(...) Zwanzig Jahre nach Sennett hat der Franzose Pierre Bourdieu gezeigt, dass für große Teile der Bevölkerung politische Willensbildung im Kennenlernen der meistgezeigten Politiker besteht.Dadurch werde den Wählern ihr Führungspersonal jedoch selten sympathisch.Im Gegenteil: Es werde ihnen suspekt.Die Demokratieverdrossenheit jedenfalls, über die neuerdings so viel gerätselt wird, ist mediensoziologisch längst hinreichend erklärt. Das Entertainment ist die Superideologie des gesamten Fernsehdiskurses. (Neil Postman: Amusing Ourselves to Death, 1985) Auch wer Unterhaltungsshows boykottiert, wird dem Unterhaltungsoverkill nicht entkommen.Denn die Konjunktur des Amüsanten schlägt sich nicht nur in einer Überzuckerung heiterer Genres nieder, sondern wird zum prägenden Stil.Neil Postman machte Mitte der Achtziger darauf aufmerksam, dass die Sprecher der amerikanischen Nachrichten sich nach der Bekanntgabe von Mord und Totschlag mit der Floskel verabschieden, man sehe sich hoffentlich morgen wieder.Wozu eigentlich?, fragte Postman.Böten wenige Fernsehminuten intensiven Unheils nicht Stoff genug für einen Monat schlafloser Nächte?Heute fragt sich das niemand mehr.Auch wir deutschen Zuschauer, mit öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen gesegnet, empfinden das gut gelaunte Auf Wiedersehen oder den abschließenden Scherz als normal.Wir haben uns daran gewöhnt, dass das Fernsehen sich nicht auf die Präsentation unterhaltsamer Themen beschränkt, sondern jedes Thema als Unterhaltung präsentiert. Dagegen polemisierte Postman in seiner Streitschrift Wir amüsieren uns zu Tode.Nicht gegen bunte Talkshows, kurzweilige Spielfilme, lustige Sitcoms.Er erblickte im Fernsehen als solchem den Erzfeind jeglichen intellektuellen Diskurses, weil dem visuellen Medium Erörterung und kontroverse Urteilsbildung wesensfremd seien.Denken sei keine darstellende Kunst und deshalb im Fernsehen verboten.Selbst politische Talkshows funktionierten weniger nach dem Prinzip der Debatte als nach dem des Boxkampfs.Sätze wie »Lassen Sie mich überlegen« wirkten vor laufender Kamera unsouverän.Deshalb kamen sie 1984 im amerikanischen TV-Fight Ronald Reagan gegen Walter Mondale genauso wenig vor wie 2005 im deutschen Fernsehduell Angela Merkel gegen Gerhard Schröder.Vieles spricht dafür, dass Neil Postman Recht hatte, als er prophezeite: Die Art, wie das Fernsehen die Welt inszeniere, werde zum Modell der Welt, das Entertainment auf dem Bildschirm zur dominierenden Metapher auch jenseits des Bildschirms. So geraten in den Printmedien die diskursiven Formen des Essays und der Rezension außer Mode, Reportagen und Porträts breiten sich aus, flotte Sprüche und große Bilder ersetzen langwieriges Argumentieren. » Unsere Priester und Präsidenten, Anwälte und Pädagogen müssen nicht mehr den Anforderungen ihrer Fächer genügen«, schreibt Postman, »sondern denen der Show.(...)
Im Sommer 2005 schockierte ein Bericht über Schleichwerbung in der ARD-Soap Marienhof die Fernsehrepublik.Ein Teppichhersteller, ein Reiseveranstalter und ein Klempnerverband waren gegen Bezahlung in das Drehbuch der Vorabendserie montiert worden.Die Intendanten erbleichten!Die Zeitungen schrien Zeter und Mordio!Doch nachdem der Sturm der Entrüstung abgeflaut war, zeigte sich, dass die Fans der Serie treu blieben.Sie hatten an die Unabhängigkeit der ARD deren erklärte Unbeeinflussbarkeit, die das Versprechen impliziert, auch der Fernsehzuschauer solle unbeeinflusst bleiben wahrscheinlich nie geglaubt.Für die Zuschauer ist der Manipulationsverdacht nichts, was erst von Product-Placement erzeugt wird.Er ist vielmehr ein, wie Niklas Luhmann das nannte, systemimmanentes Problem.Luhmann hat den entscheidenden rezeptionsästhetischen Zwiespalt, dass jedermann fernsieht, obwohl fast jeder der Meinung ist, das Fernsehen lüge, in zwei Merksätzen formuliert. » Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien.Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können.«In der Tat.Leider hat unser Misstrauen keine praktischen Konsequenzen, es sei denn, man wollte sich den modernen Informationsquellen ganz verschließen.Das ist im Zeitalter der Satellitentechnik schwierig.Wir können uns aber unser Meta-Wissen immer wieder vergegenwärtigen und gelegentlich bei den Medientheoretikern nachschlagen, um gegen die manipulative Macht des Fernsehens gewappnet zu sein.Auch Selbstironie, bei Luhmann »Beobachtung des Beobachters«, kann nicht schaden.Am besten orientiert man sich an dem alten Muppet Show-Gag: Und, hat dir die Show gefallen?Ja, eine super Show!Na, der Zweite Weltkrieg hat dir ja auch schon gefallen.
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