Rückwirkungsverbot faktisch aufgehoben
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Freigeisterhaus -> Politik und Geschichte

#1: Rückwirkungsverbot faktisch aufgehoben Autor: Ilja BeitragVerfasst am: 06.02.2004, 00:36
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Nachdem es ja schon durch die Mauerschützenurteile erheblich angekratzt war, hat das Rückwirkungsverbot jetzt durch ein Urteil über Sicherheitsverwahrung einen weiteren erheblichen Kratzer abgekriegt:

"3. Das absolute Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs.2 GG ist nicht
verletzt. Dieses umfasst die Maßregeln der Besserung und Sicherung des
Strafgesetzbuchs nicht."

Man braucht bloß ein und dasselbe, nämlich Knast, anders zu nennen, nämlich Sicherheitsverwahrung, schon gilt das Rückwirkungsverbot nicht mehr. Vermutlich wird man so auch alle möglichen anderen rechtsstaatlichen Grundsätze aushebeln können. Was die Irrenanstalt für sowjetische Dissidenten war, könnte die Sicherheitsverwahrung hier in D so auch mal werden: Strafe außerhalb rechtsstaatlicher Grenzen. Die Grenze des Rückwirkungsverbots gilt zumindest nicht mehr. Die Zukunft wird zeigen was noch alles fällt.

Dass die Sicherheitsverwahrung außerhalb rechtsstaatlicher Prinzipien liegt, zeigt ja schon seine braune Herkunft: "Eingang in das Strafgesetzbuch fand schließlich das zweispurige Sanktionensystem mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933".

"Nach § 42f RStGB war die Unterbringung nicht befristet und hatte so lange fortzudauern, als ihr Zweck - Schutz der öffentlichen Sicherheit - es erforderte."

"Mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BGBl I 1969 S. 717) am 1. Januar 1975 wurde § 42e Abs. 1 und 2 StGB inhaltlich unverändert zum heutigen § 66 Abs. 1 und 2 StGB. Das Gesetz behielt die Fristen für die gerichtliche Überprüfung der Sicherungsverwahrung bei und brachte sie in die heutige Fassung der §§ 67c und 67e StGB. Jedoch begrenzte der Gesetzgeber die Dauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 1 StGB auf zehn Jahre und ersetzte dadurch die frühere Regelung des § 42f StGB."

So sind wir also mitten in einer Renazifizierung des Strafrechts.

Und die Abschätzung der Verhältnismäßigkeit überlässt das Gericht natürlich anderen: "Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers
hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit des von ihm gewählten
Mittels sowie der dabei notwendigen Einschätzung und Prognose des
Gefahrenpotentials ist vom Bundesverfassungsgericht nur begrenzt
überprüfbar." heißt es dazu vornehm. Tja, das höchste Gericht (und das Einzige was den Einzelnen vor der Willkür von Mehrheitsentscheidungen bewahren könnte) überprüft gewisse Sachen also gar nicht erst.

Weiter so, dann kann es sich gleich selbst auflösen.

#2:  Autor: MarkusWohnort: Südhessen BeitragVerfasst am: 06.02.2004, 15:30
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Kann es sein, dass Du Dich hier besonders deshalb echauffierst, weil dieses Spruch sich ausdrücklich auf Sexualstraftäter, von denen Du ja einer bist, bezieht?
Hast Du Grund, Angst zu haben?

#3:  Autor: frajo BeitragVerfasst am: 06.02.2004, 15:52
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Markus hat folgendes geschrieben:
Kann es sein, dass Du Dich hier besonders deshalb echauffierst, weil dieses Spruch sich ausdrücklich auf Sexualstraftäter, von denen Du ja einer bist, bezieht?
Hast Du Grund, Angst zu haben?

das thema ist wirklich interessant. leider habe ich den ausgangsbeitrag nicht so richtig verstanden.
wenn das rückwirkungsverbot aufgehoben oder aufgeweicht wird, dann liegt tatsächlich ein veritabler (aber deswegen leider nicht nicht-alltäglicher) skandal vor.
und dann spielt es auch keine rolle, wer aus welchen gründen den skandal anzeigt.

#4:  Autor: Ilja BeitragVerfasst am: 09.02.2004, 01:02
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Markus hat folgendes geschrieben:
Kann es sein, dass Du Dich hier besonders deshalb echauffierst, weil dieses Spruch sich ausdrücklich auf Sexualstraftäter, von denen Du ja einer bist, bezieht? Hast Du Grund, Angst zu haben?

Angst um mich selbst habe ich noch nicht. Allerdings ist dies mal wieder ein Schritt in die falsche Richtung. Genau wie die Mauerschützen-Urteile (die ja auch schon am Rückwirkungsverbot gerüttelt haben) ein solcher falscher Schritt waren.

Das BVerfG erscheint durch solche Urteile immer mehr als politisches Gericht. Man hat vielleicht eine Chance, wenn man in einer zwischen Regierung und Opposition strittigen Frage klagt, aber dazu wozu es eigentlich nötig wäre - nämlich den Einzelnen vor der Willkür großer Mehrheiten zu schützen - bringt es faktisch doch nichts.



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