AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Ansonsten möchte ich mich mal diesem Kommentar eines Strafrechtlers anschließen:
Bemerkungen zu den revisionistischen Übergriffen der Hirnforschung auf das Strafrecht" |
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... bei Hans-Heinrich Jescheck (1998, 65 f.) heißt es, „daß in unserer [Strafrechts-]Wissenschaft wenig Bereitschaft besteht, die Entscheidungsfreiheit des Täters in der Tatsituation als real vorhanden anzunehmen und zur Grundlage des strafrechtlichen Schuldvorwurfs zu machen“. |
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Tatsache ist: Menschen müssen entscheiden, und sie müssen so entscheiden, als ob sie in einem indeterministischen Sinne frei wären. |
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Es bleibt [die] drängende Frage, ob sich die Zufügung eines Strafübels legitimieren läßt, wenn der Täter nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat. Alle kompatibilistischen Schuldkonzepte müssen sich dieser Frage stellen, und sie haben damit erhebliche Schwierigkeiten |
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Die im Strafrecht vorherrschende Meinung hat den Verzicht auf den Begriff der persönlichen Schuld, den einige Hirnforscher fordern, längst erklärt. Sie hat das persönliche Dafürkönnen (die individuelle Vorwerfbarkeit) durch ein Konzept ersetzt, das als „sozialer (sozialvergleichender, pragmatisch-sozialer, generalisierend-normativer) Schuldbegriff“ bezeichnet wird. Strafrechtliche Schuld bedeutet danach „keineswegs wirkliche Schuld“ (Stratenwerth/Kuhlen 2004, 6), und der strafrechtliche Schuldvorwurf ist dementsprechend kein individualethischer, sondern „nur ein sozialer Tadel wegen
des Zurückbleibens hinter Verhaltensanforderungen, die der freiheitlich verfaßte und daher menschliche Freiheit anerkennende Staat an seine Bürger [...] stellen muß“ (...). Voraussetzung für einen solchen sozialen Tadel sei nicht individuelles Andershandelnkönnen, nicht persönliches Dafür- Können, sondern „nur die normale Motivierbarkeit durch soziale Normen“ (...). |
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der Täter hätte, in der Situation, in der er sich befand, in dem Sinne anders handeln können, als nach unserer Erfahrung mit gleichliegenden Fällen ein anderer an seiner Stelle bei Anspannung der Willenskraft, die dem Täter möglicherweise gefehlt hat [sic!], unter den konkreten Umständen anders gehandelt hätte“ |
Zitat: |
[Die Befürworter eines sozialen Schuldkonzepts] geh[en] augenscheinlich davon aus, daß sich das geltende Strafrecht auch dann rechtfertigen läßt, wenn es keine persönliche Schuld gibt. Was als Rechtfertigung angeboten wird, ist freilich defizitär. Der soziale Schuldbegriff ist für sich genommen nicht
geeignet, die Legitimationslücke zu schließen, die bei einem Verzicht auf den Begriff der persönlichen Schuld entsteht: Die „normale Motivierbarkeit durch soziale Normen“ ist kein ausreichender Grund für die Zufügung eines Strafübels bzw. für einen wie auch immer ausgedünnten Schuldvorwurf, wenn gleichzeitig zugestanden wird, daß der Täter (möglicherweise) nicht anders handeln konnte, als er gehandelt hat. Und ein Schuldstrafrecht, das die subjektive (!) Zurechnung darauf gründet, daß ein durchschnittlicher Anderer in der Situation des Täters die Tat nicht begangen hätte, verdient seinen Namen nicht (...). |
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Strafrechtliche (persönliche) Schuld setzt voraus, daß der Täter seine rechtswidrige Tat im Bewußtsein des Anderskönnens vollzogen hat. Anders ... formuliert: Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl es ihm aus seiner Sicht möglich war, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden. Der innere Grund des Schuldvorwurfs ist darin zu sehen, daß der Mensch darauf angelegt ist, im Bewußtsein der Freiheit zu handeln und sich als Urheber seiner Entscheidungen zu begreifen. |
Zitat: |
Das Bewußtsein des Anderskönnens hat im wesentlichen vier Aspekte, nämlich: (1) das Erleben von Handlungsfreiheit, (2) das Erleben doxastischer Offenheit (3) das Erleben psychologischer (!) Unterdeterminiertheit und (4) das Gefühl der Autorschaft. Es hat unter keinem dieser Aspekte einen indeterministischen Gehalt. Es kann unter allen diesen Aspekten mit der Wirklichkeit übereinstimmen ... |
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... bei der Schuldfrage die Innenperspektive des handelnden Subjekts der maßgebliche Beurteilungsgegenstand ist. |
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Das Schuldprinzip hat die Aufgabe, die staatlichen Strafen so zu begrenzen, daß sie der Täter persönlich als richtig und gerecht empfinden kann (Pawlowski 1999, 280) |
Skeptiker hat folgendes geschrieben: |
AntagonisT hat folgendes geschrieben: |
Was ich mich frage (ich habe keinen der Links auch nur angelesen): Warum sollte Determiniertheit etwas am Strafrecht ändern? Es macht doch keinen Sinn, strafbare Handlungen zu legalisieren, nur weil der Täter nicht anders konnte. |
step hat folgendes geschrieben: |
Das fordert ja auch niemand. Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann.
In der Diskussion hier geht es darum, ein relativ neues, kompatibilistisches Schuldkonzept zu bewerten, demzufolge nichts am Strafrecht geändert werden müsse. |
AntagonisT hat folgendes geschrieben: | ||
und 2.) muss aber nichts am Strafrecht geändert werden? Geht es also nur darum, die Begründungen für die Existenz des StGB zu überdenken, die Strafen selbst bleiben gleich? Verstehe ich das richtig? |
step hat folgendes geschrieben: |
Ich dagegen meine, daß man sowohl die Begründung wie auch das Strafrecht (z.B. das Strafmaß) ändern müsse. |
AntagonisT hat folgendes geschrieben: | ||
Wie würdest du das Strafmaß ändern? Eher verringern oder höhere Strafen? |
AntagonisT hat folgendes geschrieben: |
Wie würdest du das Strafmaß ändern? Eher verringern oder höhere Strafen? |
AntagonisT hat folgendes geschrieben: |
Ich sehe immer noch nicht den Zusammenhang. Strafe soll abschrecken, ob ich jetzt aber determiniert abgeschreckt werde oder aus freiem Willen, ist doch egal? |
step hat folgendes geschrieben: |
2. abschrecken 2a. den Täter vor der Tat durch Androhung 2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter |
Xamanoth hat folgendes geschrieben: | ||
Was spricht denn Deiner Ansicht nach gegen 2b? Auch auf basis einer angenommenen Determinierbarkeit. |
step hat folgendes geschrieben: |
Der von AP verlinkte Strafrechtler argumentiert, daß man die Begründung (das Schuldkonzept) ändern müsse (und daß dies bereits geschehen sei), aber das Strafrecht gleichlassen könne. Ich dagegen meine, daß man sowohl die Begründung wie auch das Strafrecht (z.B. das Strafmaß) ändern müsse. |
step hat folgendes geschrieben: | ||||
Letztlich gar keine Strafen mehr im vergeltenden Sinne.
Heute will das Strafrecht 1. vergelten 2. abschrecken 2a. den Täter vor der Tat durch Androhung 2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter 3. die Gesellschaft schützen (Verwahrung) 4. den Täter resozialisieren Aus meiner Sicht sind nur 3. und 4., sowie grundsätzlichere präventive Maßnahmen, heute noch ethisch begründbar. Insbesondere wehre ich mich gegen (1.) und (2b.). |
Danol hat folgendes geschrieben: | ||||
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PataPata hat folgendes geschrieben: |
Diese Überlegungen würden eigentlich unabhängig davon gelten, ob Kriminalität deterministisch oder nicht interpretiert wird. |
step hat folgendes geschrieben: | ||||||
1. Fehlender Nutzen besonders bei Schwerverbrechen (siehe Danol) |
Zitat: |
2. ethisch fragwürdig: indem jemand stellvertretend für Andere mehr leiden muß, wird er als Mittel zum Zweck benutzt. |
step hat folgendes geschrieben: |
Heute will das Strafrecht
1. vergelten 2. abschrecken 2a. den Täter vor der Tat durch Androhung 2b. Dritte durch Statuierung eines Exempels am Täter 3. die Gesellschaft schützen (Verwahrung) 4. den Täter resozialisieren |
neinguar hat folgendes geschrieben: |
Die Aufzählung ist unvollständig ...
- positiver Generalprävention (die übrigen Mitglieder der Gesellschaft werden dadurch, dass auf Normübertretungen sichtbare Sanktionen erfolgen, in ihrer Identifikation mit den Normen gestärkt). Den letzten Punkt habe ich fett markiert, weil er kaum einem Nichtjuristen bekannt ist, aber in der Diskussion unter Strafrechtlern seit langem dominiert. |
neinguar hat folgendes geschrieben: |
Was ich oben noch vergessen hatte: Der Schutz der Gesellschaft durch Verwahrung (bei step Nr. 3) wird zwar im Strafrecht mitgeregelt, fällt aber nicht unter "Strafe". |
step hat folgendes geschrieben: | ||
Darüber könnte man streiten, und viele Leib-Seele-Dualisten sehen das sicher anders. Aber das möchte ich lieber nicht hier ausdiskutieren. |
Xamanoth hat folgendes geschrieben: |
Es ist zwar zutreffend, dass eine Strafverschärfung ab einem gewissen Grad der Strafe nicht mehr zu einer erhöhten Präventionswirkung führt (schon eher eine effektive Verbrechensaufklärung und Bekämpfung). Das Strafe aber an sich in gewissem maße abschreckend wirkt (zumindest bei "Bilanzverbrechen" wie Wirtschaftkriminalität, Betrugstraftaten und ähnliches) finde ich durchaus plausibel. |
Xamanoth hat folgendes geschrieben: | ||
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Xamanoth hat folgendes geschrieben: |
Gerade aus utilitaristischer Perspektive sehe ich dies nicht als zwingend. |
PataPata hat folgendes geschrieben: |
Streiten möchte ich nicht - aber ein Stück weit kann man schon darüber diskutieren, es ist sicher nicht OT, da Burkhardt ja genau von dieser Diskussion ausgeht. |
PataPata hat folgendes geschrieben: |
Mein Argument ist, dass "Strafe" einerseits instrumentell ineffizient ist, und anderseits der Menschenwürde widerspricht. Dies sind Argumente, die vom Determinismus unserer Handlungen unabhängig sind. Wenn zu diesem Zweck noch ein deterministisches Weltbild als Schützenhilfe dazu kommt, umso besser, es ist aber nicht notwendig... |
step hat folgendes geschrieben: |
Wäre es nicht vernünftiger, die Täter zum Abstottern des Schadens (soweit möglich) inklusive Aufklärungskosten zu verdonnern und ihnen vielleicht noch gewisse Privilegien zu entziehen, begründet mit einem öffentlichen Vertrauensverlust? |
zelig hat folgendes geschrieben: | ||
Ist das eigentlich keine Strafe? |
PataPata hat folgendes geschrieben: | ||||
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zelig hat folgendes geschrieben: | ||
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zelig hat folgendes geschrieben: |
Und wodurch unterscheiden sich im Zusammenhang dieser Diskussion "korrekte Konsequenzen" von nicht korrekten Konsequenzen, sodaß man das eine als Strafe bezeichnen darf und das andere nicht? |
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