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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#1819094) Verfasst am: 23.02.2013, 15:26 Titel: |
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Hehe, habe das Buch aufgrund meiner hier geäußerten Lust darauf geschenkt bekommen. : )
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#1819257) Verfasst am: 24.02.2013, 12:38 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Aus dem Zusammenwirken der sich beschleunigenden Fortschritte in der praktizierten Spieletheorie, der globalen neoliberalen Affirmation und der digitalen Durchdringung aller ökonmischer Prozesse entsteht eine neue globale Qualitat ökonomischer Zwänge, die dem Menschen neue oder neuartige Lebensverhältnisse aufzwingt. Nach meinem Verständnis argumentiert man also an der Sache vorbei, wenn man nur eines dieser Elemente kritisiert. |
Die Spieltheorie kann hier kein entscheidendes Element sein. Sie stellt ihre Methoden unterschiedslos Kapitalisten wie Kommunisten bereit; den Mafiosi ebenso wie Regierungen ebenso wie der Heilsarmee.
Die "digitale Durchdringung" hat die ganze Arbeitswelt erfasst. Ein Schreibtisch ohne Computer dürfte Seltenheitswert haben. Warum die Algorithmen des "Informationskapitalismus" anders zu beurteilen seien, als das Vorkalkulationsblatt eines Handwerkers, wäre an Hand von Beispielen zu belegen. Warum Computerhandel an der Börse grundsätzlich falsch sein sollte, erschließt sich mir nicht. Es müßt nur klar geregelt sein, daß es keine staatlichen "Alimente" gibt, wenn die Sache in die Hose geht. Too big to fail, systemrelevant, das darf es nicht geben.
Es bleibt also die "neue globale Qualitat ökonomischer Zwänge" als wesentliches Element. Woher kommen diese Zwänge?
Diese zwei Zahlen illustrieren das recht schön:
Es gibt etwa 60 Länder auf der Erde mit einem Bruttoinlandsprodukt von über 100 Mrd. EUR.
Genauso gibt es etwa 60 Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von über 100 Mrd. EUR
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Bruttoinlandsprodukt_(Kaufkraftparität)
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_größten_Unternehmen_der_Welt
Allzu harsch wird keine Regierung mit landesweiten Niederlassungen solcher internationaler Riesen umspringen wollen. Immerhin zahlt sich ihr Dasein in Steuereinnahmen und einem Beitrag zu Sockelbeschäftigung aus. Im Gegenteil: EU-weit haben sich manche Länder im Wettbewerb um die niedrigste Kapitalsteuerquote unterboten. Irland hat gewonnen. So manches Unternehmen hat seine Zentrale nach Dublin verlegt. Zwischendurch waren die Iren pleite und mußten bei der EU um Kredit nachfragen. Er wurde gewährt, ohne die Auflage, daß die Iren ihre Steuersätze anzupassen hätten.
Telliamed hat folgendes geschrieben: | Das Modell von Frank Schirrmacher, das die Orientierung auf den Eigennutz als Grundlage für die Analyse in der Zeit des "Informationsimperialismus" nimmt, kommt ohne eine Analyse der für Jahrzehnte real existierenden, staatlich organisierten Gegenentwürfe aus. |
Das nehme ich als Ausgangspunkt, um etwas zum homo oeconomicus zu sagen. Weder verstehe ich, warum er für Egoismus stehen sollte, noch warum er der Gevatter des Neoliberalismus' sein soll. Im Gegenteil: auch eine Planwirtschaft muß auf den homo oeconomicus setzen.
Beim homo oeconomicus denke ich an jemanden, der beispielsweise diese Vorlieben hegt:
Mag Eiskrem: Nuß, Stracciatella, Zitrone. In der Reihenfolge, absteigend.
Mag die Eiskrem: in der Waffel, im Becher, in einer Schale.
Ißt die Eiskrem: nahe am Wohnort, zu einem niedrigen Preis, kauft gerne bei freundlichen Verkäufern.
Wo kauft dieser hypothetische Mensch sein Eis wenn es diese drei Eisdielen gibt:
1) verkauft Nuß, im Becher, hat unfreundliche Verkäufer
2) verkauft Stracciatella, in der Schale, nahe am Wohnort
3) verkauft Zitrone, in der Waffel, zu einem guten Preis
Das sind, salopp gesagt, die Probleme, mit denen ein homo oeconomicus sich herumschlagen muß.
An der Stelle läßt sich einige Kritik anbringen:
- er weiß über alle geschlossenen und neueröffneten Eisdielen bescheid.
- er frägt vorher telefonisch nach, ob die Preise erhöht wurden
- er kennt den Dienstplan und weiß, wann der unfreundliche Verkäufer arbeitet
- er kann seine Vorlieben quantitativ angeben. Dies ist der kritischste Einwand. Ein exzentrischer homo oeconomicus müßte sich erklären können, wenn er von München nach Wien fährt, für eine Kugel wirklich gutes Eis.
Damit dürfte klar sein, daß der homo oeconomicus ein Idealwesen ist.
Allerdings taucht dieses Idealwesen nicht nur in der Wirtschaftstheorie auf. Die Politikwissenschaft kennt ihn auch: als den mündigen Bürger, der hinreichend informiert nach sorgsamer Abwägung sein Kreuzchen bei einer bestimmten Partei macht. Wenn der homo oeconimicus scheitert, dann scheitert auch die herkömmliche Basis für eine funktionierende Demokratie. Man müßte dann eine repräsentative Demokratie, am Besten mit 5%-Hürde, einführen, um die uninformierten Bauchentscheider unter Kontrolle zu halten.
Har, har. Scherz beiseite. Die Präferenzberechnung a la homo oeconomicus ist tatsächlich für den ganz allgemeinen Fall nicht möglich. Siehe: Arrows Unmöglichkeits-Theorem Aus diesem prinzipiellen Scheitern des Abwägungsgedankens, Paradox des Liberalismus, folgt dann auch zwanglos der Vorrang des Individuums über gesellschaftliche Präferenzen.
Jedenfalls tut man dem homo economicus Unrecht, wenn man ihn mit Neoliberalismus ins Boot setzt. Im Gegenteil: wenn ich den homo oeconomicus richtig verstehe, dann braucht man ihn auch im Politbüro, um den nächsten 5-Jahres-Plan auszuknobeln.
Zuletzt bearbeitet von smallie am 24.02.2013, 14:12, insgesamt 3-mal bearbeitet |
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1819271) Verfasst am: 24.02.2013, 13:32 Titel: |
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@smallie: Guter Beitrag!
Ich denke, viele Kritiker des homo oec. meinen eigentlich gar nicht den präferenzabwägenden homo, sondern ein Zerrbild, das nur kurzfristige, egoistische, oberflächliche Interessen hat und in einer Art "lokaler Optimierungsschleife" gefangen ist. Das ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Mensch könnte einfach zu dumm bzw. zu schwach sein, um aus diesem lokalen "Potentialtopf" herauszukommen.
smallie hat folgendes geschrieben: | Aus diesem prinzipiellen Scheitern des Abwägungsgedankens, Paradox des Liberalismus, folgt dann auch zwanglos der Vorrang des Individuums über gesellschaftliche Präferenzen. |
Hier ist mir unklar, was "gesellschaftliche Präferenzen" überhaupt sein sollen.
Abgesehen davon: Das Theorem schließt ja nicht aus, daß es Untermengen von "relevanten" Präferenzen geben kann, über die eine konsistente Einigung erzielt werden kann. Also quasi so etwas wie die Grundwerte einer Gesellschaft. Wenn nichtmal da eine Einigung erzielt werden kann, funktioniert Zusammenleben sowieso nicht.
Und steckt nicht ein wesentlicher Grund für die Richtigkeit dieses Theorem in der Forderung, daß die Lösung für alle Präferenzen zutreffen muß? Am Beispiel Chatterley's Lover: Würde der Libertin sich damit zufriedengeben, den ihm unangenehmsten Fall zu verhindern (daß niemand das Buch liest), und der Prüde würde sich damit zufriedengeben, den wiederum ihm unangenehmsten Fall zu verhindern (daß der L das Buch liest), so wäre die Lösung, daß der Prüde das Buch lesen muß. Das sollte ihm zu denken geben
Man könnte also doch so etwas versuchen wie:
- alle Präferenzen, die Dritte betreffen und deren Gewichtungssumme über alle Individuen einen bestimmten Schwellwert überschreitet, werden für einen bestimmten Zeitraum zur Norm, und zwar in Priorität ihrer Gewichtungssumme
- alle anderen Präferenzen sind Privatsache.
Am Chatterley-Beispiel:
- Schwelle für Norm: > 0.7
- alle Anträge x,y,z betreffen Dritte
P: z(1.0), x(0.0), y(0.0)
L: z(0.0), x(0.9), y(0.5)
=> z=0.5, x=0.45, y=0.25
=> keiner der 3 Anträge wird zur Norm
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1819278) Verfasst am: 24.02.2013, 13:50 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: | Aus dem Zusammenwirken der sich beschleunigenden Fortschritte in der praktizierten Spieletheorie, der globalen neoliberalen Affirmation und der digitalen Durchdringung aller ökonmischer Prozesse entsteht eine neue globale Qualitat ökonomischer Zwänge, die dem Menschen neue oder neuartige Lebensverhältnisse aufzwingt. Nach meinem Verständnis argumentiert man also an der Sache vorbei, wenn man nur eines dieser Elemente kritisiert. |
Die Spieltheorie kann hier kein entscheidendes Element sein. Sie stellt ihre Methoden unterschiedslos Kapitalisten wie Kommunisten bereit; den Mafiosi ebenso wie Regierungen ebenso wie der Heilsarmee.
Die "digitale Durchdringung" hat die ganze Arbeitswelt erfasst. Ein Schreibtisch ohne Computer dürfte Seltenheitswert haben. Warum die Algorithmen des "Informationskapitalismus" anders zu beurteilen seien, als das Vorkalkulationsblatt eines Handwerkers, wäre an Hand von Beispielen belegen. Warum Computerhandel an der Börse grundsätzlich falsch sein sollte, erschließt sich mir nicht. Es müßt nur klar geregelt sein, daß es keine staatlichen "Alimente" gibt, wenn die Sache in die Hose geht. Too big to fail, systemrelevant, das darf es nicht geben.
Es bleibt also die "neue globale Qualitat ökonomischer Zwänge" als wesentliches Element. Woher kommen diese Zwänge?
Diese zwei Zahlen illustrieren das recht schön:
Es gibt etwa 60 Länder auf der Erde auf der Erde mit einem Bruttoinlandsproduk von über 100 Mrd. EUR.
Genauso gibt es etwa 60 Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von über 100 Mrd. EUR
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Bruttoinlandsprodukt_(Kaufkraftparität)
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_größten_Unternehmen_der_Welt
Allzu harsch wird keine Regierung mit landesweiten Niederlassungen solcher internationaler Riesen umspringen wollen. Immerhin zahlt sich ihr Dasein in Steuereinnahmen und einem Beitrag zu Sockelbeschäftigung aus. Im Gegenteil: EU-weit haben sich manche Länder im Wettbewerb um die niedrigste Kapitalsteuerquote unterboten. Irland hat gewonnen. So manches Unternehmen hat seine Zentrale nach Dublin verlegt. Zwischendurch waren die Iren pleite und mußten bei der EU um Kredit nachfragen. Er wurde gewährt, ohne die Auflage, daß die Iren ihre Steuersätze anzupassen hätten.
Telliamed hat folgendes geschrieben: | Das Modell von Frank Schirrmacher, das die Orientierung auf den Eigennutz als Grundlage für die Analyse in der Zeit des "Informationsimperialismus" nimmt, kommt ohne eine Analyse der für Jahrzehnte real existierenden, staatlich organisierten Gegenentwürfe aus. |
Das nehme ich als Ausgangspunkt, um etwas zum homo oeconomicus zu sagen. Weder verstehe ich, warum er für Egoismus stehen sollte, noch warum er der Gevatter des Neoliberalismus' sein soll. Im Gegenteil: auch eine Planwirtschaft muß auf den homo oeconomicus setzen.
Beim homo oeconomicus denke ich an jemanden, der beispielsweise diese Vorlieben hegt:
Mag Eiskrem: Nuß, Stracciatella, Zitrone. In der Reihenfolge, absteigend.
Mag die Eiskrem: in der Waffel, im Becher, im einer Schale.
Ißt die Eiskrem: nahe am Wohnort, zu einem niedrigen Preis, kauft gerne bei freundlichen Verkäufern.
Wo kauft dieser hypothetische Mensch sein Eis wenn es diese drei Eisdielen gibt:
1) verkauft Nuß, im Becher, hat unfreundliche Verkäufer
2) verkauft Stracciatella, in der Schale, nahe am Wohnort
3) verkauft Zitrone, in der Waffel, zu einem guten Preis
Das sind, salopp gesagt, die Probleme, mit denen ein homo oeconomicus sich herumschlagen muß.
An der Stelle läßt sich einige Kritik anbringen:
- er weiß über alle geschlossenen und neueröffneten Eisdielen bescheid.
- er frägt vorher telefonisch nach, ob die Preise erhöht wurden
- er kennt den Dienstplan und weiß, wann der unfreudliche Verkäufer arbeitet
- er kann seine Vorlieben quantitativ angeben. Dies inst der kritischste Einwand. Ein exzentrischer homo oeconomicus müßte sich erklären können, wenn er von München nach Wien fährt, für eine Kugel wirklich gutes Eis.
Damit dürfte klar sein, daß der homo oeconomicus ein Idealwesen ist.
Allerdings taucht dieses Idealwesen nicht nur in der Wirtschaftstheorie auf. Die Politikwissenschaft kennt ihn auch: als den mündigen Bürger, der hinreichend informiert nach sorgsamer Abwägung sein Kreuzchen bei einer bestimmten Partei macht. Wenn der homo oeconimicus scheitert, dann scheitert auch die herkömmliche Basis für eine funktionierende Demokratie. Man müßte dann eine repräsentative Demokratie, am Besten mit 5%-Hürde, einführen, um die uninformierten Bauchentscheider unter Kontrolle zu halten.
Har, har. Scherz beiseite. Die Präferenzberechnung a la homo oeconomicus ist tatsächlich für den ganz allgemeinen Fall nicht möglich. Siehe: Arrows Unmöglichkeits-Theorem Aus diesem prinzipiellen Scheitern des Abwägungsgedankens, Paradox des Liberalismus, folgt dann auch zwanglos der Vorrang des Individuums über gesellschaftliche Präferenzen.
Jedenfalls tut man dem homo economicus Unrecht, wenn man ihn mit Neoliberalismus ins Boot setzt. Im Gegenteil: wenn ich den homo oeconomicus richtig verstehe, dann braucht man ihn auch im Politbüro, um den nächsten 5-Jahres-Plan auszuknobeln. |
Sauberer Beitrag von dir, smallie. Alle Achtung!
Die Gedanken von Schirrmacher sind dagegen etwas ungeordnet, wirr und von platten und simplen Attitüden getragen, wie etwa der, dass heutzutage (- wieso erst heutzutage??? -) *die Menschen* (- natürlich, denn es sind ja ganz plötzlich alle homo oeconomicusse seit der Einführung der EDV !!! -) jeder nur an seinen *Eigennutz* denke und nicht mehr an den *Gemeinnutz*.
Ha ha ha - watt ha'm wa jelacht!
Zieht sich dieser Gassenhauer nicht schon seit Jahrhundeten durch die Nebel bürgerlicher und vorbürgerlicher Moral"kritiken"?
Davon abgesehen - um die trübe bürgerlich-ideologische Suppe mal durch einen kleinen Schuss Marx & Engels zu versalzen - bedeutet das Verfolgen des Eigennutzes prinzipiell überhaupt nicht notwendig das Missachten des Fremdnutzes:
Marx/Engels hat folgendes geschrieben: | An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist.
MEW 4, 482: http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_459.htm
|
Eigen- und Fremdnutz schließen sich grundsätzlich überhaupt nicht aus, sondern können sich unter entsprechenden Bedingungen sogar gegenseitig fördern ...-!
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
Informationsstelle Militarisierung e.V.
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1820158) Verfasst am: 27.02.2013, 17:29 Titel: |
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Verweis auf noch mehr Beiträge:
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12469092/63369/Frank-Schirrmachers-neues-Buch-loest-schon-vor-Erscheinen.html
Frank Schirrmacher, der schon mehrfach mit seinen Publikationen und auf Steigerung der Auflage angelegten Aktionen Aufsehen erregte
http://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Schirrmacher
hinterläßt bei mir den Eindruck, dass er sein eigenes gehetztes Dasein zwischen den Schickimicki-Vierteln seines Hauptwohnsitzes Potsdam (mit Jauch und Joop) sowie den westdeutschen Metropolen mit dem des heutigen Menschen der Informationsgesellschaft gleichsetzt, der täglich im Internet eine Fülle an Spuren hinterlässt und durch sein Verhalten im Netz berechenbar wird, dadurch gesteuert werden kann und dessen Absichten sogar vorhersehbar seien.
Damit weist er sicher auf eine um sich greifende Tendenz vor allem bei Großstädtern hin. Doch ist anzunehmen, dass eine große Anzahl von Menschen nicht von dieser ständigen Unrast erfasst ist und deren Leben vergleichsweise eher entschleunigt abläuft.
So ziemlich zum Schluss rät Schirrmacher selbst zum Ausstieg aus diesem System.
Manche Männer des Kulturlebens rühmen sich auf ihre alten Tage, gänzlich auf das Internet zu verzichten, manche leben sogar ohne Telefon. Sie können sich das leisten, wenn sie einen gewissen Lebensstandard erreicht haben und in einiger Ruhe ihre Rente genießen können. Wer noch etwas vorhat, wird sich nicht wie Heidegger oder Gert Kaltenbrunner dauerhaft in ein Schwarzwalddorf zurückziehen können, das wäre ein für Normalsterbliche der Großstädte kaum zu verwirklichendes Extrem.
Aber zeitweilige Ausstiege und das periodische Sich-Bewußtwerden angesichts der hier beschriebenen Zusammenhänge sind machbar.
Ferner sieht Schirrmacher in Deutschland bessere Voraussetzungen als in den USA, da hier reale Zusammenhänge noch mehr zählten als virtuelle Welten.
Diese Passagen seines Buches sind aber nur verhältnismäßig kurz und herzlich unbestimmt und unkonkret - der größte Teil besteht aus alarmistischen, kulturpessimistischen Rufen, die größtenteils aus der amerikanischen Literatur bestückt sind.
Schirrmacher kokettiert seit geraumer Zeit mit der Linken Denkweise.
In neueren Verlautbarungen aus der Partei dieses Namens allerdings, wie dem "Streitgespräch" zwischen Gregor Gysi und Hans Modrow (das in Wirklichkeit gar kein Streitgespräch ist, sondern ein Austausch von Gleichgesinnten unterschiedlicher Generationen und politischer Erfahrungen) geht es vorrangig um die Deutung der Vergangenheit, die der Partei in Wahlkampfzeiten immer wieder um die Ohren gehauen wird - ich wüsste nicht, dass man sich in diesem organisierten Teil der Linken Gedanken über einen "Informationskapitalismus" oder wie man das Phänomen immer nennen will, oder das Internet gemacht hätte, auch eine Folge der natürlichen Überalterung.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26512
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1820168) Verfasst am: 27.02.2013, 17:40 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | ....Frank Schirrmacher...
hinterläßt bei mir den Eindruck, dass er sein eigenes gehetztes Dasein zwischen den Schickimicki-Vierteln seines Hauptwohnsitzes Potsdam (mit Jauch und Joop) sowie den westdeutschen Metropolen mit dem des heutigen Menschen der Informationsgesellschaft gleichsetzt, der täglich im Internet eine Fülle an Spuren hinterlässt und durch sein Verhalten im Netz berechenbar wird, dadurch gesteuert werden kann und dessen Absichten sogar vorhersehbar seien..... |
Das ist wohl eine Unterschätzung des Problems. Für diese Betrachtung reichen die Spuren der durchschnittlichen Google- Fatzebuck- und Twitter-Benutzer.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1820182) Verfasst am: 27.02.2013, 18:41 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Telliamed hat folgendes geschrieben: | ....Frank Schirrmacher...
hinterläßt bei mir den Eindruck, dass er sein eigenes gehetztes Dasein zwischen den Schickimicki-Vierteln seines Hauptwohnsitzes Potsdam (mit Jauch und Joop) sowie den westdeutschen Metropolen mit dem des heutigen Menschen der Informationsgesellschaft gleichsetzt, der täglich im Internet eine Fülle an Spuren hinterlässt und durch sein Verhalten im Netz berechenbar wird, dadurch gesteuert werden kann und dessen Absichten sogar vorhersehbar seien..... |
Das ist wohl eine Unterschätzung des Problems. Für diese Betrachtung reichen die Spuren der durchschnittlichen Google- Fatzebuck- und Twitter-Benutzer.
fwo |
Dann kommt man auf die Frage: Wayne interessiert denn dann dieser ganze Datenwust wirklich über jeden - außer die Werbefritzen? Da ist auch bei Schirrmacher ein beachtliches religiöses Moment enthalten: der große Unbekannte herrscht über die Seelen ausnahmslos eines jeden Menschen. Das Buch ist voll von Metaphern aus der Theologenbranche.
Diese Allmachts-Phantasien können aber höchstens Angehörige von Eliten sehr beunruhigen, die ihre eigene Roille für überaus wichtig halten. Wir hatten die Erfahrung, dass die "Firma" zwar in allen möglichen Lebensbereichen drin war, aber keineswegs eine Allmacht im eingemauerten Staatswesen ausüben konnte. Wer nichts preisgibt, über den kann nichts entnommen werden, durch die Linse erblickt man nur die Binse.
Auf höchstens jeder dreißigsten Seite ein praktischer Hinweis für Normalbürger. Z. B. das Ding, dass eine Versicherung jemanden ausschließen könnte, wenn diese Daten Hinweise auf Suchtverhalten oder risikoreichen Lebenswandel hergäben.
Die sozialen Netzwerke als eher eine Sache der Jugend und Junggebliebenen - Daten könnten einem die Karriere vermasseln, aber auch hier bleibt vieles spekulativ und hypothetisch.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26512
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1820204) Verfasst am: 27.02.2013, 20:39 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | ....
Dann kommt man auf die Frage: Wayne interessiert denn dann dieser ganze Datenwust wirklich über jeden - außer die Werbefritzen? Da ist auch bei Schirrmacher ein beachtliches religiöses Moment enthalten: der große Unbekannte herrscht über die Seelen ausnahmslos eines jeden Menschen. Das Buch ist voll von Metaphern aus der Theologenbranche.... |
Ich habe das Buch nicht gelesen - ich beziehe mich da nur auf die Beckmannsendung, in der Yogeschwar eine Sache durchaus Ernst nahm: Dass anhand irgendwelcher Profildaten irgendein Anbieter eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit nicht etwa für Alkoholismus, sondern für ein zukünftiges Abgleiten in den Alkoholismus feststellt und seine Angebote entsprechend verändert oder ganz verweigert. Das würdest Du an Kunde erstmal gar nicht mitkriegen. Es gab übrigens schon derartige Versuche der Schufa, Facebookdaten zur Kalkulation der Kreditwürdigkeit zu benutzen, in die sowieso schon allgemeine Daten wie z.b. Wohngegend eingehen.
Und mit zunehmendem Anteil der Bevölkerung innerhalb der "sozialen Netzwerke" wird wahrscheinlich bereits auswertbar, wer nicht mitmacht oder bestimmte Daten verweigert. Das geht dann einfach als nicht kalkulierbar in die jeweilige Charakterisierung ein.
Ich halte das nicht für den Weltuntergang, sondern sehe da einfach Handlungsbedarf, denn es sind nicht nur die Werbefritzen, die versuchen, sich diese Informationen nutzbar zu machen, um ihr Geschäftsrisiko zu verringern.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1820221) Verfasst am: 27.02.2013, 21:29 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Telliamed hat folgendes geschrieben: | ....
Dann kommt man auf die Frage: Wayne interessiert denn dann dieser ganze Datenwust wirklich über jeden - außer die Werbefritzen? Da ist auch bei Schirrmacher ein beachtliches religiöses Moment enthalten: der große Unbekannte herrscht über die Seelen ausnahmslos eines jeden Menschen. Das Buch ist voll von Metaphern aus der Theologenbranche.... |
Ich habe das Buch nicht gelesen - ich beziehe mich da nur auf die Beckmannsendung, in der Yogeschwar eine Sache durchaus Ernst nahm: Dass anhand irgendwelcher Profildaten irgendein Anbieter eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit nicht etwa für Alkoholismus, sondern für ein zukünftiges Abgleiten in den Alkoholismus feststellt und seine Angebote entsprechend verändert oder ganz verweigert. Das würdest Du an Kunde erstmal gar nicht mitkriegen. Es gab übrigens schon derartige Versuche der Schufa, Facebookdaten zur Kalkulation der Kreditwürdigkeit zu benutzen, in die sowieso schon allgemeine Daten wie z.b. Wohngegend eingehen.
Und mit zunehmendem Anteil der Bevölkerung innerhalb der "sozialen Netzwerke" wird wahrscheinlich bereits auswertbar, wer nicht mitmacht oder bestimmte Daten verweigert. Das geht dann einfach als nicht kalkulierbar in die jeweilige Charakterisierung ein.
Ich halte das nicht für den Weltuntergang, sondern sehe da einfach Handlungsbedarf, denn es sind nicht nur die Werbefritzen, die versuchen, sich diese Informationen nutzbar zu machen, um ihr Geschäftsrisiko zu verringern.
fwo |
Die Beckmannsendung und die Geschichte mit dem Alkoholismus hatte ich mir sogar eingezogen (bei einer Flasche Bier). An diese Informationen kann man auch auf anderen Wegen heran, Krankenakten können zum Sprechen gebracht werden ...
Wenn man mal die Wahrscheinlichkeiten abwägt:
Diese Sachen sind nicht so weltverändernd, sehe ich wie Du, dass gleich gemäß Schirrmacher ein Gutenberg (mit einem "t")-Vergleich herangezogen werden muss.
Es ist dann noch kein nach innen gewendeter "Kalter Krieg" gegen alle und jeden.
Die Opposition gegen die Verursacher der Finanzkrise muss sich freilich noch ordnen. Es könnte jemand kommen und sagen, dass da Schirrmachers Buch eher die Resignation befördert. "Empört Euch"-Autor Stephane Hessel ist tot.
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