Xamanoth auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.04.2006 Beiträge: 7962
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(#450494) Verfasst am: 12.04.2006, 15:17 Titel: Luzifer ist verzweifelt... |
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Mal eine Gedankenspielerei nach Tractatus Satanicus, dem Buch das ich gerade lese:
Seit Menschengedenken wurde er verleumdet. Es begann damit, dass er ein Geschöpf Jahwes sein sollte, der sich in seiner Einfallslosigkeit "ich bin der ich bin" nannte, während letzterer sich Luzifer, den Lichtbringer nannte, oder auch Dyonisos, Seth, Belial, Satan, Shaitan, Pluto.
Nein, ein Wesen gleicher Art ist er, wenn auch jünger und weniger mächtig.
Einer der zahllosen Geister aus dem Kosmos der Möglichkeiten, einer der wenigen, die sich vom Sein zum Wirken entschlossen.
Ein Wissenschaftler ist er, ein Denker, ein Dichter, ein Künstler und Philosoph, während Jahwe nicht mehr ist als ein allmächtiges, bestimmt aber nicht allwissendes Kind, dass mit Bauklötzen spielt, ein Tyrann, albern und unbeherrscht.
Ja, die Todsünden teilen sie sich, während Jahwe den Zorn und die Eitelkeit auf sich nahm (warum hat er sonst die Menschen geschaffen, als das sie ihm huldigen, opfern und ihm applaudieren) nahm Luzifer den Neid denn er ist neidisch auf die Position, die Jahwe im Denken der Menschen annimmt, und darauf, dass er, der kleinere Geist, über die größere Macht verfügt, die Wollust, die Habgier auf sich. Die Völlerei und die Trägheit sind Dinge, für die beide kein Verständnis aufbringen.
Dereinst hatte Luzifer eine Welt erschaffen, nur aus der Langeweile und um zu sehen, wie es werden würde, er hatte Gesetze geschaffen, die Physik und die Evolution, er hatte Leben geschaffen, um zu sehen, wie es sich entwickeln würde, und um die Schönheit des Seins zu bewundern, und um den ewigen Kampf aller Wesen mit Spannung zu verfolgen.
Jahwe hingegen schuf nicht wie ein Künstler und Wissenschaftler, sondern wie ein Handwerker, in sieben Tagen schuf er einen kleinen, herrlichen Garten, hinein setzte er Wesen mit Seele, nur um ihn zu bejubeln, wie toll in seiner angeblichen Allmacht, Allgüte und Allwissenheit doch sei.
Luzifer konnte die Dümmliche und langweilige Sündenfreiheit nicht ertragen, und gab den Menschen die Erkenntnis, schließlich ist Jahwe selber schuld, warum musste er auch den Apfel an den Baum hängen. Und was macht Jahwe? Er benimmt sich wie ein kleines Kind, wirft die Menschen aus seiner Welt in die Luzifers, der nun mit ihnen klar kommen muss. Gut, Luzifer nimmt dies hin und sieht das ganze als spannende Neuerung in seinem Experiment; verbannt Kain, obwohl er ihn für den interessanteren Jungen hält, um die Existenz der Menschheit nicht zu gefährden, bringt ihnen Ackerbau und Viehzucht bei, und freut sich über die ganz neuen Möglichkeiten, die die Menschheit seiner Welt bietet.
Dann wird Jahwe plötzlich zornig, denn kein Mensch gedenkt seiner mehr. Er macht fasst alles kaputt, durch eine tödliche Flut. Nur wenige kann Luzifer retten. In Zukunft machen sie untereinander aus, dass sie sich den Einfluss über die Menschen teilen wollen. Während Luzifer die Ägypter, die Erfinder der menschlichen Kultur bewundert, schafft Gott einen eigenen Stamm, das Volk Israel. Auf dieses Will er sein Wirken beschränken, der Auszug aus Ägypten und die Landnahme in Kanaan stellen einen kleinen Stich in Luzifers wirken da, der die Ägypter erst mal verlässt und sich um die Griechen und Römer kümmert, und sich freut, wie sie Kultur und Geist hervorbringen, seine ganze Liebe gilt Ovid, Epikurus, Sokrates, Homer, Platon, Seneca, Marc Aurel, Sophokles, Aristoteles, Diogenes, Perikles, Augustus, Cäsar und noch vielen anderen.
Jahwe hat in seinem kindgleichen Ungestüm irgendwann genug von seinem Hirtenvolk, er will mehr, er will Luzifers momentanes Lieblinksvolk, er will Rom. Also nimmt er menschliche Gestalt an, geht nach Jerusalem, predigt Liebe und Endgericht, will nun alle Menschen zu seinen Jüngern. Das kann Luzifer nicht dulden, er nutzt seine Freunde Judas, Kaiphas und Pilatus um diesen widerlichen Christus, der die größten Lehren und Mythen Luzifers Lieblingsvölkern in trivalisierter, verunstalteter Form auf sich vereinigt, zu besiegen, selbst der Taschenspielertrick der Auferstehung ändert nichts daran. Erste später, unter Konstantin, einem Kuckuksei unter Luzifers Dienern, gelingt Jahwe erstmals ein Sieg, der Luzifers Welt, Europa (um Asiaten und Afrikaner haben weder Jahwe noch er sich je besonders gekümmert, allein Buddha gehörte zu Luzifers Lieblingen) für Jahrhunderte vereinnahmen soll.
Auch die Araber gewinnt Jahwe für sich, unter dem Namen Allahs zwar, unter einem zweiten heiligen Buch, aber das ist Jahwe egal, so lange er nur verehrt wird, und wie gesagt, Rationalität ist seine Sache nicht, auch das seine verschiedenen Anhänger bekämpfen ist ihm egal, ihm gilt nur, dass er verehrt wird.
Luzifer gelingt es langsam, Jahwes neues Lieblingsspielzeug, die katholische Kirche zu infiltrieren, er schafft es, dass gerade diese unter Alexander dem VI. zu einem Zentrum der Dekadenz und Ausschweifung wird, die er so liebt, bevor Jahwe durch das Mönchlein Luther die Wagschale wieder zu seinem Gunsten wägt.
Luzifer erkundet einen neuen Schachzug, er ist der Ansicht, dass er die Menschheit nur wieder auf seine Wege bringen kann, wenn er sie nicht mehr an seine Existenz glauben lässt, für ihn ein neues, lustiges Spiel, für Jahwe wäre diese Form von Selbstironie undenkbar.
Er inspiriert Aufklärer, Denker und Philosophen, er führt Kant, Descartes, Hume, Montesquie und Voltaire, um einige für viele zu nennen, die Hand, aber die Verehrung Jahwes ist zäh, sie gleichen doch eher Jahwe in ihrer Irrationalität, ihrem Hang zum Untertanentum, als Luzifer, dem Denker und Spötter, dem Anarchisten unter den Gottheiten.
Luzifer zieht krasse Register, er versucht, über die Wege der rassenreinen und der klassenlosen Gesellschaft das Spiel zu seinen Gunsten zu entscheiden, aber das eine Spiel endet mit Dachau, das andere im Gulag.
Nun steht Luzifer vor der Moderne, und er verzweifelt. Viele Menschen haben sich ihm zugewandt, huldigen seinem liebsten Kind, dem Mammon, dennoch ist der Glaube an den Jahwe, der irgendwann Vater, Sohn heiliger Geist wurde, ungebrochen, auch den Katholizismus konnte jener zurückgewinnen. Luzifer weiß nicht, was er als nächstes Tun soll.
Wird er Jahwe jemals besiegen?
Was ist ihm zu raten?
Zuletzt bearbeitet von Xamanoth am 12.04.2006, 17:03, insgesamt einmal bearbeitet |
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44649
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(#450508) Verfasst am: 12.04.2006, 15:39 Titel: Re: Luzifer ist verzweifelt... (achtung, lang) |
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An: Shai'tan Lichtbringer
Von: Lord Bramanti, Vize-Episkopos KDGK
Sehr geehrter Herr Lichtbringer.
Sie werden mich möglicherweise nicht kennen, doch ich komme von einer gemeinsamen Freundin.
Ich habe von dieser den Auftrag erhalten, Ihnen folgende Ratschläge zu übermitteln:
Lassen Sie den Neoliberalismus gehen, der bringt letztendlich nur Ihrem Konkurrenten Auftrieb.
Im Moment setzt sich in der westlichen Politik- und Wirtschaftslandschaft ja durchaus eher wieder Jahwe durch. Autoritäres und überwachendes Gehabe und ein gewisses Zurückfinden zu einer infantilen Religiosität ist durchaus beobachtbar. Es ist nicht ratsam, direkt etwas dagegen zu tun.
Stattdessen sollten Sie weiterhin Projekte wie den Diskordianismus oder das Flying Spaghetti Monster unterstützen, aber auch Filmprojekte wie Ihre vergangenen sehr subversiven Werke 'Fight Club' und 'V wie Vendetta'. Säen Sie im Westen den Zweifel ins Volk, aber unmerklich und subtil, wie Sie es schon immer getan haben. Sehen Sie sich auch unbedingt einmal in der dritten Welt um. Da gibt es sehr vielversprechende Projekte. Beispiele wären die EZLN in Chiapas oder die Sem Terra in Brasilien. Aber auch in Südafrika gibt es Entwicklungen, die uns nützen könnten.
Und was den Islam angeht, sollten Sie sich die muslimischen Frauen 'mal näher ansehen. Die sind zwar geknechtet und unterdrückt, aber in ihnen steckt wenigstens ein Bisschen Potential, das in deine Richtung geht. Bei den islamischen Männern werden wir jedenfalls nirgendwo auch nur das geringste Bisschen Boden finden. Wenn es überhaupt irgendwo geringe liberale Tendenzen im Islam gibt, dann bei den Frauen. Allerdings sind diese, wie gesagt, unterdrückt und geknechtet und benötigen eine gehörige Portion Auftrieb. Ratsam wäre es daher eher, unsere Kräfte zunächst darauf zu richten, weltweit erst einmal wieder an Boden zu gewinnen. Erst, wenn wir andernorts wieder bei Kräften sind, sollten wir uns dieser Aufgabe annehmen.
Halten wir uns an die unterdrückten Minderheiten dieser Welt, von denen Subcomandante Marcos sagt:
"Im Schweigen und Erdulden sind wir Mehrheit - nur wenn es ums Sprechen geht, nennt man uns Minderheiten."
Genau in diesen liegt das Potential, das wir suchen.
Möge Discordia unseren Bemühungen Flügel verleihen.
Hochachtungsvoll: Lord Bramanti
<Unterschrift>
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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