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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#822542) Verfasst am: 20.09.2007, 19:26 Titel: Jean Meslier—der erste radikale Atheist |
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Literaturtipp:
* Meslier, Jean. Das Testament des Abbé Meslier: Die Grundschrift der modernen Religionskritik. Hrsg. Hartmut Krauss. 2. Aufl. Osnabrück: Hintergrund, 2005. (Nachdruck d. 1. Aufl., Suhrkamp, 1976)
"Das Testament des Abbé Meslier: Vermächtnis der Gedanken und Ansichten von Jean Meslier, Priester, Pfarrer von Etrépigny und Balaives, über einen Teil der Irrtümer und Mißstände in der Lenkung und Leitung der Menschen, worinnen sich klare und deutliche Beweise für die Eitelkeit und Falschheit aller Gottheiten und aller Religionen der Welt finden, das nach seinem Tode seinen Pfarrkindern zukommen soll, damit es ihnen und ihresgleichen als Zeugnis der Wahrheit diene."
Noch vor d'Holbach und den anderen französischen Aufklärern kritisiert Meslier in seinem aus Sicherheitsgründen (öffentliche Religionskritik war damals lebensgefährlich [und ist es heute zum Teil wieder]) erst posthum veröffentlichten Text den Gottesglauben, die Religionen sowie die Verflechtung von Politik und Religion in zuvor nicht dagewesener Schärfe.
§59, S. 301:
"Da aber alle diese [sozialen und politischen] Missstände, wie auch die Missbräuche und Irrtümer, von denen ich bereits gesprochen habe, auf nichts anderem als dem Glauben und der Überzeugung beruhen, dass es Götter oder doch zumindest einen Gott gebe, ein höchstes Wesen, das allmächtig, unendlich gut, weise und vollkommen ist und das von den Menschen in dieser oder jener Weise verehrt werden will, und da auch die Könige und Fürsten vorgeben, ihre Macht und Autorität von einem allmächtigen Gotte erhalten zu haben, der sie in seiner Gnade eingesetzt hat, um all die anderen Menschen zu regieren und ihnen zu befehlen, so muss jetzt dargelegt und noch einmal deutlich bewiesen werden, dass sich die Menschen hierin täuschen und es kein solches Wesen gibt, das heißt, dass überhaupt kein Gott existiert und dass die Menschen folglich den Namen und die Autorität Gottes fälschlich und missbräuchlich verwenden, um die Irrtümer ihrer Religionen zu verbreiten und aufrechtzuerhalten, genauso wie die Gewaltherrschaft ihrer Könige und Fürsten."
In der Einleitung des Herausgebers (Abschnitt V) ist zu lesen:
"Mesliers 'Testament' zeichnet sich dadurch aus, dass hier zum ersten Mal in umfassender und systematischer Weise radikale Herrschaftskritik und radikale Religionskritik eine 'organische' Verbindung eingehen. Im Grunde beginnt mit dieser kritischen Offenlegung religiöser und gesellschaftlicher Herrschaftssynthese der 'eigentliche' sozial- und subjektemanzipatorische 'Diskurs der Moderne'. So begegnen wir bei Meslier—im Unterschied zu den meisten Autoren der späteren Aufklärungsphilosophie—weder deistischer Rückversicherung noch der Utopie einer aufgeklärten Monarchie oder aber 'grenzenloser' Fortschrittsgläubigkeit. Genaugenommen liegt mit dem 'Testament' bereits zu Beginn der Aufklärungsepoche ein radikal-atheistischer Diskurs vor, der—trotz seiner konkret-historisch bedingten Grenzen—im späteren 18. Jahrhundert nicht mehr übertroffen, sondern nur noch auszugsweise plagiiert wird."
"Die Geschichte des Atheismus in Europa beginnt aber erst wirklich im 18. Jahrhundert mit den Franzosen Jean Meslier (1664-1729), Diderot (1713-1784), Holbach (1723-1789), Naigeon (1738-1810) und Cabanis (1757-1808)."
(Hiorth, Finngeir. Atheismus—genau betrachtet: Eine Einführung. Übers. A. E. Lenz. Neustadt a. Rbge.: Lenz, 1995. S. 26)
http://www.bfg-bayern.de/ethik/Personen/Meslier.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Meslier
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Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
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(#822546) Verfasst am: 20.09.2007, 19:29 Titel: |
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Sokrateer hat folgendes geschrieben: | alae ex igni hat folgendes geschrieben: | Ein frühes Beispiel für einen atheistischen Pfarrer: Jean Meslier |
Den kannte ich ja noch gar nicht.
Hier ist eine freie englische Übersetzung seines Werks: Superstition In All Ages
Und ich muss sagen ich bin alleine durch das schnelle Überfliegen und Lesen einiger Kapitel tief beindruckt. Da hat einer die wichtigsten Argumente und Einwände der Ungläubigen in kurzer und prägnanter Form niedergeschrieben und das vor 300 Jahren. Da sind einige Argumente darunter, von denen ich immer dachte, sie seien auf meinem Mist gewachsen. Das zeigt wieder mal, wie naheliegend viele dieser Einwände eigentlich sind. |
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#822605) Verfasst am: 20.09.2007, 20:28 Titel: |
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Wenn ich mich nicht irre, dann ist der unter obigem Link zu findende Text nicht der (reine) Originaltext von Meslier, sondern Voltaire's Verfälschung oder/und Holbach's selbstverfasster Text:
"1761 veröffentlicht Voltaire willkürliche Auszüge aus dem 'Testament', aus denen bewusst alle atheistischen, materialistischen und 'kommunistischen' Ausführungen entfernt sind. Meslier wurde in dieser Ausgabe im Grunde zu einem Deisten umgefälscht, der lediglich den Aberglauben der christlichen Religion und den politischen Einfluss der Geistlichen kritisiert. Wie Mensching bemerkt, erhielt dieser Auszug zum ersten Mal den Titel 'Testament', der folglich nicht authentisch ist, aber von nun an in die Überlieferung einging.
1772 gab der Baron Holbach eine religionskritische Schrift mit dem Titel 'Le bon sens' heraus. Die darin geäußerten atheistischen und materialistischen Gedanken wurden als authentische Darlegungen Mesliers ausgegeben, waren aber tatsächlich von Holbach im Anschluss an das 'Testament' formuliert worden. Am Vorabend der französischen Revolution erlebte diese entstellte Fassung, in der Mesliers Zielsetzung einer 'agrarkommunistischen' Gütergemeinschaft nicht vorkam, unter dem Titel 'Le Bon-Sens du curé Meslier' eine Neuauflage."
(Einleitung des Herausgebers, X)
Es handelt sich bei dem Text, wie ich vermutet hatte, um den Holbach-Text und nicht das Original von Meslier:
"PUBLISHER'S PREFACE.
By translating into both the English and German languages Le Bon Sens,
containing the Last Will and Testament of the French curate JEAN
MESLIER, Miss Anna Knoop has performed a most useful and meritorious
task, and in issuing a new edition of this work, it is but justice to
her memory [Miss Knoop died Jan. 11, 1889.] to state that her
translation has received the endorsement of our most competent critics."
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#823011) Verfasst am: 21.09.2007, 09:56 Titel: |
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Vor mir liegt die erste Ausgabe, in der auf die Verfälschung durch Voltaire und die bisherige Eiditionsgeschichte verwiesen wird: Das Testament des Abbe Meslier. Hrsg. von Günther Mensching. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976.
Das ist ja gut, dass es seit 2005 eine Neuausgabe gibt! Wenn man nach älteren Ausgaben sucht, wird man meist im ZVAB fündig, und da sah es mit Jean Meslier (1664-1729) schon seit Jahren nicht gut aus.
1970-1972 wurde eine kritische französische Ausgabe des Originalwerks von Jean Deprun, Roland Desne und Albert Soboul erarbeitete.
In der DDR hatten wir nur die sowjetische Ausgabe von 1937, ohne die Verfälschungen Voltaires.
Die französischen Aufklärungsforscher haben übrigens 2003 noch einen weiteren radikalen Denker ermittelt, der eine anonyme atheistische Schrift verfasste, Benoit de Maillet (1659-1738), den Verfasser des (*ooups, beinahe hätte ich etwas geschrieben) ... in dem, lange vor Darwin, die These vertreten wird, dass das Leben aus dem Wasser kommt und der Mensch vom Affen abstamme. Auch de Maillet wurde von Voltaire verhöhnt: sollen wir etwa anfangen, wieder auf allen Vieren herumzulaufen ...
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#823436) Verfasst am: 21.09.2007, 19:17 Titel: |
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Gibt es eine Ausgabe, die nicht von Krauss herausgegeben wurde?
EDIT: Ah, da stehts ja im Post über mir. Danke.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#823444) Verfasst am: 21.09.2007, 19:31 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | Gibt es eine Ausgabe, die nicht von Krauss herausgegeben wurde?
EDIT: Ah, da stehts ja im Post über mir. Danke. |
Die HINTERGRUND-Ausgabe ist ein Nachdruck des zuerst bei Suhrkamp 1976 erschienenen Meslier-Textes, der für die 2. Auflage mit einer neuen, von Krauss verfassten Einleitung versehen worden ist.
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#823447) Verfasst am: 21.09.2007, 19:32 Titel: |
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ok, dann werde ich hoffen, eine nicht von KRauss gemachte Ausgabe noch zu finden.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#823450) Verfasst am: 21.09.2007, 19:34 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | ok, dann werde ich hoffen, eine nicht von KRauss gemachte Ausgabe noch zu finden. |
Hast Du was gegen den Mann?
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#823453) Verfasst am: 21.09.2007, 19:37 Titel: |
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So ist es.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#823460) Verfasst am: 21.09.2007, 19:45 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | So ist es. |
Aha ...
(Krauss scheint Marxist zu sein, was man seiner Einleitung auch irgendwie anmerkt; aber ich würde nicht sagen, dass sie schlecht geschrieben oder uninformativ ist.)
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#823463) Verfasst am: 21.09.2007, 19:50 Titel: |
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Die Behauptunt, er scheine Marxist oder auch Linker zu sein, ist genau die richtige Formulierung. Er gehört eher wo anders hin... naja, mich stört abseits nicht öffentlich zu vertretender Dinge, der Schwachsinn, den er zum Moscheebau in Köln von sich gab: http://hpd-online.de/node/2026
Aber damit genuch zu ihm hier in diesem Thread.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#823470) Verfasst am: 21.09.2007, 19:59 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: |
Aber damit genuch zu ihm hier in diesem Thread. |
Was mich hauptsächlich interessiert, ist der Text von Meslier; und den hat Krauss unverändert von der Suhrkamp-Ausgabe übernommen.
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#823472) Verfasst am: 21.09.2007, 20:01 Titel: |
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Ja und dann brauch ich ja Krauss nicht zu finanzieren, wenn ich ne ältere Ausgabe finden kann.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#823475) Verfasst am: 21.09.2007, 20:05 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | Ja und dann brauch ich ja Krauss nicht zu finanzieren, wenn ich ne ältere Ausgabe finden kann. |
Krauss = Hintergrund-Verlag ?
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#823482) Verfasst am: 21.09.2007, 20:14 Titel: |
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Myron hat folgendes geschrieben: | Kival hat folgendes geschrieben: | Ja und dann brauch ich ja Krauss nicht zu finanzieren, wenn ich ne ältere Ausgabe finden kann. |
Krauss = Hintergrund-Verlag ? |
Nö, vermutlich nicht, aber als Herausgeber wird er vermutlich einen kleinen Anteil für jedes verkaufte Buch bekommen - allerdings kannst Du mich da berichtigen, so genau kenne ich mich da nun nicht aus.
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#824601) Verfasst am: 23.09.2007, 21:12 Titel: |
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Hallo, Werner Krauss (1900-1976) kann aber nicht gemeint sein, der Aufklärungsforscher aus der DDR. Er hat auch Jean Meslier erwähnt. Meines Erachtens besonders anregend von ihm seine Studien über die Aufklärer der "zweiten" und "dritten Reihe".
Krauss war im Zusammenhang mit der Harro-Schulze-Boysen-Gruppe wegen Widerstand gegen das NS-Regime zum Tode verurteilt worden und verfasste in der Haft einen Schlüsselroman. Er wurde wegen des Durcheinanders in den letzten Kriegstagen nicht hingerichtet. Seine Bibliothek wird im Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam aufbewahrt.
Es gibt eine Werner-Krauss-Gesamtausgabe, die auch Studien zur spanischen Literatur enthält. Über ihn zuletzt Hans Ulrich Gumbrecht: Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. 2002.
Ja, er war Marxist, und er hat besonders in Frankreich anregend gewirkt. Wenn es etwas an ihm zu kritisieren gibt - mit dem Moscheebau hat er mehr als 30 Jahre nach seinem Tod nichts zu tun.
Was die Sonderstellung Mesliers ausmacht: er kritisiert nicht nur den Gottesglauben, sondern auch die soziale Ungerechtigkeit, den parasitären Adel als Stütze des Ancien regime, er steht also auch am Beginn eines utopischen Kommunismus. Helvetius war als Generalsteuerpächter steinreich und Baron Holbach hielt grosses Haus - für die soziale Frage hatten sie kein Gespür.
Zuletzt bearbeitet von Telliamed am 23.09.2007, 21:16, insgesamt einmal bearbeitet |
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#824602) Verfasst am: 23.09.2007, 21:13 Titel: |
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Hartmut Krauss.
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#824749) Verfasst am: 24.09.2007, 01:10 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: |
Was die Sonderstellung Mesliers ausmacht: er kritisiert nicht nur den Gottesglauben, sondern auch die soziale Ungerechtigkeit, den parasitären Adel als Stütze des Ancien regime, er steht also auch am Beginn eines utopischen Kommunismus. |
Meslier's Religionskritik ist zugleich Gesellschaftskritik.
Telliamed hat folgendes geschrieben: |
Helvetius war als Generalsteuerpächter steinreich und Baron Holbach hielt grosses Haus - für die soziale Frage hatten sie kein Gespür. |
Das stimmt nicht, zumindest nicht, was Holbach betrifft (über Helvetius weiß ich zu wenig).
Zu Holbach's ethischer und politischer Theorie siehe: http://plato.stanford.edu/entries/holbach
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Myron Pansomatist
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3625
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(#829454) Verfasst am: 30.09.2007, 00:45 Titel: |
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"Jenes sogenannte unendlich vollkommene Wesen (.), das unsere Gottgläubigen Gott nennen, ist bloß eine Ausgeburt der Phantasie."
(Testament, Kap. 64, S. 305)
Meslier hat mit dem Schreiben seines "Testaments" ca. 1723 begonnen.
Ich kenne niemanden, der in einem vor 1723 verfassten Buch derart direkt die Existenz Gottes leugnet.
Oder kennt Ihr da jemanden?
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