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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5490
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5490
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(#2309921) Verfasst am: 28.03.2025, 21:19 Titel: |
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Günter Bechly ist tot. Am 06.01. war er mit seinem Wagen vermutlich in suizidaler Absicht unterwegs, steuerte mit hoher Geschwindigkeit in den Gegenverkehr und riss dabei einen völlig Unbeteiligten mit in den Tod. Den Motorblock riss es komplett aus dem Fahrzeug.
Zwei Tage zuvor war auf seiner Facebook-Seite folgendes zu lesen:
Zitat: | Dear friends! Prayers for my health would be very much appreciated. I‘m in the hospital and feel pretty miserable. Thank you! |
Normalerweise sollte man über Tote nur Gutes sagen. Seine "Fellows" vom Disco-Institute tun das auch über Gebühr. Aber die Todesumstände hinterlassen einen komischen Beigeschmack.
[Nachtrag, 30.03.: Was mich auch nachdenklich stimmt, ist ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer, das für Christen eigentlich verbindlich sein dürfte:
Zitat: | »Es gibt keinen anderen zwingenden Grund, der den Selbstmord verwerflich macht als die Tatsache, dass es über den Menschen einen Gott gibt. Diese Tatsache wird durch den Selbstmord geleugnet.« - |
Das würde erst recht für einen erweiterten Suizid gelten. Das wirft die spannende Frage auf, ob er sich - falls es Suizid gewesen sein sollte - seiner metaphysischen Illusion am Lebensende selbst bewusst geworden ist, "Gott" also als Lebenslüge erkannte. Das könnte ich mir gut vorstellen, aber wir werden es leider nie erfahren.]
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5490
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(#2310056) Verfasst am: 09.04.2025, 11:45 Titel: |
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Wer sehen möchte, wie sich Dave Farina gegen einen rhetorisch versierten Muslim schlug, kann das in dieser Debatte verfolgen:
https://www.youtube.com/watch?v=g5ah-nPrmPU
Leider habe ich sehr gemischte Gefühle, da er über weite Strecken keine gute Figur machte. Diesem Subboor gelangt es ganz passabel zu zeigen, dass Dave in vielen Bereichen zu wenig Ahnung hat. Fast schon peinlich, dass er nicht wusste, was "genetische Assimilation" bedeutet und worauf Waddington mit seinem "epigenetischen System" hinauswollte. Dass das für die eigentliche "Diskussion" gar keine Rolle spielte, geriet dabei in den Hintergrund.
Was ich besonders schade finde, ist, dass Dave nicht hinreichend klarstellte, warum Subboor seine Thema falsch wählte und dass dessen wissenschaftstheoretisches Verständnis gegen Null geht. Zunächst: Die Frage "Ist die Darwinsche Evolution eine Tatsache?" ist ebenso unsinnig wie die Frage, ob "Newtons Physik" eine Tatsache ist. Worüber wir sprechen, sind Theorien, die Sachverhalte mehr oder weniger allgemein und mehr oder weniger (un-) vollständig beschreiben und erklären. Natürlich muss das allgemeine Erklärungsschema "zufällige Mutation + Selektion" durch weitere Faktoren ergänzt werden, um Spezifika zu erklären.
Einiges davon, wie epigenetische / entwicklungsbiologische Aspekte der Evolution, hat Subboor grob angedeutet. Waddington konnte punkten, indem er darauf hinwies, dass die "Standardtheorie" diesen Aspekten zu wenig Beachtung schenkt. Leider ist Dave in die Falle getappt, solche Aspekte als Unsinn abzutun, ohne zu erwähnen, dass sie im Kontext der Evo-Devo-"Theorie" diskutiert werden. Es war auch nicht zielführend, ad hominem gegen Denis Nobel zu argumentieren. All das lenkte nur vom Wesentlichen ab – nämlich davon, dass die Evolutionstheorie (ob "moderne Synthese", Evo-Devo oder was auch immer spielt keine Geige) ebenso wenig verworfen werden muss wie die Newtonsche Mechanik aufgrund ihrer Unvollständigkeit und (partiellen!) Falschheit.
Dieser Subboor betrieb ein perfides Begriffsverwirrspiel und versuchte, Zweifel an der Evolution als Ganzes zu wecken, nur um durch die Hintertür seinen ominösen Designer ins Spiel zu bringen. Das Unehrliche ist, dass er das nicht sagte, denn dann wäre sofort klar gewesen, dass die Unvollständigkeit einer theoretischen Beschreibung nicht Intelligent Design stärkt. Wie die Kontrahenten gegenseitig aufeinander eingedroschen und sich als überlegen gegenüber dem jeweils anderen dargestellt haben, hatte eher komödiantischen als didaktischen Wert.
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5490
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(#2310089) Verfasst am: 14.04.2025, 10:18 Titel: |
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Übersichtsartikel
Hat die Evolution ein Wartezeitproblem?
Biologische Komplexität und der Gipfel des Unwahrscheinlichen
https://www.ag-evolutionsbiologie.de/html/2025/evolution-wartezeit-problem.html
Ob Bakteriengeißel, Vogelflügel oder Wirbeltierauge – das Leben strotzt nur so vor Merkmalen, deren Komplexität und Anpassungsfähigkeit uns in ihren Bann ziehen. DARWIN hatte Recht, als er bemerkte, dass sich aus einfachen Anfängen eine endlose Reihe der wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt. Naturgemäß stößt diese Erkenntnis auf den Widerstand von Evolutionsgegnern. Häufig bringen sie bestimmte Versionen des sogenannten Wartezeitproblems ins Spiel, um gegen Evolution zu argumentieren. Da es sich um einen gängigen Einwand gegen das handelt, was sie unter Makroevolution verstehen, wollen wir dieses Argument genauer unter die Lupe nehmen.
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3179
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(#2310098) Verfasst am: 16.04.2025, 09:55 Titel: |
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mit den Begriffen Komplexität und Wahrscheinlichkeit wird allgemein wild um sich geworfen, ohne dass dafür quantitative Maßzahlen entwickelt würden.
In allen mir bekannten Texten bleibt es bei einer subjektiv gefärbten, rein intuitiven Definition.
_________________ Hup Holland Hup, Oranje winnt de cup (2022)
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5490
Wohnort: Tief im Süden
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(#2310101) Verfasst am: 16.04.2025, 13:32 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | mit den Begriffen Komplexität und Wahrscheinlichkeit wird allgemein wild um sich geworfen, ohne dass dafür quantitative Maßzahlen entwickelt würden.
In allen mir bekannten Texten bleibt es bei einer subjektiv gefärbten, rein intuitiven Definition. |
Man kann "Komplexität" schon quantitativ definieren, beispielsweise als Zahl verschiedenartiger Elemente in einem System, die miteinander interagieren und dabei eine bestimmte emergente Eigenschaft erzeugen. Formal lassen sich in der Evolution auch irgendwelche Apriori-Wahrscheinlichkeiten ausrechnen. Das wird durchaus auch seriös gemacht, z.B. im Rahmen von Moran-Modellen. Das setzt voraus, dass man die Grenzen der Modelle kennt und nicht Voraussetzungen hineinpackt, die mit Evolution nicht mehr zu tun haben. Das Problem ist, dass sich die Anti-Evolutionisten, die mit "Wartezeitmodellen" operieren, nicht im Klaren darüber sind, was sie eigentlich ausrechnen, und dann sind wir bei GIGO.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26406
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2310102) Verfasst am: 16.04.2025, 14:59 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | VanHanegem hat folgendes geschrieben: | mit den Begriffen Komplexität und Wahrscheinlichkeit wird allgemein wild um sich geworfen, ohne dass dafür quantitative Maßzahlen entwickelt würden.
In allen mir bekannten Texten bleibt es bei einer subjektiv gefärbten, rein intuitiven Definition. |
Man kann "Komplexität" schon quantitativ definieren, beispielsweise als Zahl verschiedenartiger Elemente in einem System, die miteinander interagieren und dabei eine bestimmte emergente Eigenschaft erzeugen. Formal lassen sich in der Evolution auch irgendwelche Apriori-Wahrscheinlichkeiten ausrechnen. Das wird durchaus auch seriös gemacht, z.B. im Rahmen von Moran-Modellen. Das setzt voraus, dass man die Grenzen der Modelle kennt und nicht Voraussetzungen hineinpackt, die mit Evolution nicht mehr zu tun haben. Das Problem ist, dass sich die Anti-Evolutionisten, die mit "Wartezeitmodellen" operieren, nicht im Klaren darüber sind, was sie eigentlich ausrechnen, und dann sind wir bei GIGO. |
Ein weiteres Problem ist, dass VanHanegem die Angewohnheit hat, Gemeinplätze abzusondern, die ganz allgemein seinen großen Überblick belegen sollen, die aber i.A. nicht mehr belegen, als dass er den Beitrag, um den es geht, nicht gelesen hat.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44619
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(#2310109) Verfasst am: 17.04.2025, 10:06 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Ein weiteres Problem ist, dass VanHanegem die Angewohnheit hat, Gemeinplätze abzusondern, die ganz allgemein seinen großen Überblick belegen sollen, die aber i.A. nicht mehr belegen, als dass er den Beitrag, um den es geht, nicht gelesen hat. |
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3179
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(#2310137) Verfasst am: 18.04.2025, 16:52 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Man kann "Komplexität" schon quantitativ definieren, beispielsweise als Zahl verschiedenartiger Elemente in einem System, die miteinander interagieren und dabei eine bestimmte emergente Eigenschaft erzeugen. ...
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kommt darauf an, ob Du mit "Zahl verschiedenartiger Elemente" nun die Zahl aller kombinatorisch möglichen Elemente, oder die Größe einer Polulation meinst. Als "Komplexität" ist mir eher ersteres bekannt. Das kannst du dann aber nicht einfach "definieren", sondern das würde sich aus einem Systemmodell ergeben. Die Größe Deiner Population (so Du eine stochastische Simulation bevorzugst) wirst Du natürlich schon unter Berücksichtigung Deiner comutational resources definieren da dürfte aber auch die kombinatorische Komplexität eine Rolle spielen.
_________________ Hup Holland Hup, Oranje winnt de cup (2022)
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2310193) Verfasst am: 23.04.2025, 22:48 Titel: |
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Hab's gesehen. Kein weiterer Kommentar, deiner reicht.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Es war auch nicht zielführend, ad hominem gegen Denis Nobel zu argumentieren. |
Denis Nobel kannte ich nicht. (Dachte ich.) Hab mich umgesehen.
Der Punkt geht an Noble.
Was in 10 000 Jahren machbar sein wird, ist nicht absehbar. Für heute läßt sich feststellen: wenn Mammute auferstehen sollen, werden sie von Elefanten ausgetragen werden müssen. Falls das biologisch möglich ist.
Creativity? Wie stellt man die fest? Als Zahl, bitte. Nee, ich persönlich würde solche Begriffe vermeiden, außer ich hätte etwas handfestes zu nennen.
Mit manchem, was Noble sagt kann ich nichts anfangen. Oft weiß ich nicht mal, wovon er spricht, weil er schwammige Wörter nutzt. Einiges fällt unter "Interpretation" und "Auslegungssache". Dennoch kann ich mir einen Reim darauf machen, was Noble meinen könnte. Folgendes kommt bei Fisher, Haldane, Wright nicht vor:
mtDNA
Mitochondrale DNA kommt zum allergrößten Teil von der mütterlichen Seite. Zusätzlich zur herkömmlichen DNA, gibt es eine zweite Erblinie.
Horizontaler Gentransfer
Vor zehn oder fünzehn Jahren hat der New Scientist mit der Schlagzeile "Darwin was wrong" aufgemacht. Weil horizontaler Gentransfer angeblich Darwin widerlegt. Horizontalen Gentransfer gibt es auch bei Pflanzen. Bei Tieren nicht.
Horizontaler Genraub aka CRISPR
Die Genschere hat man gefunden, nach dem aufgefallen war, dass in Bakteriengenom fremde DNA steckt. Das Bakterium hat fremde Sequenzen ausgeschnitten und bei sich eingebaut. Möglicherweise zum Zweck der Wiedererkennung eines Viruses.
Das ist ein erstaunlicher Vorgang. Niemand hat das kommen sehen.
Wieder kann man streiten, ob das Darwin oder die ES aushebelt. Diese Vorgänge betreffen meines Wissens nur Einzeller.
Aktive Mutation bestimmter Genregionen
Dazu habe ich mindestes zwei Mal etwas gelesen, das genau das behauptet. Und es war nicht die Mutation von Immunzellen, von der Noble spricht. Eher so: in kargen Zeiten wird die Mutation bestimmter Genregionen betrieben. Vielleicht vergleichbar mit Arten, die in kargen Zeiten auf sexuelle Vermehrung umstellen.
Das ist, was mir zu dem wenigen einfällt, das ich von Noble (und auch Laland) gelesen habe. Wie weit sich das mit dem deckt, was die Herren wirklich sagen, kann ich nicht sagen.
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Wieso taugt Denis Noble als Kronzeuge gegen Evolution?
Ich kenne Denis Noble doch. Jerry Coyne hat mehrmals über ihn geschrieben. Ich konnte den netten alten Herrn aus den Videos allerdings nicht mit dem überzogenen Evolutionsleugner zusammenbringen, als den Coyne ihn dargestellt hat.
Yet another misguided attempt to revise evolution - February 12, 2024
Famous physiologist embarrasses himself by claiming that the modern theory of evolution is in tatters - August 25, 2013
Coyne fasst Noble so zusammen:
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | 1. Mutations are not random
2. Acquired characteristics can be inherited
3. The gene-centered view of evolution is wrong [This is connected with #2.]
4. Evolution is not a gradual gene-by-gene process but is macromutational.
5. Scientists have not been able to create new species in the lab or greenhouse, and we haven’t seen speciation occurring in nature. |
Das ist erstmal ziemlich abschreckend.
Jerry Coynes Antworten überzeugen mich allerdings auch nicht immer. Die Arbeit von Noble ist frei verfügbar. Ich werd' sie mir ansehen, bin gespannt.
Mein vorläufiger Eindruck: Man muß keine neue Evolutionstheorie ausrufen, wenn etwas Neues gefunden wird. Denis Noble scheint das zu tun. Man sollte neue Aspekte aber nicht rundheraus als "ist doch offensichtlich" und "haben wir immer schon gewußt" abkanzeln. Dawkins und Coyne scheinen das zu tun.
Sabboor ist der lachende Dritte, der diesen Streit für seine Zwecke nutzt.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2310289) Verfasst am: 29.04.2025, 19:52 Titel: |
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Hab Coyne und Noble gelesen. Noble-Zitate sind eingefärbt.
Das wichtigste zuerst.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | Here we go again: someone arguing that DARWIN WAS RONG (well, he was, on several issues) and also that DARWIN’S INTELLECTUAL DESCENDANTS ARE RONG TOO. But this time it’s not a creationist but a card-carrying biologist, and a famous one, too. |
Zumindest der erste Vorwurf stimmt nicht.
Darüber kann man streiten. Was man nicht tun kann: die Behauptung hineinzulesen, Darwin läge falsch.
Noble hat folgendes geschrieben: | In this article, I will show that all the central assumptions of the Modern Synthesis (often also called Neo-Darwinism) have been disproved. |
Auch darüber kann man streiten: ob horizontaler Gentransfer oder Neutrale Theorie die Moderne Synthese aushebelt.
R.A. Fischer, J.B.S. Haldane und Sewall Wright haben der Genetik einen mathematischen Rahmen gegeben. Auch wenn sie in den 1920er Jahren vielleicht nicht alles beschrieben haben, was man heute kennt oder vor 1970 kannte, ihre Methoden sollten reichen, um eben auch das zu beschreiben. Erst wenn deren Methoden scheitern, kann man anfangen, eine neue Synthese zu fordern.
Zum Rest.
Vieles aus der Arbeit von Nobel kann ich mangels Kenntnis nicht beurteilen. Macht aber nichts, denn, Überraschung, Jerry Coyne bestreitet nicht, was Noble an Beispielen anführt. Meine Güte, die streiten nicht um Fakten, nicht um eine Beobachtung, nicht um eine Formel, sondern um Auslegungen.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | 1. Mutations are not random. This is a central tenet of evolutionary biology, which Noble says has now been disproven. It hasn’t. He argues that there are mutational hotspots in the genome, and that mutation rates can change in response to the condition of the organism or its environment.
That is true, ... |
Noble sagt - in meinen Worten - dass Zufall nur ein Wort ist für diverse Gründe, die wir im Detail nicht kennen.
Noble hat folgendes geschrieben: | As already noted, though, the key question is not so much whether changes are truly random (there can be no such thing independent of context) but whether they are chance events from the viewpoint of function. The evidence is that both the speed and the location of genome change can be influenced functionally. |
Über Zufall kann ebenfalls lange streiten oder philosophieren. Wenn bei der Rekombination genau 50/50 von väterlicher und von mütterlicher Seite kommt, dann ist das einerseits "Zufall", andererseits präzise gesteuerter oder kalkulierter Zufall.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | That is true, but says nothing about the randomness of mutations. What we mean by “random” is that mutations occur regardless of whether they would be good for the organism. |
Coynes Einwand, dass Zufall Zufall bleibt, auch wenn die Mutationsrate angekurbelt wird, teile ich. Nobles Hinweise auf creativity usw. hatte ich oben schon kritisiert.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | 2. Acquired characteristics can be inherited. In support of this neo-Lamarckian view, Noble trots out the tired old horse of epigenetics, arguing that environmentally-induced changes in DNA can be transmitted for several generations, presumably by differential methylation of the DNA. And that is also true. |
Coyne sagt, epigentische Änderungen seien nicht von Dauer. So kenne ich das auch, muß an dieser Stelle aber glauben, was ich so höre.
Die interessantere Frage ist, das blendet Coyne hier as, ob solche Änderungen adaptiv sind oder nicht. Falls ja, beinflussen die Änderungen die Fitness des Trägers und haben sie Einfluss auf den Genpool: Allelhäufigkeiten in einer Population ändern sich. Das nennt man Evolution
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | 3. The gene-centered view of evolution is wrong. Noble clearly has a beef about his colleague Richard Dawkins, and spends a lot of time in his talk arguing against both the notion of “selfish genes” ... |
Die Videos haben bei mir den leisen Eindruck erweckt, dass Noble das Wort selfish zu wörtlich nimmt. Dawkins schreibt im Vorwort zu späteren Ausgaben, der Titel hätte auch "The altruistic gene" lauten können. Hier ist Dawkins aus dem Schneider.
Das ist aber nicht die ganze Geschichte.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | ... and the idea that the gene is the true unit of selection rather than, say, the cell.
Here Noble is deeply confused. He decries the gene-centered view of evolution because, he says, “well, cells replicate too, and the cell carries the DNA, so the DNA can’t itself be the unit of reproduction.” That’s just dumb. Cells are transitory, and DNA is not. |
Naja. Bei Dawkins ist die Zelle ein vehicle. Vehicles sind ebenfalls Einheiten der Reproduktion. Wie man sich an unterschiedlicher Terminologie aufhängen kann, obwohl man das selbe meint, ist mir ein Rätsel.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | Noble also claims that all biologists now recognize that selection is “multilevel” rather than just at the level of the gene. But he doesn’t explain what he’s talking about. Clearly, multilevel selection is logically possible, but we don’t know of many cases. ...
What bothers me is that this kind of palaver sounds superficially convincing to those who don’t know a lot about evolution, and that may include the biologists in Noble’s audience. |
Coyne mag multi level selection nicht. Dawkins mag sie noch weniger, er sagte, das sei eine Idee von Leuten, die nichts von Biologie verstehen. Hab' vor Jahren ein bisschen was dazu geschrieben.
smallie hat folgendes geschrieben: | Zitat: | The Selfish Gene 1976
This is the theory of 'group selection', long assumed to be true by biologists not familiar with the details of evolutionary theory. |
Man beachte den charmanten Nebensatz. |
Das selbe ad hominem wie bei Coyne. Dawkins ist allerdings selbst mit einem Detail der Evolutionsbiologie nicht vertraut.
Ende der 1960er wurde Bill Hamilton von einem Mann namens George Price kontaktiert. Er habe einige kleinere Fehler in Hamiltons Rechnungen gefunden, sagte Price. Am Ende hat er Hamilton überzeugt, dass inclusive fitness und multi level selection das selbe ist. Dawkins nimmt das bis heute nicht zur Kenntnis.
Entsprechend erstaunt war ich, dass Noble Price erwähnt:
Noble hat folgendes geschrieben: | I believe that in the future, the Modern Synthesis and the elegant mathematics that it gave rise to, for example in the various forms and developments of the Price equation, will be seen as only one of the processes involved, a special case in certain circumstances |
Die Price equation ist eins der erstaunlichsten Stückchen Mathematik, die ich kenne. Dass sie nur einen Spezialfall beschreibt, bezweifle ich.
Noble hat folgendes geschrieben: | The mathematics of evolutionary theory is developing to take additional processes into account (e.g. Bonduriansky & Day, 2009; Slatkin, 2009; Nowak et al. 2010). |
Werd' mir die Quellen ansehen, die er nennt. Nowak 2010 habe ich gelesen, aber nicht verstanden. Zur Arbeit gab es in Nature einen Protestbrief mit über zweihundert Unterzeichnern.
Hier fällt Nobles Argument, die moderne Synthese oder Neo-Darwinismus sei überholt, etwas auseinander. Bill Hamilton und George Price haben ihre Arbeiten vor 50 Jahren geschrieben. Ist also Kanon. Und Verallgemeinerung von Fishers Fundamentaltheorem aus den 1920ern oder so. Gleichzeitig soll die Gleichung von Price laut Noble, die Grundlage für das, was man zukünftig noch alles beschreiben kann. Also kein Bruch mit alten Vorstellungen, sondern eine Fortführung.
Weiter schreibt er:
Noble hat folgendes geschrieben: | There are also important implications for the rate of evolutionary change, because an adaptive characteristic may be acquired by many individuals simultaneously, thus avoiding the slow process of a chance mutation in an individual spreading through the population. |
Moment, das läßt sich auf Baktierienpopulationen anwenden. Aber nicht auf Tiere.
Was Noble meint, ist mir entgangen.
Noble hat folgendes geschrieben: | A central feature of the Integrative Synthesis is a radical revision of the concept of causality in biology. |
Wenn man gegen Dawkins argumentiert, mag die Revision berechtigt sein. Allerdings tauchen bei unterschiedlichsten Autoren mehrere Kausalitätsebenen auf. Stephen Gould, Maynard Smith und eben George Price. Was Noble radikale Revision nennt, ist mindestens fünfzig Jahre alt und kein Alleinstellungsmerkmal der Integrativen Synthese.
Noble hat folgendes geschrieben: | A priori there is no privileged level of causation. |
Das sehe ich auch so.
Noble hat folgendes geschrieben: | But we can now see the Modern Synthesis as too restrictive and that it dominated biological science for far too long. Perhaps the elegant mathematics and the extraordinary reputation of the scientists involved blinded us to what now seems obvious; |
Die Moderne Synthese ist erst dann zu restriktiv, wenn ihre Methoden nicht mehr reichen, um neue Beobachtungen zu integrieren. Da muß Noble mich erst noch überzeugen.
Noble hat folgendes geschrieben: | the organism should never have been relegated to the role of mere carrier of its genes. |
Richtig. Es gibt keinen Gegensatz zwischen der genzentrierten Sicht, die Dawkins popularisiert hat und der multi level selection nach Price. Das sind nur zwei unterschiedliche Arten der Buchführung.
Coyne 2013 hat folgendes geschrieben: | 5. Scientists have not been able to create new species in the lab or greenhouse, and we haven’t seen speciation occurring in nature. This is what really burns my onions, because Noble is flat wrong here, and the study of speciation is my specialty. I’m not even sure why Noble makes this argument, which resembles a creationist argument. We haven’t seen new species arise before our eyes, ergo Jesus! |
Im PDF steht das nicht.
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