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Anmeldungsdatum: 05.05.2006 Beiträge: 91
Wohnort: Berlin
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(#470811) Verfasst am: 10.05.2006, 10:12 Titel: Leistung und deren Verweigerung in der Schule |
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Warum fehlt den Schüler und Jugendlichen heute denn bloss diese Motivation, fleissig in der Schule zu sein? Das ist eine Frage, die man häufig hört.
Das hat mehrere Ursachen. Ich möchte nur drei nennen.
Die Ablenkung ist größer. Es ist schwieriger, gegen den Strom als mit dem Strom zu schwimmen. Dieser Strom begünstigt heute nicht das Lernen, verführt eher dazu, das Lernen als zu beschwerlich zu verachten. Es gibt zuviel Nachrichten von Menschen, die auch ohne Anstrengungen anscheinend ihr Leben in Saus und Braus genießen und das ist nicht gerade förderlich, um Jugendliche für das Lernen zu motivieren.
der zweite Grund ist der gegenwärtige Zustand der Volkswirtschaft, der vor allem die Hauptschüler trifft. Wir eröffnen Ihnen keine Chancen mehr. Zitat: | Selbst in den späten achtzigern konnte man noch von Zukunft träumen. Heute steht nur fest, das es keine Zukunft mehr gibt. .....Deshalb sind die Jugendlichen kaum noch zu motivieren. Mit einer durchschnittlichen drei an der Realschule, was ja befriedigend heißt, können Sie heute nicht mal mehr bei der Berliner Stadtreinigung anfangen. Ende der sechziger hätten Sie damit bei jeder Bank anfangen können. |
(Zitat mit Erlaubnis des Verfassers)
Der dritte Grund ist die Wahrnehmung der Jugendlichen durch die Erwachsenen
Sie lernten und erfüllten die Erwartungen Ihrer Lehrer und Ihrer späteren Vorgesetzten.
Im Schloss zu Ihrer Lernpersönlichkeit steckte wahrscheinlich ein primärer Schlüssel, und einen Lernkanal öffnet, der der meisten Lehrern vertraut ist. Sie nutzen ähnliche Lernkanäle.
Es gibt andere Lernkanäle. Im Schloss zur Lernpersönlichkeit eines Schülers steckt bereits ein Schlüssel. Den müssen sie drehen, um das Schloss zu öffnen und Zugang zu seiner Lernpersönlichkeit zu erhalten. Vor allem den Schlüssel, den der Schüler mitbringt, nicht die Dietriche, die sie in Ihrer Ausbildung erhalten haben.
Nicht Sie und auch nicht die Lehrer müssen ausgebildet werden, sondern fatalerweise die Schüler.
Ich habe mein Damaskus-Erlebnis durch.
Ein Schulverweigerer und -hasser wurde zu einem begeisterten Berufsschüler in einem technischen Ausbildungsfach. Weil man ihm Dinge in die Hand gab, seine Hände beschäftigte. Es heißt nicht umsonst begreifen. Wieso musste der Junge erst 17 werden, damit sein Schloss geöffnet wird.
Integrieren Sie in die Hauptschule Werkstätten, in den zum Beispiel Altgeräte und Autos auseinandergenommen und verwertet und instandgesetzt werden und sie werden die Jugendlichen nicht mehr wiedererkennen. Dann noch künstlerisches Gestalten mit Holz und Ton, mehr Sport, Singen, Musik spielen, Garten, Tiere, die ganze Palette eben. Selbst Tanzen könnte einen Schlüssel drehen, denken Sie an den Film Fame.
Irgendeinen Schlüssel zu seiner Lernpersönlichkeit hat jeder Jugendliche. Den muss man erkennen und drehen. Der Schlüssel mag eingerostet sein, weil sich nie ein Lehrer dafür interessiert hat, welcher Schlüssel es ist. Oder weil sie glaubten, diese Schüler haben überhaupt kein Schloss zu ihrer Lernpersönlichkeit. Oder weil sie versuchten das Schloss mit dem falschen Schlüssel zu öffnen.
Dann muss man das Schloss wieder gangbar machen. Das geht immer.
Ist ihnen das geglückt, den richtigen Schlüssel zu drehen, müssen Sie Schüler nicht mehr ziehen. Dann streben Schüler von selbst zu Zielen.
Nun mögen Pädagogen einwenden, dass jeder Mensch über mehrere, nur unterschiedlich ausgeprägte Lernkanäle verfügt, die alle angesprochen werden können. Das ist so und ich befürchte, dass das genau ein Problem ist.
Ich denke, es gibt auch willfährige, anpassungsfähige Schüler, geborene Untertanen eben, die es willig mit sich geschehen lassen, dass das Schloss auch mit einem anderen Schlüssel geöffnet wird. Dann wird ein anderer Lernkanal zum ihrem wichtigsten Lernkanal. Da sie fleissig und strebsam sind, erfüllen sie auch die Erwartungen ihrer Eltern und Lehrer, ohne das einer erkennt, dass ihr primärer Lernkanal ein ganz anderer ist.
Die Folgen sind fatal. Es wird eine Berufsausbildung gewählt, die die Schüler dank ihrer Strebsamkeit gut und zur Zufriedenheit der Älteren bewältigen. Aber sie werden in diesem Beruf nicht glücklich und erreichen in ihm nur mittelmäßige Leistungen.
Die gegenwärtige Schulausbildung ist meiner Meinung nach vor allem für geisteswissenschaftliche, kaufmännische und juristische Berufe geeignet. Sie ist wenig für naturwissenschaftliche und technische Berufe geeignet. Man muss sich gar nicht darüber wundern, dass es so wenig Jugendliche gibt, die sich für einen naturwissenschaftlichen und technischen Beruf entscheiden. Man muss sich wundern, dass es überhaupt noch jemand macht. Nach meinen Erfahrungen sind das keineswegs immer Menschen, die für diese Berufsausbildungen bestens geeignet sind.
Leider muss man auch sagen, dass vor allem die universitären Berufsausbildungen in den Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften oft am besten von solchen Absolventen bewältigt werden, die im praktischen Berufsalltag eben nicht die Leistungen erbringen, die ihnen im Abschlusszeugnis bescheinigt wurden, während umgekehrt viele eher mäßige Absolventen zum Beispiel als Betriebsingenieure regelrecht aufblühen.
Das ist zwar irgendwie logisch, denn das Abschlusszeugnis bescheinigt einem vor allem, dass man den erreichten Wissenstand mehr oder weniger fleissig gelernt und verstanden hat, während es im Beruf eigentlich darum geht, in den Bereich des Nochnichtwissens hineinzusehen und die Grenze des Wissens immer weiter hinauszuschieben und vor allem beruflich auch dann noch zurechtzukommen, wenn das Nochnichtwissen sich beharrlich weigert, erkennbares Wissen zu werden. Das ist in den Ingenieurwissenschaften oft der Fall.
Ein Studienkollege von mir hat seine Erfahrungen in den ersten Berufsjahren mal so beschrieben.
Sie werden vielleicht Versuchsergebnisse erhalten, die mit dem Stand des Wissens nicht erklärbar sind, ihnen sogar widersprechen. Dann überprüfen Sie sehr sorgfältig Versuchsaufbau, -durchführung und -auswertung. Wenn Sie dann immer noch die Diskrepanz zu ihrem Lehrbuch feststellen, dann atmen sie tief durch, klappen sie das Lehrbuch einfach zu und forschen weiter.
Willfährige brave Schüler, ideale Untertanen sind dazu nicht in der Lage und besitzen auch nicht den Schneid, diese Versuchsergebnisse gegen ihre sie ablehnende Umwelt zu verteidigen. Die würden eher die Versuche beenden und sind mit den Erklärungen ihrer Umwelt für die Versuchsergebnisse zufrieden.
Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen, fordert man von den Jugendlichen
Das ist eine wechselseitige Forderung. Wenn man das will, muß man dafür auch die Bedingungen schaffen.
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