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Dietrich Stahlbaum registrierter User
Anmeldungsdatum: 23.05.2004 Beiträge: 31
Wohnort: Recklinghausen NRW
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(#411695) Verfasst am: 01.02.2006, 14:56 Titel: Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum |
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Lange vor Hitler entstand in Deutschland aus dem vaterländischen völkisch-nationalistisches, rassistisches und imperialistisches Gedankengut. Ein Beispiel dafür ist ein Gedicht von
Felix Dahn
Und wenn 's beschlossen ist da droben,
daß unser Reich versink` in Nacht, -
Noch einmal soll die Welt erproben
des deutschen Schwertes alte Macht:
Soll nicht mehr deutsches Wort erschallen,
nicht deutsche Sitte mehr bestehn,
So laßt uns stolz und herrlich fallen,
nicht tatenlos in Schmach vergehn.
Zieht einst ein Tag die Schuld der Ahnen,
die eigne Schuld vors Weltgericht:
Ihr seid die Schergen, ihr Romanen
und Slawen, doch die Richter nicht!
Wir beugen uns den Schicksalsmächten:
sie strafen furchtbar und gerecht:
Ihr aber seid, mit uns zu rechten,
kein ebenbürtiges Geschlecht!
Den Schlag der deutschen Bärenpfote
ihr kennt ihn, ihr Romanen, wohl,
Seit Alarich, der junge Gote,
das Tor zerschlug am Kapitol,
Und euch, ihr Slawen und Polacken,
ist deutsche Kraft bekannt seit lang,
Seit dröhnend trat auf eure Nacken
der Heineriche Siegergang.
Nein, eh' ihr herrscht in diesen Landen,
draus oft euch wilde Flucht entrollt,
Sei noch einmal ein Kampf bestanden,
des ewig ihr gedenken sollt:
Und wimmeln zahllos eure Horden,
erfüllt mit tausendjährgem Neid: -
Erst gilt es noch ein furchtbar Morden,
eh' ihr die Herrn der Erde seid.
Schon einmal ward so stolz gerungen
von deutschen Helden, kühn im Tod:
Ein zweiter Kampf der Nibelungen
sei unsern Feinden angedroht:
Prophetisch war die alte Sage
und grauenhaft wird sie erfüllt,
Wenn an dem letzten deutschen Tage
der Schlachtruf dreier Völker brüllt.
Von Blute schäumend ziehn mit Stöhnen
empört die Donau und der Rhein:
Es wollen brausend ihren Söhnen
die deutschen Ströme Helfer sein -
Auf! Schleudert Feuer in die Felder,
von jedem Berg werft Glut ins Land,
Entflammt die alten Eichenwälder
zum ungeheuren Leichenbrand.
Dann siegt der Feind: -
doch mit Entsetzen,
und triumphieren soll er nicht!
Kämpft bis die letzte Föhn' in Fetzen,
kämpft bis die letzte Klinge bricht,
Kämpft bis der letzte Streich geschlagen
ins letzte deutsche Herzblut rot,
Und lachend, wie der grimme Hagen,
springt in die Schwerter und den Tod.
Wir stiegen auf in Kampfgewittern,
der Heldentod ist unser Recht:
Die Erde soll im Kern erzittern,
wann fällt ihr tapferstes Geschlecht:
Brach Etzels Haus in Glut zusammen,
als er die Nibelungen zwang,
So soll Europa stehn in Flammen
bei der Germanen Untergang.
[Felix Dahn, Deutsche Lieder, in: Raimund Kemper: Es waren schöne glänzende Zeiten oder "Der Geist, der den Arm der Deutschen stählt". Zur Kritik einer stets zeitgemäßen Wissenschaft (der Germanistik) Mit einem Nachwort von Wolfgang Beutin..., Frankfurt a.M. 2003, Rh. Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Bd.42]
Das Gedicht entstand 1859. Dahn war ein Bestsellerautor des Wilhelminischen Kaiserreiches. (R. Kemper) Er lebte von 1834-1912. Sein bekanntester Roman Ein Kampf um Rom fehlte schon damals in keinem Bücherschrank des größtenteils deutschtümelnden Bildungsbürgertums, das sich mit seiner vaterländisch-rassistischen und imperialistischen Ideologie auch an den Universitäten breit machte und eine militaristische Leitkultur schuf. Die Nazis griffen den Germanenkult ihrer Vorläufer auf und vernebelten damit vor allem die Köpfe der Jugend. Ein Kampf um Rom wurde auch für mich zu einem Kultbuch. Ich fand den dicken Schinken in Vaters Bücherschrank und verschlang ihn wie alle „Deutschen Heldensagen“ in kürzester Zeit. Wir Pimpfe lasen aus dem Buch einander vor. Und selbst als wir eine verlorene Schlacht nach der anderen erlebten und das Großdeutsche Reich immer kleiner wurde, hielten sich viele von uns an die Durchhalteparolen des Propagandaministers. Wir sollten als Soldaten „tapfer wie die Germanen in Rom“ in Glanz und Gloria untergehen. Untergegangen sind wir dann auch - ohne Glanz und Gloria: eine betrogene Jugend.
Hierzu:
Das letzte Kapitel des II. Weltkriegs, wie ich es als Soldat erlebt habe, ist unter dem Titel »FRISCH IN ERINNERUNG: das Ende des Zweiten Weltkriegs und das erste Nachkriegsjahr« beschrieben in:
«Der kleine Mann. Geschichten, Satiren, Reportagen aus sechs Jahrzehnten», Recklinghausen 2005.
Mehr über dieses Buch unter: http://f27.parsimony.net/forum66372/messages/3042.htm
_________________ ZEITFRAGENFORUM I:
http://www.dietrichstahlbaum.de
Blogs:
http://zeitfragen.blog.de/
http://fotoserien.blog.de/
http://zeitfragen-info-blog.blog.de/
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GermanHeretic Individualoptimist & Kulturpessimist
Anmeldungsdatum: 16.06.2004 Beiträge: 4932
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(#411699) Verfasst am: 01.02.2006, 15:04 Titel: Re: Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum |
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Dietrich Stahlbaum hat folgendes geschrieben: | Wir Pimpfe lasen aus dem Buch einander vor. Und selbst als wir eine verlorene Schlacht nach der anderen erlebten und das Großdeutsche Reich immer kleiner wurde, hielten sich viele von uns an die Durchhalteparolen des Propagandaministers. Wir sollten als Soldaten „tapfer wie die Germanen in Rom“ in Glanz und Gloria untergehen. |
Das kommt davon, wenn man Fiktion und Wirklichkeit nicht auseinanderhält. Ich hab's auch gelesen, und zwar mit viel Genuß, aber auf den Bolzen gekommen, aus der Geschichte eine Lebensphilosopihe abzuleiten, bin ich nicht.
_________________ "Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge, und Sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Glück." (Henrik Ibsen)
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Shadaik evolviert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 26377
Wohnort: MG
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(#411819) Verfasst am: 01.02.2006, 19:25 Titel: |
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Ich würde den Nationalsozialismus deutscher Prägung mindestens auf den Biedermaier zurückführen, das erste Großaufkommen des Spießer-Typus.
_________________ Fische schwimmen nur in zwei Situationen mit dem Strom: Auf der Flucht und im Tode
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gavagai registrierter User
Anmeldungsdatum: 24.01.2005 Beiträge: 413
Wohnort: Wasserburg
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(#411873) Verfasst am: 01.02.2006, 20:53 Titel: Re: Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum |
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Dietrich Stahlbaum hat folgendes geschrieben: | Soll nicht mehr deutsches Wort erschallen,
nicht deutsche Sitte mehr bestehn,
So laßt uns stolz und herrlich fallen,
nicht tatenlos in Schmach vergehn.
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Servus,
das passt gut zum geplanten Verbot von Bairisch und der Englischvorbereitung auf dem Schulhof.
_________________ Servus, tschau, bye
Herbert
http://www.gavagai.de
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Der unbekannte Gott apolitischer Atheist
Anmeldungsdatum: 24.07.2003 Beiträge: 1595
Wohnort: Das alte Europa
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(#411981) Verfasst am: 02.02.2006, 00:53 Titel: |
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Ich denke nicht, daß es sich um etwas handelt, was spezifisch deutsch ist und spezifisch zu den Nazis hingeführt hat. Vergleichbares gab es in Großbritannien, Frankreich, Italien, Rußland usw.
Diese ganzen Versuche, die Singularität in der Geschichte aus dem Vorherigen herzuleiten als determinierte Folge oder es als in den Menschen vorgegebene Sache zu deuten, die nur den Deutschen, weil sie eben so sind, passieren konnte, halte ich für ziemlich abwegig.
_________________ "Unwissenden scheint, wer Weises sagt, nicht klug zu sein." (Euripides)
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GermanHeretic Individualoptimist & Kulturpessimist
Anmeldungsdatum: 16.06.2004 Beiträge: 4932
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(#412070) Verfasst am: 02.02.2006, 10:42 Titel: |
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Der unbekannte Gott hat folgendes geschrieben: | Ich denke nicht, daß es sich um etwas handelt, was spezifisch deutsch ist und spezifisch zu den Nazis hingeführt hat. Vergleichbares gab es in Großbritannien, Frankreich, Italien, Rußland usw.
Diese ganzen Versuche, die Singularität in der Geschichte aus dem Vorherigen herzuleiten als determinierte Folge oder es als in den Menschen vorgegebene Sache zu deuten, die nur den Deutschen, weil sie eben so sind, passieren konnte, halte ich für ziemlich abwegig. |
Allerdings, die erste nationalsozialistische Partei wurde meines Wissens nach in der Tschechei im 19. Jhd., also als es noch Teil von K.u.K. Osterlitsch war, gegründet. Deren Weltsicht war wohl anders als die der NSDAP, aber da dürfte es genügend Gemeinsamkeiten gegeben haben.
_________________ "Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge, und Sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Glück." (Henrik Ibsen)
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Ralf Rudolfy Auf eigenen Wunsch deaktiviert.
Anmeldungsdatum: 11.12.2003 Beiträge: 26674
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(#412083) Verfasst am: 02.02.2006, 10:59 Titel: |
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Der unbekannte Gott hat folgendes geschrieben: | Ich denke nicht, daß es sich um etwas handelt, was spezifisch deutsch ist und spezifisch zu den Nazis hingeführt hat. Vergleichbares gab es in Großbritannien, Frankreich, Italien, Rußland usw.
Diese ganzen Versuche, die Singularität in der Geschichte aus dem Vorherigen herzuleiten als determinierte Folge oder es als in den Menschen vorgegebene Sache zu deuten, die nur den Deutschen, weil sie eben so sind, passieren konnte, halte ich für ziemlich abwegig. |
Es gibt in der Geschichte nichts Determiniertes. Daß man ein Phänomen mit etwas Vorangangenem erklärt, bedeutet ja nicht, daß das Phänomen als Folge zwingend und alternazivlos eingetreten wäre.
Es gint m.E. durchaus zeittypisch-deutsches, das die Naziideologie begünstigt hat, nämlich eine mythisch-romantische Vorstellung von Volk und Nation, deren Denkweise bis in das heutige Staatsbürgerrecht fortwirkt.
_________________ Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk. (Carl Schmitt)
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CoS Antitheist
Anmeldungsdatum: 10.07.2005 Beiträge: 2734
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(#412227) Verfasst am: 02.02.2006, 16:21 Titel: |
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Der unbekannte Gott hat folgendes geschrieben: | Ich denke nicht, daß es sich um etwas handelt, was spezifisch deutsch ist und spezifisch zu den Nazis hingeführt hat. |
Seh ich genau so.
Am Ende ist "Nationalsozialismus" nur ein Wort. Genau so wie übermäßige Vaterlandsliebe und der Glaube an die ÜBERMACHT des eigenen Landes - Bei den Ammies nennt man das Patriotismus. Es ist ein patriotischer Akt das eigene Land mehr zu lieben als alles andere und es ständig gegen gefährliche und unchristliche ausländische Einflüsse schützen zu wollen - Bei uns würde man so jemanden als Nazi bezeichnen.
_________________ "Wenn Sie mich suchen, ich halte mich in der Nähe des Wahnsinns auf, genauer gesagt auf der schmalen Linie zwischen Wahnsinn und Panik, gleich um die Ecke von Todesangst, nicht weit weg von Irrwitz und Idiotie!"
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Ralf Rudolfy Auf eigenen Wunsch deaktiviert.
Anmeldungsdatum: 11.12.2003 Beiträge: 26674
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(#412234) Verfasst am: 02.02.2006, 16:45 Titel: |
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CoS hat folgendes geschrieben: | Der unbekannte Gott hat folgendes geschrieben: | Ich denke nicht, daß es sich um etwas handelt, was spezifisch deutsch ist und spezifisch zu den Nazis hingeführt hat. |
Seh ich genau so.
Am Ende ist "Nationalsozialismus" nur ein Wort. Genau so wie übermäßige Vaterlandsliebe und der Glaube an die ÜBERMACHT des eigenen Landes - Bei den Ammies nennt man das Patriotismus. Es ist ein patriotischer Akt das eigene Land mehr zu lieben als alles andere und es ständig gegen gefährliche und unchristliche ausländische Einflüsse schützen zu wollen - Bei uns würde man so jemanden als Nazi bezeichnen. |
Du kannst den Nationalsozialismus keinesfalls auf einen übersteigerten Nationalismus bzw. Patriotismus reduzieren. Der NS enthält ganz entscheidende weitere Elemente, du zu übersehen eine grobe Verharmlosung darstellen würde. Spontan fallen mir da ein:
1. Der Patriotismus der USA ist individualistisch geprägt. Der NS ist dagegen kollektivistisch.
2. Die Idee, daß die Volkszugehörigkeit kein politisches oder kulturelles, sondern ein biologisches Merkmal ist.
3. Die Idee schließlich, daß die Völker in einem Überlebenskampf gegeneinander stehen.
_________________ Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk. (Carl Schmitt)
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Dietrich Stahlbaum registrierter User
Anmeldungsdatum: 23.05.2004 Beiträge: 31
Wohnort: Recklinghausen NRW
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(#412348) Verfasst am: 02.02.2006, 19:46 Titel: Replique: Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum |
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Man kann nicht in zwei, drei Sätzen die ganze Geschichte des (deutschen) Bürgertums darlegen. So ist denn auch mein kleiner Kommentar eine äußerste Verkürzung vielschichtiger Zusammenhänge und daher kritikanfällig. Worum geht`s? Um, wie der Titel sagt, Geistige Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum, nicht um Die Wurzeln…
Der NS war bekanntlich kein politischer Betriebsunfall und ist monokausal nicht zu erklären; er hat eine Entwicklungsgeschichte, die tief in die deutsche Vergangenheit hineingereicht. Aufschlussreich wie die politische Geschichte im europäischen Kontext und wie die Sozialgeschichte und - nicht davon zu trennen - ist die Geistesgeschichte, hier die „Literatur- und Ideengeschichte“.
Ich berufe mich auf zwei Germanisten, die sich mit der deutschen Literatur und ebenso kritisch mit ihrer eigenen Zunft auseinandersetzen: Raimund Kemper und Wolfgang Beutin. Wolfgang Beutin, mit dem ich seit 45 Jahren befreundet bin, befasst sich mit Textstudien, mit den Quellen, und natürlich auch mit der Sekundärliteratur. Er war einer der ersten Wissenschaftler, die sich von der werkimmanenten Textinterpretation abgewandt haben, Mitte der 60er Jahre, und seitdem Literatur nicht ohne Bezug auf soziale Geschichte, politische Geschichte und Gegenwart untersucht und vermittelt. Das hat ihm viel Ärger eingebracht, jahrzehntelang: Siehe: 1968 - 2003 - Der aufrechte Gang: http://f27.parsimony.net/forum66372/messages/819.htm, bis eine neue Generation von Literaturwissenschaftlern erkannte, dass Beutin, Mentor vieler von ihnen, den Herren mit den langen Talaren weit voraus war. Von Raimund Kemper kenne ich bisher nur diesen Band, aus dem das Gedicht von Dahn zitiert ist.
Beide haben nach den geistigen Wurzeln des NS geforscht und sind fündig geworden: in der Literatur. Nicht erst bei Treitschke ["Die Juden sind unser Unglück"], sondern lange davor. Bei Dahn ist es z. B. ein seinerzeit in Teilen Deutschlands „grassierender“ Slawenhass [„Und euch, ihr Slawen und Polacken, ist deutsche Kraft bekannt seit lang, Seit dröhnend trat auf eure Nacken der Heinerichsche Siegergang“.] Ein rassistischer Hass: Dahn entblödet sich nicht, immer wieder eine vermeintlich rassische und zugleich kulturelle Überlegenheit der Germanen gegenüber anderen Völkern zu behaupten.
Auch bei den Gebrüdern Grimm, zwei von den berühmten Göttinger Sieben, gibt es Völkisches, Deutschtümelndes. Wilhelm G.: „Die deutsche Altertumswissenschaft hat den Ruhm, zu einer Zeit entstanden zu sein, wo fremde Gewalt auf Deutschland lastete. Sie wollte, soweit es bei ihr stand, den Geist stärken, dessen Kraft langsam wächst, dessen Erfolg sicher ist. Sie wird diesen Ursprung nicht verleugnen, sondern daran festhalten, dass Sicherung und Wiederbelebung des Vaterländischen ihr letztes [sic!] Ziel ist.“ Zitiert in R. Kemper Es waren schöne glänzende Zeiten…, S. 78.
Ein anderer der Göttinger Sieben, einst mit den Grimms befreundet, hat sich von solcherlei Patriotismus abgewendet. Er lehnte die Wilhelminische und Bismarcks Reichspolitik ab und wurde 1853 wegen seiner demokratischen Schriften nach einem Hochverratsprozess aus dem Lehramt entfernt: Georg Gottfried Gervinus.
Dies sind nur ein paar Beispiele für die Herkunft der NS-Ideologie. Außer Frage steht, dass es im deutschen Bürgertum zu jeder Zeit kritische Köpfe gab, die die Aufklärung nicht als vergangene Epoche verstanden haben, sondern als eine ständig neue Herausforderung. Ebenso, dass es Nationalismus, Rassismus und Militarismus auch woanders gegeben hat und z. T. noch gibt.
_________________ ZEITFRAGENFORUM I:
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Zuletzt bearbeitet von Dietrich Stahlbaum am 03.02.2006, 12:18, insgesamt einmal bearbeitet |
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Critic oberflächlich
Anmeldungsdatum: 22.07.2003 Beiträge: 16341
Wohnort: Arena of Air
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(#412642) Verfasst am: 03.02.2006, 05:34 Titel: |
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Shadaik hat folgendes geschrieben: | Ich würde den Nationalsozialismus deutscher Prägung mindestens auf den Biedermaier zurückführen, das erste Großaufkommen des Spießer-Typus. |
Deutschland, das Volk mit der verspäteten Revolution. In der Zeit nach den Befreiungskriegen hat es tatsächlich Nationale/Liberale gegeben. Deren Kernforderungen waren einerseits die Einheit des Staates und andererseits die bürgerliche Freiheit. Das erste Mal in die Nähe der Realisierung dieser Vorstellungen kam man im Zuge von Bismarcks Reichseinigungspolitik. Ein ungefähres Datum dafür, daß der Liberalismus national korrumpiert wurde, wäre der Krieg gegen Österreich (1866). Dadurch hatte Bismarck diesen Zweck im Prinzip erreicht.
Nationalismus gab es zu dieser Zeit eigentlich in jedem Staat Europas: Die Ideologie jedes Staates war es, daß dort bessere Menschen leben als in anderen Ländern. Allerdings muß dazu erst noch eine bestimmte Dimension obrigkeitsstaatlichen Denkens kommen, daß Menschen tatsächlich "Denk"strukturen anerzogen werden, die es allen, die die gleiche Klaviatur beherrschen, schließlich erlauben, sie zu handhaben. Diese spezielle Art von Nationalismus hat es in England und Frankreich nicht gegeben. Einerseits, weil zu der Zeit der demokratische Prozeß in jenen Ländern schon weiter entwickelt war, und andererseits, weil diese übersteigerte Fokussierung auf die Einheit nicht (mehr) da war: England und Frankreich waren seit Jahrhunderten geeinte Staaten. Und weiterhin fühlte sich Deutschland als irgendwie zu spät gekommen: einerseits war Deutschland am Ende des 19.Jahrhunderts ein hochindustrialisierter Staat und eine der führenden Wirtschaftsmächte, andererseits aber hat man in vollkommen agrarischer Sichtweise seine Macht nur von der Landfläche abhängig gemacht, die man hatte. Und nicht zuletzt die "Reichsfeinde"-Politik Bismarcks: Bismarck hat wohl erkannt, daß eben der Nationalismus nur funktionieren kann, das Bewußtsein einer "einigen Nation" nur entstehen und sich verfestigen kann, wenn ein Feind da ist. Das konnte einerseits ein äußerer Feind sein, erstmal Österreich, später Frankreich, als aber mit den Nachbarn allmählich Frieden gemacht wurde, mußten Feinde im Inneren her: Katholiken, Sozialdemokraten. Auch das Denkmuster, die noch "drin" waren: Wenn etwas falsch lief, dann waren XY dafür verantwortlich. (Sinnigerweise war die Führung des Kaiserreichs ja gerade nicht antisemitisch. Sondern die Juden hatten in Preußen und später im Kaiserreich ja das erste Mal überhaupt volle Bürgerrechte. Aber es gab ja die christlichen Muster, die die Nazis später benutzen konnten.)
_________________ "Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"
Dann bin ich halt bekloppt.
"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)
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