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Malcolm Ekelpaket
Anmeldungsdatum: 25.07.2007 Beiträge: 1231
Wohnort: Hamburg
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(#1183795) Verfasst am: 17.01.2009, 15:54 Titel: |
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ateyim hat folgendes geschrieben: |
Und... es sitzt in mir drin. Bis auf den Umstand, dass ich kein Gebet spreche, hebe ich Brot vom Boden auf und lege es beiseite.
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Hallo Ateyim,
nun, das überrascht mich nun allerdings doch. Aber ich verstehe das sehr gut. Manche Dinge sitzen halt tief drin und man möchte vielleicht solche kulturellen Prägungen auch gar nicht ablegen. Ich denke, Du wirst dabei vermutlich auch nicht die Strafe Allahs ernsthaft in Betracht ziehen.
Im übrigen ist die Sache mit dem Brot vielleicht auch ein bißchen lächerlich. Um das Brot als solches geht es ja nicht; mir ist es durchaus aufgefallen, daß die Türken auf den Schiffen die Möven mit Brot gefüttert haben und mir war natürlich auch klar, warum, denn da konnte eben keiner drauf treten.
Aber ich finde die Sache mit dem Brot trotzdem "irgendwie schön". Brot ist ja in einem christlichen Kontext auch heilig, im Rahmen der Eucharistie, wie Du ja weißt. Daran denke ich auch. Allerdings braucht das christliche Brot durchaus der Weihe, um heilig zu werden. Im Islam dagegen ist es als etwas durchaus profanes heilig. Und das finde ich dann schön. Wie mich überhaupt dieses "spirituelle Dreieck" der drei abrahamitischen Religionen fasziniert. Ach ja, ich würde gerne mal wieder nach Istanbul verreisen - war eine faszinierende Erfahrung. Man entkommt auch einfach mal dem Dunstkreis des christlichen Abendlandes, die Leute da sind einfach wirklich mal ein bißchen anders und das spürst Du einfach, da hat das Christentum nichts zu sagen und das ist auch mal eine tolle Erfahrung. Nur in ein totalitäres Islamregime zu fahren, muß bedrückend sein, und weils eben nicht so ist, mag ich auch die Türkei.
Neulich hatte ich übrigens ein tolles Erlebnis. War in meiner Stammkneipe und unterhielt mich wieder mal mit einem Türken dort und plötzlich faßt der mich beim Arm und sagt: "Mensch, Du bist doch ein Türke". Also von dem werde ich jetzt als Türke anerkannt und das hat mich sehr gefreut, obwohl ich vermutlich so deutsch bin, daß es mir aus den Ohren raus kommt und katholisch auch noch. Aber ich finde die Türkei schon ein unheimlich interessantes Land. Atatürk interessiert mich, aber ich lese auch häufig in der deutschsprachigen Istanbul Post, die über die Türkei berichtet.
Oder ich habe gelegentlich in Turkdunya gelesen, einem deutsche Türkenforum. Da erstaunt mich dann die bemerkenswerte Toleranz. Da schreiben auch irgendwelche deutschsprachigen Rechten und lassen ihren Haß auf den Islam und die Türken ab. Anderswo wären die - zu Recht - achtkantig raus geflogen, aber die Türken nehmens locker. Und die haben ( häufig) auch einen sehr gutmütigen Humor. All so etwas beobachte ich halt, wobei es sicherlich unter den Türken wie unter allen Nationen absolute Dummköpfe gibt, aber so die türkische Mentalität, wie sie sich seit Atatürk ausgeprägt, auch vielleicht diese gewisse postkoloniale Großkotzigkeit der alten Ottomanen, die aber vielleicht auch eine gewisse weniger provinzielle Weltläufigkeit beinhaltet - all das finde ich in höchstem Maße interessant. Islamische Prägung, ja, aber eben auch diese postkoloniale Weltläufigkeit ( "wir waren mal Mittelpunkt eines Imperiums, hier hat mal die Musik gespielt und spielt sie immer noch"), Laizismus und Westbindung einschließlich EU Ambitionen - eine absolut faszinierende Mischung.
Also schreib mehr über den türkischen Islam und auch den speziellen Umgang der laizistischen Türkei mit der Religion - ich werde das alles höchst interessant finden.
Gruß Malcolm
_________________ Ohne die Musik wäre das Leben ein Irrtum.
"Das beste, was du weißt, kannst du den Buben doch nicht sagen." ( Goethe)
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ateyim registrierter User
Anmeldungsdatum: 21.05.2007 Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul
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(#1183800) Verfasst am: 17.01.2009, 16:01 Titel: |
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Malcolm hat folgendes geschrieben: | ..., daß die Türken auf den Schiffen die Möven mit Brot gefüttert haben |
Mövenpick laesst grüssen...
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Malcolm Ekelpaket
Anmeldungsdatum: 25.07.2007 Beiträge: 1231
Wohnort: Hamburg
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(#1183849) Verfasst am: 17.01.2009, 16:32 Titel: |
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ateyim hat folgendes geschrieben: | Malcolm hat folgendes geschrieben: | ..., daß die Türken auf den Schiffen die Möven mit Brot gefüttert haben |
Mövenpick laesst grüssen... |
Ach Du meine Güte, jetzt muß ich mich auch noch von einem Türken bezüglich deutscher Rechtschreibung verbessern lassen . Wobei Du ja in Deutschland aufgewachsen bist, insofern brauche ich mich nicht zu schämen. Aber wenn sich ein falsches Wissen mal festgesetzt hat ...Dabei war ich in der Schule in jungen Jahren in Rechtschreibung mal der beste - aber ab dem Zeitpunkt hat mich Rechtschreibung nicht mehr interessiert. Frühe Erfolge machen übermütig.
Aber erzähl mehr, Ateyim, zum Beispiel über diese ganz speziellen Muslime in der Türkei, die Aleviten, die ja eine gar nicht kleine islamische Minderheit in der Türkei sind, irgendwie "keine richtigen Muslime" aus sunnitisch türkischer Sicht. Auch so ein absolutes Faszinosum türkischer Gesellschaft. Wie ich in meiner türkischen Kneipe hörte, fasten die zum Teil nicht mal ...
Gruß Malcolm
_________________ Ohne die Musik wäre das Leben ein Irrtum.
"Das beste, was du weißt, kannst du den Buben doch nicht sagen." ( Goethe)
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ultramontanist registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.11.2005 Beiträge: 278
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(#1184796) Verfasst am: 18.01.2009, 10:08 Titel: |
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ateyim hat folgendes geschrieben: | Zu der Sache mit der Fütterung von Tauben mit Brot:
Es ist tatsaechlich so, dass es nur darum geht, dass man alles tun muss, um zu vermeiden, dass man auf Brot tritt. |
Ich wurde als Protestant erzogen. Bei uns war das Wegwerfen von Lebensmitteln sehr verpönt. Die Begründung für mich als Kind war, dass meine Eltern noch die schlechte Zeit des Krieges erlebt hatten, und dass in Afrika immer noch Kinder Hunger haben.
Obwohl ich stolz darauf bin die Tabus meiner Erziehung kritisch zu hinterfragen werf ich noch heute sehr ungern Lebensmittel weg.
Deshalb dachte ich zuerst, dass die Türken aus ähnlichen gründen kein Brot wegwerfen.
Aber es geht denen ja anscheinend nur darum, dass man nicht auf Brot tritt.
Kannst die religiöse Begründung dafür nennen? Oder ist es garnicht der Islam, der das verbietet sondern eine türkische Tradition mit ganz anderen Wurzeln?
Wenn man eine ethisch gut begründbare Forderung wie die Vermeidung von Lebensmittelverderb in eine starre Regel "nicht" auf Brot treten" verwandelt, hab ich damit Probleme.
Ich kann den Türken nicht vorschreiben welche Vorurteile sie haben sollten
Aber bei mir wächst dann das Vorurteil, dass die türkische Kultur und auch der Islam hauptsächlich aus starren unsinnigen Regeln besteht.
So wie das bei meiner Familie auch war
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set registrierter User
Anmeldungsdatum: 21.01.2009 Beiträge: 58
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(#1189645) Verfasst am: 22.01.2009, 22:16 Titel: Re: Islam à la Türkei |
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ateyim hat folgendes geschrieben: | by the way: heute morgen, am "heiligen Freitag" wurden wieder interessante Fragen von Zuschauern bezüglich des Islam beantwortet:
"Mein Sohn starb mit 17 bei einem Verkehrsunfall. Er war unschuldig. Ist er nun ein Maertyrer?"
"Darf ich Obst und Gemüse essen, das auf einem ehemaligen Friedhofsgelaende wuchs?"
"Wie viele Minuten vor dem Gebet muss ich meine letzte Zigarette geraucht haben, damit mein Gebet akzeptiert wird?"
Ich sags ja: am besten Allah haette statt eines Koran klipp und klar jede Frage direkt beantwortet. Ich bin mir sicher, dass, hier viele Glaeubige gerne auf den freien Willen verzichten würden, nur um sicher zu sein, dass sie es schaffen, auf Erden das Ticket ins Paradies zu lösen. |
ateyim, deine Ausführungen kann ich - als jemand, der u.a. auch in diesen Kulturkreis reingeboren wurde -, vollkommen bestätigen. Selbst bei einem gläubigen Muslim wie mir rufen solche Praktiken durchaus Irritationen hervor. Zum Teil (die Betonung liegt auf "zum Teil") wird religiöses Verhalten auf das Ausüben von Ritualen und gewisse Symbolik reduziert.
Zum Thema "stumpfes Rezitieren des Korans" will ich noch einige Sätze loswerden: Es ist tatsächlich so, dass oft der Koran gelehrt wird, ohne dabei auf die Inhalte einzugehen. Dies erfolgt leider in Form eines "Chinese Rooms". Allerdings muss ich gleichzeitig auch betonen, dass sich diesbezüglich in den vergangenen Jahren viel getan hat. Es gibt mittlerweile "Koranschulen", in denen auch Inhalte und nicht nur das Ausprechen von Schriftzügen gelehrt werden.
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Chilisalsa registrierter User
Anmeldungsdatum: 21.12.2008 Beiträge: 1907
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(#1189676) Verfasst am: 22.01.2009, 22:48 Titel: |
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Noseman hat folgendes geschrieben: | ateyim hat folgendes geschrieben: | Also Haribo-Türkiye wirbt damit |
Wie heisst der Typ eigentlich, der dafür wirbt? Allahenayí ? |
Nein, das ist der türkische Hustinetten-Bär.
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esme lebt ohne schützende Gänsefüßchen.
Anmeldungsdatum: 12.06.2005 Beiträge: 5667
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(#1189725) Verfasst am: 22.01.2009, 23:31 Titel: |
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Brigitte hat folgendes geschrieben: |
Und wenn Du schreibst, dass unsere christliche Gesellschaft bei all dem offensichtlich sehr tolerant ist, dann ist sie es erst in den letzten Jahrzehnten geworden, nachdem die Gesellschaft immer säkularer wurde. Eine Ehe zwischen einem Muslim und einer Christin (oder umgekehrt) war vor noch nicht allzu langer Zeit für christliche Eltern, Verwandte und das ganze Millieu, eine Kathastrophe. Von Toleranz keine Spur. |
Eine "gemischte" Ehe (katholisch+evangelisch) hat vor dreißig Jahren durchaus noch zu Problemen geführt.
Zu der Brotgeschichte muss ich sagen, dass ich als Kind gelernt habe, vor dem Anschneiden eines Brotlaibs ein kleines Kreuz mit dem Messer draufzuzeichnen.
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