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Evolution des Menschen / kulturelle Evolution
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Edukir
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Anmeldungsdatum: 28.10.2010
Beiträge: 84
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Beitrag(#1586720) Verfasst am: 15.12.2010, 18:28    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
.... Impfungen gegen potentiell tödliche Erreger untergraben die Selektion und verhindern die Entwicklung eigener, biologischer Abwehrmechanismen.....

Falsches Beispiel: Impfungen funktionieren nur durch den berereits entwickelten biologischen Abwehrmechanismus einer sekundären Immunantwort. Dementsprechend hilft die Impfung nur den Individuen mit funktionierendem Immunsystem und hilft um so besser, je besser das Immunsystem ist.

Was Du in diesem Zusammenhang erwähnen kannst, sind Bakteriostatika und - noch stärker - Bakteriocide.

fwo


Auch wenn Impfungen ein Immunsystem voraussetzen, könnten sie dessen Weiterentwicklung und Anpassung an neue Erreger im Wege sein oder dessen Degeneration fördern. Wie sieht es z.B. mit AIDS aus? Ich weiß nicht, wie realistisch ein Impfstoff nach dem aktuellen Stand der Forschung ist. Aber nehmen wir einmal an, es würde gelingen einen solchen zu entwickeln - wie stünde es dann wohl um die biologische Eigenentwicklung einer Immunantwort? Ich finde solche Fragen recht spannend. Wird unser Immunsystem infolge der medizinischen Versorgung degenerieren und uns zu einer vom "Medizinisch-Industriellen-Komplex" zunehmend abhängigen Spezies machen? Oder wird es in Zukunft genetische Updates für das Immunsystem geben? Das führt allerdings auf Gebiete, von denen ich wirklich nicht allzu viel Ahnung habe.
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Ilmor
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Anmeldungsdatum: 13.12.2008
Beiträge: 7151

Beitrag(#1586732) Verfasst am: 15.12.2010, 18:46    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
.... Impfungen gegen potentiell tödliche Erreger untergraben die Selektion und verhindern die Entwicklung eigener, biologischer Abwehrmechanismen.....

Falsches Beispiel: Impfungen funktionieren nur durch den berereits entwickelten biologischen Abwehrmechanismus einer sekundären Immunantwort. Dementsprechend hilft die Impfung nur den Individuen mit funktionierendem Immunsystem und hilft um so besser, je besser das Immunsystem ist.

Was Du in diesem Zusammenhang erwähnen kannst, sind Bakteriostatika und - noch stärker - Bakteriocide.

fwo


Auch wenn Impfungen ein Immunsystem voraussetzen, könnten sie dessen Weiterentwicklung und Anpassung an neue Erreger im Wege sein oder dessen Degeneration fördern. Wie sieht es z.B. mit AIDS aus? Ich weiß nicht, wie realistisch ein Impfstoff nach dem aktuellen Stand der Forschung ist. Aber nehmen wir einmal an, es würde gelingen einen solchen zu entwickeln - wie stünde es dann wohl um die biologische Eigenentwicklung einer Immunantwort? Ich finde solche Fragen recht spannend. Wird unser Immunsystem infolge der medizinischen Versorgung degenerieren und uns zu einer vom "Medizinisch-Industriellen-Komplex" zunehmend abhängigen Spezies machen? Oder wird es in Zukunft genetische Updates für das Immunsystem geben? Das führt allerdings auf Gebiete, von denen ich wirklich nicht allzu viel Ahnung habe.


Auch wenn eine biologische Degeneration stattfinden würde, die Geschwindigkeit der technischen Verbesserungen ist um Größenordnungen schneller, insofern viele die Degeneration nicht ins Gewicht.
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Edukir
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Anmeldungsdatum: 28.10.2010
Beiträge: 84
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Beitrag(#1586734) Verfasst am: 15.12.2010, 18:48    Titel: Antworten mit Zitat

Ilmor hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
Vor 2 Millionen Jahren können die Verhältnisse anders gewesen sein. Wie im oben verlinkten Text ausgeführt, spielten damals Knochenbrüche wohl eine bedeutende Rolle. Anpassungen des Skeletts, die zur geringeren Bruchwahrscheinlichkeit führten haben damals anscheinend ebenso eine Rolle gespielt, wie eine verbesserte Pflege.


Also müsste der Mensch, verglichen zu anderen Säugetieren, eine höhere Knochenheilrate aufweisen?/


Auf jeden Fall ging die Entwicklung des menschlichen Körperbaus vor ca. 2 Millionen Jahren mit einer Verdopplung der Dicke der Schädelknochen einher und auch noch mit der Entwicklung vieler anderer Skelettmerkmale, die geeignet waren das Verletzungsrisiko durch geworfene Steine zu verringern. Wir moderne Menschen sind die ersten und einzigen, die diese Merkmale wieder reduziert haben. Das macht es schwierig theoretisch vorherzusagen, ob wir eine höhere Knochenheilrate als andere Säugetiere aufweisen sollten. Selbst wenn dies bei unseren Vorfahren vor über 100 000 Jahren der Fall gewesen sein sollte, könnte es sich inzwischen anders verhalten. Aber es wäre interessant, dieser Frage mal nachzugehen. Die Robustizität des Skeletts wurde vermutlich reduziert, weil es sich um ein sehr kostspieliges Merkmal handelte, das sich angesichts der veränderten Fortpflanzungsstrategien nicht mehr auszahlte. Eine erhöhte Knochenheilrate wäre vermutlich nicht so kostspielig und könnte sich daher erhalten haben und immer noch nachweisen lassen.
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Ilmor
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Anmeldungsdatum: 13.12.2008
Beiträge: 7151

Beitrag(#1586735) Verfasst am: 15.12.2010, 18:49    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:
.....
Hier geht es aber nicht primär um Pflege, sondern um das Vorhandensein von medizinischen Alternativen zu körpereigenen Regeneration. Solche Heilmittel waren wohl in der Steinzeit nur sehr begrenzt und nicht für alle Bereiche vorhanden......
fett von mir.
Solche gibt es auch heute nur sehr begrenzt, man nennt das Prothesen.


Operationen fallen auch darunter.

fwo hat folgendes geschrieben:
Die kulturelle Evolution tritt nicht an die Stelle de biologischen, sie schafft höchstens neue Bedingungen für diese. Aber kaum da, wo sie die genetischen Fähigkeiten nutzt, wie in der Medizin


Es geht hier nicht um kulturelle, sondern um die technische Entwicklung, und es gibt keinen Grund, warum diese nicht eines Tages die körpereigene Regeneration völlig ersetzen könnte.
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Edukir
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Beitrag(#1586747) Verfasst am: 15.12.2010, 19:02    Titel: Antworten mit Zitat

Ilmor hat folgendes geschrieben:

Auch wenn eine biologische Degeneration stattfinden würde, die Geschwindigkeit der technischen Verbesserungen ist um Größenordnungen schneller, insofern viele die Degeneration nicht ins Gewicht.


Das sind ziemlich genau die Gedanken, die ich mir im Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung gemacht habe. Es könnte durchaus sein, dass unsere diesbezüglichen biologischen Anpassungen seit rund 70 000 Jahren allmählich degenerieren, was aber durch die kulturelle Entwicklung von "Denkwerkzeugen" bisher mehr als wett gemacht wird. Die enorme Variabilität der Gehirngröße bei Menschen "riecht" förmlich nach fehlender Selektion. Ich habe mal gelesen, dass normalerweise nur domestizierte Tiere ein ähnliches Ausmass an Variabilität zeigen, wie moderne Menschen.
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Edukir
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Beitrag(#1586768) Verfasst am: 15.12.2010, 19:20    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Die kulturelle Evolution tritt nicht an die Stelle de biologischen, sie schafft höchstens neue Bedingungen für diese. fwo


So einfach ist die Sache wohl nicht. Biologische Evolution kann sehr unterschiedlich aussehen. Die Entwicklung neuer, komplexer Anpassungsleistungen setzt eine Kontinuität bei der Selektion über viele Generationen hinweg voraus. In einer komplexen, kulturell dominierten Umwelt mit einer ausufernden Arbeitsteilung und freier Berufswahl unterscheiden sich die "Selektionsbedingungen" von Eltern und deren Kindern unter Umständen mehr, als wir es in der Natur bei Angehörigen verschiedener Arten finden. Wie soll biologische Evolution im Sinne der Entwicklung neuer, funktional komplexer Anpassungsleistungen unter solchen Bedingungen überhaupt noch funktionieren?

Dass Selektion nicht mehr greift, bedeutet aber natürlich nicht, dass sich das Erbgut nicht verändert. Funktionale Komplexität wird durch Selektion nicht nur erzeugt, sondern auch erhalten. Ohne ständige Selektion kommt es infolge der Rekombination bei der sexuellen Fortpflanzung zu einer eskalierenden Variabilität, die wiederum - im statistischen Mittel - zur Degeneration führt.
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Ilmor
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Beiträge: 7151

Beitrag(#1586779) Verfasst am: 15.12.2010, 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:

Auch wenn eine biologische Degeneration stattfinden würde, die Geschwindigkeit der technischen Verbesserungen ist um Größenordnungen schneller, insofern viele die Degeneration nicht ins Gewicht.


Das sind ziemlich genau die Gedanken, die ich mir im Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung gemacht habe. Es könnte durchaus sein, dass unsere diesbezüglichen biologischen Anpassungen seit rund 70 000 Jahren allmählich degenerieren, was aber durch die kulturelle Entwicklung von "Denkwerkzeugen" bisher mehr als wett gemacht wird. Die enorme Variabilität der Gehirngröße bei Menschen "riecht" förmlich nach fehlender Selektion. Ich habe mal gelesen, dass normalerweise nur domestizierte Tiere ein ähnliches Ausmass an Variabilität zeigen, wie moderne Menschen.


Wenn es eine solche Degeneration gäbe, würde man deutliche unterschiede zwischen den modernen Menschen und Naturvölkern finden, was die körperliche Leistungsfähigkeit angeht.
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fwo
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Beitrag(#1586780) Verfasst am: 15.12.2010, 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

Ilmor hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:
.....
Hier geht es aber nicht primär um Pflege, sondern um das Vorhandensein von medizinischen Alternativen zu körpereigenen Regeneration. Solche Heilmittel waren wohl in der Steinzeit nur sehr begrenzt und nicht für alle Bereiche vorhanden......
fett von mir.
Solche gibt es auch heute nur sehr begrenzt, man nennt das Prothesen.


Operationen fallen auch darunter.

fwo hat folgendes geschrieben:
Die kulturelle Evolution tritt nicht an die Stelle de biologischen, sie schafft höchstens neue Bedingungen für diese. Aber kaum da, wo sie die genetischen Fähigkeiten nutzt, wie in der Medizin


Es geht hier nicht um kulturelle, sondern um die technische Entwicklung, und es gibt keinen Grund, warum diese nicht eines Tages die körpereigene Regeneration völlig ersetzen könnte.

Auch eine OP ersetzt keinen Heilungsprozess, sondern begünstigt ihn nur, wenn es nicht um das Herausschneiden eines Karzinoms geht. (Das allerdings bekommen wir normalerweise erst in einem Alter, das "natürlich" kaum erreicht wurde.) Und das Loch, das dabei geschnitten wurde muss wieder verheilen. Und wenn Du etwas mehr Ahnung von Anatomie und Histologie hättest, dann wüsstest Du, dass dieses "eines Tages" nicht kommen wird.

Ansonsten befinden wir uns hier nicht im Kaufhaus, in der Abteilung, in der man die Kultur in eine Tasche packt, sondern in einem Thread mit einem biologischen Thema. Und innerhalb der Biologie wird die Kultur etwas anders gesehen:
Wiki hat folgendes geschrieben:
„Die Übertragung von Informationen von einer Generation zur nächsten auf nichtgenetischem Wege wird im allgemeinen als kulturelle Tradition bezeichnet.“ [24] In der Biologie werden solche kulturellen Traditionen allerdings häufig verkürzt als Kultur bezeichnet.

Das war hier auch schon öfter Thema. Und in diesem Sinn ist die Technik ein Teil der Kultur - sonst wär der Titel des Threads auch Blödsinn.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Ilmor
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Beitrag(#1586781) Verfasst am: 15.12.2010, 19:31    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
Vor 2 Millionen Jahren können die Verhältnisse anders gewesen sein. Wie im oben verlinkten Text ausgeführt, spielten damals Knochenbrüche wohl eine bedeutende Rolle. Anpassungen des Skeletts, die zur geringeren Bruchwahrscheinlichkeit führten haben damals anscheinend ebenso eine Rolle gespielt, wie eine verbesserte Pflege.


Also müsste der Mensch, verglichen zu anderen Säugetieren, eine höhere Knochenheilrate aufweisen?/


Auf jeden Fall ging die Entwicklung des menschlichen Körperbaus vor ca. 2 Millionen Jahren mit einer Verdopplung der Dicke der Schädelknochen einher und auch noch mit der Entwicklung vieler anderer Skelettmerkmale, die geeignet waren das Verletzungsrisiko durch geworfene Steine zu verringern. Wir moderne Menschen sind die ersten und einzigen, die diese Merkmale wieder reduziert haben. Das macht es schwierig theoretisch vorherzusagen, ob wir eine höhere Knochenheilrate als andere Säugetiere aufweisen sollten. Selbst wenn dies bei unseren Vorfahren vor über 100 000 Jahren der Fall gewesen sein sollte, könnte es sich inzwischen anders verhalten. Aber es wäre interessant, dieser Frage mal nachzugehen. Die Robustizität des Skeletts wurde vermutlich reduziert, weil es sich um ein sehr kostspieliges Merkmal handelte, das sich angesichts der veränderten Fortpflanzungsstrategien nicht mehr auszahlte. Eine erhöhte Knochenheilrate wäre vermutlich nicht so kostspielig und könnte sich daher erhalten haben und immer noch nachweisen lassen.


Wobei eine Erhöhung der Knochendichte eher gegen als für die Pflege von verletzen Mitgliedern in der Gruppe sprechen würde, sofern zwischen den beiden Faktoren eine Kausalität besteht.
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Edukir
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Beitrag(#1586827) Verfasst am: 15.12.2010, 20:21    Titel: Antworten mit Zitat

Ilmor hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:

Auch wenn eine biologische Degeneration stattfinden würde, die Geschwindigkeit der technischen Verbesserungen ist um Größenordnungen schneller, insofern viele die Degeneration nicht ins Gewicht.


Das sind ziemlich genau die Gedanken, die ich mir im Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung gemacht habe. Es könnte durchaus sein, dass unsere diesbezüglichen biologischen Anpassungen seit rund 70 000 Jahren allmählich degenerieren, was aber durch die kulturelle Entwicklung von "Denkwerkzeugen" bisher mehr als wett gemacht wird. Die enorme Variabilität der Gehirngröße bei Menschen "riecht" förmlich nach fehlender Selektion. Ich habe mal gelesen, dass normalerweise nur domestizierte Tiere ein ähnliches Ausmass an Variabilität zeigen, wie moderne Menschen.


Wenn es eine solche Degeneration gäbe, würde man deutliche unterschiede zwischen den modernen Menschen und Naturvölkern finden, was die körperliche Leistungsfähigkeit angeht.


Erst einmal gehören die Naturvölker zu den Modernen Menschen und mehr - sie gehören auch zu den modernen Menschen, die sich durch "modernes" Verhalten auszeichnen ("modern" im Vergleich z.B. zu den Neandertalern, oder zu den körperlich modernen Menschen, die im Nahen Osten vor 90 000 Jahren anscheinend auf der gleichen Kulturstufe gelebt haben, wie die Neandertaler).
Die von mir angesprochene, möglicherweise schon seit 70 000 Jahren anhaltende Degeneration der Gehirnleistungen würde die Naturvölker mit betreffen. Allerdings dürfte es da durchaus Abstufungen geben, die man untersuchen sollte. So haben die Australischen Aborigines noch vor zehn Generationen - in Anpassung an das sehr trockene Klima - in sehr kleinen Verbänden gelebt und ihre wichtigsten Waffen waren Wurfspeere, Wurfkeulen und Boomerangs. Obwohl sie anhand der genetischen Untersuchungen zu den modernen Menschen gehören, galten sie früher als die "primitivsten Wilden", vor allem, weil sie Schädelmerkmale aufweisen, die an Homo erectus, oder die Neandertaler erinnern. So etwas zu diskutieren hat auch heute noch ein gewisses Gschmäckle - es riecht nach Rassismus, aber vielleicht haben die besonderen Lebensumstände in Australien den Werfer - Anpassungen zu einem kleinen, lokalen Comeback verholfen. Ich wäre daher sehr interessiert an Statistiken zum Gehirnvolumen (männlich/weiblich) und dessen Variabilität bei den Aborigines (vor allem im Vergleich zu anderen Populationen). Vielleicht lassen sich auch noch bessere Leistungen bei relativ einfachen psychologischen Tests zum räumlichen Vorstellungsvermögen nachweisen. Allerdings kommen wir hier in einen Bereich, in dem es sehr schwer wird zwischen biologischen und kulturellen Einflüßen zu unterscheiden. Die Aborigines gehören auch heute sicher noch nicht zu den Menschen, die in Sachen Schulbildung priveligiert sind.
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Edukir
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Beitrag(#1586831) Verfasst am: 15.12.2010, 20:35    Titel: Antworten mit Zitat

Ilmor hat folgendes geschrieben:


Wobei eine Erhöhung der Knochendichte eher gegen als für die Pflege von verletzen Mitgliedern in der Gruppe sprechen würde, sofern zwischen den beiden Faktoren eine Kausalität besteht.


Ich sehe erst einmal eine Kausalität beider Faktoren zum erhöhten Risiko von Knochenbrüchen durch geworfene Steine. Ob und wie sich Pflege und Robustizität gegenseitig beeinflußt haben ist schwer zu sagen. Es ist aber naheliegend, dass einem Verwundeten mit einem tödlichen Schädeltrauma auch mit Pflege nicht mehr zu helfen war. In vielen Fällen wird die Pflege nur Sinn gemacht haben, weil die dicken Knochen das Ausmaß der Verletzung in Grenzen hielten.
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fwo
Caterpillar D9



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Beitrag(#1586885) Verfasst am: 15.12.2010, 22:02    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
.....
Auf jeden Fall ging die Entwicklung des menschlichen Körperbaus vor ca. 2 Millionen Jahren mit einer Verdopplung der Dicke der Schädelknochen einher und auch noch mit der Entwicklung vieler anderer Skelettmerkmale, die geeignet waren das Verletzungsrisiko durch geworfene Steine zu verringern. Wir moderne Menschen sind die ersten und einzigen, die diese Merkmale wieder reduziert haben. Das macht es schwierig theoretisch vorherzusagen, ob wir eine höhere Knochenheilrate als andere Säugetiere aufweisen sollten. Selbst wenn dies bei unseren Vorfahren vor über 100 000 Jahren der Fall gewesen sein sollte, könnte es sich inzwischen anders verhalten. Aber es wäre interessant, dieser Frage mal nachzugehen. Die Robustizität des Skeletts wurde vermutlich reduziert, weil es sich um ein sehr kostspieliges Merkmal handelte, das sich angesichts der veränderten Fortpflanzungsstrategien nicht mehr auszahlte. Eine erhöhte Knochenheilrate wäre vermutlich nicht so kostspielig und könnte sich daher erhalten haben und immer noch nachweisen lassen.

Verletzungen sind ein Thema, das es schon lange vor der Entwicklung des Menschen gab, auch schon vor der Entwicklung der Säugetiere - praktisch seit Beginn des Lebens. Die Fähigkeit zur Regeneration ist so alt und mit Sicherheit so durchoptimiert, dass Gedanken an mal eben optimierte Knochenheilraten mir schon etwas naiv vorkommen.

Das zweite ist, dass die der Selektionsdruck nicht durch seltene Ereignisse gemacht wird, sondern durch Standardbelastungen. Die Robben haben schon ganz lange einen ganz dünnen Schädel, den man einfach mit der Faust einschlagen kann und alles was Robben jagt, nutzt diese Schwachstelle, und das schon zeimlich lange, ohne dass der Schädel deshalb dicker gewirden wäre. Bei Feinden ist es grundsätzlich einfacher, Vermeidungsstrategien zu entwickeln (z.B. bei vielen "Beutetieren" der weitgehende Verzicht auf ein binokulares Sehfeld zugunsten eines nach Möglichkeit 360 ° abdeckenden Sehfeldes zum Erkennen der Beutegreifer) als einen Panzer. Das hat es zwar auch schon gegeben aber da handelte es sich sowohl bei den Beutegreifern als auch bei den Beutetieren um jeweils sehr große Trends und nicht um die Entwicklung als Reaktion auf eine kurzfristig auftauchende Gefährdung aus einer Richtung.

Es ist die normale Belastung des Skeletts, auf die sowohl individuell als auch stammesgeschichtliche Anpassungen zu beobachten sind, d.h. die Belastung duch die eigene Muskulatur, die entweder gegen das eigene Gewicht oder gegen besonders "harte Nüsse" anarbeitet: Schädelknochen sind in Skulptur und Dicke üblicherweise eine Anpassung an die Art und Härte der Nahrung, sofern die mit dem Gebiss zerkleinert wird. Sieh dir mal den Schädel einer knochenzermalmenden Hyäne an und dann erinnere dich an die Robbe, die normalerweise von kleinen Fischen lebt.

Und nach dieser Überlegung wäre die erste Reaktion eines in biologischen Kategorien denkenden Menschen auf die Schädeldicke irgendwelcher Früh- oder Vormenschen eine Frage an die bearbeitenden Anthropologen, ob sie etwas zur Ernährung ihrer Objekte sagen können (das geht nach der Form und der Abnutzung der Zähne, Isotopenverteilung im Skelett o.ä.) und nicht eine Spekulation auf Anpassungen an fliegende Steine.


Edukir hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:

Auch wenn eine biologische Degeneration stattfinden würde, die Geschwindigkeit der technischen Verbesserungen ist um Größenordnungen schneller, insofern viele die Degeneration nicht ins Gewicht.


Das sind ziemlich genau die Gedanken, die ich mir im Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung gemacht habe. Es könnte durchaus sein, dass unsere diesbezüglichen biologischen Anpassungen seit rund 70 000 Jahren allmählich degenerieren, was aber durch die kulturelle Entwicklung von "Denkwerkzeugen" bisher mehr als wett gemacht wird. Die enorme Variabilität der Gehirngröße bei Menschen "riecht" förmlich nach fehlender Selektion. Ich habe mal gelesen, dass normalerweise nur domestizierte Tiere ein ähnliches Ausmass an Variabilität zeigen, wie moderne Menschen.


Andererseits schafft die kulturelle Evolution die Kultur und damit ziemliche Anforderungen an das menschliche Großhirn - die Kultur als Lebensraum ist schließt die aus, die sie nicht tragen können. Das erschließt sich mir nicht so ganz, wie das zu einer Degeneration der des Gehirnes führen soll.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Edukir
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Anmeldungsdatum: 28.10.2010
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Beitrag(#1586929) Verfasst am: 15.12.2010, 23:33    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
.....
Auf jeden Fall ging die Entwicklung des menschlichen Körperbaus vor ca. 2 Millionen Jahren mit einer Verdopplung der Dicke der Schädelknochen einher und auch noch mit der Entwicklung vieler anderer Skelettmerkmale, die geeignet waren das Verletzungsrisiko durch geworfene Steine zu verringern. Wir moderne Menschen sind die ersten und einzigen, die diese Merkmale wieder reduziert haben. Das macht es schwierig theoretisch vorherzusagen, ob wir eine höhere Knochenheilrate als andere Säugetiere aufweisen sollten. Selbst wenn dies bei unseren Vorfahren vor über 100 000 Jahren der Fall gewesen sein sollte, könnte es sich inzwischen anders verhalten. Aber es wäre interessant, dieser Frage mal nachzugehen. Die Robustizität des Skeletts wurde vermutlich reduziert, weil es sich um ein sehr kostspieliges Merkmal handelte, das sich angesichts der veränderten Fortpflanzungsstrategien nicht mehr auszahlte. Eine erhöhte Knochenheilrate wäre vermutlich nicht so kostspielig und könnte sich daher erhalten haben und immer noch nachweisen lassen.

Verletzungen sind ein Thema, das es schon lange vor der Entwicklung des Menschen gab, auch schon vor der Entwicklung der Säugetiere - praktisch seit Beginn des Lebens. Die Fähigkeit zur Regeneration ist so alt und mit Sicherheit so durchoptimiert, dass Gedanken an mal eben optimierte Knochenheilraten mir schon etwas naiv vorkommen.


Das mag durchaus stimmen, aber nachschauen schadet nichts. Es ist aber schon bemerkenswert, wieviele verheilte Knochenbrüche es z.B. bei den Neandertalern gab. Die übliche Erklärung ist das hohe Verletzungsrisiko bei der Jagd.

Zitat:
Das zweite ist, dass die der Selektionsdruck nicht durch seltene Ereignisse gemacht wird, sondern durch Standardbelastungen. Die Robben haben schon ganz lange einen ganz dünnen Schädel, den man einfach mit der Faust einschlagen kann und alles was Robben jagt, nutzt diese Schwachstelle, und das schon zeimlich lange, ohne dass der Schädel deshalb dicker gewirden wäre.


Mit "alles was Robben jagd" meinst du doch wohl Menschen mit Knüppeln? Oder gibt es noch andere Jäger, die den Robben die Schädel einschlagen? Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch, der eine Robbe zu fassen bekommt diese auch umbringt liegt bei so ziemlich 100%. Da gibt es keinen Selektionsvorteil für Robben mit etwas dickerem Schädel - und damit auch keine Evolution. Bei Auseinandersetzungen von Werfern an Reviergrenzen (oder meinetwegen auch bei Demonstrationen) ist das ganz anders. Da sind Verletzungen häufiger als Todesfälle.

Zitat:
Bei Feinden ist es grundsätzlich einfacher, Vermeidungsstrategien zu entwickeln (z.B. bei vielen "Beutetieren" der weitgehende Verzicht auf ein binokulares Sehfeld zugunsten eines nach Möglichkeit 360 ° abdeckenden Sehfeldes zum Erkennen der Beutegreifer) als einen Panzer. Das hat es zwar auch schon gegeben aber da handelte es sich sowohl bei den Beutegreifern als auch bei den Beutetieren um jeweils sehr große Trends und nicht um die Entwicklung als Reaktion auf eine kurzfristig auftauchende Gefährdung aus einer Richtung.


Bei den Beutetieren und auch bei den Nahrungskonkurrenten des Menschen waren Vermeidungsstrategien (oder auch das Aussterben) wohl tatsächlich die Regel. Aber Revierkonflikte müssen ausgetragen werden. Wer diese vermeidet, der hat von vorn herein im evolutionären Wettbewerb verloren. Analogien zu den dicken Knochen des Homo erectus wird man daher z.B. bei Steinböcken suchen müssen. Die haben bestimmt einige Anpassungsleistungen entwickelt, um das Verletzungsrisiko für das Gehirn zu verringern, während sie mit den Hörnern gegeneinanderrennen.

Zitat:
Es ist die normale Belastung des Skeletts, auf die sowohl individuell als auch stammesgeschichtliche Anpassungen zu beobachten sind, d.h. die Belastung duch die eigene Muskulatur, die entweder gegen das eigene Gewicht oder gegen besonders "harte Nüsse" anarbeitet: Schädelknochen sind in Skulptur und Dicke üblicherweise eine Anpassung an die Art und Härte der Nahrung, sofern die mit dem Gebiss zerkleinert wird. Sieh dir mal den Schädel einer knochenzermalmenden Hyäne an und dann erinnere dich an die Robbe, die normalerweise von kleinen Fischen lebt.
Und nach dieser Überlegung wäre die erste Reaktion eines in biologischen Kategorien denkenden Menschen auf die Schädeldicke irgendwelcher Früh- oder Vormenschen eine Frage an die bearbeitenden Anthropologen, ob sie etwas zur Ernährung ihrer Objekte sagen können (das geht nach der Form und der Abnutzung der Zähne, Isotopenverteilung im Skelett o.ä.) und nicht eine Spekulation auf Anpassungen an fliegende Steine.


Volltreffer! Anthropologen denken in der Tat genau so und die beliebteste Erklärung für die Robustizität des Schädels beim Homo erectus sind die Kaudrücke. Damit gibt es allerdings einige Schwierigkeiten, denn Kiefer und Zähne passen bei dieser Erklärung nicht zu den propagierten, deutlich erhöhten Anforderungen an die Kaumuskulatur. Eine Verkleinerung der Zähne Verringert die Kaufläche und erhöht damit den Kaudruck auch bei gleich bleibender Kaumuskulatur. Ebenso verhält es sich mit einem verkürzten Gesicht mit seinen besseren Hebelverhältnissen. Mit seinem verkürzten Gesicht und den kleineren Zähnen hätte der Homo erectus also bei gleicher Kaumuskulatur höhere Kaudrücke erzeugt als seine Vorfahren. Die Abnahme der Dicke des Zahnschmelzes spricht aber dafür, dass die Kaudrücke eher abgenommen haben - wozu also die angebliche, deutliche Leistungssteigerung bei der Kaumuskulatur?


Zitat:
Edukir hat folgendes geschrieben:
Ilmor hat folgendes geschrieben:

Auch wenn eine biologische Degeneration stattfinden würde, die Geschwindigkeit der technischen Verbesserungen ist um Größenordnungen schneller, insofern viele die Degeneration nicht ins Gewicht.


Das sind ziemlich genau die Gedanken, die ich mir im Zusammenhang mit der Gehirnentwicklung gemacht habe. Es könnte durchaus sein, dass unsere diesbezüglichen biologischen Anpassungen seit rund 70 000 Jahren allmählich degenerieren, was aber durch die kulturelle Entwicklung von "Denkwerkzeugen" bisher mehr als wett gemacht wird. Die enorme Variabilität der Gehirngröße bei Menschen "riecht" förmlich nach fehlender Selektion. Ich habe mal gelesen, dass normalerweise nur domestizierte Tiere ein ähnliches Ausmass an Variabilität zeigen, wie moderne Menschen.


Andererseits schafft die kulturelle Evolution die Kultur und damit ziemliche Anforderungen an das menschliche Großhirn - die Kultur als Lebensraum ist schließt die aus, die sie nicht tragen können. Das erschließt sich mir nicht so ganz, wie das zu einer Degeneration der des Gehirnes führen soll.

fwo


Es ist ein Vorurteil, dass Kultur die Anforderungen an unser Gehirn erhöht. Nehmen wir z.B. das Zusammenleben in großen Sozialverbänden: Ist es komplizierter als in einer Schimpansengroßen Gruppe? Kultur produziert Regeln und Regeln machen das Verhalten unserer Mitmenschen berechenbarer und das Zusammenleben aus intellektueller Sicht weniger anspruchsvoll. In traditionellen Gesellschaften, in denen unsere Vorfahren den größten Teil der letzten 70 000 Jahre verbracht haben, waren ihre Handlungsoptionen durch die Kultur über weite Strecken vorgegeben. Oder willst du mir jetzt erzählen, dass das Leben in einer von religiösen Dogmen dominierten Gemeinschaft der intellektuellen Entfaltung förderlich ist?

Und wie sieht es heute aus? Sind diejenigen, die sich den höchsten intellektuellen Herausforderungen erfolgreich stellen automatisch auch diejenigen, die die meisten Kinder in die Welt setzen? Verdanken tief gläubige Menschen ihren Kinderreichtum ihren intellektuellen Glanzleistungen?
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Beitrag(#1586979) Verfasst am: 16.12.2010, 01:16    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Mit "alles was Robben jagd" meinst du doch wohl Menschen mit Knüppeln? Oder gibt es noch andere Jäger, die den Robben die Schädel einschlagen?

Ja, Eisbären.

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Analogien zu den dicken Knochen des Homo erectus wird man daher z.B. bei Steinböcken suchen müssen. Die haben bestimmt einige Anpassungsleistungen entwickelt, um das Verletzungsrisiko für das Gehirn zu verringern, während sie mit den Hörnern gegeneinanderrennen.

Das wäre etwas einfacher, wenn der Mensch vergleichbar lange Hörner trüge, die an ihrer Basis sowohl beim Stoß als auch bereits bei jedem Sprung relativ große Kräfte auf die Schädelkalotte übertragen. Wir tragen unsere Hörner relativ dazu ja nur im Verborgenen. zwinkern

Edukir hat folgendes geschrieben:
....Volltreffer! Anthropologen denken in der Tat genau so und die beliebteste Erklärung für die Robustizität des Schädels beim Homo erectus sind die Kaudrücke. Damit gibt es allerdings einige Schwierigkeiten, denn Kiefer und Zähne passen bei dieser Erklärung nicht zu den propagierten, deutlich erhöhten Anforderungen an die Kaumuskulatur. Eine Verkleinerung der Zähne Verringert die Kaufläche und erhöht damit den Kaudruck auch bei gleich bleibender Kaumuskulatur. Ebenso verhält es sich mit einem verkürzten Gesicht mit seinen besseren Hebelverhältnissen. Mit seinem verkürzten Gesicht und den kleineren Zähnen hätte der Homo erectus also bei gleicher Kaumuskulatur höhere Kaudrücke erzeugt als seine Vorfahren. Die Abnahme der Dicke des Zahnschmelzes spricht aber dafür, dass die Kaudrücke eher abgenommen haben - wozu also die angebliche, deutliche Leistungssteigerung bei der Kaumuskulatur?

Das sind jetzt Aussagen zur Geometrie des Schädels/Gebisses - was machen die Leuts für Aussagen zur Nahrung des h. erectus? Es muss übrigens auch nicht der erectus selbst gewesen sein, der den dicken Schädel brauchte, wenn es nicht allzuviel "kostet" und auch sonst nicht stört, kann soetwas auch als Relikt einer früheren Lebensweise ziemlich lange erhalten bleiben.
Edukir hat folgendes geschrieben:
....Es ist ein Vorurteil, dass Kultur die Anforderungen an unser Gehirn erhöht. Nehmen wir z.B. das Zusammenleben in großen Sozialverbänden: Ist es komplizierter als in einer Schimpansengroßen Gruppe? Kultur produziert Regeln und Regeln machen das Verhalten unserer Mitmenschen berechenbarer und das Zusammenleben aus intellektueller Sicht weniger anspruchsvoll. ....

Hier liegt eine etwas schräge Blickrichtung vor: Es ist nicht das Leben nach Regeln, das so eine hohe Leistung darstellt, sondern das Umstellen einer Betrachtung der Welt durch eine abstrakte Sprache, das erst die Möglichkeit zu den ausgehandelten Regen schafft. Es ist erst die abstrakte Sprache, die eine Akkumulation der Erfahrung über Generationen hinweg ermöglicht - das was wir Kultur nennen, dabei ist die Sprache selbst die erste und größte Kulturleistung, die bis sie das leistet, was wir so üblichwerweise mit ihr machen, bereits eine riesige Rechenleistung erfordert. Es geht dabei weniger um die intellektuelle Maximallleistung einzelner Individuen.

fwo
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Edukir
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Beitrag(#1586993) Verfasst am: 16.12.2010, 03:21    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Mit "alles was Robben jagd" meinst du doch wohl Menschen mit Knüppeln? Oder gibt es noch andere Jäger, die den Robben die Schädel einschlagen?

Ja, Eisbären.


Da sieht die Sache ähnlich aus, wie beim Menschen. Einer Robbe, die sich von einem Eisbären erwischen läßt würde auch ein dickerer Schädel nicht weiterhelfen.

Zitat:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Analogien zu den dicken Knochen des Homo erectus wird man daher z.B. bei Steinböcken suchen müssen. Die haben bestimmt einige Anpassungsleistungen entwickelt, um das Verletzungsrisiko für das Gehirn zu verringern, während sie mit den Hörnern gegeneinanderrennen.

Das wäre etwas einfacher, wenn der Mensch vergleichbar lange Hörner trüge, die an ihrer Basis sowohl beim Stoß als auch bereits bei jedem Sprung relativ große Kräfte auf die Schädelkalotte übertragen. Wir tragen unsere Hörner relativ dazu ja nur im Verborgenen. zwinkern


Da gebe ich dir recht - wenn wir uns nicht zu Werfern, sondern zu Hornträgern entwickelt hätten, wäre es in der Tat etwas leichter unsere Evolution zu verstehen. Ich fürchte nur, dass unsere Gehirne dann auch nicht mehr leisten würden, als für Hornviecher üblich. Sehr glücklich

Zitat:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....Volltreffer! Anthropologen denken in der Tat genau so und die beliebteste Erklärung für die Robustizität des Schädels beim Homo erectus sind die Kaudrücke. Damit gibt es allerdings einige Schwierigkeiten, denn Kiefer und Zähne passen bei dieser Erklärung nicht zu den propagierten, deutlich erhöhten Anforderungen an die Kaumuskulatur. Eine Verkleinerung der Zähne Verringert die Kaufläche und erhöht damit den Kaudruck auch bei gleich bleibender Kaumuskulatur. Ebenso verhält es sich mit einem verkürzten Gesicht mit seinen besseren Hebelverhältnissen. Mit seinem verkürzten Gesicht und den kleineren Zähnen hätte der Homo erectus also bei gleicher Kaumuskulatur höhere Kaudrücke erzeugt als seine Vorfahren. Die Abnahme der Dicke des Zahnschmelzes spricht aber dafür, dass die Kaudrücke eher abgenommen haben - wozu also die angebliche, deutliche Leistungssteigerung bei der Kaumuskulatur?

Das sind jetzt Aussagen zur Geometrie des Schädels/Gebisses - was machen die Leuts für Aussagen zur Nahrung des h. erectus? Es muss übrigens auch nicht der erectus selbst gewesen sein, der den dicken Schädel brauchte, wenn es nicht allzuviel "kostet" und auch sonst nicht stört, kann soetwas auch als Relikt einer früheren Lebensweise ziemlich lange erhalten bleiben.


Bei der Nahrung hält man sich an die Eigenschaften der Zähne und geht (wie z.B. Friedemann Schrenk) davon aus, dass die Zähne bei ihrer Arbeit durch die aufkommende Nutzung von Werkzeugen entlastet wurden. Auch das paßt nicht zur Erklärung der Schädeldicke durch massive Kaumuskulatur. Ein Relikt war der dicke Schädel auch nicht - beim direkten Vorgänger, dem Homo habilis, waren die Schädelknochen schon deutlich dünner und auch die Stirn bereits steiler. Homo habilis hatte also bereits ein paar Trends vorweggenommen, die wir später beim Homo sapiens in voller Ausprägung finden. Beim Übergang zum Homo erectus wurden diese modern anmutenden Eigenschaften jedoch wieder verworfen.

Zitat:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....Es ist ein Vorurteil, dass Kultur die Anforderungen an unser Gehirn erhöht. Nehmen wir z.B. das Zusammenleben in großen Sozialverbänden: Ist es komplizierter als in einer Schimpansengroßen Gruppe? Kultur produziert Regeln und Regeln machen das Verhalten unserer Mitmenschen berechenbarer und das Zusammenleben aus intellektueller Sicht weniger anspruchsvoll. ....

Hier liegt eine etwas schräge Blickrichtung vor: Es ist nicht das Leben nach Regeln, das so eine hohe Leistung darstellt, sondern das Umstellen einer Betrachtung der Welt durch eine abstrakte Sprache, das erst die Möglichkeit zu den ausgehandelten Regen schafft. Es ist erst die abstrakte Sprache, die eine Akkumulation der Erfahrung über Generationen hinweg ermöglicht - das was wir Kultur nennen, dabei ist die Sprache selbst die erste und größte Kulturleistung, die bis sie das leistet, was wir so üblichwerweise mit ihr machen, bereits eine riesige Rechenleistung erfordert. Es geht dabei weniger um die intellektuelle Maximallleistung einzelner Individuen.

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Die Frage ist, bei wem die schräge Blickrichtung vorliegt. Wissenschaftler, die sich bei ihrer Arbeit in erster Linie der Sprache bedienen, neigen dazu in der Sprachfähigkeit eine Voraussetzung für alles Mögliche zu sehen - z.B. für die Entwicklung anspruchsvoller Werkzeuge. Fragt man dagegen einen Handwerker, der selbst Werkzeuge nutzt und herstellt, dann sagt er "Übung macht den Meister" - von der Sprache ist da plötzlich keine Rede mehr. Ingenieure sind dafür berüchtigt, dass bei ihnen die sprachlichen Fähigkeiten verkümmern. Hat ein Ingenieur ein Problem, dann schreibt er keine Romane, sondern schnappt sich einen Stift und nähert sich dem Problem zeichnerisch. Man versucht eine Lösung zu sehen - nicht sie herbeizureden. Hat man dann eine Lösung, dann wird sie auch nicht sprachlich abstrahiert, sondern zeichnerisch konkretisiert.
Die Verarbeitung visueller Daten erfordert vom Gehirn eine Rechenleistung, die Alles bei weitem in den Schatten stellt was im Zusammenhang mit der Sprache benötigt wird, trotzdem sagt uns ein Bild häufig weit mehr als tausend Worte - und in viel kürzerer Zeit.

Die indischen Bauern waren traditionell von ihren Arbeitstieren, den Rindern, in hohem Maße abhängig. Es verwundert daher nicht, daß sie die Kühe für heilig erklärt haben. - Die Sprache ist die heilige Kuh der Philosophen. zwinkern
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Beitrag(#1587155) Verfasst am: 16.12.2010, 13:19    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
...
fwo hat folgendes geschrieben:
....
Das sind jetzt Aussagen zur Geometrie des Schädels/Gebisses - was machen die Leuts für Aussagen zur Nahrung des h. erectus? Es muss übrigens auch nicht der erectus selbst gewesen sein, der den dicken Schädel brauchte, wenn es nicht allzuviel "kostet" und auch sonst nicht stört, kann soetwas auch als Relikt einer früheren Lebensweise ziemlich lange erhalten bleiben.


Bei der Nahrung hält man sich an die Eigenschaften der Zähne und geht (wie z.B. Friedemann Schrenk) davon aus, dass die Zähne bei ihrer Arbeit durch die aufkommende Nutzung von Werkzeugen entlastet wurden. Auch das paßt nicht zur Erklärung der Schädeldicke durch massive Kaumuskulatur. Ein Relikt war der dicke Schädel auch nicht - beim direkten Vorgänger, dem Homo habilis, waren die Schädelknochen schon deutlich dünner und auch die Stirn bereits steiler. Homo habilis hatte also bereits ein paar Trends vorweggenommen, die wir später beim Homo sapiens in voller Ausprägung finden. Beim Übergang zum Homo erectus wurden diese modern anmutenden Eigenschaften jedoch wieder verworfen.

Wesentlich für den Angriff der Kaumuskulatur ist die Schädelmitte, die analog etwa zum Brustbein der Vögel bei entsprechender Spezialisierung bis zum echten Kamm ausgebildet werden kann (siehe Paranthropus aethiopicus). Du findest auch bei h. erectus - nicht diesen Kamm - aber Ansätze dazu. Außerdem meine ich mit Relikt nicht unbedingt von der Form, die wir als Vorgänger klassifizieren, soetwas kann auch aus einer relativ kurfristigen Übergangsform mit geringer Populationszahl entstehen. Da haben wir fossil die Funde, die als h. ergaster klassifiziert werden, die auch schon in diese Richtung gehen.

Edukir hat folgendes geschrieben:
...
Die Frage ist, bei wem die schräge Blickrichtung vorliegt. Wissenschaftler, die sich bei ihrer Arbeit in erster Linie der Sprache bedienen, neigen dazu in der Sprachfähigkeit eine Voraussetzung für alles Mögliche zu sehen - z.B. für die Entwicklung anspruchsvoller Werkzeuge. Fragt man dagegen einen Handwerker, der selbst Werkzeuge nutzt und herstellt, dann sagt er "Übung macht den Meister" - von der Sprache ist da plötzlich keine Rede mehr. Ingenieure sind dafür berüchtigt, dass bei ihnen die sprachlichen Fähigkeiten verkümmern. Hat ein Ingenieur ein Problem, dann schreibt er keine Romane, sondern schnappt sich einen Stift und nähert sich dem Problem zeichnerisch. Man versucht eine Lösung zu sehen - nicht sie herbeizureden. Hat man dann eine Lösung, dann wird sie auch nicht sprachlich abstrahiert, sondern zeichnerisch konkretisiert.
Die Verarbeitung visueller Daten erfordert vom Gehirn eine Rechenleistung, die Alles bei weitem in den Schatten stellt was im Zusammenhang mit der Sprache benötigt wird, trotzdem sagt uns ein Bild häufig weit mehr als tausend Worte - und in viel kürzerer Zeit.

Die indischen Bauern waren traditionell von ihren Arbeitstieren, den Rindern, in hohem Maße abhängig. Es verwundert daher nicht, daß sie die Kühe für heilig erklärt haben. - Die Sprache ist die heilige Kuh der Philosophen. zwinkern

Halte dich bei deinen Überlegungen nicht so in Spitzenleistungen auf, sondern im Normalen. Auch dein sprachunfähiger Ingenieur ist ja nicht sprachunfähig, sondern im Gegenteil äußerst sprachfähig in seiner Fachsprache, etwa der Mathematik, die aber ohne die unterlegte Alltagssprache weder ihrer Entstehung noch in ihrer Tradition zu denken ist. Und was diese Fachsprachen dann in ihrer Verdichtung leisten ist heftig: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Biolehrer, durch den ich zur Fotografie geklommen bin, und der stolz auf seine Erfahrung in der Makrofotografie war (und auf sein Heft, in dem er funktionierende Arrangements von Blitz, und bestimmten Objektiven mit bestimmtem Maßstab für bestimmte Filmempfindlichkeiten festgehalten hatte) und der regelrecht beleidigt war, als ich ihm nach einer Kalibrierung mit zwei unterschiedlichen Blitzgeräten und einer ca. 1seitigen Herleitung der Zusammenhänge seine in jahrelanger Arbeit erstellten Tabellen ohne weiteren Aufwand an Zeit und Material nur auf dem Papier nicht nur reproduzieren, sondern auch erweitern konnte. Ihm konnte ich das nicht erklären, er sah sich als Handwerker und Künstler und wollte die Mathematik einfach nicht. Ich kenne übrigens auch echte Handwerker, die beleidigt sind, wenn ihnen jemand mit größerer Sprachfähigkeit ihr Handwerk nicht nur erklärt, sonder auch noch vormacht - mein Bruder ist als Gewerbelehrer auch bei der Abnahme der Meisterprüfungen dabei und soetwas passiert ihm auch.

Bevor deine Ingenieure ihre Lösungen sehen können, haben sie in ihrem Spezialgebiet und damit in ihrer Fachsprache Zusammenhänge entwickelt und in Zusammenhängen gearbeitet, die ohne diese Fachsprache einfach nicht denkbar im Sinne von prozessierungsfähig sind. Sprachlos werden die erst später und nur in der Umgangssprache. Aber da nimmst Du eben die herausragende Einzelleistung, die nicht besonders weit verbreitet ist: Diese Leute, die die Lösungen sehen, anstatt sich umständlich zu nähern, sind zwar nicht nur unter den Ingenieuren zu finden, aber sie sind auch nicht besonders zahlreich. Und wir finden diese Art zu zeichnen auch nur bei einer Tierart, das sind wir selbst, und erst nach einer gaaanz langen Tradition der Sprache. Die ersten echten technischen Zeichnungen, die ich kenne, sind aus der Hoch-Zeit der Griechen, entsprechende Höhlenmalereien gibt es gar nicht.

Die hohe Einschätzung der Sprache kommt nicht unbedingt nur aus den Laberwissenschaften.

fwo
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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Beitrag(#1587459) Verfasst am: 16.12.2010, 22:37    Titel: Antworten mit Zitat

Die Debatte um "Degeneration" ergibt keinen Sinn, wenn man die vielfältigen, gegenseitigen Abhängigkeiten in einem Ökosystem betrachtet. nee

"Degeneration" ein relativer Begriff. Ein Einzeller würde - könnte er denken - wohl sich sexuell fortpflanzende Mehrzeller der Degeneration bezichtigen, weil sie sich Tod und Sterben eingehandelt haben. Fische würden über Landbewohner lachen, weil Landbewohner verdursten können. Und ein Aboriginee würde über den modernen Menschen lachen, weil der allermodernste Mensch Supermärkte braucht, um zu überleben.

Nun haben wir uns also auch noch auf technische Abhängigkeiten eingelassen. Was soll's? Niemand würde sagen, wir seien degeneriert, nur weil wir auf Mikroorganismen in unserem Darm angewiesen sind, ohne deren Hilfe wir ziemlich schnell verhungerten?

"Degeneriert" hat als wertende Vokabel keinen Platz in der Biologie.



(Das bringt mich auf eine Idee für einen anderen Thread. BRB.)
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Beitrag(#1587462) Verfasst am: 16.12.2010, 22:38    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Die kulturelle Evolution tritt nicht an die Stelle de biologischen, sie schafft höchstens neue Bedingungen für diese. fwo


So einfach ist die Sache wohl nicht. Biologische Evolution kann sehr unterschiedlich aussehen. Die Entwicklung neuer, komplexer Anpassungsleistungen setzt eine Kontinuität bei der Selektion über viele Generationen hinweg voraus. In einer komplexen, kulturell dominierten Umwelt mit einer ausufernden Arbeitsteilung und freier Berufswahl unterscheiden sich die "Selektionsbedingungen" von Eltern und deren Kindern unter Umständen mehr, als wir es in der Natur bei Angehörigen verschiedener Arten finden. Wie soll biologische Evolution im Sinne der Entwicklung neuer, funktional komplexer Anpassungsleistungen unter solchen Bedingungen überhaupt noch funktionieren?

Hmm.

Du meinst, wenn mal Werfen, mal Bogenschießen, mal MG-Bedienung gefragt ist, in immer rascherer Folge, dann fielen Spezialanpassungen durch's Raster der Evolution, sobald sich die Anforderungen in wenigen Generationen ändern.

Aber ist es nicht eher so, daß zum Beispiel die Hand ein Allzweck-Werkzeug ist? Ist das Besondere am Gehirn nicht, daß es sich problemlos auf vielseitigste Probleme einstellen kann? Ist nicht gerade diese Vielseitigkeit die "Spezialanpassung" des Menschen?

Darüber hinaus gibt es gute Gründe anzunehmen, daß die Evolution des Menschen in jüngster Vergangenheit schneller ablief.

- Erstens hängt die Geschwindigkeit, mit der sich günstige Allele in einer Population ausbreiten, von der Dichte der Population ab. Je dichter, desto schneller, und zwar mit der Wurzel aus der Populationsdichte.
- Zweitens war Umweltveränderung schon immer ein Motor der Evolution - und unsere kulturelle Umwelt hat sich in den letzten paar Zehntausend Jahren immer rascher verändert.

Dafür gibt es auch Belege:

Zitat:
Recent acceleration of human adaptive evolution

Genomic surveys in humans identify a large amount of recent positive selection. Using the 3.9-million HapMap SNP dataset, we found that selection has accelerated greatly during the last 40,000 years.

[...]

It is sometimes claimed that the pace of human evolution should have slowed as cultural adaptation supplanted genetic adaptation. The high empirical number of recent adaptive variants would seem sufficient to refute this claim. It is important to note that the peak ages of new selected variants in our data do not reflect the highest intensity of selection, but merely our ability to detect selection.

[...]

In our view, the rapid cultural evolution during the Late Pleistocene created vastly more opportunities for further genetic change, not fewer, as new avenues emerged for communication, social interactions, and creativity.

http://johnhawks.net/weblog/topics/evolution/selection/acceleration_embargo_ends_2007.html


Edukir hat folgendes geschrieben:
Dass Selektion nicht mehr greift, bedeutet aber natürlich nicht, dass sich das Erbgut nicht verändert. Funktionale Komplexität wird durch Selektion nicht nur erzeugt, sondern auch erhalten.

Abgesehen davon, daß Selektion immer noch greift, wenn man obigem Glauben schenkt, hast du völlig recht: Selektion hat bei gleichbleibender Umgebung eine starke, erhaltende Komponente.

C. G. Williams [EDIT: erzählt] von dieser Untersuchung: man hat die Flügellängen von Vögeln gemessen, die in einem Sturm getötet wurden. Es stellte sich heraus, daß die Flügellängen der Vögel signifikant vom Durchschnitt abwichen, entweder waren sie zu kurz oder zu lang.

Edukir hat folgendes geschrieben:
Ohne ständige Selektion kommt es infolge der Rekombination bei der sexuellen Fortpflanzung zu einer eskalierenden Variabilität, die wiederum - im statistischen Mittel - zur Degeneration führt.

Das verstehe ich nicht. Große Variabilität ermöglicht einer Population rasch auf Umweltveränderungen zu reagieren. Genetische Drift und neutrale Evolution schadet keinem. - Und der Mischlingshund ist oft gesünder als reinrassige Inzuchthunde.


PS: was Sprache betrifft, schließe ich mich fwo an. Der Ingenieur kann sich sein Wissen und seine Fähigkeiten nur mittels Sprache aneignen.


Zuletzt bearbeitet von smallie am 17.12.2010, 00:18, insgesamt einmal bearbeitet
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Beitrag(#1587469) Verfasst am: 16.12.2010, 22:47    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
...
fwo hat folgendes geschrieben:
....
Das sind jetzt Aussagen zur Geometrie des Schädels/Gebisses - was machen die Leuts für Aussagen zur Nahrung des h. erectus? Es muss übrigens auch nicht der erectus selbst gewesen sein, der den dicken Schädel brauchte, wenn es nicht allzuviel "kostet" und auch sonst nicht stört, kann soetwas auch als Relikt einer früheren Lebensweise ziemlich lange erhalten bleiben.


Bei der Nahrung hält man sich an die Eigenschaften der Zähne und geht (wie z.B. Friedemann Schrenk) davon aus, dass die Zähne bei ihrer Arbeit durch die aufkommende Nutzung von Werkzeugen entlastet wurden. Auch das paßt nicht zur Erklärung der Schädeldicke durch massive Kaumuskulatur. Ein Relikt war der dicke Schädel auch nicht - beim direkten Vorgänger, dem Homo habilis, waren die Schädelknochen schon deutlich dünner und auch die Stirn bereits steiler. Homo habilis hatte also bereits ein paar Trends vorweggenommen, die wir später beim Homo sapiens in voller Ausprägung finden. Beim Übergang zum Homo erectus wurden diese modern anmutenden Eigenschaften jedoch wieder verworfen.

Wesentlich für den Angriff der Kaumuskulatur ist die Schädelmitte, die analog etwa zum Brustbein der Vögel bei entsprechender Spezialisierung bis zum echten Kamm ausgebildet werden kann (siehe Paranthropus aethiopicus). Du findest auch bei h. erectus - nicht diesen Kamm - aber Ansätze dazu. Außerdem meine ich mit Relikt nicht unbedingt von der Form, die wir als Vorgänger klassifizieren, soetwas kann auch aus einer relativ kurfristigen Übergangsform mit geringer Populationszahl entstehen. Da haben wir fossil die Funde, die als h. ergaster klassifiziert werden, die auch schon in diese Richtung gehen.


Schädel sind sehr variabel und dicke Knochen kostspielig. Die charakteristischen Merkmale des Homo erectus sind über fast 2 Millionen Jahre mit bemerkenswerter Konsequenz beibehalten worden - das spricht sowohl gegen eine Laune der Natur, entstanden in einer kleinen Population, als auch gegen ein Relikt. In beiden Fällen hätten wir mit nicht optimierten Proportionen zu tun, die gestützt auf die vorhandene Variabilität schnell hätten korrigiert werden können. Grazilere und modernere Proportionen lagen vermutlich jederzeit in Reichweite - sogar innerhalb der Art. Dies zeigt die Übergangspopulation der Dmanissi-Homininen, bei denen die Frauen eher an Homo habilis erinnern, während die Männer dem Homo erectus nahe stehen.
Was die Kaumuskulatur angeht, so zeigt gerade der Vergleich mit dem Paranthropus die Schwierigkeiten eines solchen Erklärungsansatzes beim Homo erectus auf. Beim Paranthropus weisen Form und Robustizität des Schädels in die gleiche Richtung, wie die Größe der Zähne und die Dicke des Zahnschmelzes - beim Homo erectus in entgegengesetzte Richtungen.

Zitat:
Edukir hat folgendes geschrieben:
...
Die Frage ist, bei wem die schräge Blickrichtung vorliegt. Wissenschaftler, die sich bei ihrer Arbeit in erster Linie der Sprache bedienen, neigen dazu in der Sprachfähigkeit eine Voraussetzung für alles Mögliche zu sehen - z.B. für die Entwicklung anspruchsvoller Werkzeuge. Fragt man dagegen einen Handwerker, der selbst Werkzeuge nutzt und herstellt, dann sagt er "Übung macht den Meister" - von der Sprache ist da plötzlich keine Rede mehr. Ingenieure sind dafür berüchtigt, dass bei ihnen die sprachlichen Fähigkeiten verkümmern. Hat ein Ingenieur ein Problem, dann schreibt er keine Romane, sondern schnappt sich einen Stift und nähert sich dem Problem zeichnerisch. Man versucht eine Lösung zu sehen - nicht sie herbeizureden. Hat man dann eine Lösung, dann wird sie auch nicht sprachlich abstrahiert, sondern zeichnerisch konkretisiert.
Die Verarbeitung visueller Daten erfordert vom Gehirn eine Rechenleistung, die Alles bei weitem in den Schatten stellt was im Zusammenhang mit der Sprache benötigt wird, trotzdem sagt uns ein Bild häufig weit mehr als tausend Worte - und in viel kürzerer Zeit.

Die indischen Bauern waren traditionell von ihren Arbeitstieren, den Rindern, in hohem Maße abhängig. Es verwundert daher nicht, daß sie die Kühe für heilig erklärt haben. - Die Sprache ist die heilige Kuh der Philosophen. zwinkern


Halte dich bei deinen Überlegungen nicht so in Spitzenleistungen auf, sondern im Normalen. Auch dein sprachunfähiger Ingenieur ist ja nicht sprachunfähig, sondern im Gegenteil äußerst sprachfähig in seiner Fachsprache, etwa der Mathematik, die aber ohne die unterlegte Alltagssprache weder ihrer Entstehung noch in ihrer Tradition zu denken ist. Und was diese Fachsprachen dann in ihrer Verdichtung leisten ist heftig: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Biolehrer, durch den ich zur Fotografie geklommen bin, und der stolz auf seine Erfahrung in der Makrofotografie war (und auf sein Heft, in dem er funktionierende Arrangements von Blitz, und bestimmten Objektiven mit bestimmtem Maßstab für bestimmte Filmempfindlichkeiten festgehalten hatte) und der regelrecht beleidigt war, als ich ihm nach einer Kalibrierung mit zwei unterschiedlichen Blitzgeräten und einer ca. 1seitigen Herleitung der Zusammenhänge seine in jahrelanger Arbeit erstellten Tabellen ohne weiteren Aufwand an Zeit und Material nur auf dem Papier nicht nur reproduzieren, sondern auch erweitern konnte. Ihm konnte ich das nicht erklären, er sah sich als Handwerker und Künstler und wollte die Mathematik einfach nicht. Ich kenne übrigens auch echte Handwerker, die beleidigt sind, wenn ihnen jemand mit größerer Sprachfähigkeit ihr Handwerk nicht nur erklärt, sonder auch noch vormacht - mein Bruder ist als Gewerbelehrer auch bei der Abnahme der Meisterprüfungen dabei und soetwas passiert ihm auch.

Bevor deine Ingenieure ihre Lösungen sehen können, haben sie in ihrem Spezialgebiet und damit in ihrer Fachsprache Zusammenhänge entwickelt und in Zusammenhängen gearbeitet, die ohne diese Fachsprache einfach nicht denkbar im Sinne von prozessierungsfähig sind. Sprachlos werden die erst später und nur in der Umgangssprache. Aber da nimmst Du eben die herausragende Einzelleistung, die nicht besonders weit verbreitet ist: Diese Leute, die die Lösungen sehen, anstatt sich umständlich zu nähern, sind zwar nicht nur unter den Ingenieuren zu finden, aber sie sind auch nicht besonders zahlreich. Und wir finden diese Art zu zeichnen auch nur bei einer Tierart, das sind wir selbst, und erst nach einer gaaanz langen Tradition der Sprache. Die ersten echten technischen Zeichnungen, die ich kenne, sind aus der Hoch-Zeit der Griechen, entsprechende Höhlenmalereien gibt es gar nicht.

Die hohe Einschätzung der Sprache kommt nicht unbedingt nur aus den Laberwissenschaften.

fwo


Wenn du sämtliche Kognitiven Leistungen des Menschen einfach der Sprache zuschreibst, dann ist die Sprache natürlich genau das, worauf es ankommt. Für mich fangen die Schwierigkeiten dir zu folgen schon da an, wo du davon sprichst, dass wir beim Sprechen abstrakte Begriffe verwenden. Wie kommen die Abstraktionen zustande? Werden sie sprachlich entwickelt und sind damit Teil der Anpassungsleistungen an die Sprachfähigkeit? Oder sind Abstraktionen funktional eher verwandt mit Prozessen der Kategorisierung und Mustererkennung, wie wir sie im Bereich der optischen Wahrnehmung finden? Dazu ein Zitat des Neurobiologen Semir M. Zeki, das ich auch in meinem Buch verwendet habe:
Zitat:
Die visuellen Reize, die das Gehirn in Form von Nervenimpulsen erreichen, stellen keinen eindeutig definierten Code dar, der nur entschlüsselt werden müsste. Zum Beispiel ändert sich die Wellenlänge des Lichts, das von einer Oberfläche reflektiert wird, mit der Beleuchtung, und trotzdem vermag das Gehirn dieser Oberfläche eine gleichbleibende Farbe zuzuordnen. Das Bild, das die gestikulierende Hand eines Redners auf unsere Netzhaut wirft, wandelt sich in jedem Augenblick; dennoch erkennt das Gehirn darin unbeirrt eine Hand. Und es läßt sich in der Regel auch nicht über die wahre Größe eines Gegenstandes täuschen, obwohl dessen Netzhautbild mit zunehmender Entfernung immer kleiner wird.
Die Aufgabe des Gehirns ist es also, aus dem sich immerzu ändernden Datenfluß die konstanten und objektiven Merkmale des betrachteten Gegenstandes herauszufiltern. Wahrnehmung ist untrennbar mit Interpretation verknüpft. Um festzustellen, was es sieht, kann das Gehirn sich nicht damit begnügen, die Netzhautbilder zu analysieren, sondern muß aus sich heraus die visuelle Außenwelt rekonstruieren. Dazu hat sich ein höchst komplizierter neuraler Mechanismus entwickelt, der so unvorstellbar effizient ist, dass es eines Jahrhunderts Hirnforschung bedurfte, bevor man auch nur eine Ahnung von der Vielzahl seiner Komponenten erhielt.


Die konstanten und objektiven Merkmale des betrachteten Gegenstandes herauszufiltern - ist das nicht genau das, worauf es bei Abstraktionen ankommt? Und ist die Fähigkeit etwas zu konstruieren nicht genau das, worauf es bei Ingenieuren ankommt?
Der Prozess gerade der räumlichen Wahrnehmung zeigt deutliche Analogien zur naturwissenschaftlichen Theoriebildung. Unzählige Daten werden unter Berücksichtigung erkannter Gesetzmäßigkeiten in einem möglichst sparsamen und widerspruchsfreien Gesamtszenario integriert. Es ist daher durchaus naheliegend anzunehmen, dass Verbesserungen der räumlichen Wahrnehmung einen erheblichen Beitrag zur kognitiven Sonderstellung des Menschen geleistet haben - insbesondere, wenn man sich mit einer Anpassungsleistung, wie dem Werfen befaßt, die erklärt, wozu eine Verbesserung der räumlichen Wahrnehmung beim Menschen benötigt wurde.

Einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Geschlechtsunterschiede bei der räumlichen Wahrnehmung habe ich übrigens in der folgenden Doktorarbeit gefunden (Kap. 1.3):

http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=1005317011&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=1005317011.pdf

Wenn du die Mathematik als Sprache bezeichnest, bekomme ich das nächste Problem. Hier betonen Psychologen nämlich gerne, wie wichtig einige Aspekte der räumlichen Wahrnehmung als Grundlage für mathematisches Denken sind. Dabei scheinen sich Jungen bei der Lösung mathematischer Aufgaben eher auf räumliches Denken zu stützen, während Mädchen eher dazu neigen ihre verbalen Fähigkeiten zu nutzen.

Natürlich sind wir sprechende Wesen. Sprache ist in unserem Verhalten allgegenwärtig - das heißt aber nicht, dass es nur auf die Sprache ankommt und dass wir Alles nur der Sprachfähigkeit verdanken. Herausragende sensorische Fähigkeiten im Bereich der Hände, herausragende manipulatorische und motorische Fähigkeiten und herausragende Leistungen im Bereich der räumlichen, visuellen Wahrnehmung spielen ebenfalls eine Rolle, wenn es um die kognitive Sonderstellung des Menschen geht. Daß die Sprache als Medium, dessen sich die kulturelle Evolution vornehmlich bedient, eine Sonderrolle spielt, steht meines Erachtens auf einem anderen Blatt.
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Beitrag(#1587500) Verfasst am: 16.12.2010, 23:43    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Die kulturelle Evolution tritt nicht an die Stelle de biologischen, sie schafft höchstens neue Bedingungen für diese. fwo


So einfach ist die Sache wohl nicht. Biologische Evolution kann sehr unterschiedlich aussehen. Die Entwicklung neuer, komplexer Anpassungsleistungen setzt eine Kontinuität bei der Selektion über viele Generationen hinweg voraus. In einer komplexen, kulturell dominierten Umwelt mit einer ausufernden Arbeitsteilung und freier Berufswahl unterscheiden sich die "Selektionsbedingungen" von Eltern und deren Kindern unter Umständen mehr, als wir es in der Natur bei Angehörigen verschiedener Arten finden. Wie soll biologische Evolution im Sinne der Entwicklung neuer, funktional komplexer Anpassungsleistungen unter solchen Bedingungen überhaupt noch funktionieren?

Hmm.

Du meinst, wenn mal Werfen, mal Bogenschießen, mal MG-Bedienung gefragt ist, in immer rascherer Folge, dann fielen Spezialanpassungen durch's Raster der Evolution, sobald sich die Anforderungen in wenigen Generationen ändern.

Aber ist es nicht eher so, daß zum Beispiel die Hand ein Allzweck-Werkzeug ist? Ist das Besondere am Gehirn nicht, daß es sich problemlos auf vielseitigste Probleme einstellen kann? Ist nicht gerade diese Vielseitigkeit die "Spezialanpassung" des Menschen?

Darüber hinaus gibt es gute Gründe anzunehmen, daß die Evolution des Menschen in jüngster Vergangenheit schneller ablief.

- Erstens hängt die Geschwindigkeit, mit der sich günstige Allele in einer Population ausbreiten, von der Dichte der Population ab. Je dichter, desto schneller, und zwar mit der Wurzel aus der Populationsdichte.
- Zweitens war Umweltveränderung schon immer ein Motor der Evolution - und unsere kulturelle Umwelt hat sich in den letzten paar Zehntausend Jahren immer rascher verändert.

Dafür gibt es auch Belege:

Zitat:
Recent acceleration of human adaptive evolution

Genomic surveys in humans identify a large amount of recent positive selection. Using the 3.9-million HapMap SNP dataset, we found that selection has accelerated greatly during the last 40,000 years.

[...]

It is sometimes claimed that the pace of human evolution should have slowed as cultural adaptation supplanted genetic adaptation. The high empirical number of recent adaptive variants would seem sufficient to refute this claim. It is important to note that the peak ages of new selected variants in our data do not reflect the highest intensity of selection, but merely our ability to detect selection.

[...]

In our view, the rapid cultural evolution during the Late Pleistocene created vastly more opportunities for further genetic change, not fewer, as new avenues emerged for communication, social interactions, and creativity.

http://johnhawks.net/weblog/topics/evolution/selection/acceleration_embargo_ends_2007.html


Edukir hat folgendes geschrieben:
Dass Selektion nicht mehr greift, bedeutet aber natürlich nicht, dass sich das Erbgut nicht verändert. Funktionale Komplexität wird durch Selektion nicht nur erzeugt, sondern auch erhalten.

Abgesehen davon, daß Selektion immer noch greift, wenn man obigem Glauben schenkt, hast du völlig recht: Selektion hat bei gleichbleibender Umgebung eine starke, erhaltende Komponente.

C. G. Williams von dieser Untersuchung: man hat die Flügellängen von Vögeln gemessen, die in einem Sturm getötet wurden. Es stellte sich heraus, daß die Flügellängen der Vögel signifikant vom Durchschnitt abwichen, entweder waren sie zu kurz oder zu lang.

Edukir hat folgendes geschrieben:
Ohne ständige Selektion kommt es infolge der Rekombination bei der sexuellen Fortpflanzung zu einer eskalierenden Variabilität, die wiederum - im statistischen Mittel - zur Degeneration führt.

Das verstehe ich nicht. Große Variabilität ermöglicht einer Population rasch auf Umweltveränderungen zu reagieren. Genetische Drift und neutrale Evolution schadet keinem. - Und der Mischlingshund ist oft gesünder als reinrassige Inzuchthunde.


PS: was Sprache betrifft, schließe ich mich fwo an. Der Ingenieur kann sich sein Wissen und seine Fähigkeiten nur mittels Sprache aneignen.



Hand und Gehirn sind beim Menschen zweifellos sehr vielseitig verwendbar - das bedeutet jedoch nicht automatisch, daß sie als "Allzweckwerkzeuge" entwickelt worden sind. Ich sehe den Menschen als ausgesprochen spezialisiertes Wesen an. Dessen Spezialisierung (die Nutzung Handgeführter Waffen, insbesondere das gezielte Werfen von Steinen) stellt jedoch ein breites Spektrum herausragender kognitiver Leistungsmerkmale bereit, die natürlich auch anderweitig Verwendung finden können. Wir sind also so vielseitig, weil das Werfen so vielseitige und hohe Anforderungen an visuelle und sensorische Wahrnehmung, Handlungsplanung und Handlungssteuerung stellt. Dazu kommen dann auch noch die Sprachfähigkeit und neuerdings auch die eskalierende kulturelle Evolution.


Die Beschleunigung der biologischen Evolution beim modernen Menschen, die du vermutlich verlinkt hast (ich konnte dem Link nicht folgen, glaube aber den Beitrag zu kennen) kam als Reaktion auf Krankheitserreger zustande, deren Bedeutung wiederum aus kulturellen Gründen (durch höhere Bevölkerungsdichte) zugenommen hatte. Das ist im Großen und Ganzen ein anderes Thema, weil hier tatsächlich Selektionsbedingungen für sämtliche Gruppenmitglieder identisch waren und die Selektion auf diesem Gebiet damals durch kulturelle Hilfsmittel auch nicht außer Kraft gesetzt werden konnte (vor 10 000 Jahren gab es eben noch keine Impfungen).

Zunehmende Variabilität stellt insofern ein Problem dar, als funktional komplexe Leistungsmerkmale auf eine feine Abstimmung ihrer Teilkomponenten untereinander angewiesen sind. Zu dieser Feinabstimmung kommt es, wenn besagte Leistungsmerkmale positiv Selektiert werden. Entfällt die Selektion, dann ist mit einer Degeneration entsprechender Leistungsmerkmale zu rechnen. Dass gezieltes Werfen nicht mehr positiv selektiert wird, könnte daher z.B. zur Degeneration der Leistungsfähigkeit im Bereich der räumlichen Wahrnehmung (sehr sehr komplex und vermutlich auch fein abgestimmt) oder auch im Bereich komplexer motorischer Fähigkeiten (Koordination schneller, präziser Ganzkörperbewegungen) führen. Zuerst kommt es zu deutlichen Leistungseinbußen infolge mangelnder Übung - das ist in unserer Gesellschaft längst die Regel. Mit der Zeit gehen jedoch vermutlich auch die genetischen Voraussetzungen verloren, so dass auch im Falle ausgiebiger Übung frühere Leistungsniveaus nicht mehr erreicht werden.
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Beitrag(#1587764) Verfasst am: 17.12.2010, 15:58    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Schädel sind sehr variabel und dicke Knochen kostspielig. Die charakteristischen Merkmale des Homo erectus sind über fast 2 Millionen Jahre mit bemerkenswerter Konsequenz beibehalten worden - das spricht sowohl gegen eine Laune der Natur, entstanden in einer kleinen Population, als auch gegen ein Relikt. In beiden Fällen hätten wir mit nicht optimierten Proportionen zu tun, die gestützt auf die vorhandene Variabilität schnell hätten korrigiert werden können. Grazilere und modernere Proportionen lagen vermutlich jederzeit in Reichweite - sogar innerhalb der Art. Dies zeigt die Übergangspopulation der Dmanissi-Homininen, bei denen die Frauen eher an Homo habilis erinnern, während die Männer dem Homo erectus nahe stehen.
Was die Kaumuskulatur angeht, so zeigt gerade der Vergleich mit dem Paranthropus die Schwierigkeiten eines solchen Erklärungsansatzes beim Homo erectus auf. Beim Paranthropus weisen Form und Robustizität des Schädels in die gleiche Richtung, wie die Größe der Zähne und die Dicke des Zahnschmelzes - beim Homo erectus in entgegengesetzte Richtungen.


Wikipedia>homo erectus hat folgendes geschrieben:

Die Funde von Eugène Dubois: Schädeldach „Trinil II“, Backenzahn und Oberschenkelknochen

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Was Du da siehst, ist ein Kamm - es gab soche Kämme auch auf Helmen, seit die ersten Schwerter aufkamen, sie sind nicht unbedingt eine glückliche Anpassung an Punktbelastungen durch Projektile, sondern an senkrechte Hiebe von der Seite - zumindest im Rüstungsbau. Da bleibe ich dann doch lieber bei deinem eigenen Ansatz der Speerwerfer: Häufiger, als die so ein Teil gegen den Kopf gekriegt haben, ist mit Sicherheit gewesen, dass sie damit ein Tier erlegten, bei Früchten brauchten sie die Speere wegen deren geringer Fluchttendenz schließlich nicht. Fleisch und Sehnen sind nicht besonders hart, aber häufig, besonders im rohen Zustand, sehr zäh, auch dazu benötigt man Kraft im Gebiss, größere Zähne nicht unbedingt.

Ich mag ja Außenseitertheorien, weil sie immer eine neue Blickrichtung mitbringen. Aber sie brauchen mehr als ihr Außenseitertum, um zu überzeugen. Und das tust Du an dieser Stelle nicht.

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Wenn du sämtliche Kognitiven Leistungen des Menschen einfach der Sprache zuschreibst, dann ist die Sprache natürlich genau das, worauf es ankommt. Für mich fangen die Schwierigkeiten dir zu folgen schon da an, wo du davon sprichst, dass wir beim Sprechen abstrakte Begriffe verwenden. Wie kommen die Abstraktionen zustande? Werden sie sprachlich entwickelt und sind damit Teil der Anpassungsleistungen an die Sprachfähigkeit? Oder sind Abstraktionen funktional eher verwandt mit Prozessen der Kategorisierung und Mustererkennung, wie wir sie im Bereich der optischen Wahrnehmung finden? Dazu ein Zitat des Neurobiologen Semir M. Zeki, das ich auch in meinem Buch verwendet habe:
Zitat:
Die visuellen Reize, die das Gehirn in Form von Nervenimpulsen erreichen, stellen keinen eindeutig definierten Code dar, der nur entschlüsselt werden müsste. Zum Beispiel ändert sich die Wellenlänge des Lichts, das von einer Oberfläche reflektiert wird, mit der Beleuchtung, und trotzdem vermag das Gehirn dieser Oberfläche eine gleichbleibende Farbe zuzuordnen. Das Bild, das die gestikulierende Hand eines Redners auf unsere Netzhaut wirft, wandelt sich in jedem Augenblick; dennoch erkennt das Gehirn darin unbeirrt eine Hand. Und es läßt sich in der Regel auch nicht über die wahre Größe eines Gegenstandes täuschen, obwohl dessen Netzhautbild mit zunehmender Entfernung immer kleiner wird.
Die Aufgabe des Gehirns ist es also, aus dem sich immerzu ändernden Datenfluß die konstanten und objektiven Merkmale des betrachteten Gegenstandes herauszufiltern. Wahrnehmung ist untrennbar mit Interpretation verknüpft. Um festzustellen, was es sieht, kann das Gehirn sich nicht damit begnügen, die Netzhautbilder zu analysieren, sondern muß aus sich heraus die visuelle Außenwelt rekonstruieren. Dazu hat sich ein höchst komplizierter neuraler Mechanismus entwickelt, der so unvorstellbar effizient ist, dass es eines Jahrhunderts Hirnforschung bedurfte, bevor man auch nur eine Ahnung von der Vielzahl seiner Komponenten erhielt.


Die konstanten und objektiven Merkmale des betrachteten Gegenstandes herauszufiltern - ist das nicht genau das, worauf es bei Abstraktionen ankommt? Und ist die Fähigkeit etwas zu konstruieren nicht genau das, worauf es bei Ingenieuren ankommt?
Der Prozess gerade der räumlichen Wahrnehmung zeigt deutliche Analogien zur naturwissenschaftlichen Theoriebildung. Unzählige Daten werden unter Berücksichtigung erkannter Gesetzmäßigkeiten in einem möglichst sparsamen und widerspruchsfreien Gesamtszenario integriert. Es ist daher durchaus naheliegend anzunehmen, dass Verbesserungen der räumlichen Wahrnehmung einen erheblichen Beitrag zur kognitiven Sonderstellung des Menschen geleistet haben - insbesondere, wenn man sich mit einer Anpassungsleistung, wie dem Werfen befaßt, die erklärt, wozu eine Verbesserung der räumlichen Wahrnehmung beim Menschen benötigt wurde.

Einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Geschlechtsunterschiede bei der räumlichen Wahrnehmung habe ich übrigens in der folgenden Doktorarbeit gefunden (Kap. 1.3):

http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=1005317011&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=1005317011.pdf

Wenn du die Mathematik als Sprache bezeichnest, bekomme ich das nächste Problem. Hier betonen Psychologen nämlich gerne, wie wichtig einige Aspekte der räumlichen Wahrnehmung als Grundlage für mathematisches Denken sind. Dabei scheinen sich Jungen bei der Lösung mathematischer Aufgaben eher auf räumliches Denken zu stützen, während Mädchen eher dazu neigen ihre verbalen Fähigkeiten zu nutzen.

Natürlich sind wir sprechende Wesen. Sprache ist in unserem Verhalten allgegenwärtig - das heißt aber nicht, dass es nur auf die Sprache ankommt und dass wir Alles nur der Sprachfähigkeit verdanken. Herausragende sensorische Fähigkeiten im Bereich der Hände, herausragende manipulatorische und motorische Fähigkeiten und herausragende Leistungen im Bereich der räumlichen, visuellen Wahrnehmung spielen ebenfalls eine Rolle, wenn es um die kognitive Sonderstellung des Menschen geht. Daß die Sprache als Medium, dessen sich die kulturelle Evolution vornehmlich bedient, eine Sonderrolle spielt, steht meines Erachtens auf einem anderen Blatt.

Dass Mustererkennung in einem projizierten Bild etwas Aufwändiges ist, weiß jeder, der auch nur halbwegs etwas von derartigen Problemen kennt. Allerdings haben wir hier innerhalb der Bewertung der Bedeutung für die geistige Leistungsfähigkeit eines h. sapiens ein anderes Problem: Homo sapiens ist nicht das einzige Tier das das kann: Nicht nur für uns ist der optische Imputstream der stärkste, es gibt viele Tiere, bei denen das so ist, da können wir bereits bei den Salticiden (Springspinnen) anfangen, übrigens auch Tiere, die sich in ihrer springenden Fortbewegungsweise dreidimensional bewegen und nicht nur auf Oberflächen. Auch die Springspinne muss Entfernungen abschätzen, sonst kann sie den Winkelumfang eines Objektes nicht in seine Größe umrechnen und versucht, den Berg am Horizont als Beute anzuspringen. Tut sie aber nicht.

Andere extreme Augentiere, die auch Geruch, Gehör und Tastsinn als zusätzliche Kanäle nicht stärker nutzen als wir sind z. B. Greifvögel .... Zeki arbeitet bezeichnenderweise auch an Rhesusaffen und nicht an Menschen. Ich gebe dir aber trotzdem insofern Recht, als die optische Mustererkennung beim Menschen einer ungleich höheren Leistungsfähigkeit bedarf als bei einer Kuh: Um zu verdeutlichen, worum es hier geht, improvisiere ich mal eine Kuhemulation in der Erkennung der Nahrung: Normalerweise frisst eine Kuh alles was grün von unten kommt, und weder stachelig ist, noch "schlecht schmeckt" - ich geh mal davon aus, dass da wenige, bestimmte Gerüche Indikator sind. Dieses Muster ist auch noch besonders schlicht, weil es aus verschiedenen Kanälen zusammegesetzt ist und keiner Geometrie bedarf. Dass die Kuh das auch kann und die für sie wichtigen Beutegreifer erkennt - wie auch z.B. die ebenfalls ziemlich blöden Enten ist hinreichend bekannt Diese Tiere haben aber alle den Vorteil einer überschaubaren Nische, weshalb ihnen die Objektbestimmung auch ohne entsprechende Literatur gelingt.

Und da kommen wir zum Menschen: Kann man von dem überhaupt behaupten, in einer bestimmten Nische zu leben? Nein, er geht in der Arktis als Jäger, in der gemäßigten Zone und in den Tropen als Jäger und Sammler oder auch Ackerbauer, am Anfang wahrscheinlich auch als Aasfresser, bzw. in den Tropen zeitweilig auch als reiner Früchteeesser. Smallies Kommentar zur Hand als Allzweckgerät ist durchaus korrekt, schon allein, weil der Mensch ein Allnischentier ist. Das ist wiederum nur als Kulturleistung möglich, weil uns ohne die entsprechende Kultur das Wissen fehlt, uns in den verschiedenen Landschaften / Nischen richtig zu verhalten. Und bei dieser Kultur dürfte die Sprache als dann Traditionswerkzeug die überragende Rolle spielen, die unsere Welt sowohl was den Inventar als auch die Kategorien, in denen der zu betrachten ist, im Umfang geradezu explodieren ließ. Und diese Tatsache, dass die Sprache unseren Objektvorrat größenmäßig ins Unendliche getrieben hat, ist es dann, die (nicht nur) unsere optische Auswertung so komplex werden lässt.

Du hast Schwierigkeiten damit, die Mathematik als Sprache zu sehen? Da sind Symbole, da gibt es eine Grammatik oder Regeln, und es gibt Bedeutungen - wie willst Du das sonst nennen. Gut, bei dieser Aufzählung feht der Spielcharakter. Nennen wir sie also ein Sprachspiel. Mit der Mathematik fängt der Mensch denn auch erst an, lange, nachdem er sprechen kann, das beginnt, nachdem er außer den Lautsymbolen beginnt, eine Zeichensymbolik (=Schrift) zu entwickeln. Dass dieses Spiel von einer räumlichen Vorstellungskraft profitiert, die der Mensch evtl. beim Speerewerfen gewonnen hat, das kann so sein und ich finde deine ganze Theorie interessant. Schwierigkeiten bekommen ich da, wo Du meinst, nachdem wir mit dem Speer- und Steinewerfen aufgehört haben, seien die Anforderungen an unser Gehirn weniger geworden, weil das bisschen Sprache doch fürchterlich überschätzt würde.

Nur so als glanz kleiner Hinweis an einen Ingenieur: eine Maschine, die ein Projektil in ein optisch anvisiertes Ziel bringt, ist für uns heute ein Klacks und x-fach verwirklicht, während die Maschine, die wirklich den Touringtest besteht, noch nicht existiert.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

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Edukir
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Beitrag(#1587882) Verfasst am: 17.12.2010, 19:20    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Nur so als glanz kleiner Hinweis an einen Ingenieur: eine Maschine, die ein Projektil in ein optisch anvisiertes Ziel bringt, ist für uns heute ein Klacks und x-fach verwirklicht, während die Maschine, die wirklich den Touringtest besteht, noch nicht existiert.

fwo

Nur so als kleiner Hinweis an einen Biologen: Wir haben Maschinen, die schneller fliegen als Falken, wir haben Maschinen, die schneller fahren als Geparden, Wir haben Maschinen, die schneller Schwimmen als Delphine - und in der Regel sind diese technischen Lösungen nicht nur wesentlich leistungsfähiger, sondern auch weit simpler, als ihre tierischen "Konkurrenten". In der Technik ist Signalübertragung mit Lichtgeschwindigkeit machbar - in der Biologie nicht. In der Technik haben wir nützliche Hilfsmittel wie z.B. Kugellager - in der Biologie nicht. In der Technik ist Symbiogenese Alltag - in der Biologie eher Ausnahmefall.
Technisch würde ich das Problem der Entfernungsabschätzung mit simplen Laufzeitmessungen mit einer Präzision und Reichweite lösen, die auch für das menschliche Gehirn unerreichbar ist - in der Biologie mußten unsere Vorfahren mit den Mitteln zurecht kommen, die in Ihrem Bauplan bereits angelegt waren. Sie mußten aus den verfügbaren visuellen Daten mit enormem Aufwand so viel rausholen, wie sich da eben rausholen ließ.
Übrigens ist es für einen Falken, der sich seiner Beute schnell nähert sehr leicht aus der sich infolge seiner Eigenbewegung ergebenden Veränderung des Sehwinkels genau zu bestimmen, wann er bei seiner Beute ankommen wird. Wenn er dann noch eine Vorstellung von der eigenen Geschwindigkeit hat (er fühlt ja den Fahrtwind), dann kann er auch sehr leicht bestimmen wie weit entfernt und wie groß die Beute ist. Beim Werfen sind die Verhältnisse anders und das Entfernungsproblem nicht so leicht zu lösen.
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Beitrag(#1587941) Verfasst am: 17.12.2010, 20:32    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
.....
Nur so als kleiner Hinweis an einen Biologen: Wir haben Maschinen, die schneller fliegen als Falken, wir haben Maschinen, die schneller fahren als Geparden, Wir haben Maschinen, die schneller Schwimmen als Delphine - und in der Regel sind diese technischen Lösungen nicht nur wesentlich leistungsfähiger, sondern auch weit simpler, als ihre tierischen "Konkurrenten". In der Technik ist Signalübertragung mit Lichtgeschwindigkeit machbar - in der Biologie nicht. In der Technik haben wir nützliche Hilfsmittel wie z.B. Kugellager - in der Biologie nicht. In der Technik ist Symbiogenese Alltag - in der Biologie eher Ausnahmefall.
Technisch würde ich das Problem der Entfernungsabschätzung mit simplen Laufzeitmessungen mit einer Präzision und Reichweite lösen, die auch für das menschliche Gehirn unerreichbar ist - in der Biologie mußten unsere Vorfahren mit den Mitteln zurecht kommen, die in Ihrem Bauplan bereits angelegt waren. Sie mußten aus den verfügbaren visuellen Daten mit enormem Aufwand so viel rausholen, wie sich da eben rausholen ließ.
Übrigens ist es für einen Falken, der sich seiner Beute schnell nähert sehr leicht aus der sich infolge seiner Eigenbewegung ergebenden Veränderung des Sehwinkels genau zu bestimmen, wann er bei seiner Beute ankommen wird. Wenn er dann noch eine Vorstellung von der eigenen Geschwindigkeit hat (er fühlt ja den Fahrtwind), dann kann er auch sehr leicht bestimmen wie weit entfernt und wie groß die Beute ist. Beim Werfen sind die Verhältnisse anders und das Entfernungsproblem nicht so leicht zu lösen.

Da das etwas angepisst klingt: Dieser Biologe ist Techniker genug, um das zu sehen. zwinkern Dein / unser Thema waren aber nicht mechanische oder optomechanische Geräte, sondern die Entwicklung des menschlichen Gehirns, also einer im Tierreich herausragenden Recheneinheit. Und nur diesemZusammenhang möchte ich dir dann doch den Satz vor dem kleinen Tipp, der dich anscheinend geärgert hat, noch einmal ans Herz legen:
fwo hat folgendes geschrieben:
.....Schwierigkeiten bekommen ich erst da, wo Du meinst, nachdem wir mit dem Speer- und Steinewerfen aufgehört haben, seien die Anforderungen an unser Gehirn weniger geworden, weil das bisschen Sprache doch fürchterlich überschätzt würde.....
erst neu eingefügt.

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Es ist ein Vorurteil, dass Kultur die Anforderungen an unser Gehirn erhöht.....

Edukir hat folgendes geschrieben:
....Dazu kommen dann auch noch die Sprachfähigkeit und neuerdings auch die eskalierende kulturelle Evolution.....

Das ist etwas unpräzise: Die Sprachentwicklung selbst ist nicht nur der Anfang, sondern auch der größte Teil dieser "eskalierenden" kulturelle Evolution. Es ist die Sprache, die relativ zu anderen Tieren durch ihre Akkumulation über die Generationen zu einer Vervielfältigung der Welt und damit zu völlig neuen und anderen Rechenproblemen in der Verarbeitung - aber auch zu neuen Lösungen führt.

Es klingt durchaus plausibel, dass es in Anpassung an den Erfolg durch die "Entdeckung" des Speeres - übrigens: auch das ist bereits Kultur - einen besonderen Schub für die Entwicklung des Gehirnes gab, der wiederum Kulturfähigkeit insgesamt und in deren Folge die Rechenlast beförderte. Aber speziell diese Rechenlast solltest Du nicht unterschätzen.

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Edukir
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Beitrag(#1587989) Verfasst am: 17.12.2010, 21:34    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
.....
Nur so als kleiner Hinweis an einen Biologen: Wir haben Maschinen, die schneller fliegen als Falken, wir haben Maschinen, die schneller fahren als Geparden, Wir haben Maschinen, die schneller Schwimmen als Delphine - und in der Regel sind diese technischen Lösungen nicht nur wesentlich leistungsfähiger, sondern auch weit simpler, als ihre tierischen "Konkurrenten". In der Technik ist Signalübertragung mit Lichtgeschwindigkeit machbar - in der Biologie nicht. In der Technik haben wir nützliche Hilfsmittel wie z.B. Kugellager - in der Biologie nicht. In der Technik ist Symbiogenese Alltag - in der Biologie eher Ausnahmefall.
Technisch würde ich das Problem der Entfernungsabschätzung mit simplen Laufzeitmessungen mit einer Präzision und Reichweite lösen, die auch für das menschliche Gehirn unerreichbar ist - in der Biologie mußten unsere Vorfahren mit den Mitteln zurecht kommen, die in Ihrem Bauplan bereits angelegt waren. Sie mußten aus den verfügbaren visuellen Daten mit enormem Aufwand so viel rausholen, wie sich da eben rausholen ließ.
Übrigens ist es für einen Falken, der sich seiner Beute schnell nähert sehr leicht aus der sich infolge seiner Eigenbewegung ergebenden Veränderung des Sehwinkels genau zu bestimmen, wann er bei seiner Beute ankommen wird. Wenn er dann noch eine Vorstellung von der eigenen Geschwindigkeit hat (er fühlt ja den Fahrtwind), dann kann er auch sehr leicht bestimmen wie weit entfernt und wie groß die Beute ist. Beim Werfen sind die Verhältnisse anders und das Entfernungsproblem nicht so leicht zu lösen.

Da das etwas angepisst klingt: Dieser Biologe ist Techniker genug, um das zu sehen. zwinkern Dein / unser Thema waren aber nicht mechanische oder optomechanische Geräte, sondern die Entwicklung des menschlichen Gehirns, also einer im Tierreich herausragenden Recheneinheit. Und nur diesemZusammenhang möchte ich dir dann doch den Satz vor dem kleinen Tipp, der dich anscheinend geärgert hat, noch einmal ans Herz legen:
fwo hat folgendes geschrieben:
.....Schwierigkeiten bekommen ich erst da, wo Du meinst, nachdem wir mit dem Speer- und Steinewerfen aufgehört haben, seien die Anforderungen an unser Gehirn weniger geworden, weil das bisschen Sprache doch fürchterlich überschätzt würde.....
erst neu eingefügt.

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Es ist ein Vorurteil, dass Kultur die Anforderungen an unser Gehirn erhöht.....

Edukir hat folgendes geschrieben:
....Dazu kommen dann auch noch die Sprachfähigkeit und neuerdings auch die eskalierende kulturelle Evolution.....

Das ist etwas unpräzise: Die Sprachentwicklung selbst ist nicht nur der Anfang, sondern auch der größte Teil dieser "eskalierenden" kulturelle Evolution. Es ist die Sprache, die relativ zu anderen Tieren durch ihre Akkumulation über die Generationen zu einer Vervielfältigung der Welt und damit zu völlig neuen und anderen Rechenproblemen in der Verarbeitung - aber auch zu neuen Lösungen führt.

Es klingt durchaus plausibel, dass es in Anpassung an den Erfolg durch die "Entdeckung" des Speeres - übrigens: auch das ist bereits Kultur - einen besonderen Schub für die Entwicklung des Gehirnes gab, der wiederum Kulturfähigkeit insgesamt und in deren Folge die Rechenlast beförderte. Aber speziell diese Rechenlast solltest Du nicht unterschätzen.

fwo


Entscheidend für die gegenwärtige biologische Entwicklung des Gehirns ist gar nicht, ob die Anforderungen der modernen Welt höher oder geringer sind, als beim gezielten Werfen. Entscheidend ist, ob sich aus diesen Anforderungen auch eine positive Selektion für leistungsfähigere Gehirne ableiten läßt. Die Frage ist also, ob heute begabtere Menschen mehr Kinder in die Welt setzen, als weniger begabte.

Nehmen wir einmal eine utopische Welt als Gedankenexperiment, in der nur die Begabung darüber entscheidet, wie weit Menschen bei der Bildung kommen (ist ja durchaus ein politisches Ideal). Die begabtesten Kinder hätten also die besten Schul- und Universitätsabschlüsse. Nehmen wir weiterhin an, dass in dieser utopischen Welt nur die Leistung über den Erfolg bei der Karriere (z,B, als Akademiker) entscheidet. Und nehmen wir nun noch an, daß Menschen, die Karriere machen, im Durchschnitt weniger Kinder bekommen. Würdest du in einer solchen Welt erwarten, dass sich das Begabungsniveau der Population über die Generationen eher erhöht oder eher absenkt?


Nach meiner Einschätzung ist die gezielte Handhabung von Steinen anspruchsvoller, als die Handhabung von Wurfspeeren - ich glaube nicht, dass die Wurfspeere bei der Entwicklung der Werfer-Anpassungen überhaupt eine Rolle gespielt haben. Erst entwickelte sich der Werfer (Schwerpunkt der Entwicklung vor ca. 1.8 Millionen Jahren, Beginn der Entwicklung noch früher), dann schuf er sich spezialisierte Wurfgeschosse (älteste bekannte Wurfhölzer und Wurfspeere vor ca. 400 000 Jahren).

Mit der Sprache und deren Rolle bei der kulturellen Evolution habe ich in der Tat meine Probleme. Die Sprache hat uns religiöse Überzeugungen beschert die Menschen dazu erziehen dem "Wort Gottes" mehr zu vertrauen, als ihrem eigenen Gehirn. Die zentrale Forderung der Aufklärung dem eigenen Verstand zu vertrauen läuft letztlich darauf hinaus Wahrnehmungsleistungen höher zu bewerten, als sprachliche Überlieferungen. Die Fortschritte in der Wissenschaft beruhen auch weniger auf sprachlichen Übungen, als auf technischen Verbesserungen im Bereich der Wahrnehmungsoptionen - angefangen mit dem Teleskop, über das Mikroskop hin zur Entwicklung zahlloser Analyseverfahren in verschiedenen Wissenschaftsbereichen. Den Dingen auf den Grund zu gehen heißt in der Regel es nicht beim Reden bewenden zu lassen.
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Beitrag(#1588133) Verfasst am: 18.12.2010, 03:39    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Entscheidend für die gegenwärtige biologische Entwicklung des Gehirns ist gar nicht, ob die Anforderungen der modernen Welt höher oder geringer sind, als beim gezielten Werfen. Entscheidend ist, ob sich aus diesen Anforderungen auch eine positive Selektion für leistungsfähigere Gehirne ableiten läßt. Die Frage ist also, ob heute begabtere Menschen mehr Kinder in die Welt setzen, als weniger begabte. .
......

Mit der Sprache und deren Rolle bei der kulturellen Evolution habe ich in der Tat meine Probleme. Die Sprache hat uns religiöse Überzeugungen beschert die Menschen dazu erziehen,,dem "Wort Gottes" mehr zu vertrauen, als ihrem eigenen Gehirn. Die zentrale Forderung der Aufklärung dem eigenen Verstand zu vertrauen läuft letztlich darauf hinaus Wahrnehmungsleistungen höher zu bewerten, als sprachliche Überlieferungen. Die Fortschritte in der Wissenschaft beruhen auch weniger auf sprachlichen Übungen, als auf technischen Verbesserungen im Bereich der Wahrnehmungsoptionen - angefangen mit dem Teleskop, über das Mikroskop hin zur Entwicklung zahlloser Analyseverfahren in verschiedenen Wissenschaftsbereichen. Den Dingen auf den Grund zu gehen heißt in der Regel es nicht beim Reden bewenden zu lassen.


Das sind nun zwei gänzlich unterschiedliche Geschichten - ich fange mal mit der letzten an: Wir verdanken die Religion nicht der Sprache, sondern genau wie die Wissenschaft unserem Wunsch nach Kontrolle. Der Mensch schuf sich dier Götter aus dem menschlichen Wunsch, für die Kräfte, denen er sich ausgesetzt sah, einen Ansprechpartner zu bekommen, um Wünsche zu äußern. Götter lassen sich schließlich um etwas bitten, auch wenn sie nur nach den Regeln der Zufallsverteilung auf diese Bitten hören. Also aus dem schlichten Wunsch nach mehr Kontrolle über das Unkontrollierbare.

Es gibt auch eine Arbeit zu der Aussage, in der der Zusammenhang zwischen Kontrolle und Aberglauben untersucht wurde und deren Fazit so aussah:
Das Gefühl des Kontrollverlustes führt zu Aberglauben und verstärkt die Erkennung von Mustern.

Kontrollverlust lässt Aberglauben und Verschwörungstheorien gedeihen, haben US-Forscher gezeigt: Menschen, die eine Situation nicht unter Kontrolle haben, tendieren dazu, überall Muster und Verbindungen zu sehen – selbst dort, wo es gar keine gibt. Dahinter steckt ein elementares psychologisches Bedürfnis nach klaren Strukturen im persönlichen Umfeld,

Außerdem ist Sprache mindestens so sehr zum Denken wie zum Reden, Wittgenstein schuf die eingängige Formulierung von der Sprache als Denkvehikel. Wer also die Benutzung des eigenen Gehirnes propagiert, redet auch von der Benutzung der Sprache.

Zu den Gedanken um die genetischen Qualität unseres Pools würde ich auch um etwas weniger Aufregung bitten: Das Abkoppeln des Vermehrungserfolges von direkten genetischen Qualitäten ist einen Kulturfolge, die erheblich älter ist als unser Sozialsystem: Was es über 1000de von Jahren gegeben hat, und woher die Überlieferung des ius primae noctis letztlich kommt, ist die Leibeigenschaft, die der "Herrschaft" (= Adel, Gerichtsherr usw. ...) auch das Recht gab, über Ehestände zu beschließen und unter der Übergriffe auf die weiblichen Untertanen so sehr die Regel waren, dass dies zu einem gewissen (statistischen) Vermehrungsprivileg führte. Nun wissen wir heute, dass der Adel alles andere war, als eine biologische Elite ..... Auch während der letzten Jahrhunderte lässt sich anhand der Kirchenbücher auch ohne soziales Netz und ohne Leibeigenschaft für Norddeutschland (hier fand diese Untersuchung statt - ich müsste aber auf den Boden gehen um in alten Spektrum der Wissenschaft zu wühlen, um die Untersuchung zu finden) folgendes zusammenfassen: Es gab immer schon zwei Vermehrungsstrategien in dieser Gesellschaft: Arme Familien hatten viele Kinder, welche mit Eigentum weniger.

Was wir inzwischen allerdings auch wissen ist, dass der soziale Status mehr mit dem sozialen Status der Eltern als mit der eigenen Leistungfähigkeit oder genetischen Qualitäten (die ja auch nur einen Teil der Leistungsfähigkeit ausmachen) zu tun hat. Wir haben da also eine interessante Fragestellung, zu der es allerdings noch keine, geschweige denn einfache Antworten gibt, und bei der nach unserer historischen Erfahrung Alarmismus nicht angebracht ist.

fwo
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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Anmeldungsdatum: 28.10.2010
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Beitrag(#1588209) Verfasst am: 18.12.2010, 11:49    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Entscheidend für die gegenwärtige biologische Entwicklung des Gehirns ist gar nicht, ob die Anforderungen der modernen Welt höher oder geringer sind, als beim gezielten Werfen. Entscheidend ist, ob sich aus diesen Anforderungen auch eine positive Selektion für leistungsfähigere Gehirne ableiten läßt. Die Frage ist also, ob heute begabtere Menschen mehr Kinder in die Welt setzen, als weniger begabte. .
......

Mit der Sprache und deren Rolle bei der kulturellen Evolution habe ich in der Tat meine Probleme. Die Sprache hat uns religiöse Überzeugungen beschert die Menschen dazu erziehen,,dem "Wort Gottes" mehr zu vertrauen, als ihrem eigenen Gehirn. Die zentrale Forderung der Aufklärung dem eigenen Verstand zu vertrauen läuft letztlich darauf hinaus Wahrnehmungsleistungen höher zu bewerten, als sprachliche Überlieferungen. Die Fortschritte in der Wissenschaft beruhen auch weniger auf sprachlichen Übungen, als auf technischen Verbesserungen im Bereich der Wahrnehmungsoptionen - angefangen mit dem Teleskop, über das Mikroskop hin zur Entwicklung zahlloser Analyseverfahren in verschiedenen Wissenschaftsbereichen. Den Dingen auf den Grund zu gehen heißt in der Regel es nicht beim Reden bewenden zu lassen.


Das sind nun zwei gänzlich unterschiedliche Geschichten - ich fange mal mit der letzten an: Wir verdanken die Religion nicht der Sprache, sondern genau wie die Wissenschaft unserem Wunsch nach Kontrolle. Der Mensch schuf sich dier Götter aus dem menschlichen Wunsch, für die Kräfte, denen er sich ausgesetzt sah, einen Ansprechpartner zu bekommen, um Wünsche zu äußern. Götter lassen sich schließlich um etwas bitten, auch wenn sie nur nach den Regeln der Zufallsverteilung auf diese Bitten hören. Also aus dem schlichten Wunsch nach mehr Kontrolle über das Unkontrollierbare.

Es gibt auch eine Arbeit zu der Aussage, in der der Zusammenhang zwischen Kontrolle und Aberglauben untersucht wurde und deren Fazit so aussah:
Das Gefühl des Kontrollverlustes führt zu Aberglauben und verstärkt die Erkennung von Mustern.

Kontrollverlust lässt Aberglauben und Verschwörungstheorien gedeihen, haben US-Forscher gezeigt: Menschen, die eine Situation nicht unter Kontrolle haben, tendieren dazu, überall Muster und Verbindungen zu sehen – selbst dort, wo es gar keine gibt. Dahinter steckt ein elementares psychologisches Bedürfnis nach klaren Strukturen im persönlichen Umfeld,

Außerdem ist Sprache mindestens so sehr zum Denken wie zum Reden, Wittgenstein schuf die eingängige Formulierung von der Sprache als Denkvehikel. Wer also die Benutzung des eigenen Gehirnes propagiert, redet auch von der Benutzung der Sprache.

Zu den Gedanken um die genetischen Qualität unseres Pools würde ich auch um etwas weniger Aufregung bitten: Das Abkoppeln des Vermehrungserfolges von direkten genetischen Qualitäten ist einen Kulturfolge, die erheblich älter ist als unser Sozialsystem: Was es über 1000de von Jahren gegeben hat, und woher die Überlieferung des ius primae noctis letztlich kommt, ist die Leibeigenschaft, die der "Herrschaft" (= Adel, Gerichtsherr usw. ...) auch das Recht gab, über Ehestände zu beschließen und unter der Übergriffe auf die weiblichen Untertanen so sehr die Regel waren, dass dies zu einem gewissen (statistischen) Vermehrungsprivileg führte. Nun wissen wir heute, dass der Adel alles andere war, als eine biologische Elite ..... Auch während der letzten Jahrhunderte lässt sich anhand der Kirchenbücher auch ohne soziales Netz und ohne Leibeigenschaft für Norddeutschland (hier fand diese Untersuchung statt - ich müsste aber auf den Boden gehen um in alten Spektrum der Wissenschaft zu wühlen, um die Untersuchung zu finden) folgendes zusammenfassen: Es gab immer schon zwei Vermehrungsstrategien in dieser Gesellschaft: Arme Familien hatten viele Kinder, welche mit Eigentum weniger.

Was wir inzwischen allerdings auch wissen ist, dass der soziale Status mehr mit dem sozialen Status der Eltern als mit der eigenen Leistungfähigkeit oder genetischen Qualitäten (die ja auch nur einen Teil der Leistungsfähigkeit ausmachen) zu tun hat. Wir haben da also eine interessante Fragestellung, zu der es allerdings noch keine, geschweige denn einfache Antworten gibt, und bei der nach unserer historischen Erfahrung Alarmismus nicht angebracht ist.

fwo


Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich die Memetik noch nicht aufgegeben habe. Religionen enthalten zu viele funktionale Elemente, deren Wirkungsweise von den Gläubigen gar nicht durchschaut wird, um von Menschen einfach nur erdacht worden zu sein. Natürlich spielt auch die Psyche eine Rolle bei der Entstehung und Ausgestaltung von Religionen, aber dies ist nur ein Teilaspekt.

Deinen Link fand ich sehr interessant, passt durchaus recht gut in mein Weltbild. Jetzt müßte man nur noch untersuchen, ob auch die Fähigkeiten bei der räumlichen Wahrnehmung durch Kontrollverlust gefördert werden. Die verstärkte Neigung Muster zu identifizieren ist vermutlich eine für Werfer arttypische, biologische Reaktion auf eine Gefahrensituation. Mustererkennung spielt eine wichtige Rolle bei der räumlichen Wahrnehmung - wäre interessant zu sehen, ob auch die Fähigkeit zur mentalen Rotation in vergleichbaren Situationen verbessert wird. Man sollte den Probanden auch etwas in die Hand geben - z.B. einen Stock oder Knüppel - und untersuchen, welche Auswirkung das hat. Vermutlich wirkt es beruhigend. Religiöse Menschen ersetzen dann die Waffe durch einen anderen Gegenstand, durch den sie sich Schutz und "Kontrolle" versprechen - einen Rosenkranz oder Kruzifix oder auch eine Hasenpfote.

Was die genetische Qualität unseres Genpools anbelangt neige ich durchaus nicht zu Alarmismus - ich vermute einen nun schon seit ca. 70 000 Jahren andauernden, allmählichen Degenerationsprozess (und deine Hinweise, dass es sich beim bei der Fortpflanzung privilegierten Adel keineswegs um eine genetische Elite gehandelt hat, sprechen nicht gegen, sondern für einen solchen Prozeß). Auf ein paar Jahrhunderte mehr oder weniger kommt es da nun wirklich nicht an. Die Evolutionstheorie ist im Vergleich dazu sehr jung und der wissenschaftliche Fortschritt sehr schnell. Wir sollten uns also auf jeden Fall erst einmal Klarheit verschaffen, bevor wir in Alarmismus oder gar Aktivismus ausbrechen. Auch sind diese Aussagen zur mentalen Degeneration keineswegs ein integraler Baustein der Armed Ape Theory, sondern eine naheliegende Konsequenz daraus. Man sollte sich daher erst einmal darum kümmern, ob und wieviel an der eigentlichen Theorie dran ist - bevor man sich um weitergehende Schlußfolgerungen daraus kümmert. Und die Armed Ape Theory ist eine vergleichsweise präzise formulierte Theorie, die sich gut untersuchen läßt. Es ist wesentlich schwerer so etwas wie "Unangepaßtheit" zu belegen, als das Vorliegen einer konkreten Anpassungsleistung zu überprüfen.

Bei der Beurteilung der Rolle, die die Sprache heute für geistige und kulturelle Leistungen hat liegen wir vermutlich gar nicht so weit auseinander, wie du annimmst (vielleicht liest du dir mal das Kap. 7 meines Buches durch). Das ist aber gleichzeitig genau der Grund, warum ich es für unwahrscheinlich halte, dass die Sprache ursprünglich im gleichen funktionalen Kontext entstanden ist. Wenn bei der Entwicklung der Sprache von vorn herein - nach heutigem Kenntnisstand also vor spätestens 1.8 Millionen Jahren - die Akkumulation kultureller Überlieferungen im Mittelpunkt gestanden hätte, dann hätte dies eine deutliche archeologische Spur nach sich ziehen müssen. Zu erwarten wäre dann zumindest qualitativ etwas ähnliches, wie die kulturelle Entwicklungsdynamik, durch die sich das moderne Verhalten des modernen Menschen im archeologischen Befund so deutlich auszeichnet. Bei der biologischen Sprachentwicklung müssen daher andere, nicht kulturelle Funktionen der Sprache im Vorderegrund gestanden haben. Mit Hinblick auf die kulturelle Entwicklungsdynamik haben wir es in der menschlichen Evolution nicht nur mit einem vorauseilenden Gehirn, sondern auch mit einer vorauseilenden Sprache zu tun.
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smallie
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Beitrag(#1588464) Verfasst am: 18.12.2010, 22:29    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
Hand und Gehirn sind beim Menschen zweifellos sehr vielseitig verwendbar - das bedeutet jedoch nicht automatisch, daß sie als "Allzweckwerkzeuge" entwickelt worden sind.

Eigentlich sind Hände schon beim Affen Vielzweckwerkzeuge:

- Hangeln an Ästen
- Greifen von Beutetieren
- Greifen von Stöcken um nach Insekten zu fischen
- Greifen von Steinen, um Nüsse zu knacken
- und natürlich: sich gegenseitig lausen

Edukir hat folgendes geschrieben:
[...]insbesondere das gezielte Werfen von Steinen) stellt jedoch ein breites Spektrum herausragender kognitiver Leistungsmerkmale bereit, die natürlich auch anderweitig Verwendung finden können. Wir sind also so vielseitig, weil das Werfen so vielseitige und hohe Anforderungen an visuelle und sensorische Wahrnehmung, Handlungsplanung und Handlungssteuerung stellt.

Mag durchaus sein. Hab's bereits weiter oben erwähnt, daß die Werfer-Hypothese eine plausible These ist, die man der Sammlung möglicher Erklärungen für die Evolution des Menschen hinzufügen kann.

Edukir hat folgendes geschrieben:
Die Beschleunigung der biologischen Evolution beim modernen Menschen, die du vermutlich verlinkt hast (ich konnte dem Link nicht folgen, glaube aber den Beitrag zu kennen) kam als Reaktion auf Krankheitserreger zustande, deren Bedeutung wiederum aus kulturellen Gründen (durch höhere Bevölkerungsdichte) zugenommen hatte. Das ist im Großen und Ganzen ein anderes Thema, weil hier tatsächlich Selektionsbedingungen für sämtliche Gruppenmitglieder identisch waren und die Selektion auf diesem Gebiet damals durch kulturelle Hilfsmittel auch nicht außer Kraft gesetzt werden konnte (vor 10 000 Jahren gab es eben noch keine Impfungen).

Krankheitserreger mögen eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel die Sichelzellenanemie als eine recht junge Anpassung gegen Malariaerreger. Krankheitserreger alleine machen die Beschleunigung allerdings nicht aus.

Es gibt zwei bekannte Beispiele für genetische Anpassung an kulturelle Umstände:

- Laktoseverträglichkeit bei Völkern, die Milchvieh halten. Diese wurde mehrmals unabhängig voneinander entwickelt.
- höhere Amylase-Produktion bei Völkern, die sich hauptsächlich von Getreide ernähren. (Amylase ist ein Enzym im Speichel, das Stärke zerlegt.)

Beide Anpassungen können kaum älter als 10 000 - 12 000 Jahre sein, als die Landwirtschaft entstand. (Nebenbei: kürzlich gab's die Meldung, daß Getreide bereits vor 30 000 Jahren begrenzt genutzt wurde.)

Kulturelle Änderungen können auf das Genom rückwirken. Ich bin mir sicher, daß das auch heute noch passiert.
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Edukir
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Beitrag(#1588509) Verfasst am: 18.12.2010, 23:53    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
Hand und Gehirn sind beim Menschen zweifellos sehr vielseitig verwendbar - das bedeutet jedoch nicht automatisch, daß sie als "Allzweckwerkzeuge" entwickelt worden sind.

Eigentlich sind Hände schon beim Affen Vielzweckwerkzeuge:

- Hangeln an Ästen
- Greifen von Beutetieren
- Greifen von Stöcken um nach Insekten zu fischen
- Greifen von Steinen, um Nüsse zu knacken
- und natürlich: sich gegenseitig lausen

Edukir hat folgendes geschrieben:
[...]insbesondere das gezielte Werfen von Steinen) stellt jedoch ein breites Spektrum herausragender kognitiver Leistungsmerkmale bereit, die natürlich auch anderweitig Verwendung finden können. Wir sind also so vielseitig, weil das Werfen so vielseitige und hohe Anforderungen an visuelle und sensorische Wahrnehmung, Handlungsplanung und Handlungssteuerung stellt.

Mag durchaus sein. Hab's bereits weiter oben erwähnt, daß die Werfer-Hypothese eine plausible These ist, die man der Sammlung möglicher Erklärungen für die Evolution des Menschen hinzufügen kann.

Edukir hat folgendes geschrieben:
Die Beschleunigung der biologischen Evolution beim modernen Menschen, die du vermutlich verlinkt hast (ich konnte dem Link nicht folgen, glaube aber den Beitrag zu kennen) kam als Reaktion auf Krankheitserreger zustande, deren Bedeutung wiederum aus kulturellen Gründen (durch höhere Bevölkerungsdichte) zugenommen hatte. Das ist im Großen und Ganzen ein anderes Thema, weil hier tatsächlich Selektionsbedingungen für sämtliche Gruppenmitglieder identisch waren und die Selektion auf diesem Gebiet damals durch kulturelle Hilfsmittel auch nicht außer Kraft gesetzt werden konnte (vor 10 000 Jahren gab es eben noch keine Impfungen).

Krankheitserreger mögen eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel die Sichelzellenanemie als eine recht junge Anpassung gegen Malariaerreger. Krankheitserreger alleine machen die Beschleunigung allerdings nicht aus.

Es gibt zwei bekannte Beispiele für genetische Anpassung an kulturelle Umstände:

- Laktoseverträglichkeit bei Völkern, die Milchvieh halten. Diese wurde mehrmals unabhängig voneinander entwickelt.
- höhere Amylase-Produktion bei Völkern, die sich hauptsächlich von Getreide ernähren. (Amylase ist ein Enzym im Speichel, das Stärke zerlegt.)

Beide Anpassungen können kaum älter als 10 000 - 12 000 Jahre sein, als die Landwirtschaft entstand. (Nebenbei: kürzlich gab's die Meldung, daß Getreide bereits vor 30 000 Jahren begrenzt genutzt wurde.)

Kulturelle Änderungen können auf das Genom rückwirken. Ich bin mir sicher, daß das auch heute noch passiert.


Affenhände sind in der Tat Vielzweckwerkzeuge. Und man findet bei einigen Affenarten, deren Hände weniger auf das Klettern spezialisiert sind als bei den Menschenaffen Handproportionen, die den menschlichen ähneln. Dies stützt die These, dass der menschliche Handgriff weniger spezialisiert ist, als bei seinen nächsten Verwandten. Wenn ich sage, dass ich den menschlichen Handgriff für spezialisiert halte, dann meine ich damit, daß ich an dieser Stelle einen anderen Standpunkt vertrete und daß die Unterschiede zu den Schimpansen beim Menschen auf eine Spezialisierung - die Nutzung handgeführter Waffen - zurückzuführen sind.

Dass kulturelle Änderungen auf das Genom rückwirken können, stelle ich nicht prinzipiell in Frage. Für das Verständnis der Menschwerdung ist es aber sehr wichtig, wann, wie und in welchem Umfang kulturelle und organische Evolution sich gegenseitig beeinflußt haben. Ich habe hier ja schon mehrere Beispiele angeführt, in denen ich kulturelle Veränderungen für Änderungen des Erbguts verantwortlich mache. Da sind zum Beispiel die Grazilität des Homo sapiens, seine Hohe Stirn etc. - die sich als Reaktion auf eine kulturelle Änderung des Gesellschafts- und insbesondere Fortpflanzungssystems ergeben haben könnte. Auch die Überlegungen um eine mögliche Degeneration der Gehirnleistungen infolge fortschreitender Variabilität gehen in diese Richtung. Im gleichen Kontext könnte sich übrigens auch die Größe der Hoden bei Männern verringert haben - allerdings ist diese Hypothese nicht allzu viel wert, weil man sie wohl kaum wird überprüfen können.
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fwo
Caterpillar D9



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Beitrag(#1588610) Verfasst am: 19.12.2010, 05:56    Titel: Antworten mit Zitat

Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich die Memetik noch nicht aufgegeben habe. Religionen enthalten zu viele funktionale Elemente, deren Wirkungsweise von den Gläubigen gar nicht durchschaut wird, um von Menschen einfach nur erdacht worden zu sein. Natürlich spielt auch die Psyche eine Rolle bei der Entstehung und Ausgestaltung von Religionen, aber dies ist nur ein Teilaspekt.

Deinen Link fand ich sehr interessant, passt durchaus recht gut in mein Weltbild. Jetzt müßte man nur noch untersuchen, ob auch die Fähigkeiten bei der räumlichen Wahrnehmung durch Kontrollverlust gefördert werden. Die verstärkte Neigung Muster zu identifizieren ist vermutlich eine für Werfer arttypische, biologische Reaktion auf eine Gefahrensituation. Mustererkennung spielt eine wichtige Rolle bei der räumlichen Wahrnehmung - wäre interessant zu sehen, ob auch die Fähigkeit zur mentalen Rotation in vergleichbaren Situationen verbessert wird. Man sollte den Probanden auch etwas in die Hand geben - z.B. einen Stock oder Knüppel - und untersuchen, welche Auswirkung das hat. Vermutlich wirkt es beruhigend. Religiöse Menschen ersetzen dann die Waffe durch einen anderen Gegenstand, durch den sie sich Schutz und "Kontrolle" versprechen - einen Rosenkranz oder Kruzifix oder auch eine Hasenpfote.
.........

Bei der Beurteilung der Rolle, die die Sprache heute für geistige und kulturelle Leistungen hat liegen wir vermutlich gar nicht so weit auseinander, wie du annimmst (vielleicht liest du dir mal das Kap. 7 meines Buches durch). Das ist aber gleichzeitig genau der Grund, warum ich es für unwahrscheinlich halte, dass die Sprache ursprünglich im gleichen funktionalen Kontext entstanden ist. Wenn bei der Entwicklung der Sprache von vorn herein - nach heutigem Kenntnisstand also vor spätestens 1.8 Millionen Jahren - die Akkumulation kultureller Überlieferungen im Mittelpunkt gestanden hätte, dann hätte dies eine deutliche archeologische Spur nach sich ziehen müssen. Zu erwarten wäre dann zumindest qualitativ etwas ähnliches, wie die kulturelle Entwicklungsdynamik, durch die sich das moderne Verhalten des modernen Menschen im archeologischen Befund so deutlich auszeichnet. Bei der biologischen Sprachentwicklung müssen daher andere, nicht kulturelle Funktionen der Sprache im Vorderegrund gestanden haben. Mit Hinblick auf die kulturelle Entwicklungsdynamik haben wir es in der menschlichen Evolution nicht nur mit einem vorauseilenden Gehirn, sondern auch mit einer vorauseilenden Sprache zu tun.

Über den Zusammenhang, in dem die abstrakte Sprache entstanden ist, kann man eh nur spekulieren, da beiteilige ich mich nicht dran. Aber der Effekt einer akkumulierenden Tradition war zwangsläufig von von dem Moment an da, als die Sprache einen gewissen Abstraktionsgrad und Umfang erreichte. Und ich glaube nicht, dass das Steineschmeißerhirn da wirklich ausgereicht hat, aber da bin ich wirklich beim glauben und kann da nicht weiter argumentieren.

Mein Verhältnbis zur Religion ist da etwas schlichter, weil ich mit dem Mem so meine Schwierigkeiten habe (der Link führt zu den letzten 3 Seiten einer Diskussion, an denen ich mich beteiligt habe.) Ich glaube nicht, dass sie "erdacht" wurden, sondern es handelt sich um Verhaltensweisen, die subjektiv zum Erfolg, vielleicht nicht in der Sache, aber im Gefühl führten. Das ganze wird dann mit Rauscherlebnissen angereichert und führt zu neuen Traditionen, die in Organisationen münden, die um die die Resource Mensch konkurrieren. Dabei gewinnt die Organisation, die es schafft, das Gesamtergebnis aus Nachkommenerzeugung der eigenen Kundschaft, Neuwerbung und Abschreckung von Apostasie zu maximieren, wobei unbewusste Mechanismen eine sehr große Rolle spielen.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Edukir
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Beitrag(#1588775) Verfasst am: 19.12.2010, 15:48    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Edukir hat folgendes geschrieben:
....
Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich die Memetik noch nicht aufgegeben habe. Religionen enthalten zu viele funktionale Elemente, deren Wirkungsweise von den Gläubigen gar nicht durchschaut wird, um von Menschen einfach nur erdacht worden zu sein. Natürlich spielt auch die Psyche eine Rolle bei der Entstehung und Ausgestaltung von Religionen, aber dies ist nur ein Teilaspekt.

Deinen Link fand ich sehr interessant, passt durchaus recht gut in mein Weltbild. Jetzt müßte man nur noch untersuchen, ob auch die Fähigkeiten bei der räumlichen Wahrnehmung durch Kontrollverlust gefördert werden. Die verstärkte Neigung Muster zu identifizieren ist vermutlich eine für Werfer arttypische, biologische Reaktion auf eine Gefahrensituation. Mustererkennung spielt eine wichtige Rolle bei der räumlichen Wahrnehmung - wäre interessant zu sehen, ob auch die Fähigkeit zur mentalen Rotation in vergleichbaren Situationen verbessert wird. Man sollte den Probanden auch etwas in die Hand geben - z.B. einen Stock oder Knüppel - und untersuchen, welche Auswirkung das hat. Vermutlich wirkt es beruhigend. Religiöse Menschen ersetzen dann die Waffe durch einen anderen Gegenstand, durch den sie sich Schutz und "Kontrolle" versprechen - einen Rosenkranz oder Kruzifix oder auch eine Hasenpfote.
.........

Bei der Beurteilung der Rolle, die die Sprache heute für geistige und kulturelle Leistungen hat liegen wir vermutlich gar nicht so weit auseinander, wie du annimmst (vielleicht liest du dir mal das Kap. 7 meines Buches durch). Das ist aber gleichzeitig genau der Grund, warum ich es für unwahrscheinlich halte, dass die Sprache ursprünglich im gleichen funktionalen Kontext entstanden ist. Wenn bei der Entwicklung der Sprache von vorn herein - nach heutigem Kenntnisstand also vor spätestens 1.8 Millionen Jahren - die Akkumulation kultureller Überlieferungen im Mittelpunkt gestanden hätte, dann hätte dies eine deutliche archeologische Spur nach sich ziehen müssen. Zu erwarten wäre dann zumindest qualitativ etwas ähnliches, wie die kulturelle Entwicklungsdynamik, durch die sich das moderne Verhalten des modernen Menschen im archeologischen Befund so deutlich auszeichnet. Bei der biologischen Sprachentwicklung müssen daher andere, nicht kulturelle Funktionen der Sprache im Vorderegrund gestanden haben. Mit Hinblick auf die kulturelle Entwicklungsdynamik haben wir es in der menschlichen Evolution nicht nur mit einem vorauseilenden Gehirn, sondern auch mit einer vorauseilenden Sprache zu tun.

Über den Zusammenhang, in dem die abstrakte Sprache entstanden ist, kann man eh nur spekulieren, da beiteilige ich mich nicht dran. Aber der Effekt einer akkumulierenden Tradition war zwangsläufig von von dem Moment an da, als die Sprache einen gewissen Abstraktionsgrad und Umfang erreichte. Und ich glaube nicht, dass das Steineschmeißerhirn da wirklich ausgereicht hat, aber da bin ich wirklich beim glauben und kann da nicht weiter argumentieren.

Mein Verhältnbis zur Religion ist da etwas schlichter, weil ich mit dem Mem so meine Schwierigkeiten habe (der Link führt zu den letzten 3 Seiten einer Diskussion, an denen ich mich beteiligt habe.) Ich glaube nicht, dass sie "erdacht" wurden, sondern es handelt sich um Verhaltensweisen, die subjektiv zum Erfolg, vielleicht nicht in der Sache, aber im Gefühl führten. Das ganze wird dann mit Rauscherlebnissen angereichert und führt zu neuen Traditionen, die in Organisationen münden, die um die die Resource Mensch konkurrieren. Dabei gewinnt die Organisation, die es schafft, das Gesamtergebnis aus Nachkommenerzeugung der eigenen Kundschaft, Neuwerbung und Abschreckung von Apostasie zu maximieren, wobei unbewusste Mechanismen eine sehr große Rolle spielen.

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Kulturelle Informationen werden von Gehirnen selektiert und auch produziert. Bei der biologischen Evolution führen größere Variationen des Systems fast zwangsläufig zu einer Reduktion des Fortpflanzungserfolgs. Bei der kulturellen Evolution muß dies nicht sein, weil von einzelnen Individuen erdachte Neuerungen aufgrund der geistigen Leistungsfähigkeit der Menschen, wesentlich bessere Chancen haben sich zu bewähren (durch memetische Verbreitung), als blinde Variationen.
Wahrnehmungssysteme sind ja von vorn herein dazu entwickelt worden das Verhalten von Lebewesen so zu steuern, dass es mehr Erfolg verspricht. Geißeltierchen, die in dem Medium, in dem sie schwimmen Stoffgradienten feststellen und daraufhin Standorte höherer Nahrungsdichte ansteuern leisten bereits etwas, was der organischen Evolution (zumindest so wie man sie heute versteht) wesensfremd ist. Sie entwickeln - noch auf sehr bescheidenem Niveau - so etwas wie "Voraussicht".

Menschen sind in dieser Hinsicht weit leistungsfähiger und können ganze Lösungskonzepte in ihren Köpfen entstehen lassen. Ein neues Lied entsteht nicht durch "Rauschen" - es wird im Gehirn des Komponisten entwickelt. Die Quelle der dabei neu entstehenden funktionalen Komplexität ist nicht analog zum Prozeß der organischen Evolution. Hier haben wir es nicht nur mit Variation und Selektion zu tun, sondern auch mit Konstruktion, so wie sie auch bei visueller Wahrnehmung stattfindet.
Memetik setzt erst ein, wenn diese neue Informationseinheit an andere Menschen weitergegeben und von diesen - unter Variationen - weiter verbreitet wird. Nicht jedes Lied wird zu einem Schlager. Nicht jede Idee wird aufgegriffen und weiterentwickelt.
Natürlich sind die Grenzen zwischen Konstruktion und Variation fließend. Es gibt daher weder Konstruktion in Reinkultur, noch memetische Evolution in Reinkultur. Beide Mechanismen tragen zur Entstehung funktionaler Komplexität in der kulturellen Evolution bei. Vor allem bei ausgesprochen traditionellen Gesellschaften, die einzelnen Individuen nur in sehr begrenztem Umfang kreative Freiräume gewähren, dürfte die Memetik aber eine wesentliche Rolle bei der kulturellen Entwicklung spielen.

Deine Ansicht, dass die Sprache von vorn herein einen "Effekt akkumulierender Tradition" nach sich gezogen hat, halte ich schlicht für falsch. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die mit darüber entscheiden, inwieweit dieser Effekt zum tragen kommt. Auch bei modernen Gesellschaften hängt die kulturelle Produktivität von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die Größe des sozialen Gruppenverbandes dürfte einer der wichtigsten Faktoren sein. Kulturen können sehr stabil sein und sich über Jahrhunderte oder auch Jahrtausende einfach nur Reproduzieren - ohne weitere Akkumulationsereignisse. Und je weiter wir in die Vergangenheit schauen, desto "stabiler" scheinen die kulturellen Überlieferungen gewesen zu sein (was wiederum mit der geringeren Größe der Gruppenverbände korreliert). Was sind schon 2000 Jahre Christentum im Vergleich zu mindestens 40 000 Jahren Schamanismus?
In der Kultur gibt es ebenso wenig einen "inneren Entwicklungsdrang" wie in der Biologie. Hat eine Kultur einen stabilen Zustand erreicht, dann bleibt sie halt bis auf Weiteres erhalten (z.B. bis irgendwelche Afrikaner die Ehe entwickeln). Daß unsere gegenwärtige Kultur sich in einem atemberaubenden Entwicklungsprozeß befindet sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zu anderen Zeiten, unter anderen Verhältnissen, ganz anders gewesen ist.
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