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Auschwitz

 
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schtonk
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Anmeldungsdatum: 17.12.2013
Beiträge: 12078

Beitrag(#2240005) Verfasst am: 27.01.2021, 21:00    Titel: Auschwitz Antworten mit Zitat

Heute vor 76 Jahren wurden die Überlebenden dieses Nazi/SS-Vernichtungslagers von der Roten Armee befreit.

Es gibt Zeugnisse von Insassen, in denen berichtet wird, was sie erlebten, wie sie fühlten, was sie dachten im Angesicht des Todes.

Das "Zentrum für politische Schönheit" hat solche Zeugnisse gesammelt und sie zugänglich gemacht.

Zitat:
Aus Zügen geworfen, unter der Erde verscharrt, in Thermoskannen versteckt – die letzten Nachrichten und Zeitzeugnisse von NS-Opfern gegen das Vergessen bilden einen Atlas der Individualität. Wir werden die Dimension des Holocaust nicht begreifen ohne den Blick darauf, wer vernichtet wurde. Wir müssen die Aufzeichnungen bergen, wiederbeleben und weitergeben.

https://an-die-nachwelt.de/


Ich kann und will auch nicht beschreiben, was in mir vorging, als ich dort las.

Beispielhaft:

Zitat:
26. April 1943
[unbekannt]
Ich lebe noch immer und will Euch noch schildern, was vom 7. bis zum heutigen Tage geschehen ist. Also es heißt, dass alle jetzt an die Reihe kommen. Galizien soll vollständig judenfrei gemacht werden. Vor allem soll das Getto bis zum 1. Mai liquidiert sein. In den letzten Tagen sind wieder Tausende erschossen worden. Bei uns im Lager war Sammelpunkt. Dort wurden die Menschenopfer sortiert. In Petrikow schaut es so aus: Vor dem Grabe wird man ganz nackt entkleidet, muss niederknien und wartet auf den Schuss. Angestellt stehen die Opfer und warten, bis sie dran sind.
Dabei müssen sie die ersten, die Erschossenen, in den Gräbern sortieren, damit der Platz gut ausgenutzt und Ordnung ist. Die ganze Prozedur dauert nicht lange. In einer halben Stunde sind die Kleider der Erschossenen wieder im Lager. Nach den Aktionen hat der Judenrat eine Rechnung von 30 000 Zloty für verbrauchte Kugeln bekommen, die zu bezahlen waren ... Warum können wir nicht schreien, warum können wir uns nicht wehren? Wie kann man so viel unschuldiges Blut fließen sehen und sagt nichts, tut nichts und wartet selber auf den gleichen Tod? So elend, so erbarmungslos müssen wir zugrunde gehen. Glaubt Ihr, wir wollen so enden, so sterben? Nein Nein! Wir wollen nicht! Trotz aller dieser Erlebnisse. Der Selbsterhaltungstrieb ist jetzt oft größer, der Wille zum Leben stärker geworden, je näher der Tod ist. Es ist nicht zu begreifen.
Meine Lieben! David liegt auf dem jüdischen Friedhof. Wo Muttchen liegt, weiß ich nicht, sie wurde nach Belzec verschleppt. Wo ich begraben sein werde, weiß ich nicht. Wenn Ihr vielleicht nach dem Kriege hinkommt, dann werdet Ihr bei Bekannten erfahren, wo die Transporte aus dem Lager hingebracht wurden. Es ist nicht leicht, Abschied für immer zu nehmen. Lebt wohl, lebt wohl...
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Lord Snow
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Anmeldungsdatum: 05.09.2006
Beiträge: 6443
Wohnort: Würzburg

Beitrag(#2240018) Verfasst am: 27.01.2021, 23:41    Titel: Antworten mit Zitat

An dieser Stelle kann ich auch Briefe aus der Hölle Die Aufzeichnungen des jüdischen Sonderkommandos Auschwitz von Pavel Polian empfehlen, über Aufzeichnungen des sogenannten Sonderkommandos. Das sind die armen Seelen, die an den Gaskammern und an den Verbrennungsöfen arbeiten mussten. Jene, die die ermordeten Menschen aus den Tötungsräumen entfernen, die Toten verwerten (Haare, Zahngold) und schließlich in den Krematorien verbrennen mussten.
_________________
Ich irre mich nie! Einmal dachte ich, ich hätte mich geirrt, aber da hatte ich mich getäuscht

"Der Gott, der Gott sterben läßt, um Gott zu besänftigen"...Hundert Folianten, die für oder wider das Christentum geschrieben worden sind, ergeben eine geringere Evidenz als der Spott dieser zwei Zeilen.
Denis Diderot
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Bravopunk
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Anmeldungsdatum: 08.03.2008
Beiträge: 31679
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Beitrag(#2240176) Verfasst am: 29.01.2021, 08:39    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, da gefriert einem das Blut in den Adern.

Es bleibt jedem, der sowas nicht selbst erlebt hat, wohl ewig unbegreiflich, welch unbeschreibliches Leid Menschen einander antun können. Der Zynismus der Täter wird höchstens noch von dem der Leugner dieser Taten übertroffen.

Diese Schnipsel zu lesen macht etwas mit einem. Ich kann gar nicht genau sagen was. Es schmerzt, aber ich glaube, es ist was Gutes... so seltsam das auch klingen mag.
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Heizölrückstoßabdämpfung
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Anmeldungsdatum: 26.07.2007
Beiträge: 17529
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Beitrag(#2240177) Verfasst am: 29.01.2021, 08:51    Titel: Antworten mit Zitat

Mir hat Remarques Buch "Der Funke Leben" sehr dabei geholfen, eine Vorstellung vom Ausmaß des Schreckens in den Konzentrationslagern zu bekommen (mehr als mein Besuch des KZ Buchenwald). Ist schon krass, wozu Menschen fähig sind.
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„Wer in einem gewissen Alter nicht merkt, daß er hauptsächlich von Idioten umgeben ist, merkt es aus einem gewissen Grunde nicht.“ Curt Goetz
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vrolijke
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Beitrag(#2240181) Verfasst am: 29.01.2021, 09:40    Titel: Antworten mit Zitat

Ist es eigentlich üblich, mit Schulklassen KZs zu besuchen?
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Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm

Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.

Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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Bravopunk
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Anmeldungsdatum: 08.03.2008
Beiträge: 31679
Wohnort: Woanders

Beitrag(#2240183) Verfasst am: 29.01.2021, 10:23    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Ist es eigentlich üblich, mit Schulklassen KZs zu besuchen?


Mit meinen Schulklassen bin ich zu keinem gefahren, aber es ist wohl gängige Praxis, ja.
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AdvocatusDiaboli
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Anmeldungsdatum: 12.08.2003
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Beitrag(#2240184) Verfasst am: 29.01.2021, 10:27    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Ist es eigentlich üblich, mit Schulklassen KZs zu besuchen?


Wir waren zur Abi-Abschlussfahrt in Berlin - und haben das KZ Sachsenhausen besucht. Ist also nicht unüblich.
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Triggerwarnung: Der toxische Addi hat gepostet. Oh, zu spät, Sie haben das schon gelesen.
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Heizölrückstoßabdämpfung
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Anmeldungsdatum: 26.07.2007
Beiträge: 17529
Wohnort: Stralsund

Beitrag(#2240189) Verfasst am: 29.01.2021, 10:54    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Ist es eigentlich üblich, mit Schulklassen KZs zu besuchen?


Ich gehe davon aus und ich finde es richtig und wichtig.
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Wilson
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Anmeldungsdatum: 04.02.2008
Beiträge: 20113
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Beitrag(#2240190) Verfasst am: 29.01.2021, 10:55    Titel: Antworten mit Zitat

Heizölrückstoßabdämpfung hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Ist es eigentlich üblich, mit Schulklassen KZs zu besuchen?


Ich gehe davon aus und ich finde es richtig und wichtig.

in der ddr auch, ich war in buchenwald.
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Anmeldungsdatum: 22.08.2020
Beiträge: 329

Beitrag(#2240193) Verfasst am: 29.01.2021, 11:21    Titel: Antworten mit Zitat

Wilson hat folgendes geschrieben:
Heizölrückstoßabdämpfung hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Ist es eigentlich üblich, mit Schulklassen KZs zu besuchen?


Ich gehe davon aus und ich finde es richtig und wichtig.

in der ddr auch, ich war in buchenwald.


Manches dort soll nicht mehr im Originalzustand sein, so z.B. die "Betten", sprich Verschlage.

Ich hatte während meiner 13-jährigen Schulzeit noch nicht mal was von allen Vernichtungslagern erfahren, lediglich Ausschwitz wurde mal mit einigen wenigen Worten erwähnt. Daher hatte ich als Schüler überhaupt keine Ahnung von diesen Stätten des Grauens. Später besuchte ich dann Dachau und auch Buchenwald. Über Letzteres las ich von Anna Seghers ihr Buch "das 7. Kreuz" und von Apitz "nackt unter Wölfen".
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beachbernie
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Beitrag(#2240287) Verfasst am: 29.01.2021, 17:45    Titel: Antworten mit Zitat

Ich halte solche Besuche von früheren KZs durch Schulklassen ebenfalls fuer sinnvoll (wie auch die Einladung von KZ- und Holocaustuberlebenden in den Geschichtsunterricht) und bedauere, dass sowas an meiner Schule nicht durchgeführt wurde.

Ich hatte in meiner Jugend ausserhalb der Schule zweimal Gelegenheit mir Berichte von KZ-Ueberlebenden anzuhören und diesen Menschen Fragen zu stellen. Wenngleich es auch keine Überlebenden eines der Vernichtungslager waren, sondern "nur" der "normalen" KZs der Nazis, bekommt man so einen viel persönlicheren und tieferen Eindruck von der Unmenschlichkeit dieser Lager als es anhand der trockenen Fakten oder auch Filmvorführungen moeglich ist. Das ist "vor Ort" sicher auch der Fall, vor allem wenn es noch moeglich ist, dass ehemalige Insassen der Lager die Führung durchführen oder begleiten.
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schtonk
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Anmeldungsdatum: 17.12.2013
Beiträge: 12078

Beitrag(#2240409) Verfasst am: 30.01.2021, 01:53    Titel: Antworten mit Zitat

Bravopunk hat folgendes geschrieben:
(...)
Diese Schnipsel zu lesen macht etwas mit einem. Ich kann gar nicht genau sagen was. Es schmerzt, aber ich glaube, es ist was Gutes... so seltsam das auch klingen mag.

Du bist der Einzige, der unter den bisher Postenden gelesen und kapiert hat, worum es geht.

Ja, das löst vieles aus: Wut, Trauer, Schmerz, Bedauern, Ungläubigkeit, Hilflosigkeit, Rachebedürfnis, Bewunderung, Verwirrung... eine ganz vielseitige, widersprüchliche Mischung an Gefühlen und Affekten.

Vorherrschend bei mir war der Impuls, Menschen zu bewundern, die im Angesicht der Hoffnungslosigkeit, gar des Todes, noch in der Lage waren, auf ihrem letzten Stück Papier anderen noch Trost zu spenden, wo sie doch für sich selbst keinen finden konnten.

Diese letzten Äußerungen sind rational (Sorge um Angehörige oder Freunde, Gedanken an das Erbe), patriotisch (Polen wird wieder erstarken) oder religiös (der Trost- und Zufluchtsgedanke) gestimmt. Man bekommt also Hinweise auf das, was man vllt als Lebensphilosophie der Betreffenden bezeichnen könnte. Und das bietet viel Raum für die eigenen Vorstellungsmöglichkeiten über das vergangene Leben eines Menschen, der noch vor kurzem Vater, Mutter, Arbeiter, Angestellter, Beamter oder Künstler war.

Welch eine Haltung!! Instinktiv fragt man sich doch, ob man selbst das in einer solch existentiellen Situation auch könnte. Aber das ist eine der Fragen, die unmöglich zu beantworten sind.
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zelig
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Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2240424) Verfasst am: 30.01.2021, 09:55    Titel: Antworten mit Zitat

Neben allem wissen, haben sich Filmschnipsel in mein visuelles Gedächtnis eingebrannt. Szenen an der Rampe, an der gnadenlos Menschen sortiert wurden. In den Zügen gab es noch Sozialität, die dann an der Rampe von den Schergen atomisiert wurde. Und da vor allem, die verzweifelten Versuche von Müttern und Kindern zusammenbleiben und doch auseinandergerissen wurden, als wären sie keine lebenden Wesen, wie Dinge. Das waren die Deutschen. Scham und Trauer bei mir.
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schtonk
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Anmeldungsdatum: 17.12.2013
Beiträge: 12078

Beitrag(#2241882) Verfasst am: 10.02.2021, 00:31    Titel: Antworten mit Zitat

Im Jahre 1981, an einem Sonntag, um 21 Uhr (eine gute Sendezeit), wurde von der ARD ein zweiteiliger Film ausgestrahlt. Er heißt "Zeugen". In zwei mal zwei Stunden war zu sehen und zu hören, was Überlebende aus Konzentrationslagern (hauptsächlich Auschwitz) berichteten. Sie wurden interviewt in Polen und in Israel, meist in ihrer privaten Umgebung. Was sie zu erzählen hatten, sprengt jede Vorstellung von dem, was man sich an Grausamkeiten vorstellen kann, die Menschen im Namen einer Ideologie anderen Menschen antun können.

Diese Dokumentation ist Karl Fruchtmann zu verdanken. Er war selbst interniert in den Konzentrationslagern Sachsenburg und Dachau. Das war auch der Grund, warum die Betroffenen ihm vertrauten und offen sprachen.

Während und nach der Sendung riefen hunderte Zuschauer an, die sich in Beschimpfungen ergingen, Auschwitz als Lüge bezeichneten und von "Holokotz" sprachen. So berichtet der damalige Redakteur Jürgen Breest (siehe untenstehenden Link).

Ich habe die Sendung seinerzeit auf VHS-Kasette aufgenommen und bin immer wieder erschüttert, wenn ich sie mir (in Teilschritten) anschaue.

Dieses Zeugnis persönlicher Tragödien sollte im Grunde jederzeit abrufbar sein. Das ist leider nicht der Fall. Auf meine entspr. Anfrage bekam ich von der Programmdirektion der ARD die Antwort, dass man sich bemühen werde, die Dokumentation in der Mediathek aufzunehmen.


https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/geschichte-im-ersten/videos/zeugen-wie-der-holocaust-ins-fernsehen-kam-video-100.html

https://dein.radiobremen.de/ueber-uns/chronik/chronik-karl-fruchtmann-100.html


Einer der damals Interviewten hieß Raul Hilberg.


Edith: Hilberg wurde dort nicht interviewt. Er trat als Zeitzeuge in Claude Lanzmanns Film "Shoah" auf. Das habe ich verwechselt.


Zuletzt bearbeitet von schtonk am 10.02.2021, 02:08, insgesamt einmal bearbeitet
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schtonk
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Anmeldungsdatum: 17.12.2013
Beiträge: 12078

Beitrag(#2241884) Verfasst am: 10.02.2021, 01:32    Titel: Antworten mit Zitat

Raul Hilberg hat im Jahre 1961 ein detailliertes Werk zur Stigmatisierung, Inhaftierung, industriellen Ausbeutung und Ermordung der Juden in Europa durch die Natinonalsozialisten veröffentlicht: "The Destruction of the European Jews".

Durch dieses Buch, in sehr unpersönlichem, beschreibendem und deshalb historisch wertvollem Stil geschrieben, erfährt man alles, was die nationalsozialistische Idee von der Vernichtung der Juden beflügelt hat. Hilberg hatte dazu immens viele Quellen recherchiert, sie sind alle angegeben.

Einer der vielen Aspekte des Vernichtungsprozesses war das Transportwesen per Schiene der Deutschen Reichsbahn (auch in Polen).
Dazu zitiert Hilberg ein Schreiben von Obergruppenführer Wolff (Chef des persönl. Stabs Heinrich Himmlers) an Staatssekretär Dr. Ganzenmüller vom Verkehrsministerium, nachdem dieser ihm berichtete, dass 300 000 Juden aus dem Warschauer Ghetto vom Tötungszentrum Sobibor nach Treblinka "umgeleitet" worden waren und vom 22. Juli 1942 an täglich ein Zug mit 5000 Juden von Warschau nach Treblinka fuhr sowie zweimal pro Woche ebenfalls ein Zug mit 5000 Juden von Przemysl nach Belzec fahren würde:

"Lieber Parteigenosse Ganzenmüller,
... Mit besonderer Freude habe ich von Ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß nun schon seit 14 Tagen täglich ein Zug mit je 5000 Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt und wir doch auf diese Weise in die Lage versetzt sind, diese Bevölkerungsbewegung in einem beschleunigten Tempo durchzuführen. ..."

(Anm. von mir: Man beachte die ekelhaft-süffisante Wortwahl 'auserwählt', 'Bevölkerungsbewegung')

(Quelle: Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden, Geschichte Fischer 1990, S. 516)

Dieser Aspekt ist nicht willkürlich gewählt, es gibt einen aktuellen Anlass.
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schtonk
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Anmeldungsdatum: 17.12.2013
Beiträge: 12078

Beitrag(#2241886) Verfasst am: 10.02.2021, 02:04    Titel: Antworten mit Zitat

Die Deutsche Bahn ist nach wie vor nicht bereit, jüdischen (oder anders religiösen, homosexuellen, sozialdemokratischen, kommunistischen) Deportationsopfern resp. ihren Nachfahren Entschädigungszahlungen zuzugestehen, obwohl sie nach '45 Schienennetz und Vermögen der Reichsbahn übernommen hat.

Das Vermögen der Reichsbahn akkumulierte sich in erheblichem Maße durch die Todestransporte von Juden:
Zitat:
Die Opfer mussten für ihre Fahrt in die Gaskammern selbst zahlen. Erwachsene zahlten vier Reichspfennige pro Kilometer und Kopf, Kinder zwischen vier und zehn Jahren die Hälfte, Kleinkinder wurden kostenlos transportiert. Bei Transporten von mehr als 400 Personen gab es einen Mengenrabatt von 50 Prozent.

(Quelle: Untenstehender Link)

Zitat:
Die „Nederlandse Spoorwegen“ zahlt rund 50 Millionen Euro an die etwa 7000 Opfer, die konkret ermittelt werden konnten, und ihre Nachkommen.
[...]...Die französische Staatsbahn SNCF hat sich 2014 verpflichtet, 60 Millionen Dollar an US-amerikanische Deportationsopfer und deren Familien zu zahlen. In Osteuropa gab es Ähnliches.
...
Die Deutsche Bahn AG verwies auf ihre finanziellen Engagements in der Sache, aber auch darauf, dass sie nicht Rechtsnachfolger der Deutschen Reichsbahn sei.

Wer ist das denn?

Das ist schwierig zu beantworten, zumal ja in der DDR die Deutsche Reichsbahn bis 1990 fuhr. Juristisch mag es durch verschiedene rechtliche Konstruktionen vielleicht keinen Rechtsnachfolger geben. Unbestreitbar ist doch aber, dass die Bahn nach dem Krieg die Monopolposition, die Schienen und das Vermögen der Reichsbahn übernahm, um damit zu wirtschaften. Und die hatte sich an den Deportierten bereichert. Die Opfer mussten für ihre Fahrt in die Gaskammern selbst zahlen. Erwachsene zahlten vier Reichspfennige pro Kilometer und Kopf, Kinder zwischen vier und zehn Jahren die Hälfte, Kleinkinder wurden kostenlos transportiert. Bei Transporten von mehr als 400 Personen gab es einen Mengenrabatt von 50 Prozent.
...
Die Deutsche Reichsbahn hat eine entscheidende Rolle im Vernichtungsmechanismus des NS-Regimes gespielt. Ohne sie wäre der Holocaust in diesem Umfang nicht möglich gewesen. (...)

https://www.fr.de/hintergrund/wer-es-ernst-meint-der-zahlt-auch-etwas-90194826.html
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Bravopunk
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Beitrag(#2241891) Verfasst am: 10.02.2021, 08:10    Titel: Antworten mit Zitat

Ist ja auch mal wieder interessant, dass niemand der Rechtsnachfolger der Reichsbahn ist. Ohne die Deutsche Bahn ist das sog. Wirtschaftswunder vermutlich undenkbar. Das erklärt vielleicht wo das Vermögen geblieben ist, denn spätestens nach dem Börsengang ist davon so gut wie gar nichts übrig geblieben.

In der DDR hieß die Bahn bis 1990 Reichsbahn. Ich habe mal gehört (ob es wirklich so ganz stimmt, weiß ich nicht), dass der Grund dafür war, dass sie Sowjets aus irgendwelchen seltsamen rechtlichen Gründen die Reichsbahn nicht beschlagnahmen konnten oder wollten, eine DDR-eigene Bahn, so sie so jemals genannt worden wäre, allerdings schon. Weshalb man den alten Namen deshalb weiterführte, um dem Bündnispartner so ein Schnippchen zu schlagen.

Es ist schon perfide, wenn nicht gar pervers, zu lesen und dann erst recht es zu begreifen, dass die Ermordeten bzw. die jüdischen Gemeinden für Kugeln und Transport zur Vernichtung selbst bezahlen mussten. Man darf auch nicht vergessen, dass nur die "Aktion Reinhardt" allein mit 178 Mio. Reichsmark (umgerechnet über 700 Mio. €) ein sehr profitables Geschäft für das Dritte Reich war. Erwirtschaftet durch die Kleidung, Wertsachen, Geldbeträge und Gold- bzw. Schmuckzähne der Ermordeten. Das erklärt dann vielleicht auch nochmal, warum so viele der in dieses Geschäft involvierten Nazis und Behörden eine so große Freude über die hohe Effizienz der Mordmaschinerie empfanden.
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Bravopunk
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Beitrag(#2250261) Verfasst am: 09.05.2021, 07:04    Titel: Antworten mit Zitat

Ich glaube, wir hatten auch mal einen Thread über Holocaust-Leugner. Den finde ich aber gerade nicht, deshalb tue ich es mal hier rein, weil es hier ja auch ein wenig reinpasst:

Ich habe mir jüngst eine nicht auf Moral angewiesene ggf. sogar international gültigmachbare Begründung für ein Verbot der Holocaust-Leugnung überlegt. Ich weiß nicht inwieweit sie so oder ähnlich in der Juristerei schon betrieben wird, wollte sie aber mal zur Diskussion stellen. Und zwar halte ich es für erwiesen, dass die Nazis und ihre Helfershelfer mit der industriell und bürokratisch abgewickelten Massenermordung bezweckten diese Menschen aus der Welt und Geschichte zu tilgen. Ihr Vorgehen, insbesondere in der Beweisvernichtung und Verschleierung bzw. Codierung schon während der frühen Phase dieser Morde, belegt eindeutig, dass das ihr Ziel und der Zweck ihres Handelns war. Daher ist davon auszugehen, dass die Leugnung des Lebens und somit auch des Sterbens ihrer Opfer als direktes Ziel ihrer Taten zu betrachten ist. Der Nutzen, den sie sich, auch für zukünftige, nicht direkt aktiv an diesen Taten beteiligten Generationen versprachen, lag also nicht nur in der bloßen Nichtexistenz der Opfer, sondern auch in der Leugnung ihrer Existenz. Weshalb diese eine direkte Beteiligung an ihrer Ermordung darstellt. Denn der Zweck und Nutzen der Ermordung wird vom Leugner in Gebrauch genommen.

Vergleichbar ist das inetwa damit, wenn jemand anderes für einen eine Bank überfällt und man an der Beute beteiligt wird, obwohl man nichts dazu beigetragen hat, außer Nutznießer zu sein. Im Gegensatz zu einem Bankräuber, der die Bank nur zur eigenen Bereicherung überfiel, die Beute versteckte, auf der Flucht starb und dann die Beute von jemandem ganz anderen gefunden und behalten wird. Der Zweck und das Ziel wäre hier ja nicht die Bank ärmer zu machen, sondern sich selbst zu bereichern seitens des verstorbenen Räubers. Der Finder ist zwar Nutznießer des Raubs, aber nicht des Nutzens.
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Tarvoc
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Beitrag(#2250293) Verfasst am: 09.05.2021, 12:42    Titel: Antworten mit Zitat

Bravopunk hat folgendes geschrieben:
Ich weiß nicht inwieweit sie so oder ähnlich in der Juristerei schon betrieben wird, wollte sie aber mal zur Diskussion stellen.

Aus der Juristerei ist mir das nicht bekannt, aber aus der philosophischen Holocaustforschung.
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Bravopunk
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Beitrag(#2250360) Verfasst am: 10.05.2021, 07:57    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Bravopunk hat folgendes geschrieben:
Ich weiß nicht inwieweit sie so oder ähnlich in der Juristerei schon betrieben wird, wollte sie aber mal zur Diskussion stellen.

Aus der Juristerei ist mir das nicht bekannt, aber aus der philosophischen Holocaustforschung.


Hätte mich auch gewundert, wenn ich der Erste wäre, der darauf gekommen ist. Smilie
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