beachbernie male Person of Age and without Color
Anmeldungsdatum: 16.04.2006 Beiträge: 45792
Wohnort: Haida Gwaii
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(#481188) Verfasst am: 22.05.2006, 23:30 Titel: Die juristische Farce von Bagdad |
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Heute waren recht peinliche Fernsehbilder von der Wiederaufnahme des "Gerichtsverfahrens" gegen den frueheren Diktator Saddam Hussein auf bbc-world zu sehen. Der von der US-Kolonialverwaltung eingesetze Richter eroeffnete einer jungen Verteidigerin Saddams, die er im April von der Verhandlung ausgeschlossen hatte, weil Sie es wagte ihm zu widersprechen, dass er sie wieder an der Verhandlung teilnehmen zu lassen gedenkt. Darauf herrschte er sie voellig unprovoziert in schneidendem Befehlston an, sie solle sich hinsetzen. Als die Anwaeltin dieser Aufforderung nicht Folge leistete, sondern stattdessen in ruhigem und sachlichen Ton fragte, weswegen sie denn eigentlich zuvor ausgeschlossen worden war, damit sie in Zukunft solches vermeiden koenne, verlor der "Jurist" die Beherrschung und bekam einen Tobsuchtsanfall. Er beschimpfte sie als "Bandenmitglied" und schrie dann bloss noch "Raus, raus, raus"...
Unabhaengig, wie man denn nun zur Person Saddams steht (Ich persoenlich habe ihn schon immer, also auch schon zu Zeiten als die Amis ihn noch als Verbuendeten betrachteten, als schlimmen Verbrecher angesehen, der erst vor Gericht und dann hinter Gitter gehoert!), muss man die "Verhandlungsfuehrung" in diesem Schauprozess auf's Schaerfste verurteilen. Zunaechst einmal sollte man nicht Verteidiger und Angeklagte in einen Topf werfen, als Richter schon gar nicht. Anwaelte machen nur ihren Job und der besteht im Falle von Strafverteidigern nun einmal daraus Partei fuer den Angeklagten zu ergreifen. Wer als Richter gegen Strafverteidiger wuetet als ob sie mitgemordet haetten, der zeigt damit nur wie wenig er von Rechtsstaatlichkeit haelt beziehungsweise begriffen hat. Ueberhaupt ist das Niederbruellen von Prozessbeteiligten, voellig egal davon, ob es Anwaelte, Staatsanwaelte, Klaeger oder Angeklagte sind, ein ganz eindeutiges Zeichen davon, dass ein Richter nicht in der Lage ist, unparteiisch zu urteilen und damit eigentlich ein Disqualifizierungsgrund fuer den betreffenden Robentraeger. Der Sache tut ein solches Verhalten naemlich ueberhaupt nicht gut. Es liefert lediglich denen propagandistische Munition, die den Schwerverbrecher Saddam nach wie vor als einen irakischen Volkshelden und Maertyrer verkaufen wollen. Nichts ist naemlich mehr geeignet Sympathie fuer den Angeklagten zu erwecken, wie ganz offensichtliche Verweigerung von Verfahrensrechten, wie sie, unabhaengig von Schuld oder Nichtschuld, jedem Angeklagten in einem rechtsstaatlichen Verfahren zustehen. Der Propagierung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, um die es den amerikanischen Zwangsbefreiern ja angeblich geht, erweist man ohnehin einen Baerendienst. Kann es denn den Irakern eigentlich jemand veruebeln, wenn sie keinerlei Unterschied zwischen dem Despoten Saddam und dem Besatzungsregime ausmachen koennen? Lediglich die "Herren" haben gewechselt, die Methoden sind haargenau die gleichen geblieben! Angefangen von "Bestrafung" der Zivilbevoelkerung, wenn Gegner der jeweils Maechtigen durchkommen, ueber Folter von ohne Gerichtsbeschluss willkuerlich verhafteten Menschen, bis zum traurigen Schauspiel des aktuellen Schauprozess, dessen Verlauf nach meiner Beobachtung mehr vom fuer die Amerikaner ungluecklichen Kriegsverlauf bestimmt wird, wie von der Beschaeftung mit den vom Angeklagten zweifellos begangenen Schwerverbrechen.
Ich will hier keinesfalls einer Schonung fuer Saddam das Wort reden. Der Mann gehoert vor Gericht, abgeurteilt und dann weggesperrt. Solange jedoch der Irak unter Besatzungsrecht steht ist dort ein rechtsstaatliches Verfahren nicht moeglich und deshalb sollte, da nicht abzusehen ist, wielange der Zustand der Rechtlosigkeit weiterbesteht, sich der internationale Gerichtshof in Den Haag der Strafsache annehmen und ueber den abgehalfterten Tyrannen in einem nach internationalen Masstaeben fairen Verfahren zu Gericht sitzen, einschliesslich dessen Rechts Verteidiger nach seiner Wahl zu benennen, deren Rechte im Sinne international anerkannter Gepflogenheiten auch garantiert sein muessen. Ein "Gerichtsurteil" nach einem durchsichtigen Schauprozess ist naemlich wertlos. Es ist weder geeignet die ewiggestrigen Anhaenger ins Gruebeln zu bringen, noch schafft es Gerechtigkeit fuer die Opfer. Fuer die bleibt naemlich dann der schale Beigeschmack, dass der Despot nicht fuer seine Verbrechen buessen muss, sondern dass "Gerichtsverfahren" und "Urteil" eher von tagespolitischen Einfluessen diktiert sind.
Das Verfahren in Den Haag gegen Milosevic und seine Komplizen ist wesentlich eher geeignet eine Diktatur juristisch aufzuarbeiten als das Kasperletheater in Bagdad. Eben weil es die Rechte der Angeklagten genauso beruecksichtigt wie die Schwere der ihnen zur Last gelegten Verbrechen, wird hier im besten Sinne Recht gesprochen und den Propagandisten des alten Regimes erschwert ihre alten Wortfuehrer als Opfer darzustellen. So etwas wuerde ich mir auch im Falle Saddams wuenschen und es ist auch die einzige Chance einen tatsaechleiche Schlussstrich unter altes Unrecht zu ziehen. Aber die Amerikaner werden wohl nie zulassen, dass ihr alter Verbuendeter vor ein unabhaengiges und unparteiisches Gericht gestellt wird, da waere die Gefahr wohl viel zu gross, dass auch Leichen aus dem eigenen Keller zum Vorschein kommen, aus besseren Tagen im Verhaeltnis zwischen Tyrann von Bagdad und den Gutmenschen der gewalttaetigen Sorte...
Was von der amerikanischen Propaganda gerne mit den Nuernberger Prozessen gegen die dutzendjaehrigen Kriegsverbrecher verglichen wird, erinnert mich persoenlich eher an den Volksgerichtshof des Verbrecherregimes ueber das in Nuernberg Recht gesprochen wurde. So, wie sich der Bagdader "Richter" heute gehen liess, erinnert er mich fatal an einen Roland Freisler!
Gruss, Bernie
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Cato Der Freund der Bösen
Anmeldungsdatum: 13.08.2005 Beiträge: 970
Wohnort: Wolkenkuckucksheim
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(#483158) Verfasst am: 26.05.2006, 18:07 Titel: Re: Die juristische Farce von Bagdad |
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beachbernie hat folgendes geschrieben: | Heute waren recht peinliche Fernsehbilder von der Wiederaufnahme des "Gerichtsverfahrens" gegen den frueheren Diktator Saddam Hussein auf bbc-world zu sehen. Der von der US-Kolonialverwaltung eingesetze Richter eroeffnete einer jungen Verteidigerin Saddams, die er im April von der Verhandlung ausgeschlossen hatte, weil Sie es wagte ihm zu widersprechen, dass er sie wieder an der Verhandlung teilnehmen zu lassen gedenkt. |
Tja, wenn man nicht alles selber macht: Nicht auszudenken, wenn Amerika derartige Dummheiten in Nürnberg veranstaltet hätte...
_________________ Im Übrigen bin ich dafür, dass der Monotheismus zerstört werden muss.
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