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Wie Gesetze so zustande kommen, z.B. der § 175

 
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Martin und Coco
Gast






Beitrag(#34919) Verfasst am: 30.09.2003, 22:23    Titel: Wie Gesetze so zustande kommen, z.B. der § 175 Antworten mit Zitat

Dass der Hauptfeind der Homosexuellen, 1800 Jahre die Kirche war, dies sollte jedem klar sein, denn in beiden Teilen der Bibel, AT und NT, wird die Homosexualität als Sünde gebrandmarkt und im AT sogar der Tod des Homosexuellen gefordert. Eigentlich nur folgerichtig befolgte die Christenheit diese Gebote auch. Von dem Jahre 1000 (circa) bis zum Jahre 1813 stand in Deutschland auf Homosexualität der Tod. Bis zum Jahre 1700 wurde Homosexuellen oft sogar eine eigene Vollstreckung verwehrt. Bei Hexenverbrennungen wurden sie einfach zwischen den Scheiterhaufen und die "Hexe" geschoben und einfach mitverbrannt. Sollte die Hexe durch das Verbrennen noch eventuell der Hölle durch eine Art Feuertaufe entrinnen, so galten Homosexuelle nur als Feuermaterial, wie Bücher oder Hausrat der Hexe, der auch in den Scheiterhaufen unter die Hexe gelegt wurde. Die Schwulen wurden im halbtoten Zustand in den Scheiterhaufen gelegt, da ihnen vorher durch die berüchtigte eiserne Folterbirne der Darm zerfetzt wurde und sie starke innere Blutungen hatten. Besonders die Vorstellung dass dieses extreme Marterinstrument vorher in den Körper des Delinquenten eingeführt wurde, erheiterte den Pöbel, der bei den Autodafés diesen barbarischen Akt in Gesten nachahmte. Ähnliche Reaktionen des Pöbels kennt man aus England, wo vor einigen Jahren ein Mann der einen 13jährigen unsittlich berührt haben sollte, der Pöbel mit derartigen Gesten das Haus in dem der Mann wohnte gestürmt hatte.

Auch die sexualfeindlichen Revolutionäre der französischen Revolution änderten nichts an dieser Schandpraxis, statt des Scheiterhaufens gab es allerdings nur noch die Enthauptung oder die lebenslange Verbannung auf die Galeeren im minder schweren Fall.

Napoleon Bonaparte allein gebührt das Verdienst mit dieser Schande aufgeräumt zu haben. Er hob sämtliche sexualfeindlichen Gesetze (Schutzaltersgrenzen, Verbot der Homosexualität u.ä. ) auf und machte Schluß mit einer jahrtausendelangen Verfolgung, bei der abertausende Menschen gefoltert und vernichtet wurden.

Napoleons Gesetze wurden durch die französische Besetzung Deutschlands in den meisten deutschen Ländern eingeführt und auch nach dem Rückzug Frankreichs beibehalten.

Erst nach dem Krieg von 1870/71, als ein einheitliches Strafgesetzbuch für Deutschland geschaffen wurde, wurde die Strafbarkeit für homosexuelle Handlungen und eine Schutzaltersgrenze für heterosexuelle Handlungen (14 Jahre, ohne Einschränkungen) eingeführt.

Wie diese Gesetze zustandekamen, ist ein Treppenwitz der deutschen Geschichte.

Der damalige Justizminister Leonhardt forderte von den Ärzten Virchow und von Langenbeck ein Gutachten darüber, ob irgendwelche Gründe beständen, sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts zu verbieten. Die abgegebenen Gutachten sprachen sich entschieden gegen jedwede Bestrafung aus, daraufhin strich der Justizminister den dafür vorgesehen Paragraphen aus dem Entwurf. Der Kaiserin aber kam dies zu Ohren und sie intervenierte. Die Kaiserin war als bigotte Kirchgängerin bekannt. Mit der Bemerkung, daß der Apostel Paulus sich doch abfällig über Homosexualität geäußert hätte, veranlaßte sie den eilfertigen Kultusminister von Mühler der als Dichter des Liedes "Grad aus dem Wirtshaus komm ich heraus" bekannt war, das Gesetz doch wieder ins Gesetzbuch zu befördern. Dieser Poet des Suffs, dem es ein "bedenkliches Wagstück, schien, nüchtern zu sein", setzte den § 175 durch.

Auch die Einführung der Schutzaltersgrenze ist der Kaiserin zu verdanken. Die bis dato allgemein als (allerdings strafrechtlich unrelevante) geltende Altersgrenze von 12 Jahren verwarf die Kaiserin mit dem Verweis, daß sie auch erst mit 14 Jahren geschlechtsreif war und es doch einem nicht geschlechtsreifen Mädchen sittlich nicht zuzumuten sei den ehelichen Pflichten zu genügen. Die Schutzaltersgrenze wurde deshalb ohne Einholung weiterer Stellungnahmen kurzerhand mit 14 Jahren in das Gesetzbuch eingetragen.

So kommen Gesetze zustande, von denen manche meinen, sie wären das Produkt klugen Überlegens kluger Leute oder sie spiegelten gar Naturgesetze wider!

Geschockt
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Alzi
registrierter User



Anmeldungsdatum: 22.07.2003
Beiträge: 2760
Wohnort: Oberfranken

Beitrag(#34991) Verfasst am: 30.09.2003, 23:49    Titel: Re: Wie Gesetze so zustande kommen, z.B. der § 175 Antworten mit Zitat

Martin, Paul und Co. hat folgendes geschrieben:
Auch die Einführung der Schutzaltersgrenze ist der Kaiserin zu verdanken. Die bis dato allgemein als (allerdings strafrechtlich unrelevante) geltende Altersgrenze von 12 Jahren verwarf die Kaiserin mit dem Verweis, daß sie auch erst mit 14 Jahren geschlechtsreif war und es doch einem nicht geschlechtsreifen Mädchen sittlich nicht zuzumuten sei den ehelichen Pflichten zu genügen. Die Schutzaltersgrenze wurde deshalb ohne Einholung weiterer Stellungnahmen kurzerhand mit 14 Jahren in das Gesetzbuch eingetragen.


So, wie ich es aus Deiner Beschreibung entnehme, hatte das "Schutzalter" damals in der Tat eine Schutzfunktion - nämlich des Schutzes vor einer Schwangerschaft.

Damit wurde eine Schwangerschaft vor dem 14ten Lebensjahr verhindert.
Bedenkt man, welche Risiken und Belastungen damals die Schwangerschaft für eine Frau bedeutete, war das "Schutzalter" in der Tat ein Schutz vor möglichem Schaden.
_________________
Wer heilt hat recht!
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Martin und Coco
Gast






Beitrag(#35026) Verfasst am: 01.10.2003, 08:27    Titel: Antworten mit Zitat

Nicht ganz, Alzi, das strafrechtlich wenig relevante allgemeine Schutzalter sollte damals nicht eine unerwünschte Schwangerschaft vor dem 14. Lebensjahr verhindern, sondern es sollte verhindern, daß nicht geschlechtsreife (vor der ersten Menstruation) Mädchen Geschlechtsverkehr hatten, denn man sah im Geschlechtsverkehr nur den Zweck der Kindererzeugung, sexuelle Lust spielte keine Rolle.

Sieh Dir den fundamentalistischen Islam an. Noch bis vor kurzem war es möglich, daß ein 9jähriges Mädchen verheiratet wurde und Sex mit ihrem Mann sogar haben mußte, solange der Nachweis erbracht war, daß das Mädchen geschlechtsreif war. Verboten wäre ein Geschlechtsverkehr mit einem sagen wir mal 15jährigen Mädchen gewesen, wenn dieses Mädchen noch nicht geschlechtsreif war.

Ähnlicher Kontext, wie im christlichen Abendland!


Zuletzt bearbeitet von Martin und Coco am 01.10.2003, 11:06, insgesamt einmal bearbeitet
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Martin und Coco
Gast






Beitrag(#35033) Verfasst am: 01.10.2003, 08:39    Titel: Antworten mit Zitat

Nachtrag:

Die Schutzaltersgrenzen spielten früher strafrechtlich kaum eine Rolle sobald sich aus dem frühzeitigen Verkehr Nachwuchs einstellte. Dies war zwar ein moralisches Problem, weil ein uneheliches Kind eine Schande war, dies war aber das einzige Manko und hatte nichts mit dem Alter zutun.

Dass diese Moral noch heute eine große Rolle spielt, sieht man daran, dass bei Schwangerschaften Minderjähriger das Jugendamt von einer Anzeige absieht, wenn ein Kind aus einer unerlaubten Beziehung entstanden ist. Auch solche ansonsten eindeutig als "kinderschänderischen" Handlungen gebrandmarkten Beziehungen (Sex eines 30jährigen mit einer 12ährigen z.B.) werden mit Mindeststrafen belegt, wenn aus dieser Beziehung ein Kind geboren wurde und der Mann die Beziehung zu dem Mädchen aufrechterhält

Also ein "Kinderschänder" darf Milde erwarten wenn durch sein Tun der christliche Sexualzweck erfüllt wurde: Nachwuchs! Wurde nur wegen der Wollust gepoppt, dann sieht es trübe aus.
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Martin und Coco
Gast






Beitrag(#47014) Verfasst am: 31.10.2003, 12:38    Titel: Antworten mit Zitat

Wer heute in eine neuere Ausgabe des StGB schaut, der findet unter § 175 den schönen Passus: (weggefallen)

Das dies nun nicht vom Himmel fiel und außerdem auch nicht ersatzlos geschah, dies erfährt der werte Leser nicht.

Von einem wirklichen Wegfall des 175 kann keine Rede sein, solange Ersatzparagraphen wichtige Diskriminierungsfunktionen des alten 175 übernommen haben.

Obwohl wir 1994 schon mal nahe dran waren an einer ersatzlosen Streichung des 175, so setzten sich doch konservative Kräfte durch, die in der freien selbstbestimmten Sexualität eine kriminelle Handlung sehen.

Bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bestand die DDR-Regierung auf der Aufhebung des antihomosexuellen § 175, da dieser 1988 in der DDR vollkommen abgeschafft war. Die westdeutsche Seite lehnte ab. Es kam zu dem Kompromiß, dass in der ehemaligen DDR das alte liberale DDR-Recht weiter galt, während in Westdeutschland der § 175 weiter Menschen vor den Kadi brachte - Freiheit in Weimar, Unfreiheit in Hannover, dies von 1990 bis 1994 (solange dauerte die unterschiedliche Rechtspraxis).

Es ist interessant doch noch einmal die Fronten zwischen Sexualfeinden und Freiheitlichen aufzuzeigen wie sie sich damals bildeten:


Für eine Ersatzvorschrift sprachen sich aus:

die Kirchen (sehr energisch), CDU/CSU, die Mehrheit der FDP, Teile der SPD (besonders die rot/grüne Landesregierung in Hannover, nebst Jusos), alle rechten Parteien, wie DVU, Reps, NPD, die "linke" MLPD!

Für eine ersatzlose Streichung des Schandparagraphen sprachen sich aus:

Grüne, PDS, Junge Liberale, BAG Sexualität und Recht, Deutsche Aidshilfe, namhafte Sexualwissenschaftler, linke kleinere Parteien, Teile der SPD.

Ein paar freiheitliche Stimmen von damals und ihren Forderungen, von denen fast alle jetzt abgerückt sind und heute z.T. die Unterdrückungsgesetze noch verschärfen, die sie damals so vehement bekämpft haben:

Junge Liberale:

Wer mit 14 über die Teilnahme am Religionsunterricht entscheiden kann, kann das auch über seinen eigenen Körper. (Ralph Lange)

Auch die Bestrafung von Freiern minderjähriger Prostituierter müsse genau überdacht werden, sie könne dazu führen, dass junge Prostituierte weiter in die Illegalität gedrängt werden könnten. Gerade für junge Homosexuelle, die bisher kaum von Zuhältern abhängig gewesen seien, könne dies dramatische Folgen haben. (Ralph Lange/Oliver Stirböck)


Teile der SPD:

Die jugend- und frauenpolitische Sprecherin der SPD, Hanna Wolf, kritisierte daß der § 175 nicht ersatzlos gestrichen wird. Die geplante Änderung bedeute einen einschneidenden Eingriff in die Sexualität junger Menschen. Damit werden die heute üblichen hetero-und homosexuellen Kontakte zwischen Erwachsenen und 14-16jährigen Jugendlichen in Zukunft unter Strafe gestellt, obwohl dies durch keinerlei kriminologische oder sexualwissenschaftliche Erkenntnisse gerechtfertigt wird.

Das Anliegen des Ministeriums war es, eine Ersatzvorschrift zu formulieren, die weiterhin eine strafrechtliche Sanktionsmöglichkeit gegen männliche homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen bietet. Da eine offene Diskriminierung von Homosexualität heute nicht mehr opportun ist, mußte eine geschlechtsneutrale Formulierung gefunden werden.
(Ingrid Steinmeister, SPD)


Christina Schenk (PDS):

Die ersatzlose Streichung des § 175 gehört heute zum Forderungskatalog aller anständigen Menschen...


B90/Grüne:

Wir wollen ein vernünftiges rational begründetes Strafrecht, das die sexuelle Selbstbestimmung schützt und nicht die Sittlichkeitsvorstellungen einiger wildgewordener Unionschristen. Wesentlicher Kritikpunkt ist und bleibt, daß das Justizministerium keinen rationalen Grund zu nennen vermag warum man die §§ 175 und 182 StGB der BRD nicht ersatzlos streicht. Strafrecht darf nur ein letztes Mittel der Politik sein, und eine Bürgerbewegung tut immer gut daran, ihre Stimme zu erheben, wenn der Staat ohne Not in den Giftschrank nach den Repressiva greift."
(Volker Beck)

Eben dieser Beck, der sich noch 1994 über wildgewordene Unionschristen ereiferte, ist heute der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag und mitverantwortlich für einen weit repressiveren Kurs bei den Strafgesetzen, als das bei den Unionschristen 1994 der Fall war.

Was interessiert mich mein freiheitliches Geschwätz vor 9 Jahren, nicht Herr Beck! - kann man da nur kopfschüttelnd sagen!

Beck ist übrigens der Chef des LSVD, eines Schwulen- und Lesbenverbandes, also der Bock ist damit der Gärtner!

Armes Deutschland!
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