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Moraldilemma
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Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#1008188) Verfasst am: 26.05.2008, 14:41    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein mE ganz interessanter Artikel in diesem Zusammenhang.


Nun ja, das ist noch mal mehr oder weniger eine Zusammenfassung der hiesigen Diskussion. Zwei interessante "neue" Sätze habe ich aber doch gefunden:

Zum einen die Aussage über den Versuch, Gefühl und Verstand in Einklang zu bringen. Wobei anzumerken ist, dass die Rolle des Verstandes eine rein erklärende ist. Der Verstand füllt gewissermaßen die Lücke dessen, was sich nicht von selbst versteht. Diese Erklärung bleibt aber notwendig unvollständig. Nur für einen Idealisten kann eine Abstraktion vollstäbdig ersetzen, was der unmittelbaren Erkenntnis verborgen bleibt. Das wird nirgendwo so deutlich wie bei ethischen Fragen.

Und:

"Denn schließlich sollte es nicht das primäre Ziel der Ethik sein, das Glück der Menschen zu vermehren, sondern Unheil von ihnen abzuwenden."

Dem ersten Teil stimme ich zu, dem zweiten nur bedingt. Unser Zusammenleben wird nicht von Notsituationen dominiert. Im Alltag muss der Respekt vor der Autonomie des Anderen im Vordergrund stehen, nicht die Sorge um sein Wohlergehen. Sofern Ethik überhaupt einem bestimmten Zweck dient, ist sie mit Sicherheit nicht auf Glücksmaximierung oder das Abwenden von Unheil angelegt, sondern wohl eher auf die Optimierung des Umgangs miteinander. In Notsituationen mögen noch andere Faktoren ins Spiel kommen, der genannte Aspekt kann dabei aber nicht einfach ignoriert werden.
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Argáiþ
dauerhaft gesperrt



Anmeldungsdatum: 27.01.2007
Beiträge: 12486

Beitrag(#1008190) Verfasst am: 26.05.2008, 14:51    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Zum einen die Aussage über den Versuch, Gefühl und Verstand in Einklang zu bringen.
Zitat:
Nur für einen Idealisten kann eine Abstraktion vollstäbdig ersetzen, was der unmittelbaren Erkenntnis verborgen bleibt. Das wird nirgendwo so deutlich wie bei ethischen Fragen.


Ja, es wird hier auch versucht, mittels Abstraktion notwendigerweise unreflektierten Empfindungen gerecht zu werden, was schwerlich gelingt, wenn Empfindung sowohl Konstituent als auch Motivator ist.
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Heiner
Grundrechte-Fan



Anmeldungsdatum: 29.05.2006
Beiträge: 1217

Beitrag(#1008411) Verfasst am: 26.05.2008, 20:28    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:


Wikipedia: Triage hat folgendes geschrieben:
Die heute allgemein verwendeten Regeln für die Triage bei Massenanfall von Betroffenen sind darauf ausgerichtet, dass möglichst viele Personen das Ereignis mit möglichst wenig Schaden überstehen. Man versucht also, das bestmögliche Ergebnis für das Kollektiv der Geschädigten zu erzielen, wobei das Interesse des Einzelnen unter Umständen zurückstehen muss. Intensive Maßnahmen bei wenigen schwer Geschädigten binden möglicherweise Kapazitäten, die zur Versorgung vieler Anderer verwendet werden könnten. Man wird daher jene, deren Situation von vornherein aussichtslos scheint, eher schmerzstillend als intensivmedizinisch behandeln, bis andere, deren Prognose vor Ort besser erscheint, versorgt sind. Dieses zeitweilige Aufgeben der Individualmedizin, die im Gesundheitssystem einer modernen Gesellschaft Standard ist und die Einteilung in Behandlungsprioritäten oder auch Sichtungskategorien ist eine ethisch schwierige Aufgabe und Herausforderung.

Du lehnst eine solche Regelung aus prinzipiellen Gründen ab, richtig?


Nein, im übrigen geht's dort um unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten des Überlebens.

Hier diskutiere ich erst mal nur den Fall, dass gleiche Überlebensaussichten für die Opfer bestehen.
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step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1008456) Verfasst am: 26.05.2008, 21:03    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
"Denn schließlich sollte es nicht das primäre Ziel der Ethik sein, das Glück der Menschen zu vermehren, sondern Unheil von ihnen abzuwenden."

Dem ersten Teil stimme ich zu, dem zweiten nur bedingt.

Den Ausdruck "es sollte Ziel der Ethik sein ..." finde ich sowieso höchst problematisch, da das Sollen hier zirkelschlüssig verwendet wird.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Unser Zusammenleben wird nicht von Notsituationen dominiert. Im Alltag muss der Respekt vor der Autonomie des Anderen im Vordergrund stehen, nicht die Sorge um sein Wohlergehen.

Auch wenn ich unter Autonomie vermutlich etwas anderes verstehe: Ja, die Sorge um sein Wohlergehen spiegelt im besten Fall die Interessen des Anderen wieder, die die eigentlichen Treiber der Ethik sind.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Sofern Ethik überhaupt einem bestimmten Zweck dient, ist sie mit Sicherheit nicht auf Glücksmaximierung oder das Abwenden von Unheil angelegt, sondern wohl eher auf die Optimierung des Umgangs miteinander.

Kluge Worte!
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11519

Beitrag(#1008620) Verfasst am: 26.05.2008, 23:47    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Babyface
@ Heiner

Das Problem besteht darin, dass aus der Norm "Jeder hat das gleiche Recht auf Leben" eben nicht so einfach folgt, dass, in einer solchen Dilemma-Situation jede Entscheidung legtitim ist,


Doch, genau das ist der Zusammenhang: Aus dem Grundsatz „gleiches Recht auf Leben“ folgt, dass jede Entscheidung gleich legitim ist.

Nö, das folgt nicht daraus, diesen Zusammenhang hast Du nur durch eine zusätzliche Setzung erfunden.

Zitat:
Zitat:
da mit jeder Entscheidung immer eine Verletzung des Rechts auf Leben verbunden ist. Rette ich den einen, verletzte ich das Lebensrecht des anderen.


Nein, denn das Lebensrecht eines Menschen verletze ich nur dann aktiv, wenn ich die Möglichkeit zu helfen habe und die Hilfe unterlasse.

Soweit, so gut.
Zitat:
In dem Moment, wo ich dem einen Opfer helfe, kann ich in der Dilemma-Situation dem anderen nicht mehr helfen.

Was die Gaskammern betrifft: Eine Entscheidung kann man nicht mehr rückgängig, Geschehenes nicht mehr ungeschehen machen, na und? Daraus folgt nur, dass man keine andere Möglichkeit mehr hat, nicht, dass man keine andere Möglichkeit hatte. Was die Autos am Abgrund betrifft: Was hindert Dich daran, dich umzuentscheiden, die Hilfehandlung abzubrechen und am anderen Auto zu helfen? Die Norm "Gleiches Recht auf Leben" kann's ja wohl nicht sein.

Zitat:
Mangels Möglichkeit kann keine Rede davon sein, dass ich das Lebensrecht eines der Opfer verletze.

Dass aus der Unmöglichkeit, alle zu retten, folgt, dass mit einer Entscheidung gegen jemanden dessen Lebensrecht nicht verletzt werden kann, ist genau die Setzung, die Du erst erfinden musst, damit der Zusammenhang zwischen der Norm "Gleiches recht auf Leben" und "jede Entscheidung (außer Nicht-Handeln) ist legitim" folgt. Begründet hast Du diese Setzung allerdings nicht. Im Prinzip hast Du damit nur gesagt: Unterlassen von Hilfeleistung mit Todesfolge verletzt das Lebensrecht, außer in Dilemmasituationen, da gilt das nicht, sonst wäre ja keine Handlung legitim. Die Idee, dass man eine Entscheidung trotz damit verbundenener Verletzung von Lebensrechten als moralisch legitim beurteilen könnte, scheint Dir gar nicht in den Sinn zu kommen.

Zitat:
Zitat:
Man könnte sogar zynisch einwenden, dass die Norm nur dadurch zu erfüllen wäre, indem er beide sterben lässt. Damit wird zwar die Norm "Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben" verletzt, aber die wird auch bei den anderen beiden Entscheidungen verletzt.


Nein, das wäre die einzige Möglichkeit in dem Dilemma, falsch zu handeln.zwinkern Hier hätte ich Möglichkeiten zu helfen, nutze sie aber erst gar nicht. Ich verletze somit das Lebensrecht der Opfer.
Das fiele juristisch schlicht unter unterlassene Hilfeleistung.

Die Entscheidung, niemandem zu helfen, genügt der Norm "gleiches lebensrecht für alle", da alle Lebensrechte gleichermaßen verletzt werden.

Zitat:
Zitat:
Etwas anders verhält sich das mit der Norm "Jeder soll diesselbe Chance haben, gerettet zu werden". Diue wird nicht zwangsläufig durch eine Entscheidung zugunsten des einen oder des anderen verletzt. Die Frage ist halt, wodurch wird sie verletzt, bzw. wie wird "gleiche Chance" definiert. Man könnte durchaus argumentieren, dass die Chance für Männer und Frauen gleich ist, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Merkmal "Frauen- vs Männerbevorzugung" in der Population gleich verteilt ist, so dass jeder Mann und jede Frau diesselbe Chance hat an einen Frauen- bzw. Männerbevorzuger zu geraten. Man darf getrost davon ausgehen, dass diese Voraussetzung je nach Population für eine Reihe von Merkmalen nicht erfüllt ist (z.b. Hautfarbe, Migrationshintergrund, Alter).


„Chancen“ kann ich aber nicht normativ festschreiben, sondern nur Rechte.

Ähm, und? Sag ich eben "Recht auf Chancengleichkeit". Ich kann Chancengleichkeit als Ziel definieren und Handlungsergebnisse danach beurteilen, ob sie gut oder schlecht für das Ziel sind. Dasselbe kann ich mit Entscheidungsregeln machen, die diese erwünschten oder unwerwünschten Handlungsergebnisse produzieren. Und ich kann auch diese moralisch beurteilen.

Zitat:
Ich kann nicht verlangen, dass der Gesetzgeber mir garantiert, dass ich in einem Rettungsdilemma die gleiche Wahrscheinlichkeit habe, gerettet zu werden wie ein anderes Opfer. Das ist ein Wunsch ans Schicksal, aber nicht an den Gesetzgeber.

Der Gesetzgeber kann sowieso keine Rechte garantieren, sondern nur Regeln durchsetzen, welche die Individuen zur Beachtung dieser Rechte hin beeinflussen sollen. Das Strafgesetzbuch zb. besteht aus solchen Regeln. Abgesehen davon, habe ich ausdrücklich betont, dass die Frage, ob man hier den Gesetzgeber braucht, wieder eine andere Frage ist. Hier geht es mir nur darum, ob bestimmte Handlungen moralisch legitim sind oder nicht.

Zitat:
Zitat:
Und dann finde ich es für solche Merkmale legitim, wenn die Gesellschaft die Individuen zu einem Ausgleich verpflicht, indem sie bestimmte Handlungsergebnisse auch im Lichte der zugrundeliegenden Motivation bewertet, bzw. bestimmte Handlungen nur in Abwesenheit bestimmter Motivationslagen in Bezug auf das Merkmal für moralisch legitim erklärt. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie das unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen durchsetzen muss.


Die Erforschung der Motivation für eine Rettungshandlung in Dilemma-Situationen ist weder möglich noch nötig.

Mal abgesehen davon, dass ich nicht zustimme, dass das nicht möglich ist, hab ich das im Einzelfall gefordert? Die Beobachtung, dass in eine repräsentative Stichprobe solcher Dilemma-Entscheidungen eine Gruppe signifikant weniger Überlebende zählt als die andere, reicht aus, um eine Verletzung der Chancengleichheit zu begründen, und auf einen systematischen Bias bzw. eine Ungleichverteilung der Motivationslage der Handelnden zu schließen, und um ausgleichende Maßnahmen einzuleiten, u.a. auch durch moralische Bewertungen von Handlungen in Abhängigkeit der Motive.

Zitat:
Nötig ist die Einbeziehung der Motivation deshalb nicht, da es hier um zwei Handlungsalternativen geht, von denen jede so richtig wie die andere ist. Auch, wenn man Richtiges aus falschen Motiven heraus tut (wie vielleicht eine männerhassende Retterin), bleibt die Tat richtig.

Aber nur unter der Voraussetzung, dass die Motive keinen Einfluss auf solche Handlungsfolgen haben, die ethische Normen berühren, so dass diese verletzt werden. Wenn jemand Geld an Arme spendet, ist diese Voraussetzung wohl erfüllt, da macht es kein Unterschied, ob er es aus altruistischen oder egoistischen Motiven tut. Bei ungleich verteilter Bevorzugung von Personengruppen in Dilemmasituationen, sieht das allerdings schon anders aus, da dann die ungleiche Motivlage ein Ergebnismuster produzieren würde, das die Norm "Recht auf Chancengleichkeit" verletzt.
_________________
posted by Babyface
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AgentProvocateur
registrierter User



Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1008646) Verfasst am: 27.05.2008, 00:45    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wikipedia: Triage hat folgendes geschrieben:
Die heute allgemein verwendeten Regeln für die Triage bei Massenanfall von Betroffenen sind darauf ausgerichtet, dass möglichst viele Personen das Ereignis mit möglichst wenig Schaden überstehen. Man versucht also, das bestmögliche Ergebnis für das Kollektiv der Geschädigten zu erzielen, wobei das Interesse des Einzelnen unter Umständen zurückstehen muss. [...]

Du lehnst eine solche Regelung aus prinzipiellen Gründen ab, richtig?

Nein, im übrigen geht's dort um unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten des Überlebens.

Hier diskutiere ich erst mal nur den Fall, dass gleiche Überlebensaussichten für die Opfer bestehen.

Hm. MMn ist eine Triage durchaus damit vergleichbar. Nach Deiner Maxime (falls ich das richtig verstanden habe) müsste ein Arzt hierbei, wenn er zufällig an einen Patienten geriete, der nur durch eine stundenlange aufwendige Operation zu retten wäre, diesen Patienten so behandeln und könnte sich folglich nicht mehr um die anderen kümmern. D.h. es werden dann bei einer solchen Vorgehensweise letztlich mehr sterben, als wenn er nach den Triage-Grundsätzen vorgegangen wäre.

Aber nehmen wir einen anderen Fall, der eher auf die von Dir geforderten "gleichen Überlebensaussichten für die Opfer" passt.

1. Ein Pilot in einem Flugzeug über einem dicht besiedelten Gebiet. Das Flugzeug fliegt mit Autopilot. Der Pilot bemerkt einen starken Defekt, der das Flugzeug unweigerlich zum Absturz bringen wird. So, wie der Autopilot eingestellt ist, wird das Flugzeug genau im Zentrum einer Großstadt abstürzen. Der Pilot könnte den Autopiloten abschalten und die Steuerung übernehmen. Er könnte das Flugzeug in einer Kurve in einen (weniger dicht besiedelten) Vorort lenken und dort abstürzen lassen. Würde er das tun, dann würden beim Absturz voraussichtlich weniger Leute sterben, als wenn das Flugzeug im Zentrum abstürzt. Wäre dMn eine eine ethische Auffassung hier falsch, die in einem solchen Falle eine Kursänderung als geboten ansehen würde, (da damit der Schaden (= die Anzahl Toter) minimiert werden könnte)?

2. Wie 1., nur: es gibt keinen Autopiloten. Das Flugzeug wird vom Piloten gesteuert. Während er den Defekt bemerkt, steuert er gerade auf das Stadtzentrum zu. Würde er das Steuer drehen, um in Richtung des Vorortes zu fliegen, wäre das eine Handlung. Ist es keine Handlung, das Steuer einfach so festzuhalten, wie es zufällig gerade ist? Und wäre es demnach geboten, hier keine Handlung durchzuführen, weil das Steuer gerade so ist, wie es ist?

3. Wie 2. Der Pilot steuert gerade auf den Vorort zu, als er den Defekt bemerkt. Kurze Zeit später muss er niesen und reißt dabei das Steuer herum. Nun fliegt er genau aufs Stadtzentrum zu. Soll er nun keine Handlung mehr durchführen, des von Dir geforderten Zufalls-Prinzipes wegen?

Um dazu zu sagen, was die Beispiele bezwecken: mir scheint, Du möchtest einen prinzipiellen Unterschied zwischen Handeln und Nichthandeln behaupten. MMn gibt es den aber nicht prinzipiell, d.h. es gibt Situationen, in denen ich Handeln und Nichthandeln als gleichwertig ansehe, (was nicht heißt, dass es in anderen Situationen diesen Unterschied gibt). Nur scheint mir Deine Maxime stark auf diesem von Dir gesehenen Unterschied zu beruhen, der aber als prinzipielles Unterscheidungskriterium mMn nicht haltbar ist. In den obigen Beispielen würde ich keinen Unterschied sehen und ich würde es falsch finden, wenn der Pilot (in allen drei Fällen) Deine Maxime des Zufalls (nur um keine explizite Entscheidung zu treffen, um sich (mMn vermeintlich) von der Verantwortung reinzuwaschen) zur Grundlage seines Handelns nehmen würde. Mir scheint es in diesen Fällen moralisch geboten, hierbei die Anzahl der wahrscheinlichen Toten bei der Entscheidung zu berücksichtigen und mir scheint es falsch, dies als Entscheidungsgrundlage so dogmatisch wie Du abzulehnen.
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Heiner
Grundrechte-Fan



Anmeldungsdatum: 29.05.2006
Beiträge: 1217

Beitrag(#1009028) Verfasst am: 27.05.2008, 19:08    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
Heiner
Doch, genau das ist der Zusammenhang: Aus dem Grundsatz „gleiches Recht auf Leben“ folgt, dass jede Entscheidung gleich legitim ist.


Zitat:
babyface
Nö, das folgt nicht daraus, diesen Zusammenhang hast Du nur durch eine zusätzliche Setzung erfunden.


Keine zusätzliche Setzung. Das habe ich logisch abgeleitet. Cool

Zitat:
Heiner
In dem Moment, wo ich dem einen Opfer helfe, kann ich in der Dilemma-Situation dem anderen nicht mehr helfen.


Zitat:
babyface
Was die Gaskammern betrifft: Eine Entscheidung kann man nicht mehr rückgängig, Geschehenes nicht mehr ungeschehen machen, na und? Daraus folgt nur, dass man keine andere Möglichkeit mehr hat, nicht, dass man keine andere Möglichkeit hatte.


Du bestätigst meine Argumentation ja nur. Ja, ich hatte eine andere Möglichkeit, aber im Moment der Entscheidung hat man diese Möglichkeit aktuell nicht mehr. Damit ist man vom Vorwurf entlastet, das Lebensrecht des anderen zu verletzen.

Stellen wir uns folgendes Szenario vor. Dich erreicht ein Anruf von der Küstenwacht, du sollst die Besatzung eines sinkenden Schiffs retten. Legst du dich auf die Coach, verletzt du das Lebensrecht der Besatzung, da du deine Möglichkeit zur Hilfe nicht nutzt. Gehst du los, tust du dem Lebensrecht der Sinkenden Genüge.
Angenommen, es tritt ein unerwarteter Sturm auf, der dich hindert, die Sinkenden rechtzeitig zu retten. Niemand kann dir hieraus einen Vorwurf machen, denn die Rettung stand nicht in deiner Möglichkeit. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt hattest du eine Möglichkeit, wenn das Hindernis eintritt, hast du sie nicht mehr.

Im Rettungsdilemma erfüllt die gleiche Funktion, wie das Hindernis des Sturms, logisch betrachtet immer das eine der beiden Opfer. Der eine, dem du hilfst, ist zugleich auch das „natürliche“ und „logische“ Hindernis, das dich daran hindert, den anderen zu retten.

Ich glaube, der gedankliche Fehler schleicht sich bei dir an einer bestimmten Stelle ein, deshalb noch mal systematisch.

Szenario 1 (kein Dilemma): Du kannst sowohl A als auch B retten = du kannst A und B gemeinsam retten. – Rettest du nur A, verletzt du das Lebensrecht von B, weil du B retten kannst. / Rettest du nur B, verletzt du das Lebensrecht von A, weil du A retten kannst.
Folglich wird hier immer das Lebensrecht desjenigen, der nicht gerettet wird, verletzt.

Szenario 2 (Dilemma): Du kannst entweder A oder B retten. – Rettest du A, kannst du nicht B retten. Weil du B nicht retten kannst, verletzt du folglich nicht das Lebensrecht von B. / Rettest du B, kannst du A nicht retten. Weil du A nicht retten kannst, verletzt du folglich nicht das Lebensrecht von A.
Daraus folgt logisch, dass in keinem Fall das Lebensrecht des nicht Geretteten verletzt wird.

Der gedankliche Fehler passiert bei dir, glaube ich, dadurch, dass du aus aus dem Szenario 2 unter der Hand ein Szenario 1 machst. In der richtigen Aussage „Ich habe zwar A gerettet, hätte aber auch B retten können“ machst du den Konjunktiv stillschweigend zum Realis: „Ich habe A gerettet, *kann* aber auch B retten“ (= Ich kann sowohl A als auch B retten). Dies ist aber nicht mehr das Dilemma-Szenario 2, sondern Szenario 1.

Zitat:
Was die Autos am Abgrund betrifft: Was hindert Dich daran, dich umzuentscheiden, die Hilfehandlung abzubrechen und am anderen Auto zu helfen? Die Norm "Gleiches Recht auf Leben" kann's ja wohl nicht sein.


Und was hindert mich daran, dann wieder die Hilfehandlung abzubrechen und wieder umzukehren? Und dann wieder die Hilfehandlung abzubrechen und wieder umzukehren usw.? Was hindert mich also daran, stets hin- und herzupendeln? Schlicht die Tatsache, dass EINER von beiden gerettet werden muss (egal welcher!). Nach deiner Logik müsste der Handelnde dadurch, dass er stets hin- und herpendelt, am Ende tatsächlich BEIDE sterben lassen. So kommst du zu der irrigen Annahme, dass derjenige, der BEIDE sterben lässt, auch derjenige ist, der den Grundsatz „gleiches Lebensrecht“ beherzigt. Logisch aber unhaltbar, wie oben gezeigt.

Den Rest deines Beitrags habe ich erst einmal gesnippt, da es sonst zu lang wird. Werde darauf noch mal eingehen.
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#1009126) Verfasst am: 27.05.2008, 21:15    Titel: Antworten mit Zitat

Argaith hat folgendes geschrieben:
Ja, es wird hier auch versucht, mittels Abstraktion notwendigerweise unreflektierten Empfindungen gerecht zu werden, was schwerlich gelingt, wenn Empfindung sowohl Konstituent als auch Motivator ist.


Kritisch wird' s erst, wenn Abstraktionen keine Vereinfachungen mehr sind, sondern sich verselbstständigt und Moral folglich darin besteht, die Wirkllichkeit an sie anzupassen. Denn genau da beginnt die Ideologie.
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Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11519

Beitrag(#1009206) Verfasst am: 27.05.2008, 22:13    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Heiner
Doch, genau das ist der Zusammenhang: Aus dem Grundsatz „gleiches Recht auf Leben“ folgt, dass jede Entscheidung gleich legitim ist.


Zitat:
babyface
Nö, das folgt nicht daraus, diesen Zusammenhang hast Du nur durch eine zusätzliche Setzung erfunden.


Keine zusätzliche Setzung. Das habe ich logisch abgeleitet. Cool

Fragt sich blos, woraus? Bis jetzt hast Du keine allgemeine Regel genannt, welche Deine Beurteilung zur Verletzung von Lebensrechten in Dilemma und Non-Dilemma-Situationen konsistent erklären könnte.

Zitat:
Zitat:
Heiner
In dem Moment, wo ich dem einen Opfer helfe, kann ich in der Dilemma-Situation dem anderen nicht mehr helfen.


Zitat:
babyface
Was die Gaskammern betrifft: Eine Entscheidung kann man nicht mehr rückgängig, Geschehenes nicht mehr ungeschehen machen, na und? Daraus folgt nur, dass man keine andere Möglichkeit mehr hat, nicht, dass man keine andere Möglichkeit hatte.


Du bestätigst meine Argumentation ja nur. Ja, ich hatte eine andere Möglichkeit, aber im Moment der Entscheidung hat man diese Möglichkeit aktuell nicht mehr. Damit ist man vom Vorwurf entlastet, das Lebensrecht des anderen zu verletzen.

Ok, daraus könnte man dann folgende allgemeine Regel abstrahieren:

Das Lebensrecht von Person A wird nur dann verletzt, wenn man aktuell (z.b im Moment der Handlung, die einer Entscheidung folgt) noch eine Möglichkeit hat, das Leben von Person A zu retten. Ob man früher die die Möglichkeit hatte, Person A zu retten, spielt keine Rolle.

Übertragen auf das Gaskammerszenario:

In dem Moment, wo ich den einen Knopf drücke, der Person B rettet, habe ich aktuell keine Möglichkeit mehr Person A zu retten. Folglich habe ich ich das Lebensrecht von A nicht verletzt, obwohl ich zuvor die Möglichkeit hatte, sie zu retten.

Und übertragen auf das Schiffeszenario:

In dem Moment, wo ich Person B aus dem Wasser ziehe, habe ich aktuell keine Möglichkeit mehr, Person A aus dem Wasser zu ziehen. Folglich habe ich das Lebensrecht von Person A nicht verletzt, auch wenn ich die anfangs die Möglichkeit hatte, sie zu retten.

Wer jedoch gar nichts tut, obwohl er aktuell die Möglichkeit hat, der verletzt in beiden Szenarien das Lebensrecht von Person A und B. Dies gilt auch für Non-Dilemma-Situationen:

Lasse ich ein einzelnes Unfallopfer liegen, obwohl ich aktuell die Möglichkeit habe zu helfen, dann verletze ich sein Lebensrecht.


Soweit so gut. Scheinbar erklärt Deine Regel sowohl in Dilemma- als auf Non-Dilemma Situationen Deine Beurteilung. Aber jetzt stell Dir mal folgende Non-Dilemma Situation vor:

Person A ist in einen tiefen Brunnen gefallen und droht darin zu ertrinken. Kommt ein suizidaler zu dem Brunnen, bemerkt Person Bs Notlage, aber anstatt Person A zu helfen, springt er auch in den Brunnen. Beide ertrinken.

Hat der Selbstmörder das Lebensrecht des Ertrinkenden verletzt oder nicht?

Mal sehen, was Deine Regel dazu sagen würde:

In dem Moment, wo der Selbstmörder in den Brunnen springt, hat er aktuell keine Möglichkeit mehr, Person A zu retten. Folglich hat er das Lebensrecht von Person A nicht verletzt, obwohl er die Möglichkeit hatte, ihn zu retten.

Ich glaube nicht, dass Du hier noch zustimmen würdest. Folglich kann die Regel Deine Beurteilung nicht konsistent vorhersagen und damit Deine Behaptung, einen logischen Standpunkt zu vertreten, nicht begründen. Also formuliere bitte eine andere Regel.

Solange bleibe ich dabei, dass Du für Dilemma- und Non-Dilemma-Situationen einfach unterschiedliche "Spielregeln" aufstellst und diese unterschiedlichen Spielregeln durch nichts anderes begründet hast, als dass es sich im einen Fall eben um eine Dilemma-Situation handelt und im anderen Fall nicht, und das ist ein Zirkelschluss.


Zitat:
Zitat:
Was die Autos am Abgrund betrifft: Was hindert Dich daran, dich umzuentscheiden, die Hilfehandlung abzubrechen und am anderen Auto zu helfen? Die Norm "Gleiches Recht auf Leben" kann's ja wohl nicht sein.


Und was hindert mich daran, dann wieder die Hilfehandlung abzubrechen und wieder umzukehren? Und dann wieder die Hilfehandlung abzubrechen und wieder umzukehren usw.? Was hindert mich also daran, stets hin- und herzupendeln? Schlicht die Tatsache, dass EINER von beiden gerettet werden muss (egal welcher!).

Und warum muss einer gerettet werden? Weil Du denkst, dass beide Entscheidungen legitim sind. Und warum sind beide Entscheidungen legitim? Weil Du denkst, dass durch keine der beiden Entscheidungen ein Recht auf Leben verletzt wird. Tja, genau das ist aber der strittige Punkt. Und ein Argument, das Deine Position zum strittigen Punkt als gültig voraussetzt ist eben kein Argument für Deine Position, sondern auch ein Zirkelschluss.

Zitat:
Nach deiner Logik müsste der Handelnde dadurch, dass er stets hin- und herpendelt, am Ende tatsächlich BEIDE sterben lassen. So kommst du zu der irrigen Annahme, dass derjenige, der BEIDE sterben lässt, auch derjenige ist, der den Grundsatz „gleiches Lebensrecht“ beherzigt.

Nein, nach meiner Logik genügt jemand, der weder Person A noch Person B hilft, der Norm "Gleiches Lebensrecht für Person A und B", weil er in dieser Situation beiden Personen das gleiche Lebensrecht zuweist, nämlich gar keins.
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posted by Babyface
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Heiner
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Anmeldungsdatum: 29.05.2006
Beiträge: 1217

Beitrag(#1009643) Verfasst am: 28.05.2008, 16:04    Titel: TEIL 1 Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber nehmen wir einen anderen Fall, der eher auf die von Dir geforderten "gleichen Überlebensaussichten für die Opfer" passt.

1. Ein Pilot in einem Flugzeug über einem dicht besiedelten Gebiet. Das Flugzeug fliegt mit Autopilot. Der Pilot bemerkt einen starken Defekt, der das Flugzeug unweigerlich zum Absturz bringen wird. So, wie der Autopilot eingestellt ist, wird das Flugzeug genau im Zentrum einer Großstadt abstürzen. Der Pilot könnte den Autopiloten abschalten und die Steuerung übernehmen. Er könnte das Flugzeug in einer Kurve in einen (weniger dicht besiedelten) Vorort lenken und dort abstürzen lassen. Würde er das tun, dann würden beim Absturz voraussichtlich weniger Leute sterben, als wenn das Flugzeug im Zentrum abstürzt. Wäre dMn eine eine ethische Auffassung hier falsch, die in einem solchen Falle eine Kursänderung als geboten ansehen würde, (da damit der Schaden (= die Anzahl Toter) minimiert werden könnte)?


AgentProvocateur:

Du weist mit deinen Fragen auf einen wichtigen Punkt hin. Ich möchte die Fragen gerne beantworten, muss dazu aber etwas weiter ausholen, werde das in Fortsetzung in mehreren Teilen tun.zwinkern Die von dir gestellten Fragen weichen vom obigen Gang der Diskussion ab. Dein Ausgangsszenario ist nämlich ein anderes als das Rettungsdilemma, von dem ich oben gesprochen habe. (Daher muss ich auch hier erst mal die von Babyface aufgeworfenen Fragen zurückstellen.)

Die Kernfrage, die ich aus deinem Beitrag herauslese, lautet für mich so:
Ist ein Pilot, der die Wahl hat, bei einem Flugzeugschaden entweder auf das Stadtzentrum oder auf einen Vorort zuzusteuern, moralisch dazu verpflichtet, auf das Stadtzentrum zuzuhalten (etwa ab dem Zeitpunkt, wo der Schaden auftritt, und das Flugzeug bereits auf das Zentrum zusteuert)? Oder ist ein Pilot dann moralisch verpflichtet, auf den Vorort zuzusteuern?

Um die Frage beantworten zu können, muss ich zunächst noch einmal versuchen den Begriff der Verantwortlichkeit zu klären.

Frage: Wann können wir davon reden, dass jemand für den Tod eines Menschen (schuldhaft) verantwortlich ist?
Antwort: Wir können dann sagen, jemand sei für den Tod eines Menschen (schuldhaft) verantwortlich, wenn jemand Möglichkeiten hat, den Tod des Menschen abzuwenden, und er diese Möglichkeiten nicht nutzt, mit Ausnahme der Möglichkeit, zu töten. Jemand ist also dann für den Tod des Menschen (schuldhaft) verantwortlich, wenn er ihn vorm Tode retten kann, ohne hierfür töten zu müssen.

Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren, nämlich an einem Mutter-Kind-Beispiel. Ausgegangen sei davon, dass das Kind nicht überleben würde, wenn die Mutter es nicht fütterte. Gegeben sei der Fall, dass ein Kind verhungert. Infrage steht, ob die Mutter für den Tod des Kindes (schuldhaft) verantwortlich ist. In welchen Fällen ist die Mutter eine Kindsmörderin? Wir müssen dies nun prüfen:

A. Die Mutter hat Möglichkeiten, das Kind zu ernähren (z.B. in den Supermarkt zu gehen und Nahrung zu kaufen), nutzt diese aber nicht.
Folgerung: Die Mutter ist verantwortlich für den Tod des Kindes. Sie ist eine Mörderin.

B. Die Mutter hat keine Möglichkeiten, das Kind zu ernähren (z.B. in einer Hungersnot). Eine letzte Möglichkeit bleibt ihr aber: Eine andere Mutter aus der Nachbarschaft besitzt zufällig so viel Nahrung, um ihr eigenes Kind durchfüttern. Die Mutter könnte dieser anderen Mutter die Nahrung stehlen. Dann würde aber das andere Kind sterben, ihr eigenes Kind könnte die Mutter retten.

B.1 Die Mutter verzichtet auf die Möglichkeit, das andere Kind zu töten, ihr eigenes Kind stirbt. Ist die Mutter (schuldhaft) für den Tod ihres eigenen Kindes verantwortlich? Nein! Die Mutter ist von diesem Vorwurf freizusprechen! Sie hatte aufgrund der Umstände keine Möglichkeit, ihr Kind zu retten, ohne töten zu müssen. Da sie keine Möglichkeiten zur Rettung hatte und sie auch nicht tötete, ist sie keine Kindsmörderin.

B.2. Die Mutter stiehlt der anderen Mutter die Nahrung, tötet somit deren Kind. Hier rettet die Mutter zwar ihr eigenes Kind, wird aber dennoch zur Kindsmörderin!

Zusammenfassung: Wie gezeigt, gibt es 2 Fälle in dem Szenario, in dem die Mutter zur Kindsmörderin wird, nämlich dann, wenn sie Möglichkeiten hat, aber sie nicht nutzt, oder dann, wenn sie keine Möglichkeiten hat und die „letzte“ Möglichkeit zu töten nutzt. In dem Fall, wo die Mutter keine Möglichkeiten hat und sie auch nicht das „letzte Mittel“ der Tötung nutzt, ist sie vom Vorwurf, eine Kindsmörderin zu sein, freizusprechen.

- Fortsetzung folgt -
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Heiner
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Anmeldungsdatum: 29.05.2006
Beiträge: 1217

Beitrag(#1009764) Verfasst am: 28.05.2008, 19:27    Titel: Antworten mit Zitat

Fortsetzung, Teil 2 Smilie

Ich komme jetzt zum Flugzeug-Szenario. Ich möchte eine zweiteilige Beurteilung des Szenarios anstellen, und zwar einmal aus der Sicht eines Außenstehenden, der ins Szenario eintritt, und einmal aus der Sicht des Piloten, der von Anfang an ins Szenario involviert ist. Warum das für mich ein Unterschied ist, wird hoffentlich deutlich werden.

I. Die Sicht des Außenstehenden. Nehmen wir an, ich selbst, Heiner, stehe unten am Boden und beobachte das Flugzeug und sehe, wie es einen Schaden bekommt. Plötzlich kommt verantwortliches Bodenpersonal auf mich zu und sagt: „He, Sie, schauen Sie, das Flugzeug dort oben hat einen Schaden erlitten, es wird abstürzen. Jetzt ist nur noch die Frage, wo. Wir selbst wollen diese Entscheidung nicht verantworten und legen jetzt die Entscheidung in ihre Hände. Wir zeigen Ihnen, wie die Bodensteuerung funktioniert. Im Moment hält das Flugzeug Kurs aufs Stadtzentrum. Wenn Sie diese Knöpfe hier drücken, würde das Flugzeug zum Vorort umgelenkt und dort abstürzen. Ob Sie diese Knöpfe drücken, liegt in Ihrer Hand. Wir sind jetzt jedenfalls weg! Entscheiden Sie!“ Wie würde ich reagieren? Ich würde mir vor Augen halten, in welchen Fällen ich schuldhaft Verantwortung für den Tod von Menschen trage.

A. Ich hätte Möglichkeiten, die Menschen im Stadtkern zu retten, und zwar ohne dafür andere Menschen töten zu müssen, etwa, indem ich das Flugzeug zu einem menschenleeren Gebiet umlenkte (hier nicht gegeben).
Nutzte ich eine solche vorhandene Möglichkeit nicht, wäre ich schuldhaft verantwortlich für den Tod der Menschen im Stadtzentrum.

B. Ich habe keine Möglichkeit, die Menschen im Stadtkern zu retten. Mir bleibt nur die Möglichkeit, das Flugzeug zum Vorort umzulenken und den Tod der Menschen dort herbeizuführen (das ist hier gegeben).

B.1 Ich verzichte auf die Möglichkeit, durch das Umlenken des Flugzeugs andere Menschen zu töten, die Menschen im Stadtzentrum sterben. Bin ich nun schuldhaft verantwortlich für den Tod des Menschen im Stadtzentrum? Nein! Denn ich hatte keine Möglichkeit, die Menschen im Stadtkern zu retten, ohne dafür andere töten zu müssen. Da ich keine Möglichkeiten hatte und ich das „letzte Mittel“ der Tötung nicht gewählt habe, bin ich von dem Vorwurf der schuldhaften Verantwortung für den Tod von Menschen freizusprechen.

B.2. Ich ergreife „das letzte Mittel“ der Tötung anderer, rette die Menschen im Stadtkern und führe den Tod der Menschen im Vorort herbei. Trage ich die Verantwortung für den Tod dieser Menschen? Ja, und zwar ist mir ganz allein die volle Verantwortung für den Tod dieser Menschen zuzusprechen!

Zusammenfassung: Analog zu dem Mutter-Kind-Beispiel gibt es hier für den Außenstehenden im Szenario 2 von 3 Fällen, in denen er die volle Verantwortung für den Tod von Menschen trägt. Nur im Fall B.1 ist er von der Verantwortung für den Tod von Menschen freizusprechen, genau wie die Mutter, die zusehen muss, wie ihr Kind verhungert, weil sie keine Möglichkeiten zu dessen Rettung hat und auf das letzte Mittel zu töten verzichtet.

Daher würde ich selbst auch die Variante B.1. wählen!

Wer hier einwendet „Haha! Du kannst dich ja nicht aus deiner Verantwortung stehlen, du hast ja durch dein Nichteingreifen den Tod der Menschen im Zentrum in Kauf genommen, du bist hierfür genauso verantwortlich“, müsste so konsequent sein, und eine Mutter im Fall B.1 ebenso eine schuldhafte Verantwortung für den Tod ihres Kindes anlasten; er müsste eine Mutter, die zusehen muss, wie ihr Kind verhungert, weil sie keine Möglichkeiten zu dessen Rettung hat und auf das letzte Mittel zu töten verzichtet, zur Mörderin an ihrem eigenen Kind erklären!

Im Gegensatz zu einer solchen moralisch absurden Position (man stelle sich vor: alle armen afrikanischen Mütter sind Mörderinnen an ihren Kindern, weil sie nicht bereit sind, für ihre hungernden Kinder zu töten!) kann eine angemessene Position nur so lauten: Die Handelnden sind in den Fällen B.1 in doppelter Hinsicht von ihrer Verantwortlichkeit entlastet, nämlich einmal durch die Umstände, für die sie nichts können (Hungersnot im einen Fall, Kursrichtung des Flugzeugs für den Außenstehenden im andern Fall), zum andern durch die moralische Norm, nicht zu töten, die die Handelnden an der Änderung der Umstände hindert (im einen Fall die Änderung der Nahrungsmittelknappheit für das Kind, im anderen Fall die Änderung der Kursrichtung für die Zentrumsbewohner).

Auf die eigentlich interessante Frage, wie das Szenario aus Sicht des Piloten zu beurteilen, werde ich darauf aufbauend in einem nächsten Schritt eingehen.

- Fortsetzung folgt -


Zuletzt bearbeitet von Heiner am 28.05.2008, 20:25, insgesamt einmal bearbeitet
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Wolf
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Beitrag(#1009779) Verfasst am: 28.05.2008, 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
B. Ich habe keine Möglichkeit, die Menschen im Stadtkern zu retten.

Stimmt nicht.
Zitat:
Nur im Fall B.1 ist er von der Verantwortung für den Tod von Menschen freizusprechen.

Ich sehe jetzt alleine wegen des aktuellen Kurses noch keinen Unterschied zwischen B1 und B2.
In jedem Fall entscheide ich mich den Tod von Menschen (im Stadkern bzw. Vorort) in Kauf zu nehmen, um die Menschen (im Vorort bzw. Stadtkern) zu retten. Ich sehe keinen Grund die Menschen im Vorort zu bevorzugen. (Sollte nicht jeder die gleiche Chance haben gerettet zu werden? Nur was heißt gleiche Chance? Ich finde nicht das der gewählte Kurs, jeden die gleiche Chance einräumt.)

Da der Vorort wohl weniger dicht besiedelt ist (und die Chance für jeden Menschen erwischt zu werden somit geringer ist), würde ich den Vorort wählen.

Zitat:
Wer hier einwendet „Haha! Du kannst dich ja nicht aus deiner Verantwortung stehlen, du hast ja durch dein Nichteingreifen den Tod der Menschen im Zentrum in Kauf genommen, du bist hierfür genauso verantwortlich“, müsste so konsequent sein, und eine Mutter im Fall B.1 ebenso eine schuldhafte Verantwortung für den Tod ihres Kindes anlasten; er müsste eine Mutter, die zusehen muss, wie ihr Kind verhungert, weil sie keine Möglichkeiten zu dessen Rettung hat und auf das letzte Mittel zu töten verzichtet, zur Mörderin an ihrem eigenen Kind erklären!

Gilt nicht, da ich die Mutter zwar für (mit)verantwortlich, aber nicht für eine Mörderin halte bzw "schuldig" halte.
_________________
Trish:(
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Heiner
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Beitrag(#1009789) Verfasst am: 28.05.2008, 20:04    Titel: Antworten mit Zitat

Fortsetzung, dritter und letzter Teil... Smilie

Ich komme nun zur eigentlichen Ausgangsfrage zurück, die ja lautete:
Ist ein Pilot, der die Wahl hat, bei einem Flugzeugschaden entweder auf das Stadtzentrum oder auf einen Vorort zuzusteuern, moralisch dazu verpflichtet, auf das Stadtzentrum zuzuhalten (etwa ab dem Zeitpunkt, wo der Schaden auftritt, und das Flugzeug bereits auf das Zentrum zusteuert)? Oder ist ein Pilot dann moralisch verpflichtet, auf den Vorort zuzusteuern?

II. Betrachtet man das Flugzeug-Szenario aus der Sicht des Piloten, gibt es einen entscheidenden Unterschied zur Sicht des Außenstehenden, der hinzutritt. Der Pilot kann sich tatsächlich nicht damit herausreden, dass er für die Umstände (hier Kursrichtung) nichts kann. Der Pilot trägt zu jedem Zeitpunkt die Verantwortung für das, was durch das Flugzeug geschieht, und zwar ab dem Moment, wo er ins Cockpit steigt und er das Flugzeug startet.
Um deutlich zu machen, was das für Konsequenzen hat, greife ich noch einmal auf das Mutter-Kind-Beispiel zurück.

Nehmen wir an, Mutter und Kind hätten sich im Hungersnot-Szenario durch eine strenge Nahrungsmittelrationierung bisher das Überleben gesichert. Ein weiteres Überleben wäre auch so möglich. Nun begeht die Mutter plötzlich den Schritt, die Ration des Kindes neben ihrer eigenen aufzuessen. Wenn sie jetzt nichts mehr tut, hätte sie auf diese Weise den Tod des Kindes herbeigeführt. Sie trüge die Verantwortung an den Umständen und trüge auch die Verantwortung für den Tod des Kindes.
Nun könnte die Mutter auf die bereits genannte Idee kommen, dem Kind der Nachbarin die Ration zu stehlen, um dieses zu töten und das Todesurteil, das sie über ihr eigenes Kind verhängt hat, wieder zu revidieren.

Frage: Soll die Mutter, statt ihr eigenes Kind zu töten (was hier unweigerlich der Fall wäre), das Kind der Nachbarin töten? Ist die Mutter moralisch dazu verpflichtet, ihr eigenes Kind zu töten (also nichts weiter zu tun und den von ihr verschuldeten Tod des Kindes abzuwarten), oder ist sie moralisch dazu verpflichtet, das Nachbarskind zu töten, um den von ihr verschuldeten drohenden Tod des eigenen Kindes aufzuhalten? Wäre es MORALISCH RICHTIGER von der Mutter, ihr eigenes Kind zu töten, oder wäre es moralisch gebotener, das fremde Kind zu töten?

Hier wird die Absurdität einer solchen Fragestellung offenbar! Auf der Basis einer humanen Ethik (deren unverzichtbarer Bestandteil das Tötungsverbot ist) ist die Frage, ob es eine moralische Pflicht zu töten geben könne oder ob das Töten so moralisch besser sei als das Töten anders, strikt zurükzuweisen!

Eine moralische Pflicht zum Töten darf es nicht geben!

Bleibt die Frage: Welche Möglichkeit hat denn die Mutter, die dem Kind die Nahrungsration entzogen hat, jetzt, moralisch richtig oder richtiger zu handeln? Antwort: GAR KEINE. Sie handelt immer falsch! Zu behaupten, die Mutter handele moralisch richtiger, wenn sie das fremde Kind tötet, als wenn sie das eigene Kind tötet, bzw. umgekehrt, ist eine moralische Absurdidät!

Es ist aber die exakt analoge Situation wie mit dem Piloten und dem Flugzeugschaden!

Genauso absurd ist es zu behaupten, es sei moralisch richtiger, wenn der Pilot den Tod der Vorortsbewohner herbeiführt als wenn er den Tod der Zentrumsbewohner verursacht.

Die Frage „Hältst du es für moralisch richtig, wenn der Pilot auf Zentrum zusteuert?“, kann ich klar beantworten: NEIN!
Und die Frage „Hältst du es dann für moralisch richtig(er), wenn der Pilot auf den Vorort zusteuert, kann ich ebenso klar beantworten: NEIN!
Der Pilot ist in einer Situation, wo es kein richtiges Handeln mehr gibt, weil es IMMER falsch ist, Menschen zu töten (hier gibt’s auch kein „weniger“ falsch)! (Übrigens ist dies die umgekehrte Situation wie in meinem Rettungsdilemma mit den „Autos überm Abgrund“, wo es keine Möglichkeit gibt, falsch zu handeln, solange man eingreift!)

Diejenigen, die das anders sehen, mögen sich die Konsequenzen vor Augen halten, die ihre Position hat:

Ist es weniger schlimm, 2 Menschen zu töten als 4 Menschen?

Ist ein Mörder, der „nur“ 5 Menschen ermordet hat, als moralisch besser einzustufen als ein Mörder, der es auf 10 Mordopfer gebracht hat?

Sollen wir es Mördern zur moralischen Pflicht machen, dass, wenn sie schon das Morden nicht lassen können, sie besser 5 Menschen statt 10 ermorden sollen (resp. wenn schon, dann besser Zentrumsbewohner statt Vorortsbewohner, Männer statt Frauen, Greise statt Kindern usw.???!)


Auch hier wieder von meiner Seite: Natürlich nicht! PUNKTUM!


Zuletzt bearbeitet von Heiner am 28.05.2008, 20:15, insgesamt 5-mal bearbeitet
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Beitrag(#1009790) Verfasst am: 28.05.2008, 20:05    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
Fortsetzung, Teil 2 Smilie

Ich komme jetzt zum Flugzeug-Szenario. Ich möchte eine zweiteilige Beurteilung des Szenarios anstellen, und zwar einmal aus der Sicht eines Außenstehenden, der ins Szenario eintritt, und einmal aus der Sicht des Piloten, der von Anfang an ins Szenario involviert ist. Warum das für mich ein Unterschied ist, wird hoffentlich deutlich werden. [...] Auf die eigentlich interessante Frage, wie das Szenario aus Sicht des Piloten zu beurteilen, werde ich darauf aufbauend in einem nächsten Schritt eingehen.

- Fortsetzung folgt -

Okay, aber trotzdem mal eine kleine Zwischenfrage: Es spielt für Deine Argumentation in diesem Beitrag keine Rolle, ob es sich um ein bemanntes Flugzeug oder einen unbemannten Flugkörper handelt; Deine Argumentation (derjenige, der sich außerhalb des Flugzeuges / Flugkörpers befindet, ist ein Außenstehender, der nicht eingreifen darf) bleibt in beiden Fällen gleich, richtig?
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Beitrag(#1009870) Verfasst am: 28.05.2008, 21:28    Titel: Antworten mit Zitat

Hm, jetzt bin ich doch ein wenig verwirrt, denn Du widersprichst Dir selber:

Heiner hat folgendes geschrieben:
B.2. Die Mutter stiehlt der anderen Mutter die Nahrung, tötet somit deren Kind. Hier rettet die Mutter zwar ihr eigenes Kind, wird aber dennoch zur Kindsmörderin!

Heiner hat folgendes geschrieben:
Bleibt die Frage: Welche Möglichkeit hat denn die Mutter, die dem Kind die Nahrungsration entzogen hat, jetzt, moralisch richtig oder richtiger zu handeln? Antwort: GAR KEINE. Sie handelt immer falsch! Zu behaupten, die Mutter handele moralisch richtiger, wenn sie das fremde Kind tötet, als wenn sie das eigene Kind tötet, bzw. umgekehrt, ist eine moralische Absurdidät!

Okay, der zweite Fall unterscheidet sich vom ersten Fall dadurch, dass die Mutter hier die Ration des Kindes aufgegessen hat. Wieso aber spielt das für Deine Auffassung eine Rolle? Das verstehe ich noch nicht. Mir kommt das erst mal widersprüchlich vor.

Um mal ein wenig von dem Beispiel zu abstrahieren: meiner Meinung nach wäre es in beiden Fällen moralisch falsch, ein fremdes Kind zu töten, um das eigene Kind zu retten. Es gibt hier keinen intersubjektiv nachvollziehbaren Grund, warum das Leben des eigenen Kindes so wertvoll sein sollte, dass man dafür ein fremdes Kind sollte töten dürfen.

Auch dies, diese für Dich anscheinend zuerst mal prinzipielle Unterscheidung, verwirrt mich etwas:

Heiner hat folgendes geschrieben:
II. Betrachtet man das Flugzeug-Szenario aus der Sicht des Piloten, gibt es einen entscheidenden Unterschied zur Sicht des Außenstehenden, der hinzutritt. Der Pilot kann sich tatsächlich nicht damit herausreden, dass er für die Umstände (hier Kursrichtung) nichts kann. Der Pilot trägt zu jedem Zeitpunkt die Verantwortung für das, was durch das Flugzeug geschieht, und zwar ab dem Moment, wo er ins Cockpit steigt und er das Flugzeug startet.

Es gibt hier mMn keinen prinzipiellen Unterschied, nur graduelle Unterschiede. Jemand, der sich nicht im Flugkörper befindet, aber die Kontrolle darüber hat, ist in die Situation verwickelt (was vielleicht klarer wird, wenn man einen ferngesteuerten unbemannten Flugkörper annimmt, daher auch meine Frage im vorigen Beitrag). Ich sehe nicht, wie man das so klar trennen kann (der Pilot trägt voll die Verantwortung, der außerhalb des Flugkörpers sich Befindliche aber gar nicht).

Nun gut, dann spielt diese Verantwortung aber plötzlich keine Rolle mehr für Dich, daher ist mir nicht klar, wieso Du das oben überhaupt so betont hast ("entscheidender Unterschied"):

Heiner hat folgendes geschrieben:
Genauso absurd ist es zu behaupten, es sei moralisch richtiger, wenn der Pilot den Tod der Vorortsbewohner herbeiführt als wenn er den Tod der Zentrumsbewohner verursacht.


Heiner hat folgendes geschrieben:
Der Pilot ist in einer Situation, wo es kein richtiges Handeln mehr gibt, weil es IMMER falsch ist, Menschen zu töten (hier gibt’s auch kein „weniger“ falsch)!

Okay, genau an dieser Stelle ist unser Dissens. Natürlich ist es falsch, Menschen zu töten, aber mMn kann es (extreme Ausnahmesituationen) geben, in denen es besser ist, weniger Menschen zu töten als mehr Menschen zu töten.

Heiner hat folgendes geschrieben:
Diejenigen, die das anders sehen, mögen sich die Konsequenzen vor Augen halten, die ihre Position hat:

Ist es weniger schlimm, 2 Menschen zu töten als 4 Menschen?

Wie gesagt: ja, in Ausnahmesituationen würde ich das so sehen.

Heiner hat folgendes geschrieben:
Ist ein Mörder, der „nur“ 5 Menschen ermordet hat, als moralisch besser einzustufen als ein Mörder, der es auf 10 Mordopfer gebracht hat?

Weiß nicht, halte ich aber auch für unwesentlich, denn ich sehe bei dieser Frage keinen Zusammenhang zur bisherigen Diskussion.

Heiner hat folgendes geschrieben:
Sollen wir es Mördern zur moralischen Pflicht machen, dass, wenn sie schon das Morden nicht lassen können, sie besser 5 Menschen statt 10 ermorden sollen (resp. wenn schon, dann besser Zentrumsbewohner statt Vorortsbewohner, Männer statt Frauen, Greise statt Kindern usw.???!)

Auch dies hat mMn nichts mit den diskutierten moralischen Dilemmasituationen zu tun.
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Tassilo
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Beitrag(#1010170) Verfasst am: 29.05.2008, 12:16    Titel: Antworten mit Zitat

Das passt gut hierher (stammt von einer französischen Witzseite):

Lies folgende fiktive Situation gut durch. Am Schluss musst Du eine Entscheidung treffen. Bitte ehrlich antworten! Es geht hier um Deine ethische/moralische Einstellung.

Stell Dir vor, Du bist in Florida, genauer gesagt in Miami. Nach einer Flutkatastrophe ist alles überschwemmt und verwüstet. Du bist Fotoreporter einer großen Nachrichtenagentur. Du bist auf der Suche nach dem Foto Deines Lebens. Häuser werden vom Wasser weggespült, Menschen verschwinden in den Fluten, überall herrscht Chaos.
Da entdeckst Du einen Mann in einem Auto. Er ist drin gefangen und kann sich nicht selbst befreien. Das Auto wird bald von den Fluten weggetragen. Als Du näherkommst, erkennst Du, dass es George W. Bush ist. Es bleiben ein paar Sekunden Zeit, in denen Du ihn retten könntest.
Aber du könntest auch das Foto Deines Lebens machen. Der einflussreichste Mann der Welt in einer erschütternden Situation. Du würdest unendlich reich!

Und jetzt antworte ganz ehrlich auf die Frage:
Wofür entscheidest Du Dich?





Matt oder glänzend?
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Zumsel
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Beiträge: 4667

Beitrag(#1010247) Verfasst am: 29.05.2008, 14:19    Titel: Antworten mit Zitat

Tassilo hat folgendes geschrieben:
Aber du könntest auch das Foto Deines Lebens machen. Der einflussreichste Mann der Welt in einer erschütternden Situation. Du würdest unendlich reich!


Geld kannst du aus der Sache so oder so rausholen. Wenn du ihn rettest, verkaufst du statt des Photos eben deine Story und tingeltst durch die Talkshows der Welt.
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Heiner
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Beitrag(#1010390) Verfasst am: 29.05.2008, 19:11    Titel: Antworten mit Zitat

@all Um es noch mal festzuhalten: Es geht hier um zwei verschiedene Formen von Dilemmata. Zum einen um das Rettungs--Dilemma, zum anderen um das Tötungs-Dilemma. Oben ging es um das Tötungs-Dilemma, hier rede ich wieder vom Rettungs--Dilemma...

@Babyface

Du bist leider auf meinen Beitrag sinnentstellend eingegangen. Um das mal deutlich zu machen:
Ich schrieb...

Zitat:
Heiner
Du bestätigst meine Argumentation ja nur. Ja, ich hatte eine andere Möglichkeit, aber im Moment der Entscheidung hat man diese Möglichkeit aktuell nicht mehr. Damit ist man vom Vorwurf entlastet, das Lebensrecht des anderen zu verletzen.


Darauf du....
Zitat:
Babyface
Ok, daraus könnte man dann folgende allgemeine Regel abstrahieren:

Das Lebensrecht von Person A wird nur dann verletzt, wenn man aktuell (z.b im Moment der Handlung, die einer Entscheidung folgt) noch eine Möglichkeit hat, das Leben von Person A zu retten. Ob man früher die die Möglichkeit hatte, Person A zu retten, spielt keine Rolle.


Etwas weiter schreibst du dann...
Zitat:
Babyface
Scheinbar erklärt Deine (!) Regel sowohl in Dilemma- als auf Non-Dilemma Situationen Deine Beurteilung.


Zuerst glaubst du, eine allgemeine Regel aus meinen Ausführungen herleiten zu können und machst dann wenig später diese Regel zu meiner Regel, wodurch du mich widerlegt zu haben glaubst – diese allgemeine Regel ist aber nicht meine, sondern allenfalls deine Regel.
Meine Aussage

Zitat:
Heiner
Du bestätigst meine Argumentation ja nur. Ja, ich hatte eine andere Möglichkeit, aber im Moment der Entscheidung hat man diese Möglichkeit aktuell nicht mehr. Damit ist man vom Vorwurf entlastet, das Lebensrecht des anderen zu verletzen.


bezieht sich hier zum einen speziell auf die Dilemma-Situation, zum andern ist sie so so aus dem Zusammenhang gerissen vielleicht tatsächlich verkürzend und erläuterungsbedürftig (sodass man wie du vielleicht falsche Schlüsse ziehen könnte, allerdings nicht, wenn man meinen zitierten Beitrag weiterliest). Den Kern der (logischen) Begründung für meine Sicht des Rettungsdilemma habe ich im Folgenden ausgeführt – diesen Teil hast du leider vollständig ignoriert. Deine Aufforderung an mich

Zitat:
Folglich kann die Regel Deine Beurteilung nicht konsistent vorhersagen und damit Deine Behaptung, einen logischen Standpunkt zu vertreten, nicht begründen. Also formuliere bitte eine andere Regel.


ist also überflüssig. Ich brauche keine „neue“ Regel, ich bleibe aber einfach bei meiner alten. Die lautet nämlich nach wie vor so:

Zitat:
Heiner
Nein, denn das Lebensrecht eines Menschen verletze ich nur dann aktiv, wenn ich die Möglichkeit zu helfen habe und die Hilfe unterlasse.


Vor dem Hintergrund dieser „Regel“ wäre dann auch dein Brunnen/Selbstmörder-Szenario zu beurteilen, genauso übrigens wie das Rettungsdilemma.

Zitat:
Babyface
Person A ist in einen tiefen Brunnen gefallen und droht darin zu ertrinken. Kommt ein suizidaler zu dem Brunnen, bemerkt Person Bs Notlage, aber anstatt Person A zu helfen, springt er auch in den Brunnen. Beide ertrinken.

Hat der Selbstmörder das Lebensrecht des Ertrinkenden verletzt oder nicht?


Um die Frage, ob der Selbstmörder das Lebenrecht des Ertrinkenden aktiv verletzt hat, zu beantworten, muss man hier wie auch anderswo die Frage stellen: Hatte der Selbstmörder die Möglichkeit, den Ertrinkenden zu retten? Und weiter auch: Wenn nicht, wodurch war sein Vermögen eingeschränkt?

- Fortsetzung folgt -
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Heiner
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Anmeldungsdatum: 29.05.2006
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Beitrag(#1010446) Verfasst am: 29.05.2008, 20:22    Titel: Antworten mit Zitat

Rettungs-Dilemma, Teil 2

Jemand, der glaubhaft bestreiten möchte, das Lebensrecht eines anderen (schuldhaft) verletzt zu haben, müsste folgenden „Fragentest“ durchlaufen:

A: Du hast das Lebensrecht von C verletzt. Du musstest dem Lebensrecht von C nachkommen, hast es aber nicht getan.
B: Ich weise den Vorwurf zurück. Zwar musste ich dem Lebensrecht von C nachkommen, ich konnte es aber nicht/vermochte es nicht.
A: Warum konntest du es nicht?
B: Weil ich etwas anderes musste, genötigt war, etwas anderes zu tun (weil ein anderes Müssen/eine andere Notwendigkeit mich daran hinderte/dagegenstand).

Dabei kann diese letzte Notwendigkeit entweder eine naturhafte sein oder wieder eine moralische (also entweder handelte es sich um ein natürliches oder ein moralisches Hindernis).

Es ergibt sich folgende allgemeine Struktur:
Zwar musste ich B retten, ich konnte es aber nicht, da ich zu etwas anderem genötigt war/etwas anderes musste/mich eine andere Notwendigkeit hinderte.

Wen diese mit „da“ eingeleitete Begründung überzeugt, muss den Betreffenden vom Vorwurf, das Lebensrecht des anderen schuldhaft verletzt zu haben, freisprechen. Nach diesem Verfahren lassen sich nun verschiedene Szenarien überprüfen.

1.Ich sitze im Flugzeug, beim Start des Flugzeugs sehe ich, wie sich unten auf dem Rollfeld ein Unglück ereignet. Nach dem Flug will mir jemand vorwerfen: „Du hast ja nicht geholfen! Du hast das Lebensrecht der Verunglückten verletzt!“ Darauf ich:
Zwar musste ich den Verunglückten helfen, ich vermochte es aber nicht, da mein Aufenthalt im Flugzeug mich zu einer unüberwindbaren Distanz zu den Verunglückten nötigte.
Fazit: Ich bin vom Vorwurf freizusprechen.

2.Mein obiges Seenot-Szenario: Ich will sinkende Schiffpassagiere retten, gerate aber in einen Sturm, sodass ich nicht rechtzeitig ankomme.
Probe: [i]Zwar musste ich die Passagiere retten, ich konnte es aber nicht, da der Sturm mich zur Drosselung des Fahrtempos nötigte / da ich mit meinem Boot langsam fahren musste.

Fazit: Ich bin vom Vorwurf freizusprechen.

3.Peter sieht einen Schwerverletzten am Straßenrand liegen. Er möchte aber lieber Pizza essen gehen. Nun redet er sich so heraus:
Zwar musste ich dem Verletzten helfen, ich konnte es aber nicht, ***da ich Pizza essen gehen musste***.
Fazit: Da sich wohl niemand von Peter davon überzeugen lassen wird, er habe Pizza essen gehen „müssen“, ist er vom Vorwurf nicht freizusprechen.

4.Das Selbstmörder-Szenario: Ein Selbstmörder stürzt sich in einen Brunnen, in dem jemand ertrinkt.
Probe: Zwar musste der Selbstmörder den Ertrinkenden retten, aber er konnte es nicht, ***da er sich in den Bunnen stürzen musste.***
Beurteilung: Die einen werden dazu neigen, diese Begründung als ebenso unzulässig wie im Pizza-Szenario zu halten („Muss“ sich ein Selbstmörder umbringen?“). Die anderen werden unterstellen, dass ein Selbstmörder von einem so starken Wunsch nach Freitod geleitet sein muss, dass dies einem Müssen gleichkommt; sie werden die Aussage also für richtig halten.
Fazit: Die Berechtigung des Vorwurfs ist hier strittig, hängt von der Sicht des Beurteilenden ab.

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Heiner
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Beitrag(#1010471) Verfasst am: 29.05.2008, 20:44    Titel: Antworten mit Zitat

Rettungs-Dilemma, Teil 3

5. Kommen wir nun zurück zum Rettungsdilemma. Gegeben sei der Fall, dass ich in ein Rettungsdilemma gerate. A und B drohen zu sterben, ich kann aber nur A oder B retten. Ich rette A, B stirbt. Ein Angehöriger von B konfrontiert mich mit dem Vorwurf: „Du hast das Lebensrecht von B (schuldhaft) verletzt!“
Um die Probe zu machen, ist zunächst voranzustellen, dass Grundlage der Beurteilung der Grundsatz ist:
Jeder hat das gleiche Recht auf Leben, mithin das gleiche Recht, gerettet zu werden!
Daraus folgt: Wenn A in Not gerät, musst du A retten, wenn B in Not gerät, musst du ebenso B retten.

Daraus ergibt sich folgende Aussage: Zwar musste ich auch (!) B retten, ich vermochte dies aber nicht, da ich auch (!) A retten musste (und ich nur A retten konnte).

Im umgekehrten Fall, wenn ich B rette: Zwar musste ich auch (!) A retten, ich vermochte dies aber nicht, da ich auch (!) B retten musste (und ich nur B retten konnte).

Fazit: Wie in den anderen Fällen bin ich von dem Vorwurf, ich hätte das Lebensrecht des einen oder anderen schuldhaft verletzt, freizusprechen, da hier ein Müssen (ein exakt gleiches) dem ersten Müssen entgegensteht und mich dieses von der Erfüllung der Forderung, das erste Müssen zu befolgen, enthebt.

Zusammenfassung: Gerade, weil ich von dem Grundsatz ausgehe, dass jeder das gleiche Recht auf Leben/Rettung hat, tritt ein „logischer Mechanismus“ in Kraft, der dafür sorgt, dass ich in einem Rettungsdilemma niemals schuldhaft das Recht des anderen verletze - so ich denn eingreife -, weil hier stets ein (Retten-)Müssen gegen ein (Retten-)Müssen steht!

Nur dann, wenn Individuen ungleiches Recht auf Leben zugestanden wird, können Fälle auftreten, in denen bei einem Rettungsdilemma der Vorwurf, man habe das Lebensrecht von zu Rettenden verletzt, als berechtigt angesehen werden könnte. (Beispiel: Man rettet Männer statt Frauen, MUSS aber immer Frauen retten.)

Zitat:
Babyface
Nein, nach meiner Logik genügt jemand, der weder Person A noch Person B hilft, der Norm "Gleiches Lebensrecht für Person A und B", weil er in dieser Situation beiden Personen das gleiche Lebensrecht zuweist, nämlich gar keins.


Diese Logik basiert aber gewiss nicht auf dem Grundsatz, dass jeder das gleiche Recht auf Leben hat.
(Hier gehst du „von einem gleichen Recht auf Sterben“ aus, was ich reichlich absurd finde. Im übrigen geht es hier in den Bereich der juristischen Strafbarkeit...) skeptisch
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Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11519

Beitrag(#1010516) Verfasst am: 29.05.2008, 21:50    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
Rettungs-Dilemma, Teil 3

5. Kommen wir nun zurück zum Rettungsdilemma. Gegeben sei der Fall, dass ich in ein Rettungsdilemma gerate. A und B drohen zu sterben, ich kann aber nur A oder B retten. Ich rette A, B stirbt. Ein Angehöriger von B konfrontiert mich mit dem Vorwurf: „Du hast das Lebensrecht von B (schuldhaft) verletzt!“
Um die Probe zu machen, ist zunächst voranzustellen, dass Grundlage der Beurteilung der Grundsatz ist:
Jeder hat das gleiche Recht auf Leben, mithin das gleiche Recht, gerettet zu werden!
Daraus folgt: Wenn A in Not gerät, musst du A retten, wenn B in Not gerät, musst du ebenso B retten.

Nö, das folgt nicht, das sagst Du einfach.

Ich sage jedoch etwas anderes: Ich muss nur dann helfen, wenn ich durch Unterlassung der Hilfeleistung jemandes Recht verletze.


Deshalb beißt sich auch hier mE die Katze wieder mal gewaltig in den eigenen Schwanz:
Zitat:
Daraus ergibt sich folgende Aussage: Zwar musste ich auch (!) B retten, ich vermochte dies aber nicht, da ich auch (!) A retten musste (und ich nur A retten konnte).

Warum musste ich denn B überhaupt retten, wenn ich Bs Recht auf Leben gar nicht verletzt habe, wenn ich A gerettet habe? Warum musste ich denn A retten, wenn ich sein Recht auf Leben gar nicht verletzt hätte, wenn ich B gerettet hätte?

Das scheint mir doch eher eine Gefühlslogik als eine rationale Logik zu sein.
_________________
posted by Babyface
.
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Paul Lasker
Schachspieler



Anmeldungsdatum: 27.04.2008
Beiträge: 64
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1010753) Verfasst am: 30.05.2008, 12:14    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
B. Ich habe keine Möglichkeit, die Menschen im Stadtkern zu retten. Mir bleibt nur die Möglichkeit, das Flugzeug zum Vorort umzulenken und den Tod der Menschen dort herbeizuführen (das ist hier gegeben).

B.1 Ich verzichte auf die Möglichkeit, durch das Umlenken des Flugzeugs andere Menschen zu töten, die Menschen im Stadtzentrum sterben. Bin ich nun schuldhaft verantwortlich für den Tod des Menschen im Stadtzentrum? Nein! Denn ich hatte keine Möglichkeit, die Menschen im Stadtkern zu retten, ohne dafür andere töten zu müssen. Da ich keine Möglichkeiten hatte und ich das „letzte Mittel“ der Tötung nicht gewählt habe, bin ich von dem Vorwurf der schuldhaften Verantwortung für den Tod von Menschen freizusprechen.

B.2. Ich ergreife „das letzte Mittel“ der Tötung anderer, rette die Menschen im Stadtkern und führe den Tod der Menschen im Vorort herbei. Trage ich die Verantwortung für den Tod dieser Menschen? Ja, und zwar ist mir ganz allein die volle Verantwortung für den Tod dieser Menschen zuzusprechen!

Zusammenfassung: Analog zu dem Mutter-Kind-Beispiel gibt es hier für den Außenstehenden im Szenario 2 von 3 Fällen, in denen er die volle Verantwortung für den Tod von Menschen trägt. Nur im Fall B.1 ist er von der Verantwortung für den Tod von Menschen freizusprechen, genau wie die Mutter, die zusehen muss, wie ihr Kind verhungert, weil sie keine Möglichkeiten zu dessen Rettung hat und auf das letzte Mittel zu töten verzichtet.

Daher würde ich selbst auch die Variante B.1. wählen!

Wer hier einwendet „Haha! Du kannst dich ja nicht aus deiner Verantwortung stehlen, du hast ja durch dein Nichteingreifen den Tod der Menschen im Zentrum in Kauf genommen, du bist hierfür genauso verantwortlich“, müsste so konsequent sein, und eine Mutter im Fall B.1 ebenso eine schuldhafte Verantwortung für den Tod ihres Kindes anlasten; er müsste eine Mutter, die zusehen muss, wie ihr Kind verhungert, weil sie keine Möglichkeiten zu dessen Rettung hat und auf das letzte Mittel zu töten verzichtet, zur Mörderin an ihrem eigenen Kind erklären!

Das sehe ich völlig anders. Wenn der Absturz nicht mehr abzuwenden ist, dann trägt derjenige mit der Möglichkeit zur Kursänderung keine Schuld am Tod von wem auch immer. Egal ob er den Kurs ändert oder nicht. Allerdings trägt er eine Verantwortung. Nämlich den Ausmaß der Tragödie so gering wie möglich zu halten. Diese Verantwortung kann schwer sein. Manchmal vielleicht sogar untragbar schwer. Aber sie ist existent.
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Heiner
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Anmeldungsdatum: 29.05.2006
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Beitrag(#1010826) Verfasst am: 30.05.2008, 14:15    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Heiner hat folgendes geschrieben:
Rettungs-Dilemma, Teil 3

5. Kommen wir nun zurück zum Rettungsdilemma. Gegeben sei der Fall, dass ich in ein Rettungsdilemma gerate. A und B drohen zu sterben, ich kann aber nur A oder B retten. Ich rette A, B stirbt. Ein Angehöriger von B konfrontiert mich mit dem Vorwurf: „Du hast das Lebensrecht von B (schuldhaft) verletzt!“
Um die Probe zu machen, ist zunächst voranzustellen, dass Grundlage der Beurteilung der Grundsatz ist:
Jeder hat das gleiche Recht auf Leben, mithin das gleiche Recht, gerettet zu werden!
Daraus folgt: Wenn A in Not gerät, musst du A retten, wenn B in Not gerät, musst du ebenso B retten.

Nö, das folgt nicht, das sagst Du einfach.

Ich sage jedoch etwas anderes: Ich muss nur dann helfen, wenn ich durch Unterlassung der Hilfeleistung jemandes Recht verletze.


Deshalb beißt sich auch hier mE die Katze wieder mal gewaltig in den eigenen Schwanz:


Ne, denn du machst hier den 2. Schritt vor dem 1. Bei dir beißt der Schwanz in die Katze.zwinkern

Wie willst du denn überhaupt feststellen, ob du jemandes Recht verletzt? Nur so, wie ich es beschrieben habe, wenn du nämlich prioritär von einem „Muss“ (einem moralischen Gebot/rechtlichen Anspruch) ausgehst!

Im Rechtsstaat wird jedem Individuum, das in Not gerät, das prinzipielle Recht zugestanden, dass ihm geholfen werde. Gerät ein Individuum in eine lebensbedrohliche Lage, richtet sich die prinzipielle Forderung an die Gemeinschaft: Ihr müsst mir helfen! Ich habe einen Anspruch darauf, dass ihr mir helft!“ Wer dieser Forderung nicht nachkommt, zieht sich zunächst den Vorwurf zu, dass er das Recht des Bedrohten nicht erfüllt hat. Ob dieser Vorwurf tatsächlich eine Schuld desjenigen, der dieser Forderung nicht nachgekommen ist, begründet, es sich hier also um eine schuldhafte Rechtsverletzung handelt, wäre erst in einem nächsten Schritt zu prüfen.

So kann es ja auch sein, dass prinzipiell jeder (ob schuldig oder nicht schuldig) aufgrund eines solchen Vorwurfs angeklagt werden kann! In deiner Rechtsordnung wäre es so, dass Unschuldige gar nicht angeklagt werden könnten (sondern nur Schuldige).

Am praktischen Beispiel: An einem Unfallort richtet sich an alle Anwesenden die prinzipielle rechtliche Forderung: „Ihr müsst dem Unfallopfer helfen!“ Wer nicht hilft, zieht sich den Vorwurf zu, dass er diesem rechtlichen Anspruch des Opfers nicht nachgekommen ist. Natürlich wird nicht jeder, der nicht hilft, angeklagt, aber jeder, der nicht hilft, muss prinzipiell auch damit rechnen, angeklagt werden zu können.

Angenommen, es tritt ein solcher Fall ein, ich war am Unfallort und habe nicht geholfen, nun werde ich wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Dann werde ich nicht damit durchkommen, wenn ich sage: „Ich weigere mich angeklagt zu werden! Ich muss nur dann helfen, wenn ich durch Unterlassung der Hilfeleistung jemandes Recht verletze.

Dann wird der Richter sagen: „Moment, Sie machen den 2. Schritt vor dem ersten. Tatsache ist, dass es eine Pflicht zu helfen gab. Was wir überprüfen müssen, ist, warum Sie diese Pflicht nicht erfüllt haben. Am Ende können wir dann beurteilen, ob Sie sich am Recht des anderen schuldig gemacht haben oder ob Sie unschuldig sind.“

Das Prüfverfahren läuft so, wie ich es beschrieben habe. Am Ende wird entscheidend sein, inwiefern ich als Angeklagter glaubhaft machen kann, dass mich an der Erfüllung der rechtlichen Notwendigkeit zu helfen eine andere Notwendigkeit hinderte. Wenn ich sage: „Zwar musste ich dem Unfallopfer helfen, ich konnte dies aber nicht, da ich meiner Freundin eine SmS schreiben musste (und gerade keine Zeit hatte)“, werde ich den Richter wohl nicht von meiner Unschuld überzeugen können. Am Ende lautet das Urteil: Schuldig!
Wenn ich hingegen sage: „Zwar musste ich dem Unfallopfer helfen, ich konnte dies aber nicht, da mich die Abwendung von Lebensgefahr für mich selbst zum Nichteingreifen nötigte“, werde ich, falls glaubhaft, freigesprochen werden, da hier das „Helfen-Müssen“ dem „Sich nicht für andere aufopfern-Müssen“ gegenübersteht.

Fazit: Eine Pflichtentbindung im vorneherein, wie du sie verlangst, kann es also sinnvollerweise nicht geben.
Eine solche Pflichtentbindung kann allenfalls im nachhinein erfolgen, wie im Falle des Rettungsdilemmas für das eine von beiden Opfern.

Nach genau den gleichen Grundsätzen und Verfahren verhält es sich also auch im Rettungsdilemma und der Frage, inwiefern ich mich am Recht des jeweils anderen schuldig mache!

Insofern....

Zitat:


Das scheint mir doch eher eine Gefühlslogik als eine rationale Logik zu sein.


zieht dieser Vorwurf nicht.
Chinesischer Reissack
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Babyface
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#1011004) Verfasst am: 30.05.2008, 20:11    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Heiner hat folgendes geschrieben:
Rettungs-Dilemma, Teil 3

5. Kommen wir nun zurück zum Rettungsdilemma. Gegeben sei der Fall, dass ich in ein Rettungsdilemma gerate. A und B drohen zu sterben, ich kann aber nur A oder B retten. Ich rette A, B stirbt. Ein Angehöriger von B konfrontiert mich mit dem Vorwurf: „Du hast das Lebensrecht von B (schuldhaft) verletzt!“
Um die Probe zu machen, ist zunächst voranzustellen, dass Grundlage der Beurteilung der Grundsatz ist:
Jeder hat das gleiche Recht auf Leben, mithin das gleiche Recht, gerettet zu werden!
Daraus folgt: Wenn A in Not gerät, musst du A retten, wenn B in Not gerät, musst du ebenso B retten.

Nö, das folgt nicht, das sagst Du einfach.

Ich sage jedoch etwas anderes: Ich muss nur dann helfen, wenn ich durch Unterlassung der Hilfeleistung jemandes Recht verletze.


Deshalb beißt sich auch hier mE die Katze wieder mal gewaltig in den eigenen Schwanz:


Ne, denn du machst hier den 2. Schritt vor dem 1. Bei dir beißt der Schwanz in die Katze.zwinkern

Wie willst du denn überhaupt feststellen, ob du jemandes Recht verletzt? Nur so, wie ich es beschrieben habe, wenn du nämlich prioritär von einem „Muss“ (einem moralischen Gebot/rechtlichen Anspruch) ausgehst!

Kein Problem. Ich gehe ja auch von einem "Muss" aus: "Man muss helfen, wenn jemand in Not ist und man die Möglichkeit zu helfen hat."

Du gehst halt von einem anderen "Muss" aus: "Man muss helfen, wenn jemand in Not ist, egal ob man die Möglichkeit zu helfen hat oder nicht."

Und Ich kann nicht erkennen, dass Dein "Muss" logischer begründeter wäre als meines. Beides sind nur verschiedene Prämissen.


Zitat:
Im Rechtsstaat wird jedem Individuum, das in Not gerät, das prinzipielle Recht zugestanden, dass ihm geholfen werde. Gerät ein Individuum in eine lebensbedrohliche Lage, richtet sich die prinzipielle Forderung an die Gemeinschaft: Ihr müsst mir helfen! Ich habe einen Anspruch darauf, dass ihr mir helft!“ Wer dieser Forderung nicht nachkommt, zieht sich zunächst den Vorwurf zu, dass er das Recht des Bedrohten nicht erfüllt hat.

Ich glaube nicht, dass jemand überhaupt auf die Idee käme, z.b. einem Baby in Nordeutschland zunächst einen Vorwurf zu machen, wenn es einem Menschen in Süddeutschland in einer Notsituation nicht geholfen hat. Und ich glaube auch eher nicht, dass überrhaupt jemand auf die Idee käme, dass das Baby "zwar hätte helfen müssen". Hier punktet mein "Muss" zwar nicht mit überlegegner Logik, aber zumindest mit höherer Augenscheinvalidität.

Zitat:
Ob dieser Vorwurf tatsächlich eine Schuld desjenigen, der dieser Forderung nicht nachgekommen ist, begründet, es sich hier also um eine schuldhafte Rechtsverletzung handelt, wäre erst in einem nächsten Schritt zu prüfen.

So kann es ja auch sein, dass prinzipiell jeder (ob schuldig oder nicht schuldig) aufgrund eines solchen Vorwurfs angeklagt werden kann! In deiner Rechtsordnung wäre es so, dass Unschuldige gar nicht angeklagt werden könnten (sondern nur Schuldige).

Das ist jetzt wirklich Unsinn. Selbstverständlich erlaubt meine Position die Anklage Unschuldiger, und zwar all jener, die nicht geholfen haben und von denen der Staatsanwalt irrtümlicherweise glaubt, dass sie nicht geholfen haben, obwohl sie helfen konnten. Denn daraus folgt bei mir ein Helfen müssen bzw. eine Verletzung des Lebensrechts.

Im Prinzip werden vor Gerichten konkurrierende Hypothesen/Behauptungen geprüft. Diese würde man gemäß meinem "Muss" so formulieren:

Staatsanwalt: "Der Angeklagte musste helfen, weil er die Möglichkeit hatte zu helfen. Deshalb hat er ein Lebensrecht verletzt."

Verteidiger: "Der Angeklagte musste nicht helfen, weil er keine Möglichkeit hatte zu helfen. Damit hat er auch niemandes Lebensrecht verletzt."

Die Schlussfolgerung: "Er hat das Lebensrecht nicht verletzt, musste aber helfen", ist dann logisch ausgeschlossen.


Zitat:
Angenommen, es tritt ein solcher Fall ein, ich war am Unfallort und habe nicht geholfen, nun werde ich wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Dann werde ich nicht damit durchkommen, wenn ich sage: „Ich weigere mich angeklagt zu werden! Ich muss nur dann helfen, wenn ich durch Unterlassung der Hilfeleistung jemandes Recht verletzt.

Dann wird der Richter sagen: „Moment, Sie machen den 2. Schritt vor dem ersten. Tatsache ist, dass es eine Pflicht zu helfen gab. Was wir überprüfen müssen, ist, warum Sie diese Pflicht nicht erfüllt haben. Am Ende können wir dann beurteilen, ob Sie sich am Recht des anderen schuldig gemacht haben oder ob Sie unschuldig sind.“

Genauso könnte er sagen: "Sie haben damit völlig Recht. Sie mussten hier tatsächlich nur helfen, wenn sie durch die Unterlassung das Lebensrecht des Opfers verletzt haben. Vor Gericht soll geprüft werden, ob Sie das Lebenrecht des Opfers verletzt haben, indem sie nicht geholfen haben, obwohl sie es konnten."

Zitat:
Fazit: Eine Pflichtentbindung im vorneherein, wie du sie verlangst, kann es also sinnvollerweise nicht geben.

Ich verlange keine Pflichtentbindung von vornherein. Entweder lag eine Pflicht vor oder nicht. Und das muss eben geprüft werden. Am Ende kommt man entweder zu dem Ergebnis, dass keine Pflicht vorlag, dann musste er auch nicht helfen. Oder es lag eine Pflicht vor, dann musste er helfen.

Zitat:
Eine solche Pflichtentbindung kann allenfalls im nachhinein erfolgen, wie im Falle des Rettungsdilemmas für das eine von beiden Opfern.

Eine Pflichtentbindung besteht aber nicht darin, die Behauptung der Pflicht zu wiederholen: "Sie mussten hier zwar helfen (d.h. Sie hatten die Pflicht), aber sie konnten ja nicht", sondern sie zu negieren: "Sie mussten hier nicht helfen (d.h. Sie waren von der Pflicht entbunden), weil sie nicht konnten".

Ich bleibe daher bei meinem Standpunkt: Ich muss nur dann helfen, wenn ich durch Unterlassung der Hilfeleistung jemandes Recht verletze.

Und ob ich dieses Recht bei Unterlassung verletze, hängt ab davon, ob ich die Möglicheit hatte zu helfen oder nicht.

Wie oben gezeigt, führt diese Prämisse nicht zu den von Dir unterstellten absurden Konsequenzen. Sie ist nicht mehr oder weniger logisch wie Deine Prämisse, dass man helfen musste, obwohl man das Lebensrecht durch Unterlassung gar nicht verletzt hat. Deshalb bleibt es dabei, dass Deine Begründung, warum man in der Dilemma Situation mit der Rettung von A nicht das Lebensrecht von B verletzt:

Heiner hat folgendes geschrieben:
Daraus ergibt sich folgende Aussage: Zwar musste ich auch (!) B retten, ich vermochte dies aber nicht, da ich auch (!) A retten musste (und ich nur A retten konnte).

...die Gültigkeit einer nicht logisch begründeten Prämisse voraussetzt, die ich folglich nicht akzeptieren muss und die ich auch nicht akzeptiere werde. Folglich ist Deine Argumentation, man habe das Lebensrecht von B logischerweise nicht verletzt, zirkelschlüssig.
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Heiner
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Beitrag(#1011024) Verfasst am: 30.05.2008, 20:48    Titel: Antworten mit Zitat

@Babyface:

Wir verlieren uns hier in Haarspalterei. Um es übersichtlicher zu machen. Das, was ich dargestellt habe, läuft schlicht unter dem Begriff Pflichtenkollision.

Ich zitiere einfach mal, was WIKI dazu schreibt

Zitat:
Die Pflichtenkollision ist ein besonderer Rechtfertigungsgrund bei Unterlassungsdelikten.

Eine Pflichtenkollision liegt vor, wenn der vermeintliche Täter gleichzeitig mehreren Handlungspflichten nachzukommen hat, aber nur einer davon genügen kann. Schulbeispiel ist der Rettungsschwimmer, der beobachtet, dass gleichzeitig zwei Nichtschwimmer zu ertrinken drohen, aufgrund der Entfernung der Opfer zu seinem Standort aber nur einen der beiden zu retten vermag.

Für derartige Fälle gilt daher, dass derjenige nicht rechtswidrig handelt, der im Falle einer Pflichtenkollision der höheren oder einer gleichrangigen Pflicht genügt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Pflichtenkollision


Es ist exakt das, was ich für das Rettungsdilemma ausgeführt hatte:

Zwei Pflichten kollidieren.

Pflicht 1: Rette A, du musst A retten
Pflicht 2: Rette B, du musst B retten

Dilemma: Ich kann nur einer Pflicht genügen.
Folglich bin ich von der anderen Pflicht entbunden.

Also: Zwar musste ich auch B retten (s.o. "Du musst B retten), vermochte es aber nicht, da ich auch A retten musste (s.o. "Du musst A retten").
Folglich genügte ich meinen Pflichten, wenn ich A (bzw. im anderen Fall B) rettete.

Ich habe mich im Dilemma also am Recht des jeweils anderen nicht schuldig gemacht.
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Babyface
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11519

Beitrag(#1011065) Verfasst am: 30.05.2008, 21:32    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
@Babyface:

Wir verlieren uns hier in Haarspalterei. Um es übersichtlicher zu machen. Das, was ich dargestellt habe, läuft schlicht unter dem Begriff Pflichtenkollision.

Ich zitiere einfach mal, was WIKI dazu schreibt

Zitat:
Die Pflichtenkollision ist ein besonderer Rechtfertigungsgrund bei Unterlassungsdelikten.

Eine Pflichtenkollision liegt vor, wenn der vermeintliche Täter gleichzeitig mehreren Handlungspflichten nachzukommen hat, aber nur einer davon genügen kann. Schulbeispiel ist der Rettungsschwimmer, der beobachtet, dass gleichzeitig zwei Nichtschwimmer zu ertrinken drohen, aufgrund der Entfernung der Opfer zu seinem Standort aber nur einen der beiden zu retten vermag.

Für derartige Fälle gilt daher, dass derjenige nicht rechtswidrig handelt, der im Falle einer Pflichtenkollision der höheren oder einer gleichrangigen Pflicht genügt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Pflichtenkollision


Es ist exakt das, was ich für das Rettungsdilemma ausgeführt hatte:

Zwei Pflichten kollidieren.

Pflicht 1: Rette A, du musst A retten
Pflicht 2: Rette B, du musst B retten

Dilemma: Ich kann nur einer Pflicht genügen.
Folglich bin ich von der anderen Pflicht entbunden.

Also: Zwar musste ich auch B retten (s.o. "Du musst B retten), vermochte es aber nicht, da ich auch A retten musste (s.o. "Du musst A retten").
Folglich genügte ich meinen Pflichten, wenn ich A (bzw. im anderen Fall B) rettete.

Ich habe mich im Dilemma also am Recht des jeweils anderen nicht schuldig gemacht.

Ähm, inwiefern ist ein nach Wiki zitierter Paragraph ein Argument? Paragraphen sollten aus Argumenten resultieren und nicht umgekehrt.

Zudem kann ich soweit auch keinen Widerspruch mit meinem Standpunkt erkennen. Mein Standpunkt macht klar die Vorhersage, dass A gerettet werden muss, weil die Möglichkeit besteht, A zu retten. Und man muss B retten, weil man die Möglichkeit hat, B zu retten. Von einer Pflichtentbindung ist im Artikel gar nicht die Rede, es wird nur festgelegt, dass es nicht rechtswidrig sei, wenn man nur einer Pflicht nachkommt.

Fazit: Der Artikel enthält keine neue Argumente und trägt somit nichts zur Klärung bei.

Bitte gehe auf das ein, was ich Dir oben geantwortet habe.
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Heiner
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Anmeldungsdatum: 29.05.2006
Beiträge: 1217

Beitrag(#1011073) Verfasst am: 30.05.2008, 21:56    Titel: Antworten mit Zitat

@AgentProvocateur
Heiner hat folgendes geschrieben:
Bleibt die Frage: Welche Möglichkeit hat denn die Mutter, die dem Kind die Nahrungsration entzogen hat, jetzt, moralisch richtig oder richtiger zu handeln? Antwort: GAR KEINE. Sie handelt immer falsch! Zu behaupten, die Mutter handele moralisch richtiger, wenn sie das fremde Kind tötet, als wenn sie das eigene Kind tötet, bzw. umgekehrt, ist eine moralische Absurdidät!

Zitat:
AgentProvocateur
Okay, der zweite Fall unterscheidet sich vom ersten Fall dadurch, dass die Mutter hier die Ration des Kindes aufgegessen hat. Wieso aber spielt das für Deine Auffassung eine Rolle? Das verstehe ich noch nicht. Mir kommt das erst mal widersprüchlich vor.


Die Mutter, die dem Kind die Nahrung wegisst und damit das Kind mit dem Tod bedroht, ist vergleichbar mit dem Piloten, der ins Flugzeug steigt und dadurch im Schadensfall die Menschen da unten mit dem Tod bedroht. Wenn die Mutter überlegt, ein anderes Kind für ihr eigenes zu töten, gerät sich in das gleiche Tötungsdilemma wie der Pilot, der überlegt, lieber die Vorortsbewohner als die Zentrumsbewohner mit dem Tod zu bedrohen.

Zitat:
Um mal ein wenig von dem Beispiel zu abstrahieren: meiner Meinung nach wäre es in beiden Fällen moralisch falsch, ein fremdes Kind zu töten, um das eigene Kind zu retten. Es gibt hier keinen intersubjektiv nachvollziehbaren Grund, warum das Leben des eigenen Kindes so wertvoll sein sollte, dass man dafür ein fremdes Kind sollte töten dürfen.


Wenn wir uns hier einigen können, ist es ja gut. Doch wie konsequent hältst du deine Position durch, z.B. im Flugzeugszenario?

Zitat:
Auch dies, diese für Dich anscheinend zuerst mal prinzipielle Unterscheidung, verwirrt mich etwas:

Heiner hat folgendes geschrieben:
II. Betrachtet man das Flugzeug-Szenario aus der Sicht des Piloten, gibt es einen entscheidenden Unterschied zur Sicht des Außenstehenden, der hinzutritt. Der Pilot kann sich tatsächlich nicht damit herausreden, dass er für die Umstände (hier Kursrichtung) nichts kann. Der Pilot trägt zu jedem Zeitpunkt die Verantwortung für das, was durch das Flugzeug geschieht, und zwar ab dem Moment, wo er ins Cockpit steigt und er das Flugzeug startet.

Es gibt hier mMn keinen prinzipiellen Unterschied, nur graduelle Unterschiede. Jemand, der sich nicht im Flugkörper befindet, aber die Kontrolle darüber hat, ist in die Situation verwickelt (was vielleicht klarer wird, wenn man einen ferngesteuerten unbemannten Flugkörper annimmt, daher auch meine Frage im vorigen Beitrag). Ich sehe nicht, wie man das so klar trennen kann (der Pilot trägt voll die Verantwortung, der außerhalb des Flugkörpers sich Befindliche aber gar nicht).


Nein, es macht keinen Unterschied, ob der Pilot ins Cockpit steigt oder ob er draußen bleibt und sich an eine Fernsteuerung setzt. Es macht aber einen Unterschied, ob ein Nichtinvolvierter hinzutritt, ihm die Kontrolle angeboten wird und er die Kontrolle ablehnt.

Heiner hat folgendes geschrieben:
Genauso absurd ist es zu behaupten, es sei moralisch richtiger, wenn der Pilot den Tod der Vorortsbewohner herbeiführt als wenn er den Tod der Zentrumsbewohner verursacht.


Heiner hat folgendes geschrieben:
Der Pilot ist in einer Situation, wo es kein richtiges Handeln mehr gibt, weil es IMMER falsch ist, Menschen zu töten (hier gibt’s auch kein „weniger“ falsch)!


Zitat:
Okay, genau an dieser Stelle ist unser Dissens. Natürlich ist es falsch, Menschen zu töten, aber mMn kann es (extreme Ausnahmesituationen) geben, in denen es besser ist, weniger Menschen zu töten als mehr Menschen zu töten.


Und wie begründest du, dass dies besser wäre? Wie vereinbarst du das mit dem "gleichen Lebensrecht für alle"? Oder zweifelst du diesen Grundsatz an?


Heiner hat folgendes geschrieben:
Diejenigen, die das anders sehen, mögen sich die Konsequenzen vor Augen halten, die ihre Position hat:

Ist es weniger schlimm, 2 Menschen zu töten als 4 Menschen?

Zitat:
Wie gesagt: ja, in Ausnahmesituationen würde ich das so sehen.


Dann verstehe ich nicht, warum die die folgenden Aussagen nicht ebenso konsequent in diesem Sinne bejahst:

Heiner hat folgendes geschrieben:
Ist ein Mörder, der „nur“ 5 Menschen ermordet hat, als moralisch besser einzustufen als ein Mörder, der es auf 10 Mordopfer gebracht hat?

Zitat:
Weiß nicht, halte ich aber auch für unwesentlich, denn ich sehe bei dieser Frage keinen Zusammenhang zur bisherigen Diskussion.


Siehst du diesen Zusammenhang wirklich nicht oder willst du ihn nicht sehen?
Ich hätte auch schreiben können:

Ist das Handeln eines Täters, der „nur“ 5 Menschen getötet hat, als moralisch besser einzustufen als das Handeln eines Täters, der es auf 10 Tötungsopfer gebracht hat?

Darauf müsstest du jetzt wieder antworten: "Ja, es kann durchaus so sein."

Macht es jetzt einen Unterschied, ob ich "morden" oder "töten" sage?

Heiner hat folgendes geschrieben:
Sollen wir es Mördern zur moralischen Pflicht machen, dass, wenn sie schon das Morden nicht lassen können, sie besser 5 Menschen statt 10 ermorden sollen (resp. wenn schon, dann besser Zentrumsbewohner statt Vorortsbewohner, Männer statt Frauen, Greise statt Kindern usw.???!)

Zitat:
Auch dies hat mMn nichts mit den diskutierten moralischen Dilemmasituationen zu tun.


O doch, hat es, mir scheint aber, du willst die Konsequenzen deiner Position nicht wahrhaben...
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Heiner
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Beitrag(#1011100) Verfasst am: 30.05.2008, 22:30    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Ähm, inwiefern ist ein nach Wiki zitierter Paragraph ein Argument? Paragraphen sollten aus Argumenten resultieren und nicht umgekehrt.


Genau genommen ist es kein Paragraph, sondern eine Erläuterung der bestehenden Rechtslage.
Die argumentative Begründung dessen habe ich aufgezeigt...

Zitat:
Zudem kann ich soweit auch keinen Widerspruch mit meinem Standpunkt erkennen.


Ich schon. Der Hauptwiderspruch liegt darin, dass du ja der Ansicht bist, man handele dann im Sinne des Lebensrechts beider Opfer, wenn man beide nicht rettet (übrigens klar rechtswidrig, wie auch der WIKI-Artikel zeigt).
Irgendetwas stimmt da also bei deiner Position nicht und es deckt sich auch nicht mit der zitierten Rechtslage. Cool

Zitat:
Mein Standpunkt macht klar die Vorhersage, dass A gerettet werden muss, weil die Möglichkeit besteht, A zu retten. Und man muss B retten, weil man die Möglichkeit hat, B zu retten.


Bis du jetzt eigentlich von deiner ursprünglichen Position abgerückt, die ja lautete, man müsse beide nicht retten, wenn man (folge)richtig handelt? Auf den Arm nehmen

Zitat:
Von einer Pflichtentbindung ist im Artikel gar nicht die Rede, es wird nur festgelegt, dass es nicht rechtswidrig sei, wenn man nur einer Pflicht nachkommt.


Es wird nicht einfach festgelegt, sondern man kann dies folgerichtig herleiten. Die argumentative Herleitung habe ich oben breit ausgeführt.
(Nämlich dass stets eine moralische Notwendigkeit einer anderen moralischen Notwendigkeit gegenübersteht, wobei letzte das Handeln rechtfertigt.... Ich müsste mich aber jetzt wiederholen...

Zitat:
Fazit: Der Artikel enthält keine neue Argumente und trägt somit nichts zur Klärung bei.


Er bekräftigt meine Position und mach noch einmal deutlich, dass im Dilemma von
ZWEI Pflichten auszugehen ist, nicht von EINER.

Zitat:
Bitte gehe auf das ein, was ich Dir oben geantwortet habe.


Ich habe deinen Einwand schon verstanden. Der Unterschied zu meiner Position ist, dass du die Sache immer vom Ende her denkst, während ich sie vom Anfang her angehe.
Du gehst davon aus, dass man "A retten muss, B muss man aber nicht retten". Oder "B muss man retten, A muss man aber nicht retten".
Du gehst also immer nur von EINER Pflicht aus, die man befolgen muss.

Während ich betonte, dass man von ZWEI Pflichten ausgehen muss, die man gegeneinander zu stellen hat. Erst aus der Gegenüberstellung BEIDER Pflichten ergibt sich, dass man auch dann gerechtfertigt handelt, wenn man nur EINE Pflicht befolgt.

Wenn ich dich nicht richtig verstanden haben sollte, kannst du es ja korrigieren.

Noch einmal die Frage an dich: Glaubst du, dass es im Rettungsdilemma ZWEI Pflichten gibt oder nur EINE?


Zuletzt bearbeitet von Heiner am 30.05.2008, 22:47, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Babyface
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11519

Beitrag(#1011101) Verfasst am: 30.05.2008, 22:31    Titel: Antworten mit Zitat

Heiner hat folgendes geschrieben:
Sollen wir es Mördern zur moralischen Pflicht machen, dass, wenn sie schon das Morden nicht lassen können, sie besser 5 Menschen statt 10 ermorden sollen

Naja, wenn mich ein Mensch anruft und sagt, dass er gleich losziehen will um 10 Menschen zu ermorden, mir aber das Angebot unterbreitet, nur 5 Menschen zu töten, wenn mir das lieber wäre, würde ich das Angebot wohl nicht ausschlagen. Würdest Du auch so entscheiden oder wieder eine Münze werfen?
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posted by Babyface
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Heiner
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Anmeldungsdatum: 29.05.2006
Beiträge: 1217

Beitrag(#1011111) Verfasst am: 30.05.2008, 22:43    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Heiner hat folgendes geschrieben:
Sollen wir es Mördern zur moralischen Pflicht machen, dass, wenn sie schon das Morden nicht lassen können, sie besser 5 Menschen statt 10 ermorden sollen

Naja, wenn mich ein Mensch anruft und sagt, dass er gleich losziehen will um 10 Menschen zu ermorden, mir aber das Angebot unterbreitet, nur 5 Menschen zu töten, wenn mir das lieber wäre, würde ich das Angebot wohl nicht ausschlagen. Würdest Du auch so entscheiden oder wieder eine Münze werfen?


Wie käme ich dazu, mich auch nur im Ansatz auf ein solch absurdes "Angebot" einzulassen?? Weinen
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