Bündnisgrüne: Selig ...
“Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei” – das waren die Begriffe, mit denen die Grünen Mitte der 1980er Jahre ihr Selbstverständnis ausdrückten. Mit ihrem neuen Grundsatzprogramm wurden diese Leitlinien in vielerlei Hinsicht den Erfordernissen einer Regierungspartei angepaßt (vgl. MIZ 1/02, S. 15ff.), die Grünen haben ihren Frieden mit Kapital, Krieg und nun auch den Kirchen gemacht. Während die Partei in den letzten Wahlprogrammen stets mehrere Punkte anführte, in denen das Verhältnis von Staat und Kirche geändert werden sollte, beschränken sie sich diesmal darauf, ein “umfassendes Antidiskriminierungsgesetz” einzufordern, was für die kirchlichen Sozialeinrichtungen die Geltung des allgemeinen Arbeits-, Sozial- und Tarifrechts bedeutete. Zu mehr konnten sich die Delegierten nicht durchringen.
Damit sind die Grünen zwar immerhin die einzige Partei, die diese Forderung im Wahlprogramm stehen hat, doch dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der ehemaligen Alternativpartei ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Es ist nicht allein die Tatsache, daß viele der radikaldemokratischen Positionen fehlen, die sich in den letzten fünfzehn Jahren in den Bundestags- und Landtagswahlprogrammen oder dem bündnisgrünen Verfassungsentwurf gefunden haben: die Aufhebung des Körperschaftsstatus, die Neuordnung der Militärseelsorge, die Kündigung der Kirchenverträge und Konkordate, die Abschaffung des Religionsunterrichtes in seiner jetzigen Form usw. (vgl. MIZ 4/94, S 3ff. oder MIZ 2/95, S. 19f.). Entscheidender ist, daß sich die Perspektive, aus der der gesamte Themenkomplex ins Auge gefaßt wird, völlig verschoben hat. Mitte der 1990er Jahre waren die Grünen eine Partei mit einem starken (amts)kirchenkritischen Flügel. Die Kirchen wurden eher als politischer Gegner betrachtet, der gegen viele grüne gesellschaftspolitische Projekte (von der Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften bis hin zur allgemeinen Gültigkeit des Betriebsverfassungsgesetzes) opponierte. Heute werden die Kirchen “als wichtige Kräfte der Zivilgesellschaft”, ja als Partner angesehen. Über den “Tendenzschutz” soll ein “Dialog” aufgenommen werden; das Kirchensteuermodell, so steht es im Antwortbrief an den IBKA, sei “zweifellos reformbedürftig” – wegen der wachsenden Finanzierungsprobleme der Kirchen. Anstatt wie einst die Abschaffung des § 166 StGB zu fordern, wenden sich die Grünen nun “gegen jeden Versuch, Religionsgemeinschaften zu diskriminieren” – von Weltanschauungsgemeinschaften ist nicht die Rede.
In diesem Duktus sind sowohl Grundsatz- wie Wahlprogramm gehalten und erst recht der Brief der Bundesgeschäftsstelle. Dort wird zur Rechtfertigung des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen (natürlich sind auch die Grünen für Islamunterricht und die Einrichtung theologischer Lehrstühle für Islam) sogar auf jenes Zitat des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde angespielt, wenn zu lesen ist: “Der moderne Verfassungsstaat lebt von Voraussetzungen, die er weder geschaffen hat noch garantieren kann.” Diese manipulative Widergabe der Textstelle (vgl. MIZ 3/99, S. 15f.) gehört zu den rhetorischen Standardtricks, mit denen die Kirche ein Recht reklamiert, ethische Vorgaben auch für jene Menschen zu machen, die ihrem Verein gar nicht angehören. Indem die Grünen den ganzen Denkansatz übernehmen, zeigt sich, wie wenig kritische Distanz zu kirchlichen Positionen noch besteht.
Welche Auswirkungen das auf die praktische Politik hat, wird zum Beispiel an einer Veranstaltung deutlich, die Ende August im nordrhein-westfälischen Landtag stattfand. Während bei früheren Hearings stets auch Vertreter explizit säkularer Auffassungen mit auf dem Podium saßen, diskutierten diesmal vier Vertreter der großen Religionen mit der kirchenpolitischen Sprecherin Christa Nickels und Heiner Bielefeldt (dem Islam-Experten von amnesty international) über die Frage: “Wieviel Religion verträgt Deutschland?” Daß eine solche Debatte ohne einen ausgewiesenen Religionskritiker stattfindet, wäre vor fünf Jahren noch schlecht vorstellbar gewesen. Tja, selige Zeiten, einst. |