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Ein paar aktuelle Hinweise zum Thema Kreationismus und ID
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



Anmeldungsdatum: 28.03.2004
Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main

Beitrag(#198979) Verfasst am: 24.10.2004, 10:27    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Martin!

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Hypothesenentwicklung für die Evolution eines Bakterienmotors oder des Fangapparats des Wasserschlauchs ist nicht so schwierig wie etwa für ein Linsenauge.

Das sehe ich anders. Erstens kennen wir primitivere Augen-Typen und können mithilfe von Doppelfunktionen (unter Wahrung von Funktionalität und Adaptivität) eine - wenn auch simplistische - Kausalerklärung liefern. Und im Hinblick auf das Synorganisationsproblem haben hierzu Gehring und Ikeo einen überaus interessanten Lösungsansatz präsentiert, der durchaus mit Riedl Systemansatz kompatibel ist: Wenn man mit dem Regulatorgen und einem lichempfindlichen Pigment beginnt, könnten weitere Gene interkaliert bzw. unter die Kontrolle des Regulatorgens geraten und die Funktion schrittweise optimiert worden wird.

Gehring, W.J.; Ikeo K. (1999): pax 6 mastering eye morphogenesis and eye evolution. Trends Genet. 15 (9), 371-177.

Die Entstehung der Saugfalle von Utricularia scheint dagegen völlig im Dunkeln zu liegen. Alles, was wir wissen ist, daß sie aus einem Blatt entstanden ist.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Da hilft am besten W. F. Gutmann. zwinkern

Sorry, das müßtest Du erklären. Mehr als ein paar "Buzzwords" (hydraulische Systeme, Entwicklung nach dem Ökonomieprinzip etc.) scheint aus dieser Ecke noch nicht gekommen zu sein. Wo sich in dem Konzept (welches einseitig nur "innere" Prinzipien gelten läßt) die Erklärungsleistung verbergen mag, habe ich noch nicht herausgefunden.


Ich splitte mal, damit die Postings nicht gar so ellenlang werden. zwinkern

Wie ich sehe, erinnerst Du Dich noch an meinen Link. In der Tat hat mir in diesem Artikel der angedeutete systemische Ansatz sehr gut gefallen. Der Begriff "Doppelfunktion" ist hier aber fehl am Platze (organismische Konstruktion reicht) und auch mit der "Optimierung" verhält es sich nicht ganz so einfach (In welcher Beziehung?). Jedenfalls mußt Du die Lücken zwischen den primitiven und differenzierteren Augenkonstruktionen mit Ableitungsmodellen füllen (mal ganz abgesehen von gewissen Reihenfolgenproblemen (bsw. Becherauge -> Komplexauge ?), die dabei zu lösen sind).

Was kennst Du denn alles aus der Ecke von Gutmann & Co? Könnte eine Grafik wie nachfolgend Dir denn etwas sagen?





Aber erstelle doch selbst mal eine konstruktionsmorphologische Rekonstruktion z. B. vom Fangapparat des Wasserschlauchs. Für den Anfang, um ein Gefühl für biologische Prinzipien der Mechanik/Hydrostatik/Bionik zu bekommen:

1) Ist es für eine Schwimmpflanze sinnvoll, über Auftriebskörper zu verfügen?
2) Wo befinden sich diese Auftriebskörper am günstigsten?
3) Wie erfolgt der Gasaustausch in den "Bläschen"?
4) Wie bewältigt die Pflanze Verunreinigungen?
5) Könnte die Blüte eine Rolle spielen?








Cheers,

Lamarck
_________________
„Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)

„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)

„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#199096) Verfasst am: 24.10.2004, 14:40    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Von jemandem, der ernsthaft vertritt, die Psyche spiele bei der Entstehung der Moleküle aus Atomen ein Rolle, habe ich bisher nichts gelesen.

Doch, hier, ich! Und Karl Popper. Und Hans Albert. Und Gründungsmitglied Hans-Joachim Niemann von der GKPN.

Ohne menschliche Psyche (und das was sie hervorgebracht hat: Inhalte von Büchern und Zeitschriften, Konstrukte, ...) gäbe es kein Polyaethylen, kein Siliziumriesenkristalle ( wie in Sonnenzellen) und kein Contergan.
Zitat:
Oder meintest Du etwas anderes, z.B. TW's berüchtigte Top-Down-Wirkung?

Das ist das Gleiche.

Zitat:
Auch die Übertreibung in die andere Richtung, also der Glaube, daß die Physik nicht ausreiche, um Chemie, Biologie usw. hervorzubringen, wurde ja eine Zeitlang vertreten.

Das glaube ich nicht, weil die Physik "offen" ist. Offenbar erlaubt die Physik, dass in ihr Dinge wie Dampfmaschinen und menschliche Psychen emergieren.

Zitat:
Offensichtlich habe ich doch nicht genau verstanden, was dieser Klotzmaterialismus sein soll. Vielleicht wird es klarer, wenn Du einen chemischen Vorgang benennst, der nach derzeitig bester Theorie nicht rein physikalisch zu erklären ist.

Ich behaupte, die chemischen Eigenschaften eines Benzolrings waren physikalisch nicht vorherzusehen, als man nur die Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff kannte. Und die chemischen Eigenschaften des Elements Unoctbium kann man auch nur bedingt voraussagen. (Bsp.: Gibt es Unoctbiumdioxid? Ist es stabil? Ist es leitend oder nichtleitend? Wie hoch ist sein Schmelzpunkt, Siedepunkt, ...) All das sind emergente Systemeigenschaften, die vorher nicht da waren und die auch nicht aus der Physik deduziert werden können. Trotzdem ist natürlich Unoctbium reine Physik.

Gruss

KP
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Klaus-Peter
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Beiträge: 1534

Beitrag(#199115) Verfasst am: 24.10.2004, 15:07    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber erstelle doch selbst mal eine konstruktionsmorphologische Rekonstruktion z. B. vom Fangapparat des Wasserschlauchs. Für den Anfang, um ein Gefühl für biologische Prinzipien der Mechanik/Hydrostatik/Bionik zu bekommen:

1) Ist es für eine Schwimmpflanze sinnvoll, über Auftriebskörper zu verfügen?
2) Wo befinden sich diese Auftriebskörper am günstigsten?
3) Wie erfolgt der Gasaustausch in den "Bläschen"?
4) Wie bewältigt die Pflanze Verunreinigungen?
5) Könnte die Blüte eine Rolle spielen?


Hallo Lamarck,

soweit ich informiert bin, nennt man diese Vorgehensweise nicht Konstruktivismus, sondern Adaptionismus.

Gruss

KP
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#199124) Verfasst am: 24.10.2004, 15:14    Titel: Antworten mit Zitat

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ohne menschliche Psyche (und das was sie hervorgebracht hat: Inhalte von Büchern und Zeitschriften, Konstrukte, ...) gäbe es kein Polyaethylen, kein Siliziumriesenkristalle (wie in Sonnenzellen) und kein Contergan.

Ja klar, na und?
Du sagst doch auch nicht: "H erlaubt die Bildung von H2. Ohne H2 gäbe es kein CH4 auf der Erde. Also hat H2 CH4 hervorgebracht." Die Bedingung "ohne das ... gäbe es kein" sagt nichts über eine wesentliche Top-Down-Wirkung aus.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich behaupte, die chemischen Eigenschaften eines Benzolrings waren physikalisch nicht vorherzusehen, als man nur die Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff kannte.

Ja, aber nicht deshalb, weil sie sich prinzipiell nicht vorhersagen ließen, sondern weil die Simulationstechnik / Rechenstärke nicht groß genug war.

gruß/step
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#199140) Verfasst am: 24.10.2004, 15:34    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Du sagst doch auch nicht: "H erlaubt die Bildung von H2. Ohne H2 gäbe es kein CH4 auf der Erde. Also hat H2 CH4 hervorgebracht." Die Bedingung "ohne das ... gäbe es kein" sagt nichts über eine wesentliche Top-Down-Wirkung aus.

Ich habe ja auch mehr behauptet: Die menschliche Idee, ein wirksames Schlafmittel herzustellen, war die kausale Ursache für die Existenz von Contergan.

step hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich behaupte, die chemischen Eigenschaften eines Benzolrings waren physikalisch nicht vorherzusehen, als man nur die Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff kannte.

Ja, aber nicht deshalb, weil sie sich prinzipiell nicht vorhersagen ließen, sondern weil die Simulationstechnik / Rechenstärke nicht groß genug war.

Sagst Du. Aber soweit ich weiß, hat bis heute niemand ein Verfahren, nicht einmal die Idee zu einem Verfahren, wie es prinzipiell gehen könnte - die Rechenstärke vorausgesetzt. Soweit ich weiss, kann mandie Eigenschaften des Benzolrings nicht aus den Schrödingergleichungen von Kohlenstoff und Wasserstoff deduzieren, sondern muss eine neue aufstellen, in die wesentliche (geometrische) Eigenschaften des Benzolringes schon mit einfliessen.

Deshalb habe ich das zweite Beispiel mit dem Unoctbium gebracht: Man kennt ein "Gesetz" zur Vorhersage: das Schema des Periodensystems. Aber das liefert nur Hypothesen, die man verifizieren muss (und bis jetzt nicht kann, weil es das Ding noch nicht gibt). Und selbst das Periodensystem selber war m.E. unvorhersagbar, als es nur Wasserstoff gab.

Gruss

KP
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



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Beitrag(#199183) Verfasst am: 24.10.2004, 16:49    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter!


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich behaupte, die chemischen Eigenschaften eines Benzolrings waren physikalisch nicht vorherzusehen, als man nur die Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff kannte.

Ja, aber nicht deshalb, weil sie sich prinzipiell nicht vorhersagen ließen, sondern weil die Simulationstechnik / Rechenstärke nicht groß genug war.

Sagst Du. Aber soweit ich weiß, hat bis heute niemand ein Verfahren, nicht einmal die Idee zu einem Verfahren, wie es prinzipiell gehen könnte - die Rechenstärke vorausgesetzt. Soweit ich weiss, kann mandie Eigenschaften des Benzolrings nicht aus den Schrödingergleichungen von Kohlenstoff und Wasserstoff deduzieren, sondern muss eine neue aufstellen, in die wesentliche (geometrische) Eigenschaften des Benzolringes schon mit einfliessen.

Deshalb habe ich das zweite Beispiel mit dem Unoctbium gebracht: Man kennt ein "Gesetz" zur Vorhersage: das Schema des Periodensystems. Aber das liefert nur Hypothesen, die man verifizieren muss (und bis jetzt nicht kann, weil es das Ding noch nicht gibt). Und selbst das Periodensystem selber war m.E. unvorhersagbar, als es nur Wasserstoff gab.


Yep. Aber wie machst Du das genau? - Deduktion wird Dir hier doch nichts nützen - was läßt Dich denn Deine Hypothesen finden? zwinkern


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber erstelle doch selbst mal eine konstruktionsmorphologische Rekonstruktion z. B. vom Fangapparat des Wasserschlauchs. Für den Anfang, um ein Gefühl für biologische Prinzipien der Mechanik/Hydrostatik/Bionik zu bekommen:

1) Ist es für eine Schwimmpflanze sinnvoll, über Auftriebskörper zu verfügen?
2) Wo befinden sich diese Auftriebskörper am günstigsten?
3) Wie erfolgt der Gasaustausch in den "Bläschen"?
4) Wie bewältigt die Pflanze Verunreinigungen?
5) Könnte die Blüte eine Rolle spielen?


[..] soweit ich informiert bin, nennt man diese Vorgehensweise nicht Konstruktivismus, sondern Adaptionismus.


Nein. Hier geht es um Methodik. Der Adaptionismus, den Du hier meinst, ist im übrigen überholt. Und Gutmann hat sich wissenschaftstheoretisch sehr stark auf Popper berufen. Die Nachfolger hingegen haben sich mittlerweile größtenteils als softer Konstruktivismus in Richtung Methodischer Kulturalismus (Janich) ausgeformt.

Im Gegensatz zu der weiter verbreiteten Funktionsmorphologie geht die Konstruktionsmorphologie explizit von einem "Konstruktion bestimmt Funktion" aus: Design oder nicht sein, das ist hier die Frage.

Ein gewisses konstruktivistisches Verständnis ist bei dieser Art von Problemen natürlich hilfreich. zwinkern


Cheers,

Lamarck
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Klaus-Peter
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Beiträge: 1534

Beitrag(#199198) Verfasst am: 24.10.2004, 17:09    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Yep. Aber wie machst Du das genau? - Deduktion wird Dir hier doch nichts nützen - was läßt Dich denn Deine Hypothesen finden?

Ich rate. Ich sauge mir auf der Basis von Heuristiken was aus den Fingern. Ich konstruiere mir was, auf der Basis anderer Hypothesen. Und dann überprüfe ich, ob ich richtig geraten habe.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
soweit ich informiert bin, nennt man diese Vorgehensweise nicht Konstruktivismus, sondern Adaptionismus.

Nein. Hier geht es um Methodik. Der Adaptionismus, den Du hier meinst, ist im übrigen überholt.

Sagt wer?

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und Gutmann hat sich wissenschaftstheoretisch sehr stark auf Popper berufen. Die Nachfolger hingegen haben sich mittlerweile größtenteils als softer Konstruktivismus in Richtung Methodischer Kulturalismus (Janich) ausgeformt.

Unter Brüdern, ich glaube, dass die beiden Herren des Kaisers neue Kleider verkaufen. Meinetwegen uner Berufung auf Popper, der kann sich schließlich nicht mehr wehren.

Zitat:
Im Gegensatz zu der weiter verbreiteten Funktionsmorphologie geht die Konstruktionsmorphologie explizit von einem "Konstruktion bestimmt Funktion" aus: Design oder nicht sein, das ist hier die Frage.

Wenn Du Dich präziser ausdrücken könntest, statt auf die obigen Heißluftbläser zu rekurrieren, könnten wir uns darauf womöglich einigen. Aber sicher bin ich mir nicht, weil die Formulierung zu Gutmann-haltig ist.

Zitat:
Ein gewisses konstruktivistisches Verständnis ist bei dieser Art von Problemen natürlich hilfreich. zwinkern


Wäre das wahr, dann dürften wir beide nichts dazu sagen. Mir geht ohnehin jegliches Verständnis für Konstruktivismus ab, und Du verwechselst es, wie erlebt, mit dem Kritischen Rationalismus. zwinkern

Gruss

KP
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#199199) Verfasst am: 24.10.2004, 17:10    Titel: Antworten mit Zitat

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du sagst doch auch nicht: "H erlaubt die Bildung von H2. Ohne H2 gäbe es kein CH4 auf der Erde. Also hat H2 CH4 hervorgebracht." Die Bedingung "ohne das ... gäbe es kein" sagt nichts über eine wesentliche Top-Down-Wirkung aus.

Ich habe ja auch mehr behauptet: Die menschliche Idee, ein wirksames Schlafmittel herzustellen, war die kausale Ursache für die Existenz von Contergan.

Das Argument setzt aber bereits voraus, daß die mesnchliche Idee "atomar" oder "grundlegend" ist. Sonst dürfte man sie nicht als Beginn einer Kausalkette instrumentieren und müßte ragen: "Was sind die kausale Ursachen der menschlichen Idee?" Damit würde man doch wieder bei Biologie, Chemie und letztlich Physik landen.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich behaupte, die chemischen Eigenschaften eines Benzolrings waren physikalisch nicht vorherzusehen, als man nur die Bestandteile Kohlenstoff und Wasserstoff kannte.
Ja, aber nicht deshalb, weil sie sich prinzipiell nicht vorhersagen ließen, sondern weil die Simulationstechnik / Rechenstärke nicht groß genug war.
Sagst Du. Aber soweit ich weiß, hat bis heute niemand ein Verfahren, nicht einmal die Idee zu einem Verfahren, wie es prinzipiell gehen könnte - die Rechenstärke vorausgesetzt. Soweit ich weiss, kann mandie Eigenschaften des Benzolrings nicht aus den Schrödingergleichungen von Kohlenstoff und Wasserstoff deduzieren, sondern muss eine neue aufstellen, in die wesentliche (geometrische) Eigenschaften des Benzolringes schon mit einfliessen.

Das bezweifle ich. Ich kann leider jetzt nicht direkt was zum Benzol schreiben, die klassische Hückeltheorie steckt tatsächlich die zyklische Struktur bereits hinein. Aber ich denke, heute kann man alles from the scratch rechnen.

Der übliche ab-initio Ansatz in der "computational chemistry" geht über
- Hartree-Fock-Gleichungen,
- Born-Oppenheimer Näherung (Kern >> Elektron),
- LCAO-Näherung (Linearkomb. von Atomorbitalen)
- verschiedene numerische Berechnungsverfahren, z.B.
- Self-consistant-Field (Parameter werden variiert, bis sich vernünftige Molekülorbitalenergien ergeben
- Quanten-Monte-Carlo (QMC) Verfahren
- ...

Das Problem bei ab-initio-Berechnungen ist die N^4 Abhängigkeit von der Anzahl der 2-Elektronen-Wechselwirkungsintegrale. Die macht den Rechenaufwand sehr hoch. Mit QMC konnten aber bereits sämtliche Moleküleigenschaften eines 2-, auch mancher 3- und 4-Elektronensystems exakt berechnet werden. Auch das Dipolmoment von CO ist mW auf diese Weise exakt berechnet worden.

Und ich habe auch endlich den langgesuchten Beweis für Thomas Waschke gefunden, daß das Dipolmoment von Wasser ab initio berechnet werden kann, z.B. in:
http://www.europhysicsnews.com/full/04/article2/article2.html
Silvestrelli, P. L.; Parrinello, M., J. Chem. Phys. 1999, 111, 3572.

Vielleicht finde ich auch noch was zum Benzol ...

Übrigens ist in der Kernphysik der QMC-Ansatz schon viel verbreiteter als in der Chemie, es würde mich wundern, wenn nicht auch dort Eigenschaften großer Kerne ab initio berechnet werden könnten.

gruß/step
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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#199214) Verfasst am: 24.10.2004, 17:31    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich habe ja auch mehr behauptet: Die menschliche Idee, ein wirksames Schlafmittel herzustellen, war die kausale Ursache für die Existenz von Contergan.

Das Argument setzt aber bereits voraus, daß die mesnchliche Idee "atomar" oder "grundlegend" ist. Sonst dürfte man sie nicht als Beginn einer Kausalkette instrumentieren und müßte ragen: "Was sind die kausale Ursachen der menschlichen Idee?" Damit würde man doch wieder bei Biologie, Chemie und letztlich Physik landen.

Nein. Ich rede nicht vom "Beginn einer Kausalkette". Einen solchen Beginn gibt es nicht. Die Frage, ob es kausale Ursachen menschlicher Ideen gibt, ist letztlich die Frage, ob und wie man menschliche Ideen auf die neuronale Aktivität der Nervenzellen und damit auf die Biologie reduzieren kann. (Und ich behaupte: Gar nicht. Das eine oder andere Buch in der einen oder anderen Bibliothek wird man dazu auch noch brauchen).

Du suchst letztlich nach einer Letzterklärung. Ich suche nur nach einer reduktionistischen Kausalerklärung, wobei ich in der Mitte anfange und so weit gehe, wie ich komme. (weil mehr ohnehin nicht geht).

zur "ab initio" Rechnung in der physikalischen Chemie:

Wenn Du was über den Benzolring findest, würde mich das allgemein interessieren. Für das hier Diskutierte ist es nicht so wichtig, deshalb mach Dir nicht zu viel Mühe. Mir ging es mit dem Beispiel darum, aufzuzeigen, was ich unter dem Problem der "vollständigen Reduktion" bzw. "Emergenz" verstehe. Offenbar haben wir das selbe Verständnis, was man beweisen muss, um eine vollständige Reduktion der Chemie auf die Physik zu zeigen; die ich für durchaus möglich, aber für noch nicht erreicht halte, da wir eben die entsprechenden ab-initio-Rechnungen (noch?) nicht prüfen können. (Ausserdem weiss ich nicht, wieviel "Struktur" und "Systemwissen" in die besagten Rechnungen reingesteckt wird, das Ganze ist etwas weit ausserhalb meiner Expertise).

Was für mich der Punkt ist: Die Reduzierbarkeit der Chemie auf die Physik ist keinesfalls selbstverständlich, sondern muss explizit bewiesen werden. Ebenso verhält es sich mit Biologie auf Chemie oder Psyche auf Biologie. Man muss dazu kein Spiritist sein, das anzunehmen, sondern nur kritischer Naturalist.

Gruss

KP


Zuletzt bearbeitet von Klaus-Peter am 24.10.2004, 17:35, insgesamt einmal bearbeitet
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step
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Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#199217) Verfasst am: 24.10.2004, 17:35    Titel: Antworten mit Zitat

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Die Reduzierbarkeit der Chemie auf die Physik ist keinesfalls selbstverständlich, sondern muss explizit bewiesen werden. Ebenso verhält es sich mit Biologie auf Chemie oder Psyche auf Biologie. Man muss dazu kein Spiritist sein, das anzunehmen, sondern nur kritischer Naturalist.

Das sehe ich im Prinzip auch so. Aber vielleicht muß man es ja nur beispielhaft durchrechnen ...

Umgekehrt müßten diejenigen, die vermuten, es gehe nicht, vielleicht auch mal was Bißfestes vorlegen, etwa eine plausible Begründung, warum es nicht gehen könne.

gruß/step
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#199237) Verfasst am: 24.10.2004, 18:10    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Soweit ich weiss, kann mandie Eigenschaften des Benzolrings nicht aus den Schrödingergleichungen von Kohlenstoff und Wasserstoff deduzieren, sondern muss eine neue aufstellen, in die wesentliche (geometrische) Eigenschaften des Benzolringes schon mit einfliessen.


Es gibt schon quantenmechanische Verfahren, die das leisten, z.B. die LCAO-Methode. Hier ergibt sich die Gesamtwellenfunktion durch Linearkombination der Atomorbitale. Die Berechnung der Energiefunktionen führt zu einem Ausdruck, der aus eine Reihe von Integralen (Coulomb-, Überlappungs-, und Resonanz-Integral) besteht. Hier die Energiefunktion für den einfachsten Fall eines Wasserstoffmoleküls:




Man erahnt hier schon, daß sich die Berechnung für komplexere Moleküle (wie z.B. für das Benzol) als derart schwierig erweist, daß eine Reihe von Näherungen eingeführt werden muß. Die Hückel-Näherung für aromatische Systeme (HMO-Schema, welches z.B. das Überlappungsintegral vernachlässig) liefert hier aber ganz brauchbare Ergebnisse für die Resonanz-Energien, v.a. für das Benzol.

Basierend auf dem VB-Modell der chemischen Bindung läßt sich auch die Geometrie vom Molekülen (vor allem qualitativ verhältnismäßig einfach) ableiten. Mit ab-initio-Verfahren lassen sich auch die genauen Bindungswinkel, Bindungslängen u.v.w. errechnen. Daher muß ich Step durchaus recht geben, daß (genügend Rechnerkapazität und hinreichend raffinierte Näherungsverfahren vorausgesetzt) die chemischen Eigenschaften quantenmechanisch prinzipiell errechnet werden können. Meines Wissens ist dies aber erst für vergleichsweise einfache Moleküle in befriedigendem Maße gelungen. Oft behilft man sich mit semi-empirischen Verfahren.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Deshalb habe ich das zweite Beispiel mit dem Unoctbium gebracht: Man kennt ein "Gesetz" zur Vorhersage: das Schema des Periodensystems. Aber das liefert nur Hypothesen, die man verifizieren muss (und bis jetzt nicht kann, weil es das Ding noch nicht gibt). Und selbst das Periodensystem selber war m.E. unvorhersagbar, als es nur Wasserstoff gab.


Dies liegt aber nur daran, daß die Quantenmechanik zur damaligen Zeit noch nicht entwickelt war. Denn die Struktur des Periodensystems läßt sich aus den vier Quantenzahlen und dem Pauli-Prinzip ableiten.

Auch die Elementeigenschaften lassen sich - zumindest qualitativ einigermaßen abschätzen. So konnte Mendelejew z.B. die Existenz des "Eka-Aluminiums" (Gallium) sowie dessen physico-chemischen Eigenschaften ungefähr Vorhersagen. Die quantitative Berechnung ist natürlich auch hier ungleich schwieriger und noch sehr unbefriedigend, prinzipiell aber machbar.

Grüße

Martin
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"Science is a candle in the dark." - Carl Sagan

www.ag-evolutionsbiologie.de
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Zuletzt bearbeitet von Darwin Upheaval am 24.10.2004, 18:32, insgesamt einmal bearbeitet
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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#199258) Verfasst am: 24.10.2004, 18:31    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Martin,

danke für die Infos. Das sieht so aus, als wäre die Reduktion der Chemie auf die Physik schon ziemlich weit fortgeschritten. Weisst Du zufällig, ob Dekohärenzphänomene auf die von Dir beschriebene Linearkombination einen Einfluss haben können (oder sogar müssen - irgenwo muss schliesslich die Nichtlinearitär der Makro-Welt herkommen)? Wenn ja, würde das dafür sorgen, dass die LCAO-Methode nur näherungsweise gilt.

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Denn die Struktur des Periodensystems läßt sich aus den vier Quantenzahlen und dem Pauli-Prinzip ableiten.

Sind die 4 Quantenzahlen nicht auch schon emergent? Oder kann man die bottom-up herleiten?

Mir scheint auch, als sei die Chemie vollständig auf die Quantenphysik reduzierbar. Andererseits finde ich die Idee spannend, auch auf der Ebene des Übergangs von der Physik zur Chemie könnte evolutionäre Vorgänge am Werk gewesen sein. Deshalb hake ich nach.

Gruss

KP
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Lamarck
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Beitrag(#199267) Verfasst am: 24.10.2004, 18:43    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter!

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Yep. Aber wie machst Du das genau? - Deduktion wird Dir hier doch nichts nützen - was läßt Dich denn Deine Hypothesen finden?

Ich rate. Ich sauge mir auf der Basis von Heuristiken was aus den Fingern. Ich konstruiere mir was, auf der Basis anderer Hypothesen. Und dann überprüfe ich, ob ich richtig geraten habe.


Überlege Dir doch mal ein wenig genauer, wie Vermutung und Überprüfung ablaufen könnten. Was konstruierst Du Dir da? Setzende Vernunft oder vernehmende Vernunft?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
soweit ich informiert bin, nennt man diese Vorgehensweise nicht Konstruktivismus, sondern Adaptionismus.

Nein. Hier geht es um Methodik. Der Adaptionismus, den Du hier meinst, ist im übrigen überholt.

Sagt wer?


Ich.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und Gutmann hat sich wissenschaftstheoretisch sehr stark auf Popper berufen. Die Nachfolger hingegen haben sich mittlerweile größtenteils als softer Konstruktivismus in Richtung Methodischer Kulturalismus (Janich) ausgeformt.

Unter Brüdern, ich glaube, dass die beiden Herren des Kaisers neue Kleider verkaufen. Meinetwegen uner Berufung auf Popper, der kann sich schließlich nicht mehr wehren.


Kannst Du das nicht noch ein wenig ausführen?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Im Gegensatz zu der weiter verbreiteten Funktionsmorphologie geht die Konstruktionsmorphologie explizit von einem "Konstruktion bestimmt Funktion" aus: Design oder nicht sein, das ist hier die Frage.

Wenn Du Dich präziser ausdrücken könntest, statt auf die obigen Heißluftbläser zu rekurrieren, könnten wir uns darauf womöglich einigen. Aber sicher bin ich mir nicht, weil die Formulierung zu Gutmann-haltig ist.


Ich rekurriere hier sozusagen auf mich selbst. Das genannte ist kaum präziser auszudrücken. Wenn sich Konstruktionen wandeln, dann hat das Auswirkungen auf die leistbaren Funktionen. Umgekehrt gilt das nicht (Das wäre dann auch Lamarckismus).

Weder Janich noch Gutmann sind deckungsgleich mit meinen Positionen, obgleich es hier zu Überschneidungen kommt. Warum aber sind Gutmann und Janich Heißluftbläser?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Ein gewisses konstruktivistisches Verständnis ist bei dieser Art von Problemen natürlich hilfreich. zwinkern


Wäre das wahr, dann dürften wir beide nichts dazu sagen. Mir geht ohnehin jegliches Verständnis für Konstruktivismus ab, und Du verwechselst es, wie erlebt, mit dem Kritischen Rationalismus. zwinkern


Du kennst doch auch Konstruktionen. Den Kritischen Rationalismus habe ich vor 15 Jahren überwunden. Und ich kann Dir nur versichern: Ich vertrete einen Radikalen Konstruktivismus.


Cheers,

Lamarck
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pyrrhon
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Beitrag(#199284) Verfasst am: 24.10.2004, 19:07    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Den Kritischen Rationalismus habe ich vor 15 Jahren überwunden. Und ich kann Dir nur versichern: Ich vertrete einen Radikalen Konstruktivismus.

OT-Nebenfrage: Vielleicht hast Du das schon beantwortet (in diesem Fall wäre ein Link völlig hinreichend), wie auch immer, weshalb hast Du den Kritischen Rationalismus überwunden?

() Nagarjuna
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Klaus-Peter
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Beitrag(#199300) Verfasst am: 24.10.2004, 19:27    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Du kennst doch auch Konstruktionen. Den Kritischen Rationalismus habe ich vor 15 Jahren überwunden. Und ich kann Dir nur versichern: Ich vertrete einen Radikalen Konstruktivismus.

Natürlich kenne ich Konstruktionen.

Aber das einzige, das Du mir versichern kannst, ist, dass Du der Meinung bist, Du würdest einen Radikalen Konstruktivismus vertreten.

Dem Aussenstehenden stellt sich das aber anders dar, da Du selbst hier nach mühsamem und langem Bohren das Folgende geschrieben hast:

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Für mich reichen die Aussagen:

1) Es existiert eine Welt
2) Die Welt existiert unabhängig von mir

Diese Einstellung wird in der Erkenntnistheorie gewöhnlich als "REalismus" bezeichnet.

Es hindert Dich niemand daran, das als "Radikalen Konstruktivismus" zu bezeichnen. Aber es ist jedenfalls nicht die Lehre eines Heinz von Foerster ("Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners") oder Paul Watzlawick, die gemeinhin diesen Namen für sich beanspruchen (bzw. ...t haben - von Foerster hat sich ja kürzlich vom Acker konstruiert bzw. unter denselben).

Zum Verkauf von des Kaisers neuen Kleidern bei Gutmann zitiere ich Martin, weil der es höflicher formuliert als ich das könnte:

Zitat:
Mehr als ein paar "Buzzwords" (hydraulische Systeme, Entwicklung nach dem Ökonomieprinzip etc.) scheint aus dieser Ecke noch nicht gekommen zu sein. Wo sich in dem Konzept (welches einseitig nur "innere" Prinzipien gelten läßt) die Erklärungsleistung verbergen mag, habe ich noch nicht herausgefunden.


Gruss

KP


Zuletzt bearbeitet von Klaus-Peter am 24.10.2004, 19:45, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Beitrag(#199304) Verfasst am: 24.10.2004, 19:31    Titel: Antworten mit Zitat

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Weisst Du zufällig, ob Dekohärenzphänomene auf die von Dir beschriebene Linearkombination einen Einfluss haben können (oder sogar müssen - irgenwo muss schliesslich die Nichtlinearitär der Makro-Welt herkommen)? Wenn ja, würde das dafür sorgen, dass die LCAO-Methode nur näherungsweise gilt.

Die LCAO ist doch sowieso eine Näherung. Langreichweitige (statistische) Korrelationen werden vernachlässigt, ebenso das "Coulomb-Loch" beim Kern und bei den Elektronen. Beides sind nichtlineare Effekte. Den exakten Wert würden Ansätze liefern, in denen die 1-Teilchen Basis der HF-Gleichungen durch N-Teilchen ersetzt würden usw. Das ist aber noch aufwendiger.

Zudem mußt Du für die Nichtlinearität der Makrowelt nicht die Quantenmechanik heranziehen. Z.B. hast Du ja bereits in einem klassisch-gravitativen Dreikörpersystem Nichtlinearität. Dies wäre auch dann so, wenn alle Atome sich mit LDGL beschreiben ließen (was sie eh nicht tun).

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Denn die Struktur des Periodensystems läßt sich aus den vier Quantenzahlen und dem Pauli-Prinzip ableiten.
Sind die 4 Quantenzahlen nicht auch schon emergent? Oder kann man die bottom-up herleiten?

Kommt drauf an, was Du als Annahme gelten läßt.

Aus der U(1) Gruppe der QED folgt (u.a.) das quantisierte relativistische elektomagnetische Feld, und daraus folgen zwangsweise diese 4 Quantenzahlen, mitsamt relativistichen Korrekturen im Linienspektrum. Etwas billiger geht es ohne relativistische Korrektur, auch dann bekommst Du schon 4 Quantenzahlen. Letztlich spiegeln sie die mathematische Eichgruppe und die Raumzeit wieder.

gruß/step
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Beitrag(#199679) Verfasst am: 25.10.2004, 11:20    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
danke für die Infos. Das sieht so aus, als wäre die Reduktion der Chemie auf die Physik schon ziemlich weit fortgeschritten.


Bei weitem aber nicht vollständig, und ich vermute, daß das gar nicht möglich ist. Vor allem die Reaktionskinetik ist ein verdammt komplexes Feld. Bislang ist es erst gelungen, ganz einfache Umsetzungen (bimolekulare Stöße) unter den idealen, stoßtheoretischen Annahmen zu modellieren. Der hierbei zu berücksichtigende sterische Faktor, der bei komplizierter gebauten Molekülen eine Rolle spielt, ist praktisch kaum berechenbar, so daß die theoretischen Ergebnisse sehr stark von den experimentellen Werten abweichen. An einer experimentellen Bestimmung der Reaktionsordnung führt daher kein Weg vorbei.

Vollends unmöglich wird die Berechnung der Konstanten einzelner Elementarreaktionen oder die quantitative Abschätzung von Ausbeuten unter Berücksichtigung von Parallel- und Nebenreaktionen, zumal hier auch das Reaktionsmilieu (Lösemitteleffekte, pH-Wert usw.) eine große Rolle spielt. Hier deuten sich bereits die Grenzen des Reduktionismus an, weil schon in der Chemie "kooperative Effekte" und Randbedingungen zum Tragen kommen, die nicht durch die Quantenmechanik vorgegeben werden.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Weisst Du zufällig, ob Dekohärenzphänomene auf die von Dir beschriebene Linearkombination einen Einfluss haben können


Dekohärenz ist sicher ein Thema, weil es sich bei Molekülen schon um recht komplizierte quantenmechanische Systeme handelt.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
(oder sogar müssen - irgenwo muss schliesslich die Nichtlinearitär der Makro-Welt herkommen)? Wenn ja, würde das dafür sorgen, dass die LCAO-Methode nur näherungsweise gilt.


Sie ist - wie Step das sehr schön erklärt hat - mit Sicherheit nur ein Näherungsverfahren. Der LCAO-Methode liegt "vernünftigerweise" immer ein Separationsansatz zugrunde. In der Regel wird der Hamilton-Operator nicht vollständig aufgestellt und z.B. die Kopplung zwischen der Elektronen- und Atomkernbewegung vernachlässigt (Born-Oppenheimer-Näherung). Bei der Modellierung konjugierter Pi-Systeme (wie beim Benzol) werden auch die Sigma-Bindungen vom delokalisierten Pi-System separiert und deren Wechselwirkung vernachlässigt.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Denn die Struktur des Periodensystems läßt sich aus den vier Quantenzahlen und dem Pauli-Prinzip ableiten.

Sind die 4 Quantenzahlen nicht auch schon emergent? Oder kann man die bottom-up herleiten?

Mir scheint auch, als sei die Chemie vollständig auf die Quantenphysik reduzierbar.


Das sehe ich, wie gesagt, nicht ganz so...


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Andererseits finde ich die Idee spannend, auch auf der Ebene des Übergangs von der Physik zur Chemie könnte evolutionäre Vorgänge am Werk gewesen sein. Deshalb hake ich nach.


Ich weiß jetzt nicht genau, was Du mit "evolutionären Vorgängen" in der Chemie meinst. Daß es eine "chemische Evolution" gab, ist bekannt. Gerade die Modelle zur Abiogenese (Wächtershäusers Oberflächenmetabolismus, Eigens "Hypercyclus" usw.) deuten an, daß die Art des Produktspektrums von individuellen Randbedingungen abhängt, die sich nicht auf die QM reduzieren lassen. zwinkern

Grüße

Martin
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Beitrag(#199690) Verfasst am: 25.10.2004, 12:13    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Wie ich sehe, erinnerst Du Dich noch an meinen Link. In der Tat hat mir in diesem Artikel der angedeutete systemische Ansatz sehr gut gefallen. Der Begriff "Doppelfunktion" ist hier aber fehl am Platze


Das scheinen ein paar Menschen aber ganz anders zu sehen. Zum Beispiel Vollmer, der meint, daß jede Kausalanalyse mit der Untersuchung von Doppelfunktionen beginnen müsse. zwinkern


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Was kennst Du denn alles aus der Ecke von Gutmann & Co?


Nicht viel, nur ein paar allgemeine Zusammenfassungen und versprengte Artikel über die FET. z.B.:

Gudo, M. (2002): The development of the critical theory of evolution: The scientific career of Wolgang F. Gutmann. Theory Biosci. 121, 101-137.


Dort taucht auf S. 108 ebenfalls Gutmanns Versuch einer "biomechanischen" Rekonstruktion der Chordatenevolution auf: Mr. Green

Die Gutmann-Lamarck-Clique hat folgendes geschrieben:


Viel anzufangen vermag ich damit allerdings nicht. Das "hydraulische Prinzip", wonach die Struktur und Funktionsweise des "hydrostatischen Skeletts" die weitere evolutionäre Entwicklung kanalisiert ("biomechanische constraints"), scheint zwar einigermaßen plausibel. Die praktische Nutzanwendung solch hyper-allgemeiner Formulierungen erschließt sich mir aber nicht.

Was mich an der FET vor allem stört, ist ihr extrem idiosynkratischer Ansatz. Wenn ich das richtig sehe, scheint er weder die historische Kontingenz der Abstammung (Homologien) anzuerkennen, noch die Rekaptulationsidee, noch die Bedeutung der Milieuselektion in der Evolution noch die Methode der Kladistik. Und auch die Rekonstruktion der Stammesgeschichte anhand der chronologischen Abfolge der Formen im Fossilienbestand hält er für verfehlt. Die "Lesrichtung" soll sich ausschließlich unter biomechanischen Aspekten ergeben. Das halte ich für zu einseitig und wenig überzeugend.


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber erstelle doch selbst mal eine konstruktionsmorphologische Rekonstruktion z. B. vom Fangapparat des Wasserschlauchs. Für den Anfang, um ein Gefühl für biologische Prinzipien der Mechanik/Hydrostatik/Bionik zu bekommen:

1) Ist es für eine Schwimmpflanze sinnvoll, über Auftriebskörper zu verfügen?
2) Wo befinden sich diese Auftriebskörper am günstigsten?
3) Wie erfolgt der Gasaustausch in den "Bläschen"?
4) Wie bewältigt die Pflanze Verunreinigungen?
5) Könnte die Blüte eine Rolle spielen?


Sorry, ich bin kein Biologe und schon gar kein Konstruktionsmorphologe. Das ist eher Deine Materie. Aber Deine Fragen klingen durchaus interessant. Wär sicher spannend, die einmal weiterzuverfolgen und ein paar (prüfbare) Hypothesen zur Entstehung der Fangfalle des Wasserschlauchs aufzustellen. Würdest Du das mal tun und Lönnig einen Vorschlag zum "Verfrühstücken" unter die Nase reiben? zwinkern

Grüße

Martin
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Beitrag(#199939) Verfasst am: 25.10.2004, 17:23    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Du kennst doch auch Konstruktionen. Den Kritischen Rationalismus habe ich vor 15 Jahren überwunden. Und ich kann Dir nur versichern: Ich vertrete einen Radikalen Konstruktivismus.

Natürlich kenne ich Konstruktionen.

Aber das einzige, das Du mir versichern kannst, ist, dass Du der Meinung bist, Du würdest einen Radikalen Konstruktivismus vertreten.

Dem Aussenstehenden stellt sich das aber anders dar, da Du selbst hier nach mühsamem und langem Bohren das Folgende geschrieben hast:

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Für mich reichen die Aussagen:

1) Es existiert eine Welt
2) Die Welt existiert unabhängig von mir

Diese Einstellung wird in der Erkenntnistheorie gewöhnlich als "REalismus" bezeichnet.


Dem gingen aber folgende Worte voraus:

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber ich sehe nirgendwo einen Grund oder Anhaltspunkt, eine 'an sich seiende Welt' anzunehmen.


Mal ist er also Solipsist, mal Realist - aber beides nicht in einer wirklich konsistenten Weise. Jedenfalls reichlich kurios das Ganze. Bis zum innersten Kern seiner (Wahn-)Konstrukte bin ich auch noch nicht vorgedrungen zwinkern

Grüße

Martin
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Beitrag(#200080) Verfasst am: 25.10.2004, 20:43    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Bei weitem aber nicht vollständig, und ich vermute, daß das gar nicht möglich ist. Vor allem die Reaktionskinetik ist ein verdammt komplexes Feld. Bislang ist es erst gelungen, ganz einfache Umsetzungen (bimolekulare Stöße) unter den idealen, stoßtheoretischen Annahmen zu modellieren. Der hierbei zu berücksichtigende sterische Faktor, der bei komplizierter gebauten Molekülen eine Rolle spielt, ist praktisch kaum berechenbar, so daß die theoretischen Ergebnisse sehr stark von den experimentellen Werten abweichen. An einer experimentellen Bestimmung der Reaktionsordnung führt daher kein Weg vorbei.

Vollends unmöglich wird die Berechnung der Konstanten einzelner Elementarreaktionen oder die quantitative Abschätzung von Ausbeuten unter Berücksichtigung von Parallel- und Nebenreaktionen, zumal hier auch das Reaktionsmilieu (Lösemitteleffekte, pH-Wert usw.) eine große Rolle spielt. Hier deuten sich bereits die Grenzen des Reduktionismus an, weil schon in der Chemie "kooperative Effekte" und Randbedingungen zum Tragen kommen, die nicht durch die Quantenmechanik vorgegeben werden.

Irgendwie komme ich mir wie bei Hase und Igel vor, aber lassen wir das. Natürlich ist die Reaktionskinetik wieder viel komplizierter und erfordert wieder noch mehr Rechenstärke. Irgendwann ist auch sicherlich die theoretische Rechengrenze erreicht (obwohl: unterschätzt die Quantencomputer nicht!), aber nicht unbedingt die der prinzipiellen Berechenbarkeit.

Ich verstehe leider überhaupt nicht, was Dich zu der Behauptung "Hier deuten sich bereits die Grenzen des Reduktionismus an" bewegt, weil ich nicht sehe, welche Randbedingungen oder "kooperativen Effekte" nicht auf die geometrisch-statistischen Verhältnisse und die Quantenmchanik reduzierbar sein sollten.

Aber auch hier könnt Ihr natürlich bei Eurer Behauptung bleiben, bis das Gegenteil bewiesen ist.

gruß/step
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Beitrag(#200318) Verfasst am: 26.10.2004, 09:55    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Step,

step hat folgendes geschrieben:
Irgendwie komme ich mir wie bei Hase und Igel vor, aber lassen wir das. Natürlich ist die Reaktionskinetik wieder viel komplizierter und erfordert wieder noch mehr Rechenstärke. Irgendwann ist auch sicherlich die theoretische Rechengrenze erreicht (obwohl: unterschätzt die Quantencomputer nicht!), aber nicht unbedingt die der prinzipiellen Berechenbarkeit.


Ich dachte eigentlich, wir hatten den Punkt geklärt: Du kannst mit einer noch so großen Rechenstärke auf rein quantenmechanischer Ebene kein Bewußtsein erklären, weil da ein paar Systemebenen dazwischenliegen. IIRC hattest Du hier ausdrücklich zugestimmt:

Step hat folgendes geschrieben:
Das ist natürlich richtig, denn die Erklärung eines (sehr komplexen) Gehirns erfordert die Reduktion bezüglich mehrerer Aspekte: chemische, um die Reizleitung zu erklären, kybernetische / informationstheoretische, um die Informationsverarbeitung zu erklären usw.



Auf der chemischen Ebene ist eine Reduktion auf die Quantenphysik naturgemäß weit einfacher. Aber dort, wo die Chemie komplex wird und neue Systemeigenschaften ins Spiel kommen, haben wir dasselbe Problem. Ich sehe einfach nicht, wie Du die Autoreplikation eines Hypercyclus oder die periodische Oszillation einer "chemischen Uhr" (in beiden Fällen gehen aus den komplexen Rückkopplungen neue Systemeigenschaften hervor) quantenmechanisch erklären - geschweige denn vorausberechnen - willst.


Step hat folgendes geschrieben:
Ich verstehe leider überhaupt nicht, was Dich zu der Behauptung "Hier deuten sich bereits die Grenzen des Reduktionismus an" bewegt, weil ich nicht sehe, welche Randbedingungen oder "kooperativen Effekte" nicht auf die geometrisch-statistischen Verhältnisse und die Quantenmchanik reduzierbar sein sollten.


Wie willst Du denn mit der Quantenmechanik solcherlei Effekte erklären? Spuckt Dir die Schrödingergleichung etwa die Populationsdynamik einer sich selbst replizierenden RNA-Quasispezies, das Verhalten eines Schleimpilzes, die Mendelschen Vererbungsregeln oder Deine Gedankengänge aus?

Grüße

Martin
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Beitrag(#200321) Verfasst am: 26.10.2004, 11:01    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Martin,

diese Argumentation überzeugt mich jetzt nicht ganz. Das klingt ein bisschen ähnlich, wie wenn ein Kreationist darauf besteht, dass die Evolutionstheorie ja nicht bewiesen sei.

Rein methodisch gesehen kann es nie eine Reduktion in dem von Dir geforderten Sinne geben: Denn jede Reduktion ist eine Hypothese, die ein Phänomen auf höherer Ebene durch ein Phänomen auf niedrigerer Ebene kausal erklärt. Und natürlich hat hat diese "Reduktionshypothese" das gleiche erkenntnistheoretische Problem wie alle Erkenntnis: Sie ist vorläufig und hypothetisch. So gesehen hat Step recht mit seinem "Hase-und-Igel"-Vorwurf. Es ist nicht sauber, eine Reduktion erst dann als "gelungen" zu bezeichnen, wenn man sie perfekt bewiesen hat. Denn das geht nicht.

Wenn ich davon rede, eine Reduktion sei gelungen, dann meine ich, dass ich eine reduzierende Hypothese kenne, die für wahr (oder für annähernd wahr) halte.

Wenn ich davon rede, eine Reduktion sie nicht 100%ig möglich, dann meine ich damit mehr als nur "ich kann die reduzierende Hypothese nicht beweisen". Ich meine damit vielmehr: Der Effekt auf höherer Ebene ist nicht durch den Effekt auf niedrigerer Ebene vollständig determiniert. Es gibt "top-down"-Wirkmöglichkeiten vom Ganzen ("der Struktur des Systems") auf die Teile. Das ist es auch, was "echte" Emergenz von nur scheinbarer Emergenz unterscheidet.

Oder: Emergenz liegt dann vor, wenn das Design des Systems eine echte, nicht-triviale Funktion hat (und nicht nur Epiphänomen ist). (in dem Sinne ist eine Sonne eine emergente Struktur von Wasserstoffatomen, weil sie höhere Elemente ausbrütet, die andernfalls nicht entstehen würden).

Gruss

KP
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Beitrag(#200932) Verfasst am: 27.10.2004, 10:41    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
diese Argumentation überzeugt mich jetzt nicht ganz. Das klingt ein bisschen ähnlich, wie wenn ein Kreationist darauf besteht, dass die Evolutionstheorie ja nicht bewiesen sei.


Was hat das jetzt mit dem Reduktionismus-Problem zu tun? Am Kopf kratzen


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Rein methodisch gesehen kann es nie eine Reduktion in dem von Dir geforderten Sinne geben: Denn jede Reduktion ist eine Hypothese, die ein Phänomen auf höherer Ebene durch ein Phänomen auf niedrigerer Ebene kausal erklärt. Und natürlich hat hat diese "Reduktionshypothese" das gleiche erkenntnistheoretische Problem wie alle Erkenntnis: Sie ist vorläufig und hypothetisch. So gesehen hat Step recht mit seinem "Hase-und-Igel"-Vorwurf. Es ist nicht sauber, eine Reduktion erst dann als "gelungen" zu bezeichnen, wenn man sie perfekt bewiesen hat.


Wo mache ich das? Es geht nicht um's Beweisen, sondern darum, daß man nicht alle Systemeigenschaften von einer niedrigeren Emergenz-Stufe aus erklären kann. Du kannst mit den Gesetzen der Physik zwar erklären, warum z.B. ein Vogel fliegt und wie er zu Boden stürzt, wenn man ihm die Flügel stutzt. Du kannst aber dessen Physiologie und die in ihm ablaufenden biochemischen Prozesse nicht rein physikalisch erklären. Vielmehr bedarf es Erklärungen auf verschiedenen Ebenen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Wenn ich davon rede, eine Reduktion sie nicht 100%ig möglich, dann meine ich damit mehr als nur "ich kann die reduzierende Hypothese nicht beweisen". Ich meine damit vielmehr: Der Effekt auf höherer Ebene ist nicht durch den Effekt auf niedrigerer Ebene vollständig determiniert.


Vermutlich reden wir aneinander vorbei. Wenn ich das richtig sehe, ist die Frage nach dem Determinismus eine ontologische, die nach dem Reduktionismus aber eine erkenntnistheoretische. Ob sich die Welt mit anderen Worten (streng) deterministisch verhält, hat keinen Einfluß auf die Frage, ob es möglich ist, alle Eigenschaften eines komplexen Systems von der niedersten Element-Ebene aus zu erklären.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Oder: Emergenz liegt dann vor, wenn das Design des Systems eine echte, nicht-triviale Funktion hat (und nicht nur Epiphänomen ist). (in dem Sinne ist eine Sonne eine emergente Struktur von Wasserstoffatomen, weil sie höhere Elemente ausbrütet, die andernfalls nicht entstehen würden).


Das kann man so sehen. Das Beispiel ist allerdings sehr einfach gewählt, weil die H-Atome im "System Sonne" nicht gerade kompliziert miteinander interagieren. So ist das Wesen einer Sonne allein schon durch ihre Masse fast vollständig beschrieben. Die Randbedingungen sind also derart einfach, daß man sie nahezu auf jeden Typ Sonne übertragen kann. Etwas übertrieben formuliert könnte man daher sagen: "Kennst Du eine Sonne, kennst Du alle". Daß sich ein einfacher Fusionsreaktion vollständig quantenmechanisch beschreiben und erklären läßt, ist daher nicht überraschend. Bei komplexeren Systemen sieht das ganz anders aus.

Grüße

Martin
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Beitrag(#200945) Verfasst am: 27.10.2004, 11:45    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
diese Argumentation überzeugt mich jetzt nicht ganz. Das klingt ein bisschen ähnlich, wie wenn ein Kreationist darauf besteht, dass die Evolutionstheorie ja nicht bewiesen sei.


Was hat das jetzt mit dem Reduktionismus-Problem zu tun? Am Kopf kratzen

Dass man die Tatsache, dass man nie fertig wird, an dieser Stelle nicht als Argument verwenden sollte. Ich dachte, das hätte ich im hFolgenden erklärt.

MArtin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Es ist nicht sauber, eine Reduktion erst dann als "gelungen" zu bezeichnen, wenn man sie perfekt bewiesen hat.


Wo mache ich das? Es geht nicht um's Beweisen, sondern darum, daß man nicht alle Systemeigenschaften von einer niedrigeren Emergenz-Stufe aus erklären kann.

Eben. Du machst es hier:

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Bislang ist es erst gelungen, ganz einfache Umsetzungen (bimolekulare Stöße) unter den idealen, stoßtheoretischen Annahmen zu modellieren. Der hierbei zu berücksichtigende sterische Faktor, der bei komplizierter gebauten Molekülen eine Rolle spielt, ist praktisch kaum berechenbar, so daß die theoretischen Ergebnisse sehr stark von den experimentellen Werten abweichen. An einer experimentellen Bestimmung der Reaktionsordnung führt daher kein Weg vorbei.

Mir scheint die Unterscheidung wichtig (ich bin nicht ganz sicher, ob Du sie machst oder nicht):
1. Reduktion, die prinzipiell möglich aber noch nicht gemacht ist (und vielleicht nie gemacht wird, wg. Komplexität).
2. Reduktion, die prinzipiell nicht möglich ist, weil das höhere System aus Elementen plus Design besteht (was dann wieder eine Top-Down-Kausalität bewirkt)

Wenn ich das richtig sehe, dann meint Step, es gäbe nur 1. Es könnte sein, dass bei Dir mehr zur "Chemie" gehört als bei mir. Bei nir ist Chemie nur das einfache Reagieren. Komplexe Reaktionszyklen sind irgendwie designhaltig und damit bereits mehr (nämlich mögliche Vorstufen einer Evolution des Lebens).

Zitat:
Du kannst mit den Gesetzen der Physik zwar erklären, warum z.B. ein Vogel fliegt und wie er zu Boden stürzt, wenn man ihm die Flügel stutzt. Du kannst aber dessen Physiologie und die in ihm ablaufenden biochemischen Prozesse nicht rein physikalisch erklären. Vielmehr bedarf es Erklärungen auf verschiedenen Ebenen.

Das ist nicht mehr Chemie, und das ist für mich ein typischer "Fall 2".

Zitat:
Vermutlich reden wir aneinander vorbei.


Das könnte sein, deshalb die Präzisierung oben.

Zitat:
Wenn ich das richtig sehe, ist die Frage nach dem Determinismus eine ontologische, die nach dem Reduktionismus aber eine erkenntnistheoretische. Ob sich die Welt mit anderen Worten (streng) deterministisch verhält, hat keinen Einfluß auf die Frage, ob es möglich ist, alle Eigenschaften eines komplexen Systems von der niedersten Element-Ebene aus zu erklären.

Ich mag die Unterscheidung nicht. Aber wenn Du drauf bestehst: Nein, auch die Frage nach dem Reduktionismus ist dann eine ontologische. Es geht darum, ob das, was wie eine höhere emergente Struktur aussieht, vollständig aus der unteren Ebene determiniert ist (eine Tatsachenfrage, die unanhängig davon ist, ob ich die reduzierende Formel schon kenne oder nicht). Oder ob in der Anordnung noch Design drinsteckt, das eine neue Erfindung darstellt.

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Oder: Emergenz liegt dann vor, wenn das Design des Systems eine echte, nicht-triviale Funktion hat (und nicht nur Epiphänomen ist). (in dem Sinne ist eine Sonne eine emergente Struktur von Wasserstoffatomen, weil sie höhere Elemente ausbrütet, die andernfalls nicht entstehen würden).


Das kann man so sehen. Das Beispiel ist allerdings sehr einfach gewählt, weil die H-Atome im "System Sonne" nicht gerade kompliziert miteinander interagieren. So ist das Wesen einer Sonne allein schon durch ihre Masse fast vollständig beschrieben. Die Randbedingungen sind also derart einfach, daß man sie nahezu auf jeden Typ Sonne übertragen kann. Etwas übertrieben formuliert könnte man daher sagen: "Kennst Du eine Sonne, kennst Du alle". Daß sich ein einfacher Fusionsreaktion vollständig quantenmechanisch beschreiben und erklären läßt, ist daher nicht überraschend. Bei komplexeren Systemen sieht das ganz anders aus.

Unter anderem deshalb tendiere ich dazu, anzunehmen,dass die Chemie vollständig auf die Physik reduzierbar ist. Auf dieser Basis allerdings sehe ich auf der Ebene darüber (den chhemischen Systemen) jede Menge Spielraum für eine chemische Evolution, um, durch trial-and-error, Design zu erfinden, das auf der unteren Ebene nicht da war. Die Biologie (und Biochemie) wäre damit nicht mehr vollständig reduzierbar auf die Chemie (auch wenn die Biologie vollständig aus Chemie besteht).

Gruss

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Beitrag(#200962) Verfasst am: 27.10.2004, 12:26    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm an Step hat folgendes geschrieben:
Wie willst Du denn mit der Quantenmechanik solcherlei Effekte erklären? Spuckt Dir die Schrödingergleichung etwa die Populationsdynamik einer sich selbst replizierenden RNA-Quasispezies, das Verhalten eines Schleimpilzes, die Mendelschen Vererbungsregeln oder Deine Gedankengänge aus?


Vielleicht das noch:

Genau das ist die Auffassung von Step: Es gibt nur reine bottom-up Kausalität. Das lässt sich letztlich auf seine MWI zurückführen, wenn ich das richtig verstanden habe.

Umgekehrt (und das halte ich für zwingend): Wenn Du, wie ich, der Meinung bist, die Schrödingergleichung spucke nicht Deine Gedankengänge aus, dann musst Du begründen, wo diese Wechselwirkung zwischen Gedanken und Physik herkommt. Meine Antwort zur Zeit: Top-Down durch Design; die Physik erlaubt offenbar diese Freiheit.

Gruss

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Beitrag(#200988) Verfasst am: 27.10.2004, 13:20    Titel: Antworten mit Zitat

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Mir scheint die Unterscheidung wichtig ...:
1. Reduktion, die prinzipiell möglich aber noch nicht gemacht ist (und vielleicht nie gemacht wird, wg. Komplexität).
2. Reduktion, die prinzipiell nicht möglich ist, weil das höhere System aus Elementen plus Design besteht (was dann wieder eine Top-Down-Kausalität bewirkt)
Wenn ich das richtig sehe, dann meint Step, es gäbe nur 1.

Ja, das meine ich. Wobei ich natürlich außer der Schrödingergleichung auch noch andere Reduktionen zulasse, z.B. Statistik. Wichtig scheint mir auch noch, daß man zwar m.E. die Randbedingungen (z.B. geometrische) selbst auch wieder reduzieren kann, man kann sie zu einem bestimmten Zweck aber auch voraussetzen, schließlich kann man nicht alles gleichzeitig ausrechnen.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Unter anderem deshalb tendiere ich dazu, anzunehmen,dass die Chemie vollständig auf die Physik reduzierbar ist. Auf dieser Basis allerdings sehe ich auf der Ebene darüber (den chhemischen Systemen) jede Menge Spielraum für eine chemische Evolution, um, durch trial-and-error, Design zu erfinden, das auf der unteren Ebene nicht da war. Die Biologie (und Biochemie) wäre damit nicht mehr vollständig reduzierbar auf die Chemie (auch wenn die Biologie vollständig aus Chemie besteht).

Das verstehe ich nicht wirklich. Auch wenn es eine chemishe Evolution gibt - mit unabsichtlichem trial und "error" - und selbst wenn dadurch Epiphänomene entstehen, die vorher nicht da waren, so ist der Unterschied zum Fall der Sonne doch nur, daß die AUsbildung des Phänomens dort kürzer braucht. Anders ausgedrückt: Würdet Ihr zustimmen, daß es ein Fall 1 ist, wenn man das trial/error Verhalten im Computer simulieren würde, und es würden ähnliche Strukturen entstehen?

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Genau das ist die Auffassung von Step: Es gibt nur reine bottom-up Kausalität.

Korrekt.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Das lässt sich letztlich auf seine MWI zurückführen, wenn ich das richtig verstanden habe.

Nicht ganz, soweit würde ich nicht gehen. Ich finde, die MWI paßt am besten dazu. Man kann sich aber auch auf den Standpunkt stellen, daß wir für den scheinbaren QM-Indeterminismus einfach noch keine gute Erklärung gefunden haben, und es vorerst bei der "Rechenvorschrift" QM belassen, weil einem die MWI zu unplausibel oder unfalsifizierbar erscheint. Aber selbst bei Annahme eines echten Zufalls würde ich dazu neigen, daß es nur gar keine oder bottom-up Kausalität gibt.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Umgekehrt (und das halte ich für zwingend): Wenn Du, wie ich, der Meinung bist, die Schrödingergleichung spucke nicht Deine Gedankengänge aus, dann musst Du begründen, wo diese Wechselwirkung zwischen Gedanken und Physik herkommt. Meine Antwort zur Zeit: Top-Down durch Design; die Physik erlaubt offenbar diese Freiheit.

Ja, so müßte man schließen. Das ist aber noch keine Erklärung, da Du keine Aussagen über den Mechanismus machst. Es gab schon Erklärungsversuche (Hameroff & Co), aber die haben wissenschaftlich nicht standgehalten.

gruß/step
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#201218) Verfasst am: 27.10.2004, 18:38    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Wo mache ich das? Es geht nicht um's Beweisen, sondern darum, daß man nicht alle Systemeigenschaften von einer niedrigeren Emergenz-Stufe aus erklären kann.

Eben. Du machst es hier:

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Bislang ist es erst gelungen, ganz einfache Umsetzungen (bimolekulare Stöße) unter den idealen, stoßtheoretischen Annahmen zu modellieren. Der hierbei zu berücksichtigende sterische Faktor, der bei komplizierter gebauten Molekülen eine Rolle spielt, ist praktisch kaum berechenbar, so daß die theoretischen Ergebnisse sehr stark von den experimentellen Werten abweichen. An einer experimentellen Bestimmung der Reaktionsordnung führt daher kein Weg vorbei.


Kann sein, daß ich mich unglücklich ausgedrückt habe. Natürlich sind die meisten Phänomene in der Chemie zwar nicht praktisch, wohl aber prinzipiell auf die QM reduzierbar. Ich sehe das aber keineswegs generell so. Bei komplexen Umsetzungen (wie z.B. bei der "chemischen Uhr" oder bei Autoreplikationssystemen) spielen vor allem auch ganz spezielle Randbedingungen und nichtlineare Rückkopplungen eine Rolle, die sich meines Erachtens allein quantenmechanisch nicht erklären lassen. Man braucht eben auch Erklärungen, die eine Ebene höher ansetzen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Mir scheint die Unterscheidung wichtig (ich bin nicht ganz sicher, ob Du sie machst oder nicht):
1. Reduktion, die prinzipiell möglich aber noch nicht gemacht ist (und vielleicht nie gemacht wird, wg. Komplexität).


Genau, wie z.B. bei der Beschreibung aromatischer Systeme. Stichwort Hückel-Näherung (Sigma/Pi-Separation) o.ä.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
2. Reduktion, die prinzipiell nicht möglich ist, weil das höhere System aus Elementen plus Design besteht (was dann wieder eine Top-Down-Kausalität bewirkt). Wenn ich das richtig sehe, dann meint Step, es gäbe nur 1.


So habe ich ihn auch verstanden. Und das sehe ich eben anders. Nicht etwa deshalb, weil die Rechenkapazität nicht ausreicht. Sondern, weil die QM einen ganz anderen Gegenstandsbereich beschreibt und erklärt.

So wie man allein unter Bezugnahme auf die chemischen Vorgänge, die in einer Zelle ablaufen, das komplizierte Zusammenspiel eben dieser Zellen nicht erklären kann, kann man auch das gesteuerte Zusammenspiel der Moleküle in einer lebenden Zelle nicht quantenmechanisch erklären. In beiden Fällen sind ja nicht die Eigenschaften auf der elementaren Ebene (einzelne Zelle, einzelne Moleküle) ausschlaggebend, sonders gerade die spezielle Art ihrer Interaktion. Letztere ist aber historisch gewachsen, oft einmalig und kann daher - je nach Randbedingungen - ganz verschiedenen aussehen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Es könnte sein, dass bei Dir mehr zur "Chemie" gehört als bei mir. Bei nir ist Chemie nur das einfache Reagieren. Komplexe Reaktionszyklen sind irgendwie designhaltig und damit bereits mehr (nämlich mögliche Vorstufen einer Evolution des Lebens).


Sorry, ich kann hier mit dem Begriff "Design" nichts anfangen. Reaktionszyklen organisieren sich ebenso selbst, wie "einfache Umsetzungen". Der Unterschied liegt nur in den Randbedingungen. Im einen Fall sind sie so simpel, daß man sie bis auf die Ebene der QM hinab vollständig durchdeklinieren kann. Im anderen Fall eben nicht. Weil eben kooperative Phänomene hinzukommen, von denen die QM sozusagen "noch gar nichts ahnt(e)". zwinkern


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Wenn ich das richtig sehe, ist die Frage nach dem Determinismus eine ontologische, die nach dem Reduktionismus aber eine erkenntnistheoretische. Ob sich die Welt mit anderen Worten (streng) deterministisch verhält, hat keinen Einfluß auf die Frage, ob es möglich ist, alle Eigenschaften eines komplexen Systems von der niedersten Element-Ebene aus zu erklären.

Ich mag die Unterscheidung nicht. Aber wenn Du drauf bestehst: Nein, auch die Frage nach dem Reduktionismus ist dann eine ontologische.


Eigentlich ist "Reduktionismus" eine Forschungsstrategie: Man versucht, das Komplexe möglichst mit denselben Theorien zu erklären, wie das Einfache. Und das gelingt in den seltensten Fällen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Es geht darum, ob das, was wie eine höhere emergente Struktur aussieht, vollständig aus der unteren Ebene determiniert ist (eine Tatsachenfrage, die unanhängig davon ist, ob ich die reduzierende Formel schon kenne oder nicht). Oder ob in der Anordnung noch Design drinsteckt, das eine neue Erfindung darstellt.


Wenn Du statt "Design" "komplexe Interaktion der Elemente eines Systems" o.ä. sagst, sind wir uns einig. Aber meinetwegen - streiten wir nicht um Worte. Mir ist nur wichtig zu betonen, daß die Art des "Designs" nicht zwingend aus der Quantenmechanik folgt.

Wenn die (oft historisch einmaligen) Randbedingungen nicht passen, arrangieren sich die Neuronen nicht zu einem Gehirn, in dem Bewußtsein entsteht. Oder es entwickelt sich aus den Einzellern niemals höheres Leben. Oder es gibt von vorne herein nicht "die richtige" Chemie, um Leben entstehen zu lassen. Kurz: Die Gesetze der Chemie und des Lebens können ganz verschieden aussehen. Trotzdem sind die Gesetze der Quantenmechanik diesselben. Wie z.B. die Mendelschen Vererbungsregeln aussehen, war in grauer Vorzeit noch gar nicht abzusehen!

Grüße

Martin
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Klaus-Peter
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Beitrag(#201609) Verfasst am: 28.10.2004, 10:23    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Sorry, ich kann hier mit dem Begriff "Design" nichts anfangen. Reaktionszyklen organisieren sich ebenso selbst, wie "einfache Umsetzungen". Der Unterschied liegt nur in den Randbedingungen. Im einen Fall sind sie so simpel, daß man sie bis auf die Ebene der QM hinab vollständig durchdeklinieren kann. Im anderen Fall eben nicht. Weil eben kooperative Phänomene hinzukommen, von denen die QM sozusagen "noch gar nichts ahnt(e)". zwinkern

Ja genau so. Sind wir uns auch einig, dass, wenn es so ist, dann eine Top-Down-Kausalität, eine Wirkung der Struktur auf die Bestandteile, stattfindet? (Anderfalls wäre es nur eine mangelnde "Rechenstärke", im Sinne Steps).

Hin und wieder meine ich, den Zipfel einer Idee zu haben, warum Step anderer Meinung ist. Ich kann es aber noch nicht formulieren. Es hat irgendwie schon mit dem Determinismus zu tun. Nichtsdestotrotz muss da irgendwo ein Fehler stecken, weil, wie ich das sehe, ohne Top-Down-Kausalität keine Emergenz auftreten und keine Evolution stattfinden könnte. Und die Evolution können wir beobachten.

Gruss

KP
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Beitrag(#201621) Verfasst am: 28.10.2004, 10:52    Titel: Antworten mit Zitat

Archäopteryx-Leugner

Vorsätzliche Verblödung ist in den USA mehrheitsfähig: Gott sticht die Evolutionstheorie. Die Antiwissenschaft der Kreationisten ist auf dem Vormarsch


Junge Welt hat folgendes geschrieben:
Auf dem Siegeszug ist dagegen der Kreationismus – ein krudes, in den Rang einer Wissenschaft erhobenes Weltbild (»Creation Science«), das an Schulen statt Grundlagenwissen verbreitet wird. In 31 von 50 Bundesstaaten ist die Streichung der Evolutionstheorie von den Lehrplänen derzeit Gegenstand juristischer Prozesse. Kein Wunder: Vertreter des kreationistischen Irrglaubens machen Darwin verantwortlich für alle Übel der Welt. Kriminalität, Drogen, Scheidungsraten, sogar die Zerstörung der Demokratie – schuld ist der mit Darwins Lehre einhergehende Vertrauensverlust in die Bibel.

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Darwin Upheaval
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Beitrag(#201678) Verfasst am: 28.10.2004, 12:36    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Sorry, ich kann hier mit dem Begriff "Design" nichts anfangen. Reaktionszyklen organisieren sich ebenso selbst, wie "einfache Umsetzungen". Der Unterschied liegt nur in den Randbedingungen. Im einen Fall sind sie so simpel, daß man sie bis auf die Ebene der QM hinab vollständig durchdeklinieren kann. Im anderen Fall eben nicht. Weil eben kooperative Phänomene hinzukommen, von denen die QM sozusagen "noch gar nichts ahnt(e)". zwinkern

Ja genau so. Sind wir uns auch einig, dass, wenn es so ist, dann eine Top-Down-Kausalität, eine Wirkung der Struktur auf die Bestandteile, stattfindet? (Anderfalls wäre es nur eine mangelnde "Rechenstärke", im Sinne Steps).


Auf jeden Fall. Die Art und Weise, wie z.B. die Gene untereinander zu einem System verkoppelt werden, bestimmen nicht die Gene selbst oder ihre Bestandteile, sondern das "Obersystem" - der Phänotyp. Die Gene bedingen zwar den Phänotyp mit, aber das System wirkt gewissermaßen auf die Struktur seiner Bestandteile zurück. Wir haben es also mit einer wechselseitigen Kausalität zu tun, wie sie jede Systemtheorie im Kern postuliert.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Hin und wieder meine ich, den Zipfel einer Idee zu haben, warum Step anderer Meinung ist. Ich kann es aber noch nicht formulieren. Es hat irgendwie schon mit dem Determinismus zu tun.


Ich kann den Grund für eine solche Denkweise auch nicht ganz nachvollziehen. Möglicherweise wurzelt es im mechanistischen Denken der frühen Neuzeit, das irgendwie auch mit dem Positivismus verkoppelt zu sein scheint. Immerhin galt es, die mystisch-transzendenten "Erklärungen" des Mittelalters loszuwerden und an dessen Stelle "intersubjektiv gültige", experimentell reproduzierbare Beschreibungen zu setzen.

Um komplexe Systeme zu beschreiben, liegt es natürlich nahe, diese zunächst einmal so weit wie möglich in ihre Bestandteile zu zerlegen. Das ist auch heute eine fruchtbare Forschungsstrategie, denn kein System läßt sich untersuchen, wenn man nicht dessen Bestandteile kennt. Das Problem des mechanistischen Denkstils ist nur, daß die Reduktion nicht einfach bloß als eine Forschungsstrategie gesehen wird (erkenntnistheoretischer Reduktionismus). Vielmehr wird daraus (und das ist bei Step die Ironie) regelrecht eine Ontologie gebastet - ein ontologischer Reduktionismus (oder Physikalismus), der meint, daß das System vollständig durch seine kleinsten Bestandteilen bestimmt wird. Diese sind gewissermaßen alles, worauf es ankommt. Mit einem konsequenten Systemismus, in dem immer auch Emergenz eine Rolle spielt, läßt sich eine solche Sichtweise kaum vereinbaren.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Nichtsdestotrotz muss da irgendwo ein Fehler stecken, weil, wie ich das sehe, ohne Top-Down-Kausalität keine Emergenz auftreten und keine Evolution stattfinden könnte. Und die Evolution können wir beobachten.


So ist es. Nicht umsonst sind auch die Reduktionisten aus den Reihen der Evolutionsbiologen (zurecht!) unter Beschuß geraten. Leider gibt es immer noch Menschen die glauben, man könne Evolution auf die Molekularbiologie reduzieren. Langsam beginnt man einzusehen, daß nicht die Molekular- und Populationsgenetik, sondern die Entwicklungsbiologie die eigentliche relevante Theorie ist, wenn man Evolution wirklich verstehen möchte.

Grüße

Martin
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