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(un-)freier Wille nachweisbar?
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#339873) Verfasst am: 04.09.2005, 23:19    Titel: Re: (un-)freier Wille nachweisbar? Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... wenn man bedenkt, daß die Persönlichkeit z.B. von Kleinkindern erst sehr schwach ausgeprägt ist, also fast nur der genetische Anteil.

Nein, das sehe ich anders. Die Persönlichkeit selbst von kleinsten Kindern ist schon erstaunlich ausgeprägt und ich bin absolut dagegen, direkte persönlichkeitsverändernde Maßnahmen zu legalisieren.

Es geht ja idZ um die Persönlichkeitsmerkmale, die das moralische Empfinden / Verhalten betreffen, und um dieses selbst. Das moralische Empfinden existiert aber in den letzten Schwangerschaftsmonaten und ersten Lebensjahren noch nicht, es wird nach meinem Wissen etwa ab dem 4. Lebensjahr ausgeprägt. Zudem gibt es starke Korrelationen zwischen z.B. liebloser Erziehung und späterer Gewalttätigkeit.

Es scheint aber, ich habe einen eher neo-utilitaristischen und Du eher einen absoluthumanistischen Standpunkt, oder?
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#339940) Verfasst am: 05.09.2005, 00:07    Titel: Re: (un-)freier Wille nachweisbar? Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... wenn man bedenkt, daß die Persönlichkeit z.B. von Kleinkindern erst sehr schwach ausgeprägt ist, also fast nur der genetische Anteil.

Nein, das sehe ich anders. Die Persönlichkeit selbst von kleinsten Kindern ist schon erstaunlich ausgeprägt und ich bin absolut dagegen, direkte persönlichkeitsverändernde Maßnahmen zu legalisieren.

Es geht ja idZ um die Persönlichkeitsmerkmale, die das moralische Empfinden / Verhalten betreffen, und um dieses selbst. Das moralische Empfinden existiert aber in den letzten Schwangerschaftsmonaten und ersten Lebensjahren noch nicht, es wird nach meinem Wissen etwa ab dem 4. Lebensjahr ausgeprägt.

Ich denke, dass eine künstliche Implantation einer Moral die Persönlichkeit verändert. Es spielt dabei keine Rolle, ob das moralische Empfinden schon vorhanden ist oder nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Zudem gibt es starke Korrelationen zwischen z.B. liebloser Erziehung und späterer Gewalttätigkeit.

Bestimmt ist das so, aber warum erwähnst Du das in diesem Zusammenhang?

step hat folgendes geschrieben:
Es scheint aber, ich habe einen eher neo-utilitaristischen und Du eher einen absoluthumanistischen Standpunkt, oder?

Sagte mir erstmal nichts, aber nachdem ich mir die Definitionen durchgelesen habe, könnte das durchaus sein.

Die Frage, die sich jetzt stellt: Hat das noch etwas mit dem "freien Willen" zu tun oder nicht? Oder, anders gesagt, denkst Du, dass jemand, der einen freien Willen als unmöglich ansieht, da er alle Abläufe für determiniert hält, deswegen ein Utilitarist sein sollte? (Wenn nicht, dann kämen wir wohl ein wenig vom eigentlichen Thema ab - dann sollte das Thema "Neurologische Beeinflussung des Gehirns zulässig?" besser in einem anderen Thread besprochen werden.)
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#340081) Verfasst am: 05.09.2005, 14:14    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich denke, dass eine künstliche Implantation einer Moral die Persönlichkeit verändert. Es spielt dabei keine Rolle, ob das moralische Empfinden schon vorhanden ist oder nicht.

Die Implementation einer Moral beeinflußt natürlich die (spätere) Persönlichkeit. Brechung des Willens, Schleifen, Belohnung und Bestrafung scheinen mir die Würde einer Person allerdings stärker zu verletzen als z.B. ein genetischer Eingriff.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zudem gibt es starke Korrelationen zwischen z.B. liebloser Erziehung und späterer Gewalttätigkeit.
Bestimmt ist das so, aber warum erwähnst Du das in diesem Zusammenhang?

Als weiteren Hinweis darauf, daß Verhalten und Moral erst in diesem Alter wesentlich geprägt werden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... denkst Du, dass jemand, der einen freien Willen als unmöglich ansieht, da er alle Abläufe für determiniert hält, deswegen ein Utilitarist sein sollte?

Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren. Wenn er dennoch nach intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen sucht, muß er einen Begriff heranz9ehen, der relativ, determiniert und dennoch konsensfähig ist: das ZIEL.

Mir ging es aber vor allem darum, daß man mit jemand (Du), der bestimmte Werte (Autonomie/Integrität der Person) absolut setzt, über deren Entmystifizierung (Determinismus) nicht gut diskutieren kann.
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George
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Anmeldungsdatum: 16.09.2004
Beiträge: 4485

Beitrag(#340101) Verfasst am: 05.09.2005, 14:53    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... denkst Du, dass jemand, der einen freien Willen als unmöglich ansieht, da er alle Abläufe für determiniert hält, deswegen ein Utilitarist sein sollte?

Step hat geschrieben:
Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren. Wenn er dennoch nach intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen sucht, muß er einen Begriff heranz9ehen, der relativ, determiniert und dennoch konsensfähig ist: das ZIEL.

Mir ging es aber vor allem darum, daß man mit jemand (Du), der bestimmte Werte (Autonomie/Integrität der Person) absolut setzt, über deren Entmystifizierung (Determinismus) nicht gut diskutieren kann.
[/quote]

ich glaube nicht das strukturelle wissenschaftliche Erklärungen auch immer eine Entmystifizierung bedeuten . Denn wir reden hier keineswegs über absolute Strukturen , sondern in erster Line von modellen die uns menschen eingängig sind , das ist alles .
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step
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Beiträge: 22782
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Beitrag(#340114) Verfasst am: 05.09.2005, 15:01    Titel: Antworten mit Zitat

George hat folgendes geschrieben:
ich glaube nicht das strukturelle wissenschaftliche Erklärungen auch immer eine Entmystifizierung bedeuten .

Natürlich nur dann, wenn es vorher statt einer Erklärung nur mystische Vorstellungen gab.

George hat folgendes geschrieben:
Denn wir reden hier keineswegs über absolute Strukturen , sondern in erster Line von modellen die uns menschen eingängig sind ...

Dem stimme ich vollkommen zu, und deswegen wird es wohl auch nie eine endgültige Entmystifizierung geben, sondern immer nur graduelle Aufklärung. Ich halte es aber für berechtigt, von einer Entmystifizierung zu sprechen, wenn ein ideologisch, psychologisch, oder im Alltag wichtiger Aberglauben betroffen ist, so wie z.B. der Blitzgott oder hier der "freie" Wille.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#340121) Verfasst am: 05.09.2005, 15:10    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich denke, dass eine künstliche Implantation einer Moral die Persönlichkeit verändert. Es spielt dabei keine Rolle, ob das moralische Empfinden schon vorhanden ist oder nicht.

Die Implementation einer Moral beeinflußt natürlich die (spätere) Persönlichkeit. Brechung des Willens, Schleifen, Belohnung und Bestrafung scheinen mir die Würde einer Person allerdings stärker zu verletzen als z.B. ein genetischer Eingriff.

Ich hatte an eine direkte neurologische Beeinflussung gedacht, nicht an einen genetischen Eingriff. Einen genetischen Eingriff lehne ich jedoch ebenso ab, mir scheint, wir können die Folgen dessen nicht abschätzen. Ein genetischer Eingriff verletzt aber nicht die Würde der Person, so wie das meiner Meinung nach durch einen neurologischen Eingriff geschähe, deswegen passt eine Diskussion über Genetik nicht zum Thema "freier Wille".

(Nebenbei: Brechung des Willens und das Schleifen verletzen die Würde, da stimme ich zu, aber wieso Belohnung und Bestrafung?)

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... denkst Du, dass jemand, der einen freien Willen als unmöglich ansieht, da er alle Abläufe für determiniert hält, deswegen ein Utilitarist sein sollte?

Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren.

Ich habe keine Letztbegründung und brauche auch keine solche. Ich denke, dass meine Ethik auf gesellschaftlicher Erfahrung und Einsicht beruht und das ist auch gut so.

step hat folgendes geschrieben:
Wenn er dennoch nach intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen sucht, muß er einen Begriff heranz9ehen, der relativ, determiniert und dennoch konsensfähig ist: das ZIEL.

Es gibt in meiner Sicht keine "intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen" für eine Ethik. Ich bezweifle zusätzlich, dass es ein konsensfähiges Ziel geben könnte.

step hat folgendes geschrieben:
Mir ging es aber vor allem darum, daß man mit jemand (Du), der bestimmte Werte (Autonomie/Integrität der Person) absolut setzt, über deren Entmystifizierung (Determinismus) nicht gut diskutieren kann.

Sagen wir mal so: Ich lehne eine rein technokratische Ethik ab, die, wie ich glaube, schnell unmenschlich wird und dann zum Totalitarismus führt. Diese Einstellung "mystisch" zu nennen ist meiner Meinung nach unangebracht.
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step
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Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#340212) Verfasst am: 05.09.2005, 17:35    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein genetischer Eingriff verletzt aber nicht die Würde der Person, so wie das meiner Meinung nach durch einen neurologischen Eingriff geschähe ...

Hier würde mich die Begründung interessieren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
(Nebenbei: Brechung des Willens und das Schleifen verletzen die Würde, da stimme ich zu, aber wieso Belohnung und Bestrafung?)

Man könnte argumentieren, daß man dadurch zum Objekt der Interessen Anderer wird.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... denkst Du, dass jemand, der einen freien Willen als unmöglich ansieht, da er alle Abläufe für determiniert hält, deswegen ein Utilitarist sein sollte?
Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren.
Ich habe keine Letztbegründung und brauche auch keine solche. Ich denke, dass meine Ethik auf gesellschaftlicher Erfahrung und Einsicht beruht ...

Schön, und umso mehr gilt das für einen kritisch-rationalistischen Deterministen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn er dennoch nach intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen sucht, muß er einen Begriff heranziehen, der relativ, determiniert und dennoch konsensfähig ist: das ZIEL.
Es gibt in meiner Sicht keine "intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen" für eine Ethik.

Doch, z.B. ein gemeinsames Ziel.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich bezweifle zusätzlich, dass es ein konsensfähiges Ziel geben könnte.

Ja, das wird schon schwieriger. Aber z.B. könnte man sich mal Gedanken darüber machen, welchen Stellenwert das Ziel haben soll, daß es in 10000 Jahren noch Menschen gibt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich lehne eine rein technokratische Ethik ab, die, wie ich glaube, schnell unmenschlich wird und dann zum Totalitarismus führt. Diese Einstellung "mystisch" zu nennen ist meiner Meinung nach unangebracht.

Ich habe ja nicht diese Einstellung mystisch genannt, sondern den Glauben an echte Handlungsautonomie. Auch teile ich Deine Bedenken, Totalitarismus kann aus Theokratie, aber auch aus übertriebener Technokratie erwachsen. Eben immer, wenn etwas zur Ideologie wird, der Zweck die Mittel heiligt usw. - zum Glück habe ich die technische Machbarkeit nicht als entscheidendes ethisches Kriterium genannt Smilie

Dennoch schätze ich neurologische oder genetische Eingriffe im Prinzip nicht anders ein als andere medizinische Eingriffe. Derzeitiges Hauptargument dagegen scheint mir mangelndes Wissen und Technikfolgenabschätzung.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#340242) Verfasst am: 05.09.2005, 18:39    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein genetischer Eingriff verletzt aber nicht die Würde der Person, so wie das meiner Meinung nach durch einen neurologischen Eingriff geschähe ...

Hier würde mich die Begründung interessieren.

Vielleicht verstehe ich das falsch: Ein genetischer Eingriff passiert im Erbgut, d.h. bevor der Mensch entsteht, oder nicht? Wenn ja, besteht noch keine Person, deren Würde verletzt werden könnte.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
(Nebenbei: Brechung des Willens und das Schleifen verletzen die Würde, da stimme ich zu, aber wieso Belohnung und Bestrafung?)

Man könnte argumentieren, daß man dadurch zum Objekt der Interessen Anderer wird.

Könnte man, wäre aber eine seltsame Argumentation. Zum Objekt wird man dann, wenn man keine Möglichkeit zum eigenen Handeln mehr hat. Belohnung und Bestrafung sind Bestandteil der alltäglichen menschlichen Kommunikation, auch z.B. hier im Forum.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... denkst Du, dass jemand, der einen freien Willen als unmöglich ansieht, da er alle Abläufe für determiniert hält, deswegen ein Utilitarist sein sollte?
Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren.
Ich habe keine Letztbegründung und brauche auch keine solche. Ich denke, dass meine Ethik auf gesellschaftlicher Erfahrung und Einsicht beruht ...

Schön, und umso mehr gilt das für einen kritisch-rationalistischen Deterministen.

Warum basiert Deiner Meinung nach eine humanistische Sichtweise auf einer Letztbegründung?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn er dennoch nach intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen sucht, muß er einen Begriff heranziehen, der relativ, determiniert und dennoch konsensfähig ist: das ZIEL.
Es gibt in meiner Sicht keine "intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen" für eine Ethik.

Doch, z.B. ein gemeinsames Ziel.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich bezweifle zusätzlich, dass es ein konsensfähiges Ziel geben könnte.

Ja, das wird schon schwieriger. Aber z.B. könnte man sich mal Gedanken darüber machen, welchen Stellenwert das Ziel haben soll, daß es in 10000 Jahren noch Menschen gibt.

Irgendwie beisst sich die Katze da in den Schwanz. Klar kann man schwammige Ziele finden, die jeder Mensch unterschreiben würde (alle sollen glücklich sein, in 10000 Jahren sollen noch Menschen leben, es soll keinen Mord mehr geben und was weiß ich). Sobald es dann aber darum geht, wie dieses tolle Ziel erreicht werden soll, wird man keine Einigung mehr finden, geschweige denn darauf basierend eine "intersubjektiv nachvollziehbare Begründung" für eine Ethik konstruieren können.

step hat folgendes geschrieben:
Dennoch schätze ich neurologische oder genetische Eingriffe im Prinzip nicht anders ein als andere medizinische Eingriffe. Derzeitiges Hauptargument dagegen scheint mir mangelndes Wissen und Technikfolgenabschätzung.

Lass uns das nochmal kurz festhalten, bevor wir über verschiedene Dinge reden:
Genetische Eingriffe sind Eingriff in das Erbmaterial, sie wirken sich also nur auf zukünftige Menschen aus, richtig?
Neurologische Eingriffe sind direkte Eingriffe in das Gehirn mit dem Ziel, die Persönlichkeit zu verändern, stimmt's?
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Wygotsky
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Beiträge: 5014

Beitrag(#340258) Verfasst am: 05.09.2005, 19:32    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Vielleicht verstehe ich das falsch: Ein genetischer Eingriff passiert im Erbgut, d.h. bevor der Mensch entsteht, oder nicht? Wenn ja, besteht noch keine Person, deren Würde verletzt werden könnte.

Man könnte ja z.B. durch einen genetischen Eingriff absichtlich besonders dumme und willfährige Menschen erzeugen. Das würde meiner Meinung nach schon die Menschenwürde verletzen, auch wenn zum Zeitpunkt des Eingriffs noch keine Person da war.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Könnte man, wäre aber eine seltsame Argumentation. Zum Objekt wird man dann, wenn man keine Möglichkeit zum eigenen Handeln mehr hat. Belohnung und Bestrafung sind Bestandteil der alltäglichen menschlichen Kommunikation, auch z.B. hier im Forum.

Allein durch Belohnung und Bestrafung kann man einen Menschen zum Objekt degradieren, und zwar indem man ihn sich so gefügig macht, dass er eigene Wünsche unterdrückt, die Wünsche seines Peinigers internalisiert und zunehmend als seine eigenen betrachtet. Oder noch viel einfacher, indem man auf ihn und seine Persönlichkeit in keinster Weise eingeht.

step hat folgendes geschrieben:
Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren.

Ein Determinist könnte doch glauben, dass Gott unser Universum deterministisch geschaffen hat. Es ist ein Uhrwerk, das einmal aufgezogen genau nach Plan abläuft. Dieser Gott könnte Gebote aufgestellt haben, deren Einhaltung er belohnt und deren Verletztung er bestraft. Gott wüsste natürlich im voraus, wer welches Schicksal hat.
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step
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Beitrag(#340262) Verfasst am: 05.09.2005, 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Viel anderes bleibt nicht: In ethischen Fragen kann er aufgrund seiner deterministischen Sichtweise keine ethische Letztbegründung (weder religiös noch z.B. humanistisch oder marxistisch) akzeptieren.
Ein Determinist könnte doch glauben, dass Gott unser Universum deterministisch geschaffen hat. Es ist ein Uhrwerk, das einmal aufgezogen genau nach Plan abläuft. Dieser Gott könnte Gebote aufgestellt haben, deren Einhaltung er belohnt und deren Verletztung er bestraft. Gott wüsste natürlich im voraus, wer welches Schicksal hat.

Die ganze Argumentation stand natürlich unausgesprochen unter der Prämisse des kritischen Rationalismus.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#340267) Verfasst am: 05.09.2005, 19:59    Titel: Antworten mit Zitat

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Vielleicht verstehe ich das falsch: Ein genetischer Eingriff passiert im Erbgut, d.h. bevor der Mensch entsteht, oder nicht? Wenn ja, besteht noch keine Person, deren Würde verletzt werden könnte.

Man könnte ja z.B. durch einen genetischen Eingriff absichtlich besonders dumme und willfährige Menschen erzeugen. Das würde meiner Meinung nach schon die Menschenwürde verletzen, auch wenn zum Zeitpunkt des Eingriffs noch keine Person da war.

Ok, wir sind damit genau beim Kern der Sache. "Dumm" und "willfährig" sind subjektive Einschätzungen. Du setzt sie hier negativ; die Frage stellt sich dann natürlich: Welche Beeinflussung ist negativ und welche ist positiv? Wer darf das festlegen?

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Könnte man, wäre aber eine seltsame Argumentation. Zum Objekt wird man dann, wenn man keine Möglichkeit zum eigenen Handeln mehr hat. Belohnung und Bestrafung sind Bestandteil der alltäglichen menschlichen Kommunikation, auch z.B. hier im Forum.

Allein durch Belohnung und Bestrafung kann man einen Menschen zum Objekt degradieren, und zwar indem man ihn sich so gefügig macht, dass er eigene Wünsche unterdrückt, die Wünsche seines Peinigers internalisiert und zunehmend als seine eigenen betrachtet. Oder noch viel einfacher, indem man auf ihn und seine Persönlichkeit in keinster Weise eingeht.

Ich stimme Dir zu. Es gibt verschiedene Abstufungen der Anwendung von Belohnung und Bestrafung.

Interessant scheint mir hier, dass Du den Begriff "eigene Wünsche" verwendest. Wie kann es die geben, wenn es keinen freien Willen gibt? Was ist ein eigener Wunsch?
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Wygotsky
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Beitrag(#340271) Verfasst am: 05.09.2005, 20:11    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Interessant scheint mir hier, dass Du den Begriff "eigene Wünsche" verwendest. Wie kann es die geben, wenn es keinen freien Willen gibt? Was ist ein eigener Wunsch?

Wie schon oben erwähnt, glaube ich, dass jedes Wollen zwangsläufig zustande kommt, und zwar als Ergebnis deterministisch ablaufender Prozesse. Eigenes Wollen ist es insofern, als dass ich nicht jeden Wunsch mit anderen Menschen gemein habe. Im Alltag sind Wünsche oft entgegensetzt. Ich will, dass ich den tollen Job bekomme und mein Mitbewerber nicht. Mein Mitbewerber will es genau andersrum. Wenn ich einen halbwegs fairen Teil meiner Wünsche durchsetzen kann, bin ich einigermaßen glücklich.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#340272) Verfasst am: 05.09.2005, 20:17    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein genetischer Eingriff passiert im Erbgut, d.h. bevor der Mensch entsteht, oder nicht? Wenn ja, besteht noch keine Person, deren Würde verletzt werden könnte.

Gilt dasselbe nicht auch für ein Neugeborenes? Dessen Person existiert ja ebenfalls noch nicht. Falls doch, was macht die Person dE aus?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
(Nebenbei: Brechung des Willens und das Schleifen verletzen die Würde, da stimme ich zu, aber wieso Belohnung und Bestrafung?)
Man könnte argumentieren, daß man dadurch zum Objekt der Interessen Anderer wird.
Könnte man, wäre aber eine seltsame Argumentation. Zum Objekt wird man dann, wenn man keine Möglichkeit zum eigenen Handeln mehr hat. Belohnung und Bestrafung sind Bestandteil der alltäglichen menschlichen Kommunikation, auch z.B. hier im Forum.

Tatsächlich werden durch Belohnung und Bestrafung die Möglichkeiten u.U. drastisch eingeschränkt. Bei der Gelegenheit - und passend zur Freierwille-Diskussion: Findest Du einen Zwang ethischer, wenn sich der Beeinflußte dessen nicht bewußt ist?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Warum basiert Deiner Meinung nach eine humanistische Sichtweise auf einer Letztbegründung?

Manche Humanisten setzen den Menschen zum Maß aller Dinge, etwa in Form der Menschenrechte. Man sieht das z.B. bei Humanistischen Verbänden, die - jedenfalls für meinen Geschmack - zuweilen fast dogmatische Aussagen in ihren Veröffentlichungen haben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Genetische Eingriffe sind Eingriff in das Erbmaterial, sie wirken sich also nur auf zukünftige Menschen aus, richtig?

Ja, die wären dann teilweise konstruiert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Neurologische Eingriffe sind direkte Eingriffe in das Gehirn mit dem Ziel, die Persönlichkeit zu verändern, stimmt's?

Sagen wir, die Persönlichkeit zu formen, denn die Eingriffe könnten ja auch stattfinden, bevor oder während eine Persönlichkeit ausgebildet wird, etwa wie bei der Erziehung. Eine Art Social Powerlearning sozusagen.
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Wygotsky
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Beiträge: 5014

Beitrag(#340277) Verfasst am: 05.09.2005, 20:21    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Dumm" und "willfährig" sind subjektive Einschätzungen. Du setzt sie hier negativ;

Kommt darauf an. Derjenige, der gerne ein Heer williger Sklaven hätte, fände diese Eigenschaften vielleicht recht positiv.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
die Frage stellt sich dann natürlich: Welche Beeinflussung ist negativ und welche ist positiv? Wer darf das festlegen?

Also wäre deine Position zum Beispiel: Wenn ich einem Soziopathen, der seine Aggressionen nicht kontrollieren kann und dadurch dauerhaft weggesperrt werden muss, durch einen Eingriff ins Gehirn ermögliche, ein erfülltes Leben in seiner Gesellschaft zu führen, dann verletzt das seine Menschenwürde. Wenn ich ihn gentechnisch absichtlich als Soziopathen züchte, und dann aufgrund seiner Gewalttaten wegsperre, verletzt seine Züchtung seine Menschenwürde nicht, wohl aber eine neurologische Heilung dieser ihm absichtlich zugefügten Behinderung. Ja, wer darf so etwas festlegen? Ich habe da keine Antwort. Vielleicht weiß step einen Rat.
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Wygotsky
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Anmeldungsdatum: 25.01.2004
Beiträge: 5014

Beitrag(#340283) Verfasst am: 05.09.2005, 20:29    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Tatsächlich werden durch Belohnung und Bestrafung die Möglichkeiten u.U. drastisch eingeschränkt. Bei der Gelegenheit - und passend zur Freierwille-Diskussion: Findest Du einen Zwang ethischer, wenn sich der Beeinflußte dessen nicht bewußt ist?

Etwas milder formuliert: Ich glaube, ich finde Beeinflussungen ethischer, wenn sie für den Beeinflussten mit weniger Leid verbunden sind. Ich finde es zum Beispiel ethischer einem Menschen als Arbeitsanreiz Geld zu geben als ihn mit einer Peitsche zu schlagen.

step hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, die Persönlichkeit zu formen, denn die Eingriffe könnten ja auch stattfinden, bevor oder während eine Persönlichkeit ausgebildet wird, etwa wie bei der Erziehung. Eine Art Social Powerlearning sozusagen.

Es gab früher mal eine englische Sci-Fi-Serie mit dem Titel "Die dreibeinigen Herrscher". Da herrschten Außerirdische in riesigen dreibeinigen Laufmaschinen über die ganze Erde. Die Menschen lebten in einer Art vorindustriellen Gesellschaft. Damit keiner auf die Idee kam, dagegen aufzumucken, bekamen alle Menschen etwa in der Pubertät ein Hirnimplantat eingesetzt, dass "die Kappe" genannt wurde. Das geschah in einer Feier, die "Weihe" genannt wurde, und vermutlich an die Konfirmation oder Firmung erinnern sollte, in der der junge Mensch sich Gott und seinen irdischen Stellvertretern unterwirft. Wenn ich mich recht erinnere galten die dreibeinigen Herrscher auch als Gottheiten und den Menschen war gar nicht bekannt, dass die stählernen Riesen Maschinen waren, die von Kreaturen gesteuert wurden. Hab ich als Jugendlicher ziemlich spannend gefunden.
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step
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Beitrag(#340370) Verfasst am: 05.09.2005, 22:48    Titel: Antworten mit Zitat

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Tatsächlich werden durch Belohnung und Bestrafung die Möglichkeiten u.U. drastisch eingeschränkt. Bei der Gelegenheit - und passend zur Freierwille-Diskussion: Findest Du einen Zwang ethischer, wenn sich der Beeinflußte dessen nicht bewußt ist?
Etwas milder formuliert: Ich glaube, ich finde Beeinflussungen ethischer, wenn sie für den Beeinflussten mit weniger Leid verbunden sind. Ich finde es zum Beispiel ethischer einem Menschen als Arbeitsanreiz Geld zu geben als ihn mit einer Peitsche zu schlagen.

Ich auch, ehrlich!

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, die Persönlichkeit zu formen, denn die Eingriffe könnten ja auch stattfinden, bevor oder während eine Persönlichkeit ausgebildet wird, etwa wie bei der Erziehung. Eine Art Social Powerlearning sozusagen.

Es gab früher mal eine englische Sci-Fi-Serie mit dem Titel "Die dreibeinigen Herrscher" ... bekamen alle Menschen etwa in der Pubertät ein Hirnimplantat eingesetzt, dass "die Kappe" genannt wurde. ...

Hätte ich sicher auch lustig unethisch gefunden. Aber das moralische Dilemma wird natürlich erst eins, wenn die Menschen einander die Kappe aus Einsicht oder gar Nächstenliebe aufsetzen, nicht anderen, um sie zu beherrschen.
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Beitrag(#340413) Verfasst am: 06.09.2005, 00:59    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein genetischer Eingriff passiert im Erbgut, d.h. bevor der Mensch entsteht, oder nicht? Wenn ja, besteht noch keine Person, deren Würde verletzt werden könnte.

Gilt dasselbe nicht auch für ein Neugeborenes? Dessen Person existiert ja ebenfalls noch nicht. Falls doch, was macht die Person dE aus?

Doch, ein Neugeborenes hat schon Persönlichkeit. Ich weiß das, weil ich selber Kinder habe, sozusagen aus eigener Erfahrung. Bevor ich selber Kinder hatte, hätte ich wohl jemanden, der behauptet hätte, Neugeborene hätten eine Persönlichkeit, für verrückt erklärt.

Was macht eine Person aus? Ich weiß es nicht, tut mir Leid. Falls Du mich jetzt fragen möchtest, wann genau in der Entwicklung des Menschen die Persönlichkeit vorhanden ist, dann muss ich noch mal sagen: Ich weiß es nicht.

Die Frage hier war aber: Wird die Würde der Person verletzt, wenn die Gene künstlich verändert wurden. Ich sagte, nein, die Würde der Person kann nur verletzt werden, wenn die Person existiert. Ob die allgemeine Menschenwürde mit einer künstlichen Änderung der Gene verletzt wird, ist wieder eine andere Frage (die ich bejahe).

step hat folgendes geschrieben:
Tatsächlich werden durch Belohnung und Bestrafung die Möglichkeiten u.U. drastisch eingeschränkt.

Ja, ok, unter Umständen. Diese Umstände sind dann aber entscheidend dafür, dass die Möglichkeiten eingeschränkt werden, nicht aber Belohnung und Bestrafung an sich.

step hat folgendes geschrieben:
Bei der Gelegenheit - und passend zur Freierwille-Diskussion: Findest Du einen Zwang ethischer, wenn sich der Beeinflußte dessen nicht bewußt ist?

Das ist eine seltsame Frage. Ein Zwang, dessen man sich nicht bewusst ist? Vielleicht könntest Du ein Beispiel nennen, ich weiß gerade nicht, was Du meinst.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Genetische Eingriffe sind Eingriff in das Erbmaterial, sie wirken sich also nur auf zukünftige Menschen aus, richtig?

Ja, die wären dann teilweise konstruiert.

Ok, so habe ich das auch verstanden.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Neurologische Eingriffe sind direkte Eingriffe in das Gehirn mit dem Ziel, die Persönlichkeit zu verändern, stimmt's?

Sagen wir, die Persönlichkeit zu formen, denn die Eingriffe könnten ja auch stattfinden, bevor oder während eine Persönlichkeit ausgebildet wird, etwa wie bei der Erziehung. Eine Art Social Powerlearning sozusagen.

Auch das habe ich so verstanden. (Wobei ich den Begriff "Social Powerlearning" in diesem Zusammenhang als Euphemismus empfinde.)
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AgentProvocateur
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Beitrag(#340416) Verfasst am: 06.09.2005, 01:18    Titel: Antworten mit Zitat

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Dumm" und "willfährig" sind subjektive Einschätzungen. Du setzt sie hier negativ;

Kommt darauf an. Derjenige, der gerne ein Heer williger Sklaven hätte, fände diese Eigenschaften vielleicht recht positiv.

Was ich sagen will, ist, dass es sehr schwierig wäre, zu definieren, welche Eigenschaften "positiv" und welche "negativ" sind.

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
die Frage stellt sich dann natürlich: Welche Beeinflussung ist negativ und welche ist positiv? Wer darf das festlegen?

Also wäre deine Position zum Beispiel: Wenn ich einem Soziopathen, der seine Aggressionen nicht kontrollieren kann und dadurch dauerhaft weggesperrt werden muss, durch einen Eingriff ins Gehirn ermögliche, ein erfülltes Leben in seiner Gesellschaft zu führen, dann verletzt das seine Menschenwürde.

Siehe den Film "Uhrwerk Orange". Ja, das verletzt die Menschenwürde.

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
Wenn ich ihn gentechnisch absichtlich als Soziopathen züchte, und dann aufgrund seiner Gewalttaten wegsperre, verletzt seine Züchtung seine Menschenwürde nicht,

Doch, ich denke schon.

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
wohl aber eine neurologische Heilung dieser ihm absichtlich zugefügten Behinderung.

Heilung. Naja. Ist in diesem Zusammenhang ein zwiespältiger Begriff. Wenn "Heilung" hier bedeutet, dass ihm seine Persönlichkeit genommen wird und durch etwas anderes ersetzt wird, dann finde ich das problematisch, ja.

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
Ja, wer darf so etwas festlegen? Ich habe da keine Antwort. Vielleicht weiß step einen Rat.

Niemand darf das festlegen. Deswegen sollte eine gentechnische Veränderung von Menschen nicht erlaubt sein.
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zelig
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Beitrag(#340805) Verfasst am: 07.09.2005, 11:09    Titel: Antworten mit Zitat

Ich bin der Meinung, daß diese Diskussion keine praktischen Auswirkungen auf den Umgang mit Straftätern, auf die Erziehung oder dergleichen hat, oder haben sollte. Es geht ja zunächst um die Frage, wie die Welt (und wir) wirklich beschaffen sind. Was wahr ist sollte immer gesagt werden können, unabhängig davon, wie die Folgen wären. Insofern nehme ich mir die Freiheit über diese Frage nachzudenken ohne evtl gesellschaftliche Folgen in die Überlegungen mit einzubeziehen.
Dennoch finde ich auffallend, daß dieses Glasperlenspiel von hoher Bedeutung für eine ganze Reihe von Usern zu sein scheint. Woran, meint ihr, liegt das? Wahrscheinlich doch daran, daß die Vorstellung, Menschen wären reine Objekte im Strom des Geschehens, die letzte, endgültige Kränkung wäre.
Gleichwohl wäre dies kein Einwand gegen eine deterministische Sichtweise.
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zelig
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Beitrag(#340807) Verfasst am: 07.09.2005, 11:17    Titel: Antworten mit Zitat

Deswegen halte ich die Diskussion, wie sie sich ungefähr seit hier http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=338956#338956 entwickelt, für eine vollständig andere.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich finde das aber schon eine interessante Frage, die auch mit unserem Thema zu tun hat: Ist es dasselbe, jemanden zu erziehen (was in meiner Weltsicht bedeutet, dem Anderen eine Entscheidungsfreiheit zu lassen) und auf der anderen Seite direkt gewisse Normen ins Gehirn zu implantieren (falls das in Zukunft möglich sein sollte)?


http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=338996#338996

step hat folgendes geschrieben:
Ich wollte zum Ausdruck bringen, daß wir schon immer eine frühe (also vor dem Verstoß gegen die Norm liegende) Normierung betreiben....Ich sehe aber nicht, was schlecht daran wäre, z.B. Deeskalationsverhalten genetisch oder neurologisch zu verstärken, bevor es jemandes Würde kostet.


http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=339020#339020

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Persönlichkeit direkt zu manipulieren stellt meiner Meinung nach eine unendliche Verletzung der menschlichen Würde dar.

Es gibt für mich einen prinzipiellen Unterschied zwischen Erziehung und direkter (z.B. neurologischer) Veränderung der Persönlichkeit. Auch genetisch veränderte Persönlichkeiten sind aus meiner Sicht nicht wünschenswert.



Ich schliesse mich den Ausführungen von AgentProvocateur an. Möchte aber noch etwas hinzufügen.

Zum einen ist es Teil meines (nicht letztbegründbaren) Menschenbildes, ihm, dem Menschen, grundsätzlich etwas unberührbares zuzugestehen. Ich wäre bereit, direkte Gehirnmanipulationen zuzulassen, falls der Betroffene dem mit voller Kenntnis der Konsequenzen zustimmt. Da ich mir aber kaum Situationen vorstellen kann, in dem ein derartiger Eingriff indiziert wäre, und gleichzeitig der Betroffene nicht unter Druck stünde, kann ich mir ebenfalls kaum eine sinnvolle Umsetzung vorstellen.
Zum anderen, scheint mir, wird ausser Acht gelassen -und das ist wohl der Trend der Zeit- daß einfach eine Problemverschiebung stattfindet. Es wäre sehr viel einfacher Änderungen beim Individuum zu bewirken als Änderungen gesellschaftlicher Art. Beispielsweise ist es ein schwieriges Unterfangen, für ausreichend Fürsorge, Bildung und Dinge des alltäglichen Bedarfs zu sorgen. Als die Deformation, welche durch den Mangel der genannten entstehen, mit Ritalin zu behandeln.

Ich misstraue perfekten Utopien. Mir ist es lieber, einen Raum für das Unperfekte zu lassen.
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Wygotsky
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Beitrag(#340931) Verfasst am: 07.09.2005, 20:37    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Siehe den Film "Uhrwerk Orange". Ja, das verletzt die Menschenwürde.

Ist es in Clockwork Orange nicht sogar so, dass Alex der Konditionierungsbehandlung zustimmt, um aus dem Gefängnis zu kommen? (Lange her, seit ich den Film gesehen habe.) Und in Clockwork Orange wird ja nicht mal direkt das Gehirn manipuliert, sondern Alex wird klassisch konditioniert. Clockwork Orange kann also gar nicht als taugliche Illustration für die hier aufgekommene Frage gelten, ob direkte neurologische Eingriffe gegen den Willen des Betroffenen unter allen Umständen eine Verletzung der Menschenwürde darstellen
Ich bin schon der Meinung, dass Alex Menschenwürde verletzt wird, allerdings nicht allein durch die Konditionierungsbehandlung. Alex aggressives Verhalten soll unterdrückt werden, aber dann wird er in eine brutale Gesellschaft entlassen, in der er ohne seine Aggression völlig wehrlos ist. So, wie Alex konditioniert wurde, ist er eben nicht in der Lage, sich in die Gesellschaft zu integrieren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wygotsky hat folgendes geschrieben:
Wenn ich ihn gentechnisch absichtlich als Soziopathen züchte, und dann aufgrund seiner Gewalttaten wegsperre, verletzt seine Züchtung seine Menschenwürde nicht,

Doch, ich denke schon.

Ich nämlich auch. Und darum bin ich der Meinung, dass Verhaltensbeeinflussung durch Genmanipulation sehr wohl ethische Fragen aufwirft, auch wenn zum Zeitpunkt der Manipulation noch keine Person existiert.

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
wohl aber eine neurologische Heilung dieser ihm absichtlich zugefügten Behinderung.

Heilung. Naja. Ist in diesem Zusammenhang ein zwiespältiger Begriff. Wenn "Heilung" hier bedeutet, dass ihm seine Persönlichkeit genommen wird und durch etwas anderes ersetzt wird, dann finde ich das problematisch, ja.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Niemand darf das festlegen. Deswegen sollte eine gentechnische Veränderung von Menschen nicht erlaubt sein.

Im Endeffekt wird aber festgelegt, was positive und negative Eigenschaften sind.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#340933) Verfasst am: 07.09.2005, 20:40    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Dennoch finde ich auffallend, daß dieses Glasperlenspiel von hoher Bedeutung für eine ganze Reihe von Usern zu sein scheint. Woran, meint ihr, liegt das? Wahrscheinlich doch daran, daß die Vorstellung, Menschen wären reine Objekte im Strom des Geschehens, die letzte, endgültige Kränkung wäre.

Ja, ich denke, das spielt eine wichtige Rolle. Vieles in unserer Kultur, Lebensweise, unseren Gefühlen, unserer Selbst- und Fremdwahrnehmung basiert auf dem Glauben an die Kontingenz und grundlegende Rolle der Person. Dieses Modell eignet sich relativ gut, um gewisse soziale Gegebenheiten, aber auch eigene Handlungen als nicht zu inkonsistent zu empfinden.

zelig hat folgendes geschrieben:
Gleichwohl wäre dies kein Einwand gegen eine deterministische Sichtweise.

Richtig, höchstens gegen ihre Verlautbarung.

zelig hat folgendes geschrieben:
Zum einen ist es Teil meines (nicht letztbegründbaren) Menschenbildes, ihm, dem Menschen, grundsätzlich etwas unberührbares zuzugestehen.

Tja, dagegen ist nicht zu argumentieren.

zelig hat folgendes geschrieben:
... Es wäre sehr viel einfacher Änderungen beim Individuum zu bewirken als Änderungen gesellschaftlicher Art. Beispielsweise ist es ein schwieriges Unterfangen, für ausreichend Fürsorge, Bildung und Dinge des alltäglichen Bedarfs zu sorgen. Als die Deformation, welche durch den Mangel der genannten entstehen, mit Ritalin zu behandeln.

Auch da stimme ich Dir teilweise zu. Aber die Grenzen sind nicht so eindeutig. Eine Gesellschaft besteht aus Individuen. Gut ausgebildete, stress- und halbwegs aggressionsfreie Eltern / Erzieher sind eben eher in der Lage, "für ausreichend Fürsorge, Bildung und Dinge des alltäglichen Bedarfs zu sorgen", egal, wie sie selbst so geworden sind. So kann individuelle Anwendung sich in der Gesellschaft multiplizieren. Ebenso ist es im Schlechten: Wieviele Kindersoldaten kann ein einziger Verrückter fürs Leben prägen und damit die Gewalt potenzieren?
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Beitrag(#340941) Verfasst am: 07.09.2005, 21:23    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich bin der Meinung, daß diese Diskussion keine praktischen Auswirkungen auf den Umgang mit Straftätern, auf die Erziehung oder dergleichen hat, oder haben sollte.

Ich sehe die Diskussion über die Auswirkungen als hilfreich an, um festzustellen, inwieweit sich unsere Auffassungen unterscheiden; um also die Unterschiede in den Weltbildern zu verdeutlichen.

zelig hat folgendes geschrieben:
Es geht ja zunächst um die Frage, wie die Welt (und wir) wirklich beschaffen sind. Was wahr ist sollte immer gesagt werden können, unabhängig davon, wie die Folgen wären.

Das sehe ich ebenso.

zelig hat folgendes geschrieben:
Insofern nehme ich mir die Freiheit über diese Frage nachzudenken ohne evtl gesellschaftliche Folgen in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Mich interessieren hier vor allem die möglichen gesellschaftlichen Folgen, die sich aus einer Ablehnung des freien Willens ergeben. Ich glaube, dass das Reden darüber das Konzept des freien Willens (bzw. die Gegenposition) klarer macht. Das bedeutet aber nicht, dass ich diese möglichen Folgen als Denkverbot akzeptieren würde.

zelig hat folgendes geschrieben:
Dennoch finde ich auffallend, daß dieses Glasperlenspiel von hoher Bedeutung für eine ganze Reihe von Usern zu sein scheint. Woran, meint ihr, liegt das? Wahrscheinlich doch daran, daß die Vorstellung, Menschen wären reine Objekte im Strom des Geschehens, die letzte, endgültige Kränkung wäre.
Gleichwohl wäre dies kein Einwand gegen eine deterministische Sichtweise.

Stimmt. Wenn jemand den allgemeinen Determinismus plausibel nachweisen könnte, dann müssten wir uns wohl damit abfinden, dass wir diese besagten Objekte wären.
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Beitrag(#340951) Verfasst am: 07.09.2005, 21:52    Titel: Antworten mit Zitat

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Siehe den Film "Uhrwerk Orange". Ja, das verletzt die Menschenwürde.

Ist es in Clockwork Orange nicht sogar so, dass Alex der Konditionierungsbehandlung zustimmt, um aus dem Gefängnis zu kommen? (Lange her, seit ich den Film gesehen habe.) Und in Clockwork Orange wird ja nicht mal direkt das Gehirn manipuliert, sondern Alex wird klassisch konditioniert. Clockwork Orange kann also gar nicht als taugliche Illustration für die hier aufgekommene Frage gelten, ob direkte neurologische Eingriffe gegen den Willen des Betroffenen unter allen Umständen eine Verletzung der Menschenwürde darstellen
Ich bin schon der Meinung, dass Alex Menschenwürde verletzt wird, allerdings nicht allein durch die Konditionierungsbehandlung. Alex aggressives Verhalten soll unterdrückt werden, aber dann wird er in eine brutale Gesellschaft entlassen, in der er ohne seine Aggression völlig wehrlos ist. So, wie Alex konditioniert wurde, ist er eben nicht in der Lage, sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Ja, natürlich ist das nicht dasselbe wie eine direkte Gehirnmanipulation. Der Film zeigt aber, dass die völlige Unterdrückung einer als negativ angesehenen Eigenschaft (hier Aggression) nicht unbedingt positiv sein muss. Ein gewisses Maß an Aggression ist eben durchaus notwendig, auch in einer Gesellschaft, die weniger brutal ist, als es im Film dargestellt wird.

Der Hauptunterschied zu einer neurologischen Beeinflussung ist für mich der, dass Alex eigentlich seine Persönlichkeit behält, aber nicht mehr demgemäß handeln kann.

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
Im Endeffekt wird aber festgelegt, was positive und negative Eigenschaften sind.

Wie meinst Du das?
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Beitrag(#340997) Verfasst am: 07.09.2005, 22:55    Titel: Antworten mit Zitat

In jeder Gesellschaft gibt es verbreitete Vorstellungen darüber, was positive und negative Persönlichkeitseigenschaften sind. Manche Leute sind anerkannt und gemocht, andere unerwünscht oder verachtet. Da braucht es keine Zentralstelle, die nach anerkannten wissenschaftlichen Prinzipien positive Charaktereigenschaften festlegt. So etwas geschieht ganz einfach im alltäglichen Zusammenleben. Wenn direkte neurologische Manipulationen oder Genmanipulationen am Embryo mit bezahlbarem Aufwand möglich wären, dann wüssten vermutlich nicht wenige Eltern recht genau, was bei ihren Kindern installiert werden soll.
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Wygotsky
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Beitrag(#341005) Verfasst am: 07.09.2005, 23:07    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, natürlich ist das nicht dasselbe wie eine direkte Gehirnmanipulation. Der Film zeigt aber, dass die völlige Unterdrückung einer als negativ angesehenen Eigenschaft (hier Aggression) nicht unbedingt positiv sein muss. Ein gewisses Maß an Aggression ist eben durchaus notwendig, auch in einer Gesellschaft, die weniger brutal ist, als es im Film dargestellt wird.

Man könnte sich ja auch vorstellen, dass so ein Konditionierungsprogramm weniger gründlich durchgezogen würde. Alex würde das übliche Maß an Widerwillen gegen Gewalt anerzogen, mit dem auch der Durchschnittsbürger zu kämpfen hat. Aber wenn nötig, könnte er auch gegen diesen Widerwillen aggressiv handeln. Ein solcher Alex würde sich vielleicht recht gut in unsere Gesellschaft integrieren können. Und vielleicht wäre das menschenwürdiger als ihn wegzusperren.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der Hauptunterschied zu einer neurologischen Beeinflussung ist für mich der, dass Alex eigentlich seine Persönlichkeit behält, aber nicht mehr demgemäß handeln kann.

Exakt. Eigentlich ist Alex Persönlichkeit nicht verändert. Er würde noch immer gerne Gewalt ausüben, weiß aber, dass er dann von unsäglicher Übelkeit befallen wird. Im Endeffekt wird er durch die Angst vor sofortiger Strafe in Schach gehalten. Eine ziemlich frustrierende Situation. Würde man Alex Persönlichkeit wirklich verändern, hätte er gar keine Lust mehr, Gewalt auszuüben. Seine Lebenssituation wäre eine völlig andere. Da es wohl nicht zur Debatte steht, Alex seine brutalen Gelüste auf Kosten anderer ausleben zu lassen, lohnt sich schon die Frage, bei welcher Art von Zwang Alex die größtmögliche Lebensqualität und das geringstmögliche Leiden erlebt. Ihn von seinen unverträglichen Gelüsten zu heilen, könnte durchaus als der für ihn günstigste Weg betrachtet werden.
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Beitrag(#341213) Verfasst am: 08.09.2005, 19:15    Titel: Antworten mit Zitat

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
In jeder Gesellschaft gibt es verbreitete Vorstellungen darüber, was positive und negative Persönlichkeitseigenschaften sind. [...] Wenn direkte neurologische Manipulationen oder Genmanipulationen am Embryo mit bezahlbarem Aufwand möglich wären, dann wüssten vermutlich nicht wenige Eltern recht genau, was bei ihren Kindern installiert werden soll.

Was zum Beispiel glaubst Du, würden sie installieren wollen?

Wygotsky hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Der Hauptunterschied zu einer neurologischen Beeinflussung ist für mich der, dass Alex eigentlich seine Persönlichkeit behält, aber nicht mehr demgemäß handeln kann.

Exakt. Eigentlich ist Alex Persönlichkeit nicht verändert. Er würde noch immer gerne Gewalt ausüben, weiß aber, dass er dann von unsäglicher Übelkeit befallen wird. Im Endeffekt wird er durch die Angst vor sofortiger Strafe in Schach gehalten. Eine ziemlich frustrierende Situation. Würde man Alex Persönlichkeit wirklich verändern, hätte er gar keine Lust mehr, Gewalt auszuüben. Seine Lebenssituation wäre eine völlig andere. Da es wohl nicht zur Debatte steht, Alex seine brutalen Gelüste auf Kosten anderer ausleben zu lassen, lohnt sich schon die Frage, bei welcher Art von Zwang Alex die größtmögliche Lebensqualität und das geringstmögliche Leiden erlebt. In von seinen unverträglichen Gelüsten zu heilen, könnte durchaus als der für ihn günstigste Weg betrachtet werden.

Nein, die Frage für mich ist folgende: Was macht Alex' Persönlichkeit aus? Wie lange kann man davon sprechen, dass er er selbst bleibt, wenn sein Gehirn verändert wird? Das Leiden der neuen Person ist zwar geringer als das der alten Person, ok, aber: Die alte Person existiert nach einer (größeren) Gehirnmanipulation nicht mehr, sie wurde sozusagen getötet. Deswegen empfinde ich den Begriff "heilen" in diesem Zusammenhang als sehr problematisch. Die einzige Möglichkeit für Alex, er selbst zu bleiben und sein Leiden zu verhindern, wäre es, selber einzusehen, dass seine Gelüste und sein Handeln ungünstig sind.

Wenn durch neurologische Intervention eine neue Person "installiert" wird, bedeutet das, dass die ursprüngliche Person tot ist; es entsteht eine neue Person im Körper der alten Person.
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Tarvoc
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Beitrag(#341218) Verfasst am: 08.09.2005, 19:21    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die alte Person existiert nach einer (größeren) Gehirnmanipulation nicht mehr, sie wurde sozusagen getötet.


Ich bin mir nicht sicher, ob es etwas im menschlichen Geist gibt, das als 'unsterblich' oder auch nur im relativen Sinn als 'dauerhaft' bezeichnet werden könnte.
Ich bin z.B. heute auch nicht mehr die selbe Person, die ich vor einem, zwei, drei Jahren war...
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"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Beitrag(#341221) Verfasst am: 08.09.2005, 19:27    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die alte Person existiert nach einer (größeren) Gehirnmanipulation nicht mehr, sie wurde sozusagen getötet.

Ich bin mir nicht sicher, ob es etwas im menschlichen Geist gibt, das als 'unsterblich' oder auch nur im relativen Sinn als 'dauerhaft' bezeichnet werden könnte.

Ich bitte Dich höflich, die Stelle zu zitieren, wo ich derartiges gesagt habe.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich bin z.B. heute auch nicht mehr die selbe Person, die ich vor einem, zwei, drei Jahren war...

Na und? Was willst Du damit sagen? Was hat das mit dem zu tun, was ich gesagt habe? Die Persönlichkeit ändert sich laufend, ja, na und? Wäre das z.B. ein Argument für Dich, einer Lobotomie zuzustimmen?
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Tarvoc
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Beitrag(#341223) Verfasst am: 08.09.2005, 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich bitte Dich höflich, die Stelle zu zitieren, wo ich derartiges gesagt habe.


Naja, weil du meinst, 'die alte Person' sei gestorben. Das impliziert ja, dass 'die alte Person' etwas zumindest im relativen Sinne "Dauerhaftes" sei...

Der Begriff 'Unsterblichkeit' war tatsächlich schlecht gewählt. Ich meinte wohl kaum Unsterblichkeit im religiösen Sinne. 'Unvergänglichkeit' bzw. 'Unveränderlichkeit' wäre wohl besser gewesen...
(Darum auch meine Differenzierung zwischen diesem und der 'Dauerhaftigkeit im relativen Sinn'...)

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Persönlichkeit ändert sich laufend, ja, na und? Wäre das z.B. ein Argument für Dich, einer Lobotomie zuzustimmen?


Das kommt doch wohl darauf an, worauf sie hinausläuft...
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"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 08.09.2005, 20:00, insgesamt 2-mal bearbeitet
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