Wollen wir uns doch nicht über Worte streiten. Vielleicht ist das Wort "Esoterik" für die in der breiten Realität ablaufenden "kulturellen Prozesse" nicht ganz angemessen. Seis drum, jeder weiß, was gemeint ist.
Und ich warte immer noch auf den Religionssoziologen, der mir das ganze Phänomen begreifbar macht. Denn irgendwie begreife ich es doch nicht. Bekannte von mir nannte die Esoteriker "eine Sekte". Aber erst einmal ist dieses ganze Phänomen inzwischen schon viel zu groß geworden, um noch als Sekte abgetan zu werden. Zum zweiten trifft Sekte eben überhaupt nicht.
Esoteriker sind "spirituelle Menschen", die sich ihre Spiritualität aus einem großen "Warenangebot" aussuchen. Die Ware kann aus einem Buddhistischen, aus einem Hinduistischen, einem "Indianer" Umfeld kommen, auch mal aus einem Christlichen, wie ich gesehen habe, erstaunlicherweise nie aus einem Islamischen. An sich widersprechen sich diese verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. In der Esoterik wird aber alles, alle diese religiösen oder auch weniger religiösen Versatzstücke zu einem großen Markt vereint, man geht in eine esoterische Buchhandlung und findet alles, was das Herz begehrt. Eine frei wuchernde, sich für alles interessierende "Spiritualität".
Ist das etwas modernes? Oder werden wir vielleicht immer asiatischer? In Japan - habe ich gehört - ist die Religion weniger ein absolut prägendes Kulturphänomen. Man geht mal hier, mal dort ne Runde beten. In Durants Kulturgeschichte der Menschheit habe ich gelesen, daß der Chinese solange zu seinem Gott hält wie er ihm nützt, und wenn er ihm nichts mehr nützt, schmeißt er ihn aus dem Fenster.
Und wie ist eigentlich das Verhältnis von Christentum und Esoterik in diesem Land? Während die großen Kirchen mit ihren "Sektenbeauftragten" etc die religiöse Absplitterung bekämpfen, habe ich fast den Eindruck, als ob die Kirchen sich bemühen, gegenüber der Esoterik nicht zu abweisend zu sein. Ich habe fast den Eindruck, als ob das Christentum gegenüber dem "Aberglauben" eine größere Toleranz zeigte. So nach dem Motto: Aberglauben gab es schon immer, die Esoterik gab es schon immer, aber wenn unsere Schäflein zur Esoterik neigen, geben wir sie doch nicht verloren.
Ist Esoterik gefährlich? Na ja, es ist wohl auch schon gefährlich für den Geldbeutel. Es kann gefährlich sein, sich auf die Esoterik zu sehr zu verlassen. Aber ich glaube, die Esoterik ist vielleicht doch nicht so gefährlich wie eine Sekte. Esoterik erfüllt alle Wünsche, oder gibt zumindestens vor, es zu tun. Der Esoterik "Anbieter" agiert auf einem Markt. Je mehr er "Wünschbarkeiten" erfüllt, angeblich erfüllt, desto erfolgreicher ist er. Man muß das nicht nur negativ sehen, finde ich. Das ist weit entfernt von der finsteren Welt allein selig machender Sekten.
In diesem Sinne noch mal die Frage an die Exmuslime unter uns ( bin ja Exchrist): Gibt es etwa in der Türkei so etwas wie einen Esoterikmarkt? Das würde mich schon brennend interessieren. Ist dieses moderne Phämomen der westlichen Gesellschaft vielleicht doch auch wenigstens in einem islamischen Land ( sofern denn die Türkei ein islamisches Land ist - für mich schon) angekommen? Daß in Saudi Arabien dergleichen nicht möglich ist, leuchtet ein.
Der Islam führt ja einen unerbittlichen Kampf gegen den Aberglauben. Das beginnt schon mit dem Bildverbot. Der geradezu unausrottbaren Sehnsucht der Menschen sich Bilder zu Götzen zu machen wird im Islam ein scharfer Kampf angesagt. Ich weiß nicht, ob ich das sympathisch finden soll. Einerseits ja. Der Muslim läuft nicht einem Heiligenbildchen hinterher. Heraklit hat ja mal gesagt, daß die Menschen vor solchen Götzenbildern liegen wie vor Göttern. Und selbst wenn es "Abbilder von Göttern" sind, ist ihre Anbetung ja eigentlich Götzendienerei. Darin liegt die Entfremdung des intelligenten Menschen vor einem unbegreiflichen Atavismus der Götzendienerei. Damit hat der Islam tatsächlich aufgeräumt. Und das finde ich einerseits schon sympathisch und es wird sicherlich eine Quelle islamischen Überlegenheitsgefühl sein. Obwohl die Protestanten ja sicher auch mal "Bilderstürmerei" betrieb, aber von der Rigidität der Anfänge längst abgerückt sind. Es gibt aber keine "schöne kitschige Bilder" von Mohammed etc. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft, der Islam ist nicht so eine "kitschige Religion" wie die anderen. Merkwürdigerweise hat diese "Errungenschaft" ( und ich glaube gerade im Lichte der Aufklärung ist dies eine Errungenschaft) den Islam nicht weitergeführt, sondern eher erstarren lassen.
Anderseits finde ich es auch wieder unsympathisch. Warum dem kleinen Mann seine Heiligenstatuen und kitschigen Bildchen weg nehmen, an denen er hängt? Warum der Religion ihren sinnlichen Bezug weg nehmen? Also ich bin da hin und her gerissen. Und vor allem: Dieser "Fortschritt" hat Konsequenzen. Gibt es einen islamischen Film über das Leben Mohammeds? Nein, das wäre wohl nicht möglich, das käme mit dem Bildertabu in Konflikt, das heißt aber, das es unmöglich ist, sich mit religiösen Inhalten filmisch überhaupt auseinanderzusetzen und damit das stärkste Medium der Auseinandersetzung bereits ausfällt.
Und die westliche Esoterik arbeitet eben auch sehr stark mit Bildern, schönen kitschigen Bildern, die nur nicht immer mit Jesus zu tun haben müssen. Insofern frage ich mich schon, ob die Esoterik in der Türkei schon vor diesem Hintergrund vielleicht keine Chance hätte.
Jedenfalls bin ich der Auffassung, daß der Islam auf Grund seiner "zivilisatorischen Errungenschaften" ( und an sich ist die Abkehr vom sinnlichen Götzen mit Sicherheit eine Errungenschaft, nur eine unbedingt notwendige?) unfähig ist, sich auf andere Kulturen einzulassen, die die sinnliche Erfahrung von Spiritualität kennen, wie die christliche ( besonders die katholische!), aber sicher auch andere Religionen.
Ja, aber wie ist es nun mit der Esoterik in der Türkei?
Gruß Martin |