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Existenzialismus

 
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Malone
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Anmeldungsdatum: 02.09.2004
Beiträge: 5269

Beitrag(#375906) Verfasst am: 20.11.2005, 01:47    Titel: Existenzialismus Antworten mit Zitat

Ich bin mit Fünfzehn auf ein kleines Buch gestoßen, dass sich da nannte "Die Lehre vom Zerfall", vom Autor meiner Signatur. Es gehörte meinem Onkel, der zu dieser Zeit an einem Gehirntumor erkrankt war und nach einem halben Jahr daran starb. Möglich, dass der damit verbundene Pesönlichkeits- respektive Seelenverfall mich in dieser Richtung bekräftigte.

Da ich nie wirklich an Gott glaubte und stets auch als Kind schon ein naturwissenschaftlich orientierter Skeptiker war, schockte mich der Inhalt nicht sonderlich. Eigentlich fand ich hauptsächlich bestätigt, was mir ohnehin klar zu sein schien, Gott ist eine Erfindung und Wertsetzungen sind willkürlich. Das Leben ist sinn- und zweckfrei.

Aber es schärfte meine Abstraktionsfähigkeit, die einige Jahre später mit der Lektüre des "Ekels" von Sartre verstärkt wurde. Irgendwie ist es spaßig, von Abstraktionsfähigkeit zu sprechen, denn im Grunde muss man ja nur wahr nehmen was man erlebt.

Aber die Sozialisation des menschlichen Geistes scheint nackte Wahrnehmung nicht vorgesehen zu haben. Alles ist mit Bedeutungen, Werten und Sinn belegt, insbesondere Menschen, die stets mit einer ganzen Wagenladung von Assoziationen daherkommen. So dass man nicht sieht, was tatsächlich ist.

Was man vor sich hat, sind Organismen, komplexe Strukturen die schlichtweg existieren. Sie könnten genausogut nicht existieren, heben sich aber von einem potentiellen Nichts, und hierin liegt die Abstraktion, durch ihr Dasein ab. Sie sind das Ergebnis von Zufällen, wie alle Dinge, ein Konglomerat aus Zellen, die ihrerseits aus Molekülen bestehen.

Materie, zufällig organisiert. Diesen Gedanken zu Ende zu denken, wirklich zu verstehen, bringt einen an den Rand des geistigen Horizontes. Unmöglich schon die Existenz des Nichts oder seiner Alternative geistig zu erfassen.

Aber vor diesem Hintergrund erscheint die eigene Existenz, die der Dinge und der Lebewesen. Von einem angenommenen Schwarz hebt sich die ebenso im Grunde unvorstellbare Existenz ab. Aber was wahrgenommen wird, existiert offensichtlich auch, und sei es bloß als Wahrnehmung, was selbst der radikale Konstruktivismus einräumen müsste.

Der Existenzialismus schert sich nicht darum, ob die Wirklichkeit konstruiert ist, sie ist einfach, und er nimmt das wahr, was ungeachtet aller menschlichen Zusatzinterpretationen da ist. Ein Auge wirklich als Sehorgan eines Organismus zu begreifen, ohne Wertsetzungen wie schön oder tiefgründig, ohne medizinische oder biologische Erklärungen, sondern schlicht als Werkzeug eines Zellverbundes, notwendiges Teil für die Existenz der ganzen Struktur, ist eine Kunst oder auch ein Fluch.

Damit verschwindet auch die Befürchtung dieses Auge könnte einen negativ beurteilen, und die Hoffnung, es könnte zu einem positiven Urteil gelangen. Jeglicher angeborene oder sozialisierte Reflex ist absolet. Der Existenzialismus ist somit die -vorübergehende- Befreiung von menschlichem Leid, als welches man buddhismuskonform Streben und Furcht verstehen kann.

Der Buddhismus nimmt auch für sich heraus, die Dinge so zu sehen wie sie sind. Aber ich denke, das was er an liebevoller Betrachtung und Loslösung vom Ego voraus hat, fehlt ihm vielleicht an emotionaler Loslösung und der Restinterpretation wissenschaftlichen Geistes, der weiß, dass er die Emergenz von einigen Milliarden Jahren Sein darstellt. Der Erleuchtete fühlt sich dem Sein verbunden, der Existenzialist hingegen weder verbunden noch nicht verbunden. Er steht der Existenz fassungslos gegenüber.

Und darauf läuft es hinaus: Fassungslosigkeit. Die Existenz als solche wirklich zu begreifen versetzt in Schrecken und Staunen zugleich. Losgelöst zu sein von allen menschlichen Interpretationen des Wahrgenommenen ist befreiend, faszinierend und erschreckend in einem.

Er relativiert wohltuend und entrückt schlagartig von allen Werten, aller Moral und Ethik. Er ist die totale Befreiung von allem menschlichen Hickhack, und die Aufgabe aller Hoffnung auf jenseitige Errettung, auf Geborgensein im Schoße eines übermenschlichen Vaters, auf einen fairen Richter und angemessen gerichtete Feinde.

Der Existenzialismus ist eigentlich kein Ismus, er ist keine Philosophie sondern nur eine durchschlagende Sichtweise, aus der genau gar kein Wert folgt. Er ist der stärkste Tobak, den man schnupfen kann. Wie Sartre zu so einem enorm starken Moralempfinden gelangt ist, bleibt mir schleierhaft, und nur durch eine lebensnotwendige Entfernung von dieser Sichtweise und aus der Erinnerung daran gespeisten Folgerungen zu erklären.

Das Ablegen aller, wirklich aller Selbstverständlichkeiten lässt sich üben. Man stelle sich nur vor, man erlebe Alles aus der Sicht eines außerirdischen Wesens, dem rein gar nichts hier vertraut ist. Man sehe das, was vertraut ist, als gänzlich unbekannt an. Und rein zufällig existent. Wenn man dann erschrickt, und nicht zu knapp, kann man schon fast mit Jim Morrison sagen: "I'm a freedom man...."
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Schmerzlos
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Anmeldungsdatum: 02.08.2003
Beiträge: 4554

Beitrag(#376090) Verfasst am: 20.11.2005, 18:39    Titel: Antworten mit Zitat

Malone hat folgendes geschrieben:
Eigentlich fand ich hauptsächlich bestätigt, was mir ohnehin klar zu sein schien, Gott ist eine Erfindung und Wertsetzungen sind willkürlich. Das Leben ist sinn- und zweckfrei.


- Das ist ein Werturteil. zwinkern
Beim Ersteren "Gott" - wird man sich schwerlich einigen können,
was dieser Begriff denn eigentlich nun bedeutet. Philosophisch gesprochen
sind solche Begriffe auch unfassbar, paradox, usw. - Man landet dann schnell
bei Zweiteren - der Gottesvorstellung...da gibt es dann ein paar Millionen...
mindestens. showtime Manche erklären sich auch schnell mal selbst
zum Gott, usw. - Konvention.
Dann die Aussage das "Leben" sei sinn- und zweckfrei.
Ein weiteres Werturteil...wobei das Wort "Leben" sogar noch
ziemlich unhinterfragt dasteht. (Woher kommt es(?), usw. -
wie wird aus etwas das man tot nennt etwas Lebendiges(?), etc.)

Zitat:
im Grunde muss man ja nur wahr nehmen was man erlebt.


- Sofern man nicht mit anderen Sache beschäftigt ist. Lachen

Zitat:
Aber die Sozialisation des menschlichen Geistes scheint nackte Wahrnehmung nicht vorgesehen zu haben. Alles ist mit Bedeutungen, Werten und Sinn belegt, insbesondere Menschen, die stets mit einer ganzen Wagenladung von Assoziationen daherkommen. So dass man nicht sieht, was tatsächlich ist.


- Als wenn tatsächlich was wäre...
Hierbei liegt immer noch die Vorstellung eines "Sein(s)"
zugrunde oder von etwas Feststehendem. Heraklit formulierte
Panta rhei - alles fliesst. Ein gutes Argument gegen ein sog.
Ding an sich.

Zitat:
Der Existenzialismus schert sich nicht darum, ob die Wirklichkeit konstruiert ist


- So als ließe sich "Existenz" beweisen... Pfeifen

Zitat:
Der Buddhismus nimmt auch für sich heraus, die Dinge so zu sehen wie sie sind. Aber ich denke, das was er an liebevoller Betrachtung und Loslösung vom Ego voraus hat, fehlt ihm vielleicht an emotionaler Loslösung


- Nicht wirklich. zwinkern
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Stefan
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Anmeldungsdatum: 03.08.2004
Beiträge: 6217

Beitrag(#376120) Verfasst am: 20.11.2005, 19:06    Titel: Antworten mit Zitat

Auch ich habe nie wirklich an Gott geglaubt. Schon als Kind nicht. Die Frage nach dem Woher und Wohin, sah ich schon damals die Antwort "Gott", nur als verschoben, nicht aber gelöst an.

Allerdings glaubte ich längere Zeit, das die Moral (heute weiß ich, daß ich eigentlich Humanismus meinte), die unser Zusammenleben regelt und erträglich macht, christlichen Ursprungs sei. Deshalb hatte ich nichts gegen die Kirche und zahlte sogar eine Zeit lang Kirchensteuer.

Erst später, so Mitte 20, kam ich nach und nach hinter dem Unterschied und begriff, daß Religion nur Unfreiheit bringt.

Die Dinge auf das zu reduzieren was sie sind, oder besser gesagt auf das wenige was wir zu erfassen fähig sind, ist wirklich nicht leicht. Dazu sind wir Menschen vielleicht schon wieder zu intelligent?

Malone hat folgendes geschrieben:
Losgelöst zu sein von allen menschlichen Interpretationen des Wahrgenommenen ist befreiend, faszinierend und erschreckend in einem.

Sag, schaffst du das, oder wünscht du dir das nur?
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Malone
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Anmeldungsdatum: 02.09.2004
Beiträge: 5269

Beitrag(#376126) Verfasst am: 20.11.2005, 19:11    Titel: Antworten mit Zitat

Ich denke schon mitunter. Es ist aber natürlich schwer zu beurteilen, allein schon weil die Vergleichsmöglichkeiten irgendwie fehlen zwinkern
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kolja
der Typ im Maschinenraum
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Anmeldungsdatum: 02.12.2004
Beiträge: 16631
Wohnort: NRW

Beitrag(#376131) Verfasst am: 20.11.2005, 19:13    Titel: Re: Existenzialismus Antworten mit Zitat

Malone hat folgendes geschrieben:
Man stelle sich nur vor, man erlebe Alles aus der Sicht eines außerirdischen Wesens, dem rein gar nichts hier vertraut ist. Man sehe das, was vertraut ist, als gänzlich unbekannt an.

Dieser Gedanke ist mir vertraut.

(Vielleicht habe ich zuviel Star Trek gesehen.)
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