Sollte man KZ-Wachleute auch heute noch vor Gericht stellen? | ||||||||||||||||||||||||||||
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Stimmen insgesamt : 15 |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: |
Doch, das soll es. Der Angeklagte, der heute vor Gericht steht, steht da, weil Demjanjuk verurteilt wurde. Der Fall Demjanjuk ist derjenige, welcher die folgenden Prozesse erst möglich gemacht hat, weil das Gericht, um zu einer Verurteilung zu kommen, die Rechtsauffassung geändert hat. So ist es gerechtfertigt diesen Prozess genauer anzusehen. |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: |
Es ist eine prinzipielle Frage, ob man Leute verurteilen darf, von denen man nur weiß, dass sie da gewesen sind. |
beachbernie hat folgendes geschrieben: | ||
Das kommt ganz auf den Einzelfall an. Wenn eine Bande einen Bankraub verübt, dann wird in aller Regel auch jedes Bandenmitglied verurteilt, einschliesslich derer, von denen "man nur weiss, dass sie da waren" und die ansonsten gar nix gemacht haben. Ja, auch der, der beim Bankraub bloss "Schmiere steht", macht sich strafbar. So ungewöhnlich ist das jetzt nicht. |
Zitat: |
Demjanjuk ist immer wieder vorgeworfen worden, er hätte desertieren können. Dass er das nicht getan hat, sei als Beweis zu werten, dass er sich willig hat einspannen lassen. Wie bewerten Sie diese Argumentation?
Ich glaube, dass diese Erklärung zu kurz ist. Natürlich gab es viele Fluchten, aber Flucht ist eben auch nicht gleich Flucht. Aus den Vernichtungslagern zu fliehen, war weit schwieriger, als von einem SS-Gut zu fliehen, das man bewachen musste. Die Vernichtungslager lagen sehr isoliert, es sagt sich leicht, es war nicht weit zum Wald und bis zur Grenze und man hätte sich den Partisanen anschließen können. Aber es gab immer wieder Fälle von Trawniki, die geflohen sind und wieder aufgegriffen wurden. Die sind dann erschossen worden oder erhängt, und zwar immer vor den Augen aller anderen. Wer das gesehen hat, überlegt sich seine Fluchtpläne dreimal. Im Demjanjuk-Prozess war von 25 Peitschenhieben als Strafe für Flucht die Rede. Das war meines Wissens die Strafe für Trawniki, die geflohen waren oder einfach aus dem Urlaub nicht zurückkehrten und sich dann aber doch wieder freiwillig zurückgemeldet haben. Wer ergriffen wurde, wurde erschossen. Und dann muss man sich 25 Peitschenhiebe nicht wie Rohrstockschläge vorstellen, sondern das war eine grausame Strafe, nach der die Menschen auch oft gestorben sind. |
Critic hat folgendes geschrieben: |
Auch wenn man in einem KZ in der Schreibstube seinen Dienst tat, wußte man, was da vorging, auch wenn man selbst nie Gewalt ausgeübt haben mag. (Entsprechend waren aber auch die Urteile, deutlich entfernt von dem theoretisch möglichen Strafrahmen.)
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MadMagic hat folgendes geschrieben: |
Wenn ich mir das Gesamtbild so betrachte...
Es wäre am besten wenn unsere Spezies aussterben würde. Es gibt kaum empathielosere Wesen in dieser Masse, wie bei unserer Gattung und auch noch so strunzdoof dazu... |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: | ||
Kannst du da mal ein paar Beispiele nennen? |
Zitat: |
Den Holocaust bestätigte er als Augenzeuge: „Ich habe alles gesehen. Die Vergasungen, die Verbrennungen, die Selektionen. In Auschwitz sind 1,5 Millionen Juden ermordet worden. Ich war dabei.“ (...) Das Gericht legte ihm zur Last, dass er mittels Buchhaltertätigkeit und Aufgaben während der Ankunft von Deportierten zum reibungslosen Ablauf der Tötungsfabrik beigetragen habe. Auch seine Aussage, dass er als SS-Buchhalter eine Waffe gehabt und an der Suche nach einem entflohenen Häftling teilgenommen habe, bekräftigte das Urteil. Sämtliche SS-Männer hatten die Erlaubnis bzw. Dienstanordnung, beispielsweise auf geflohene Häftlinge ohne Vorwarnung zu schießen (vgl. sogenannte Postenpflicht).
(...) Die Nebenkläger begrüßten (die Bestätigung des Urteils) als „wichtige Korrektur der früheren Rechtsprechung“, die in NS-Prozessen gegen ehemaliges Wachpersonal der Vernichtungslager wegen Beihilfe zum Mord den Nachweis einer unmittelbaren Beteiligung an bestimmten Tötungshandlungen gefordert hatte. |
DonMartin hat folgendes geschrieben: |
"Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" träfe für die SS-Totenköpfe ziemlich eindeutig zu. |
Critic hat folgendes geschrieben: | ||||||
Siehe etwa Zitate zum Thema "Oskar Gröning":
Also: Auch wenn er nicht persönlich Container mit Cyanid in den Kamin geworfen haben mag, wußte er natürlich, was da vorging. Wenn andererseits jemand ein Lager bewacht, wo ihm klar ist, was da passiert, ermöglicht er in gewisser Weise dennoch eben dieses - wenn auch mittelbar. Und was den Strafrahmen betrifft, geht der bei Mord je nach dem Ausmaß der Beteiligung ja bis "lebenslang". Dabei spielt natürlich eine Gesamtschau aller Tatsachen eine Rolle, auch daß Gröning auch eine moralische Verantwortung bei sich gesehen hat. Und ich bin auch froh, daß ich nicht damals etwa Jura studiert habe - bei vielen Fällen, die so medial berichtet werden, sehe ich schon als großes auch moralisches Problem, ein wirklich "angemessenes" oder "gerechtes" Urteil zu finden: Kann z.B. jemand auch "gegen seinen Willen schuldig werden"? In einem KZ arbeiten war etwas, das nach heutiger historischer Auffassung niemand tun "mußte". Ist natürlich immer noch ein Punkt, einen individuellen Fall zu beurteilen, der z.B. mehrere Versetzungsgesuche gestellt hat. Gröning meinte ja, er habe da nicht arbeiten wollen, und er habe vorher angeblich nicht gewußt, daß er das KZ Auschwitz bewachen sollte. Andererseits ist aber - auch nach heutiger Dienstordnung - der Soldat dazu verpflichtet, seine Aufgabe zu erfüllen, selbst wenn er zu der Zeit irgendwelche Versetzungsgesuche (oder gar eine Verweigerung aus Gewissensgründen, die damals bekanntermaßen nicht anerkannt wurde, jemandem Gefängnis oder den Tod einbringen konnte) o.ä. laufen hat. Wenn derjenige dann in der Zeit z.B. genau seine Aufgabe erfüllt, wie schuldig wird er dadurch? Ja, derjenige könnte sich krank melden. Aber das funktioniert vielleicht für eine Woche (und das Simulieren einer Krankheit wäre ja auch bestraft worden), aber nicht für längere Zeit. Das meinte ich mit diesem "grau-in-grau": Mag sein, daß der Fanatismus etwas geheilt wird, wenn man dann auf die Realitäten stößt. Wie will man aus der Situation herauskommen, kann man das u.U. nur, indem man den Kopf unten behält? Andererseits kann ich aber auch nicht beurteilen, z.B. wie NS-fanatisch Gröning in dem Moment noch war, oder welche Gründe das Versetzungsgesuch hatte o.ä.. Aber der Aspekt wurde bereits angesprochen: Den Betroffenen und Angehörigen ist es gar nicht mal so wichtig, ob eine konkrete Person jetzt noch für mehrere Jahre eingesperrt wird (was bei der Restlebenserwartung für sie effektiv wie "lebenslange Haft" sein kann), sondern daß es noch die Möglichkeit gab, ihr Leid aufzuarbeiten. |
Code: |
Von 1943 bis 1945 arbeitete eine Frau als Schreibkraft im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen die heute 94-Jährige. |
Zitat: |
Wenn die Ludwigsburger Juristen auch Recht und Gesetz buchstabengetreu umsetzen – unumstritten ist ihr Vorgehen nicht. Der Historiker Thomas Weber von der University of Aberdeen („Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde“) befürchtet, dass Beteiligte wie „Bubi“ aus Angst vor Anklagen wegen Beihilfe zum Massenmord nun endgültig schweigen werden. „Gröning beispielsweise konnte ja auch deshalb angeklagt werden, weil er – um Holocaust-Leugnern etwas entgegenzusetzen – öffentlich über das redete, was er in Auschwitz gesehen hatte“, erinnert Weber.
Der Professor für Geschichte und internationale Politik plädiert dafür, andere Formen für die Auseinandersetzung mit den letzten Zeugen zu finden. Für Wahrheitskommissionen, wie Weber sie vor sechs Jahren vorgeschlagen hatte, sei es nun zu spät. „Ein Modell wäre aber: Wenn du redest und umfassend über die Zeit im KZ aussagst, dann sichern wir dir zu, auf juristische Verfolgung zu verzichten. Oder dann wirst du lediglich verpflichtet, zum Beispiel 30 Briefe israelischer Schulklassen zu beantworten. Es gibt Menschen, die sich das noch von der Seele reden wollen. Ich kann mir vorstellen, dass sich auf diesem Wege ungeklärte Fragen von Opfer-Angehörigen vielleicht schneller und detaillierter beantworten lassen.“ |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: |
Zur Leidaufarbeitung sind Prozesse eher nicht geeignet. Da geht es darum, ob ein Angeklagter verurteilt wird oder nicht. D.H. die Angeklagten werden darauf beharren nichts mitbekommen zu haben. |
vrolijke hat folgendes geschrieben: | ||
Da bin ich andere Meinung. Es geht darum, ob diejenigen die an den Morden beteiligt waren, nicht einfach davon kommen können. Für die Opfer doch von einige Wichtigkeit. Wie die Verurteilung ausfällt ist von zweitrangiger Bedeutung. |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: | ||||
Also muss man sicherstellen, dass am Ende des Prozesses ein Schuldspruch steht? |
vrolijke hat folgendes geschrieben: | ||||||
Kannst nicht lesen? |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: |
Wenn er freigesprochen wird, dann ist er doch davon gekommen, oder? |
DonMartin hat folgendes geschrieben: |
Es kann ja gute Gründe für einen Freispruch geben. |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: |
Und was wären solche guten Gründe? |
Louseign hat folgendes geschrieben: | ||
Zum Beispiel, wenn die Mitwirkung des Täters für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord nicht ausreicht. Übrig bliebe dann nur noch unterlassene Hilfeleistung, die aber aufgrund der Verjährung nicht mehr bestraft wird, deswegen der formale Freispruch. |
Zitat: |
Er blieb auch dabei, nie die Ankunft auch nur eines Massentransports gesehen zu haben, sogar als die Richterin ihm vorhielt, dass Dokumente Auskunft darüber gäben, wie viele Menschen allein von August 1944 bis Jahresende in Stutthof angekommen seien: "44 000 neue Häftlinge. Und im Januar 1945 noch einmal 10 000. In der Zeit, in der Sie da waren, müssen 50 000 Menschen angekommen sein. Davon haben Sie nichts mitbekommen?" Bruno D.: "Ich kann mich da nicht erinnern. Ich habe ja niemanden in Empfang genommen."
Auch von den Feiern zu Weihnachten oder Silvester, die es laut Kommandanturbericht in dem Lager für die SS-Leute gegeben haben soll, will er nichts gewusst haben, an gemeinsamen Freizeitaktivitäten nicht teilgenommen haben, nie mit Kameraden über das Geschehen im KZ gesprochen haben. Dass mit neuen Gefangenentransporten auch neue Wachleute nach Stutthof kamen, sogar in dieselbe Kompanie, in der er diente - Bruno D. sagte, so etwas habe er nicht mitbekommen. Irgendwann war es der Richterin genug: "Entweder Sie lügen uns an", schloss sie, "oder Sie haben das verdrängt. Oder es sind Dinge passiert, die sie uns nicht sagen wollen. Dass Sie doch Ihr Gewehr zum Einsatz gebracht haben." Der Angeklagte bestreitet das. |
Tarvoc hat folgendes geschrieben: |
Das ist wohl eher ein Tauziehen zwischen dem Angeklagten und bekannten Tatsachen... |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: | ||
Nein. Seit wann ist das Wissen eines Angeklagten eine bekannte Tatsache? |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: |
Die Frage ist, was die Angeklagten gewusst haben. Und da gibt es dann ein Tauziehen zwischen Angeklagten und Richter_innen.
Z.B. https://www.sueddeutsche.de/politik/kz-wachmann-stutthof-bruno-d-1.4726450 |
Louseign hat folgendes geschrieben: | ||
Ich glaube nicht, dass Mitwisserschaft das Einzige ist, was man dem Angeklagten vorwirft. Die Süddeutsche gewährt mir trotz abgeschaltetem AdBlocker keinen Einblick; und abonnieren werde ich das Blatt wegen diesem einen Artikel jetzt nicht. |
Lebensnebel hat folgendes geschrieben: | ||||
Dann versuch es mal mit der Zeit: https://www.zeit.de/hamburg/2019-12/prozess-kz-wachmann-bruno-d-landgericht-hamburg Was soll man ihm denn sonst vorwerfen außer Mitwisserschaft? Es kann ja sein, dass er mehr Dinge getan hat als auf seinem Wachturm Wache zu stehen: Beweisen kann man das heute nicht mehr und deshalb spielt das vor Gericht keine Rolle. |
beachbernie hat folgendes geschrieben: | ||||||
Es ist die Aufgabe des Gerichts sowas festzustellen. Nicht Deine und nicht meine. |
beachbernie hat folgendes geschrieben: | ||||||
Es ist die Aufgabe des Gerichts sowas festzustellen. Nicht Deine und nicht meine. |
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