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Religion, Religiösität und Religionskriege
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Ascanius
abnorm



Anmeldungsdatum: 14.06.2005
Beiträge: 375
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1956040) Verfasst am: 09.10.2014, 11:25    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Erstens ist das Unsinn, weil es moralischen Menschen um ein möglichst leidfreies LEBEN geht [...]

Das hast du aber nicht geschrieben.

Das versteht sich doch von selbst.

Nein, tut es nicht. Und ich weiss auch gar nicht, wie man auf die Idee kommen kann, dass es das täte.


Das Streben nach möglichst weitgehender Leidfreiheit ist nun mal nicht IDENTISCH mit dem Streben nach einem möglichst schmerzfreien Tod. Letzteres setzt voraus, daß man nicht mehr leben will, aber wer nicht mehr leben will, braucht auch keine Ethik mehr. Nur lebensWILLIGE Wesen haben Gründe, über Leidvermeidung nachzudenken.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Man kann doch das Ziel der Leidfreiheit nicht zuverlässig erreichen, ohne es auch anzustreben.

Das wäre erstmal zu zeigen. Aber das ist ohnehin nicht der Punkt hier.


Doch, genau das ist hier der Punkt! Was man nicht anstrebt, das kann man auch nur zufällig und unvollständiger als möglich erreichen. Mit Würfeln löst man keine mathematischen Aufgaben, und möglichst weitgehende Leidfreiheit erreicht man nicht, indem man auf IRGENDWAS hinarbeitet. Ethische Abwägungsprozesse sind eh zu komplex, um mit anderen Mitteln, aber derselben Zuverlässigkeit zum selben Ergebnis kommen zu können.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Du verlangst ja nicht nur, dass man Leidvermeidung anstreben soll, sondern dass man sie auch noch aus den richtigen Gründen anstreben soll.


Logischerweise. Wenn man duldet, daß Menschen ihr Verhalten aus unprüfbaren oder falschen Überzeugungen ableiten, muß man ALLE Folgen akzeptieren, die das haben kann - nicht nur jene, die zufällig identisch mit moralischem Verhalten sind. Anderenfalls würde man sich in Widersprüche verwickeln. Genau das geschieht z.B., wenn Religioten einander für ihr Verhalten kritisieren. In ethischer Hinsicht besteht nämlich ÜBERHAUPT KEIN (!!!) Unterschied zwischen einem religiös motivierten Folter-Exzess und der religiös motivierten Stiftung eines Krankenhauses. Ex falso quodlibet - man kann beliebiges Verhalten nicht abstellen, ohne auch mit den falschen Annahmen aufzuräumen, die ihm zugrundeliegen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Vollständige Leidfreiheit und Leben schließen sich übrigens gegenseitig aus, aber das nur am Rande.


Sone Überraschung...

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Moralisches Handeln ist also untrennbar mit ethischem Streben verbunden und muß natürlich auch so vermittelt werden.

Und genau das ist eine pflichtethische Position und keine utilitaristische.


Es ist mir ziemlich egal, in welche Schublade Du mich stecken willst. Für die ethische Didaktik ist es jedenfalls unabdingbar, das "richtige" Was und das "richtige" Warum als unauflösliche Einheit zu vermitteln.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
NOCH mehr Unsinn, denn natürlich geht es um die Vermeidung UNERWÜNSCHTEN Leides [...]

Nochmal: Das hast du aber nicht geschrieben.

Auch das versteht sich von selbst, wenn man den Leidbegriff nur auf NEGATIVE Empfindungen anwendet.

Nein, das versteht sich auch dann nicht von selbst. Bzw. Nietzsche würde sagen: Es versteht sich höchstens für die Schwachen von selbst.


Dann nimm bitte zur Kenntnis, daß ich AUSSCHLIESSLICH unerwünschte Empfindungen meine, wenn ich den Leidbegriff verwende.
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Ascanius
abnorm



Anmeldungsdatum: 14.06.2005
Beiträge: 375
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1956041) Verfasst am: 09.10.2014, 11:29    Titel: Antworten mit Zitat

NoReply hat folgendes geschrieben:
Als relativ Liberaler teile deine ethischen Vorstellungen nicht:
1. Ich gestehe jedem Menschen zu das eigene Wohl in Maßen über das anderer zu stellen.


Es besteht ein Unterschied zwischen der im Einzelfall psychologisch begründbaren und einer allgemein vorsätzlichen Mißachtung des ethischen Gleichheitsprinzips. Erstere ist leider nicht vollständig vermeidbar, aber es muß klar sein und bleiben, daß es sich um ethisch fehlerhaftes Verhalten handelt, an dem weiter gearbeitet werden muß. Wer allerdings gar nicht erst versucht, das Gleichheitsprinzip möglichst konsequent umzusetzen, verhält sich schlichtweg unmoralisch.

NoReply hat folgendes geschrieben:
Das jeder immer an alle denken muss halte ich für vollkommen unpraktikabel und auch nicht für lebenswert.


Diese zynische Bequemlichkeit kann sich nur erlauben, wer selbst Nutznießer der Zustände ist, die ein moralischer Mensch bekämpfen muß. Zu Deinem Glück wirst Du Dich niemals vor denen verantworten müssen, die unter den Folgen Deines Verhaltens leiden, weil Du in einer Gesellschaft lebst, die Dich von ihnen abschirmt. Die nichtmenschlichen unter ihnen sind auch gar nicht fähig, ihre Interessen geltend zu machen, und eine 1-zu-1-Beziehung zwischen "Täter" und "Opfer" ist ohnehin nur äußerst selten nachvollziehbar. Die einzige Möglichkeit, auf "Liberale" einzuwirken, wäre sozialer Druck, aber wo sollte der in einer Gesellschaft von "Nutznießern" herkommen? So lehne Dich denn entspannt zurück und überlasse die ethische Entwicklung der Menschheit einfach Anderen.

NoReply hat folgendes geschrieben:
2. Zwinge ich andere nur in Extremfällen dazu Dinge zu unterlassen, die ich für leidverursachend halte. Wenn beispielsweise jemand rauchen möchte, rate ich ihm davon ab, aber überlasse die Entscheidung letztlich ihm selbst.


Nikotinisten sind eh meist unbelehrbar, aber das ändert nichts daran, daß Rauchen ethisch unakzeptabel und eben keine "Privatsache" ist.

NoReply hat folgendes geschrieben:
Mich graut es wenn ich mir utilitaristische Utopien wie Brave New World oder die Ideen Jeremy Benthams anhöre. Es sind doch meist grauenhaft repressive Polizeistaaten, in denen Freiheit keinen Platz mehr hat und das Leben genauso gut durch Roboter gelebt werden könnte statt durch Menschen.


U.a. deshalb bin ich NEGATIVER Utilitarist. Überhaupt soll Ethik der SELBSTsteuerung moralischer Subjekte dienen, nicht dem Zwang oder der Repression Anderer.

NoReply hat folgendes geschrieben:
Nur hatte ich den Eindruck, dass Ascanius den Anspruch hatte, dass areligiöse Menschen besser sind.


Sie sind es insofern, als bei ihnen wenigstens eine Teilmenge aller unprüfbaren oder falschen Überzeugungen als Handlungsgrundlage wegfällt. Allerdings gibt es auch nichtreligiöse Irrationalismen, die es zu bekämpfen gilt, weil sie die Funktionalität der Ethik schädigen.
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Tarvoc
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Beiträge: 44125

Beitrag(#1956082) Verfasst am: 09.10.2014, 18:30    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Das Streben nach möglichst weitgehender Leidfreiheit ist nun mal nicht IDENTISCH mit dem Streben nach einem möglichst schmerzfreien Tod.

Noch mal zur Erinnerung: Es geht dir um vollständige Leidfreiheit.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Was man nicht anstrebt, das kann man auch nur zufällig und unvollständiger als möglich erreichen.


Vollständige Leidfreiheit und Leben schließen sich nur eben leider gegenseitig aus. Nietzsche hat's schon richtig gesagt: unter dem Gesichtspunkt "vollständiger" Leidfreiheit wäre es am besten, gar nicht erst geboren worden zu sein. Das Erreichen des Ziels "vollständiger" Leidfreiheit ist das Ende allen Lebens, aber genau das willst du dann eben doch wieder nicht. Nun kannst du natürlich sagen, hier geht es nicht um Vollständigkeit, sondern nur um "so vollständig wie möglich". "Möglichst vollständig, aber dann bitte doch nicht ganz vollständig" ist aber eben inkonsistent. Du kannst kein absolutes Ziel anstreben, das du nicht auch absolut erreichen willst. Der Widerspruch ist deiner Logik immanent. Wenn du auch nur halbwegs konsistent bleiben willst, musst du an diesem Punkt zugeben, dass du eben nicht vollständige - und auch nicht "möglichst vollständige" Leidfreiheit anstrebst. D.h. du musst den Begriff der Vollständigkeit aufgeben. Und damit wird auch dein Argument an dieser Stelle hinfällig.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
In ethischer Hinsicht besteht nämlich ÜBERHAUPT KEIN (!!!) Unterschied zwischen einem religiös motivierten Folter-Exzess und der religiös motivierten Stiftung eines Krankenhauses.

So einen Blödsinn habe ich ja schon lange nicht mehr gehört. Hörst du dir eigentlich selbst zu?
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Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 09.10.2014, 19:28, insgesamt einmal bearbeitet
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44125

Beitrag(#1956091) Verfasst am: 09.10.2014, 19:10    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Nikotinisten sind eh meist unbelehrbar, aber das ändert nichts daran, daß Rauchen ethisch unakzeptabel und eben keine "Privatsache" ist.

NoReply hat folgendes geschrieben:
Mich graut es wenn ich mir utilitaristische Utopien wie Brave New World oder die Ideen Jeremy Benthams anhöre. Es sind doch meist grauenhaft repressive Polizeistaaten, in denen Freiheit keinen Platz mehr hat und das Leben genauso gut durch Roboter gelebt werden könnte statt durch Menschen.


U.a. deshalb bin ich NEGATIVER Utilitarist.

Das hat fast etwas Tragisches. In dem Bestreben, nicht totalitär zu werden, wird man totalitär.

Und nein, ich bin kein Raucher, aber trotzdem der Meinung, dass Fundamentalisten wie du möglichst weit von politischen Prozessen ferngehalten werden müssen.

Ach ja, ich hab' bei deinen letzten Postings auch an die Cybermen von "Doctor Who" denken müssen. NoReplys Intuition erscheint mir also gar nicht so abwegig.
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Samson83
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Beiträge: 6833

Beitrag(#1956117) Verfasst am: 09.10.2014, 20:24    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Das hat fast etwas Tragisches. In dem Bestreben, nicht totalitär zu werden, wird man totalitär.

Sollen die Rosse der Revolution vor einem Bordell haltmachen?

Ohne Tugend ist Terror verhängnisvoll, ohne Terror die Tugend machtlos.

Dieser Thread zeigt mal wieder schön, dass Moralisten ein größeres Problem für die Gesellschaft sind als egozentrische Zyniker.
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An alle: Lasst Euch dadurch nicht in die Irre führen. Dieser braune Burschi muss bearbeitet werden - immer hart an der Sache. Macht ihn mürbe! (Kramer)
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44125

Beitrag(#1956123) Verfasst am: 09.10.2014, 20:34    Titel: Antworten mit Zitat

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Dieser Thread zeigt mal wieder schön, dass Moralisten ein größeres Problem für die Gesellschaft sind als egozentrische Zyniker.

Was interessiert mich schon "die Gesellschaft"? Mr. Green zwinkern
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tillich (epigonal)
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Anmeldungsdatum: 12.04.2006
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Beitrag(#1956130) Verfasst am: 09.10.2014, 20:49    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
NoReply hat folgendes geschrieben:
Das jeder immer an alle denken muss halte ich für vollkommen unpraktikabel und auch nicht für lebenswert.

Diese zynische Bequemlichkeit kann sich nur erlauben, wer selbst Nutznießer der Zustände ist, die ein moralischer Mensch bekämpfen muß. Zu Deinem Glück wirst Du Dich niemals vor denen verantworten müssen, die unter den Folgen Deines Verhaltens leiden, weil Du in einer Gesellschaft lebst, die Dich von ihnen abschirmt. Die nichtmenschlichen unter ihnen sind auch gar nicht fähig, ihre Interessen geltend zu machen, und eine 1-zu-1-Beziehung zwischen "Täter" und "Opfer" ist ohnehin nur äußerst selten nachvollziehbar. Die einzige Möglichkeit, auf "Liberale" einzuwirken, wäre sozialer Druck, aber wo sollte der in einer Gesellschaft von "Nutznießern" herkommen? So lehne Dich denn entspannt zurück und überlasse die ethische Entwicklung der Menschheit einfach Anderen.

Deine Ablehnung des Standpunkts, dass nicht "jeder immer an alle denken" müsse, ist gut christlich. Dass die Verantwortung jedes Menschen für alle selbstverständlich ist, dass die Wahrnehmung dieser Verantwortung aber praktisch unmöglich ist (hier würde ich wieder NoReply) zustimmen, verstehe ich als die unumgängliche Sündhaftigkeit des Menschen.
_________________
"YOU HAVE TO START OUT LEARNING TO BELIEVE THE LITTLE LIES." -- "So we can believe the big ones?" -- "YES."

(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44125

Beitrag(#1956131) Verfasst am: 09.10.2014, 20:57    Titel: Antworten mit Zitat

Allerdings ist Erlösung durch Gnade für dieses Problem gerade keine wirkliche Lösung, weil sie in keinem logischen Zusammenhang zur Problemstellung steht.
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tillich (epigonal)
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Anmeldungsdatum: 12.04.2006
Beiträge: 21789

Beitrag(#1956139) Verfasst am: 09.10.2014, 21:12    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Allerdings ist Erlösung durch Gnade für dieses Problem gerade keine wirkliche Lösung, weil sie in keinem logischen Zusammenhang zur Problemstellung steht.

Nun, da wird es dann Glaubenssache. Die Gnade besteht dann darin, dass Gott als Mensch sich dieser Situation bis zum letzten ausgesetzt hat, mit der Hinrichtung als notwendiger Folge, und dass der Glaubende diese Existenz als ihn betreffend und verändernd annehmen kann. So ins Unreine und wahrscheinlich Unverständliche gesprochen, ist ja aber wohl auch OT.

Also glaubt Ascanius vielleicht nicht an die Erlösung, aber immerhin an die Erbsünde. Vielen Christen der verkniffeneren Sorte scheint es nicht anders zu gehen.
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Desperadox
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Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1956140) Verfasst am: 09.10.2014, 21:15    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:

"Nikotinisten"

Und Tschüss...
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44125

Beitrag(#1956153) Verfasst am: 09.10.2014, 21:55    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Allerdings ist Erlösung durch Gnade für dieses Problem gerade keine wirkliche Lösung, weil sie in keinem logischen Zusammenhang zur Problemstellung steht.

Nun, da wird es dann Glaubenssache.

Nein, eigentlich nicht. Es geht ja um meine Verantwortung. Die Erlösung durch Gnade müsste mindestens eins von drei Dingen leisten:

Erstens, es könnte mich so verändern, dass ich Verantwortung für die ganze Welt auch praktisch übernehmen kann. Das ist aber nicht der Fall.
Zweitens, es könnte die Welt so verändern, dass ich keine Verantwortung für sie mehr zu übernehmen bräuchte. Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Drittens, es könnte mich von der Verantwortung entbinden, beispielsweise indem es sie auf einen anderen überträgt. Das wäre zwar denkbar, aber auch obszön. Vor allem löst man damit das eigentliche Problem gar nicht, sondern erklärt es bloß für marginal.

Slavoj Zizek hat aber Recht, wenn er (ich glaube in Die Puppe und der Zwerg) darauf hinweist, dass es darauf ankommt, wie man die Problemstellung formuliert. Man kann sie entweder positiv formulieren - ich als Mensch bin für alles verantwortlich - oder doppelt negativ - es gibt nichts, für das ich nicht verantwortlich bin. Das Problem, für das die Erlösung durch Gnade die Lösung zu sein beansprucht, ergibt sich nur in der ersten Formulierung, während die zweite Formulierung letztlich nicht mehr (aber auch nicht weniger) aussagt als dass die Grenzen meiner eigenen Verantwortlichkeit nicht a priori gezogen werden können, sondern jeweils der Entscheidung bedürfen. In der zweiten Formulierung ist die Problemstellung bereits ihre eigene Lösung: menschliche Freiheit. Diese bedarf keiner göttlichen Gnade mehr, und ihre eigene "Gnade" besteht darin, selbst bereits die Lösung für das Problem zu sein, das sie selbst ist. - (Bruno Bosteels' Überlegungen zu Augustinus in Freud and Marx in Latin America scheinen teilweise in eine ähnliche Richtung zu weisen.)
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Ascanius
abnorm



Anmeldungsdatum: 14.06.2005
Beiträge: 375
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Beitrag(#1956226) Verfasst am: 10.10.2014, 10:11    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Das Streben nach möglichst weitgehender Leidfreiheit ist nun mal nicht IDENTISCH mit dem Streben nach einem möglichst schmerzfreien Tod.

Noch mal zur Erinnerung: Es geht dir um vollständige Leidfreiheit.


Überlasse doch bitte MIR die Feststellung, worum es mir geht.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Du kannst kein absolutes Ziel anstreben, das du nicht auch absolut erreichen willst.


Warum nicht? Ich kann doch einsehen, daß ein bestimmtes Ziel unerreichbar ist, aber trotzdem bemüht sein, mich ihm gewissermaßen asymptotisch anzunähern. Außerdem habe ich ja erklärt, daß nur lebensWILLIGE Wesen Anlaß haben, über Leidvermeidung nachzudenken. Folglich kann es ihnen "nur" um so viel Leidfreiheit gehen, wie mit dem Leben vereinbar ist, also MÖGLICHST vollständige oder weitgehende. Erst dann, wenn unvermeidbares Leid unerträglich wird, ist der Tod eine Option (natürlich nur von der betreffenden Person zu entscheiden).

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
In ethischer Hinsicht besteht nämlich ÜBERHAUPT KEIN (!!!) Unterschied zwischen einem religiös motivierten Folter-Exzess und der religiös motivierten Stiftung eines Krankenhauses.

So einen Blödsinn habe ich ja schon lange nicht mehr gehört. Hörst du dir eigentlich selbst zu?


Vielleicht darf ich Dich jetzt auch mal darum bitten, in den Logik-Modus zu schalten. Wenn wir religiöse Motivation als legitim betrachten, müssen wir BEIDE o.g. Handlungen akzeptieren. Schließlich würden wir uns selbst widersprechen, wenn wir einerseits religiöse Motivation billigten, anderseits aber den Folter-Exzess verurteilten, denn dieser Folter-Exzess IST religiös motiviert. Wenn wir hingegen nur ethische Motivation als legitim betrachten, müssen wir BEIDE o.g. Handlungen als antimoralisch verurteilen, weil ihnen ein vorsätzlicher Verzicht auf ethische Reflexion zugrundeliegt. Natürlich ist die religiös motivierte Stiftung eines Krankenhauses "unschädlich" (solange es weder direkter noch indirekter Mission dienen soll), aber da sie antimoralisch ist, kann sie nicht als ethisch vorbildlich gelten und muß IN DIESER HINSICHT kritisiert werden. Merke: ethische Vorbildhaftigkeit entsteht erst durch die Einheit von ethischer Motivation und moralischem Erfolg.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
In dem Bestreben, nicht totalitär zu werden, wird man totalitär.
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Dieser Thread zeigt mal wieder schön, dass Moralisten ein größeres Problem für die Gesellschaft sind als egozentrische Zyniker.


Wiederholung für die Leseschwachen:

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Überhaupt soll Ethik der SELBSTsteuerung moralischer Subjekte dienen, nicht dem Zwang oder der Repression Anderer.
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Ascanius
abnorm



Anmeldungsdatum: 14.06.2005
Beiträge: 375
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1956230) Verfasst am: 10.10.2014, 10:21    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Deine Ablehnung des Standpunkts, dass nicht "jeder immer an alle denken" müsse, ist gut christlich.


Es liegt in der Natur des Beliebigen, daß es Schnittmengen mit dem ethisch Erforderlichen bilden kann. Allerdings wird es selbst dadurch nicht moralisch. Und natürlich muß nicht "jeder immer an alle denken", sondern nur an jene, die von den Folgen einer geplanten Handlung oder Unterlassung betroffen sein werden. Daran gewöhnt man sich mit der Zeit, und es entwickelt sich sogar ein wenig Routine.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Dass die Verantwortung jedes Menschen für alle selbstverständlich ist, dass die Wahrnehmung dieser Verantwortung aber praktisch unmöglich ist (hier würde ich wieder NoReply) zustimmen, verstehe ich als die unumgängliche Sündhaftigkeit des Menschen.


Wenn wir weder mehr als unvermeidbar leiden, noch zynische Drecksäcke sein wollen, bleibt uns doch gar nichts anderes übrig, als angesichts des "in Vollständigkeit Unmöglichen" wenigstens das "in Unvollständigkeit Mögliche" anzustreben.
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44125

Beitrag(#1956231) Verfasst am: 10.10.2014, 10:27    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nicht? Ich kann doch einsehen, daß ein bestimmtes Ziel unerreichbar ist, aber trotzdem bemüht sein, mich ihm gewissermaßen asymptotisch anzunähern.

Der ausschlaggebende Punkt ist nicht, dass du das Ziel für unerreichbar hältst, sondern dass du es nicht erreichen willst. Dein Ziel ist nicht einfach nur empirisch unerreichbar, sondern inkonsistent, und deine eigene Inkonsistenz, ein Ziel gleichzeitig anstreben und gar nicht erreichen zu wollen, zeigt das ganz deutlich. Wenn du meinst, eine vernünftige Ethik auf einem inkonsistenten Ziel gründen zu können, denk' lieber nochmal nach.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Folglich kann es ihnen "nur" um so viel Leidfreiheit gehen, wie mit dem Leben vereinbar ist, also MÖGLICHST vollständige oder weitgehende.

Für dieses "möglichst" gibt es aber eben kein schlechthin feststehendes Maß. Deine Versuche, eins festzulegen, sind jedenfalls inkonsistent.

Ich würde dir empfehlen, die Idee der Vollständigkeit ganz aufzugeben und von da aus nochmal neu zu denken. Vielleicht bekommst du dann die Inkonsistenzen aufgelöst.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Wenn wir religiöse Motivation als legitim betrachten, müssen wir BEIDE o.g. Handlungen akzeptieren.

Nein, müssen wir nicht. Es gibt gerade aus utilitaristischer Sicht überhaupt keinen Grund, warum wir das müssten.

Ein Utilitarist hat gar kein Problem damit, die Motivation einer Handlung zu kritisieren und trotzdem die Handlung selbst für ethisch zu erklären. Kategorisch ausschließen lässt sich das nur im Rahmen einer Pflichtethik.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Schließlich würden wir uns selbst widersprechen, wenn wir einerseits religiöse Motivation billigten, anderseits aber den Folter-Exzess verurteilten, denn dieser Folter-Exzess IST religiös motiviert.

Du bringst die Handlung und ihre Motivation durcheinander. Es gibt keinen Grund, die Motivation hier zum entscheidenden Kriterium für die Bewertung der Handlung zu machen. Gerade aus utilitaristischer Sicht.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Wenn wir hingegen nur ethische Motivation als legitim betrachten, müssen wir BEIDE o.g. Handlungen als antimoralisch verurteilen, weil ihnen ein vorsätzlicher Verzicht auf ethische Reflexion zugrundeliegt.

Wenn wir nur Handlungen aus ethischer Motivation als legitim betrachten, sind wir aber eben keine Utilitaristen, sondern Pflichtethiker kantischer Provenienz.
Ich sage ja nicht, dass ein Utilitarist sich nicht für Motivationen interessieren kann. Aber wer die Motivation für ethisch ausschlaggebend für die Bewertung der Handlung hält, der ist kein Utilitarist.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Wiederholung für die Leseschwachen:

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Überhaupt soll Ethik der SELBSTsteuerung moralischer Subjekte dienen, nicht dem Zwang oder der Repression Anderer.

Dummerweise ist dieses Ideal der "Selbststeuerung" kein Bisschen harmlos, was die psychologische Genese von Totalitarismus angeht.
(Es ist übrigens auch wieder recht typisch protestantisch, aber das nur nebenbei.)
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Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 10.10.2014, 12:37, insgesamt einmal bearbeitet
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Samson83
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Anmeldungsdatum: 18.01.2013
Beiträge: 6833

Beitrag(#1956247) Verfasst am: 10.10.2014, 12:36    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Dummerweise ist dieses Ideal der "Selbststeuerung" kein Bisschen harmlos, was die psychologische Genese von Totalitarismus angeht.
(Es ist übrigens auch wieder recht typisch protestantisch, aber das nur nebenbei.)

Könntest du beide Sätze erläutern?
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44125

Beitrag(#1956248) Verfasst am: 10.10.2014, 12:47    Titel: Antworten mit Zitat

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Könntest du beide Sätze erläutern?

Bezüglich des ersten Satzes: Auf die Schnelle wird das schwierig, weil das eine komplizierte Thematik ist. Zu dem Thema gibt es aber verschiedene Arbeiten von unterschiedlichen Autoren. Besonders empfehlen kann ich die Bücher von Arno Gruen (z.B. Der Wahnsinn der Normalität). Auf die psychologischen Auswirkungen der permanenten Selbstüberwachung hinsichtlich der eigenen Motivation haben aber schon Marx und Engels über hundert Jahre früher in der Heiligen Familie hingewiesen, nach ihnen auch noch andere, u.A. Nietzsche und die Frankfurter Schule. Ich könnte aber auch noch eine ganze Reihe anderer Autoren aus verschiedenen Richtungen (Philosophie, Psychologie, Soziologie...) nennen, die die das problematisieren - müsste sie allerdings erst wieder herauskramen. Aus psychologischer Sicht stellt sich hier auch das Problem unbewusster Motivation, sodass man in den Double-Bind gerät, nie genau zu wissen, was eigentlich im jeweiligen Fall die entscheidende Motivation ist und ob sie nun gerechtfertigt ist oder nicht. Zum zweiten Satz: Der Hinweis darauf, dass die Idee der moralischen Selbstüberwachung im Wesentlichen protestantisch ist und der Protestantismus damit die moralische Überwachung durch Priester ersetzt hat, findet sich schon bei Hegel und nach ihm bei anderen. Da ich die Schriften von Leuten wie z.B. Luther kenne, finde ich das nicht unplausibel, auch wenn sich Vergleichbares schon bei Augustinus finden lässt. Diese Art der Gewissenserforschung ist jedenfalls eine christliche Erfindung, und der Protestantismus legt darauf besonders viel Wert.
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Beiträge: 375
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Beitrag(#1956254) Verfasst am: 10.10.2014, 13:38    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Warum nicht? Ich kann doch einsehen, daß ein bestimmtes Ziel unerreichbar ist, aber trotzdem bemüht sein, mich ihm gewissermaßen asymptotisch anzunähern.

Der ausschlaggebende Punkt ist nicht, dass du das Ziel für unerreichbar hältst, sondern dass du es nicht erreichen willst.


Als lebenswilliges Wesen kann ich doch nur so viel Leidfreiheit erreichen wollen, wie mit dem Leben vereinbar ist. Da VOLLSTÄNDIGE Leidfreiheit mit dem Leben UNvereinbar ist, wäre es doch ziemlich bescheuert, sich ihr weiter annähern zu wollen, als mit dem Leben vereinbar ist. Nichts anderes als das meine ich mit MÖGLICHST vollständiger Leidfreiheit. Würde es Dich kalmieren, wenn ich statt dessen von "möglichst weitgehender" Leidfreiheit spräche? Überhaupt denke ich mittlerweile, daß wir hier nur ein semantisches Problem haben.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Folglich kann es ihnen "nur" um so viel Leidfreiheit gehen, wie mit dem Leben vereinbar ist, also MÖGLICHST vollständige oder weitgehende.

Für dieses "möglichst" gibt es aber eben kein schlechthin feststehendes Maß. Deine Versuche, eins festzulegen, sind jedenfalls inkonsistent.


Ich wüßte nicht, wann und wo ich das versucht hätte. Letztlich muß jeder Mensch für sich selbst entscheiden, mit welchem Maß der Leidfreiheit er sich zufrieden geben will. Wenn er nicht gerade auf einer einsamen Insel lebt, wird er allerdings auch mit Anderen über den Umgang mit vermeidbarem Leid verhandeln müssen. Unter moralischen Menschen dürfte es dabei aber zu keinen nennenswerten Konflikten kommen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Wenn wir religiöse Motivation als legitim betrachten, müssen wir BEIDE o.g. Handlungen akzeptieren.

Nein, müssen wir nicht. Es gibt gerade aus utilitaristischer Sicht überhaupt keinen Grund, warum wir das müssten.


Das ist DEINE Sicht des Utilitarismus und leider eine, die ihn als normatives Konzept unvermittelbar macht. Weil ein Ziel nur dann effizient erreicht werden kann, wenn man es auch anstrebt, möchte ich das Utilitätsprinzip VERVOLLSTÄNDIGEN, indem ich es mit der Motivationsfrage INTEGRIERE.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Schließlich würden wir uns selbst widersprechen, wenn wir einerseits religiöse Motivation billigten, anderseits aber den Folter-Exzess verurteilten, denn dieser Folter-Exzess IST religiös motiviert.

Du bringst die Handlung und ihre Motivation durcheinander.


NEIN, ich bestehe nur auf die GEMEINSAME Betrachtung von Handlung und Motivation. An einer Handlung allein ist nämlich NICHT feststellbar, ob sie moralisch und als solche vorbildhaft ist. Sogar aus "bösen" Handlungen kann zufällig "Gutes" entstehen, und trotzdem sollte man im Ethikunterricht niemandem nahelegen, "Böses" zu tun. Denselben Umgang fordere ich mit religiös motivierten Handlungen. Auch sie können zufällig "Gutes" mit sich bringen, aber solange man es Menschen durchgehen läßt, ihr Verhalten aus unprüfbaren und falschen Überzeugungen abzuleiten, wird man es auch immer wieder mit Leuten zu tun bekommen, die aus religiösen Gründen Leid und Tod verbreiten, denn während die Ethik genau das verhindern soll, kann Religion das sogar ausdrücklich fordern. Deshalb muß man Religiösen bereits ihre HandlungsMOTIVATION als grundfalsch und gefährlich "um die Ohren hauen" - auch und gerade dann, wenn sie etwas tun, das mit dem ethisch Erforderlichen zufällig übereinstimmt.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Überhaupt soll Ethik der SELBSTsteuerung moralischer Subjekte dienen, nicht dem Zwang oder der Repression Anderer.

Dummerweise ist dieses Ideal der "Selbststeuerung" kein Bisschen harmlos, was die psychologische Genese von Totalitarismus angeht.
(Es ist übrigens auch wieder recht typisch protestantisch, aber das nur nebenbei.)


Ich diskutiere mit Menschen und versuche, ihnen verständlich zu machen, warum sie sich überhaupt, verstärkt oder gar systematisch gegen vermeidbares Leid auf der Welt einsetzen sollten - daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen. Und die ewigen Vergleiche mit den Religioten werden langsam ermüdend, zumal sie durch Wiederholung nicht aufhören, bis zur Sinnlosigkeit zu hinken.
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Samson83
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Beitrag(#1956256) Verfasst am: 10.10.2014, 13:46    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
warum sie sich überhaupt, verstärkt oder gar systematisch gegen vermeidbares Leid auf der Welt einsetzen sollten -

Ja genau, warum sollten sie eigentlich?
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Wolf
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Beitrag(#1956264) Verfasst am: 10.10.2014, 14:12    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Als lebenswilliges Wesen kann ich doch nur so viel Leidfreiheit erreichen wollen, wie mit dem Leben vereinbar ist. Da VOLLSTÄNDIGE Leidfreiheit mit dem Leben UNvereinbar ist, wäre es doch ziemlich bescheuert, sich ihr weiter annähern zu wollen, als mit dem Leben vereinbar ist. Nichts anderes als das meine ich mit MÖGLICHST vollständiger Leidfreiheit. Würde es Dich kalmieren, wenn ich statt dessen von "möglichst weitgehender" Leidfreiheit spräche? Überhaupt denke ich mittlerweile, daß wir hier nur ein semantisches Problem haben.

Ist das Zeugen von Nachkommen mit deiner Ethik vereinbar?
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Und die ewigen Vergleiche mit den Religioten werden langsam ermüdend, zumal sie durch Wiederholung nicht aufhören, bis zur Sinnlosigkeit zu hinken.

Sind Beleidigungen eigentlich ethisch korrekt, wenn sie aus der richtigen Motivation heraus entstehen?
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Ascanius
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Beitrag(#1956265) Verfasst am: 10.10.2014, 14:12    Titel: Antworten mit Zitat

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
warum sie sich überhaupt, verstärkt oder gar systematisch gegen vermeidbares Leid auf der Welt einsetzen sollten -

Ja genau, warum sollten sie eigentlich?


Wer nicht zu leidvermeidendem Verhalten bereit ist, kann das auch nicht von Anderen erwarten. Außerdem ist er nicht berechtigt, leiderzeugendes Verhalten Anderer zu beanstanden. Moralisches Verhalten ist also letztlich im ureigenen Interesse eines jeden, der nicht vermeidbarerweise leiden will.
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Wolf
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Beitrag(#1956266) Verfasst am: 10.10.2014, 14:14    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
warum sie sich überhaupt, verstärkt oder gar systematisch gegen vermeidbares Leid auf der Welt einsetzen sollten -

Ja genau, warum sollten sie eigentlich?


Wer nicht zu leidvermeidendem Verhalten bereit ist, kann das auch nicht von Anderen erwarten. Außerdem ist er nicht berechtigt, leiderzeugendes Verhalten Anderer zu beanstanden. Moralisches Verhalten ist also letztlich im ureigenen Interesse eines jeden, der nicht vermeidbarerweise leiden will.

Es ist ethisch erlaubt oder sogar geboten jemanden leiden zu lassen, der sich nicht systematisch gegen vermeidbares Leid in der Welt einsetzt?
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Samson83
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Beitrag(#1956272) Verfasst am: 10.10.2014, 15:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
das auch nicht von Anderen erwarten.

Richtig, dem stimme ich zu. Ich würde dies auch nur von meinem unmittelbaren Umfeld erwarten, und bzgl. diesem würde ich nicht nur Leidvermeidung, sondern Freudvermehrung anstreben wollen. Von anderen erwarte ich nicht mehr als ein "neminem laede".

Zitat:
Außerdem ist er nicht berechtigt, leiderzeugendes Verhalten Anderer zu beanstanden.

Richtig. Ich beanstande dies auch bei niemandem außerhalb des elementaren Umfelds.

Zitat:

Moralisches Verhalten ist also letztlich im ureigenen Interesse eines jeden, der nicht vermeidbarerweise leiden will.

Im Interesse eines jeden ist höchstens, den ANSCHEIN moralischen Verhaltens zu wecken.
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Kival
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Beitrag(#1956278) Verfasst am: 10.10.2014, 15:44    Titel: Antworten mit Zitat

Wolf hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
warum sie sich überhaupt, verstärkt oder gar systematisch gegen vermeidbares Leid auf der Welt einsetzen sollten -

Ja genau, warum sollten sie eigentlich?


Wer nicht zu leidvermeidendem Verhalten bereit ist, kann das auch nicht von Anderen erwarten. Außerdem ist er nicht berechtigt, leiderzeugendes Verhalten Anderer zu beanstanden. Moralisches Verhalten ist also letztlich im ureigenen Interesse eines jeden, der nicht vermeidbarerweise leiden will.

Es ist ethisch erlaubt oder sogar geboten jemanden leiden zu lassen, der sich nicht systematisch gegen vermeidbares Leid in der Welt einsetzt?


Ich glaube nicht, dass das so gemeint war. zwinkern
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Ascanius
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Beitrag(#1956287) Verfasst am: 10.10.2014, 16:30    Titel: Antworten mit Zitat

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
das auch nicht von Anderen erwarten.

Richtig, dem stimme ich zu. Ich würde dies auch nur von meinem unmittelbaren Umfeld erwarten, und bzgl. diesem würde ich nicht nur Leidvermeidung, sondern Freudvermehrung anstreben wollen. Von anderen erwarte ich nicht mehr als ein "neminem laede".


Nun gibt es aber auch Abermilliarden Wesen auf der Erde, die schwersten vermeidbaren Leiden ausgesetzt sind. Wer das ethische Gleichheitsprinzip ernstnimmt, muß sich also stärker darauf konzentrieren, deren Leiden zu lindern oder zu beseitigen, als ohnehin schon verhältnismäßig glückliche Menschen NOCH glücklicher zu machen.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Außerdem ist er nicht berechtigt, leiderzeugendes Verhalten Anderer zu beanstanden.

Richtig. Ich beanstande dies auch bei niemandem außerhalb des elementaren Umfelds.


Das fällt auch relativ leicht, wenn man selbst nicht von leiderzeugenden gesellschaftlichen Verhältnissen betroffen ist.

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Moralisches Verhalten ist also letztlich im ureigenen Interesse eines jeden, der nicht vermeidbarerweise leiden will.

Im Interesse eines jeden ist höchstens, den ANSCHEIN moralischen Verhaltens zu wecken.


Das mag gegenüber oberflächlichen Betrachtern punktuell gelingen, aber die erfolgreiche Vortäuschung, ein moralischer MENSCH zu sein, ist praktisch unmöglich. Ein solcher bemüht sich, JEDE seiner Handlungen und Unterlassungen ethischer Kontrolle zu unterwerfen, und das fällt sehr schnell auf. Ggf. fragt man noch nach der einen oder anderen ethischen Kalkulation und erhält sofort Klarheit.
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Tarvoc
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Beitrag(#1956294) Verfasst am: 10.10.2014, 17:04    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Würde es Dich kalmieren, wenn ich statt dessen von "möglichst weitgehender" Leidfreiheit spräche?

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Letztlich muß jeder Mensch für sich selbst entscheiden, mit welchem Maß der Leidfreiheit er sich zufrieden geben will.

Wenn man diese beiden Dinge zusammen nimmt, fällt nur leider dein Argument weg, ohne die richtige Motivation sei "möglichst vollständige" Leidfreiheit nicht zu erreichen. Nehmen wir das Beispiel von einem Kranken, der von einem religiösen Menschen behandelt wird. Wenn man möglichst weitgehende (und eben nicht mehr "vollständige") Leidfreiheit als Ziel nimmt und die Bewertung des eigenen Zustands jeweils dem betreffenden Menschen selbst überlässt, sind plötzlich nicht mehr die Motivationen des behandelnden Arztes das Relevante, sondern die Bedürfnisse des Patienten und deren Erfüllung - womit sich die Betrachtungsweise im Vergleich zu deiner Position geradezu vom Kopf auf die Füße stellt.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Das ist DEINE Sicht des Utilitarismus und leider eine, die ihn als normatives Konzept unvermittelbar macht.

Erstens ist das nicht "meine Sicht", sondern ein Abgrenzungskriterien. Wer in erster Linie motivationsorientiert argumentiert, argumentiert eben nicht utilitaristisch, sondern pflichtethisch.

Zweitens ist das mit der mangelnden Vermittelbarkeit doch Unsinn. Ich vermittle das ja auch gerade hier. Du übersiehst, dass es nicht nur um die Grundlagen des eigenen Handelns geht, sondern auch um die Grundlagen der Bewertung des Handelns anderer, und dass mit der Wahl der ethischen Zwecke die eigene Motivation bereits gegeben ist. Es ist wirklich gar kein Problem, jemandem zuerst zu vermitteln, dass Leidfreiheit der Zweck des eigenen Handelns sein soll, und dann zu vermitteln, dass man fremde Handlungen danach beurteilt, wie gut sie diesen Zweck erfüllen - womit sich die Frage nach der Motivation fremder Handlungen zunächst mal erledigt hat. Wie gesagt heißt das ja nicht, dass man nicht die Motivation der fremden Handlung, so man sie denn kennt, auch nochmal danach beurteilen kann, ob sie diesem Zweck entspricht. Danach könnte man dann sowas sagen wie: Seine Handlung war richtig (und womöglich sogar wiederholenswert), nur seine Gründe waren problematisch.

In der Praxis ist die Handlung (bzw. deren Wiederholung) eben von der Motivation abtrennbar und es gibt keinen Grund, dem nicht in der Theorie Rechnung zu tragen.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Weil ein Ziel nur dann effizient erreicht werden kann, wenn man es auch anstrebt [...]

Das ist sowieso so eine Sache. Du übersiehst völlig, wie vielschichtig menschliche Motivation ist. Du kannst mir nicht erzählen, dass jemand, der religiös motiviert ein Krankenhaus eröffnet oder in einem arbeitet, das nicht täte, um das Leid anderer Menschen zu mindern. Oder jedenfalls ist das keineswegs zwingend. Die Motivation des religiösen Menschen muss in Wirklichkeit gar keine andere sein, er begründet es nur anders, warum er diese Motivation hat bzw. gewählt hat. Dass seine Begründung nicht funktioniert, ist zwar schade, aber ändert weder an seiner Motivation noch an seiner Handlung etwas.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
NEIN, ich bestehe nur auf die GEMEINSAME Betrachtung von Handlung und Motivation.

Aber warum überhaupt? Utilitaristisch lässt sich das jedenfalls nicht begründen.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
An einer Handlung allein ist nämlich NICHT feststellbar, ob sie moralisch und als solche vorbildhaft ist.

Du mit deinen Vorbildern. Kann das sein, dass das ganze Problem darin besteht, dass du die Ethik der Didaktik unterordnest?

Ob eine bestimmte Handlung eine Vorbildfunktion hat, die sie z.B. für eine Didaktik verwertbar macht, ist nicht die selbe Frage wie die, ob die Handlung moralisch gerechtfertigt ist.
Um die Identifizierung beider auszuhebeln, braucht man lediglich eine Unterscheidung zwischen moralisch gerechtfertigten und moralisch herausragenden Handlungen einführen.

(Überhaupt müsste ein religiöser Mensch dir nur die Frage stellen, warum es ihn überhaupt interessieren sollte, ob du ihn als Beispiel für deine didaktische Vermittlung gebrauchen kannst oder nicht, und schon bräche deine Argumentation an der Stelle zusammen.)

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Sogar aus "bösen" Handlungen kann zufällig "Gutes" entstehen, und trotzdem sollte man im Ethikunterricht niemandem nahelegen, "Böses" zu tun.

Wie kann denn aus utilitaristischer Sicht aus "bösen" Handlungen Gutes entstehen? Bzw. wieso ist die Handlung "böse", wenn aus ihr Gutes entsteht? Du begehst einen Zirkelschluss. Um die Handlung unabhängig von ihren Konsequenzen als böse bewerten zu können, brauchst du bereits ein Kriterium dafür. Die Notwendigkeit eines auf die Motivation und nicht auf die Folgen abzielenden Kriteriums willst du hier aber ja erst begründen. Deine Argumentation setzt also implizit voraus, was du erst noch begründen willst.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Deshalb muß man Religiösen bereits ihre HandlungsMOTIVATION als grundfalsch und gefährlich "um die Ohren hauen" [...]

Das kann man ja auch machen, aber das macht eben nicht ihre Handlungen unmoralisch.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Ich diskutiere mit Menschen und versuche, ihnen verständlich zu machen, warum sie sich überhaupt, verstärkt oder gar systematisch gegen vermeidbares Leid auf der Welt einsetzen sollten - daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen.

Das war ja auch nicht das, was ich kritisiert habe.
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Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 10.10.2014, 17:35, insgesamt 7-mal bearbeitet
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Beitrag(#1956295) Verfasst am: 10.10.2014, 17:06    Titel: Antworten mit Zitat

Ach ja, vielleicht sollten wir uns auch mal über den moralischen Unterschied zwischen Leidlinderung und Leidvorbeugung unterhalten. Der Brave New World-Vorwurf hat m.E. u.A. auch etwas damit zu tun, dass diese Frage hier noch gar nicht gestellt wurde.
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Samson83
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Beitrag(#1956306) Verfasst am: 10.10.2014, 17:35    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Wer das ethische Gleichheitsprinzip ernstnimmt, muß sich also stärker darauf konzentrieren, deren Leiden zu lindern oder zu beseitigen, als ohnehin schon verhältnismäßig glückliche Menschen NOCH glücklicher zu machen.

Tja, dann nehme ich das eben nicht ernst. Es ist mir auch hochgradig suspekt, wenn jemand meind, prinzipiell Leid vermeiden zu wollen, ungeachtet von Nähe und Zuneigung.


Zitat:
Das fällt auch relativ leicht, wenn man selbst nicht von leiderzeugenden gesellschaftlichen Verhältnissen betroffen ist.

Ja, es ist recht angenehm.


Zitat:
Das mag gegenüber oberflächlichen Betrachtern punktuell gelingen, aber die erfolgreiche Vortäuschung, ein moralischer MENSCH zu sein, ist praktisch unmöglich. Ein solcher bemüht sich, JEDE seiner Handlungen und Unterlassungen ethischer Kontrolle zu unterwerfen, und das fällt sehr schnell auf. Ggf. fragt man noch nach der einen oder anderen ethischen Kalkulation und erhält sofort Klarheit.

Das ist auch nicht erforderlich. Um relativ reibungsfrei durch die Welt zu kommen,genügt ein anständiger und halbwegs höflicher Mensch zu sein, seine Rechnungen zu bezahlen, keine Straftaten zu begehen etc. Darüber hinaus ist wichtig, ein guter Freund, Kollege, Partner etc. zu sein. Den Anspruch, ein an sich moralischer Mensch zu sein mögen andere erheben.
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Beitrag(#1956307) Verfasst am: 10.10.2014, 17:37    Titel: Antworten mit Zitat

Samson83 hat folgendes geschrieben:
Es ist mir auch hochgradig suspekt, wenn jemand meind, prinzipiell Leid vermeiden zu wollen, ungeachtet von Nähe und Zuneigung.

Da kommt wieder der Unterschied zwischen Leidlinderung und Leidvorbeugung zum Tragen, den ich oben erwähnt habe. Von einem guten Arzt etwa erwartet man, dass er Leid lindern will, "ungeachtet von Nähe und Zuneigung". Und da ist das auch nicht suspekt.
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Beitrag(#1956441) Verfasst am: 11.10.2014, 12:06    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Deine Ablehnung des Standpunkts, dass nicht "jeder immer an alle denken" müsse, ist gut christlich. Dass die Verantwortung jedes Menschen für alle selbstverständlich ist, dass die Wahrnehmung dieser Verantwortung aber praktisch unmöglich ist (hier würde ich wieder NoReply) zustimmen, verstehe ich als die unumgängliche Sündhaftigkeit des Menschen.


Wobei auch Jesus, wenn er die Nächstenliebe erläutert, mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter ein sehr extremes Beispiel wählt: der barmherzige Samariter muss eine geringe Last auf sich nehmen (1 Tag pflegen) um einem anderen einen riesigen Gefallen zu tun (das Leben retten). Und auch bei der Heiligengeschichte des Martins von Tours besteht ein riesiges Missverhältnis zwischen dem Gefallen, den er dem Bettler leistet (er rettet ihn vorm Erfrieren) und dem Schaden, den er dafür selbst auf sich nimmt (er zerschneidet seinen Mantel).

Wenn man mit geringen Mitteln anderen einen riesigen Gefallen tun kann, halte ich das auch für ethisch geboten. Das würden wohl auch liberale Philosophen, wie Adam Smith, der auch "Die Theorie der ethischen Gefühle" geschrieben hat, oder Milton Friedman nicht anders sehen. Ich finde, dass man das eigene Wohl in Maßen über das anderer Stellen darf, nicht dass einem das Wohl anderer vollkommen gleichgültig sein darf.

Hier in dieser Alpha bis Omega Folge (~30 min) vertritt der Theologie-Professor auch kein allzu extremes Verständnis von Nächstenliebe, sondern ein eher praxistaugliches, dem ich mich anschließen kann - wenn auch nicht aus religiösen Gründen.
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Ascanius
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Beitrag(#1956825) Verfasst am: 13.10.2014, 11:53    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Wenn man möglichst weitgehende (und eben nicht mehr "vollständige")


Das mit der "vollständigen" Leidfreiheit hast Du mir übrigens nur untergejubelt. ICH hatte diesen Begriff noch gar nicht verwendet, bevor Du meintest, ausdrücklich feststellen zu müssen, daß vollständige Leidfreiheit mit dem Leben unvereinbar sei.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Leidfreiheit als Ziel nimmt und die Bewertung des eigenen Zustands jeweils dem betreffenden Menschen selbst überlässt, sind plötzlich nicht mehr die Motivationen des behandelnden Arztes das Relevante, sondern die Bedürfnisse des Patienten und deren Erfüllung - womit sich die Betrachtungsweise im Vergleich zu deiner Position geradezu vom Kopf auf die Füße stellt.


Keineswegs. Das "abstrakte" Ziel möglichst weitgehender Leidfreiheit wird lediglich einer konkreten Situation angepaßt. Ethik kann ja nur die Richtung vorgeben. Details müssen sich in der Anwendung klären. Überleg Dir doch einfach mal, wie DU Dich verhalten würdest, wenn Du ein moralischer Mensch "in meinem Sinne" wärst. Dann bräuchtest Du auch keine Einwände mehr an den Haaren herbeizuziehen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Wer in erster Linie motivationsorientiert argumentiert, argumentiert eben nicht utilitaristisch, sondern pflichtethisch.


Eine auf Leidvermeidung ausgerichtete Ethik werde ich auch weiterhin als negativ-utilitaristisch bezeichnen, aber letztlich ist mir wurscht, wie man sie nennt. Mir geht es nur darum, daß sie funktioniert und die verheerenden Fehler aller anderen mir bekannten (")ethischen(") Theorien vermeidet.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Du kannst mir nicht erzählen, dass jemand, der religiös motiviert ein Krankenhaus eröffnet oder in einem arbeitet, das nicht täte, um das Leid anderer Menschen zu mindern.


Doch, genau das erzähle ich Dir seit Anfang an, denn religiöse und ethische Motivation schließen einander aus. Auch ein Religiöser kann auf die Frage "Warum tust du X?" nur entweder antworten: "Weil Gott es will." (= unprüfbar oder falsch -> als Vorbild untauglich), oder: "Weil es ethisch aus diesen und jenen Gründen gerechtfertigt ist." (= prüfbar und optimierbar -> mindestens vorbildFÄHIG).

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ob eine bestimmte Handlung eine Vorbildfunktion hat, die sie z.B. für eine Didaktik verwertbar macht, ist nicht die selbe Frage wie die, ob die Handlung moralisch gerechtfertigt ist.


Diese beiden Fragen sind UNTRENNBAR miteinander verbunden, denn nur moralisch gerechtfertigte Handlungen sind didaktisch verwertbar. Im Ethikunterricht muß es darum gehen, ein Denken und Handeln zu erlernen, das mit größtmöglicher Effizienz auf bestmögliche, nicht bloß zufällig überhaupt oder irgendwie auf irgendeine Leidvermeidung hinausläuft.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Um die Identifizierung beider auszuhebeln, braucht man lediglich eine Unterscheidung zwischen moralisch gerechtfertigten und moralisch herausragenden Handlungen einführen.


Sehe ich nicht. Moralische Qualität ist ein Kontinuum.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
(Überhaupt müsste ein religiöser Mensch dir nur die Frage stellen, warum es ihn überhaupt interessieren sollte, ob du ihn als Beispiel für deine didaktische Vermittlung gebrauchen kannst oder nicht, und schon bräche deine Argumentation an der Stelle zusammen.


Sehe ich auch nicht. Was Religiöse interessiert oder nicht, ist für meine Ethik unerheblich.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Wie kann denn aus utilitaristischer Sicht aus "bösen" Handlungen Gutes entstehen?


Die Begriffe "gut" und "böse" habe ich nur der Einfachheit halber verwendet, und ich bereue es auch schon. Eine "böse" Handlung ist eine, die unter Mißachtung des Gleichheitsprinzips Leid erzeugen soll oder Leiderzeugung in Kauf nimmt. Theoretisch kann sie so komplett in die Hose gehen, daß man sie mit einer moralisch erfolgreichen Handlung verwechseln könnte. Im umgekehrten Sinne gilt das auch für "gute"/ethisch motivierte Handlungen. Das ist dermaßen banal, daß es sogar in der Rechtsprechung berücksichtigt wird.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Deshalb muß man Religiösen bereits ihre HandlungsMOTIVATION als grundfalsch und gefährlich "um die Ohren hauen" [...]

Das kann man ja auch machen, aber das macht eben nicht ihre Handlungen unmoralisch.


Eben DOCH! Ich habe den Begriffen "ethisch" und "moralisch" ganz bewußt eine Definition verpaßt, die es endlich ausschließt, Handlungen als moralisch zu bezeichnen, die nicht ethisch motiviert sind. Das ist ein zentrales Merkmal meiner Ethik, und es behebt schwerwiegende handlungstheoretische, didaktische und auch logische Probleme, denen sich andere moralphilosophisch aktive Herrschaften leider noch nicht gewidmet haben.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ach ja, vielleicht sollten wir uns auch mal über den moralischen Unterschied zwischen Leidlinderung und Leidvorbeugung unterhalten. Der Brave New World-Vorwurf hat m.E. u.A. auch etwas damit zu tun, dass diese Frage hier noch gar nicht gestellt wurde.


Kannst Du mal bitte kurz andeuten, wo da ein Problem sein soll?
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