Freigeisterhaus Foren-Übersicht
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   NutzungsbedingungenNutzungsbedingungen   BenutzergruppenBenutzergruppen   LinksLinks   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Sexismus I
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3 ... 177, 178, 179 ... 210, 211, 212  Weiter
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Kultur und Gesellschaft
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107296) Verfasst am: 18.09.2017, 09:08    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
...
fwo hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
....
Aber wenn das Patriarchat mit biologistischen Ideologien er- ... nein verklärt wird, dann muss man dem genau so in die Parade fahren, wie gewissen bürgerlichen, vulgärfeministischen Ideologien.

Sowas Böses hat hier jemand gemacht? Kannst Du mal genau zeigen wo?

Wenn die angestrebte Theorie einer kulturellen Evolution etwas taugen soll, dann muß sie auch das Patriarchat erklären. Ebenso die matrilinearen oder matrilokalen Gesellschaften.

Aber sobald du sagst, das Patriarchat ist unter diesen und jenem Umständen die erfolgreichere Organisationsform, wird es so aufgefasst, als würdest du Partei für das Patriarchat ergreifen.

Hä? damit, dass ich folgendes geschrieben habe?
fwo hat folgendes geschrieben:
... Patriarchat: Das wurde nicht erfunden, um Frauen zu unterdrücken sondern erwies sich in einer bestimmten Phase der Menschheitsentwicklung offensichtlich als überlegenes Modell. Allerdings ist das Patriarchat bei uns schon lange nicht mehr aktuell,....

Wenn ich feststelle, dass das Schwert im Mittelalter eine effiziente Waffe war, das das aber nicht mehr die aktuelle Lage ist, wird das so aufgefasst, als ergriffe ich Partei für die Bewaffnung mit Schwertern?

Ja, genau so verstehe ich Skeptikers Einwand.

Gibt es eine andere Lesart?


fwo hat folgendes geschrieben:
Sorry, wer das so auffasst, kann kein Deutsch. Von einer Verklärung mit biologistischen Ideologien sehe ich da auch nichts.

Ich auch nicht. Aber sobald du "offensichtlich überlegenes Modell" sagst, stehst du unter Generalverdacht, wenn man nicht genauer liest oder nachdenkt.

Gibt es diese Lesart überhaupt?

Ich halte es für reichlich verwegen, aus der Feststellung dass sich etwas bis ins Mittelalter halten konnte und mit der zusätzlichen Bemerkung, dass das nicht mehr aktuell ist, zu schließen, dass ich das für besonders sinnvoll halte.

Und zur "Erklärung des Patriarchats" dann doch mal die Frage an den biologisch etwas bewanderteren Kollegen: Hast Du Dich innerhalb der Bologie schon mal beschwert, dass Dir die biologische Evolutionstheorie weder das Pferd noch den Blobfisch erklärt?

Siehe dazu auch meine Antwort auf eine ähnliche Frage an Zumsel.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107299) Verfasst am: 18.09.2017, 09:30    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich auch nicht. Aber sobald du "offensichtlich überlegenes Modell" sagst, stehst du unter Generalverdacht, wenn man nicht genauer liest oder nachdenkt.


Das sind Mißverständnisse, die sich kaum vermeiden lassen, wenn man Modelle, die ihre Herkunft aus der Biologie nicht verbergen, auf historische Prozesse anwendet. Die haben nun mal die Eigenschaft, daß sie sich entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben. Welch Ereignisse dafür verantwortlich waren, daß sich bestimmte soziale Beziehungen durchgesetzt haben, und anderen nicht, das ist mit biologischen Modellen nicht zu erklären. ....

Hier sind noch ganz andere Missverständnisse:
So habe ich das Patriarchat nicht als offensichtlich überlegenes Modell bezeichnet, sonder als eines, das früher mal offensichtlich überlegen war. Aber wenn jemand fesstellt, dass die Tin Lizzie oder anschließend der Käfer mal den Markt beherrschten, meint er damit nicht, dass er die heute außerhalb von Museen und Sammlern noch für eine verkäufliche Ware hält, und normalerweise würdest Du ein derartiges Missverständnis auch nicht für normal halten.

Das zweite Missverständnis besteht darin, dass ich dieses Modell, das - nebenbei bemerkt - nicht mehr biologisch ist, auf einen historischen Prozess anwenden wollen würde. Die klassische Evolutionstheorie wird auch nicht auf die Entwicklung des Pferdes angewandt. Man kann höchstens andersherum überprüfen, ob die Entwicklung des Pferdes dieser Theorie widerspricht. Genau das kannst Du auch schon in meiner Antwort an Zumsel nachlesen.

Ansonsten bringen diese allgemeinen Statements nicht viel weiter. Viel von dem, was Du geschrieben hast, habe ich auch schon in meinem Post an zelig beantwortet. Das sind also genügend Aussagen von mir, auf die man direkt Bezug nehmen kann, wenn sie falsch sind - ich weise sogar darauf hin, wo und wie ihr mich zu Fall bringen könntet. Warum macht ihr das nicht einfach?
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2107302) Verfasst am: 18.09.2017, 09:48    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Das sind also genügend Aussagen von mir, auf die man direkt Bezug nehmen kann, wenn sie falsch sind - ich weise sogar darauf hin, wo und wie ihr mich zu Fall bringen könntet. Warum macht ihr das nicht einfach?


Vielleicht, weil es nicht darum geht, jemanden "zu Fall zu bringen"?
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107307) Verfasst am: 18.09.2017, 11:04    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das sind also genügend Aussagen von mir, auf die man direkt Bezug nehmen kann, wenn sie falsch sind - ich weise sogar darauf hin, wo und wie ihr mich zu Fall bringen könntet. Warum macht ihr das nicht einfach?


Vielleicht, weil es nicht darum geht, jemanden "zu Fall zu bringen"?

Das solltest Du in dem Fall auch nicht persönlich verstehen, es bezog sich auf meine Argumentation. Sehr glücklich
Der einzige, der das bisher ernsthaft versucht hat, war Zumsel. Eigentlich komme ich nur deshalb hierher: um mich zu streiten - deshalb stelle ich meine Aussagen - und es sind meine und nicht irgendwelche Zitate - doch in die Landschaft. Und sie sind ausgearbeitet genug, dass man nachhaken kann.

Stattdessen springst Du auf eine unsinnige Interpretation eines Zitates von mir durch Skeptiker auf, das smallie auch noch zur völligen Unkenntlichkeit verkürzt hatte, um auf dieser falschen Basis wieder ein allgemeines Statement zu machen. Traurigerweise muss ich das in dieser Form sogar noch relativ positiv bewerten, wenn ich es mit zeligs Antworten vergleiche.

Ich empfinde ich solche allgemeine Antworten wie hier in der Diskussion von Zelig, der mir zuerst einen naturalistischen Fehlschluss vorwirft, aber dann nicht zeigen kann, worin der besteht, und im nächsten Post eine tendenziöse Darstellung und dann nicht sagen kann, um welche Tendenz es sich handelt, um dann im nächsten Post davon abrät, noch mehr zu schreiben weil ich mich nur noch weiter verrennen würde, ohne präzise sagen zu können, wo ich mich überhaupt verrannt habe, nur als ein bis dahin substanzloses Geblubber.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).


Zuletzt bearbeitet von fwo am 18.09.2017, 11:05, insgesamt einmal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2107308) Verfasst am: 18.09.2017, 11:05    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Gibt es diese Lesart überhaupt?

Ich halte es für reichlich verwegen, aus der Feststellung dass sich etwas bis ins Mittelalter halten konnte und mit der zusätzlichen Bemerkung, dass das nicht mehr aktuell ist, zu schließen, dass ich das für besonders sinnvoll halte.

Und zur "Erklärung des Patriarchats" dann doch mal die Frage an den biologisch etwas bewanderteren Kollegen: Hast Du Dich innerhalb der Bologie schon mal beschwert, dass Dir die biologische Evolutionstheorie weder das Pferd noch den Blobfisch erklärt?

Siehe dazu auch meine Antwort auf eine ähnliche Frage an Zumsel.


Nun ja, es gibt da aber schon einen kleinen, aber feinen Unterschied: Die biologische Evolutionstheorie macht einen historischen Prozess verständlich, wo dieser nicht selbstverständlich ist. Die Vorstellung, dass die für sich genommen starr erscheinenden Arten sich entwickelt haben, schreit nach Erklärung, einem Mechanismus, der das plausibel macht. Die Entwicklung von Kulturen dagegen wurde, sofern als Wissenschaft ernsthaft betrieben, schon immer historisch gefasst. Anders als die biologischen Arten erwecken Kulturen ja gar nicht erst den Anschein, starr zu sein. Man braucht hier keine Evolitionstheorie, um die Historizität dieses Vorganges verständlich und anschaulich zu machen. Ja, die historische Betrachtungsweise liegt hier gerade im Wesen der Beschreibungsmethode selbst. Insofern stellt sich, wie schon gesagt, ganz einfach die Frage nach dem Mehrwert. Konkret: Inwiefern soll die Geschichtswissenschaft von der Evolutionstheorie profitieren? Inwiefern die Biologie es tut, liegt ja auf der Hand.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107311) Verfasst am: 18.09.2017, 11:34    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Gibt es diese Lesart überhaupt?

Ich halte es für reichlich verwegen, aus der Feststellung dass sich etwas bis ins Mittelalter halten konnte und mit der zusätzlichen Bemerkung, dass das nicht mehr aktuell ist, zu schließen, dass ich das für besonders sinnvoll halte.

Und zur "Erklärung des Patriarchats" dann doch mal die Frage an den biologisch etwas bewanderteren Kollegen: Hast Du Dich innerhalb der Bologie schon mal beschwert, dass Dir die biologische Evolutionstheorie weder das Pferd noch den Blobfisch erklärt?

Siehe dazu auch meine Antwort auf eine ähnliche Frage an Zumsel.


Nun ja, es gibt da aber schon einen kleinen, aber feinen Unterschied: Die biologische Evolutionstheorie macht einen historischen Prozess verständlich, wo dieser nicht selbstverständlich ist. Die Vorstellung, dass die für sich genommen starr erscheinenden Arten sich entwickelt haben, schreit nach Erklärung, einem Mechanismus, der das plausibel macht. Die Entwicklung von Kulturen dagegen wurde, sofern als Wissenschaft ernsthaft betrieben, schon immer historisch gefasst. Anders als die biologischen Arten erwecken Kulturen ja gar nicht erst den Anschein, starr zu sein. Man braucht hier keine Evolitionstheorie, um die Historizität dieses Vorganges verständlich und anschaulich zu machen. Ja, die historische Betrachtungsweise liegt hier gerade im Wesen der Beschreibungsmethode selbst. Insofern stellt sich, wie schon gesagt, ganz einfach die Frage nach dem Mehrwert. Konkret: Inwiefern soll die Geschichtswissenschaft von der Evolutionstheorie profitieren? Inwiefern die Biologie es tut, liegt ja auf der Hand.

Die Geschichtswissenschaft soll genau so viel von der Evolution profitieren, wie die Paläontologie es auch tut, und die profitiert nicht davon.

Auch in der Paäontologie haben wir es mit einer historischen Wissenschaft zu tun, die nur rückblickend die Veränderungen feststellt und nicht sagen kann, warum die stattgefunden haben. Das kann auch die klassische Evolutionstheorie für irgend eine Einzellinie nicht beantworten. Die klassische Evolutionstheorie erzählt nur etwas über ganz allgemein Abhänigkeiten dieser Veränderungen, sie zeigt auf die Struktur dieses Prozesses, und macht damit Gott unnötig für die Erklärung unserer Biosphäre. Sie ist ein ganz allgemeines Modell, ein theoretischer Überbau ohne eine weitere praktische Anwendung als die der Freisetzung Gottes von der Arbeit der Schaffung der Arten.

Insofern sehe ich auch weder einen Widerspruch zwischen einer allgemeinen Evolutionstheorie, die auch Kulturen umfasst, und der Geschichtsforschung, noch erwarte ich einen Einfluss auf die Geschichtsforschung, obwohl ich ihn auch nicht ausschließe.

Aber nochmal: Wir vertun uns da auch in der Biologie: Die Genetik, die uns heute einen Teil der Rätsel erklärt, die Darwin uns aufgegeben hat, wurde nicht erforscht, weil Darwin uns diese Rätsel aufgegeben hat, sonder weil wir aus ganz praktischen Gründen wissen wollten, wie Vererbung funktioniert, und wie die Steuerung einer Zelle funktioniert. Und was wir da herausgefunden haben, warf dann Licht auf die Evolutionstheorie und nicht umgekehrt.

Ich wiederhole mich mal und bitte um eine ganz ruhige Inaugenscheinnahme dessen, was Luhmann dazu sagt:

Zitat:
Luhmann geht gleich zu Beginn des Kapitels "Evolution und Geschichte" darauf ein, inwiefern es bisher nicht gelungen ist, innerhalb der Theorie einer Evolution biologischer oder sozialer Systeme einen wirklichen theoretischen Zugewinn zu erhalten: "Nach Darwin und im Zuge eines vertieften Verständnisses der Mechanismen, die Evolution produzieren, muß man davon absehen, die Evolution selbst als eine Art gesetzmäßig ablaufenden Kausalprozeß zu begreifen und sie sich mit der Metapher der Bewegung oder des Prozesses zu veranschaulichen."

"Statt als einheitlicher Kausalprozeß ist Evolution zu begreifen als eine Form der Veränderungen von Systemen, die darin besteht, daß Funktionen der Variation, der Selektion und der Stabilisierung differenziert, das heißt durch verschiedene Mechanismen wahrgenommen, und dann wieder kombiniert werden."

"Als Evolution ist dann der historische Zusammenhang derjenigen Strukturänderungen zu bezeichnen, die durch das Zusammenspiel dieser Mechanismen ausgelöst werden — wie immer sie im gesellschaftlichen Leben bewertet werden."

_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2107326) Verfasst am: 18.09.2017, 13:42    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:

Eigentlich komme ich nur deshalb hierher: um mich zu streiten - deshalb stelle ich meine Aussagen - und es sind meine und nicht irgendwelche Zitate - doch in die Landschaft. Und sie sind ausgearbeitet genug, dass man nachhaken kann.


Das unterscheidet uns. Ich bin nicht hier um zu streiten (dazu fehlt mir sowohl die Zeit als auch die Lust). Ich suche, wenn es geht, Verständigung, oder wenn es sein muß, die Klärung von Missverständnissen.

fwo hat folgendes geschrieben:

Die Geschichtswissenschaft soll genau so viel von der Evolution profitieren, wie die Paläontologie es auch tut, und die profitiert nicht davon.

Auch in der Paäontologie haben wir es mit einer historischen Wissenschaft zu tun, die nur rückblickend die Veränderungen feststellt und nicht sagen kann, warum die stattgefunden haben. Das kann auch die klassische Evolutionstheorie für irgend eine Einzellinie nicht beantworten. Die klassische Evolutionstheorie erzählt nur etwas über ganz allgemein Abhänigkeiten dieser Veränderungen, sie zeigt auf die Struktur dieses Prozesses, und macht damit Gott unnötig für die Erklärung unserer Biosphäre. Sie ist ein ganz allgemeines Modell, ein theoretischer Überbau ohne eine weitere praktische Anwendung als die der Freisetzung Gottes von der Arbeit der Schaffung der Arten.

Insofern sehe ich auch weder einen Widerspruch zwischen einer allgemeinen Evolutionstheorie, die auch Kulturen umfasst, und der Geschichtsforschung, noch erwarte ich einen Einfluss auf die Geschichtsforschung, obwohl ich ihn auch nicht ausschließe.

Aber nochmal: Wir vertun uns da auch in der Biologie: Die Genetik, die uns heute einen Teil der Rätsel erklärt, die Darwin uns aufgegeben hat, wurde nicht erforscht, weil Darwin uns diese Rätsel aufgegeben hat, sonder weil wir aus ganz praktischen Gründen wissen wollten, wie Vererbung funktioniert, und wie die Steuerung einer Zelle funktioniert. Und was wir da herausgefunden haben, warf dann Licht auf die Evolutionstheorie und nicht umgekehrt.


Wenn eine Theorie, die noch dazu aus einer anderen Wissenschaft kommt, in den Menschenwissenschaften keinen Nutzen bringt, ist sie entbehrlich. Für die Erkenntnis, daß übernatürliche Erklärungsversuche keine Erklärungen sind, braucht man sie jedenfalls nicht.

fwo hat folgendes geschrieben:

Ich wiederhole mich mal und bitte um eine ganz ruhige Inaugenscheinnahme dessen, was Luhmann dazu sagt:

Zitat:
Luhmann geht gleich zu Beginn des Kapitels "Evolution und Geschichte" darauf ein, inwiefern es bisher nicht gelungen ist, innerhalb der Theorie einer Evolution biologischer oder sozialer Systeme einen wirklichen theoretischen Zugewinn zu erhalten: "Nach Darwin und im Zuge eines vertieften Verständnisses der Mechanismen, die Evolution produzieren, muß man davon absehen, die Evolution selbst als eine Art gesetzmäßig ablaufenden Kausalprozeß zu begreifen und sie sich mit der Metapher der Bewegung oder des Prozesses zu veranschaulichen."

"Statt als einheitlicher Kausalprozeß ist Evolution zu begreifen als eine Form der Veränderungen von Systemen, die darin besteht, daß Funktionen der Variation, der Selektion und der Stabilisierung differenziert, das heißt durch verschiedene Mechanismen wahrgenommen, und dann wieder kombiniert werden."

"Als Evolution ist dann der historische Zusammenhang derjenigen Strukturänderungen zu bezeichnen, die durch das Zusammenspiel dieser Mechanismen ausgelöst werden — wie immer sie im gesellschaftlichen Leben bewertet werden."


Luhmann ist Systemtheoretiker. Aus seiner Sicht sind Gesellschaften Systeme, bei denen Unveränderlichkeit der Normalfall ist, und Veränderungen die Ausnahme. Das ist aber nicht, was wir bei den Gesellschaften von Menschen beobachten können. Kurz: es sind keine „Systeme“. Allgemeiner gesprochen befinden sich die Sozialwissenschaften in einem Zustand vor den Theorien Darwins (die du in ihrer Bedeutung für die Biologie meiner Ansicht nach unterschätzt). Es fehlen bisher anerkannte grundlegende Theorien sozialer Prozesse. Daher fängt man immer wieder von vorn an, gehen Philosophie, Weltanschauungen und Wissenschaft fröhlich durcheinander.

Das war vor 150 Jahren in der Biologie nicht anders, und hat sich erst durch die Arbeiten von Darwin und Wallace geändert, weil sie einen theoretischen Rahmen vorgaben, ein Entwicklungsmodell, das soweit durch Tatsachenbeobachtungen belegt war, daß es zur gedanklichen Grundlage einer ganzen Wissenschaft werden konnte, die danach zwar sowohl das theoretische Modell weiterentwickelt als auch neue Tatsachenbeobachtungen gemacht hat, ohne aber vor der Notwendigkeit zu stehen, theoretisch wie empirisch immer wieder von vorn anzufangen. Die Physik hat diesen Zustand spätestens mit den Arbeiten von Newton erreicht, was auch hier die Voraussetzung für wissenschaftlichen Fortschritt war.

Die Menschenwissenschaften dagegen befinden sich noch im Stadium der „Inventurwissenschaft“. Zwar sammelt man eine Fülle von Fakten, doch hat man weder einen akzeptierten theoretischen Rahmen, um sie einzuordnen, noch weiß man überhaupt, ob es „Fakten“ in dem Sinne sind, denn so wie theoretische Modelle auf Tatsachenbeobachtungen beruhen sollten, so kann man keine Fakten erheben ohne theoretische Modelle. Daß es mittlerweile sogar Sozialwissenschaften gibt, die beobachtbare Tatsachen für störend halten, es dagegen für ihre Aufgabe halten, die Wirklichkeit so lange umzuinterpretieren, bis sie ihren Wunschvorstellungen entspricht, stellt alles auf den Kopf, was bisher den Erfolg der theoretisch-empirischen Wissenschaften ausgemacht hat.

Um auf diese Widersprüche aufmerksam zu machen, melde ich mich gelegentlich zu Wort, wohl wissend, daß man diese konzeptionellen Unterschiede nicht durch Worte aufheben kann, selbst zwischen uns nicht, die wir vermutlich in vielen Vorstellungen gar nicht so weit auseinanderliegen. zwinkern
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107327) Verfasst am: 18.09.2017, 14:58    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
....
Luhmann ist Systemtheoretiker. Aus seiner Sicht sind Gesellschaften Systeme, bei denen Unveränderlichkeit der Normalfall ist, und Veränderungen die Ausnahme.....

Wo hast Du das denn her? Luhmann war Soziologe und die Systeme, von denen er ausgeht, sind dynamisch, auch wenn sie Phasen der Stabilisierung gurchlaufen.
Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann ist eine soziologische Theorie, durch die Gesellschaft als ein „umfassendes soziales System, das alle anderen sozialen Systeme in sich einschließt“[1] beschrieben und erklärt wird. Die Theorie ist von traditionellen Denkweisen und Ausgangspunkten abgegrenzt. Luhmann lehnt ontologische und transzendentalphilosophische Voraussetzungen und auch den Subjektbegriff ab.[2] Er verwendet die Konzepte der Selbstreferenz, der autopoietischen Geschlossenheit und der Differenz und beschreibt, wie unter diesen Voraussetzungen Soziales entsteht[3] und sich durch funktionale Differenzierung in verschiedene soziale Systeme abgrenzt. Die Entwicklung der soziologischen Systemtheorie als Hauptwerk Luhmanns in Monographien besteht in der Grundlegung der Begriffe und Unterscheidungen (Soziale Systeme, 1984), in darauf folgenden Beschreibungen verschiedener ausdifferenzierter sozialer Systeme[4] und schließlich in der Erklärung der Gesellschaft als umfassendes soziales System (Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997).
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2107329) Verfasst am: 18.09.2017, 16:40    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
....
Luhmann ist Systemtheoretiker. Aus seiner Sicht sind Gesellschaften Systeme, bei denen Unveränderlichkeit der Normalfall ist, und Veränderungen die Ausnahme.....

Wo hast Du das denn her? Luhmann war Soziologe und die Systeme, von denen er ausgeht, sind dynamisch, auch wenn sie Phasen der Stabilisierung gurchlaufen.
Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann ist eine soziologische Theorie, durch die Gesellschaft als ein „umfassendes soziales System, das alle anderen sozialen Systeme in sich einschließt“[1] beschrieben und erklärt wird. Die Theorie ist von traditionellen Denkweisen und Ausgangspunkten abgegrenzt. Luhmann lehnt ontologische und transzendentalphilosophische Voraussetzungen und auch den Subjektbegriff ab.[2] Er verwendet die Konzepte der Selbstreferenz, der autopoietischen Geschlossenheit und der Differenz und beschreibt, wie unter diesen Voraussetzungen Soziales entsteht[3] und sich durch funktionale Differenzierung in verschiedene soziale Systeme abgrenzt. Die Entwicklung der soziologischen Systemtheorie als Hauptwerk Luhmanns in Monographien besteht in der Grundlegung der Begriffe und Unterscheidungen (Soziale Systeme, 1984), in darauf folgenden Beschreibungen verschiedener ausdifferenzierter sozialer Systeme[4] und schließlich in der Erklärung der Gesellschaft als umfassendes soziales System (Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997).


Das Zitat ist ein schönes Beispiel für soziologisches Kauderwelsch. Am Ende geht es in der Systemtheorie um einen statischen Ansatz, bei dem die wesentliche Eigenschaft dieser Systeme ihre Selbsterhaltung ist, bzw. das Streben danach. Man könnte es als Gegenmodell zur Marx'schen Gesellschaftsentwicklung verstehen. Darüber hinaus ist es konstruktivistisch (wie heißt das in dem von dir zitierten Artikel so schön: "selbstreferentiell"), und damit eher Philosophie als Wissenschaft.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107331) Verfasst am: 18.09.2017, 17:12    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
...Am Ende geht es in der Systemtheorie um einen statischen Ansatz, bei dem die wesentliche Eigenschaft dieser Systeme ihre Selbsterhaltung ist, bzw. das Streben danach. ....

Frage Ich kann Dir im Moment nicht folgen.
Die Funktion der Selbsterhaltung setzt doch Dynamik voraus, sowohl außerhalb, sonst wäre sie nicht nötig, wie innerhalb des Systems, sonst wäre sie nicht möglich. Auch jede Evolutionstheorie beschreibt nicht nur eine Dynamik, einen Prozess, sondern setzt auch Dynamik in den Teilnehmern dieses Prozesses voraus.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Kat
ich bin dann mal weg...



Anmeldungsdatum: 29.04.2011
Beiträge: 1200

Beitrag(#2107336) Verfasst am: 18.09.2017, 18:26    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Der Pflug braucht im Gegensatz zur Hacke große Körperkraft um ihn oder das ihn ziehende Tier zu führen, weshalb diese Arbeit nur von Männern ausgeführt werden kann.

(Hervorhebungen durch mich)

Das ist zumindest in dieser Verallgemeinerung falsch.

Als im 2. Weltkrieg in Deutschland die Männer an der Front waren, konnten und mußten die Frauen auch selber pflügen.
Ein hübsches Beispiel übrigens im Film "Herbstmilch".

Kat
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3624

Beitrag(#2107371) Verfasst am: 18.09.2017, 20:50    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich auch nicht. Aber sobald du "offensichtlich überlegenes Modell" sagst, stehst du unter Generalverdacht, wenn man nicht genauer liest oder nachdenkt.


Das sind Mißverständnisse, die sich kaum vermeiden lassen, wenn man Modelle, die ihre Herkunft aus der Biologie nicht verbergen, auf historische Prozesse anwendet.

Wirklich?

Wenn die Thesen A, B, C versuchen, das Patriarchat zu erklären, dann führen die Thesen A und B, die sich nicht auf "kulturelle Evolution" beziehen, zu keinen Mißverständnissen, These C, die sich darauf bezieht, aber schon?
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2107378) Verfasst am: 18.09.2017, 21:16    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
...Am Ende geht es in der Systemtheorie um einen statischen Ansatz, bei dem die wesentliche Eigenschaft dieser Systeme ihre Selbsterhaltung ist, bzw. das Streben danach. ....

Frage Ich kann Dir im Moment nicht folgen.
Die Funktion der Selbsterhaltung setzt doch Dynamik voraus, sowohl außerhalb, sonst wäre sie nicht nötig, wie innerhalb des Systems, sonst wäre sie nicht möglich. Auch jede Evolutionstheorie beschreibt nicht nur eine Dynamik, einen Prozess, sondern setzt auch Dynamik in den Teilnehmern dieses Prozesses voraus.


Ich will versuchen, dir an einem historischen Beispiel zu erklären, was eine Theorie in den Menschenwissenschaften leisten können sollte, nämlich vorhandene Tatsachenbeobachtungen in einen theoretisches Modell einzuordnen und weitere Beobachtungen aufgrund dieses Modells zu ermöglichen, und wieso eine Systemtheorie, dynamisch oder nicht, dazu nicht in der Lage ist.

Nach dem Untergang des Römischen Reiches können wir in Europa zwei Arten von sozialen Prozessen beobachten, solche der Zentralisierung und der Dezentralisierung, in deren Verlauf die wichtigsten Staaten entstanden. Ich nenne nur mal zwei Beispiele, Frankreich und Deutschland.

Mit dem Untergang des Römischen Reiches brachen Produktion, Handel und Geldverkehr zusammen, und damit verbunden war ein Prozess der Dezentralisierung. Politische wie militärische Macht beruhte auf der Fähigkeit, Kriege zu führen, und die beruhte darauf, sein Personal zu entlohnen. Die einzige Quelle dazu war Land (und die dazugehörigen Leute). Ein Lehen konnte man aber nur einmal vergeben. Danach war es weg. Der Lehensnehmer war zwar seinem Lehnsherr zu Dienst verpflichtet, aber das blieb Theorie, wenn der Herr diese Pflicht nicht durchsetzen konnte. Um das zu können, mußte er wieder Land vergeben, neues hinzugewinnen oder es aus seinem Besitz nehmen.

Dieser Mechanismus der Feudalisierung tendierte immer zu einer Schwächung der Zentralgewalt. Die Herrscher wußten das natürlich und haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht, dem entgegenzuwirken, zB indem man Führungspositionen mit Verwandten besetzte, und als das nichts half, im deutschen Reich Bischöfe zu Reichsfürsten gemacht hat. Es hat nichts genutzt. Iim Gegenteil, es schwächte den König, weil es zu einer Solidarisierung zwischen weltlichen und kirchlichen Territorialherren gegen den König führte.

Die einzigen stabilen politischen Einheiten waren das Dorf oder der Gutshof und die Arbeitsteilung wich der Selbstversorgung. Auf dieser Ebene waren politische, militärische und wirtschaftliche Macht nicht geteilt. Wer Herr über das Dorf war, war Herrscher, Krieger und Richter in einem. Seine Angewiesenheit auf die Zentralregierung war außerhalb von Kriegszeiten gering bis nicht vorhanden. Man hat das einmal den Sieg der Grundherrschaft genannt.

Hier kommen wir zu der unterschiedlichen Entwicklung in den Territorien, die später Frankreich und Deutschland genannt werden sollten. Das Gebiet des deutschen Reiches war erheblich größer, und die Könige waren damit immer wieder gezwungen (oder hatten die Möglichkeit), Kriege zu führen, die ihre militärische Autorität stärkten, damit der Selbständigkeit der Lehnsleute und damit der Dezentralisierung entgegenwirkten. Aber es nahm auch ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und begrenzte damit ihre Macht. Die deutschen Könige und Kaiser waren die meiste Zeit auf die anderen Stände angewiesen.

Ganz anders in Frankreich. Hier gab es schon ziemlich früh für den Herrscher keine Möglichkeit, neues Land zu gewinnen, und damit war sein Verlust an eigenem Land unaufhaltsam. Es hatte nichts mit den persönlichen Fähigkeiten des jeweiligen Königs zu tun. Der soziale Prozeß der Dezentralisierung, der ein Teil des Mechanismus der Feudalisierung war, ließ ihm kaum Chancen und keine Wahl. So war Ludwig VI., obwohl persönlich fähig, am Beginn des 12. Jh. Herr nur noch in seiner eigenen Domäne. Es ist die notwendige Folge der Tatsache, daß alles, was man zum Leben brauchte, innerhalb eines relativ kleinen Gebietes herstellen konnte und mußte. Es gab keine weiterreichenden Interdependenzen, keine sicheren Verkehrswege, daher auch kaum Handel, und deshalb auch keine Geldwirtschaft, und damit, und da schließt sich der Kreis, auch keine Möglichkeit, Dienste anders zu bezahlen als durch Land (und im kleinen durch Naturalien).

Der französische König ist um diese Zeit einfach nur eine Feudalherr unter vielen, allerdings mit einem pompösen Titel, und, und das wird langsam entscheidend, mit der Unterstützung der Kirche, die hier, anders als im deutschen Reich, keine weltlichen Fürstentümer besitzt, und daher auf den Schutz des Königs, so gering der sein mag, angewiesen ist. Dies Kirche bringt dem König wenn auch anfangs geringe zusätzliche Einnahmen und damit einen kleine Vorsprung gegenüber seinen Mitbewerbern. Denn die Feudalherren konkurrieren permanent miteinander um Ressourcen, und Konkurrenz ist in dem Maße mit Konzentration verbunden, wie man diese so erworbenen Ressourcen akkumulieren kann.

Zum ersten Mal seit der Völkerwanderung steigt die Bevölkerung langsam wieder an. Während die Oberschicht ihre überschüssigen Söhne in die Kreuzzüge schickt, bleibt den Unterschichten nur die „Binnendifferenzierung“. Es ist die Zeit der großen Rodungen, der ersten Handwerkersiedlungen, der Städtegründungen. Und mit der wachsenden Arbeitsteilung wachsen und verlängern sich die Interdependenzketten und der Bedarf an Geldverkehr wächst. Mit dem wachsenden Geldverkehr steigen die Steuereinnahmen, und die begünstigen in Frankreich den König, der nun einen nach dem anderen seine Konkurrenten ausschaltet, und mit Geld Soldaten bezahlen kann, Geld, das im Gegensatz zu Land, jedes Jahr „nachwächst“. So beginnt nun ein Prozeß der Zentralisierung, der seinen sprichwörtlichen Höhepunkt in Ludwig XIV. erreicht. Dieser Prozeß ist einer der Monopolisierung militärischer Gewalt in der Hand des Königs, und damit gleichzeitig ein Prozeß der Trennung zwischen militärischer und wirtschaftlicher Macht, der am Anfang nur nicht sichtbar wird, weil dem König nominell das ganze Land gehört.

Im Deutschen Reich setzt dieser Prozeß später ein, nur verläuft er hier anders. Da der Prozeß der Dezentralisierung hier nicht so weit gegangen war, verläuft auch der der Zentralisierung anders, und begünstigt eben hier vor allem die Territorialfürsten, sodaß das Deutsche Reich zu dem bekannten „Flickenteppich“ wird. Hier kristallisieren sich in den Ausscheidungskämpfen vor allem Preußen und Österreich als Anwärter auf die Führungsrolle heraus, nicht zufällig zwei Länder am Rande des Reichsgebietes, mit nicht unerheblichen Besitzungen außerhalb.

Wir haben hier zwei Modelle von sozialen Prozessen kennengelernt, einmal den „Mechanismus der Feudalisierung“, zum anderen den Prozeß der Zentralisierung, der zu unseren modernen, europäischen Staaten geführt hat. Es war nicht ein „System des Feudalismus“, sondern ein beständiger Prozeß von Dezentralisierung und Zentralisierung. Wir haben (in einem ganz groben Überblick) gesehen, daß die Chancen und Risiken der einzelnen handelnden Personen weitgehend bestimmt wurden von den Chancen, die ihnen der Stand der Entwicklung dieser Prozesse und den damit verbundenen Verflechtungen, von denen sie selbst ein Teil waren, jeweils bot.

Diese Art der Modellbildung ist nur möglich, weil Menschen miteinander Figurationen bilden, die bestimmte regelmäßige Eigentümlichkeiten haben, die sich nicht reduzieren lassen auf Eigenschaften der einzelnen Menschen, die diese Figurationen bilden, und die obwohl ausschließlich aus Menschen und ihren wechselseitigen Abhängigkeiten bestehend, gegenüber den einzelnen Menschen eine relative Unabhängigkeit haben. Diese Figurationen, mit anderen Worten, diese sozialen Prozesse sind eine exklusive Eigentümlichkeit menschlicher Gesellschaften, die sich nicht aus den Eigentümlichkeiten der Existenz der einzelnen Menschen als biologische Wesen (die sich unzweifelhaft auch sind) ableiten lassen. Menschen und ihre Gesellschaften bilden gewissermaßen eine eigene Integrationsebene dieser Welt, und das ist der eigentliche Grund, warum es auch eine eigene Form von Modellbildung, eine eigene Form von Wissenschaften braucht, und letztlich der Grund, warum die Modelle biologischer Evolution, so nützlich sie auf der biologischen Integrationsebene sind, für die Menschenwissenschaften nicht hinreichend sind.

P.S.: Dies war ein (sehr rudimentäres) Beispiel für die Soziogenese menschlicher Gesellschaften. Was überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen ist, ist die Psychogenese, die Entwicklung des menschlichen Habitus, die mit der Entwicklung seiner Gesellschaften einhergeht. Aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3624

Beitrag(#2107396) Verfasst am: 18.09.2017, 22:41    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich auch nicht. Aber sobald du "offensichtlich überlegenes Modell" sagst, stehst du unter Generalverdacht, wenn man nicht genauer liest oder nachdenkt.


Das sind Mißverständnisse, die sich kaum vermeiden lassen, wenn man Modelle, die ihre Herkunft aus der Biologie nicht verbergen, auf historische Prozesse anwendet. Die haben nun mal die Eigenschaft, daß sie sich entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben. Welch Ereignisse dafür verantwortlich waren, daß sich bestimmte soziale Beziehungen durchgesetzt haben, und anderen nicht, das ist mit biologischen Modellen nicht zu erklären.

Wieso sprichst du von biologischen Modellen? Die Behauptung von fwo und mir ist doch, daß biologische Evolution nur ein Spezialfall eines allgemeineren Prinzips ist.

Einige Beipiele habe ich genannt, insbesondere die Thesen zur Entwicklung der Monogamie. Warum sagst du, das gilt nicht? Müßten die Beispiele nicht erst im üblichen Klein-Klein des wissenschaftlichen Alltagsgeschäftes widerlegt werden, bevor du sagen kannst, das erklärt nichts?



Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Und eine Erklärung ist das hier ja auch nicht. Man hat ein bestimmte Form sozialer Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die weltweit verbreitet ist (wobei man großzügig all die Unterschiede übersieht, die diese Art der Beziehungen in unterschiedlichen Weltgegenden aufweisen). Und weil es sich offenbar gegen alle anderen durchgesetzt hat, nennt man es "offensichtlich überlegen".

Wenn die Sache mit Pflug vs. Hacke stimmt, dann hat sich das Patriarchat eben nicht überall durchgesetzt.



Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das ist wie die Behauptung, eine Olympiasieger habe seine Konkurrenten überrundet, weil er schneller war. Tolle Erkenntnis! Ich vermute, daß das selbst in der Biologie nicht als Erklärung durchginge, von den Menschenwissenschaften gar nicht zu reden.

Jetzt hast du mich auf ein gutes Beispiel für kulturelle Evolution gebracht. Sehr glücklich

Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.



Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Menschen bilden Gesellschaften. Die konkurrieren zwar miteinander, aber auf eine andere Art als biologische Arten. Gesellschaften von Menschen sind Prozesse, die zwar ausschließlich von Menschen und ihren Beziehungen gebildet werden, aber durchaus eine gewisse Autonomie gegenüber den jeweils einzelnen Menschen haben. Diese Prozesse sind strukturiert (sonst könnte man sie nicht untersuchen). Sie sind ungeplant (obwohl die einzelnen Menschen durchaus ihre Pläne machen). Und sie sind nicht zielgerichtet, obwohl sie durchaus über gewisse Zeiträume in einen bestimmte Richtung gehen können.

Keine Einwände.

Ein wesentlicher Unterschied zur biologischen Evolution ist zum Beispiel, daß kulturelle Evolution lamarckistisch läuft. Menschen können zu Lebzeiten neue Überzeugungen, Techniken etc. übernehmen.

Auch ist es nicht so, daß immer ganze Gesellschaften miteinander konkurrieren. Kulturelle Evolution läuft auch innerhalb von Gesellschaften ab. Ein Beispiel ist der zunehmende Atheismus in westlichen Gesellschaften, wobei die skandinavischen Länder vor den mitteleuropäischen liegen, und diese vor den Südeuropäern. Eine vollständige Theorie müßte dafür eine Erklärung haben.



Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Diese Prozesse sind Entwicklungen, aber sie unterscheiden sich von denen der biologischen Evolution. Weil das so ist, passen die Modelle, mit denen wir die biologische Evolution beschreiben, auch nicht so recht. Noch viel schlimmer, sie liefern keine neuen Erkenntnisse.

Nervtöter-smallie sagt, die Thesen zur Monogamie liefern schon neue Erkenntnisse. nee
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2107401) Verfasst am: 18.09.2017, 22:58    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher. Und die Erkennbarkeit dieses Unterschieds soll anscheinend -aus welchen Gründen auch immer- untergehen.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3624

Beitrag(#2107403) Verfasst am: 18.09.2017, 23:14    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Nun ja, es gibt da aber schon einen kleinen, aber feinen Unterschied: Die biologische Evolutionstheorie macht einen historischen Prozess verständlich, wo dieser nicht selbstverständlich ist. Die Vorstellung, dass die für sich genommen starr erscheinenden Arten sich entwickelt haben, schreit nach Erklärung, einem Mechanismus, der das plausibel macht. Die Entwicklung von Kulturen dagegen wurde, sofern als Wissenschaft ernsthaft betrieben, schon immer historisch gefasst. Anders als die biologischen Arten erwecken Kulturen ja gar nicht erst den Anschein, starr zu sein. Man braucht hier keine Evolitionstheorie, um die Historizität dieses Vorganges verständlich und anschaulich zu machen. Ja, die historische Betrachtungsweise liegt hier gerade im Wesen der Beschreibungsmethode selbst. Insofern stellt sich, wie schon gesagt, ganz einfach die Frage nach dem Mehrwert. Konkret: Inwiefern soll die Geschichtswissenschaft von der Evolutionstheorie profitieren? Inwiefern die Biologie es tut, liegt ja auf der Hand.

Der "praktische Beweis" der Analogie geht über konvergente Evolution.

Wenn bestimmte Anpassungen unabhängig voneinander an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten auftreten, dann ist das ein Indiz für ein allgemeines Prinzip.

Die Sache mit dem Pflug und der Hacke hat sich unabhängig voneinander mehrfach so entwickelt, also ist das keine historische Zufälligkeit, hier kommt eine Struktur zum Vorschein. Die Zufälligkeit liegt in den geographischen und botanischen Gegebenheiten, wo halt eben Pflug und wo Hacke effektiver ist.

Falls die Sache stimmt, würde sie zur Frage nach den Geschlechterunterschieden zumindest eine Teilantwort liefern.
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3624

Beitrag(#2107404) Verfasst am: 18.09.2017, 23:29    Titel: Antworten mit Zitat

Kat hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Der Pflug braucht im Gegensatz zur Hacke große Körperkraft um ihn oder das ihn ziehende Tier zu führen, weshalb diese Arbeit nur von Männern ausgeführt werden kann.

(Hervorhebungen durch mich)

Das ist zumindest in dieser Verallgemeinerung falsch.

Ja, stimmt. Mit dem "nur" bin ich in eine Redensart verfallen. Verlegen

Schau dir die Korrelation im Graphen an. Die ist nicht sehr groß, sondern nur eine Tendenz. Trotzdem denke ich, daß diese Tendenz langfristig einen Unterschied machen kann.


Kat hat folgendes geschrieben:
Als im 2. Weltkrieg in Deutschland die Männer an der Front waren, konnten und mußten die Frauen auch selber pflügen.
Ein hübsches Beispiel übrigens im Film "Herbstmilch".

Kat

Hmm. Da wo ich herkomme, hatten alle Bauernhöfe Kriegsgefangene als Helfer.
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3624

Beitrag(#2107407) Verfasst am: 19.09.2017, 00:27    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher.

Das ist der Punkt, bei dem die Meinungen auseinander gehen. Danke für die klare Formulierung.

Darwin brauchte kein Genom, um Evolution dingfest zu machen. Das hat fwo schon so angemerkt. Warum sollte dann heute der Weg über das Genom zwingend zum Konzept der Evolution gehören?

Klar, da gab's die Synthetische Evolutionstheorie, die Darwin mit Mendel zusammengebracht hat. Seitdem ist das Genom untrennbar mit Evolution verbandelt. Mit der synthetischen Theorie einher ging eine algebraische Formulierung der Theorie. Verblüffender Weise reicht diese algebraische Formulierung über die biologische Evolution hinaus. Die Hochspringer sind ein trivialer Fall der Deckung zwischen beiden Beschreibungen.



zelig hat folgendes geschrieben:
Und die Erkennbarkeit dieses Unterschieds soll anscheinend -aus welchen Gründen auch immer- untergehen.

Gar nicht. Siehe oben:

smallie hat folgendes geschrieben:
Ein wesentlicher Unterschied zur biologischen Evolution ist zum Beispiel, daß kulturelle Evolution lamarckistisch läuft. Menschen können zu Lebzeiten neue Überzeugungen, Techniken etc. übernehmen.

_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2107409) Verfasst am: 19.09.2017, 07:20    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher.

Das ist der Punkt, bei dem die Meinungen auseinander gehen. Danke für die klare Formulierung.


Ich danke für die Anerkennung dieses zentralen Punktes.

smallie hat folgendes geschrieben:
Darwin brauchte kein Genom, um Evolution dingfest zu machen. Das hat fwo schon so angemerkt. Warum sollte dann heute der Weg über das Genom zwingend zum Konzept der Evolution gehören?


Soll die Unkenntnis des Gründervaters einer Theorie über die konkreten Wirkmechanismen dieser Theorie wirklich ein Argument gegen * die Theorie selber sein? Ohne Genom wäre die Basis der Evolutionstheorie verloren, und somit auch die Evolutionstheorie selber.

smallie hat folgendes geschrieben:
Die Hochspringer sind ein trivialer Fall der Deckung zwischen beiden Beschreibungen.


Das hast Du noch nicht gezeigt.







Korrektur: Dieser Text stand ursprünglich weiter oben:
*
[ sorgfältige Trennung unterschiedlicher Sphären sein? Dann würden wir anstatt über die Sache, nur über einen Begriff streiten. Der Begriff interessiert mich aber nicht, sondern die Sache, um die es geht (Evolution). Und ob es gerechtfertigt ist, kulturelle Übergabe darunter zu subsumieren. Jetzt sind wir zumindest mal an den Punkt gelangt, der die prinzipielle Differenz zwischen Vererbung und Tradierung von Fähigkeiten oder Eigenschaften festgemacht hat.]

Ich nehme ihn zurück.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Bravopunk
Sugoi Dekai :D



Anmeldungsdatum: 08.03.2008
Beiträge: 31717
Wohnort: Woanders

Beitrag(#2107410) Verfasst am: 19.09.2017, 08:58    Titel: Antworten mit Zitat

Vielleicht kann Herr Duden hier weiterhelfen. Smilie

Die bildungssprachliche Bedeutung bezieht sich in keinster Weise auf biologische Entwicklungen. Sie deshalb auch nicht zwangsweise daran gebunden zu verwenden kann daher nicht im Widerspruch zur biologischen Bedeutung stehen.
_________________
"Hier spricht Ramke. Wer jetzt allein ist, kriegt nur noch den Abschaum!"

Meine Freiheit, deine Freiheit

Kaguya-hime

Kanashikute Yarikirenai
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107438) Verfasst am: 19.09.2017, 11:56    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher.

Das ist der Punkt, bei dem die Meinungen auseinander gehen. Danke für die klare Formulierung.


Ich danke für die Anerkennung dieses zentralen Punktes.

smallie hat folgendes geschrieben:
Darwin brauchte kein Genom, um Evolution dingfest zu machen. Das hat fwo schon so angemerkt. Warum sollte dann heute der Weg über das Genom zwingend zum Konzept der Evolution gehören?


Soll die Unkenntnis des Gründervaters einer Theorie über die konkreten Wirkmechanismen dieser Theorie wirklich ein Argument gegen * die Theorie selber sein? Ohne Genom wäre die Basis der Evolutionstheorie verloren, und somit auch die Evolutionstheorie selber.
...

Das ist jetzt wissenschaftsgeschichtlich etwas falsch, als die Evolutionstheorie damals ohne die Genetik nicht unvollständig war, sie war nur noch etwas abstrakter als heute die synthetische Evolutionstheorie, in die man die Wirkmechanismen, über die die biologische Evolution stattfindet immer mehr integriert. Aber auch ohne das war die Evolutionstheorie auf ihrem damaligen Stand überzeugend, d.h. auch vollständig genug für eine wachsende Anzahl von Wissenschaftlern. Das spricht schon mal für das Prinzip.

Ansonsten:
Das ist jetzt die zeligsche Definition der Evolution als eine ausschließlich biologischen Angelegenheit, die nicht zu abstrahieren ist.
@ zelig: Du Schelm. Warum hast Du nicht einfach festgelegt, dass Evolution nur in Verbindung mit biologischen Lebenwesen benutzt werden darf? Etwas anderes ist Dein Bestehen auf dem Genom nicht.

Dabei gibt es in der Kultur durchaus etwas Äquivalentes, ohne das Kultur gar nicht funktionieren würde, und auf das ich regelmäßig hingewiesen habe; es ist die hohe Kopiertreue bei der Übernahme der elterlichen Kultur selbst durch pubertierende Jugendliche:
fwo hat folgendes geschrieben:
....
Das Festhalten am Alten ist kein Problem, sondern eine conditio sine qua non für die biologische Möglichkeit, angeborenes Verhalten durch Kultur ersetzen zu können. Wenn das nicht ist, fängt jede Generation von vorne an - ohne unsere Möglichkeit der Bewertung. Und wenn jede Generation von neuem anfängt, gibt es auch keine Weiterentwicklung - dann bleibt dieser Affe bei den Schimpansen stehen. Es kommt ohne diese Kopiertreue übrigens auch nicht zu einer Sprache, weil die Akkumulation immer auf das Alte aufsetzt. Diese Kopiertreue kann deshalb am Anfang nur eine ohne Einsicht gewesen sein.

Angefangen hat das mit Steinen, den Geröllsteinen, die sehr schlicht sind. Ich hatte in der langen Antwort auf das Stadium Acheuléen hingewiesen, bei dem man am Werkzeug selbst sehen kann, dass da ein sehr geordnetes Übergeben der Kultur stattgefunden haben muss. Damit meine ich nicht nur Abgucken, sondern auch beibringen. Dauer ca. von 1,7 Mio bis 150 000 vor unserer Zeitrechnung, ohne große Veränderung. Erst vor 300 000 Jahren kommt mit der Schildkerntechnik eine Neuerung, die dann bis zu den Neanderthalern anhält. Wir sind hier also schon bei echten Menschen, aber immer noch nicht mit einer richtigen Sprache - warum wir davon ausgehen sollten, habe ich begründet. Allerdings gehe ich daon aus, dass die Sprache beim Steinekloppen entstanden ist. Das habe ich auch schon mal ziemlich ausgewalzt begründet - das ist am Anfang dieser Diskussion verlinkt. Wenn Du von Beurteilungsfähigkeit und Einsicht für die Tradition ausgehst, sind diese langen Zeiten in der Steinzeit nicht erklärbar, denn jede Form der Reflektion sollte zu einem höheren Tempo in der Entwicklung führen, als wir es hier sehen.

Dass bei einem so hochkomplexen Gegenstände wie Gott, in diesem Fall auch noch ein aufgeblasener Vater-Archetypus, noch ganz andere Mechanismen beteiligt sind, hatte ich selbst schon dazugeschrieben. Oder anderesherum: Selbst, wenn Du bei jedem Einzelfall betrachtest, dass hier dieses und da jenes eine Rolle spielt, kommst Du nicht umhin, festzustellen, dass die Kopiertreue in der Summe gewaltig ist. Die Vorgänge im Einzelnen sind das Eine, das Andere ist, wie sich das auf die Summe dessen auswirkt, was von dieser Gesellschaft (weiter-)getragen wird. Denn das ist die Kultur.

oder
fwo hat folgendes geschrieben:
...Wie stellst Du dir die Entstehung der Sprachen vor?
Ist bei der Vorraussetzung "sich als veränderliche Kopien vermehrende Einheiten im Wettbewerb um eine begrenzte Ressource" bei gleichzeitigem Überwiegen der Kopiertreue überhaupt etwas anders als eine Evolution mit Aufspaltungen in verschiedene (und wahrscheinlich auch verschieden erfolgreiche) Kopierlienien möglich? Ich sehe das nicht ...


Wenn Du hier im Forum nach Kopiertreue in Beiträgen des Users fwo suchst (vor diesem Post gab es 8 Fundstellen), dann wirst Du übrigens feststellen, dass ich genau diese auch schon vor der Diskussion um die kulturelle Evolution als wesentliches Merkmal der Genetik festgestellt habe.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107441) Verfasst am: 19.09.2017, 12:12    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher. Und die Erkennbarkeit dieses Unterschieds soll anscheinend -aus welchen Gründen auch immer- untergehen.

@zelig
Du vertust Dich hier gerade in den Ebenen: Die Kultur lernt wie das Genom auch durch das Einfügen neuer oder veränderter Teile. Das kulturelle Lernen findet beim Träger der Kultur, dem Menschen statt.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107442) Verfasst am: 19.09.2017, 12:21    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
....
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Und eine Erklärung ist das hier ja auch nicht. Man hat ein bestimmte Form sozialer Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die weltweit verbreitet ist (wobei man großzügig all die Unterschiede übersieht, die diese Art der Beziehungen in unterschiedlichen Weltgegenden aufweisen). Und weil es sich offenbar gegen alle anderen durchgesetzt hat, nennt man es "offensichtlich überlegen".

Wenn die Sache mit Pflug vs. Hacke stimmt, dann hat sich das Patriarchat eben nicht überall durchgesetzt.
....

Das Beispiel passt sowieso nicht, weil die unterschiedlichen Rollenvorlieben, wie gerade in Norwegen zu sehen, eben kein Zeichen des Patriarchats sind. Hier kommt noch dazu, dass die rollenspezifische Arbeitsteilung, um die es hier geht, auch noch von der körperlichen Konstitution abhängt. Dass diese körperlichen Konstitutionsunterschiede in Notzeiten keine Rolle mehr spielen können, wenn die Leute überleben wollen, ist übrigens auch kein Argument.

@ Marcellinus - aber ich glaube darauf hatte ich schon hingewiesen: Das "offensichtlich überlegen", das ich formuliert habe, war nicht allgemein, sondern bezog sich auf einen bestimmten Zeitraum.

EDIT quote gerichtet
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).


Zuletzt bearbeitet von fwo am 19.09.2017, 13:01, insgesamt einmal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2107443) Verfasst am: 19.09.2017, 12:37    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher. Und die Erkennbarkeit dieses Unterschieds soll anscheinend -aus welchen Gründen auch immer- untergehen.

@zelig
Du vertust Dich hier gerade in den Ebenen: Die Kultur lernt wie das Genom auch durch das Einfügen neuer oder veränderter Teile. Das kulturelle Lernen findet beim Träger der Kultur, dem Menschen statt.


Sorry, ich habe noch immer keine Lust auf Sprachmätzchen.

Zitat:
Biologische Perspektive
Physiologische Grundlagen des neuronalen Lernens

Die neurobiologischen, physiologischen und medizinischen Grundlagen des Lernens stützen sich zunächst auf einfache Tiermodelle der Konditionierung. Den Tieren und speziell natürlich dem Menschen ist die Fähigkeit der Assoziation von Sinneseindrücken (und bisher Gelerntem) eigen. Assoziationen in Nervensystemen entstehen durch die Bildung oder Verstärkung von neuronalen Verknüpfungen (Synapsen) bei gleichzeitiger Aktivität (Aktionspotentiale) in zwei Neuronen oder Neuronengruppen. Dieses Prinzip macht es auch möglich, bereits Gelerntes wieder zu verlernen. Bleiben Fähigkeiten ungenutzt, werden die Verbindungen der entsprechenden Synapsen schwächer oder gehen ganz verloren. Dafür bauen Proteine die reiz-empfangende Synapse um: Die sogenannte mRNA bringt die Baupläne der Proteine zur Synapse, die gerade neu strukturiert werden muss.[2] Die Fähigkeit zur neuronalen (Neu-)Verknüpfung wird unter dem Schlagwort neuronale Plastizität zusammengefasst. Die zeitliche Kontingenz von Reizen als Voraussetzung für das Lernen und als Konsequenz aus dem Ursache-Wirkungs-Prinzip macht klar, dass Lernen immer zeitabhängig, das heißt: ein Prozess ist, der Begriff „Lernprozess“ ist also streng genommen ein Pleonasmus.

Die Art der Informationsspeicherung hängt vom jeweiligen Gedächtnis ab. Im Ultrakurzzeitgedächtnis werden sie als elektrische Impulse verarbeitet und mit bereits gespeicherten Vorinformationen verknüpft. Nach maximal 20 Sekunden gehen diese Informationen verloren, da die elektrischen Impulse abklingen. Bei der Ablage von Informationen im Kurzzeitgedächtnis kommt das Prinzip der (frühen Phase der) Langzeit-Potenzierung zum Tragen. Bei der Abspeicherung im Langzeitgedächtnis werden zusätzliche zelluläre Mechanismen angenommen, die z.B. als Folge der späten Phase der Langzeit-Potenzierung an den jeweiligen, beteiligten Neuronen Zytoskelettveränderungen hervorrufen, die zur Vermehrung der Synapsen führen, was dann die Information strukturell verankert. Anders ausgedrückt geht man davon aus, dass im Zuge der synaptischen Aktivität neu gebildete Proteine unterschiedlicher Art fest in den Nervenzellen eingelagert werden und damit die Information über den Lernvorgang langfristig gespeichert wird.[3]

Den Durchbruch hinsichtlich der Erforschung der Prozesse, die beim Lernen im Gehirn vorgehen, schaffte Eric Kandel, der für seine Forschungsergebnisse mit dem Medizinnobelpreis 2000 ausgezeichnet wurde.
Siehe auch: Sensorische Integration
Anatomische Grundlagen des neuronalen Lernens
Die makroskopische Anatomie liefert mehrere Orte im Gehirn, die ganz wesentlich erhalten sein müssen, um Lernen zu ermöglichen. All diese Hirnareale sind im sogenannten Papez-Neuronenkreis zusammengefasst. Kurz gesagt kann man davon ausgehen, dass schon das evolutionär alte paleo- und archikortikale limbische System ausreichend war, essentielle Lernvorgänge zu ermöglichen und daher heute noch die Grundlage für höhere Gedächtnisleistungen darstellt.


https://de.wikipedia.org/wiki/Lernen#Biologische_Perspektive
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107446) Verfasst am: 19.09.2017, 13:00    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
...Am Ende geht es in der Systemtheorie um einen statischen Ansatz, bei dem die wesentliche Eigenschaft dieser Systeme ihre Selbsterhaltung ist, bzw. das Streben danach. ....

Frage Ich kann Dir im Moment nicht folgen.
Die Funktion der Selbsterhaltung setzt doch Dynamik voraus, sowohl außerhalb, sonst wäre sie nicht nötig, wie innerhalb des Systems, sonst wäre sie nicht möglich. Auch jede Evolutionstheorie beschreibt nicht nur eine Dynamik, einen Prozess, sondern setzt auch Dynamik in den Teilnehmern dieses Prozesses voraus.


Ich will versuchen, dir an einem historischen Beispiel zu erklären, was eine Theorie in den Menschenwissenschaften leisten können sollte, nämlich vorhandene Tatsachenbeobachtungen in einen theoretisches Modell einzuordnen und weitere Beobachtungen aufgrund dieses Modells zu ermöglichen, und wieso eine Systemtheorie, dynamisch oder nicht, dazu nicht in der Lage ist.
....

Erstmal Danke für diesen interessanten Beitrag. Das was ich jetzt nicht zitiert habe, findet alles meine Zustimmung.

Festhalten kann ich aber nach dieser Einleitung, dass das, was Du vorher über Luhmann bzw. die Systemtheorie gesagt hattest, nicht stimmte.

Ich stimme Dir auch darin zu, dass ich einen historischen Verlauf nicht über die Systemtheorie verstehen kann, aber, und das habe ich schon geschrieben, ich kann auch bei der Entwicklung des Pferdes, so wie wir sie über den paläontologischen Befund darstellen können, durch die Evolutionstheorie keine Bereicherung oder Präzisierung erreichen. Die Evolutionstheorie war/ist uns behilflich, die Möglichkeiten zu ahnen, in deren Struktur dieser Vorgang ablief, aber um diesen konkreten Vorgang zu verstehen, bedarf es - genauso wie bei der menschlichen Kultur - der historischen Information.

Ich bin trotzdem dafür, eine Theorie zu versuchen. Bevor ich aber aus Wikipedia zitiere, wie Luhmann das begründet, male ich mal ein Bild aus der Physik:

Die Bahn eines Projektils beschreibt eine Parabel.
Einwand: Was für ein Quatsch. Damit lässt sich doch in der Realität nicht anfangen. Um wirklich zu sehen, was da passiert, brauche ich die Anfangsgeschwindigkeit, das Geschossgewicht, die Geschossform, den Geschossquerschnitt und seine Fugeigenschaften (bleibt der Querschnitt gleich?), den Abschusswinkel, Windgeschwindigkeit und Richtung und außerdem den Luftdruck. Eigentlich noch mehr, aber wir sind heute großzügig. Diesen allgemeinen Satz mit der Parabel können wir uns sparen, weil es viel komplizierter ist.

Bereits 1970 lieferten sich Luhmann und der Soziologe Jürgen Habermas, als jüngster Vertreter der Kritischen Theorie, eine ausführliche Kontroverse zu ihren teils gegensätzlichen Theoriemodellen, welche sie mit einer gemeinsamen Publikation „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie“ dokumentierten.[18] Der wohl wichtigste Streitpunkt dieser Kontroverse war, ob die Soziologie eine moralische Komponente oder eine soziale Utopie (Herrschaftsfreiheit) durchzutragen habe oder lediglich eine Beschreibung der Gesellschaft nach funktionaler Prämisse leisten müsse.[19] Aus der Sicht Luhmanns fällt die Antwort so aus, dass das Erstere nur auf Kosten des Letzteren möglich ist.[20] Wenn sich die Soziologie an der Kritik oder am Diskurs orientiert, so ist sie damit auch an bestimmte Ausgangslagen gebunden und findet fatalerweise nur zu zeitlich begrenzter Gültigkeit. Um dem zu entgehen, muss Luhmann zufolge die Soziologie eine noch tiefer gelegte Abstraktion der sozialen Dynamik finden, die dafür einen zeitlich höheren Geltungsanspruch verwirklichen kann. Die moralische Bewertung und Kritik des Zeitgeschehens werde dadurch keineswegs ausgeschlossen, im Gegenteil, sie werde lediglich aus der Funktion der Soziologie ausgelagert in andere Bereiche, nämlich Politik oder Ethik. Dieser Schritt sei besonders deshalb erforderlich, weil die Soziologie bis dato weder über einen allgemeinen Begriff noch über eine allgemeine Theorie der Gesellschaft verfügt. Für die Soziologie als Wissenschaft sei es notwendig, dass sie ihren Gegenstand in allgemeiner Weise bezeichnen kann.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107448) Verfasst am: 19.09.2017, 13:11    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Schau dir mal den Hochsprung an. Da hat jemand eine neue Technik entwickelt, und ist mit dem Rücken nach unten über die Latte gesprungen. Das war erfolgreich; binnen weniger Jahre sind alle so gesprungen. Das ist kulturelle Evolution in Reinstform.


Es ist keine Evolution im Sinne der (biologischen) Evolutionstheorie, da die Weitergabe nicht den Weg über das Genom geht, sondern über den Weg von (kulturellem) Lernen, oder der Nachahmung. "Evolution" wird zur Metapher. Und die Erkennbarkeit dieses Unterschieds soll anscheinend -aus welchen Gründen auch immer- untergehen.

@zelig
Du vertust Dich hier gerade in den Ebenen: Die Kultur lernt wie das Genom auch durch das Einfügen neuer oder veränderter Teile. Das kulturelle Lernen findet beim Träger der Kultur, dem Menschen statt.


Sorry, ich habe noch immer keine Lust auf Sprachmätzchen.
...

Das ist kein Sprachmätzchen, sondern bezieht sich auf meine Charakterisierung des Genoms als das frühe kollektive Wissen der Art über die Welt. Insofern kann man eine genetische Anpassung einer Art an geänderte Bedingungen durchaus als genetisches Lernen bezeichen. Normalerweise reichen Deine Transfermöglichkeiten weit über solche Dinge hinaus.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3624

Beitrag(#2107522) Verfasst am: 19.09.2017, 22:48    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Das ist der Punkt, bei dem die Meinungen auseinander gehen. Danke für die klare Formulierung.


Ich danke für die Anerkennung dieses zentralen Punktes.

META:

Das fiese an der Sprache ist, daß sie es erlaubt, gleiche Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen zu belegen. Dann redet man schnell aneinander vorbei, obwohl man vielleicht gar nicht so weit auseinanderliegt.

    Ja wenn ich den Begriff so verstehe, wie du, dann hast du Recht. Aber so darf man den Begriff niemals nie nicht verstehen. Pfeifen


Mit Begriffen möchte ich nicht geizen. Wenn's hilft dann spreche ich für den Rest des Threads von "algorithmischer Evolution AE", um sie von der biologischen, auf Genetik basierten BE abzugrenzen. Die Frage, ob algorithmische Evolution bei diesem oder jenem Problem hilft, ist dann getrennt von der Frage, was AE mit BE zu tun hat.



zelig hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Die Hochspringer sind ein trivialer Fall der Deckung zwischen beiden Beschreibungen.

Das hast Du noch nicht gezeigt.

Gut. Spielen wir eine Runde natürliche Selektion.

Eine Population von je 100 Tieren mit schwarzen, beigem und weißem Fell. Jede Farbe habe eine zugehörige Fitness.

Code:

Fell    Fitness  Anzahl

weiß      1,5      100
beige     1,0      100
schwarz   0,5      100

Offensichtlich befinden wir uns in einer Polarregion. Im Dschungel sähen die Zahlen anders aus. zwinkern

Eine Generation später sieht es so aus:

Code:

Fell    Fitness  Anzahl

weiß      1,5      150
beige     1,0      100
schwarz   0,5       50


Der Fall der Hochspringer ist dann trivial. Der alte Sprungstil stirbt nach wenigen Jahren aus.

Jetzt kannst du sagen, auch das sei sowieso alles trivial oder tautologisch. Trotzdem hat die Trivialität bis vor 250 Jahren niemand erkannt. Und bis vor 90 Jahren hat sie niemand in Formeln gepackt.

Als Versuch, dich mit Trivialem zu verblüffen. Aus obigen Beispielen folgt unmittelbar, daß sich die durchschnittliche Fitness stetig erhöht. In der Literatur kennt man das als Fishers Fundamentaltheorem der natürlichen Selektion.

    Die mittlere Fitness nimmt immer zu.

    1,5 * 150 + 1,0 * 100 + 0,5 * 50 > 1,5 * 100 + 1,0 * 100 + 0,5 * 100


Was man mit Tautologien alles machen kann. Tsk. Ich hab' das nur so umständlich aufgeschrieben, weil ich die Rechnung gleich in einem ganz anderen Zusammenhang brauche, nämlich bei neuronalen Netzen.



zelig hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Kultur lernt wie das Genom auch durch das Einfügen neuer oder veränderter Teile. Das kulturelle Lernen findet beim Träger der Kultur, dem Menschen statt.


Sorry, ich habe noch immer keine Lust auf Sprachmätzchen.

Zitat:
Biologische Perspektive
Physiologische Grundlagen des neuronalen Lernens

Die neurobiologischen, physiologischen und medizinischen Grundlagen des Lernens stützen sich zunächst auf einfache Tiermodelle der Konditionierung. Den Tieren und speziell natürlich dem Menschen ist die Fähigkeit der Assoziation von Sinneseindrücken (und bisher Gelerntem) eigen. Assoziationen in Nervensystemen entstehen durch die Bildung oder Verstärkung von neuronalen Verknüpfungen (Synapsen) bei gleichzeitiger Aktivität (Aktionspotentiale) in zwei Neuronen oder Neuronengruppen.

Die Ausgabe eines Neurons in einem neuronalen Netzes läßt sich mathemätzischer Weise beschreiben durch:

    Ausgabe = Summe über [Eingangssignal(i) * Gewichtung des Signals(i)]


Das entspricht der Berechnung der durchschnittlichen Fitness hier:



Die Formel im Bild ist analog zur Berechnung des durchschnittlichen Fehlers in einem Neuron, wenn ein Lernsignal eingespeist wird.


Philosophische Frage: wenn sich unterschiedliche Phänomene auf die gleiche Mathematik reduzieren lassen, haben sie dann etwas gemeinsam?
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
swifty
auf eigenen Wunsch deaktiviert



Anmeldungsdatum: 26.03.2017
Beiträge: 5000

Beitrag(#2107543) Verfasst am: 20.09.2017, 10:03    Titel: Antworten mit Zitat

Die herkömmliche Rollenverteilung ist absolut gerechtfertigt, denn...

https://www.derwesten.de/panorama/deshalb-haben-maenner-beim-putzen-ein-erhoehtes-sterberisiko-id211797813.html

Zitat:
Eine Studie der Universität Brüssel hat ergeben, dass bei männlichen Reinigungskräften das Sterberisiko im Vergleich zu Büroangestellten um 45 Prozent steige. Bei Frauen beträgt das höhere Sterberisiko nur 16 Prozent.


freakteach
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
fwo
Caterpillar D9



Anmeldungsdatum: 05.02.2008
Beiträge: 25878
Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#2107548) Verfasst am: 20.09.2017, 10:42    Titel: Antworten mit Zitat

Despiteful hat folgendes geschrieben:
Die herkömmliche Rollenverteilung ist absolut gerechtfertigt, denn...

https://www.derwesten.de/panorama/deshalb-haben-maenner-beim-putzen-ein-erhoehtes-sterberisiko-id211797813.html

Zitat:
Eine Studie der Universität Brüssel hat ergeben, dass bei männlichen Reinigungskräften das Sterberisiko im Vergleich zu Büroangestellten um 45 Prozent steige. Bei Frauen beträgt das höhere Sterberisiko nur 16 Prozent.


freakteach

Wenn dem so ist, sollte es aber reichen, die Leute im beruflichen Bereich einer unterschiedlichen Versicherungsstufe zuzuführen. Beim Autofahren übrigens auch.
_________________
Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
tillich (epigonal)
hat Spaß



Anmeldungsdatum: 12.04.2006
Beiträge: 21789

Beitrag(#2107551) Verfasst am: 20.09.2017, 10:51    Titel: Antworten mit Zitat

Despiteful hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Eine Studie der Universität Brüssel hat ergeben, dass bei männlichen Reinigungskräften das Sterberisiko im Vergleich zu Büroangestellten um 45 Prozent steige. Bei Frauen beträgt das höhere Sterberisiko nur 16 Prozent.

Das ist wahrscheinlich nicht sauber formuliert. Das Verb "steigen" impliziert mMn, dass der Beruf bei Männern der Grund für das höhere Sterberisiko sei; das muss ja aber nicht so sein, sondern es könnte einen gemeinsamen Grund für beides geben (zB Bildungsgrad, soziale Herkunft u.Ä.).
_________________
"YOU HAVE TO START OUT LEARNING TO BELIEVE THE LITTLE LIES." -- "So we can believe the big ones?" -- "YES."

(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Kultur und Gesellschaft Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3 ... 177, 178, 179 ... 210, 211, 212  Weiter
Seite 178 von 212

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.



Impressum & Datenschutz


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group