Chinasky hat folgendes geschrieben: |
Hallo!
In diesem Video kommt Neil de Grasse Tyson ungefähr bei 43:00 auf Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad al-Ghazālī zu sprechen. Er bringt ihn als so eine Art Analogie-Argument bezogen auf die heutige Situation in den USA, in denen er wohl eine Bedrohung der Wissenschaft/des intellektuellen Niveaus durch die Religion (bzw. den Kreationismus) ausmacht. Mit dem Thema, bzw. der Frage, warum der Islam, oder, besser: die islamische Welt gegen Ende des Mittelalters ihre wissenschaftliche Vorreiterrolle verlor, hab ich mich bislang nie beschäftigt, aber eigentlich finde ich sie interessant. Nun meine Frage: Kennt einer von Euch eine kompakte und auch für Laien verständliche Übersicht über den Islam, bzw. die islamische Welt und ihr Verhältnis zur (Natur-) Wissenschaft, in welcher auch auf diese spezielle Frage (warum, bzw. wie die Führungsrolle irgendwann verloren ging) eingegangen wird? Schön wäre freilich eine frei im Web zugängliche Darstellung, aber gegebenenfalls werde ich mir auch mal wieder ein Buch zu Gemüte führen. |
Standpunkt hat folgendes geschrieben: |
Johann Christoph Bürgel, Allmacht und Mächtigkeit, Religion und Welt im Islam, 416 S. , München 1991 |
Chinasky hat folgendes geschrieben: |
Mit dem Thema, bzw. der Frage, warum der Islam, oder, besser: die islamische Welt gegen Ende des Mittelalters ihre wissenschaftliche Vorreiterrolle verlor, hab ich mich bislang nie beschäftigt, aber eigentlich finde ich sie interessant. |
Chinasky hat folgendes geschrieben: |
In diesem Video kommt Neil de Grasse Tyson ungefähr bei 43:00 auf Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad al-Ghazālī zu sprechen. Er bringt ihn als so eine Art Analogie-Argument bezogen auf die heutige Situation in den USA, in denen er wohl eine Bedrohung der Wissenschaft/des intellektuellen Niveaus durch die Religion (bzw. den Kreationismus) ausmacht. |
smallie hat folgendes geschrieben: | ||
- Die erste korrekte Erklärung des Regenbogens durch Kamāl al-Dīn al-Fārisī (1267–1319). Die deutsche Wikipedia kennt ihn nicht einmal. Etwa zeitgleich und unabhängig zu Dietrich von Freiberg in Europa gefunden. Wiki: Rainbow
- Tusi couple Ein besonders interessanter Fall. Al-Tusi hat 1247 eine Zykloiden-Bewegung als Verbesserung des Ptolemäischen Systems vorgeschlagen. Kopernikus nutzte später die gleiche Idee. Manche Autoren behaupten, Kopernikus Zeichnungen sähen denen Tusis verblüffend ähnlich - zu ähnlich, um Zufall zu sein. Siehe: Whose Science is Arabic Science in Renaissance Europe?
|
Zitat: |
[Über Sonnen- und Mondfinsternisse]
Wir haben kein Interesse daran, solche Theorien zu widerlegen, denn die Widerlegung wäre sinnlos. Wer denkt, es sei seine religiöse Pflicht diese Dinge nicht zu glauben, der tut der Religion unrecht und schwächt ihre Aussage. Denn diese Dinge sind durch astronomische und mathematische Belege bestätigt, die keinen Raum für Zweifel lassen. Wenn du jemandem sagst, der diese Dinge studiert hat [...] und darum eine Mond- oder Sonnenfinsternis vorhersagen kann [...] - derartiges widerspräche der Religion, dann wird deine Behauptung nur Zweifel an der Religion erzeugen, nicht aber an diesen Dingen. We are not interested in refuting such theories either; for the refutation will serve no purpose. He who thinks that it is his religious duty to disbelieve such things is really unjust to religion, and weakens its cause. For these things have been established by astronomical and mathematical evidence which leaves no room for doubt. If you tell a man, who has studied these things — so that he has sifted all the data relating to them, and is, therefore, in a position to forecast when a lunar or a solar eclipse will take place: whether it will be total or partial ; and how long it will last — that these things are contrary to religion, your assertion will shake his faith in religion, not in these things. http://www.ghazali.org/books/tf/Introduction.htm |
göttertod hat folgendes geschrieben: |
im Studium haben wir diese zwei Philosophen verstärkt betrachtet
Averroes und Avicenna ich hab mir das Video nicht angeschaut, vielleicht kommen sie ja schon darin vor... doch die zwei sind für die damalige Zeit wichtig Da kannst du ja mal in Wiki stöbern und querlesen. |
smallie hat folgendes geschrieben: | ||
Das klingt erstaunlich modern und aufgeklärt für neunhundert Jahre altes Zeug. Kreationisten klingen anders. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Na ja, Offensichtliches nicht zu leugnen, dürfte unter Gelehrten wohl schon immer "modern" gewesen sein. Und die Korrektheit der Annahmen einer Wissenschaft zu leugnen, die in der Lage ist, astronomische Phänomene für jeden nachprüfbar exakt vorherzusagen, wäre wohl auch schon vor 900 Jahren etwas gewesen, womit man sich in gebildeten Kreisen der Lächerlichkeit preisgegeben hätte. |
Zitat: |
Im 11. Jahrhundert erklärte der Beamte Shen Kuo: "Jene in der Welt, die von den Regelmäßigkeiten hinter den Phänomenen sprechen, ... vermögen deren grobe Umrisse auszumachen. Aber diese Regelmäßigkeiten haben äußerst subtile Aspekte, von denen jene, die sich auf die mathematische Astronomie verlassen, nichts wissen können. Und selbst dies sind nicht mehr als Spuren."
Patricia Fara - 4000 Jahre Wissenschaft - S. 58 |
Zitat: |
Nichteinmal herausragende Intelligenz rechtfertigt den Versuch, die Versteckten Dinge durch deduktive Methoden herleiten zu wollen.
The heretics in our times have heard the awe-inspiring names of people like Socrates, Hippocrates, Plato, Aristotle, etc. They have been deceived by the exaggerations made by the followers of these philosophers — exaggerations to the effect that the ancient masters possessed extraordinary intellectual powers: that the principles they have discovered are unquestionable: that the mathematical, logical, physical and metaphysical sciences developed by them are the most profound: that their excellent intelligence justifies their bold attempts to discover the Hidden Things by deductive methods ; |
Zitat: |
Dies äußerst bewundernswerte System aus Sonne, Planeten und Komenten kann nur durch die Anwaltschaft und Herrschaft eines intelligenten und mächtigen Wesens fortschreiten.
This most beautiful system of the sun, planets, and comets, could only proceed from the counsel and dominion of an intelligent and powerful Being. https://en.wikipedia.org/wiki/General_Scholium |
Zitat: |
Der Finger Gottes und die Weisheit der göttlichen Vorsehung zeigt sich in Pflanzen und Tieren noch weit klarer als in Steinen.
For the finger of God, and the Wisdom of Divine Providence, is in them much more clearly manifested than in the other. http://crev.info/?scientists=christiaan-huygens |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Was war anders? Nun, die Reformation! Nein, nicht die Ideen von Luther, die durchaus antiaufklärerisch waren, sondern die "negativen" Folgen, die Beendigung der Priesterherrschaft, zumindest in protestantischen Ländern wie England oder den Niederlanden, verbunden mit den Interessen des beginnenden Welthandels, und damit der praktischen Bedeutung genauer astronomischer und auch anderer wissenschaftlich-technischer Kenntnisse. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Ghazali hat die Natur mit Gott gleichgesetzt. Deshalb konnte es für ihn keine Naturerkenntnis geben, die Gott widerspräche. Wenn Flüsse plötzlich bergauf fließen sollten - inshallah. So oder so, einen Weg zum Seelenheil bietet die Naturerkenntnis für Ghazali nicht. |
smallie hat folgendes geschrieben: | ||
Ghazali sagt etwas ganz ähnliches wie Shen Kuo:
Ghazali hat die Natur mit Gott gleichgesetzt. Deshalb konnte es für ihn keine Naturerkenntnis geben, die Gott widerspräche. Wenn Flüsse plötzlich bergauf fließen sollten - inshallah. So oder so, einen Weg zum Seelenheil bietet die Naturerkenntnis für Ghazali nicht. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Ob das schon der Sargnagel für die arabische Wissenschaft war, so wie Tyson behauptet? Falls ja, erklärt das immer noch nicht, warum moderne Wissenschaft in Europa entstand. Denn in Europa hielt man die Thesen der Griechen und Araber ebenfalls für häretisch. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
....
Und was Newton betrifft: Auch der Wunsch, Gottes Wirken verstehen zu wollen, kann ein starker Antrieb wissenschaftlicher Forschung sein. |
Zitat: |
In einer anschließenden Diskussion nach einem Vortrag zum Thema "Krankheit und Sterben in islamischer Sicht" an der Medizinischen Hochschule Hannover, hob eine muslimische Studentin hervor, der Prophet Mohammed habe gesagt, es gebe für jede Krankheit ein Heilmittel, weswegen alle "guten" Behandlungsmethoden "islamisch" seien; überdies habe er einmal einer Verstorbenen den Leib aufschneiden lassen, um einen verschluckten Goldschmuck zu bergen, woraus zu folgern sei, dass der Islam auch die Autopsie billige.1 Die Absurdität dieser Argumentation, der zufolge angemessene Therapien oder Maßnahmen zur Ermittlung der Todesursache allein unter der Voraussetzung erlaubt sein sollen, dass ein im Jahre 632 in Arabien verstorbener Mann sie guthieß oder eine im äußerlichen Vollzug, nicht einmal in der Zwecksetzung vergleichbare Handlung anordnete, fiel der Mehrheit des Publikums nicht auf; im Gegenteil, es zeigte sich beeindruckt, als die Studentin mit dem Hinweis schloss, man könne an diesen Beispielen die Fortschrittlichkeit des Islam und seine Tauglichkeit für jegliches Zeitalter und jeglichen Ort ablesen. |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Was war anders? Nun, die Reformation! Nein, nicht die Ideen von Luther, die durchaus antiaufklärerisch waren, sondern die "negativen" Folgen, die Beendigung der Priesterherrschaft, zumindest in protestantischen Ländern wie England oder den Niederlanden, ... |
Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
... verbunden mit den Interessen des beginnenden Welthandels, und damit der praktischen Bedeutung genauer astronomischer und auch anderer wissenschaftlich-technischer Kenntnisse. |
fwo hat folgendes geschrieben: |
Im Islam war man zwar der Zeit voraus, aber dadurch, dass alles mit dem Koran und den Regeln des Propheten verbunden wurde, wurde es auch festgeschrieben - einschließlich des Rechts, das darüber wachte, dass das auch so blieb, und dass die Rechte eines Individuums nie über denen der Gemeinschaft standen. Wenn jeder neue Gedanke zuerst an den Worten eines Gottes bzw. seines Propheten gemessen wird, und - falls es sich herausstellen sollte, dass er im Widerspruch zu dieser ewigen Wahrheit steht, dann lernen die Menschen schon als Kinder, die eigenen Gedanken entsprechend zu zügeln.
[...] Gehandelt haben die Araber auch, aber sie hatten offensichtlich mehr Denksperren. |
smallie hat folgendes geschrieben: | ||||||
Hier einige Belegstücke, was in der islamischen Hochkultur von 800 - 1200 gedacht wurde:
RAZI (ca. 864 - 925) Al-Razi war Arzt und Alchemist. Er entdeckte den Alkohol und die Schwefelsäure und er war der erste, der die Anfangsstadien von Pocken und Masern unterscheiden konnte. Außerdem war er deistischer Freidenker, der sich mit Kritik nicht zurückhielt.
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smallie hat folgendes geschrieben: | ||
IBN CHALDUN (1332 - 1406)
Chaldun war Autor eines Mammutwerkes, in dem er die bekannten Wissenschaften abhandelte und erstmals eine Form von Geschichtswissenschaft betrieb. Er konstatiert darin den Niedergang der arabischen Dynastien. Seine Begründung: Gelehrsamkeit braucht seßhafte Lebensweise. Nomanden sind viel zu beschäftigt mit ihrem "Broterwerb". Diese kultivierte Lebensweise führe dazu, daß man einem wütenden Ansturm von Barbarenvölkern nicht mehr standhalten kann. Gemeint ist die mongolischen Invasion Persiens. 1258 endete sie mit der Eroberung Bagdads.
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kereng hat folgendes geschrieben: | ||
Al-Ghazali war Pantheist? |
Zitat: |
Widerlegung des Glaubens, daß es unmöglich sei, vom natürlichen Lauf der Dinge abzuweichen.
Refutation of their belief in the impossibility of a departure from the natural course of events http://www.ghazali.org/books/tf/Introduction.htm |
Zitat: |
- Wenn der Urgrund aufhörte zu sein, dann würden die sekundären Gründe weiterbestehen, solange sie ihrer eigenen Natur folgen.
- Was Unmöglich ist, kann weder von Gott noch einem anderen Verursacher hervorgebracht werden. 100. That, among the efficient causes, if the first cause were to cease to act, the secondary cause would not, as long as the secondary cause operates according to its own nature. 17. That what is impossible absolutely speaking cannot be brought about by God or by another agent. – This is erroneous if we mean when is impossible according to nature. http://legacy.fordham.edu/gsas/phil/klima/Blackwell-proofs/MP_C22.pdf |
kereng hat folgendes geschrieben: |
Er hat auch geschrieben, dass man kleinen Kindern den Islam eintrichtern muss und ihnen nichts von religiösen Disputen oder Philosophie (Kalam) erzählen darf, bis der Glaube gefestigt ist. Den Begriff "Kinder" wendete er auch auf das gläubige Volk an, das vor Häresien und Neuerungen geschützt werden muss. |
Zitat: |
Umgang mit Ketzern
Thomas Aquinas - um 1270 Was Ketzer angeht müssen zwei Punkte beachtet werden: einer betrifft ihre Seite, einer die Seite der Kirche. Ihre Seite ist die der Sünde, deshalb verdienen sie, nicht nur durch Exkommunikation aus der Kirche ausgeschlossen zu werden, sondern auch durch den Tod von der Welt getrennt zu werden. Denn es ist viel schwerwiegender, den Glauben zu vergiften, der die Seele erhebt, als Geld zu fälschen, das für das zeitige Leben gebraucht wird. Wenn nun die weltlichen Authoritäten Geldfälscher und andere Tunichtgute umgehend zum Tode verurteilen, dann besteht noch viel mehr Grund, Ketzer, sobald sie überführt sind, nicht nur zu exkommunizieren, sondern sogar hinzurichten. With regard to heretics two points must be observed: one, on their own side; the other, on the side of the Church. On their own side there is the sin, whereby they deserve not only to be separated from the Church by excommunication, but also to be severed from the world by death. For it is a much graver matter to corrupt the faith that quickens the soul, than to forge money, which supports temporal life. Wherefore if forgers of money and other evil-doers are forthwith condemned to death by the secular authority, much more reason is there for heretics, as soon as they are convicted of heresy, to be not only excommunicated but even put to death. On the part of the Church, however, there is mercy, which looks to the conversion of the wanderer, wherefore she condemns not at once, but "after the first and second admonition", as the Apostle directs: after that, if he is yet stubborn, the Church no longer hoping for his conversion, looks to the salvation of others, by excommunicating him and separating him from the Church, and furthermore delivers him to the secular tribunal to be exterminated thereby from the world by death. https://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Aquinas#Treatment_of_heretics |
smallie hat folgendes geschrieben: |
....
Warum hat man sich in Europa von Aquinas im Laufe der Zeit distanziert, während man in Arabien auf Ghazali zuging? |
Zitat: |
Wie alle Kreatur ist der Mensch unmittelbar zu Gott und daher im Heil. Sofern er nach Gottes Ratschluss den Verstand richtig gebraucht, hält er an der einzig wahren Glaubenspraxis fest und handelt somit gut und richtig (vgl. Sure 29, 45). Damit dies nicht, wie bei der übrigen Kreatur, unbewusst geschehe, umfasst Gottes Bestimmungsmacht, seine Fügung, auch das Gesetz, die Scharia. Das Gesetz ist der für den Muslim wichtigste Teilbereich des Wissens, das Gott zuallererst Adam und darauf allen weiteren Propheten in unveränderter Weise übermittelte; Gott lehrte Adam die Namen aller geschaffenen Dinge und Wesen und befähigte ihn dadurch, die Stellvertreterschaft Gottes auf Erden wahrzunehmen (Sure 2, 30-33).5 Die unverbrüchliche Hingewandtheit zum Einen, die Treue zu jenem jenseits menschlicher Spekulation und Erfindungskraft liegenden Wissen und die genannte Stellvertreterschaft bilden einen geschlossenen Argumentationszusammenhang, in dem die muslimischen Vorstellungen von Individuum, Gesellschaft und Staat verankert sind. Im Koran wird dieser Zusammenhang auf unterschiedliche Weise verdeutlicht, etwa wenn es mehrfach heißt, alle Streitfälle seien zur Entscheidung "Gott und seinem Gesandten" vorzulegen (z.B. Sure 4, 59 und 83), denen man Gehorsam schulde (z.B. Sure 8, 20 und 46); am stärksten wirken in dieser Hinsicht die verheißungsvollen Worte von Sure 3, Vers 110: "Ihr seid die beste Gemeinschaft, die für die Menschen hervorgebracht wurde. Ihr befehlt das Billigenswerte und verbietet das Tadelnswerte und glaubt an Gott."
........... Die innere Islamisierung des eroberten Machtbereiches begann, wie schon erwähnt, mit einiger Verzögerung. Neben der Kadi-Gerichtsbarkeit, deren Aufbau um 800 abgeschlossen ist, bildeten sich weitere Institutionen heraus, die stärker noch als erstere im Alltag gegenwärtig waren und sind und das Denken und Empfinden der Muslime weit entschiedener prägen. So hatte der Marktvogt nicht allein die Aufgabe, den Gang der Geschäfte zu kontrollieren, sondern war im weitesten Sinne für die Unterwerfung des öffentlichen Raumes unter die islamische Sittlichkeit zuständig; in Saudi-Arabien und Iran existieren noch bzw. wieder Einrichtungen, deren Beauftragte, auch ohne Scheu vor der Privatsphäre und nicht selten brutal, ihre diesbezüglichen Vorgaben durchsetzen. Nicht zu vergessen ist der nichtinstitutionalisierte Druck zu einem scharia-konformen Verhalten, den der aufmerksame Beobachter in der islamischen Welt und auch unter den in Deutschland lebenden Muslimen allenthalten bemerkt. Schließlich ist jedes Glied der "besten Gemeinschaft" aufgerufen, "das Billigenswerte zu befehlen und das Tadelnswerte zu verbieten" (Sure 3, 110). Der Vollzug der Individualpflichten und der "Pflichten der genügenden Anzahl" ist durch die Scharia, das durch Gott gesetzte Recht, geregelt, desgleichen alle vertraglichen Verhältnisse, die Muslime mit ihresgleichen oder Andersgläubigen eingehen, sowie die Strafen. Die Scharia basiert auf dem Koran und auf der sich ab der Mitte des 7. Jahrhunderts herausbildenden Überlieferung vom normsetzenden Reden und Handeln Mohammeds. Die Methoden der Auslegung und Anwendung dieser Quellen muss der Kadi beherrschen, jedoch nur insoweit, als seine Amtsgeschäfte betroffen sind. Spätestens im 11. Jahrhundert ist die Islamisierung der Gesellschaft so weit fortgeschritten, dass die Überzeugung dominiert, es gebe keinen Bereich im Leben eines Muslims, der nicht dem Urteil der Scharia unterliege. Wenn er am Jüngsten Tag vor Gott bestehen will, dann muss er darauf bedacht sein, auch die nebensächlichste Lebensregung nach Maßgabe der Botschaft des Korans und vor allem des überlieferten Vorbildes des Propheten zu überprüfen. Ihm dabei Hilfe zu leisten, ist die Aufgabe des Muftis, der nun einen offiziellen Status gewinnt. Ihn kann der Muslim zu allen erdenklichen Problemen befragen, die ihn auf dem Weg durch das Diesseits zum Endgericht bedrängen mögen. |
Zitat: |
Zwar kennen nur wenige muslimische Staaten heute einen gesetzlich geregelten Straftatbestand des Abfalls vom Islam, Opfer gefordert hat jedoch eine andere Einstellung, die der 1954 hingerichtete ägyptische Muslimbruder ‘Abd al-Qadir ‘Auda, der Verfasser des wohl verbreitetsten Lehrbuchs zum islamischen Strafrecht, vertreten hat. Das Fehlen der Strafbarkeit der Apostasie in den modernen Strafgesetzen bedeute keineswegs, daß diese als erlaubt gelten könne. Apostasie gehöre zu den hadd- Delikten und somit zur šari‘a. Die šari‘a aber könne nicht abgeschafft werden. Im ägyptischen Strafrecht sei zudem als Rechtfertigungsgrund verbrieft, daß nicht bestraft werden könne, wer in Ausübung eines Rechts handele. Wer also einen Apostaten töte, nehme ein Recht in Anspruch, das ihm die šari‘a gewährt habe und könne deshalb nicht bestraft werden. Auch wenn weithin vernommene Gegenmeinungen aus dem islamischen Spektrum den Mörder des Apostaten vor Gericht stellen wollen, so ist doch die Auffassung ‘Audas bei dem Mord an dem Schriftsteller Farag Foda 1992 schreckliche Wirklichkeit geworden und während des Prozesses gegen den Mörder haben die von der Verteidigung aufgebotenen Sachverständigen, der bekannte Scheich Muhammad al-Ghazzali und der Azhar-Professor Ahmad Mazru‘a, den Mord ebenfalls als gerechtfertigt bezeichnet. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: | ||||
Na ja, deduktiver geht es kaum. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: | ||
Ich weiss nicht genau, wie es bei den Arabern war, aber die abendländische Philosophie war auch schon vor der Reformation äußerst vielfältig. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Zwar war das Christentum als Grundwahrheit unhinterfragt, aber um die theologische und philosophische Ausdeutung von Dogmen wurde lebhaft gestritten. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Darüber hinaus ist das Erbe der antiken Kultur, das seit dem Sieg der Barabaren über das Weströmische Reich zwar erst mal in Vergessenheit geraten war, nie wirklich verlorengegangen (eigentlich hatte die Antike ja schon das ganze Mittelalter hindurch eine überragende Autorität in Europa, selbst die über Rom siegreichen Barbaren bewunderten die Römer ja im Grunde ihres Herzens) und mit der Renaissance setzte ja sogar eine Verherrlichung und Überhöhung dieser Zeit ein. |
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Das Christentum und das antike Erbe Europas, mit samt seiner Tradition des rationalen Denkens, wurden kompatibel gemacht. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Das Erbe ist zum größeren Teil deshalb nicht verlorengegangen, weil es in Arabien bewahrt wurde. Im christlichen, römischen Reich wurden die Schriften der Griechen als Heidenschriften angesehen. Das war das Ende der großen Bibliothek von Alexandrien. |
fwo hat folgendes geschrieben: | ||
Wobei man dabei aber ganz schnell in Konflikt mit der Kirche kommen kann. Denn jede eigenständige Erklärung hat nicht nur das Potential, im Widerspruch zur Heiligen Schrift bzw. der gültigen Auslegung derselben zu stehen, sie sie ist gleichzeitig ein Angriff auf die Deutungshoheit der Kirche und schränkt deren Raum ein. Deshalb ist die Kirche ein quasi natürlicher Ankläger gegen die Wissenschaft, und deshalb ist es ungünstig, wenn sie auch noch auf dem Richterstuhl sitzt. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
- Newton war Arianer, er glaubte nicht an die Dreifaltigkeit, was ihn mit Kepler in Konflikt gebracht hätte, der hielt nämlich die Sonne für Gott, die Fixsterne für Jesus und denn Rest für den heiligen Geist. Newton hat sein Lebtag lang nur mit einem Menschen über seinen Arianismus korrespondiert: John Locke. Die Dreifaltigkeit abzustreiten, war damals nicht ganz ungefährlich. |
fwo hat folgendes geschrieben: | ||
Die Folgen davon beleuchtet Tilman Nagel in der Vorbemerkung zu seinem Aufsatz "Kann es einen säkularisierten Islam geben?"
Was ich dazu liefere ist nur ein Erklärungsversuch, über den man streiten kann. Was Nagel da beschreibt, ist die Existenz einer Denkhaltung, die mit unserer wenig zu tun hat. |
smallie hat folgendes geschrieben: | ||
Die Autobiographie des muslimischen Dichters Usama ibn Munqidh aus dem 12. Jahrhundert erzählt von einem Vorfall, bei dem die Kreuzritter-Invasoren nach einem Arzt gebeten haben, um einige ihrer Kranken zu behandeln. Die Moslems sandten einen Arzt namens Thabit, der zehn Tag später mit dieser Geschichte zurückkehrte:
|
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: |
@Smallie
Dass die Franken des Jahres 1300 ziemlich bornierte Arschlöcher waren, halte ich für eher unstrittig. Was genau willst du mit dieser Geschichte zeigen? Bzw. Inwiefern ist das ein Argument gegen Fwos Thesen? |
Zitat: |
In seiner Abhandlung "Islam und politischer Extremismus" hebt Khalid Duran auch die historische Dimension jener Erscheinung hervor, die allgemein als "fundamentalistischer oder integristischer Islam bezeichnet wird". "Fachkenner", so der Autor, hätten ohnehin schon immer "auf eine" in der Geschichte "unablässige Welle der Rückfindungen zum Islam" hingewiesen. Duran selbst führt als eines dieser Beispiele das "Baghdad des 9. und 10. Jahrhunderts" an, wo "bereits eine alles Fremde abweisende Orthodoxie und ein kulturfeindlicher Fundamentalismus" mit anderen "Islaminterpretationen" wie u.a. denen der Mu'taziliten, "einer Schule rationalistischer Theologie", in Auseinandersetzungen geraten war. Diese betrafen auch "die Regierungsform des Reiches". Als eine "puritanische" Richtung der Frühzeit des Islam führt Duran das Beispiel der "Kharijiten" an.
Und diese Kharijiten (Harigiten, Charidschiten) finden sich in jedem Standardwerk über die Geschichte des Islam als eine "radikale Sekte", die "fanatischer Eifer" antrieb. Denn: "Ihr Dogma erlaubte ihnen nämlich, nur dann den Kalifen anzuerkennen, wenn die Häupter der Gemeinde ihm übereinstimmend das Prädikat des besten Muslim zuerkannten, und es machte ihnen zur Pflicht, mit Gewalt eine Art heiligen Krieges gegen die 'illegitimen' Kalifen zu führen." Eine Bedrohung der Religion 'von außen' war in diesem Falle noch nicht gegeben und trotzdem ging es auch hier schon um die 'reine' Lehre und um fundamentalistische Inhalte. Und man konnte gegen den 'Feind' des 'wahren' Glaubens einen "heiligen Krieg" führen, sogar wenn dieser selbst Muslim war. Gegen "'schlechte' Muslime" zogen im Maghreb des 11. Jahrhunderts auch die Almoraviden in einem "heiligen Krieg" zu Felde. Sie vertraten einen "militanten Islam", der sich gegen die "'verderbte' Kultur der maghrebinischen Staaten" richtete. Auch ihnen ging es schon um eine "buchstabengetreue Frömmigkeit" und die "Erneuerung des Islam" war ihr Ziel. |
zelig hat folgendes geschrieben: |
Gestern bei ttt mitbekommen:
Frankopan, Licht aus dem Osten http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/ndr/frankopan100.html |
DonMartin hat folgendes geschrieben: | ||
Das halte ich für ein Gerücht. Ich habe noch gelernt, dass es die (nichtchristlichen) Römer unter Caesar waren, die das ganze abgefackelt haben. |
DonMartin hat folgendes geschrieben: |
Bei Wiki steht, dass auch das nur ein Gerücht ist, ebenso wie die sonstigen Schuldzuweisungen.
Vermutlich ist sie im Laufe der Jahrhunderte schlicht vergammelt. |
DonMartin hat folgendes geschrieben: | ||
Kann mich dumpf erinnern, fand ich aber reichlich Banane, was der Mann da verzapft. Er wirft munter Zeitalter und Regionen durcheinander, die wenig bis nichts miteinander zu tun haben, nur um zu "beweisen", wie doof wir in Europa waren (und implizit immer noch wären). Meinetwegen haben die Chinesen das Papier ein paar hundert Jahre vor uns erfunden, die Inder die Null und die islamischen Araber (seltsamerweise) den Alkohol. Das ist aber tausend(e) Jahre her und daher eher welker Lorbeer. So gut wie alles was die moderne Welt ausmacht, technisch/wissenschaftlich wie zivilisatorisch, ist seit 500 Jahren genuin europäisch. Nix Chinesen Islam, oder irgendwelche Aliens. Wir haben also allen Grund, "eurozentrisch" zu sein. Die moderne Molekularbiologie zB ist Lichtjahre entfernt von der albernen Säftelehre eines Aristoteles (der war das doch, oder?), ebenso die Differential/Integralrechnung von den geometrischen Gehversuchen der alten Griechen. Von der Physik gar nicht erst zu reden. |
Zitat: |
Political correctness and the history of science
[...] There used to be a brief standard sketch of the history of science, that probably arose some time in the Enlightenment but which owes much of its ethos to Renaissance historiography. This outline usually goes something like this. Science was invented by the ancient Greeks. After the collapse of civilisation in the Dark Ages (a deliberate use of a discredited term here) science was rescued and conserved (but not changed or added to) by the Islamic Empire before being retrieved in the Renaissance by the Europeans, who then went on to create modern science in the Scientific Revolution. This piece of mythology reflected the triumphalist historiography of a colonialist Europe in the throws of dominating and exploiting large parts of the rest of the world. During the twentieth century historians, many of them Europeans, dismantled this piece of fiction and began to explore and elucidate the histories of science of other cultures such as Egypt, Babylon, China, India and the Islamic Empire, creating in the process a much wider and infinitely more complex picture of the history of science, consisting of transfers of knowledge across space and time throughout the last approximately four thousand years. This newly acquired knowledge exposed anybody who still insisted on propagating part or all of the earlier fairy story to the charge of eurocentrism, a charge that when considering the whole of the history of science is more than justified. Unfortunately, as I have commented in the past, this also led to an over zealous backlash on behalf of the previously wronged cultures particularly on the Internet. [...] Eurocentrism has become a sort of universal weapon used indiscriminately whether it is applicable or not. https://thonyc.wordpress.com/2015/09/30/political-correctness-and-the-history-of-science/ |
fwo hat folgendes geschrieben: | ||
Die Frage ist ja auch, ob sich die heute so geschätzen Leute wie Averroës oder Avicenna damals wirklich in der Mitte des Islam befanden, oder ob sie das, was sie schrieben, nur schreiben konnten, weil sie geografisch und machttechnisch weit genug vom Zentrum entfernt lebten, und ob sie dichter am Zentrum nicht das Schicksal von Jordano Bruno geteilt hätten. Das würde bedeuten, dass nicht der Islam auf Ghazalie zugehen musste, sondern dass das heutige Bild des Islam nur durch einige philosophische Lichtgestalten an seiner Peripherie verklärt würde und mit dem damaligen Islam wenig zu tun hätte. |
fwo hat folgendes geschrieben: |
Was nützt Dir das Lesen der Originaltexte von Heidegger oder Habermas zum Verständnis der Republik? |
fwo hat folgendes geschrieben: |
Sie beeinflussen allenfalls das Denken erwachsener Menschen, aber die Grenzen des Denkens werden im Kindesalter festgelegt, und da sind andere gesellschaftliche Strukturen wirksam als die philosophische Fakultät. |
fwo hat folgendes geschrieben: | ||
In dem Zusammenhang noch drei Absätze aus Tilman Nagels Aufsatz "Kann es einen säkularisierten Islam geben?"
|
fwo hat folgendes geschrieben: | ||
|
fwo hat folgendes geschrieben: |
Es ist der Verzicht auf die Institution Kirche und stattdessen die Erziehung der gesamten Gemeinde zu ihrer eigenen Stasi, die den Islam kennzeichnet. |
fwo hat folgendes geschrieben: | ||
Peter L. Münch-Heubner schreibt dazu in seinem Aufsatz
"Islamismus, Neo-Fundamentalismus und Panislamismus: Geschichte, theoretische und ideologische Grundlagen"
|
fwo hat folgendes geschrieben: |
Sich von den Schriften dieser Philosophen ein Bild vom mittelalterlichen Islam zu machen, dürfte tatsächlich so etwas Ähnliches sein, als wolle man den Katholizismus um 1600 durch die Schriften des Giordano Bruno erhellen. |
fwo hat folgendes geschrieben: |
Die oft zitierte Liberalität des mittelalterlichen Islam ist angesichts der regelmäßigen Wellen der Reislamisierung wohl eher eine romantische Verklärung als dass sie viel mit der damaligen Wirklichkeit zu tun hat. Es handelte sich bei dieser Liberalität immer nur um punktuelle kurzzeitige Blüten. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Das stimmt, der hat auch mal gezündelt, das war aber noch nicht der endgültige Untergang der Bibliothek irgendwann um 380 oder so. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Es ist unbestritten, daß die moderne Wissenschaft in Europa entstand. Nach meiner Auslegung sogar erst recht spät, eher um 1800 denn um 1600 bei Galilei, wie es oft dargestellt wird. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
....
Jedenfalls hat die Affäre Giordano Bruno die weitere wissenschaftliche Entwicklung in Europa nicht aufgehalten. Warum nicht? Marcellinus sagte Reformation. Ich sagte: warum Reformation? ..... Wenn ich dir das Argument im Munde umdrehen darf: ist das Christentum also die tolerantere Religion, die die Entwicklung der modernen Wissenschaft erst ermöglicht hat, im Gegensatz zum Islam, zum Konfuzianismus, Buddhismus, oder Hinduismus? Falls du nein sagst, sind wir gerade auf der falschen Fährte, soweit es die Eingangsfrage betrifft. Wenn du ja sagst, warte ich auf deine Apologetik des Christentums. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
....
Auf der Scheiterhaufenskala dürfte Aquinas den Ghazali überholt haben. ..... |
Zitat: |
Als Grundlage für eine Strafbarkeit der Apostasie werden immer wieder die Prophetenworte: “tötet den, der seine Religion wechselt!“ und „ Das Blut eines Muslims (zu vergießen) ist nicht erlaubt, außer in einem dieser drei (Fälle): der verheiratete Ehebrecher, Leben um Leben, und der seinen Glauben Verlassende und von der Gemeinschaft sich Trennende“ herangezogen. |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Jedenfalls hat die Affäre Giordano Bruno die weitere wissenschaftliche Entwicklung in Europa nicht aufgehalten. Warum nicht? Marcellinus sagte Reformation. Ich sagte: warum Reformation? |
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