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19.8.1936: Die Moskauer Prozesse und der Große Terror

 
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max
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Anmeldungsdatum: 18.07.2003
Beiträge: 3055

Beitrag(#13702) Verfasst am: 18.08.2003, 22:35    Titel: 19.8.1936: Die Moskauer Prozesse und der Große Terror Antworten mit Zitat

Da es in letzter Zeit ja in mehreren Threads über Sozialismus ging, poste ich hier mal einen Beitrag von mir, der Zerschlagung des Sozialismus in der UdSSR durch Stalin und die Errichtung des staatskapitalistischen Regimes beschreibt

19.8.1936: Die Moskauer Prozesse und der Große Terror

Vom 19. bis zum 24. August 1936 fand der erste der Moskauer Prozesse statt. Weitere folgten im Januar 1937 und im März 1938. Im ersten Prozeß wurde eine Gruppe von 16 führenden Kommunisten um Sinowjew und Kamenew wegen terroristischer Aktivitäten gegen die UdSSR, u.a. die angeblich auf Anweisung Trotzkis geplante Ermordung Stalins und anderer führender Stalinisten, angeklagt und zum Tode verurteilt. Eine beispiellose Verleumdungskampagne gegen den Kern der Bolschewiki von 1917 begann, der Hunderttausende zum Opfer fallen sollten. Die Moskauer Prozesse wurden international damals von vielen kommunistischen Künstlern, über den rechten Flügel der Sozialdemokratie bis zu Konservativen wie Churchill begrüßt und verteidigt. Sie stellten den Auftakt für den Großen Terror und den Säuberungsaktionen der Kommunistischen Partei dar, welche Stalin die Festigung seiner Macht, die Zerstörung der Überreste der Oktoberrevolution und den Aufbau eines staatskapitalistischen Systems ermöglichten.

Am 7. November 1917 (25.10 des Gregorianischen Kalenders) hatten die Arbeiter unter der Führung der Bolschewiki mit der Unterstützung der Mehrheit der Soldaten und Bauern in der Oktoberrevolution die nicht-gewählte Provisorische Regierung (siehe auch 8. März 1917:
Februarrevolution in Russland
) gestürzt. Gestützt auf eine klare Mehrheit in den Räten begannen die Bolschewiki im Bündnis mit den Linken Sozialrevolutionären mit der Durchsetzung sozialistischer Maßnahmen, wie die Errichtung einer Rätedemokratie und der Befreiung der Frau durch den Aufbau einer staatlichen Kinderversorgung, billiger Großküchen oder Wäschereien. Allerdings unterwarfen sich die Bürgerlichen und der Adel nicht den Mehrheitsverhältnissen. Unter Führung faschistischer Elemente begannen sie mit der Unterstützung des rechten Flügels der Sozialdemokraten (Menschewiki) und aller Großmächte (u.a. Deutschland, USA, Großbritannien, Frankreich, Japan) einen Bürgerkrieg, den die Bolschewiki erst 1921 gewinnen konnten. Im diesem Bürgerkrieg wurde die schon vorher schwache industrielle Basis Rußlands fast vollkommen zerstört. Die Industrieproduktion betrug 1920 nur noch 18% des Standes von 1916. Die Arbeiterklasse, auf die sich die Oktoberrevolution gestützt hatte, war vernichtet worden. Ein großer Teil war im Bürgerkrieg gefallen und der Zusammenbruch der Industrie hatte den Rest zerstreut. Die Anzahl der Industriearbeiter war von 3 Millionen im Jahre 1917 auf 1,2 Millionen 1921 gefallen. In Petrograd, dem Ursprung der Revolution, sank die Zahl von 400 000 im Oktober 1917 auf 72 000 im April 1918. Die Bolschewiki hatten sich zwar an der Macht halten können, aber ihre soziale Basis verloren. Unter diesen Bedingungen mußte sich der Charakter der Partei ändern. Die Bolschewiki waren gezwungen eine Bürokratie aufzubauen und sich dabei auf Beamte der Zarenzeit zu stützen. Lenin kommentierte die Situation so:
Zitat:
Man nehme doch Moskau - die 4700 verantwortlichen Kommunisten - und dazu dieses bürokratische Ungetüm, diesen Haufen, wer leitet da und wer wird geleitet? Ich bezweifele sehr, ob man sagen könnte, dass die Kommunisten diesen Haufen leiten. Um die Wahrheit zu sagen, nicht sie leiten, sondern sie werden geleitet.

Stalin, der zuvor keine relevante Rolle in der Oktoberrevolution gespielt hatte und gegen sie gestimmt hatte, machte sich zu dem Sprecher der Bürokratie. Er öffnete die Partei für Karrieristen und Opportunisten, das sogenannte Lenin-Aufgebot, und stärkte damit die Bürokratie gegenüber den Revolutionären. Während es bei den meisten alten Revolutionären Konsens war, dass die Revolution in Rußland nur überleben würde, wenn die Revolution in den westlichen Industriestaaten erfolgreich sein würde, begründete Stalin 1924 zusammen mit Bucharin mit der Theorie des "Sozialismus in einem Land" die Abkehr von den revolutionären Politik. Während die Linke um Trotzki eine verstärkte Industrialisierung forderte um den Bauern mehr bieten zu können und das Gewicht der Arbeiterklasse zu stärken, wollte Stalin einen "Aufbau des Sozialismus im Schneckentempo" verbunden mit Zugeständnissen an die reicheren Bauern. Diese Politik beinhaltete weitere Einschränkungen der Arbeiterdemokratie, sowie eine Rückkehr zu der konservativen Sexual- und Familienmoral. Um diese Politik durchzusetzen, verfolgte Stalin die Linke Opposition um Trotzki und später die Leningrader Opposition/Moskauer Zentrum um Sinowjew. Er unterdrückte die innerparteiliche Demokratie und alle Möglichkeiten alternative Politik oder Propaganda zu betreiben. Die Führer der Opposition wurden nach Sibirien verbannt oder ins Exil getrieben. Zu diesem Zeitpunkt existierte aber noch ein degenerierter Arbeiterstaat und der Rote Terror war nach dem Bürgerkrieg stark eingeschränkt worden. 1928 gab "nur" 30 000 Gefangene in den Lagern, die nicht Zwangsarbeit leisten mußten. Noch war die UdSSR kein totalitärer Staat.

Diese Politik des "Aufbau des Sozialismus im Schneckentempo" scheiterte 1928, als Großbritannien die Handelsbeziehungen mit der UdSSR abbrach und die Bauern sich weigerten ihr Getreide zu verkaufen. Die herrschende Gruppe in der Bürokratie spaltete sich. Während Bucharin so weitermachen wollte, wie bisher, wollte Stalin jetzt eine verstärkte Industrialisierung mit einem Schwergewicht auf die Schwerindustrie. Er wollte damit das Militär stärken um der Bedrohung durch die westlichen Staaten zu begegnen:
Zitat:
Wir liegen 50 bis 100 Jahre hinter den fortschrittlichen Ländern. Wir müssen diesen Rückstand in zehn Jahren gutmachen oder sie werden uns vernichten.

Stalin führte die Industrialisierung auf Kosten der Bauern und Arbeiter durch. Die Bauern wurden enteignet und zwangskollektiviert, was nicht nur die reichen Bauern (Kulaken), sondern alle traf. Der Lebensstandard der Bauern und der Arbeiter viel drastisch, weil Stalin die Konsumgüterindustrie bewußt vernachlässigte. Die Situation wurde weiter dadurch verschlimmert, dass Stalin die Getreideexporte erhöhte um den Preisverfall auf dem Weltmarkt auszugleichen, wodurch mindestens drei Millionen Bauern verhungerten (dies erinnert an die heutige Politik der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds gegenüber der 3. Welt, nur dass heute das Geld an westliche Banken und nicht die eigene Wirtschaft fließt). Diese Politik Stalins ermöglichte eine ökonomische Entwicklung, die die UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Supermacht werden ließ.

Um diese Politik durchsetzen zu können mußte Stalin alle Überreste der Oktoberrevolution, die Organisationen der Arbeiterklasse und die alte Partei der Bolschewiki von 1917 vernichten. Streiks wurden verboten, die freie Berufswahl aufgehoben und die Gewerkschaften zu Durchsetzungsorganen des Regimes umorganisiert. Nicht nur die Anhänger Trotzkis, Sinowjews und Bucharins wurden angeklagt und meist exekutiert, auch viele von Stalins Kollaborateuren wurden hingerichtet. Auch die Führung der Roten Armee wurde hingerichtet, wodurch diese zu Beginn der Invasion der Nazis 1941 kopflos war. Stalin ließ jede mögliche Opposition liquidieren. Die Zahl der Hinrichtungen, die relativ selten zwischen 1921 und 1928 waren, stieg von 20 201 1930 (doppelt so viele wie am Ende des Bürgerkriegs 1921) auf 353 074 1937. Dazu wurden das Gulag-System aufgebaut. Die Zahl der Menschen in den Lagern stieg von 30 000 1928, über 662 257 1930 auf ca. fünf Millionen in den Jahren des Großen Terrors Ende der 30er. Die Gefangenen wurden im großen Umfang als Sklavenarbeiter mißbraucht. Stalins hat weitaus mehr Kommunisten als die diversen rechten Diktaturen und faschistische Regime umgebracht und lieferte sogar deutschen Kommunisten an die Nazis aus.

Um seine Machtbasis zu stärken, erhöhte er die Einkommen der Bürokraten. Diese waren bis 1929 unabhängig von der Stellung auf das Gehalt eines Facharbeiters begrenzt, stiegen aber danach drastisch, während die Löhne für die Arbeiter fielen. Er sicherte sich so die Unterstützung einer Schicht von opportunistischen Karrieristen, die ihren Aufstieg ihrer Unterstützung des Terrors verdankten.

Anstelle eine Kontinuität der Politik der Bolschewiki, die viele Gegner des Sozialismus unterstellen, stellten die damaligen Ereignisse einen deutliche Bruch dar. Gut zu sehen ist dies z.B. daran, dass 1934 noch 40% der Delegierten auf dem Parteikongreß schon vor der Revolution der Partei angehörten und 80% seit 1919 oder früher. Nach den Moskauer Prozessen und dem Großen Terror waren nur noch 5% der Delegierten Mitglied schon vor der Revolution und 14% vor 1919 gewesen. Von dem Politbüro von 1917 überlebten nur Trotzki (der 1940 von einem Agenten Stalins ermordet wurde), Alexandra Kollontai, die auf einen Posten als Botschafterin abgeschoben wurde, und Stalin selbst.

Auch in der Außenpolitik wurden die Änderungen der Politik deutlich. Die Politik der Parteien der III. Internationale wurde der Außenpolitik Stalins untergeordnet und die Revolution bekämpft. Das ging von der Rolle der Stalinisten im Spanischen Bürgerkrieg (siehe 17. Juli 1936: Franco putscht in Spanien ) , über das Bündnis mit Hitler zur Aufteilung Polens (Hitler-Stalin-Pakt), der fehlenden Unterstützung der chinesischen, jugoslawischen und griechischen Partisanen gegen die Deutschen bzw. die Briten, zu der Anweisung an die französischen und italienische Kommunistische Partei sich den rechten, bürgerlichen Kräften nach dem Zweiten Weltkriegs unterzuordnen. In Osteuropa konnte Stalin eine Reihe von Staaten erobern, die nach dem Vorbild der UdSSR staatskapitalistisch organisiert wurden.

In den 20er und 30er Jahren war es der Bürokratie unter der Führung Stalins gelungen sich an die Stelle des Bürgertums zu setzen, dessen Funktion zu übernehmen und die neue herrschende Klasse zu werden. Damit war Stalin der Schlächter der Oktoberrevolution und der Sozialismus in der UdSSR wurde nicht 1989, sondern bereits 1929 komplett vernichtet und durch ein staatskapitalistisches Regime ersetzt. Die Bürokratie konnte ihre Macht sichern und überlebte so auch die Revolutionen 1989, als es ihr auch noch gelang ihre Kontrolle der Wirtschaft zu legalisieren, indem die Unternehmen in Privatbesitz der Topbürokraten überführt wurden.

Als Fazit möchte Victor Serge, einem Anarchisten und Unterstützer der Oktoberrevolution und der Linken Opposition zitieren:
Zitat:
Es wird oft gesagt, dass der Keim des ganzen Stalinismus im Bolschewismus von Anfang an enthalten war. Gut, ich habe keine Einwände. Nur, der Bolschewismus enthielt auch viele andere Keime - eine Masse von anderen Keimen - und die, die während des Enthusiasmus der ersten Jahre der siegreichen Revolution lebten, sollten dies nicht vergessen.
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Claudia
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Anmeldungsdatum: 28.07.2003
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Beitrag(#14236) Verfasst am: 19.08.2003, 23:03    Titel: Re: 19.8.1936: Die Moskauer Prozesse und der Große Terror Antworten mit Zitat

max hat folgendes geschrieben:
Da es in letzter Zeit ja in mehreren Threads über Sozialismus ging, poste ich hier mal einen Beitrag von mir, der Zerschlagung des Sozialismus in der UdSSR durch Stalin und die Errichtung des staatskapitalistischen Regimes beschreibt


Zuerst einmal danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, einen so ausführlichen Artikel zu schreiben. An die Verbrechen der Stalinschen Clique wird viel zu selten erinnert, ich vermute, weil es vielen Bürgerlichen peinlich ist, dass ihre Gesinnungsgenossen für einen der größten Schlächter in der Geschichte der Menschheit damals durchaus Sympathien hatten. Churchill hast du ja erwähnt, aber ich könnte auch heutige Historiker nennen, die seltsamerweise oft die Argumentationen Stalins übernehmen, z.B. bei der Beurteilung Lenins.

Mit dem Begriff "staatskapitalistisch" habe ich so meine Probleme, aber die können wir, wenn es dich interessiert, auch abseits des Forums diskutieren, weil ich nicht den Eindruck habe, dass das Thema hier besonders interessiert.

So weit, so positiv.

max hat folgendes geschrieben:
Am 7. November 1917 (25.10 des Gregorianischen Kalenders) hatten die Arbeiter unter der Führung der Bolschewiki...


Leider habe ich beim Weiterlesen nicht mehr gewusst, ob ich lachen oder weinen soll und habe mich letzlich fürs Ärgern entschieden. Die weiteren Absätze enthalten neben vielen richtigen Ausführungen leider auch eine Fülle von Fehlern und Ungenauigkeiten, die einem alten Hasen in Sachen Sozialismus wie dir nicht passieren dürften. Es sei denn, du hältst die Stalinsche Praxis der Geschichtsverdrehung und -fälschung für eines Marxisten würdig. Traurig

Zitat:
Gestützt auf eine klare Mehrheit in den Räten


Das gilt streng genommen nur für Petrograd, wo es auf Grund dieses Umstandes ja kaum Tote gab. Am 7. November gehorchten schon alle entscheidenen Stellen nicht mehr der Provisorischen Regierung, sondern nur mehr dem Petrograder Sowjet. In Moskau gab es heftigere Kämpfe, ebenso in der Provinz.

Zitat:
und der Befreiung der Frau durch den Aufbau einer staatlichen Kinderversorgung, billiger Großküchen oder Wäschereien.


Die hier aufgezählten Maßnahmen waren Ziele, die nie verwirklicht wurden, zuerst, weil der Bürgerkrieg und die Hungersnot von 1921 unzählige Ressourcen vernichtet haben und für solche Aufbauarbeiten keinen Platz ließen; und später, weil alle im sozialistischen Sinne revolutionären gesellschaftlichen Projekte unterdrückt wurden.
Trotzdem bedeutete die Oktoberrevolution für die russischen Frauen einen gewaltigen Fortschritt: in der ersten Sowjetverfassung erhielten sie dieselben Bürgerrechte; wenn sie sich zur Armee meldeten, dieselbe Ausbildung wie Männer (L.D. Trotzki. How the Revolution Armed, Vol. 1:1918, S. 158).

Zitat:
Unter Führung faschistischer Elemente...


Aaaaaahhhhhh!
Argh
Warum nur, warum, plärrt jeder Linke, sobald er eines politischen Gegners ansichtig wird, gleich einmal automatisch "Faschist"?
Die einzigen, die sich anno 1917 schon Faschisten (fasci) nannten, waren linke italienische Sozialrevolutionäre, die sich dann 1919 mit den Nationalisten zu den "fasci Italiani di combattimento" zusammenschlossen.
(http://www.shoa.de/faschismus.html)

Zitat:
begannen sie mit der Unterstützung des rechten Flügels der Sozialdemokraten (Menschewiki)


Ein Märchen, dass seit Jahrzehnten die marxistische Geschichtschreibung verseucht ist, dass die Menschewiki prinzipiell immer das Gegenteil von dem getan haben, was die Bolschewiki angeordnet haben. Das hat oft gestimmt, aber bei weitem nicht immer und so auch nicht in der Frage des Bürgerkriegs. Die Menschewiki waren fast alle Nationalisten (die wenigen, wie G.W. Tschitscherin, die es nicht waren, schlossen sich nach der Oktoberrevolution den Bolschewiki an), daher empfanden viele den Einmarsch der Invasionsarmeen als Angriff auf ihre Heimat und weigerten sich, während des Bürgerkriegs die Bolschewiki anzugreifen, weil eine Schwächung der Staatsmacht die Besetzung durch die kapitalistischen Staaten hätte nach sich ziehen können. Einige Menschewiki hatten in der provisorischen Regierung allerdings die Liberalen oder die KaDetten unterstützt, was ihnen Angriffe der revolutionärer gesinnten Kollegen eintrug. Zwischen 1917 und 1920 scheinen die Menschewiki einfach ein chaotischer Haufen gewesen zu sein, mit fast so viel Meinungen wie Mitgliedern und daher natürlich ohne konkretes politisches Ziel.


Zitat:
den die Bolschewiki erst 1921 gewinnen konnten.


Die Kampfhandlungen waren im November 1920 mit der Flucht Baron Wrangels im Grunde beendet, die letzten Besatzungstruppen, es waren japanische, zogen aber erst Ende 1922 aus Ostsibirien ab.

Zitat:
Stalin, der zuvor keine relevante Rolle in der Oktoberrevolution gespielt hatte und gegen sie gestimmt hatte


Das ist eine glatte Lüge. Über die Frage, ob die Machtergreifung erfolgen sollte, wurde im ZK am 10.10.1917 mit folgendem Ergebnis abgestimmt (Quelle: ZK-Protokoll):

Dafür: Lenin, Trotzki, Stalin, Swerdlow, Urizkij, Dzierzynski, Kollontai, Bubnow, Sokolnikow, Lomow

Dagegen: Kamenew, Sinowjew (die beiden waren ein medizinisches Wunder: zwei erwachsene Männer, die ohne jedes Rückgrat leben konnten! zynisches Grinsen )

Der Fehler, Stalin als Trottel oder Feigling hinzustellen oder ihn unbedeutender zu machen, als er tatsächlich war, ist ein beliebter Sport bei Trotzkisten, unterscheidet sich aber nicht vom umgekehrten Trotzki-Bashing der Stalinos. Hat das Arschloch (sorry, aber der verdient's!) Dschugaschwili nicht genügend verbrochen, als das man ihm noch was andichten müsste?

Zitat:
sowie eine Rückkehr zu der konservativen Sexual- und Familienmoral.


Sehr richtig, aber konservativ ist ja fast milde ausgedrückt! 1936 wurde Abtreibung, die seit 1920 legal war, wieder verboten und 1934 männliche Homosexualität unter Strafe gestellt. Z.B. landete der Protokollchef des Außenkommissariates, D.T. Florinskij, 1935 wegen dieses "Vergehens" im Lager. Überhaupt gebührt Stalin die zweifelhafte Ehre, Geschlechtsverkehr zwischen Männern im Bewusstsein der russischen Bevölkerung als Verbrechen verankert zu haben. In Russland war diese Vorstellung nämlich im Gegensatz zu den anderen christlichen Ländern Europas zuvor nicht gegeben...

Zitat:
Zu diesem Zeitpunkt existierte aber noch ein degenerierter Arbeiterstaat und der Rote Terror war nach dem Bürgerkrieg stark eingeschränkt worden.


Der Rote Terror existierte streng genommen nur von September 1918 bis Februar 1919, als die Befugnisse der Tscheka bereits wieder stark eingeschränkt wurden. Diese Tendenz setzte sich in den frühen 20er-Jahren fort. Der Umschwung kam nach dem Tod Dzierzynskis (Juli 1926), denn seine Nachfolger besaßen weder seine persönliche Integrität noch seine revolutionäre Gesinnung. Die NKWD-(bzw. OGPU-)Chefs und ihre Unterläufeln wiesen immer größere politische und charakterliche Schwächen auf; Jeschow und Berija waren schließlich nur mehr Psychopathen.

Zitat:
1928 gab "nur" 30 000 Gefangene in den Lagern, die nicht Zwangsarbeit leisten mußten. Noch war die UdSSR kein totalitärer Staat.


Das ist natürlich eine Frage der Definition. Es gab keine allumfassende Kontrolle durch staatliche Organe, aber im bürgerlichen Verständnis ist die Diktatur des Proletariats bereits totalitär.

A propos bürgerlich: es ist immer wieder faszinierend, wenn sich die Bürgerlichen echauffieren, dass es in der Sowjetunion "Lager" gegeben hat - als ob Gefängnisse nicht im Grund dasselbe sind. Beide erfüllen denselben Zweck, denn in beiden müssen Menschen leben, die gegen die Normen der Gesellschaft verstoßen haben, in beiden werden diese Menschen zur Arbeit gezwungen. Der Unterschied liegt ja wohl im Ziel, mit dem ich die Menschen dort festhalte. Will ich sie "bessern", wie es im österreichischen Strafrecht vorgesehen ist (und wie es auch die ursprüngliche Intention der Bolschewiki war), oder will ich sie vernichten, sei es direkt (wie in den NS-Vernichtungslagern) oder durch Arbeit (wie in den Gulags)?

Zitat:
weil Stalin die Konsumgüterindustrie bewußt vernachlässigte....... Diese Politik Stalins ermöglichte eine ökonomische Entwicklung, die die UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Supermacht werden ließ.


Gut beschrieben! Das ist ja der Kern der auf den ersten Blick widersprüchlichen Tatsache, dass die UdSSR zwar den ersten Menschen in den Weltraum beförderte und eine Weltraumstation gebaut hat, die weit über ihr geplantes Ablaufdatum hinaus funktionierte, aber ihrer Bevölkerung nie genügend Eiskästen und Fernseher bieten konnte. Zur Lobpreisung der (angeblichen) Überlegenheit der Führungsclique eignete sich Gagarins Flug nun einmal besser als ein Dutzend glücklicher Köchinnen...

Zitat:
Stalins hat weitaus mehr Kommunisten als die diversen rechten Diktaturen und faschistische Regime umgebracht und lieferte sogar deutschen Kommunisten an die Nazis aus.


Das kann nicht oft genug gesagt werden. Stalin hat auch einige österreichische Schutzbündler auf dem Gewissen, die nach der Niederlage gegen die Austrofaschisten im Feburar 1934 in die UdSSR geflüchtet waren. Weinen Ich bin schon auf nächstes Jahr gespannt: da jährt sich zum 70. Mal das Datum des Schutzbund-Aufstands. Ich sehe mich schon an allen Fronten kämpfen: gegen die bürgerlichen Nachfolger der damaligen Austrofaschisten (derzeit an der Regierung), bzw. der ihnen hörigen Historiker, und der Alt- und Jungstalinisten, die viel vom großartigen Empfang der "proletarischen Kämpfer" in Moskau erzählen werden. Ich werde sie diskret an die Verschwundenen erinnern....
_________________
Wenn man vor die Masse tritt und von den hohen Zielen und Aufgaben spricht, die Masse jedoch sieht, wie nach allen Seiten die Mittel verschleudert werden, so wird sie kein Vertrauen haben und ganz richtig sagen: „Arzt, heile dich selbst". - F. E. Dzierzynski
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max
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Anmeldungsdatum: 18.07.2003
Beiträge: 3055

Beitrag(#16207) Verfasst am: 22.08.2003, 22:02    Titel: Antworten mit Zitat

Danke für die Kommentare. Manchmal hilft es doch den gleichen Beitrag in drei Foren zu posten. Mit der Kritik an dem Teil über die Oktoberrevolution hast du recht. Ich habe diesen in ziemlicher Eile geschrieben, da ich ihn rechtzeitig zum Jahrestag fertigbekommen musste. Deshalb konnte ich nicht mehr alles nach recherchieren und habe mich zu sehr auf mein Gedächtnis verlassen, was aber mit arbeitsrelevanten biologischen Fakten überschwemmt war und deshalb nicht wirklich gut funktionierte. skeptisch

Nur zu den einzelnen Punkten. Staatskapitalismus, degenerierter Arbeiterstaat oder was sonst auch immer können wir gerne diskutieren. Falls hier Interesse an einer diesen typischen internen linken Diskussionen besteht, können wir ja auch diesen Thread dafür nutzen. Wobei diese Frage meiner Meinung für jeden interessant sein könnte, da es darum geht, was wirklich für ein System im Ostblock geherrscht hat. Dieses wurde von einer kuriosen Koalition aus westlichen Antikommunisten (siehe z.B. die Autoren des Schwarzbuch des Kommunismus, übrigens viele davon ehemalige Maoisten) und Stalinisten immer als sozialistisch oder kommunistisch bezeichnet und behauptet, jede soziale Revolution müsste so enden.
Claudia hat folgendes geschrieben:
max hat folgendes geschrieben:

Gestützt auf eine klare Mehrheit in den Räten

Das gilt streng genommen nur für Petrograd, wo es auf Grund dieses Umstandes ja kaum Tote gab. Am 7. November gehorchten schon alle entscheidenen Stellen nicht mehr der Provisorischen Regierung, sondern nur mehr dem Petrograder Sowjet. In Moskau gab es heftigere Kämpfe, ebenso in der Provinz.

In Petrograd konnten die Bolschewiki schon nach dem Kornilow-Putsch im August die Mehrheit erringen und mit Trotzki ab dem 8.9.1917 den Vorsitzenden stellen. Petrograd war das Zentrum der Revolution und immer der Entwicklung im restlichen Russland voraus. Deshalb mussten die Bolschewiki die Revolution in Petrograd hinauszögern, was sie z.B. in den Juli-Tagen nur mit Problemen schafften (dies sollte der KPD Anfang 1919 z.B. in Berlin und später auch in München nicht gelingen, weshalb diese Aufstände auch leicht isoliert werden konnten). Die Bolschewiki konnten aber bei den Wahlen zum gesamtrussischen Kongress der Sowjets Stimmen hinzugewinnen. Ihr Anteil stieg von 13% am 1.6.1917 auf 51% am 12.10.17. Bei den Wahlen im Jahre 1918 stieg der Anteil auf über 60%. Dazu gewannen die damals mit den Bolschewiki verbündeten Linken Sozialrevolutionäre (LSR) auf Kosten Rechten Sozialrevolutionäre (RSR) Stimmen. Dies war die Basis für die Oktoberrevolution und damit der Machtübernahme durch die Sowjets.
Claudia hat folgendes geschrieben:
Die hier aufgezählten Maßnahmen waren Ziele, die nie verwirklicht wurden, zuerst, weil der Bürgerkrieg und die Hungersnot von 1921 unzählige Ressourcen vernichtet haben und für solche Aufbauarbeiten keinen Platz ließen; und später, weil alle im sozialistischen Sinne revolutionären gesellschaftlichen Projekte unterdrückt wurden.

Deshalb hatte ich auch geschrieben, dass sie mit der Durchsetzung begannen und die Versorgung im Aufbau war.
Claudia hat folgendes geschrieben:
Aaaaaahhhhhh!
Warum nur, warum, plärrt jeder Linke, sobald er eines politischen Gegners ansichtig wird, gleich einmal automatisch "Faschist"?
Die einzigen, die sich anno 1917 schon Faschisten (fasci) nannten, waren linke italienische Sozialrevolutionäre, die sich dann 1919 mit den Nationalisten zu den "fasci Italiani di combattimento" zusammenschlossen.

Das Wort Faschismus stammt sicher von den italienischen Faschisten. Mir ging es um die politischen Methoden.
Anfangs waren die Weissen sicher politisch heterogen. Aber charakteristisch ist wohl das Ende der Gegenregierung der Menschewiki und der Rechten Sozialrevolutionäre in Samara (KOMUCH). Diese verboten erst die demokratisch gewählten Sowjets und gaben die Banken und Konzerne an die früheren Besitzer zurück. Ihr Armeehauptquartier wurde zu einer Hochburg der rechten Offiziere (erinnert etwas an die Freikorps, die von der SPD aufgestellt wurden und später die Basis für die Nazis bildeten). Auf Druck durch die Alliierten fusionierte KOMUCH mit einer zweiten weissen Gegenregierung in Omsk. Sie bildeten ein fünfköpfiges Direktorium und beanspruchten für sich die provisorische Regierung von Russland zu sein, besassen aber keinerlei demokratische Legitimation. Diese Regierung wurde aber kurz darauf von Admiral Kolchak mit Unterstützung des britischen General Knox gestürzt. Von da an bestimmten die faschistischen Kräfte die Politik der Weissen. Dies zeigte sich z.B. in den zahlreichen Massaker an den Juden und Kommunisten. General Kornilow, der Anführer eines gescheiterten Putsches im August 1917, beschrieb die Perspektive der Weissen so:
Zitat:
Je grösser der Terror, desto grösser die Siege. Wir müssen Russland retten, selbst wenn wir die Hälfte davon in Brand stecken und das Blut drei Vierteln aller Russen vergiessen müssen!

Trotzki schrieb auch über Kornilov, dass wenn dessen Putsch erfolgreich gewesen wäre, das Wort faschistisch nicht italienischen, sondern russischen Ursprung gewesen wäre. Das gleiche kann für den Fall eines Sieges der Weissen im Bürgerkrieg gesagt werden. Die Alternative war damals nicht Parlament oder Rätedemokratie, sondern Rätedemokratie oder Faschismus.
Claudia hat folgendes geschrieben:
Ein Märchen, dass seit Jahrzehnten die marxistische Geschichtschreibung verseucht ist, dass die Menschewiki prinzipiell immer das Gegenteil von dem getan haben, was die Bolschewiki angeordnet haben. Das hat oft gestimmt, aber bei weitem nicht immer und so auch nicht in der Frage des Bürgerkriegs. Die Menschewiki waren fast alle Nationalisten (die wenigen, wie G.W. Tschitscherin, die es nicht waren, schlossen sich nach der Oktoberrevolution den Bolschewiki an), daher empfanden viele den Einmarsch der Invasionsarmeen als Angriff auf ihre Heimat und weigerten sich, während des Bürgerkriegs die Bolschewiki anzugreifen, weil eine Schwächung der Staatsmacht die Besetzung durch die kapitalistischen Staaten hätte nach sich ziehen können. Einige Menschewiki hatten in der provisorischen Regierung allerdings die Liberalen oder die KaDetten unterstützt, was ihnen Angriffe der revolutionärer gesinnten Kollegen eintrug. Zwischen 1917 und 1920 scheinen die Menschewiki einfach ein chaotischer Haufen gewesen zu sein, mit fast so viel Meinungen wie Mitgliedern und daher natürlich ohne konkretes politisches Ziel.

Wie schon oben geschrieben beteiligten sich zumindestens ein Teil der Menschewiki an den Gegenregierungen der Weissen, bis sie auch selbst von diesen eingesperrt oder umgebracht wurden. Ein Teil unterstützte die Bolschewiki. Insgesamt waren sie sicher angesichts des Scheitern ihrer politischen Strategie ein chaotischer Haufen. Ein Teil sollte schliesslich als Schergen von Stalin enden, so war z.B. der Staatsanwalt während der Moskauer Prozesse Wyschinski zuvor ein Teil des rechten Flügel der Menschewiki gewesen. Was übrigens auch zeigt, dass die Menschewiki wohl auch schon den Keim der stalinistischen Barbarei enthielten zwinkern
Claudia hat folgendes geschrieben:
Das ist eine glatte Lüge. Über die Frage, ob die Machtergreifung erfolgen sollte, wurde im ZK am 10.10.1917 mit folgendem Ergebnis abgestimmt (Quelle: ZK-Protokoll):

Dafür: Lenin, Trotzki, Stalin, Swerdlow, Urizkij, Dzierzynski, Kollontai, Bubnow, Sokolnikow, Lomow

Dagegen: Kamenew, Sinowjew (die beiden waren ein medizinisches Wunder: zwei erwachsene Männer, die ohne jedes Rückgrat leben konnten!

Da hat sich die Erinnerung, dass Stalin nach der Februarrevolution für die Unterstützung der Provisorischen Regierung war, zu einer allgemeineren Ablehnung der Positionen Lenins und Trotzkis während der Revolution ausgeweitet. Verlegen Inzwischen habe ich in der Geschichte der Russischen Revolution von Trotzkis nachgelesen, dass tatsächlich nur Sinowjew und Kamenew dagegen gestimmt hatten. Über die damaligen Positionen Stalins habe ich so gut wie nichts gefunden. Stalin war nie ein Theoretiker, sondern hatte damals eher organisatorische und bürokratische Tätigkeiten ausgeübt, war auf jeden Fall keine der treibenden Kräfte der Oktoberrevolution.

P.S. zum Aufstand des Schutzbundes habe ich im STF auch was geschrieben, wegen Schläfrigkeit der Mods konnte dieser nicht am Jahrestag des Beginn des Aufstandes (12.2.1934), sondern erst am Tag des Zusammenbruchs veröffentlicht werden:
Der Februaraufstand in Österreich
Vielleicht kommt die SPÖ dabei etwas zu gut weg.
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Claudia
Simmeringer Nachteule



Anmeldungsdatum: 28.07.2003
Beiträge: 421
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Beitrag(#16771) Verfasst am: 24.08.2003, 22:24    Titel: Antworten mit Zitat

max hat folgendes geschrieben:
Das Wort Faschismus stammt sicher von den italienischen Faschisten. Mir ging es um die politischen Methoden.

Ich halte das Wort "Faschismus" in diesem Zusammenhang trotzdem für unpassend, weil historisch unpräzisee. Ich würde die Alternative zum Rätesystem eher "reaktionär-autokratisch" nennen. Viele Weiße wollten ja die Restauration der Romanows.

max hat folgendes geschrieben:
Die Alternative war damals nicht Parlament oder Rätedemokratie, sondern Rätedemokratie oder Faschismus.

So isses, das aus dem Kaufmannsstand hervorgegangene Bürgertum, wie es sich in allen Industriestaaten entwickelte, war in Russland fast nicht vorhanden, daher gab es auch keine Klasse, die ein kapitalistisches System nach europäischem Muster (mit parlamentarischer Demokratie etc.) hätte tragen können. Übrigens ein interessantes Phänomen, dass wirtschaftlicher und damit gesellschaftlicher Fortschritt in Russland immer von "außen" kam und immer mit mehr oder weniger Zwang durchgesetzt werden musste: so die Entwicklung unter Iwan IV, unter Peter I, viele Maßnahmen der Bolschewiki, aber auch die erzwungene Industrialisierung unter Stalin (die für sich zwar erfolgreich war, aber unter Preisgabe jeder revolutionären Entwicklung).

Zitat:
Über die damaligen Positionen Stalins habe ich so gut wie nichts gefunden. Stalin war nie ein Theoretiker, sondern hatte damals eher organisatorische und bürokratische Tätigkeiten ausgeübt, war auf jeden Fall keine der treibenden Kräfte der Oktoberrevolution.


Das einzige Werk Stalins, dass mMn den Anspruch erheben kann, zumindest theoretische Ansätze zu erhalten, ist das über die Nationalitätenfrage, und dabei hat ihm vermutlich Bucharin geholfen. Aber "Theoretiker" im engeren Sinn waren die wenigsten Bolschewiki. Ich würde eher sagen: viele Schriften vor allem Lenins und Trotzkis sind auch heute noch brauchbar, weil die die politische Situation, in der sie geschrieben wurden, der heutigen ähnlich ist.

max hat folgendes geschrieben:
P.S. zum Aufstand des Schutzbundes habe ich im STF auch was geschrieben, wegen Schläfrigkeit der Mods konnte dieser nicht am Jahrestag des Beginn des Aufstandes (12.2.1934), sondern erst am Tag des Zusammenbruchs veröffentlicht werden:
Der Februaraufstand in Österreich
Vielleicht kommt die SPÖ dabei etwas zu gut weg.


Das habe ich mir auch nie im Leben träumen lassen, in einem Star Trek Forum ein Zitat von Otto Bauer zu finden. Cool

Was den von dir erwähnten Heimwehr-Vizekanzler betrifft: Fey hieß die Kanaille, nicht Frey, siehe: http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.f/f315202.htm

Sonst finde ich den Überblick gut, wenn auch sehr vereinfachend (liegt aber am beschränkten Medium). Die SPÖ (oder richtiger: SDAP) kommt tatsächlich etwas zu gut weg, denn die die kulturelle und soziale Aufbauarbeit des Roten Wien geschah weniger mit den Arbeitern als für sie. In Anlehnung an Kaiser Joseph II, dessen aufgeklärter Absolutismus bekanntlich auf dem Prinzip "Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk" beruhte, könnte man die Haltung der Wiener Sozialisten mit "Alles für das Proletariat, aber nichts durch das Proletariat" schildern. Die Partei versorgte die Arbeiter mit allem Nötigen, von der Wohnung über den Arbeitsplatz bis hin zur Freizeitgestaltung. Das alles spielte sich aber in Organisationen ab, die straff von der Partei geleitet wurden, egal ob es sich um die Kinderfreunde, den Arbeiterabstinentenbund oder eben den Schutzbund handelte. Jeder Ansatz von Selbstorganisation wurde vom Parteivorstand äußerst misstrauisch beäugt.

Am tödlichsten, im wörtlichen Sinn, wirkte sich das bei der Frage um den inneren Aufbau des Schutzbundes aus. Der Parteivorstand bestand auf einer Truppe, die sich am bürgerlichen Militär orientierte und völlig der Befehlsgewalt der SDAP unterstellt war. Pech nur, wenn dann, wie in den 30er-Jahren, die SDAP-Führung bei der Vorgabe von politischen Zielen versagte. Das von Theodor Körner vorgeschlagene Gegenmodell, nämlich eine dezentral operierende Truppe aus vielen kleinen, in enger Zusammenarbeit mit der proletarischen Bevölkerung operierenden Einheiten, hätte ihren Nachteil bei der Bewaffnung durch Schnelligkeit und konsequente Ausnutzung der räumlichen Gegebenheiten eventuell ausgleichen können. Körner hat also in etwa das als Kampfform vorgeschlagen, was Jahrzehnte später dann "Stadtguerilla" genannt wurde. Der Parteivorstand lehnte Körners Ansichten schroff ab, weil er einfach panische Angst davor hatte, dass ihm die Arbeiter "entgleiten" konnten.

Der Aufstand von 1934 war schließlich nur mehr ein Verzweiflungsschlag, ohne politisches Ziel und schon daher zum Scheitern verdammt. Er war allerdings Inspiration für viele, sich dann ab 1936 im spanischen Bürgerkrieg zu den Internationalen Brigaden zu melden.

Noch was: Warum setzt du den Tag, an dem der Bürgerkrieg endete, mit dem 15.2.34 an? Der Goethe-Hof fiel erst am 16.2. und Koloman Wallisch wurde am 19.2. gehängt ( http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.w/w138081.htm ). Das gilt allgemein als Ende der Kämpfe.
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Wenn man vor die Masse tritt und von den hohen Zielen und Aufgaben spricht, die Masse jedoch sieht, wie nach allen Seiten die Mittel verschleudert werden, so wird sie kein Vertrauen haben und ganz richtig sagen: „Arzt, heile dich selbst". - F. E. Dzierzynski
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