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Katatonia ...the quiet cold of late november
Anmeldungsdatum: 05.04.2005 Beiträge: 826
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(#282254) Verfasst am: 05.04.2005, 17:40 Titel: Frage zur Wissenschaftstheorie |
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Nach allgemeinem Verständnis sind Aussagen dann wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar sind. Die Aussage "Es gibt Bäume" ist nicht falsifizierbar - handelt es sich also um eine unwissenschaftliche Aussage?
PS: Gut möglich, dass die Frage ziemlich naiv ist, aber mein Denkvermögen ist nicht grad das beste.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#282265) Verfasst am: 05.04.2005, 18:02 Titel: |
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Katatonia hat folgendes geschrieben: | Nach allgemeinem Verständnis sind Aussagen dann wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar sind. Die Aussage "Es gibt Bäume" ist nicht falsifizierbar - handelt es sich also um eine unwissenschaftliche Aussage?
PS: Gut möglich, dass die Frage ziemlich naiv ist, aber mein Denkvermögen ist nicht grad das beste.  |
Die Frage kommt mir irgendwie bekant vor ... egal.
Eine Methode der Falsifizierung besteht darin, eine eindeutige Folge der Aussage zu prüfen, z.B. so: Wenn es Bäume gibt, müssen wir auch Blätter finden. Wenn wir nun keine Blätter finden und deren Nichtvorhandensein nicht besser erklärt werden kann, ist die Aussage einigermaßen falsifiziert.
Leider ist diese Aussage darüberhinaus ziemlich schwer falsifizierbar, weil "es gibt" eine sehr allgemeine Eigenschaft fast ohne diskriminierbare Konsequenzen ist. Wenn es z.B. einen einzigen Baum gäbe, aber in einer entfernten Galaxie, so hätte das kaum prüfbare Konsequenzen. Deshalb würde ich Aussagen vom Typ "Es gibt XXX" tatsächlich für unwissenschaftlich halten, wenn XXX nicht intersubjektiv nachgeprüft werden kann. Das ist aber bei Bäumen zum Glück der Fall.
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Zuletzt bearbeitet von step am 05.04.2005, 20:16, insgesamt einmal bearbeitet |
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caballito zänkisches Monsterpony
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 12112
Wohnort: Pet Sematary
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(#282269) Verfasst am: 05.04.2005, 18:10 Titel: |
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Das Falsifizierbarkeitskriterium gilt nur für unbeweisbares: Eine unbeweisbare Behauptung gilt dann als wissenschaftlich, wenn ihr Gegenteil beweisbar ist.
Die Aussage "Es gibt Bäume" ist beweisbar - durch Vorweisen eines Baumes. Sie muss daher auch beweisen werden, um als wahr zu gelten. Die Aussage "Es gibt keine Bäume" ist prinzipiell unbeweisbar - aber sie ist falsifizierbar, weil ihr Gegenteil, also die Aussage, dass es doch welche gibt, beweisbar ist. Deswegen dürfte die Aussage "Es gibt keine Bäume" dann als wahr gelten, wenn es nicht gelänge, einen Baum zu finden.
Das Kriterium besagt im Grunde: Wen von zwei Aussagen, deren eine die Verneinung der anderen ist, eine beweisbar ist und die andere nicht, dann trägt der die Beweislast, der die beweisbare Aussage macht.
Wenn beide Aussagen beweisbar sind, kann keine ohne Beweis als richtig gelten. Wenn keine beweisbar ist, sind beide unwissenschaftlich.
_________________ Die Gedanken sind frei.
Aber nicht alle Gedanken wissen das.
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282292) Verfasst am: 05.04.2005, 18:48 Titel: |
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Es geht hier lediglich um die Frage, wie wissenschaftliche Theorien formuliert werden müssen, damit Erkenntnisfortschritt möglich ist.
Aussagen über die Existenz von Phänomen können empirisch nicht widerlegt werden. Ich könnte zum Beispiel behaupten, dass es eierlegende Affen gibt. Es gibt keinerlei Beobachtung, die diese Aussage empirisch widerlegen könnte. Daher kann eine solche Aussage nicht zu Erkenntnisfortschritten führen. Die Erfahrung kann nur das bestätigen, was ich ohnehin "gewusst" habe.
Erkenntnisfortschritt durch Beobachtung ist nur möglich, wenn die Nichtexistenz von Phänomen behauptet wird. Ich könnte behaupten, dass es keine eierlegenden Affen gibt. Diese Aussage ist falsizifierbar. Wenn nur ein einziger eierlegende Affe gefunden wird, ist die Aussage widerlegt. Bei dieser Art der Formulierung ist Erkenntnisfortschritt möglich. Die Erfahrung kann mich eines besseren belehren.
Darum sollen wissenschaftliche Theorien so formuliert werden, dass sie falsifizierbar sind.
In diesen Sinne kann man sagen, dass es unwissenschaftlich ist, die Existenz von Bäumen zu behaupten. Nur ist das völlig wurscht, weil die Existenz von Bäumen ja erwiesen ist.
Für das, was bewiesen ist, braucht man keine Wissenschaft. Wissenschaft braucht man nur für das, was prinzipiell nicht beweisbar ist. Darum soll es wenigstens widerlegbar sein.
Außerdem ist die Aussage, dass es Bäume gibt, nicht einmal eine Theorie. Wenn ich aus dem Fenster schaue, beobachte ich einen Baum, und mehr Erkenntnis steckt in der Aussage, dass es Bäume gibt, nicht drin. Eine Theorie ist dagegen ein System von Aussagen, die logisch miteinander verknüpft sind. Zum Beispiel die Aussage, dass Fische sterben, wenn man ihnen die Kiemen entfernt. Hier werden zwei beobachtbare Phänomene logisch verknüpft. Die beobachtbare Entfernung der Kiemen einerseits, und der folgende Tod des Fisches andererseits. Diese Aussage enthält mehr Erkenntnis als in den Einzelbeobachtungen enthalten ist. Wenn ich sehe, dass dem Fisch die Kiemen entfernt wurden, dann weiß ich, dass dem Fisch die Kiemen entfernt wurden. Wenn ich sehe, dass der Fisch stirbt, dann weiß ich, dass der Fisch stirbt. Aber dass diese beiden Beobachtungen miteinander in einem Zusammenhang stehen, dass ist eine Theorie, darin steckt ein Plus an Erkenntnis. Zudem kann es als wissenschaftliche Theorie gelten, denn wenn ich einem Fisch die Kiemen entferne, ohne dass er anschließend stirbt, ist meine Theorie widerlegt, und ich bin durch Erfahrung wieder etwas klüger geworden.
Kurz gesagt soll Wissenschaft so betrieben werden, dass wir durch Erfahrung klüger werden können.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#282300) Verfasst am: 05.04.2005, 19:09 Titel: |
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@wygotsky: Ich hatte in meiner Antwort explizit vermieden, Erkenntnisfortschritt zu fordern, weil eine Aussage im allgemeineren Sinne auch dann nicht unwissenschaftlich ist, wenn sie falsifizierbar, aber keine Theorie ist.
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Babyface Altmeister
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 11519
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(#282344) Verfasst am: 05.04.2005, 20:04 Titel: |
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Wygotsky hat folgendes geschrieben: | Es geht hier lediglich um die Frage, wie wissenschaftliche Theorien formuliert werden müssen, damit Erkenntnisfortschritt möglich ist.
Aussagen über die Existenz von Phänomen können empirisch nicht widerlegt werden. Ich könnte zum Beispiel behaupten, dass es eierlegende Affen gibt. Es gibt keinerlei Beobachtung, die diese Aussage empirisch widerlegen könnte. Daher kann eine solche Aussage nicht zu Erkenntnisfortschritten führen. Die Erfahrung kann nur das bestätigen, was ich ohnehin "gewusst" habe.
Erkenntnisfortschritt durch Beobachtung ist nur möglich, wenn die Nichtexistenz von Phänomen behauptet wird. |
Das Eingangsbeispiel verleitet zwar zu dieser Schlußfolgerung, dennoch ist sie nicht richtig. Wissenschaft funktioniert auch oder gerade, indem man überprüfbare Existenzhypothesen formuliert. Solche Hypothesen werden idealerweise aus Theorien oder einfachen Zusammenhangshypothesen abgeleitet: wenn unsere Theorie stimmt, dann erwarten wir zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort oder unter bestimmten Bedingungen das Auftreten eines bestimmtes Phänomens. Tritt es nicht auf, ist unsere Theorie vorläufig widerlegt. Der größte wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt folgt meist nach Widerlegung bewährter Theorien oder durch die vorläufige Bestätigung gewagter Theorien - beides anhand der Überprüfung von Existenzhypothesen. Die Aussage "Es gibt Bäume" ist jedoch als Existenzhypothese insofern unwissenschaftlich, da sie zu unspezifisch ist, um sie überprüfen zu können (da fehlen z.b. Angaben zum genauen Ort wo Bäume, vielleicht nach einer Theorie, zu finden sein sollen). Wobei "es gibt Bäume" wohl eher als Beobachtungsaussage zu werten ist, doch auch für die gilt intersubjektive Überprüfbarkeit, wenn sie wissenschaftlich gültig sein sollen.
_________________ posted by Babyface
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282390) Verfasst am: 05.04.2005, 21:01 Titel: |
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Babyface hat folgendes geschrieben: | Das Eingangsbeispiel verleitet zwar zu dieser Schlußfolgerung, dennoch ist sie nicht richtig. Wissenschaft funktioniert auch oder gerade, indem man überprüfbare Existenzhypothesen formuliert. Solche Hypothesen werden idealerweise aus Theorien oder einfachen Zusammenhangshypothesen abgeleitet: wenn unsere Theorie stimmt, dann erwarten wir zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort oder unter bestimmten Bedingungen das Auftreten eines bestimmtes Phänomens. Tritt es nicht auf, ist unsere Theorie vorläufig widerlegt. |
Entscheidend ist hier der logische Zusammenhang zwischen Theorie und daraus abgeleiteten Aussagen, die durch Beobachtungen prinzipiell widerlegbar sind. Wenn die Theorie die konkrete Aussage logisch impliziert, die konkrete Aussage aber durch Beobachtung widerlegt wird, dann ist die Theorie widerlegt. Ich behaupte nicht nur vorläufig, allerdings führt das vermutlich zu Spitzfindigkeiten.
Einfach nur eine Zeit und einen Ort anzugeben, an dem ein Phänomen beobachtbar sein soll, bei dessen Nichteintreten man seine Theorie als widerlegt ansieht, ist noch nicht wissenschaftlich. Ich könnte zum Beispiel behaupten, dass Gott die Welt erschaffen hat. Ferner könnte ich behaupten, dass mich morgen eine Wespe stechen wird. Falls nicht, gebe ich zu, dass meine Theorie widerlegt ist. Das ist natürlich keine Falsifizierbarkeit. Nur wenn meine Theorie, dass Gott die Welt erschaffen hat, und die Zusammenhangstatsachen logisch implizieren, dass mich morgen eine Wespe stechen wird, kann ein Nichteintreten des Stiches als Falsifizierung meiner Theorie gelten.
Die Ableitbarkeit aus einer Theorie und aus Zusammenhangstatsachen ist also nicht nur eine ideale Zutat zur Falsifizierbarkeit sondern eine unerlässliche.
Babyface hat folgendes geschrieben: | Die Aussage "Es gibt Bäume" ist jedoch als Existenzhypothese insofern unwissenschaftlich, da sie zu unspezifisch ist, um sie überprüfen zu können (da fehlen z.b. Angaben zum genauen Ort wo Bäume, vielleicht nach einer Theorie, zu finden sein sollen). |
Du bringst den Begriff der "Prüfbarkeit" ins Spiel, der in der Wissenschaftstheorie eine andere Bedeutung hat als in der Alltagssprache. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Bäume. Die meisten Menschen würden sagen, dass somit die Existenz von Bäumen überprüfbar ist. Wo Bäume zu finden sein werden, ist für die reine Existenzbehauptung unerheblich, zumal wenn jedermann bekannt ist, wo welche stehen. Freilich meint Popper etwas spezielleres, wenn er von Prüfbarkeit redet. Ihm geht es um Falsifizierbarkeit. Insofern ist die Existenz von Bäumen im alltagssprachlichen Sinne prüfbar, aber die Aussage "Es gibt Bäume" gilt eben im Sinne von Poppers Logik der Forschung nicht als prüfbare Theorie. Ich vermute, genau diese Begriffverwirrung ist die Ursache für Katatonias Anfrage.
Babyface hat folgendes geschrieben: | Wobei "es gibt Bäume" wohl eher als Beobachtungsaussage zu werten ist, doch auch für die gilt intersubjektive Überprüfbarkeit, wenn sie wissenschaftlich gültig sein sollen. |
Wenn ich mich recht erinnere, redet Popper über Theorien. Sie müssen falsifizierbar sein, um als wissenschaftlich gelten zu können. Der Satz "Es gibt Bäume" ist keine falsifizierbare Theorie im Sinne Poppers. Damit ist freilich nicht gesagt, dass der Satz falsch ist.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen die Begriffe Wissenschaftlichkeit und Wahrheit für synonym halten; oder zumindest glauben, dass Wissenschaftler nur das für wahr halten, was wissenschaftlich ist, und das für unwahr halten, was nicht als wissenschaftlich gelten kann. Vielleicht hängt Katatonias Anfrage ja damit zusammen.
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282396) Verfasst am: 05.04.2005, 21:04 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | @wygotsky: Ich hatte in meiner Antwort explizit vermieden, Erkenntnisfortschritt zu fordern, weil eine Aussage im allgemeineren Sinne auch dann nicht unwissenschaftlich ist, wenn sie falsifizierbar, aber keine Theorie ist. |
Ich hatte versucht, mich im begrifflichen Rahmen von Poppers Logik der Forschung zu bewegen, deren Lektüre bei mir zugegebenermaßen schon lange zurückliegt. Im allgemeineren Sinne würde ich dir zustimmen. Ich argwöhne, dass Katatonias Anfrage sich aus der Verwechslung von Prüfbarkeit im allgemeinen Sinne und Prüfbarkeit im Sinne Poppers ergibt.
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Katatonia ...the quiet cold of late november
Anmeldungsdatum: 05.04.2005 Beiträge: 826
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(#282443) Verfasst am: 05.04.2005, 22:06 Titel: |
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Zitat: | Die Frage kommt mir irgendwie bekant vor ... egal. |
Hm, war das eine Anspielung auf irgendwas? Gab's diese Diskussion an anderer Stelle schon mal?
Zitat: | Leider ist diese Aussage darüberhinaus ziemlich schwer falsifizierbar, weil "es gibt" eine sehr allgemeine Eigenschaft fast ohne diskriminierbare Konsequenzen ist. Wenn es z.B. einen einzigen Baum gäbe, aber in einer entfernten Galaxie, so hätte das kaum prüfbare Konsequenzen. Deshalb würde ich Aussagen vom Typ "Es gibt XXX" tatsächlich für unwissenschaftlich halten, wenn XXX nicht intersubjektiv nachgeprüft werden kann. Das ist aber bei Bäumen zum Glück der Fall. |
Hm...ich dachte, eine Nachprüfung im Sinne einer Verifikation sei gerade nicht das Wesen der Wissenschaft, sondern diese bestünde eben in der Falsifizierbarkeit von Aussagen / Theorien - also in einer derart verstandenen Nachprüfbarkeit.
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Wolf registrierter User
Anmeldungsdatum: 23.08.2004 Beiträge: 16610
Wohnort: Zuhause
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(#282448) Verfasst am: 05.04.2005, 22:17 Titel: |
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Katatonia hat folgendes geschrieben: |
Hm...ich dachte, eine Nachprüfung im Sinne einer Verifikation sei gerade nicht das Wesen der Wissenschaft, sondern diese bestünde eben in der Falsifizierbarkeit von Aussagen / Theorien - also in einer derart verstandenen Nachprüfbarkeit. |
Die Falsifizierbarkeit gilt heute wichtiger, als die Verifizierbarkeit.
Eine konkrete Aussage mit Ort und Zeitangabe, über die Existenz von Bäumen ist allerdings falsifizierbar.
_________________ Trish:(
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Babyface Altmeister
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 11519
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(#282453) Verfasst am: 05.04.2005, 22:22 Titel: |
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Wygotsky hat folgendes geschrieben: | Babyface hat folgendes geschrieben: | Wobei "es gibt Bäume" wohl eher als Beobachtungsaussage zu werten ist, doch auch für die gilt intersubjektive Überprüfbarkeit, wenn sie wissenschaftlich gültig sein sollen. |
Wenn ich mich recht erinnere, redet Popper über Theorien. Sie müssen falsifizierbar sein, um als wissenschaftlich gelten zu können. Der Satz "Es gibt Bäume" ist keine falsifizierbare Theorie im Sinne Poppers. Damit ist freilich nicht gesagt, dass der Satz falsch ist.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen die Begriffe Wissenschaftlichkeit und Wahrheit für synonym halten; oder zumindest glauben, dass Wissenschaftler nur das für wahr halten, was wissenschaftlich ist, und das für unwahr halten, was nicht als wissenschaftlich gelten kann. Vielleicht hängt Katatonias Anfrage ja damit zusammen. |
Popper war sich einer grundlegenden Problematik bzw. Grenze seines Falsifikationismus bewusst: nämlich dass auch Beobachtungsaussagen falsch oder fehlerhaft sein können und Theorien daher durch Beobachtungen nicht nur niemals endgültig bestätigt, sondern auch immer nur vorläufig widerlegt werden können. Daher hat Popper sehr strenge Kriterien formuliert, denen Beobachtungsaussagen (nach Popper "Basissätze") genügen müssen, damit sie als wissenschaftlich akzeptiert werden. Letztlich beruht ihre Anerkennung aber auf Konventionen. Im Prinzip hat Katatonia einen gut überprüften Basissatz hergenommen, als Existenzhypothese formuliert, um auf ihn das Falsifikationskriterium anzuwenden und sich über das Ergebnis gewundert.
_________________ posted by Babyface
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282463) Verfasst am: 05.04.2005, 22:38 Titel: |
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Katatonia hat folgendes geschrieben: | Hm...ich dachte, eine Nachprüfung im Sinne einer Verifikation sei gerade nicht das Wesen der Wissenschaft, sondern diese bestünde eben in der Falsifizierbarkeit von Aussagen / Theorien - also in einer derart verstandenen Nachprüfbarkeit. |
Das spannende an der Wissenschaft ist eben, dass man damit Aussagen treffen kann, die nicht verifizierbar sind. Wenn ich die Temperatur von sprudelnd kochendem Wasser messe, beträgt sie ca. 100 Grad Celsius. Es ist dann verifiziert, dass dieses kochende Wasser 100 Grad heiß ist, aber das ist als Einzelbeobachtung ziemlich belanglos. Interessant wird es erst durch die Behauptung, dass sprudelnd kochendes Wasser unter Normdruck IMMER 100 Grad heiß ist. So eine Allaussage kann ich nicht verifizieren, denn dazu müsste ich jegliches Wasser in allen nur denkbaren Gefäßen auf jede nur denkbare Weise und zu allen möglichen Zeitpunkten erhitzen. Unmöglich. Trotzdem wäre es sehr nützlich, solche allgemeinen Aussagen treffen zu können, weil sie eben in einer großen Zahl von Situationen anwendbar sind. Wenn man allgemeine Aussagen aber nicht verifizieren kann, wie vermeidet man dann, dass man irgendeinen Humbug als Theorie aufstellt? Wenn wir allgemeine Theorien schon nicht beweisen können, dann versuchen wir wenigstens sie so zu formulieren, dass sie durch Erfahrung widerlegbar sind. Auf die Weise können wir mit der Zeit die schlechten Theorien aussortieren. Wir können merken, wenn wir uns irren.
Ich sah mal ein Interview mit einem Extrembergsteiger. Der sprach darüber, wie er die Bezwingung einer Wand plante. Er stellte eine Theorie auf, wie die Wand zu bezwingen war, und in diese Theorie ließ er all sein Wissen und seine Erfahrung einfließen. Und dann versuchte er die Wand so zu besteigen. Aber es war ihm wichtig bei der Besteigung nicht zu vergessen, dass er ja nur eine Theorie ausprobierte. Wenn er merkte, dass es zu gefährlich wurde, dass sein Plan nicht klappte, dann gab er ihn auf. Er versuchte dann einen besseren Plan zu machen, in den seine neuen Erfahrungen einflossen.
So ähnlich funktioniert es auch in der Wissenschaft. Ob die Theorien stimmen, wissen wir nicht. Das ist nicht schlimm, solange wir bereit sind, sie aufzugeben, wenn sie nicht funktionieren. Das ist aber nur möglich, wenn sie so formuliert werden, dass sie falsifizierbar sind.
Bei der Aussage "Es gibt Bäume" ist keine Falsifizierbarkeit nötig, weil sie ja verifiziert ist. Mit dem, was wir sicher wissen, braucht sich die Wissenschaft nicht mehr zu beschäftigen.
Das tolle an der Wissenschaft ist, dass wir bei dem Versuch, ihre Theorien zu widerlegen, immer mehr Erfahrungen sammeln, die für benutzen können, um bessere Theorien zu bilden.
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282470) Verfasst am: 05.04.2005, 22:45 Titel: |
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Babyface hat folgendes geschrieben: | Popper war sich einer grundlegenden Problematik bzw. Grenze seines Falsifikationismus bewusst: nämlich dass auch Beobachtungsaussagen falsch oder fehlerhaft sein können und Theorien daher durch Beobachtungen nicht nur niemals endgültig bestätigt, sondern auch immer nur vorläufig widerlegt werden können. Daher hat Popper sehr strenge Kriterien formuliert, denen Beobachtungsaussagen (nach Popper "Basissätze") genügen müssen, damit sie als wissenschaftlich akzeptiert werden. Letztlich beruht ihre Anerkennung aber auf Konventionen. |
Ja. Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn eine wissenschaftliche Theorie nur noch Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen kann. Was ist dann ein Basissatz? Nichts, was eine Einzelbeobachtung beschreibt.
Babyface hat folgendes geschrieben: | Im Prinzip hat Katatonia einen gut überprüften Basissatz hergenommen, als Existenzhypothese formuliert, um auf ihn das Falsifikationskriterium anzuwenden und sich über das Ergebnis gewundert.  |
So könnte man es sagen.
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#282518) Verfasst am: 06.04.2005, 00:19 Titel: Re: Frage zur Wissenschaftstheorie |
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Hi Katatonia!
Katatonia hat folgendes geschrieben: | Nach allgemeinem Verständnis sind Aussagen dann wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar sind. Die Aussage "Es gibt Bäume" ist nicht falsifizierbar - handelt es sich also um eine unwissenschaftliche Aussage?
PS: Gut möglich, dass die Frage ziemlich naiv ist, aber mein Denkvermögen ist nicht grad das beste.  |
Ob Deine Frage nun als naiv gelten kann oder nicht, hängt von dem entsprechenden Hintergrund ab. Jedenfalls sind auch naive Fragen manchmal nur schwer zu beantworten. Möglicherweise der Grund, warum manchmal Bibelfundis so einsteigen, um zu versuchen, so dem Naturalismus am Zeug zu flicken.
Im "allgemeinem Verständnis nach Popper" sind übrigens alle Aussagen falsifizierbar, aber nicht verifizierbar; es ist also wichtig, die Frage nach der Intention zu stellen:
• Die Aussage "Es gibt Bäume" ist falsifizierbar, wenn nicht die Absicht besteht, die Widerlegung auszuschließen: Es könnten möglicherweise doch keine Bäume existieren; Bäume könnten irrtümlich für Bäume gehalten werden, sind aber etwas anderes; eine angenommene Abgrenzung ist nicht gegeben; etc.
• Die Aussage "Bäume sind eine Tatsache" ist keine wissenschaftliche Aussage, wenn sie dogmatisch gemeint ist.
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Yamato Teeist
Anmeldungsdatum: 21.08.2004 Beiträge: 4548
Wohnort: Singapore
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(#282524) Verfasst am: 06.04.2005, 00:42 Titel: |
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Wie ist es eigentlich mit der Aussage "Gott existiert". Ich habe irgendwo gelesen diese Aussage sei nicht falsifizierbar (man kann das Gegenteil ja nicht beweisen), aber das heißt doch noch nicht, dass sie widerlegt ist. Das bedeutet doch nur, dass sie als Theorie keine Erkenntnis bringt, oder?
Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung von Popper, also wäre ich dankbar für Aufklärung.
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#282531) Verfasst am: 06.04.2005, 01:05 Titel: |
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Hi Savar,
wenn die prinzipielle Möglichkeit zu einer Widerlegung ausgeschlossen wird, handelt es sich um eine dogmatische Aussage. Daran musst Du eben einfach glauben.
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Yamato Teeist
Anmeldungsdatum: 21.08.2004 Beiträge: 4548
Wohnort: Singapore
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(#282534) Verfasst am: 06.04.2005, 01:09 Titel: |
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Lamarck hat folgendes geschrieben: | Hi Savar,
wenn die prinzipielle Möglichkeit zu einer Widerlegung ausgeschlossen wird, handelt es sich um eine dogmatische Aussage. Daran musst Du eben einfach glauben.
Cheers,
Lamarck |
Soweit klar. Aber ein Christ könnte mir immer noch entgegenhalten, es sei ja nicht ausgeschlossen.
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Katatonia ...the quiet cold of late november
Anmeldungsdatum: 05.04.2005 Beiträge: 826
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(#282540) Verfasst am: 06.04.2005, 01:29 Titel: |
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Zitat: | Soweit klar. Aber ein Christ könnte mir immer noch entgegenhalten, es sei ja nicht ausgeschlossen. | [/quote]
Darauf könntest du wiederum antworten, dass es ebensowenig ausgeschlossen ist, dass Donald Duck existiert und die Welt erschaffen hat.
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Yamato Teeist
Anmeldungsdatum: 21.08.2004 Beiträge: 4548
Wohnort: Singapore
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(#282543) Verfasst am: 06.04.2005, 01:34 Titel: |
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Katatonia hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Soweit klar. Aber ein Christ könnte mir immer noch entgegenhalten, es sei ja nicht ausgeschlossen. |
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Darauf könntest du wiederum antworten, dass es ebensowenig ausgeschlossen ist, dass Donald Duck existiert und die Welt erschaffen hat. [/quote]
Stimmt. Man binn ich blind.
Liegt wohl daran, dass man in dieser Kultur gegenüber manchen Behauptungen vorbelastet ist. Nun, leider sind Gläubige meist sehr irrational und werden dieses Argument geflissentlich ignorieren. Sie werden wohl etwas sagen, wie "das steht doch in der Bibel" und alles geht von vorne los. Irgendwann ziehen sie sich dann in ihren Glauben zurück und sind gar nicht mehr ansprechbar. Sei's drum.
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Babyface Altmeister
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 11519
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(#282648) Verfasst am: 06.04.2005, 12:21 Titel: |
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Wygotsky hat folgendes geschrieben: | Babyface hat folgendes geschrieben: | Popper war sich einer grundlegenden Problematik bzw. Grenze seines Falsifikationismus bewusst: nämlich dass auch Beobachtungsaussagen falsch oder fehlerhaft sein können und Theorien daher durch Beobachtungen nicht nur niemals endgültig bestätigt, sondern auch immer nur vorläufig widerlegt werden können. Daher hat Popper sehr strenge Kriterien formuliert, denen Beobachtungsaussagen (nach Popper "Basissätze") genügen müssen, damit sie als wissenschaftlich akzeptiert werden. Letztlich beruht ihre Anerkennung aber auf Konventionen. |
Ja. Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn eine wissenschaftliche Theorie nur noch Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen kann. Was ist dann ein Basissatz? Nichts, was eine Einzelbeobachtung beschreibt.
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Mit der Art der Hypothese ändert sich natürlich auch die Art der Beobachtungsaussagen, die für die Hypothese relevant sind. Für Wahrscheinlichkeitshypothesen bieten sich z.b. Korrelationskoeffizienten an, die ja bekanntlich mehrere Einzelbeobachtungen zu einer einzigen Beobachtung bzw. Information verknüpfen. Nimmt man beobachtete Korrelationen als Basissätze, hat man eben neben dem Messfehler als weitere mögliche Fehlerquelle den (Pseudo-)Zufall zu berücksichtigen. Genau der macht es in den empirischen Sozialwissenschaften zuweilen so schwer, Theorien oder Hypothesen zu falsifizieren.
_________________ posted by Babyface
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Reschi registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.09.2004 Beiträge: 3073
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(#282693) Verfasst am: 06.04.2005, 13:50 Titel: |
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caballito hat folgendes geschrieben: | Das Falsifizierbarkeitskriterium gilt nur für unbeweisbares: Eine unbeweisbare Behauptung gilt dann als wissenschaftlich, wenn ihr Gegenteil beweisbar ist.
Die Aussage "Es gibt Bäume" ist beweisbar - durch Vorweisen eines Baumes. Sie muss daher auch beweisen werden, um als wahr zu gelten. Die Aussage "Es gibt keine Bäume" ist prinzipiell unbeweisbar - aber sie ist falsifizierbar, weil ihr Gegenteil, also die Aussage, dass es doch welche gibt, beweisbar ist. Deswegen dürfte die Aussage "Es gibt keine Bäume" dann als wahr gelten, wenn es nicht gelänge, einen Baum zu finden.
Das Kriterium besagt im Grunde: Wen von zwei Aussagen, deren eine die Verneinung der anderen ist, eine beweisbar ist und die andere nicht, dann trägt der die Beweislast, der die beweisbare Aussage macht.
Wenn beide Aussagen beweisbar sind, kann keine ohne Beweis als richtig gelten.
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Ich mag deine Beiträge
Zitat: |
Wenn keine beweisbar ist, sind beide unwissenschaftlich. |
? Das denke ich nicht. Solange sie falsifizierbar sind gibts ja kein Problem. Im Zweifelsfall kommt dann eben Ockhams Rasiermesser zum Einsatz
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Shadaik evolviert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 26377
Wohnort: MG
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(#282728) Verfasst am: 06.04.2005, 15:14 Titel: |
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Ockham's Razor ist ein philosophischer Ansatz, der in der Wissenschaft recht praktisch ist, aber nicht unbedingt richtig.
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caballito zänkisches Monsterpony
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 12112
Wohnort: Pet Sematary
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(#282729) Verfasst am: 06.04.2005, 15:14 Titel: |
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Reschi hat folgendes geschrieben: | Zitat: |
Wenn keine beweisbar ist, sind beide unwissenschaftlich. |
? Das denke ich nicht. Solange sie falsifizierbar sind gibts ja kein Problem. Im Zweifelsfall kommt dann eben Ockhams Rasiermesser zum Einsatz |
"Zwei Aussagen, deren eine die Verneinung der anderen ist." Wenn beide nicht beweisbar sind, sind sie auch beide nicht falsifiezierbar, denn um eine zu falsifizieren, müsste man die andere beweisen.
_________________ Die Gedanken sind frei.
Aber nicht alle Gedanken wissen das.
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Katatonia ...the quiet cold of late november
Anmeldungsdatum: 05.04.2005 Beiträge: 826
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(#282764) Verfasst am: 06.04.2005, 17:04 Titel: Re: Frage zur Wissenschaftstheorie |
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Zitat: | Im "allgemeinem Verständnis nach Popper" sind übrigens alle Aussagen falsifizierbar |
Das kann nicht stimmen, denn es war ja gerade Poppers Anliegen, die Wissenschaft von Pseudowissenschaften etc. zu trennen, was er eben durch das Falsifizierungskriterium erreichte. Ein oft angeführtes Beispiel für eine nichtfalsifizierbare Aussage ist „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich’s Wetter oder’s bleibt, wie’s ist“.
Zitat: | • Die Aussage "Es gibt Bäume" ist falsifizierbar, wenn nicht die Absicht besteht, die Widerlegung auszuschließen: Es könnten möglicherweise doch keine Bäume existieren; Bäume könnten irrtümlich für Bäume gehalten werden, sind aber etwas anderes; eine angenommene Abgrenzung ist nicht gegeben; etc. |
Ich glaube, das geht an der Sache vorbei. Erstens ist die Aussage nicht falsifizierbar, da ihr Gegenteil unbeweisbar ist. Es kann nie ausgeschlossen werden, dass es nicht vielleicht doch irgendwo Bäume gibt. Zweitens scheint mir in deinem Beispiel eine unzulässige Vermischung von Ebenen stattzufinden. Wenn wir plötzlich feststellten, dass scheinbare Bäume in Wirklichkeit keine sind, würden wir jene trotzdem noch als Bäume bezeichnen; die Intension erfährt zwar eine Veränderung, aber die Extension bleibt gleich – die scheinbaren Bäume sind immer noch dieselben Dinge. D.h. unsere Einsicht wäre: ‚Bäume sind etwas anderes als wir immer dachten’ und nicht: ‚Ach, Bäume hat es niemals gegeben’. Analoges Beispiel: Wenn wir feststellen, dass Wale keine Fische, sondern Säugetiere sind, sagen wir ja auch nicht, dass es Wale nie gegeben hätte.
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Othilic Gast
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(#282773) Verfasst am: 06.04.2005, 17:24 Titel: |
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Wygotsky hat folgendes geschrieben: | Babyface hat folgendes geschrieben: | Im Prinzip hat Katatonia einen gut überprüften Basissatz hergenommen, als Existenzhypothese formuliert, um auf ihn das Falsifikationskriterium anzuwenden und sich über das Ergebnis gewundert.  |
So könnte man es sagen. |
Das erinnert mich an etwas, das ich momentan mit Leony in einem anderen Thread http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=7377 diskutiere:
Othilic hat folgendes geschrieben: |
Leony hat folgendes geschrieben: |
Allerdings beobachte ich,
dass Leute, die überhaupt kein Problem damit haben, die Existenz eines Perpetuum mobile auszuschließen,
plötzlich viel schwerwiegendere Gründe für nötig halten,
um die Existenz eines Gottes auszuschließen.
Diese Art von Agnostizismus halte ich für inkonsequent,
und diese Feststellung halte ich für ein Gegenargument gegen diese Art von Agnostizismus.
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Da muß ich Dir widersprechen. Ohne hier eine Diskussion über Physik anstoßen zu wollen: die Nichtexistenz eines Perpetuum mobile ist doch nur eine Umformulierung des ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Und ich habe sehr gute Gründe (Erfahrungstatsache; Theorie, die darauf aufbaut, stimmt mit Experimenten überein), diesen zu glauben.
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(Mittlerweile sind wir dort auch bei kritischer Rationalismus, Fallibilismus und Ockham's Razor angekommen. )
Gibt es zwischen dem Beispiel "Nichtexistenz von Perpetuum Mobile" vs. "1. HS der Thermodynamik" und dem hier diskutierten Beispiel Parallelen?
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#282779) Verfasst am: 06.04.2005, 17:53 Titel: |
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Katatonia hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Die Frage kommt mir irgendwie bekant vor ... egal. | Hm, war das eine Anspielung auf irgendwas? Gab's diese Diskussion an anderer Stelle schon mal? |
Ich hab nachgeschaut, dieselbe Frage wurde mir schon mal von einem Kreationisten gestellt. Aber das nur nebenbei.
Katatonia hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Leider ist diese Aussage darüberhinaus ziemlich schwer falsifizierbar, weil "es gibt" eine sehr allgemeine Eigenschaft fast ohne diskriminierbare Konsequenzen ist. Wenn es z.B. einen einzigen Baum gäbe, aber in einer entfernten Galaxie, so hätte das kaum prüfbare Konsequenzen. Deshalb würde ich Aussagen vom Typ "Es gibt XXX" tatsächlich für unwissenschaftlich halten, wenn XXX nicht intersubjektiv nachgeprüft werden kann. Das ist aber bei Bäumen zum Glück der Fall. | Hm...ich dachte, eine Nachprüfung im Sinne einer Verifikation sei gerade nicht das Wesen der Wissenschaft, sondern diese bestünde eben in der Falsifizierbarkeit von Aussagen / Theorien - also in einer derart verstandenen Nachprüfbarkeit. |
Zum einen - wie von einigen bereits angesprochen, ist hier das logische Gegenteil leichter zu falsifizieren.
Zum zweiten ist das Wesen von Wissenschaft natürlich nicht Falsifikation, sondern das Finden von Modellen (Simulationsregeln), die gute Voraussagen ermöglichen, also das Finden gut funktionierender Theorien. Deren Prüfbarkeit ist übrigens auf diese Weise ziemlich automatisch gegeben, und diese Theorien erklären auch immer etwas und beschreiben nicht nur ein Phänomen.
"Es gibt Bäume" ist also nicht nur sehr allgemein, sondern auch keine gute Theorie. Immerhin ist es aber eine sinnvolle Aussage, der wir aufgrund der intersubjektiv nachvollziehbar konkreten Definition von "Es gibt" und "Baum" einen hypothetisch-realistischen Wahrheitswert zuweisen können, im Gegensatz etwa zu "Es gibt Gott".
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282782) Verfasst am: 06.04.2005, 17:58 Titel: |
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Savar hat folgendes geschrieben: | Wie ist es eigentlich mit der Aussage "Gott existiert". Ich habe irgendwo gelesen diese Aussage sei nicht falsifizierbar (man kann das Gegenteil ja nicht beweisen), aber das heißt doch noch nicht, dass sie widerlegt ist. |
Heißt es auch nicht.
Savar hat folgendes geschrieben: | Das bedeutet doch nur, dass sie als Theorie keine Erkenntnis bringt, oder? |
Das heißt einfach nur, dass diese Aussage nach Poppers Logik der Forschung nicht als wissenschaftlich gelten kann.
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#282784) Verfasst am: 06.04.2005, 18:00 Titel: |
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Babyface hat folgendes geschrieben: | Nimmt man beobachtete Korrelationen als Basissätze, hat man eben neben dem Messfehler als weitere mögliche Fehlerquelle den (Pseudo-)Zufall zu berücksichtigen. Genau der macht es in den empirischen Sozialwissenschaften zuweilen so schwer, Theorien oder Hypothesen zu falsifizieren. |
Eben darauf wollte ich hinaus.
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#282891) Verfasst am: 06.04.2005, 22:39 Titel: |
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Hi Katatonia!
Katatonia hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Im "allgemeinem Verständnis nach Popper" sind übrigens alle Aussagen falsifizierbar |
Das kann nicht stimmen, denn es war ja gerade Poppers Anliegen, die Wissenschaft von Pseudowissenschaften etc. zu trennen, was er eben durch das Falsifizierungskriterium erreichte. Ein oft angeführtes Beispiel für eine nichtfalsifizierbare Aussage ist „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich’s Wetter oder’s bleibt, wie’s ist“. |
Nachdem Du nun nicht auf meine launige Bemerkung reagiert hast: Ist nun die ET eine Pseudowissenschaft oder nicht? Hier siehst Du auch gleich, wie unproblematisch sich These und Antithese in Frageform vertragen ... .
Deine Aussage ist gleichwohl falsifizierbar: Wie wird denn das Wetter, wenn der Hahn nicht kräht? Die formale Struktur dieser verschachtelten Aussage ist folgende:
(Wenn These 1 , dann (entweder These 2 oder Antithese 2)
Auch die Aussage "Das Wetter ändert sich oder es ändert sich nicht", ist falsifizierbar; allerdings nicht anhand der in der Aussage enthaltenen These bzw. Antithese sondern über ein von außen kommendes Kriterium.
Katatonia hat folgendes geschrieben: | Zitat: | • Die Aussage "Es gibt Bäume" ist falsifizierbar, wenn nicht die Absicht besteht, die Widerlegung auszuschließen: Es könnten möglicherweise doch keine Bäume existieren; Bäume könnten irrtümlich für Bäume gehalten werden, sind aber etwas anderes; eine angenommene Abgrenzung ist nicht gegeben; etc. |
Ich glaube, das geht an der Sache vorbei. Erstens ist die Aussage nicht falsifizierbar, da ihr Gegenteil unbeweisbar ist. Es kann nie ausgeschlossen werden, dass es nicht vielleicht doch irgendwo Bäume gibt. Zweitens scheint mir in deinem Beispiel eine unzulässige Vermischung von Ebenen stattzufinden. Wenn wir plötzlich feststellten, dass scheinbare Bäume in Wirklichkeit keine sind, würden wir jene trotzdem noch als Bäume bezeichnen; die Intension erfährt zwar eine Veränderung, aber die Extension bleibt gleich – die scheinbaren Bäume sind immer noch dieselben Dinge. D.h. unsere Einsicht wäre: ‚Bäume sind etwas anderes als wir immer dachten’ und nicht: ‚Ach, Bäume hat es niemals gegeben’. Analoges Beispiel: Wenn wir feststellen, dass Wale keine Fische, sondern Säugetiere sind, sagen wir ja auch nicht, dass es Wale nie gegeben hätte. |
Nein. Eine Aussage wird nicht durch die Verifizierung der gegenteiligen Aussage falsifiziert. Aber untersuche doch nochmal die Aussagenpaare, die Du als analog ansiehst:
"Bäume existieren" vs. "Bäume existieren nicht"
"Wale sind Fische" vs. "Wale sind Säugetiere"
Wie falsifizierst Du nun bsw. die Aussage "Bäume existieren nicht"?
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#282892) Verfasst am: 06.04.2005, 22:44 Titel: |
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Hi step!
step hat folgendes geschrieben: |
Zum zweiten ist das Wesen von Wissenschaft natürlich nicht Falsifikation, sondern das Finden von Modellen (Simulationsregeln), die gute Voraussagen ermöglichen, also das Finden gut funktionierender Theorien. Deren Prüfbarkeit ist übrigens auf diese Weise ziemlich automatisch gegeben, und diese Theorien erklären auch immer etwas und beschreiben nicht nur ein Phänomen.
"Es gibt Bäume" ist also nicht nur sehr allgemein, sondern auch keine gute Theorie. Immerhin ist es aber eine sinnvolle Aussage, der wir aufgrund der intersubjektiv nachvollziehbar konkreten Definition von "Es gibt" und "Baum" einen hypothetisch-realistischen Wahrheitswert zuweisen können, im Gegensatz etwa zu "Es gibt Gott". |
Ich verstehe, was Du sagen willst. Aber was meinst Du denn mit "einem hypothetisch-realistischen Wahrheitswert zuweisen"?
Cheers,
Lamarck
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