Vergehen härter bestrafen sollte, damit sich die Situation mit ihm nicht wiederholt.

Vater B simmt seinen Sohn ins Gebet (sozialer Tadel). Hat aber das Gefühl, daß das irgendwie zur Prävention nicht ausreicht. Daher überlegt er sich eine Beschäftigung, die den Sohn auf andere Gedanken bringt und sein Selbstbewußtsein und seine Rücksichtnahme stärkt, z.B. einen anstrengenden Sport. Außerdem überlegt er sich, was er vielleicht vorher hätte besser machen müssen, mit dem Ziel, daß sich die Situation mit dem jüngeren Bruder nicht wiederholt.
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Beitrag(#1354492) Verfasst am: 03.09.2009, 22:05    Titel: Antworten mit Zitat

Also, ich bin jetzt etwas verwirrt, weil ich Deine Argumentation gar nicht richtig einordnen kann.

Ginge sie nur über die Schiene: das heutige Strafrechtssystem und die heutigen Strafen sind ungerecht, zu hoch, die Zustände in den Gefängnissen sind teilweise unakzeptabel, äußere und innere Zwänge werden bei den Urteilen nicht genügend berücksichtigt, alternative (humanere) Strafen sollten erwogen werden usw., dann wäre das eine Sache, über die man durchaus reden könnte und auch immer muss, denn da liegt sicher Einiges im Argen, das kann und muss immer verbessert werden.

Aber das ist es ja nicht. Es geht Dir irgendwie darum, das Schuldkonzept abzulehnen und ein anderes Verantwortungskonzept zu etablieren. Was ich aber beides nicht verstehe, denn "Schuld" bedeutet für mich dies:

Schuld (Ethik) hat folgendes geschrieben:
Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich ist.

D.h., sobald man eine Handlung danach unterschiedlich beurteilt, ob sie a) wissentlich und absichtlich oder aber z.B. b) unter Zwang oder unabsichtlich geschah, dann ist das genau dieser Unterschied, dieses Schuldkonzept. Dann ist der eine (a) schuldig und der andere (b) nicht. Auch Dein Verantwortungskonzept unterscheidet sich mE nicht wesentlich von meinem.

Was sich nun unterscheidet, ist anscheinend folgendes: Du sagst a) jemand darf nicht aufgrund einer vergangenen Tat verurteilt werden und b) jemand hat keine Strafe aufgrund einer bestimmten Tat verdient.

Aber das verstehe ich auch nicht, denn Du sprichst Dich doch gleichermaßen dafür aus, die "Maßnahmen" 1. erst mal von der Schuldfeststellung abhängig zu machen und 2. sie in der Höhe und Art an die konkrete Tat zu binden. Hm, dann setze vielleicht halt für "verdient" "ist notwendige Voraussetzung", wenn Dir das besser schmeckt. Ist aber mE kein wesentlicher Unterschied.

In dem Link zu den gardeners, den Du oben gegeben hast, (interessant übrigens, danke), wird ja von Seiten der "anti-realists" anders argumentiert. Sie behaupten das Fehlen von Verantwortung in einer determinierten Welt (z.B. wegen TNR, des "transfer of non-responsibility"-Prinzipes). Argumentierte man auf diese Art, (so tun (bzw. taten) das ja auch Singer und Roth), wäre also Verantwortung tatsächlich wegen des Determinismus ausgeschlossen, dann gäbe es natürlich auch keine Schuld im obigen Sinne, d.h. die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Handlung wäre sinnlos und müsste fallen gelassen werden.

Aber so argumentierst Du ja gar nicht, mir ist daher ein bisschen unklar, worauf Deine Argumentation eigentlich beruht. Ich finde sie ziemlich widersprüchlich.

Du findest es nicht richtig, jemanden insofern verantwortlich für gewisse Handlungen zu machen, als dass man ihm deswegen Konsequenzen dafür zumutet? Hm, nein, das tust Du ja nicht, Du möchtest ja Maßnahmen aufgrund der Tat ergreifen. Und dann setzt Du aber wieder Krankheit, Unwissenheit und Fehlverhalten gleich. Das ist sehr verwirrend.

Kommen wir mal zu den Punkten, an denen wir anscheinend nicht übereinstimmen:

- meiner Ansicht nach wäre es (auch psychisch / psychologisch) in keiner Hinsicht von Vorteil, andere immer zu behandeln wie Unmündige (wiewohl man / ich das in bestimmten Fällen - z.B. jemand ist tatsächlich psychisch gestört oder ein Junkie - tut / tue. Aber: Das hat keinen Vorteil für denjenigen. Von Junkies z.B. halte ich mich fern (da kenne ich leider ein konkretes Beispiel, eine Ex-Bekannte). Die tun mir zwar leid, die können nix dafür, ich sehe sie lediglich als Getriebene, aber das nutzt ihnen doch gar nichts.)

- außerdem halte ich es für unmöglich, das zu tun, wer das glaubt, lügt sich mE in die eigene Tasche

- freiheitseinschränkende (zusätzlich zu heute) Maßnahmen ohne absichtlich begangene Tat (= Schuld) halte ich für unzulässig (z.B. flächendeckende Untersuchungen auf "kriminelle Adern") - das wäre ein Prämissenwechsel, der einer freiheitlichen Gesellschaft nicht zusteht

- Grundrechtseinschränkungen aufgrund einer lediglich statistisch wahrscheinlichen Annahme einer zukünftigen Normverletzung halte ich für extrem problematisch

- eine Abschreckung Dritter halte ich für notwendige Determinierungen zukünftigen Verhaltens; außerdem halte ich auch eine gewisse Konsequenz im Strafrecht für notwendig, um Willkür zu vermeiden (wiewohl man das sicher auch in der heutigen Praxis mehr oder weniger ankreiden kann - was aber eine Erhöhung der Willkür noch nicht rechtfertigt)

- ich glaube, dass ein Übergang vom Schuldstrafrecht auf ein Präventivstrafrecht insofern sehr negativ wäre, als dass alle gewachsenen Rechtsstaatsprinzipien (siehe oben) plötzlich entsorgt würden. Deine Einwände dazu haben mich nicht im Geringsten überzeugt. Deine konkreten Vorstellungen der Ausgestaltung würden sich übrigens mAn nicht durchsetzen, es würde eher ein "der ist gefährlich, weg für immer, sicher ist sicher" durchsetzen. Ich finde es übrigens sehr erschreckend, wie auch Leute, die ich für sehr intelligent / klug halte, das gar nicht mehr hinterfragen und einfach so hinnehmen (ich meine jetzt nicht Dich, ich habe jemanden anderen im Sinne, von dem ich das heute zufällig gelesen habe). Nach dem Motto: "wir haben keine Strafe mehr, ist nicht mehr religiös / metaphysisch, es schwingt kein persönlicher Vorwurf mehr mit, sind nur noch objektive Sachzwänge - also ist alles in Butter, das muss ja so sein".

- ich halte es für falsch, die Sprache ändern zu wollen. Ich meine, das Wort "Strafe" ist weiterhin unerlässlich, da es eben eine Übelzufügung bedeutet, zu der man stehen sollte und die daher legitimiert werden muss. Durch eine Umbenennung in (mE ein Euphemismus und in dem Zusammenhang auch noch furchtbar schwammig und vielbedeutend) "Maßnahme" wird das nur verschleiert und führt zu der Ansicht, eine Legitimation sei nicht mehr nötig. Siehe obigen Punkt. Ich halte es für besser, die Bedeutung des Begriffes zu ändern. Für mich hat er wohl auch gar nicht die Bedeutung, die er anscheinend für Dich hat. Was immer das ist, das weiß ich jetzt auch nicht so genau.
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Beitrag(#1354511) Verfasst am: 03.09.2009, 22:46    Titel: Antworten mit Zitat

Erstmal nur zwei Punkte:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
In dem Link zu den gardeners, den Du oben gegeben hast, (interessant übrigens, danke), wird ja von Seiten der "anti-realists" anders argumentiert. Sie behaupten das Fehlen von Verantwortung in einer determinierten Welt (z.B. wegen TNR, des "transfer of non-responsibility"-Prinzipes). Argumentierte man auf diese Art, (so tun (bzw. taten) das ja auch Singer und Roth), wäre also Verantwortung tatsächlich wegen des Determinismus ausgeschlossen, dann gäbe es natürlich auch keine Schuld im obigen Sinne, d.h. die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Handlung wäre sinnlos und müsste fallen gelassen werden.

Aus diesem Grunde habe ich mich ja schon auf eine extrem kompatibilistische Definition von "Verantwortung" und "Absicht" eingelassen. "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde. Und "Verantwortung" bedeutet bei mir nicht mehr als die Erwartung moralisch konformer Entscheidungen.

Diese (mglw. nicht gängigen) Definitionen passen zu obiger Darstellung. Eine Unterschiedung zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" ist zwar nicht mehr so zentral wie bei Vergeltungsstrafen (wo sie es übrigens früher auch nicht war), aber kann auch für die Auswahl der besten Präventionsmethode immer noch eine Rolle spielen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- ich halte es für falsch, die Sprache ändern zu wollen. Ich meine, das Wort "Strafe" ist weiterhin unerlässlich, da es eben eine Übelzufügung bedeutet, zu der man stehen sollte und die daher legitimiert werden muss. Durch eine Umbenennung in (mE ein Euphemismus und in dem Zusammenhang auch noch furchtbar schwammig und vielbedeutend) "Maßnahme" wird das nur verschleiert und führt zu der Ansicht, eine Legitimation sei nicht mehr nötig. Siehe obigen Punkt. Ich halte es für besser, die Bedeutung des Begriffes zu ändern. Für mich hat er wohl auch gar nicht die Bedeutung, die er anscheinend für Dich hat. Was immer das ist, das weiß ich jetzt auch nicht so genau.

Eine Strafe ist aber nicht eine beliebige Übelzufügung, sondern eine ganz bestimmte, teilweise auf Sühne einer Schuld gerichtete und von einer Sicherungsmaßnahme deutlich getrennte:

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Die Strafe ist ein aggressiver Akt gegenüber dem zu Strafenden, der als Folge eines normenverletzenden Verhaltens durch den zu Strafenden vollzogen wird und deshalb im Unterschied zu anderen Formen von Aggression als legitim angesehen wird. In der Regel wird Strafe heute begründet

* mit der Veränderung des Zöglings zum Besseren
* mit dem Ziel der Abschreckung potentieller anderer Straftäter
* mit dem Ziel des Schutzes anderer (z. B. der sonstigen Bevölkerung)
* mit der Wiederherstellung der Gerechtigkeit (Sühne).

Strafe kann aber auch in schwierigen bzw. komplexen sozialen Situationen mit zu Erziehenden eine Notlösung aus der Ausweglosigkeit sein, die im Zusammenhang mit dem Mangel an Orientierung des Erziehers zu sehen ist.

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Strafe im Sinne des Strafrechts ist nach einer vorherrschenden Definition ein Übel, das einer Person, (dem „Täter“), für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der Gesellschaft auferlegt wird und mit dem ein sozialethischer Tadel gegenüber dieser Person verbunden ist. Der Begriff der Strafe setzt sich damit von dem der Maßregel der Besserung und Sicherung ab, für die eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat ausreicht. ...

Der Begriff der Strafe als einer Sanktion, durch welche die Gesellschaft dem Täter gegenüber einen sittlichen Tadel aussendet, wurde in den Häresieprozessen des Hochmittelalters entwickelt und gelangte erst im 16. Jahrhundert, zur Zeit der spanischen Inquisition, über die moraltheologische Diskussion über das Kirchenrecht (Kanonistik) in das weltliche Strafrecht ...

Daher ist es aus meiner Sicht kein Euphemismus und keine Vernebelung, sondern ganz bestimmte Aspekte, die es nur bei einer Strafe gibt, sollen wegfallen. Strafe wäre dann ähnlich tabu wie Folter oder Mißbrauch.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1354555) Verfasst am: 03.09.2009, 23:55    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Erstmal nur zwei Punkte:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
In dem Link zu den gardeners, den Du oben gegeben hast, (interessant übrigens, danke), wird ja von Seiten der "anti-realists" anders argumentiert. Sie behaupten das Fehlen von Verantwortung in einer determinierten Welt (z.B. wegen TNR, des "transfer of non-responsibility"-Prinzipes). Argumentierte man auf diese Art, (so tun (bzw. taten) das ja auch Singer und Roth), wäre also Verantwortung tatsächlich wegen des Determinismus ausgeschlossen, dann gäbe es natürlich auch keine Schuld im obigen Sinne, d.h. die Unterscheidung zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Handlung wäre sinnlos und müsste fallen gelassen werden.

Aus diesem Grunde habe ich mich ja schon auf eine extrem kompatibilistische Definition von "Verantwortung" und "Absicht" eingelassen. "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde.

"Deshalb habe ich mich auf eine 'extrem kompatibilistische Definition' eingelassen"? Das ist nun sehr merkwürdig. Entweder findest Du es plausibel, dass man zwischen beiden Fällen unterscheidet (dann bist Du mE Kompatibilist und kein "harter" Determinist mehr [denn der denkt, dass alles wegen TNR unbeeinflussbar geschieht]) oder Du findest es nicht richtig. Ent- oder weder. Oder Du gestehst das nur wegen irgendwelcher strategischen Überlegungen zu, meinst aber eigentlich was anderes. Was irgendwie, hm, seltsam wäre und für mich gänzlich unverständlich. Das fände ich auch dann sehr unredlich von Dir. Sag' doch einfach, was Du wirklich denkst. Sonst wird das hier nur unerquicklich.

step hat folgendes geschrieben:
Und "Verantwortung" bedeutet bei mir nicht mehr als die Erwartung moralisch konformer Entscheidungen.

Hm. Naja. Das glaube ich jetzt nicht. Erwartungen hängen von bestimmten Kriterien ab. Von einem Junkie erwartet man z.B. nicht, dass er einen nicht bestiehlt. Weil, wenn man Junkies kennt, das gar nicht erwarten kann.

Von einem normalen Menschen aber erwartet man das und man glaubt, dass diese Erwartung erfüllt werden kann. Dabei könnte man sich natürlich immer noch irren, wenn er vielleicht Kleptomane oder auch Junkie ist. Wenn er das aber nicht ist und wenn er sonst keine Entschuldigungsgründe vorbringen kann und die auch kein Psychologe in einem Prozess feststellen kann, dann rechnet man sie ihm normalerweise zu. So, wie man seinem Mitbewohner in einer WG einen Vorwurf machen würde, wenn er nie abwaschen würde. Niemand kann mir erzählen, er würde das nicht tun. Auch der härteste aller Deterministen nicht. Das glaube ich nämlich nicht, ich hielte diese Aussage für eine Lüge. Wenn ich gleichzeitig wüsste, dass dieser härteste Determinist aller Zeiten wüsste, dass der Abwaschverweigerer in allen früheren WGs regelmäßig abgewaschen hätte. Dass dieser Hardcore-Determinist dann tatsächlich annehmen würde, derjenige könnte nicht abwaschen, anstatt dass er annehmen würde, derjenige wollte es einfach nicht, das glaube ich kaum. Und ich glaube auch nicht, dass der Hardcore-Determinist da keinen Unterschied zwischen "nicht wollen" (absichtlich / beeinflussbar) und "nicht können" (unabsichtlich / nicht beeinflussbar) sehen würde.

step hat folgendes geschrieben:
Diese (mglw. nicht gängigen) Definitionen passen zu obiger Darstellung. Eine Unterschiedung zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" ist zwar nicht mehr so zentral wie bei Vergeltungsstrafen (wo sie es übrigens früher auch nicht war), aber kann auch für die Auswahl der besten Präventionsmethode immer noch eine Rolle spielen.

Das ist nicht ganz korrekt, wenn ich Deine obigen Ausführungen betrachte (die Kriterien für eine Schadensersatzverpflichtung), denn dabei geht es eben nicht um Prävention, sondern um den Ausgleich eines entstandenen Schadens. Für den muss wohl auch deiner Ansicht nach erst mal eine verschuldete Handlung festgestellt werden, es gibt bestimmte Kriterien, die festgelegt sind und demnach überprüft werden müssen. Und dabei spielt der Unterschied zwischen absichtlichen / unabsichtlichen Handlung die grundlegende Rolle. Und das bedeutet eben schuldhaftes Verhalten in meinem Sinne.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- ich halte es für falsch, die Sprache ändern zu wollen. Ich meine, das Wort "Strafe" ist weiterhin unerlässlich, da es eben eine Übelzufügung bedeutet, zu der man stehen sollte und die daher legitimiert werden muss.

Eine Strafe ist aber nicht eine beliebige Übelzufügung, sondern eine ganz bestimmte, teilweise auf Sühne einer Schuld gerichtete und von einer Sicherungsmaßnahme deutlich getrennte:

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Die Strafe ist ein aggressiver Akt gegenüber dem zu Strafenden, der als Folge eines normenverletzenden Verhaltens durch den zu Strafenden vollzogen wird und deshalb im Unterschied zu anderen Formen von Aggression als legitim angesehen wird. [...]

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Strafe im Sinne des Strafrechts ist nach einer vorherrschenden Definition ein Übel, das einer Person, (dem „Täter“), für ihr eigenes, vergangenes, tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln (Tun oder Unterlassen) von der Gesellschaft auferlegt wird und mit dem ein sozialethischer Tadel gegenüber dieser Person verbunden ist. Der Begriff der Strafe setzt sich damit von dem der Maßregel der Besserung und Sicherung ab, für die eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat ausreicht. ... [...]

Daher ist es aus meiner Sicht kein Euphemismus und keine Vernebelung, sondern ganz bestimmte Aspekte, die es nur bei einer Strafe gibt, sollen wegfallen. Strafe wäre dann ähnlich tabu wie Folter oder Mißbrauch.

Na gut. In diesem Punkt sind wir dann wohl extrem gegensätzlicher Meinung und ich sehe dann hier auch erst mal keinerlei Möglichkeit zur Annäherung. Dazu sind die Ansichten wohl zu unterschiedlich.

Eine Strafe ist ein aggressiver Akt. Ganz genau, so ist es. Und ein aggressiver Akt bedarf der Legitimation, er darf mE nicht "einfach so" staatlicherseits vollzogen werden. Es wäre aber eben mE ein sich-in-die-Tasche-lügen, dass eine "Maßnahme" in Deinem Sinne das nicht wäre und daher weniger einer Legitimation bedürfte. Und es ist ebenso ein sich-in-die Tasche-lügen, dass eine "Maßregel der Sicherung und Besserung" kein Übel / ein geringeres Übel als eine Strafe wäre.
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step
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Beitrag(#1354683) Verfasst am: 04.09.2009, 12:24    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... "absichtlich" bedeutet bei mir nicht mehr, als daß das Gehirn eine Handlungsentscheidung aufgrund einer Entscheidung traf, deren Präferenzgrundlage bewußt wurde.
... Entweder findest Du es plausibel, dass man zwischen beiden Fällen unterscheidet (dann bist Du mE Kompatibilist und kein "harter" Determinist mehr [denn der denkt, dass alles wegen TNR unbeeinflussbar geschieht]) oder Du findest es nicht richtig.

Natürlich existiert auch für den Deterministen faktisch ein Unterschied zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich", wie ich ja bereits schrieb. Der Unterschied liegt in der Art der (jeweils komplett determinierten) Entscheidungsvorgänge. Nur ist dieser Unterschied eben mE nicht mehr "fundamentaler" Natur und begründet nicht per se eine vergeltende Bestrafung im präferenten Fall.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und "Verantwortung" bedeutet bei mir nicht mehr als die Erwartung moralisch konformer Entscheidungen.
Hm. Naja. Das glaube ich jetzt nicht. Erwartungen hängen von bestimmten Kriterien ab. Von einem Junkie erwartet man z.B. nicht, dass er einen nicht bestiehlt. Weil, wenn man Junkies kennt, das gar nicht erwarten kann.

Eben. Man erwartet von ihm kein konformes Verhalten, also mißt man ihm in diesem Punkt keine Verantwortung zu.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Von einem normalen Menschen aber erwartet man das und man glaubt, dass diese Erwartung erfüllt werden kann. Dabei könnte man sich natürlich immer noch irren, wenn er vielleicht Kleptomane oder auch Junkie ist. Wenn er das aber nicht ist und wenn er sonst keine Entschuldigungsgründe vorbringen kann und die auch kein Psychologe in einem Prozess feststellen kann, dann rechnet man sie ihm normalerweise zu. So, wie man seinem Mitbewohner in einer WG einen Vorwurf machen würde, wenn er nie abwaschen würde.

Abgesehen von der schuldbeladenen Ausdrucksweise ist das doch genau, was ich sage: Einem als normal eingeschätzen Mitmenschen weist man diese Verantwortung zu, weil/indem man erwartet, daß er sich diesbezüglich konform verhält.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Wenn ich gleichzeitig wüsste, dass dieser härteste Determinist aller Zeiten wüsste, dass der Abwaschverweigerer in allen früheren WGs regelmäßig abgewaschen hätte. Dass dieser Hardcore-Determinist dann tatsächlich annehmen würde, derjenige könnte nicht abwaschen, anstatt dass er annehmen würde, derjenige wollte es einfach nicht, das glaube ich kaum. Und ich glaube auch nicht, dass der Hardcore-Determinist da keinen Unterschied zwischen "nicht wollen" (absichtlich / beeinflussbar) und "nicht können" (unabsichtlich / nicht beeinflussbar) sehen würde.

Er würde keinen Unterschied machen auf neurologischer, physikalischer Ebene: nicht wollen = nicht können. Er würde aber natürlich einen Unterschied machen in bezug auf die Art der zu wählenden Maßnahme, denn wenn der Abwaschverweigerer etwa eine körperliche Blockade (z.B. keine Arme) hat, muß die anders gelöst werden, als wenn er eine psychische Blockade (z.B. Spülmittelphobie) oder eine für die Anderen ungünstig determinierte Präferenz (z.B. mangelnde Hilfsbereitschaft) hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Diese (mglw. nicht gängigen) Definitionen passen zu obiger Darstellung. Eine Unterschiedung zwischen "absichtlich" und "unabsichtlich" ist zwar nicht mehr so zentral wie bei Vergeltungsstrafen (wo sie es übrigens früher auch nicht war), aber kann auch für die Auswahl der besten Präventionsmethode immer noch eine Rolle spielen.
Das ist nicht ganz korrekt, wenn ich Deine obigen Ausführungen betrachte (die Kriterien für eine Schadensersatzverpflichtung), denn dabei geht es eben nicht um Prävention, sondern um den Ausgleich eines entstandenen Schadens. Für den muss wohl auch deiner Ansicht nach erst mal eine verschuldete Handlung festgestellt werden, es gibt bestimmte Kriterien, die festgelegt sind und demnach überprüft werden müssen. Und dabei spielt der Unterschied zwischen absichtlichen / unabsichtlichen Handlung die grundlegende Rolle. Und das bedeutet eben schuldhaftes Verhalten in meinem Sinne.

Sehe ich anders. Ich habe oben extra versucht (jedenfalls in dem formaleren Beitrag mit den Punkten 1.-4.), den Schadensausgleichsaspekt von der Verursacherfrage zu trennen und letztere nur für die Ermittlung geeigneter Präventionsmaßnahmen heranzuziehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Eine Strafe ist ein aggressiver Akt. Ganz genau, so ist es. Und ein aggressiver Akt bedarf der Legitimation, er darf mE nicht "einfach so" staatlicherseits vollzogen werden.

Ja, genau. Aber außer "er verdient das" kam da bisher nicht viel, auch bei Burkhardt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es wäre aber eben mE ein sich-in-die-Tasche-lügen, dass eine "Maßnahme" in Deinem Sinne das nicht wäre und daher weniger einer Legitimation bedürfte. Und es ist ebenso ein sich-in-die Tasche-lügen, dass eine "Maßregel der Sicherung und Besserung" kein Übel / ein geringeres Übel als eine Strafe wäre.

Aber dieser Vorwurf kann sich ja wohl kaum an mich richten. Ich habe das ja jetzt schon mehrfach bestätigt und zumindest einen mE schwerwiegenden Begründungskandidaten angegeben, nämlich den Zweck, den man damit für die Zukunft erreichen kann, wenn man einegewisse Verhältnismäßigkeit wahrt. Übelzufügung als "Maßnahme" kann man eben aus meiner ethisch-rationalen Sicht nicht so einfach vom Tisch wischen wie vergeltende Strafe.
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Beitrag(#1354858) Verfasst am: 04.09.2009, 17:49    Titel: Abschaffung der Justiz mit Hilfe von "Hirnforschung" und "Physik& Antworten mit Zitat

Zitat:
Möge bitte niemand glauben, der unerschrockene Gedankenaustausch über die Jugendkriminalität käme auf Dauer ohne die Hirnforschung aus! Verknüpft man den jederzeit ausbaufähigen Gedanken der Prävention mit der neurowissenschaftlichen These vom „geborenen Verbrecher“, dann kommt man zu überraschend sauberen Schlussfolgerungen.

Axel Boetticher, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, macht darauf in der neuen Ausgabe von „Psychologie heute“ aufmerksam. Er stellt sich probeweise den Forderungen namhafter Hirnforscher, die die Abschaffung des Schuldstrafrechts fordern zugunsten einer präventiven Sicherheitsverwahrung für Menschen mit kriminologisch auffälligem Hirn. (...)

Im politischen Diskurs der Härte könnte nächstens eine Vision heranschweben, die Boetticher so beschreibt: „Es ist eine unglaubliche Vorstellung, aus präventiven Gründen flächendeckend die Gehirne von Kindern und Jugendlichen zu scannen, so wie manche Neurowissenschaftler sich das ausmalen.“ (...)

Raus aus dem Richterstaat, rein in den Neuro-Staat! Wenn man das weiterdenkt, ließen sich Kriminelle allein aufgrund einer Hirndiagnose einsperren - noch dazu, bevor sie straffällig werden. Ein Traum würde wahr: Deutschland wäre sicher! Markowitsch weist den Weg: „Die Hirnforschung könnte das Rechtssystem insgesamt auf ein objektiveres Fundament stellen. Ein wissenschaftlich fundiertes Maßnahmerecht wäre das Ziel.“


Quelle: F.A.Z., 09.01.2008, Nr. 7 / Seite 29


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Sanne
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Beitrag(#1354877) Verfasst am: 04.09.2009, 18:08    Titel: Re: Abschaffung der Justiz mit Hilfe von "Hirnforschung" und "Phy Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Quelle: F.A.Z., 09.01.2008, Nr. 7 / Seite 29
[/r


Geschockt

Danke für den Link.
Was sind denn das für Idioten? Das Gehirn alleine reicht ja wohl nicht aus, um kriminelle oder sonstige Taten zu begehen, dafür braucht man ja nun auch noch die entsprechenden Umweltbedingungen. Und ich bezweifle, daß ein Neurologe anhand eines Gehirnscans sämtliche Umweltbedingungen voraussehen kann.
Und erst recht nicht bei den Gehirnen von Kleinkindern oder Ungeborenen: Da müßte man sämtliche Umstände und Umweltbedingungen voraussagen, unter welchen sich das Gehirn erstmal entwickeln wird, bis es überhaupt in dem Alter ist, eine kriminelle Tat zu begehen.

Die Annahme, menschliches Verhalten sei determiniert, ist von der Behauptung, man könne exakte Vorhersagen über das Verhalten eines bestimmten Menschen in ferner Zukunft treffen, logischerweise eigentlich ein paar Galaxien weit entfernt, weil man eben für exakte Vorhersagen unendlich viele Informationen benötigt.
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step
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Beitrag(#1354889) Verfasst am: 04.09.2009, 18:17    Titel: Antworten mit Zitat

@Skeptiker: Linkes oder rechtes Hetzblatt, macht dann auch schon keinen Unterschied mehr, gell?

- die "neurowissenschaftliche These vom „geborenen Verbrecher“" - welcher angesehene Neurowissenschaftler vertritt die, bitte Beleg. Von Roth und Singer habe ich das noch nie gelesen.

- Und wer hier im Forum vertritt die These, "dass menschliche Handlungen vom limbischen System gesteuerte Naturgeschehen sind, deren Abläufe bereits vor der Geburt determiniert sind"?

- Und wie kommt es, daß ständig von Sicherungsverwahrung geschrieben wird, als ob die Hirnforscher nichts lieber täten? Schreib Du jetzt mal konkret, was Du mit einem hochgradig wiederholungsgefährdeten Sexualstraftäter im Sozialismus machen würdest!
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