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Hoffnung für Schrödingers Katze
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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3613

Beitrag(#2184050) Verfasst am: 19.07.2019, 16:01    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
So wie ich das sehe, willst du den Kuchen gleichzeitig essen und behalten.

Das ist einfach. Mr. Green

step hat folgendes geschrieben:
|psi(Kuchen)> = 1/sqrt(2) ( |Kuchen gegessen> + |Kuchen noch da>)

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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3613

Beitrag(#2184060) Verfasst am: 19.07.2019, 16:59    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
"Etwas Wirkliches ist also nicht bloß ein gemeinter ("intentionaler") Gegenstand unseres Denken oder Vorstellens. Entsprechend ist etwas Unwirkliches nichts weiter als ein bloß gemeinter Gegenstand unseres Denkens oder Vorstellens[, der an/für/in sich nichts ist]." – Myron

Erinnert mich an Earmans Prinzip.

Earman hat folgendes geschrieben:
Zwar sind Idealisierungen nützlich und vielleicht sogar wesentlich für den Fortschritt der Physik - ein sinnvoller Grundsatz jeder Deutung sollte aber sein, daß kein Effekt als grundlegend betrachtet werden kann, falls er verschwindet, wenn die Idealisierung herausgenommen wird.

While idealizations are useful and, perhaps, even essential to progress in physics, a sound principle of interpretation would seem to be that no effect can be counted as a genuine physical effect if it disappears when the idealizations are removed.

Earman, Curie’s Principle and spontaneous symmetry breaking. International Studies in Philosophy of Science - 2004

Die jeweiligen Idealisierungen der Kopenhagener Deutung, der Bohmschen Mechanik und der Viele-Welten widersprechen sich konzeptionell und kommen doch zum gleichen praktischen Ergebnis. Sie lassen sich herausnehmen - und nichts würde fehlen.


Myron hat folgendes geschrieben:
Was ist daran "selbstbezüglich"?

Selbstbezüglich vielleicht nicht, aber es ist nur im Nachgang feststellbar, was ein "bloß gemeinter Gegenstand" ist. Das Problem hat "Operationalisierbarkeit" zwar auch, andererseits weist fehlende Operationalisierbarkeit darauf hin, daß man Metaphysik treibt.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2184063) Verfasst am: 19.07.2019, 17:20    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Die jeweiligen Idealisierungen der Kopenhagener Deutung, der Bohmschen Mechanik und der Viele-Welten widersprechen sich konzeptionell und kommen doch zum gleichen praktischen Ergebnis. Sie lassen sich herausnehmen - und nichts würde fehlen.

Das ist, denke ich, richtig für die nichtrelativistische Quantenmechanik - hier wurde die Äquivalenz der Interpretationen für alle praktischen Belange glaube ich sogar nachgewiesen.

Je mehr wir in die QFT oder gar GUT Bereiche kommen, denke ich, daß es falsch wird. Oder sagen wir so, die Verrenkungen, die man bei Bohm dann machen muß, werden mindestens immer abenteuerlicher, geradezu epizykelhaft. Es gibt auch tatsächlich ein paar Physiker, die darüber nachdenken, welche noch relativ einfachen Experimente in dieser oder jener Interpretation besonders häßlich aussehen. Das war ein Grund meines Beitrags.

Aber zurück zu Earmans Prinzip - konsequent angewandt, stellt es auch eine Hürde für Myrons naiven Teilchenrealismus dar. In Bereichen, in denen die QFT die beste Beschreibung der Effekte hergibt, würde nichts fehlen, wenn man das Elektron weglassen und nur noch von einem Spinorfeld reden würde. Im Gegenteil, man vermeidet sogar Widersprüche, etwa beim Wellencharakter.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3388

Beitrag(#2184070) Verfasst am: 19.07.2019, 18:06    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Die jeweiligen Idealisierungen der Kopenhagener Deutung, der Bohmschen Mechanik und der Viele-Welten widersprechen sich konzeptionell und kommen doch zum gleichen praktischen Ergebnis. Sie lassen sich herausnehmen - und nichts würde fehlen.


Sie sind empirisch äquivalent, aber nicht ontologisch.
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Myron
Metaphysischer Materialist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3388

Beitrag(#2184072) Verfasst am: 19.07.2019, 18:30    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Das Wirkliche/Reale besteht an/für/in sich in dem Sinne, dass es (sein Dasein&Sosein) nicht davon abhängt, Gegenstand von Gedanken oder Vorstellungen zu sein.

Lassen wir mal die (durchaus nichttriviale) Frage außen vor, ob dies wirklich eine notwendige Bedingung ist / sein sollte, und nehmen an, es sei eine. Mein Punkt ist, daß es jedenfalls keine hinreichende Bedingung sein kann.

Beispielsweise kannst Du mE allein mithilfe dieser Definition nicht entscheiden, ob der Hund, der sich hinter dem Mond versteckt, real ist. Noch weniger natürlich bei den folgenden "Objekten":
- der heilige Geist
- virtuelle Teilchen bei der Paarerzeugung
- ein Spinorfeld
- die Wellenfunktion, die die SG löst
- die Bohm'sche Führungswelle

Unter anderem müßtest Du dieses "unabhängig sein" besser operationalisieren, also z.B. eine Methode angeben, wie man das prüfen kann.


Du verwechselst schon wieder Definitionen und Kriterien.
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Myron
Metaphysischer Materialist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3388

Beitrag(#2184078) Verfasst am: 19.07.2019, 19:10    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"... Die Bohmianer werden den Spieß vielmehr umdrehen und den Everettianern vorhalten, dass in deren Theorie schlicht und einfach die lokalen beables im Sinne Bells fehlen, also ontologische Größen, die sich auf lokalisierte Objekte im dreidimensionalen Raum oder in vierdimensionaler Raumzeit beziehen. "

Das "Beables"-Konzept geht ja, grob gesagt, so: Mann nimmt die "Observablen" der Quantenphysik und fordert zusätzlich, daß sie kommutieren müssen, also simultane Eigenwerte annehmen können. Ich vermute mal, da bekommt man schon Probleme, wenn man relativistische QFT betreiben will. Die Ontologie hängt dann vom Inertialsystem ab oder es kommt gar noch schlimmer. Eine Frage wäre auch, ob "Teilchen", die nur aus Sicht bestimmter Beobachtersysteme auftauchen, real sind oder nicht.


"In quantum mechanical contexts, the term ‘observable’ is used interchangeably with ‘physical quantity’, and should be treated as a technical term with the same meaning."

Quantum Mechanics: https://plato.stanford.edu/entries/qm/

Bei den "local beables" geht es darum, dass eine quantenphysikalische Theorie im Rahmen ihrer Ontologie über eine der Wellenfunktion entsprechende nichtörtliche Entität hinaus (winzige) örtliche Entitäten im 3D-Raum benötigt. Das können Feldquantitäten (wie örtlich konzentrierte Massendichten) sein, aber auch Partikel/Korpuskel, Strings oder Flashes.

Übrigens, ich finde Bells Wortwahl trotz seiner Erläuterung unpassend, denn "beable" suggeriert irreführenderweise, dass nicht von aktuellen Entitäten ("actual beings") die Rede ist, sondern lediglich von potenziellen Entitäten ("(merely) possible beings").

"Local beables: The usual approach, centred on the notion of ‘observable’, divides the world somehow into parts: ‘system’ and ‘apparatus’. The ‘apparatus’ interacts from time to time with the ‘system’, ‘measuring’ ‘observables’. During ‘measurement’ the linear Schrodinger evolution is suspended, and an ill-defined ‘wavefunction collapse’ takes over. There is nothing in the mathematics to tell what is ‘system‘ and what is ‘apparatus’, nothing to tell which natural processes have the special status of ‘measurements’. Discretion and good taste, born of experience, allow us to use quantum theory with marvelous success, despite the ambiguity of the concepts named above in quotation marks. But it seems clear that in a serious fundamental formulation such concepts must be excluded.

In particular we will exclude the notion of ‘observable’ in favour of that of ‘beable’. The beables of the theory are those elements which might correspond to elements of reality, to things which exist. Their existence does not depend on ‘observation’. Indeed observation and observers must be made out of beables.

I use the term ‘beable' rather than some more committed term like ‘being’ 'or ‘beer’ 'to recall the essentially tentative nature of any physical theory. Such a theory is at best a candidate for the description of nature. Terms like ‘being’, ‘beer’, ‘existent’, etc, would seem to me lacking in humility. In fact ‘beable’ is short for ‘maybe-able‘."


(Bell, J. S. "Beables for Quantum Field Theory." In Speakable and Unspeakable in Quantum Mechanics, 173-180. Cambridge: Cambridge University Press, 1987. p. 174)

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"In allen drei Theorien müssen wir die Wellenfunktion auf dem Konfigurationsraum ernst nehmen. Das bedeutet auch, dass die „Ortsdarstellung“ immer ausgezeichnet ist, denn am Ende des Tages wollen wir die Wellenfunktion irgendwie auf Objekte beziehen, die im dreidimensionalen physikalischen Raum angesiedelt sind."

Das ist bei den drei Interpretationen der einfachen Quantenmechanik tatsächlich so, es ist jedoch nicht fundamental, sondern liegt einzig daran, daß wir die Raumzeit noch nicht quantisieren bzw. die Gravitation getrennt betrachten.


Die ontologische Frage nach den "local beables" und der "nonlocal beable" (d.i. die von der Wellenfunktion repräsentierte Entität) stellt sich immer, und zwar auch dann, wenn es gelingt, die Quantentheorie und die Relativitätstheorie zu einer umfassenden Theorie zu vereinigen.

step hat folgendes geschrieben:
In der Tat. Es wird zunehmend schwierig, die Wellenfunktion physikalisch ernstzunehmen, aber sie ontologisch nur nebenherlaufen zu lassen.


Als abstrakte mathematische Entität kann die Wellenfunktion keinerlei aktive Funktion innerhalb des physischen Kosmos haben. Das "Führungsfeld" oder die "Pilotwelle" der Bohmschen Mechanik kann keine Teilchenbewegungen im Raum beeinflussen, solange es sich dabei nicht um ein konkretes physisches Feld handelt. Manche behaupten zwar, dass eine solche Teilchenführung oder -steuerung auch dann möglich ist, wenn die Wellenfunktion selbst keine Entität im 3D-Raum ist, sondern eine im 3N-Konfigurationsraum; aber das ergibt wenig Sinn.

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"... Bohmsche Mechanik und die Viele-Welten-Theorie sind aber fundamental deterministisch. Bohmsche Mechanik enthält den „Zufall“ nur im Sinne einer praktischen Unvorhersagbarkeit, nicht aber im Sinne einer prinzipiellen Unbestimmtheit."

Das ist mE geschwindelt. Bohmsche Mechanik enthält eine prinzipielle Unbestimmtheit in den "von Gott gesetzten" Anfangsbedingungen bzw. im "Quantengleichgewicht", der echte Zufall wird sozusagen auf eine metaphysische Instanz verschoben, die allerdings, anders als bei Copenhagen, nicht in den Meßprozeß eingreift, sondern eher eine Art "initiales Würfeln" ist.


Ich bin kein Experte, aber ich weiß, dass das mitnichten "geschwindelt" ist. Ontologische Unbestimmtheit kommt in der Bohmschen Mechanik schlicht und ergreifend nicht vor.

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Abschließend würden wir aber allen Studierenden der Physik davon abraten, auch die nächsten hundert Jahre mit Debatten über die Grundlagen der nichtrelativistischen Quantenmechanik zu verbringen. Die wichtigen offenen Fragen finden sich heute in der relativistischen Quantenphysik, und vielleicht liegt das große Verdienst der präzisen nichtrelativistischen Theorien letztlich darin, dass sie uns aufzeigen, was die richtigen Fragen sind und wie Ansätze für zukünftige Fortschritte aussehen können."

So ist es. Allerdings haben die meisten Physiker diesen Rat eh nicht nötig. Interessant wäre daher, was er Studierenden der Ontologie und Metaphysik empfhielt.


Ich schätze, er würde ihnen empfehlen, in Sachen Physik auf dem Laufenden zu bleiben.

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die physische Realität ist nicht von der Physik und Physikern abhängig!

Schon wieder so eine Aussage, die als hinreichende Bedingung nicht ausreicht.


…hinreichende Bedingung wofür?
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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3613

Beitrag(#2184080) Verfasst am: 19.07.2019, 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Oder sagen wir so, die Verrenkungen, die man bei Bohm dann machen muß, werden mindestens immer abenteuerlicher, geradezu epizykelhaft.

So kenne ich das auch, könnte es aber nicht beispielhaft-operationalistisch begründen.


step hat folgendes geschrieben:
Aber zurück zu Earmans Prinzip - konsequent angewandt, stellt es auch eine Hürde für Myrons naiven Teilchenrealismus dar. In Bereichen, in denen die QFT die beste Beschreibung der Effekte hergibt, würde nichts fehlen, wenn man das Elektron weglassen und nur noch von einem Spinorfeld reden würde. Im Gegenteil, man vermeidet sogar Widersprüche, etwa beim Wellencharakter.

Myron ist unschuldig, aber "naiver Teilchenrealismus" ist ein gutes Stichwort.

Schlenker zum aktuellen Spektrum der Wissenschaft. Dort findet sich ein Beispiel für naiven Teilchenrealismus. Oder ist es ein Fall naiven Wellenrealismuses?

Spektrum hat folgendes geschrieben:
Licht als eine Welle hat immer eine klar definierte Phase, welche die momentane Wellenhöhe beschreibt. Bei einer Wasserwelle legt die Phase zum Beispiel fest, ob das Nass gerade bis zum Knie steht oder bis zum Hals. Würden die Gesetze der Quantenwelt am Badestrand gelten, konnte eine Welle einem Menschen gleichzeitig bis zum Knie und bis zum Hals reichen. Solch eine Welle wäre ein Beweis, dass die Quantenwelt in die klassische Welt hineinwirkt.

Eine schlechte Analogie. Sie scheitert bereits am Beispiel von der Gitarrensaite, das du oben erwähntest.

Eine Saite schwingt im Grundton, im ersten, zweiten, dritten ... Oberton. Eine Stelle der Saite betrachtend geht mir die Amplitude des Grundtons mal bis zum Hals und die des ersten Obertons nur bis zum Knie.

Daran ist nichts verblüffendes, es ist eine Eigenschaft der Wellengleichung, die auch im Makroskopischen gilt. Verblüffend - scheinbar verblüffend - ist daß sich ein mikroskopisches "Ding" in manchen Experimenten wie ein Teilchen verhält, in anderen wie eine Welle. Ist halt so.

Das vermeintliche Paradox ist in unserem Kopf, nicht im "Ding".
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3388

Beitrag(#2184082) Verfasst am: 19.07.2019, 20:31    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Oder sagen wir so, die Verrenkungen, die man bei Bohm dann machen muß, werden mindestens immer abenteuerlicher, geradezu epizykelhaft.

So kenne ich das auch, könnte es aber nicht beispielhaft-operationalistisch begründen.


Was ist denn mit theoretischen "Verrenkungen" gemeint?

"A great many objections have been and continue to be raised against Bohmian mechanics. Here are some of them: Bohmian mechanics makes predictions about results of experiments different from those of orthodox quantum theory so it is wrong. Bohmian mechanics makes the same predictions about results of experiments as orthodox quantum theory so it is untestable and therefore meaningless. Bohmian mechanics is mathematically equivalent to orthodox quantum theory so it is not really an alternative at all. Bohmian mechanics is more complicated than orthodox quantum theory, since it involves an extra equation. (This objection is based on the surprisingly common misconception that orthodox quantum theory is defined solely by Schrödinger’s equation, and does not actually need as part of its formulation any of the measurement postulates found in textbook quantum theory. It is only within a many-worlds framework that this view could begin to make sense, but I strongly doubt that it makes sense even there.) Bohmian mechanics requires the postulation of a mysterious and undetectable quantum potential. Bohmian mechanics requires the addition to quantum theory of a mysterious pilot wave. Bohmian mechanics, as von Neumann has shown, can’t possibly work. Bohmian mechanics, as Kochen and Specker have shown, can’t possibly work. Bohmian mechanics, as Bell has shown, can’t possibly work. Bohmian mechanics is a childish regression to discredited classical modes of thought. Bohmian trajectories are crazy, since they may be curved even when no classical forces are present. Bohmian trajectories are crazy, since a Bohmian particle may be at rest in stationary quantum states. Bohmian trajectories are crazy, since a Bohmian particle may be at rest in stationary quantum states, even when these are large-energy eigenstates. Bohmian trajectories are surrealistic. Bohmian mechanics, since it is deterministic, is incompatible with quantum randomness. Bohmian mechanics is nonlocal. Bohmian mechanics is unintuitive. Bohmian mechanics is the many-worlds interpretation in disguise. (…)

Most of these objections have little or no merit. Some arise from naive realism about operators, some from the idea that, to the extent that the concepts of classical physics apply at all, the laws of classical physics are more or less a priori, some from an inability to grasp the point of Bohmian mechanics, and some from sheer ignorance."


—Sheldon Goldstein: https://plato.stanford.edu/archives/win2001/entries/qm-bohm/

"The theory [= Bohmian mechanics] is not very complicated, since the equation of motion is the simplest one which could be associated with the wave function and which is equivariant. If we want to introduce particles that move, then it is natural to have their motion determined by that law.

Moreover, all the quantum phenomena, including all the strange interference effects, experiments with spin, etc., can be derived from that assumption alone, together with the quantum equilibrium assumption on the initial conditions. What could be simpler?

Finally, there is a big difference between being complicated and being mysterious or incomprehensible. Ordinary quantum mechanics may seem simple, but that is true only as long as one does not ask where the collapse rule comes from or what the wave function means physically. It is only by overlooking the collapse rule (which is indispensable for the quantum predictions to agree with observations) that one can pretend that ordinary quantum mechanics has only one equation (the Schrödinger equation) while de Broglie–Bohm has two equations, and hence is more complicated.

Of course, the story we have been telling about how measurements work and the assumption of quantum equilibrium is more complicated than the simple collapse rule. But this is like saying that statistical mechanics is more complicated than thermodynamics. Of course it is, because the former explains the latter. And the long story we have been telling explains why the collapse rule works, without making it into a deus ex machina. If someone wants to have a “simple” theory, they can just use ordinary quantum mechanics, with the dual laws of the Schrödinger evolution and the collapse rule, but knowing that there is a deeper explanation that unifies both of these rules, just as they can use thermodynamical formulas for the entropy without worrying about their justifications, but knowing that they exist."


(Bricmont, Jean. Making Sense of Quantum Mechanics. Cham: Springer, 2016. pp. 176-7)

"We want to emphasize two of the main merits of the de Broglie–Bohm theory. The first one is that it exists. And since it is a truism that a single counterexample is enough to refute a general claim, it is a counterexample to three claims that have been almost universally accepted by physicists, commented by philosophers, taught in classes, and sold to the general public:

1. That quantum mechanics signals the end of determinism in physics.

2. That quantum mechanics assigns a special role, in its very formulation, to the “observer”. There has been quite some debate as to whether this “observer” is a set of laboratory instruments or a human consciousness, but the debate would never have got underway if the central role of observations in quantum mechanics had not been accepted to start with.

3. That quantum mechanics is something that “nobody understands”, to quote Richard Feynman; that quantum mechanics is mysterious and requires a far more drastic revision in our ways of thinking than any previous scientific revolution; or, even more radically, as Murray Gell-Mann reportedly said: “[T]here’s much more difference […] between a human being who knows quantum mechanics and one that doesn’t than between one that doesn’t and the other great apes.”.

By simply existing, being deterministic, and describing the “measurements” as purely physical processes, the de Broglie–Bohm theory constitutes a refutation of claims 1 and 2.

A further quality of de Broglie–Bohm theory is its perfect clarity, which refutes claim 3. The philosopher of science David Albert gave a nice formulation of that idea:…"


(Bricmont, Jean. Making Sense of Quantum Mechanics. Cham: Springer, 2016. p. 183)

"Here's what's so cool about this theory:
This is the kind of theory whereby you can tell an absolutely low-brow story about the world, the kind of story (that is) that's about the motions of material bodies, the kind of story that contains nothing cryptic and nothing metaphysically novel and nothing ambiguous and nothing inexplicit and nothing evasive and nothing unintelligible and nothing inexact and nothing subtle and in which no questions ever fail to make sense and in which no questions ever fail to have answers and in which no two physical properties of anything are ever 'incompatible' with one another and in which the whole universe always evolves deterministically and which recounts the unfolding of a perverse and gigantic conspiracy to make the world appear to be quantum-mechanical."


(Albert, David Z. Quantum Mechanics and Experience. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1992. p. 169)

"Of course, some effort is needed to understand this theory, but not more than to understand, say, the theories of special and general relativity (at least not for someone who knows themathematics of standard quantum mechanics). The de Broglie–Bohm theory contains paradoxes galore, but so do the theories of relativity. However, in neither case do the paradoxes imply any contradiction: they are simply due to the fact that we are misled by our intuitions.

Since the de Broglie–Bohm theory is nothing but a rational version of quantum mechanics, it makes no new predictions.But it has several concrete applications, such as numerical simulations of the wave function in quantum chemistry, many-body simulations based on Bohmian ideas, and semi-classical approximations (…).

However, its main virtue is to clarify our ideas. Given that there are endless bookshelves of confused talk about the role of the “observer” in physics or about the death of determinism, this is no small feat, especially given the number of times that this accomplishment has been declared impossible."


(Bricmont, Jean. Making Sense of Quantum Mechanics. Cham: Springer, 2016. p. 184)
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step
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Beitrag(#2184084) Verfasst am: 19.07.2019, 20:55    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Schlenker zum aktuellen Spektrum der Wissenschaft. Dort findet sich ein Beispiel für naiven Teilchenrealismus. Oder ist es ein Fall naiven Wellenrealismuses?

Spektrum hat folgendes geschrieben:
Licht als eine Welle hat immer eine klar definierte Phase, welche die momentane Wellenhöhe beschreibt. Bei einer Wasserwelle legt die Phase zum Beispiel fest, ob das Nass gerade bis zum Knie steht oder bis zum Hals. Würden die Gesetze der Quantenwelt am Badestrand gelten, konnte eine Welle einem Menschen gleichzeitig bis zum Knie und bis zum Hals reichen. Solch eine Welle wäre ein Beweis, dass die Quantenwelt in die klassische Welt hineinwirkt.

Eine schlechte Analogie. Sie scheitert bereits am Beispiel von der Gitarrensaite, das du oben erwähntest.

Naja, die Gitarrensaite ist eine stehende Welle, Licht nicht.

smallie hat folgendes geschrieben:
Eine Saite schwingt im Grundton, im ersten, zweiten, dritten ... Oberton. Eine Stelle der Saite betrachtend geht mir die Amplitude des Grundtons mal bis zum Hals und die des ersten Obertons nur bis zum Knie.

Das kannst Du auch bei einer stehenden Wasserwelle haben. In erster Näherung sind Flut und Ebbe sowas. Gäbe es zwei (hinreichend langsame) Monde, hätten wir eine erste Obertonflut ... oder so.

smallie hat folgendes geschrieben:
Daran ist nichts verblüffendes, es ist eine Eigenschaft der Wellengleichung, die auch im Makroskopischen gilt. Verblüffend - scheinbar verblüffend - ist daß sich ein mikroskopisches "Ding" in manchen Experimenten wie ein Teilchen verhält, in anderen wie eine Welle. Ist halt so.

Ja. Man kann auch sagen, es verhält sich weder genau wie eine Welle noch genau wie ein Teilchen, sondern genau wie eine Lösung der SG.
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smallie
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Beitrag(#2184119) Verfasst am: 19.07.2019, 23:34    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Alle drei Theorien beinhalten eine Form von Nichtlokalität, was sie im Sinne des Bellschen Theorems auch müssen, um die Phänomene korrekt zu beschreiben."

Ja.

Nein.

Faktencheck: Wenn ich die Polarisation eines Photons zu 0° messe, kann sie bei der nächsten Messung bei 10° liegen. 90° hingegen sind ausgeschlossen.


step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"... Bohmsche Mechanik und die Viele-Welten-Theorie sind aber fundamental deterministisch. Bohmsche Mechanik enthält den „Zufall“ nur im Sinne einer praktischen Unvorhersagbarkeit, nicht aber im Sinne einer prinzipiellen Unbestimmtheit."

Das ist mE geschwindelt. Bohmsche Mechanik enthält eine prinzipielle Unbestimmtheit in den "von Gott gesetzten" Anfangsbedingungen bzw. im "Quantengleichgewicht", der echte Zufall wird sozusagen auf eine metaphysische Instanz verschoben, die allerdings, anders als bei Copenhagen, nicht in den Meßprozeß eingreift, sondern eher eine Art "initiales Würfeln" ist.

Was unterscheidet den folgenden Satz von der Bohmschen Schwindelei?

step hat folgendes geschrieben:
Ein früher Symmetriebruch könnte eine Stichprobe sein, die in jedem Arm des Multiversums spezifische Naturgesetze zur Folge hat.

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Tarvoc
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Beitrag(#2184179) Verfasst am: 20.07.2019, 15:01    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
So wie ich das sehe, willst du den Kuchen gleichzeitig essen und behalten.

Das ist einfach. Mr. Green

step hat folgendes geschrieben:
|psi(Kuchen)> = 1/sqrt(2) ( |Kuchen gegessen> + |Kuchen noch da>)

Lachen Zugegeben, ausgerechnet in einem Thread über Schrödingers Katze diese Metapher zu verwenden war vielleicht etwas leichtsinnig von mir... Verlegen Mr. Green
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step
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Beitrag(#2184252) Verfasst am: 21.07.2019, 10:53    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Alle drei Theorien beinhalten eine Form von Nichtlokalität, was sie im Sinne des Bellschen Theorems auch müssen, um die Phänomene korrekt zu beschreiben."
Ja.
Nein. Faktencheck: Wenn ich die Polarisation eines Photons zu 0° messe, kann sie bei der nächsten Messung bei 10° liegen. 90° hingegen sind ausgeschlossen.

Verstehe den Zusammenhang nicht mit der Frage, ob die drei Interpretionen nichtlokal sind. Über die Trajektorien kommt auch bei Bohm Nichtlokalität hinein, bei MWI ist es eh über die Wellenfunktion drin. IdZ - ist Dir wahrscheinlich bekannt - siehe auch die modernen Experimente an sog. GHZ-Zuständen, also speziell mit 3 verschränkten Teilchen, wo man die Nichtlokalität sozusagen direkt bestätigen kann.

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"... Bohmsche Mechanik und die Viele-Welten-Theorie sind aber fundamental deterministisch. Bohmsche Mechanik enthält den „Zufall“ nur im Sinne einer praktischen Unvorhersagbarkeit, nicht aber im Sinne einer prinzipiellen Unbestimmtheit."
Das ist mE geschwindelt. Bohmsche Mechanik enthält eine prinzipielle Unbestimmtheit in den "von Gott gesetzten" Anfangsbedingungen bzw. im "Quantengleichgewicht", der echte Zufall wird sozusagen auf eine metaphysische Instanz verschoben, die allerdings, anders als bei Copenhagen, nicht in den Meßprozeß eingreift, sondern eher eine Art "initiales Würfeln" ist.
Was unterscheidet den folgenden Satz von der Bohmschen Schwindelei?

step hat folgendes geschrieben:
Ein früher Symmetriebruch könnte eine Stichprobe sein, die in jedem Arm des Multiversums spezifische Naturgesetze zur Folge hat.

Bohm hat echten Zufall drin, leugnet das aber und damit auch die Notwendigkeit, diesen zu erklären. Früher Symmetriebruch als Stichprobe: Das wäre eine wirkliche Erklärung und würde echten Zufall wirklich vermeiden. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, z.B. daß beides derzeit nicht falsifizierbar ist.
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Beitrag(#2184259) Verfasst am: 21.07.2019, 11:43    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Oder sagen wir so, die Verrenkungen, die man bei Bohm dann machen muß, werden mindestens immer abenteuerlicher, geradezu epizykelhaft.
So kenne ich das auch, könnte es aber nicht beispielhaft-operationalistisch begründen.
Was ist denn mit theoretischen "Verrenkungen" gemeint?

Ein Problem für relativistische Bohm-Modelle ist, daß die relativistischen Feldgleichungen - anders als die klassischen - keinen (z.B. Spin- oder Ladungs-)Strom mehr auszeichnen, den man dan als klassischen Teilchenstrom (bzw. Beables) deuten kann, was aber das einzige ontologische Alleinstellungsmerkmal bei Bohm ist. Ein weiteres, daß Trajektorien relativitisch nicht wohldefiniert sind.

Allgemein kann man sagen, daß die (Bohm-)Wellenfunktion für fortgeschrittene Effekte immer wichtiger wird und immer mehr wichtige Effekte (z.B. Spin) in ihr genauso aussehen wie in der üblichen Wellenfunktion, während man zur Aufrechterhaltung der Trajektorien- und Teilchenillusion immer absurdere Kopfstände machen muß.

Wenn man z.B. lorentz-invariante Pilotwellen haben will, muß man ziemlich exotische Zusatzannahmen machen, da ja in der RT keine Gleichzeitigkeit existiert und es daher p.d. eigentlich keine eindeutige Trajektorien geben kann. Beispielsweise muß man zusätzliche Bereiche der Raumzeit definieren, diese topologisch falten u.ä., Stichworte "Blätterung", "Hypersurface" u.ä. - um dann aus dieser eine Art "künstliche Gleichzeitigkeit" zu definieren.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3896068/
https://en.wikipedia.org/wiki/De_Broglie%E2%80%93Bohm_theory#Relativity

Ich behaupte nicht, das das gar nicht geht - aber es hat schon was Absurdes speziell für Leute, die Bohm deswegen bevorzugen, weil man da angeblich klar zwischen als real geglaubten Teilchen und komplexen mathethematischen Hilfskonstrukten unterscheidet. Das meinte ich mit "Verrenkungen".
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Myron
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Beitrag(#2184295) Verfasst am: 21.07.2019, 15:32    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Ein Problem für relativistische Bohm-Modelle ist, daß die relativistischen Feldgleichungen - anders als die klassischen - keinen (z.B. Spin- oder Ladungs-)Strom mehr auszeichnen, den man dan als klassischen Teilchenstrom (bzw. Beables) deuten kann, was aber das einzige ontologische Alleinstellungsmerkmal bei Bohm ist. Ein weiteres, daß Trajektorien relativitisch nicht wohldefiniert sind.

Allgemein kann man sagen, daß die (Bohm-)Wellenfunktion für fortgeschrittene Effekte immer wichtiger wird und immer mehr wichtige Effekte (z.B. Spin) in ihr genauso aussehen wie in der üblichen Wellenfunktion, während man zur Aufrechterhaltung der Trajektorien- und Teilchenillusion immer absurdere Kopfstände machen muß.

Wenn man z.B. lorentz-invariante Pilotwellen haben will, muß man ziemlich exotische Zusatzannahmen machen, da ja in der RT keine Gleichzeitigkeit existiert und es daher p.d. eigentlich keine eindeutige Trajektorien geben kann. Beispielsweise muß man zusätzliche Bereiche der Raumzeit definieren, diese topologisch falten u.ä., Stichworte "Blätterung", "Hypersurface" u.ä. - um dann aus dieser eine Art "künstliche Gleichzeitigkeit" zu definieren.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3896068/
https://en.wikipedia.org/wiki/De_Broglie%E2%80%93Bohm_theory#Relativity

Ich behaupte nicht, das das gar nicht geht - aber es hat schon was Absurdes speziell für Leute, die Bohm deswegen bevorzugen, weil man da angeblich klar zwischen als real geglaubten Teilchen und komplexen mathethematischen Hilfskonstrukten unterscheidet. Das meinte ich mit "Verrenkungen".


Als Nichtphysiker kann ich die mathematisch-technischen Details nicht nachvollziehen; und deswegen kann ich auch nicht beurteilen, inwieweit die Vorschläge für eine relativistische Bohmsche Mechanik überzeugend sind.
Der Vorwurf, es gebe noch keine (vollständige und stimmige) relativistische Version davon, trifft jedoch alle anderen Quantentheorien gleichermaßen, sodass dies allein kein Grund sein kann, die BM abzulehnen. Die Vertreter der anderen Quantentheorien werden wohl auch die eine oder andere theoretische "Verrenkung" machen müssen, wenn sie ihre Theorien relativitätskompatibel gestalten wollen.

"If one looks at books that purport to unify quantum mechanics and relativity, specifically books on quantum field theory, one never finds a discussion of the collapse rule in relativistic terms, although this rule is essential to ordinary quantum-mechanics. Why? Because quantum field theory essentially allows us to compute “scattering cross-sections”, that is, the results of what happens when particles collide with one another. The results are, it is true, invariant under Lorentz transformations, but so are the predictions of Bohm-like quantum field theories, since they are the same as those of the usual theories.

The predictions of quantum field theory are extremely impressive, but contrary to received opinion, it is not true that there exists a fully relativistic quantum theory. After all, such a theory should be a generalization of non-relativistic quantum mechanics and should include (as one of its approximations) the results of EPR–Bell experiments (or any similar experiments involving a collapse of the quantum state when the latter is an entanglement of states whose parts are spatially separated). But that would require a relativistic treatment of the collapse as a physical process, and such a treatment simply does not exist. Moreover, one would encounter enormous difficulties if one tried to formulate it, as we just explained.

The reason why few people worry about this sort of question is probably just that the implications of EPR and Bell concerning the nonlocality of the world have not yet been fully grasped.…

So ordinary quantum mechanics, including quantum field theories, and the de Broglie–Bohm theory are on an equal footing here, except that the latter faces a problem that the former simply ignores.And within the deBroglie–Bohm framework, one can introduce a sort of simultaneity in a Lorentz invariant way."


(Bricmont, Jean. Making Sense of Quantum Mechanics. Cham: Springer, 2016. p. 172)

"Anhänger der Everettschen Interpretation behaupten gerne, dass die Viele-Welten-Theorie die einzige sei, die auch schon als relativistische Quantentheorie existiert. Dass dies nicht richtig sein kann, sehen wir schon daran, dass in der Viele-Welten-Theorie alles durch die universelle Wellenfunktion und ihre unitäre Zeitentwicklung beschrieben wird. Wenn wir aber nicht wissen, welches relativistische Gesetz diese Zeitentwicklung bestimmt und wie überhaupt eine relativistische Wellenfunktion zu „endlichen Zeiten“ aussehen soll, dann kann es auch noch keine relativistische Viele-Welten-Theorie geben. Zielführender ist folgende Aussage: Wenn wir ein mathematisch konsistentes Gesetz mit Wechselwirkungen für die relativistische Wellenfunktion hätten, analog zur Schrödingerschen Wellenmechanik, dann ließe sich die Viele-Welten-Interpretation prinzipiell darauf anwenden. Eine Analyse der relativistischen Quantentheorie sollte dann ein ähnliches Bild ergeben wie die nichtrelativistische Quantenmechanik: eine sich durch Dekohärenz verzweigende Wellenfunktion, in der man eine Vielzahl gleichermaßen realer Welten identifizieren kann."

(Dürr, Detlef, und Dustin Lazarovici. Verständliche Quantenmechanik: Drei mögliche Weltbilder der Quantenphysik. Berlin: Springer, 2018. S. 209)
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step
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Beitrag(#2184308) Verfasst am: 21.07.2019, 17:08    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
"If one looks at books that purport to unify quantum mechanics and relativity, specifically books on quantum field theory, one never finds a discussion of the collapse rule in relativistic terms, although this rule is essential to ordinary quantum-mechanics."

Von was für einem Kollaps redet der? zwinkern

Myron hat folgendes geschrieben:
"Why? Because quantum field theory essentially allows us to compute “scattering cross-sections”, that is, the results of what happens when particles collide with one another. The results are, it is true, invariant under Lorentz transformations, but so are the predictions of Bohm-like quantum field theories, since they are the same as those of the usual theories."

Netter Versuch - ich hatte es jedoch oben schon zu erklären versucht.

Natürlich machen alle dieselben Voraussagen, und das funktioniert so:

MWI: Man nimmt eine relativistische Schrödingergleichung - z.B. die Diracgleichung oder eine Feldgleichung aus der QFT - und erhält (grob gesagt) automatisch Lösungen, die lorentzinvariant sind.

Bohm: Man versucht dasselbe, also übernimmt die Terme aus der Diracgleichung, QFT usw. in die Bohm-Wellenfunktion, damit kommen natürlich auch dieselben Streuquerschnitte raus. Das Problem ist aber ein anderes: Bei Bohm muß man zusätzlich die ontologischen Postulate retten, also insebsondere die eindeutigen Trajektorien und die Teilcheneigenschaften - und das geht eben nicht so einfach, s.o.

Myron hat folgendes geschrieben:
"... But that would require a relativistic treatment of the collapse as a physical process, and such a treatment simply does not exist."

Was hat der denn immer mit seinem Kollaps? Eine (vollständige) Lösung der Diracgleichung, also eine, wo keine Zweige der evolvierenden Wellenfunktion, abgeschnitten werden, hat doch kein Konsistenzproblem mit EPR-artigen Experimenten.

Myron hat folgendes geschrieben:
"... Wenn wir aber nicht wissen, welches relativistische Gesetz diese Zeitentwicklung bestimmt und wie überhaupt eine relativistische Wellenfunktion zu „endlichen Zeiten“ aussehen soll, dann kann es auch noch keine relativistische Viele-Welten-Theorie geben."

Nach meinem Verständnis ist eine relativistische Quantentheorie, z.B. die Diractheorie, kovariant formuliert, und damit bezieht sich die unitäre Zeitentwicklung nicht auf eine absolute Zeit, sondern auf alle Raumzeiten aller sinnvollen Inertialsysteme - das ist ja gerade der Witz dabei. Man kann die Gleichungen lorentztransformieren, damit auch die Lösungen, und sie bleiben gültig, sagen aber andere Ergebnisse voraus, z.B. ist da plötzlich ein magnetisches Feld oder ein Photon, wo in der nichttransformierten Inertialsystem keins war. Und genau das mißt man auch.

Myron hat folgendes geschrieben:
"... Zielführender ist folgende Aussage: Wenn wir ein mathematisch konsistentes Gesetz mit Wechselwirkungen für die relativistische Wellenfunktion hätten, analog zur Schrödingerschen Wellenmechanik, dann ließe sich die Viele-Welten-Interpretation prinzipiell darauf anwenden. Eine Analyse der relativistischen Quantentheorie sollte dann ein ähnliches Bild ergeben wie die nichtrelativistische Quantenmechanik: eine sich durch Dekohärenz verzweigende Wellenfunktion, in der man eine Vielzahl gleichermaßen realer Welten identifizieren kann."

Genauso ist es auch, siehe oben. Problem ist, daß das den Bohm-Leuten nicht ausreicht, sie brauchen zusätzlich ein relativistisches Pendant zu ihren Trajektorien im Ortsraum und zu ihren Beables.
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step
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Beitrag(#2184324) Verfasst am: 21.07.2019, 20:04    Titel: Antworten mit Zitat

Ist natürlich spekulativ, aber ich sehe durchaus eine Chance, mich von der MWI abzubringen - etwa falls sich herausstellen sollte, daß die Raumzeit bzw. Gravitation selbst nicht quantisierbar ist, sondern einer anderen Theorie folgt. Das würde mich doch sehr nachdenklich machen.
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smallie
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Beitrag(#2184377) Verfasst am: 22.07.2019, 18:04    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
So wie ich das sehe, willst du den Kuchen gleichzeitig essen und behalten.

Das ist einfach. Mr. Green

step hat folgendes geschrieben:
|psi(Kuchen)> = 1/sqrt(2) ( |Kuchen gegessen> + |Kuchen noch da>)

Lachen Zugegeben, ausgerechnet in einem Thread über Schrödingers Katze diese Metapher zu verwenden war vielleicht etwas leichtsinnig von mir... Verlegen Mr. Green

Kuchen ist schon in Ordnung. Den kann man gleichzeitig essen und behalten.

Die neun Leben einer Katze hingegen verkomplizieren die Sache erheblich. Pfeifen
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Modellschwanz
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Beitrag(#2184378) Verfasst am: 22.07.2019, 18:29    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:

Kuchen ist schon in Ordnung. Den kann man gleichzeitig essen und behalten.

Toll! Und wie macht man das?
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smallie
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Beitrag(#2184383) Verfasst am: 22.07.2019, 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
- Nicht-Realismus: Quantenmechanische Objekte verhalten sich anders als makroskopische. Ihre Eigenschaften sind nicht auf's i-Tüpfelchen festgelegt oder festlegbar.

Also stattdessen Idealismus?

Das würdest du mir zutrauen? Geschockt zwinkern Vorschlag, wie man Nicht-Realismus anders auslegen kann:

In der Quantenwelt gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht. Es gilt intuitionistische Mathematik. Oder so.
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smallie
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Beitrag(#2184384) Verfasst am: 22.07.2019, 19:53    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Alle drei Theorien beinhalten eine Form von Nichtlokalität, was sie im Sinne des Bellschen Theorems auch müssen, um die Phänomene korrekt zu beschreiben."
Ja.
Nein. Faktencheck: Wenn ich die Polarisation eines Photons zu 0° messe, kann sie bei der nächsten Messung bei 10° liegen. 90° hingegen sind ausgeschlossen.

Verstehe den Zusammenhang nicht mit der Frage, ob die drei Interpretionen nichtlokal sind.

Sorry, das war zu einsilbig von mir.


step hat folgendes geschrieben:
Über die Trajektorien kommt auch bei Bohm Nichtlokalität hinein,

Ja, hast recht.

step hat folgendes geschrieben:
bei MWI ist es eh über die Wellenfunktion drin.

Über die Wellenfunktion? Von Einstein gibt es dazu ein schönes Argument.

Das Problem der Nicht-Lokalität zeigt sich auch in Experimenten mit nur einem Teilchen, dazu braucht es keine zwei verschränkten Teilchen. Wenn ein Teilchen durch einen einzelnen Spalt geht und dann an einer Stelle auf einem Schirm dahinter gemessen wird, dann "wissen" alle anderen Anteile der Wellenfunktion, daß sie zu Null herauskommen müssen. In diesem Sinn ist bereits der "Kollaps" der nicht eingetretenen Zweige der Wellenfunktion eine nicht-lokale Angelegenheit.

Einstein-Podolski-Rosen ist so gesehen "nur" ein Problem hoch Zwei.

Im Phasenmodell hingegen sieht es aus, als würde jeder Teil der Wellenfunktion gebraucht, um zum Ergebnis zu kommen.


step hat folgendes geschrieben:
IdZ - ist Dir wahrscheinlich bekannt - siehe auch die modernen Experimente an sog. GHZ-Zuständen, also speziell mit 3 verschränkten Teilchen, wo man die Nichtlokalität sozusagen direkt bestätigen kann.

Von GHZ habe ich erst kürzlich das erste mal gehört, bei Landsman.

Falls diese Experimente ähnlich laufen, wie bei Bell oder Aspect, dann könnte ich das auch als Verletzung der boolschen Logik verstehen. So wie es nicht der boolschen Logik entspricht, daß die Polarisation eines Photons mal 0° ist, und das nächste mal bei 10°.

Hintergrund des Ganzen:

In letzter Zeit sind mir einige Kommentare in der einschlägigen Blogosphäre untergekommen, die Nicht-Lokalität in Frage stellen. Stichwort wäre Bell, der hat im Laufe seiner Karriere seine Meinung zum Thema geändert. Soll in Bell, La nouvelle cuisine, deutlich werden, aber das hab ich nicht gelesen.

Klaas Landsman schreibt:

Zitat:
Foundations of Quantum Theory
Klaas Landsman - 2017

Darum wird Bell-Lokalität von der Quantenmechanik verletzt, woraus aber nicht folgt, "Quantenmechanik ist nicht-lokal" (wie manche sagen). Die Bellsche Lokalität ist eine sehr spezielle Bedingung, die als Schranke für Theorien zu verborgenen Variablen erdacht wurde.

Hence Bell locality is violated by quantum mechanics, but this does not imply that “quantum mechanics is nonlocal” (as some say). Bell’s is a very specific locality condition invented as a constraint on hidden variable theories.

https://www.researchgate.net/publication/317171939_Foundations_of_Quantum_Theory


Leider ist mir das drumherum zu hoch, so daß ich den Hintergrund nicht wiedergeben kann. Die Aussage selbst lese ich nicht zum ersten Mal.
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smallie
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Beitrag(#2184385) Verfasst am: 22.07.2019, 20:01    Titel: Antworten mit Zitat

Modellschwanz hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:

Kuchen ist schon in Ordnung. Den kann man gleichzeitig essen und behalten.

Toll! Und wie macht man das?

Hochwürgen und wiederkäuen. Auf den Arm nehmen
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Myron
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Beitrag(#2184386) Verfasst am: 22.07.2019, 20:07    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Viele-Welten-Interpretation sieht wie eine physikalische Theorie ohne physikalische Ontologie aus

Das kann man so sehen, stört aber nicht weiter. Im Gegenteil, es ist eine schöne Bestätigung, daß die MWI ontologisch sparsamer ist. Es gibt nur die Wellenfunktion, allerdings ist wahrscheinlich, daß eine fundamentalere Wellenfunktion (oder noch etwas ganz Anderes) zugrundeliegt, da die Raumzeit noch nicht vernünftig quantisisert ist. Wir sicher sehr lustig, dann einen Bohm-Ansatz zu versuchen ... String-Trajektorien, hihi.


Wenn die "sparsamere" Ontologie absurd oder obskur oder höchst extravagant ist wie im Fall der VWI, dann nützt deren Sparsamkeit oder Einfachheit gar nichts!

Was für eine materielle/physische Entität ist oder repräsentiert die Wellenfunktion in der VWI denn überhaupt?

Materielle/Physische Objekte als "funktionale Muster" in der Wellenfunktion im Konfigurationsraum? HÄH?!

"Bei genauerer Betrachtung liegt das Hauptproblem der Viele-Welten-Theorie gar nicht in den vielen Welten, sondern darin, überhaupt eine Welt in der universellen Wellenfunktion wiederzufinden (…). Wenn wir die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik als physikalische Theorie ernst nehmen wollen, dann müssen wir erklären, wie wir die universelle Wellenfunktion auf dem hochdimensionalen Konfigurationsraum mit unserer physikalischen Anschauungswelt im dreidimensionalen Raum in Verbindung bringen können. Anders gefragt: Wie identifizieren wir Tische und Stühle und Katzen und Bäume und Messapparate mit eindeutigen Zeigerstellungen in der Wellenfunktion des Universums?

Eine erste Approximation einer solchen Erklärung geht wie folgt: Ein Punkt im 3N-dimensionalen Konfigurationsraum beschreibt die Konfiguration von N Teilchen im dreidimensionalen Raum, und die kann so sein, dass sie einen Tisch formt oder eine Katze oder einen Messapparat, dessen Zeiger nach links zeigt. Und andere Punkte im Konfigurationsraum, die nahe am ersten liegen, beschreiben Konfigurationen, in denen die Orte der einzelnen Teilchen nur geringfügig abweichen, die aber makroskopisch ungefähr gleich aussehen. In diesem Sinne können wir also ganze Bereiche des Konfigurationsraumes mit gewissen makroskopischen Bildern in Verbindung setzen, die als Vergröberung der entsprechenden Teilchenkonfigurationen entstehen. Und wenn nun ein Teil der Wellenfunktion ungefähr in einem Bereich des Konfigurationsraumes lokalisiert ist, der sich zu einer Katze vergröbern lässt, dann haben wir in diesem Teil der Wellenfunktion eine Katze verortet. Und wenn ein anderer Teil der Wellenfunktion ungefähr in einem Bereich des Konfigurationsraumes lokalisiert ist, der sich zu einer toten Katze vergröbern lässt, dann haben wir in jenem Teil der Wellenfunktion eine tote Katze verortet.

Das Problem mit dieser Erklärung liegt nicht einmal im Wörtchen 'ungefähr', das dem Leser an dieser Stelle zu Recht verdächtig vorkommen mag. Das Problem mit dieser Erklärung ist vielmehr, dass sie von vorne bis hinten geschummelt ist. Denn was rechtfertigt es, im Rahmen der Viele-Welten-Theorie die Verbindung zwischen der universellenWellenfunktion und unserer Anschauungswelt mittels hypothetischer Teilchenkonfigurationen zu ziehen? Was rechtfertigt es überhaupt, den 3N-dimensionalen Raum, auf dem die Wellenfunktion des Universums definiert ist, einen 'Konfigurationsraum' zu nennen, wie wir es bisher leichtfertigerweise getan haben? Konfiguration von was? Wenn die Ontologie der Quantenmechanik nur aus der Wellenfunktion besteht, dann gibt es auch keine Teilchen, auf deren Konfiguration sich die Wellenfunktion beziehen könnte und somit keine Rechtfertigung, bestimmte Freiheitsgrade der Wellenfunktion mit Teilchenorten im dreidimensionalen Raum in Verbindung zu setzen

In der modernen Literatur wird deshalb häufig eine andere Strategie diskutiert, die man unter dem Begriff des 'Funktionalismus' zusammenfassen kann. Die Grundidee ist dabei folgende: Eine Katze zu sein bedeutet im Sinne des Funktionalismus nicht eine katzenförmige Materiekonfiguration zu sein, sondern sich (in tatsächlichen oder hypothetischen Situationen) wie eine Katze zu verhalten: zu schnurren, wenn man gestreichelt wird, einer Maus hinterherzujagen, wenn sie vorbeiläuft, auf den Pfoten zu landen, wenn man aus dem Fenster springt usw. Eine Katze oder einen Tisch oder einen Stein in der Wellenfunktion wiederzufinden, bedeutet deshalb nicht, etwas zu identifizieren, was eine Katze oder einen Tisch oder einen Messapparat formt (so wie die Bohmschen Teilchen eine Katze oder einen Tisch oder einen Messapparat formen), sondern gewisse Muster zu identifizieren, die in ihrem Zusammenspiel die funktionalen oder kausalen Rollen einer Katze oder eines Tisches oder eines Messapparates einnehmen. Und weil die Dynamik in der Quantenmechanik in jedem Fall über die Wellenfunktion vermittelt wird, kann man vermuten (oder hoffen), dass die Freiheitsgrade der Wellenfunktion das richtige dynamische Verhalten zeigen, um unsere Welt (und viele andere, ähnliche Welten) in diesem Sinne darzustellen.

Um das etwas plausibler zu machen, erinnern wir uns an die Diskussion des klassischen Limes in Abschn. 1.6. Dort haben wir argumentiert, dass sich bei einem System in Wechselwirkung mit der Umgebung gut lokalisierte Wellenpakete herausbilden (die Umgebung 'misst ständig die Konfiguration des Systems'), die sich ungefähr so bewegen, wie klassische, makroskopische Körper. Sie bilden damit Muster in der universellen Wellenfunktion, die die makroskopischen Objekte unserer Erfahrungswelt funktional darstellen können.

Wenn man dies genauer durchdenkt, dann sieht man, dass dieses klassische Verhalten aus dem dynamischen Gesetz für die Entwicklung der Wellenfunktion folgt, nämlich aus der Schrödinger-Gleichung. In der steht eine zweifache Ableitung nach 'Ortskoordinaten' und ein Wechselwirkungspotential, das ebenfalls in räumlichen Koordinaten gegeben ist. Die Vertreter der Viele-Welten-Theorien sagen dazu, dass dieses Gesetz zufällig diese Form hat, aber einmal diese Form des Gesetzes gegeben, könnte man den Funktionalismus greifen lassen."


(Dürr, Detlef, und Dustin Lazarovici. Verständliche Quantenmechanik: Drei mögliche Weltbilder der Quantenphysik. Berlin: Springer, 2018. S. 109-11)

"Die Viele-Welten-Theorie ist, alles in allem, eine konsistente Denkmöglichkeit, die ernst zu nehmender ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Bisher haben wir uns stets gegen den Begriff der 'Interpretation' verwahrt, im Kontext der Viele-Welten-Interpretation ist er aber einigermaßen angemessen. Wenn man unter Quantenmechanik eine Theorie versteht, die allein durch die Schrödinger-Gleichung definiert ist, dann sind Viele-Welten nicht nur eine mögliche, sondern die einzig ehrliche Interpretation der Theorie.

Die entscheidende Frage, die am Ende jeder selbst beantworten muss, ist, ob es hinreichend gute wissenschaftliche Gründe gibt, um eine derart extravagante und unintuitive Naturbeschreibung zu akzeptieren, wenn es mit der Bohmschen Mechanik und den Kollaps-Theorien empirisch gleichwertige Alternativen gibt, die, gelinde gesagt, bodenständiger sind.

Für viele Anhänger der Viele-Welten-Theorie ist das ausschlaggebende Argument die Ökonomie ihrer mathematischen Beschreibung. Die Viele-Welten-Theorie wird durch eine einzige, relativ einfache Gleichung definiert, die Schrödinger-Gleichung. Bohmsche Mechanik enthält zusätzlich noch die Führungsgleichung für die Teilchenorte. Kollaps-Theorien kommen in ihrer kompaktesten Form zwar auch mit nur einer Gleichung aus, diese beinhaltet aber zusätzliche Parameter und ist durch die stochastischen Terme sicherlich komplizierter und weniger elegant als die Schrödinger-Gleichung. Die Schlussfolgerung, dass die Viele-Welten-Theorie deshalb die einfachste Erklärung der Quantenphänomene liefert, ist allerdings zweifelhaft, denn die Bohmschen Teilchenorte oder die GRW-flashes lassen sich unmittelbar mit den Phänomenen in Verbindung bringen, während die Viele-Welten-Theorie noch irgendeine Geschichte darüber erzählen muss, was Muster in der hochdimensionalen Wellenfunktion mit den Objekten unserer dreidimensionalen Erfahrungswelt zu tun haben. Und diese Geschichte ist, sofern sie überhaupt überzeugen kann, alles andere als einfach.

Ein anderes, häufig genanntes Argument für die Viele-Welten-Interpretation ist, dass sie die Nichtlokalität der Bohmschen Mechanik und der Kollaps-Theorien, die wir bereits angesprochen haben, vermeidet. Diese Behauptung ist fragwürdig, die Sache ist aber tatsächlich subtiler als in den anderen Quantentheorien, wo die Nichtlokalität offenbar ist.

Wir werden in Kap. 10 das Bellsche Theorem besprechen, das beweist, dass gewisse statistische Korrelationen, die im Experiment beobachtet werden, nicht lokal erklärbar sind. In der Viele-Welten-Sicht treten diese Korrelationen allerdings nur in einzelnen Welt-Zweigen auf und als Anhänger der Theorie wird man darauf bestehen, dass eine einzelne Welt nicht die komplette physikalische Realität umfasst. Plakativ: Wenn Messungen keine eindeutigen Ausgänge haben, stellt sich auch nicht die Frage, ob diese nichtlokal beeinflusst werden können. Aber: In der Viele-Welten-Theorie lassen sich räumlich getrennte Systeme i.A. gar nicht unabhängig voneinander beschreiben, sie haben nur einen gemeinsamen Zustand, gegeben durch die verschränkte Wellenfunktion. Das sorgt gerade dafür, dass in den entstehenden Welten die richtigen Korrelationen manifestiert werden. (Beispiel: In der Welt, in der an einem Teilchen 'Spin UP' gemessen wurde, wird an einem zweiten, verschränkten Teilchen immer 'Spin DOWN' gemessen.) Man einigt sich dann manchmal auf die Formel, die Viele-Welten-Theorie habe nichtlokale Zustände, aber keine nichtlokalen Wechselwirkungen.

Eine mögliche Sichtweise ist, dass sich die fundamentale Beschreibung der Viele-Welten-Theorie nicht im dreidimensionalen Raum oder in vierdimensionaler Raumzeit, sondern im hochdimensionalen Konfigurationsraum (der nicht wirklich ein Konfigurationsraum ist) abspielt. Auf diesem hochdimensionalen Raum ist die Theorie, definiert durch die Schrödinger-Entwicklung der universellen Wellenfunktion, zweifelsohne lokal. Dieser Lokalitätsbegriff hat nun aber nichts mehr mit der raumzeitlichen Lokalität zu tun, auf die Einstein so kompromisslos bestanden hat. Falls uns die Nichtlokalität der Quantenmechanik, wie sie in Bohmscher Mechanikoder GRW auftritt, bizarr oder unbekömmlich erscheint, dann tut sie das vor dem Hintergrund gewisser Intuitionen über physikalische Prozesse im dreidimensionalen Raum oder in vierdimensionaler Raumzeit. Es ist nicht klar, warum eine 'lokale' Beschreibung auf einem hochdimensionalen Raum, der unserer Intuition komplett entzogen ist, weniger bizarr oder unbekömmlich sein soll.

Allgemeiner können wir festhalten: Bohmsche Mechanik oder GRW handeln von lokalen Objekten (Teilchen, flashes ), die einem nichtlokalen Gesetz unterliegen, in das die (i.A. verschränkte) Wellenfunktion einfließt. In der Everettschen Theorie gibt es auf fundamentaler Ebene aber nur die Wellenfunktion, und die ist im raumzeitlichen Sinne selbst schon ein hochgradig nichtlokales Objekt.

Ein letztes und mit der vermeintlichen Lokalität verwandtes Argument ist, dass sich die Viele-Welten-Interpretation leichter mit einer relativistischen Beschreibung verträgt. Das ist in gewisser Weise richtig, denn eine relativistische Verallgemeinerung der Viele-Welten-Theorie braucht nur eine relativistische Wellengleichung, Bohmsche Mechanik oder GRW aber noch ein relativistisches Gesetz für die Teilchenbewegung bzw. die Kollaps-Dynamik. Wir wissen bislang aber nicht einmal, wie die Wellenfunktion relativistisch in einer konsistenten, wechselwirkenden Theorie beschrieben werden kann (Quantenfeldtheorie liefert i.A. nur asymptotische Streuzustände). Deshalb gibt es auch noch keine konsistente, relativistische Formulierung der Viele-Welten-Theorie."


(Dürr, Detlef, und Dustin Lazarovici. Verständliche Quantenmechanik: Drei mögliche Weltbilder der Quantenphysik. Berlin: Springer, 2018. pp. 116-8 )
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
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Beitrag(#2184387) Verfasst am: 22.07.2019, 20:29    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn die "sparsamere" Ontologie absurd oder obskur oder höchst extravagant ist wie im Fall der VWI, dann nützt deren Sparsamkeit oder Einfachheit gar nichts!


Die VWI mag theoretisch oder mathematisch einfacher/sparsamer sein als ihre Rivalen, aber von ontologischer Einfachheit/Sparsamkeit kann bei ihrer Vervielfachung von Welten keine Rede sein, oder?
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step
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Beitrag(#2184401) Verfasst am: 23.07.2019, 08:27    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Die VWI mag theoretisch oder mathematisch einfacher/sparsamer sein als ihre Rivalen, aber von ontologischer Einfachheit/Sparsamkeit kann bei ihrer Vervielfachung von Welten keine Rede sein, oder?

Von einer ontologischen Vervielfachung kann man ja nur sprechen, wenn man voraussetzt, daß unser naiver Realismus das Maß der Dinge ist - das ist jedoch keineswegs selbstverständlich. In der modernen Wissenschaft scheint mir zunehmend das Kriterium der einfacheren Beschreibung fundamentaler als das der einfacheren Abbildung auf die Intuition. Dadurch verschiebt sich zwangsläufig auch die Sicht darauf, was überhaupt ontologische Entitäten bzw. Wirklichkeit sein soll.
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Myron
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Beitrag(#2184410) Verfasst am: 23.07.2019, 14:51    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die VWI mag theoretisch oder mathematisch einfacher/sparsamer sein als ihre Rivalen, aber von ontologischer Einfachheit/Sparsamkeit kann bei ihrer Vervielfachung von Welten keine Rede sein, oder?

Von einer ontologischen Vervielfachung kann man ja nur sprechen, wenn man voraussetzt, daß unser naiver Realismus das Maß der Dinge ist - das ist jedoch keineswegs selbstverständlich. In der modernen Wissenschaft scheint mir zunehmend das Kriterium der einfacheren Beschreibung fundamentaler als das der einfacheren Abbildung auf die Intuition. Dadurch verschiebt sich zwangsläufig auch die Sicht darauf, was überhaupt ontologische Entitäten bzw. Wirklichkeit sein soll.


Ich weiß nicht, was du mit "naiver Realismus" meinst. Die Physik handelt jedenfalls von der physischen Realität, und die physikalische Ontologie handelt von den fundamentalen physischen Entitäten. Gerade die Quantenphysiker müssen aufpassen, dass ihre Wissenschaft ontologisch nicht in den reduktiven subjektiven Idealismus oder den reduktiven objektiven Idealismus bzw. (mathematischen) Platonismus verfällt.
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step
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Beitrag(#2184413) Verfasst am: 23.07.2019, 15:18    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
"... 'Funktionalismus' ... Eine Katze [] in der Wellenfunktion wiederzufinden, bedeutet deshalb nicht, etwas zu identifizieren, was eine Katze [] formt [], sondern gewisse Muster zu identifizieren, die in ihrem Zusammenspiel die funktionalen oder kausalen Rollen einer Katze [] einnehmen."

Genau, so ähnlich habe ich das auch hier schon öfter mal vertreten. Im Prinzip ist das nicht viel anders als bei emergenten Begriffen.

Myron hat folgendes geschrieben:
"Und weil die Dynamik in der Quantenmechanik in jedem Fall über die Wellenfunktion vermittelt wird, kann man vermuten (oder hoffen), dass die Freiheitsgrade der Wellenfunktion das richtige dynamische Verhalten zeigen ..."

Das ist ungenau ausgedrückt. Vermittelt wird die Dyanmik über Wirkungen, also z.B. über Lagrangedichten, Potenziale usw, die in der SG auftauchen, deren Lösung die WF ist. Und man muß das auch nicht nur vermuten oder hoffen, sondern man kann auch was überprüfen. Im einfachsten Fall (z.B. e- und p+) kennt man das Potenzial und kann die Lösungen (WF für das e-) berechnen, inklusive Eigenwerte (Spektrum), räunliche Ladungsverteilung, Spin, Hyperfeinstruktur usw. - deren Effekte wiederum lassen sich experimentell überprüfen.

Myron hat folgendes geschrieben:
"... klassischer Limes ... dann sieht man, dass dieses klassische Verhalten aus dem dynamischen Gesetz für die Entwicklung der Wellenfunktion folgt, nämlich aus der Schrödinger-Gleichung. In der steht eine zweifache Ableitung nach 'Ortskoordinaten' und ein Wechselwirkungspotential, das ebenfalls in räumlichen Koordinaten gegeben ist."

Das ist ein interessantes Feld, und nicht trivial. Die oberflächliche Erklärung mit Korrespondenzprinzip E ~ p² ~ d²/dx² greift nicht tief genug, letztlich geht es eher um die Frage, was wir typischerweise als Observable auswählen, wenn wir makroskopische Experimente machen, und in welchen Räumen wir unsere Lagrangedichten und Felder spezifizieren. Und da sind halt Ortsraum und Zeit, bzw. Minkowskiraum, sehr beliebt (was auch wieder Gründe hat). Man kann aber Quantenfeldtheorien, Schrödingergleichungen usw. auch im Impulsraum oder sogar in noch ganz anderen Darstellungen formulieren und erhält dann äquivalente Lösungen in anderen Phasenräumen.

Myron hat folgendes geschrieben:
"Die Vertreter der Viele-Welten-Theorien sagen dazu, dass dieses Gesetz zufällig diese Form hat, aber einmal diese Form des Gesetzes gegeben, könnte man den Funktionalismus greifen lassen."

Wer sagt, daß das Gesetz zufällig diese Form hat? Ich jedenfalls nicht. Unabhängig von meinen Ansätzen oben könnte hier auch smallie evtl. mal wieder das Extremalprinzip anführen.

Zum Rest später, vielleicht.
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Myron
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Beitrag(#2184418) Verfasst am: 23.07.2019, 16:58    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"... 'Funktionalismus' ... Eine Katze [] in der Wellenfunktion wiederzufinden, bedeutet deshalb nicht, etwas zu identifizieren, was eine Katze [] formt [], sondern gewisse Muster zu identifizieren, die in ihrem Zusammenspiel die funktionalen oder kausalen Rollen einer Katze [] einnehmen."

Genau, so ähnlich habe ich das auch hier schon öfter mal vertreten. Im Prinzip ist das nicht viel anders als bei emergenten Begriffen.


Das ergibt aber überhaupt keinen ontologischen Sinn, solange nicht klar ist, was für eine physische Entität die Wellenfunktion laut der VWI ist; und selbst dann stellt sich die Frage, was genau mit "Muster" gemeint ist und aus welchen physischen Entitäten solche Muster bestehen.
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Myron
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Beitrag(#2184421) Verfasst am: 23.07.2019, 18:35    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Das ergibt aber überhaupt keinen ontologischen Sinn, solange nicht klar ist, was für eine physische Entität die Wellenfunktion laut der VWI ist; und selbst dann stellt sich die Frage, was genau mit "Muster" gemeint ist und aus welchen physischen Entitäten solche Muster bestehen.


David Wallace ist einer der Hauptvertreter der VWI. Also habe ich u.a. diesen Aufsatz von ihm gelesen – in der (vergeblichen) Hoffnung, darin klare Antworten auf meine ontologischen Fragen zu finden:

A prolegomenon to the ontology of the Everett interpretation (PDF)

Darin bekomme ich Folgendes zu lesen:

"It can be seen that specifying a microontology for quantum mechanics in general makes no more sense than doing so for classical mechanics in general. In classical mechanics, points in state space can represent (depending on the classical system in question) the length of a spring, or the positions of some particles in physical space, or the relative distances between some particles without any substantival concept of space, or the strength of some field at every point in space, or even the shape of space itself. The only things in common between these different classical-mechanical theories are some rather general, abstract features of their structure and dynamics. Similarly, it's not clear to me that anything very substantive can be said about the ontology of quantum theory in general, over and above similarly-general, similarly-abstract points."

Kurzum, die Ontologie der Quantenmechanik – inbesondere der Viele-Welten-Interpretation – bleibt also abstrus und obskur.
Nun, im Hinblick auf die Bohmsche Mechanik stimmt das ja nicht, wobei selbst darin der ontologische Status der Wellenfunktion nicht hinreichend geklärt ist.
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Myron
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Beitrag(#2184422) Verfasst am: 23.07.2019, 19:04    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Nun, im Hinblick auf die Bohmsche Mechanik stimmt das ja nicht, wobei selbst darin der ontologische Status der Wellenfunktion nicht hinreichend geklärt ist.


Wenn man zwei verschiedene physikalische Räume postuliert—einen "klassischen" 3D-Raum, worin sich physische Teilchen befinden, und einen "nichtklassischen" 3N-Konfigurationsraum, worin sich die Wellenfunktion als physisches Quantenfeld befindet—, dann ist deren Verhältnis völlig rätselhaft, und auch wie das Wellenfeld in dem einen Raum Teilchenbewegungen in dem anderen Raum lenken/steuern kann.

Es gibt jedoch einen hochinteressanten neuen ontologischen Ansatz in der Bohmschen Mechanik, der die Wellenfunktion als physisch reales Feld in den "klassischen" 3D-Raum verlagert, womit sich das Problem der zwei getrennten und wesensverschiedenen Räume auflöst, und wir eine klare fundamentale Ontologie der Bohmschen Mechanik erhalten: Es gibt die Raumzeit und darin befinden sich eine bestimmte Anzahl von Teilchen und ein allgegenwärtiges "Führungsfeld", das deren Bewegungen und Geschwindigkeiten (ganzheitlich) beeinflusst:

The Wave-Function as a Multi-Field (PDF)

"It is generally argued that if the wave-function in the de Broglie–Bohm theory is a physical field, it must be a field in configuration space. Nevertheless, it is possible to interpret the wave-function as a multi-field in three-dimensional space. This approach hasn’t received the attention yet it really deserves. The aim of this paper isthreefold: first, we show that the wave-function is naturally and straightforwardly construed as a multi-field; second, we show why this interpretation is superior toother interpretations discussed in the literature; third, we clarify common misconceptions."

Aber auch als physisch reales "Multifeld" im klassischen 3D-Raum (bzw. der 4D-Raumzeit) bleibt die Bohmsche Wellenfunktion ein nichtklassisches Feld.

Die Idee eines physikalischen "Vielfeldes" (so nenne ich es mal) geht auf Peter Forrests Idee von polyadischen Feldern ("Polyfeldern") und "Polywellen" zurück.

Der entscheidende Unterschied zwischen einem Monofeld ("Einfeld") und einem Polyfeld ("Vielfeld") besteht darin, dass bei letzteren Quantitätswerte nicht jeweils einem einzigen Raumpunkt x zugeordnet werden, sondern jeweils einem ganzen n-Tupel von Raumpunkten <x1,…,xn> (n = Anzahl der Teilchen), wodurch die Nichtlokalität der Bohmschen Wellenfunktion erklärt wird.

"I posit polywaves, which are disturbances to polyadic fields. The familiar monowaves (monadic waves) are assignments to each location of some member of the set of possible field-values for that location. Likewise an n-adic polywave is an assignement to each ordered n-tuple of locations of a member of the set of possible field-values for that n-tuple of locations. The integer n is just the 'number of particles' in the system. And the possible field-values are n-adic relations."
(p. 155)

"[M]uch of the perplexity derives from the holistic character of a polywave theory. For the whole universe will just be one big polywave. If I am right aboout this source of perplexity, there is comfort in the way that actual polywaves can be analysed in terms of (regrettably non-actual) monowaves. Recall that a polywave of polyadicity n is specified by (a) its associated wave function and (b) the associated kinds and numbers of the 'particles' and in particular the associated mass of these 'particles'."
(pp. 157-8 )

"An n-adic polywave consists of various n-adic relations corresponding to actual field strengths and holding between the locations q1,…, qn (in that order) to which the field is assigned. Surely passing from properties to relations does not result in any decrease of plausibility."
(p. 166)

"field, monadic. An assignment to each point in space of a (structured) set of properties, called the field at that point. (In simple cases, this set of properties is the same for all points.) At most one property from the set is instantiated at the point in question. This is called the value of the field at the point. By convention, if no property is instantiated we say the field has value zero."
(pp. 223-4)

"field, polyadic. An n-adic field is the assignment (to each ordered n-tuple of points) of a (structured) set of n-adic relations, called the field for that n-tuple. At most one relation from the set is instantiated by the points in the n-tuple in the order in which they occur. It is called the value of the field for the n-tuple of points."
(p. 224)

"polywave. An n-adic polywave is a smooth assignment of some value in the n-adic field to each n-tuple of points."
(p. 227)

(Forrest, Peter. Quantum Metaphysics. Oxford: Blackwell, 1988.)
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Beitrag(#2184427) Verfasst am: 23.07.2019, 20:21    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Es gibt jedoch einen hochinteressanten neuen ontologischen Ansatz in der Bohmschen Mechanik, der die Wellenfunktion als physisch reales Feld in den "klassischen" 3D-Raum verlagert, womit sich das Problem der zwei getrennten und wesensverschiedenen Räume auflöst, und wir eine klare fundamentale Ontologie der Bohmschen Mechanik erhalten: Es gibt die Raumzeit und darin befinden sich eine bestimmte Anzahl von Teilchen und ein allgegenwärtiges "Führungsfeld", das deren Bewegungen und Geschwindigkeiten (ganzheitlich) beeinflusst ...

Das wundert mich nicht. Wie ich oben schon schrieb, muß die Pilotwelle von den Ontologen zwangsweise immer mehr Eigenschaften eines physikalischen Quantenfeldes zugestanden bekommen, nur so lassen sich die Defizite etwa zur relativistischen Quantenphysik oder gar QFT ausgleichen. Ich kann Dir auch schon prophezeihen, was einer der nächsten Schritte sein wird: Die sog. "zweite Quantisierung" - also man merkt, daß man die Teilchen selbst auch besser als Felder beschreibt, und löst sie so ontologisch rückstandslos auf zugunsten eines entsprechend erweiterten Feldes.

Ist so ein physikalisches Feld eigentlich ontologisch ähh ... zugelassen? Woraus besteht es? Die Frage stellt sich unabhängig von Bohm ja auch schon beim "klassischen" elektrischen Feld - das dann ja doch nicht so klassich war.
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