PsychPhil registrierter User
Anmeldungsdatum: 06.11.2007 Beiträge: 107
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(#854588) Verfasst am: 07.11.2007, 00:56 Titel: Mit Moses gegen die Humanität |
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Mit Moses gegen die Humanität –
Der uralte Kampf der katholischen Kirche gegen die Wahrheit im neuen Gewand
Vielleicht sollte ich das Thema zunächst recht harmlos von der Theodizeefrage her angehen, von der ich eigentlich denke, daß sie längst erledigt sein sollte, denn die Frage danach, wie sich die Vorstellung eines gütigen, allmächtigen und allweisen Schöpfers angesichts des Leides in der Welt rechtfertigen läßt, ist nicht nur prinzipiell unbeantwortbar, sondern schlichtweg falsch gestellt.
Wer die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten einigermaßen überschaut, begreift sogleich, daß das ungeheure Ausmaß an Leid nicht das zufällige oder gewollte Produkt eines allmächtigen und weisen Schöpfergottes sein kann, der bei der Erschaffung der Welt alternativisch hätte vorgehen können.
Man braucht sich nur vor Augen halten, daß ca. 95% aller bisherigen Lebensformen, bis hin zum Neandertaler, von der Natur wieder zurückgenommen wurden, um schließlich alles heute existierende, einschließlich uns Menschen, hervorzubringen. So einfach sich eine solch einfache Tatschenfeststellung auch aussprechen läß, das ungeheure Ausmaß an Schmerz und Leid, daß sich hinter dieser Aussage verbirgt, ist nicht durch schöpferische Planung oder göttliche Vernunft zu rechtfertigen. Es ist keine reine Spekulation, sondern beweisbare Tatsache, daß alles, was heute existiert, aus den Anfangsbedingungen des Universums hervorgegangen ist. Konkret bedeutet das, daß die Entwicklung des Kosmos seit mindestens ca. 13,6 Millarden Jahren an keiner Stelle des Eingreifens eines Schöpfers bedurfte. Selbst wenn die letzte, schöpfungstheologische Lücke ausfüllen und sagen, daß Gott die Entwicklung des Universums vor undenklichen Zeiten immerhin durch seinen Schöpferwillen angeschoben hat, bleibt es beweisbare und überprüfbare Tatsache, daß mindestens seit dem Zeitpunkt 1hoch-47 Sekunden nach dem Ereignis, daß wir als Urknall bezeichnen, alle Entwicklung sich in Eigendynamik in Form von sich selbst organisierenden Prozessen im ständigen Schwanken zwischen Zufall und Notwendigkeit ereignet hat.
Um an dieser Stelle zur Theodizeefrage zurückzukehren, glaube ich, daß man schöpfungstheologisch mindestens die Fragestellung verändern müßte, denn wenn ein Gott diese ganze Entwicklung so angeschoben hat, daß sich zwangsläufig daraus ein enormes Maß an Leid ergeben muß, dann hätte er es vorhersehen können, also muß die Frage konsquenterweise nicht lauten, wieso Gott das Leid zuläßt, sondern, weshalb es es bewußt so gewollt und geplant hat! – Und das ist meines Erachtens nach die Stelle, wo alle Schöpfungstheologie sich auflöst, denn wer unter den heutigen Theologen stellt sich einer solchen Fragestellung?
Ich habe meine Bemerkung mit deragrtigen Überlegungen begonnen, um zu anzudeuten, daß bestimmte, auch heute noch von der Kirche vermittelten Gottesvorstellungen tatsächlich als naiv betrachtet werden müssen. Es ist für mich seit dem Religionsunterricht in der Grundschule, über den Konfirmandenunterricht bis heute unbegreifbar, daß es auch heutzutage in unserer scheinbar so aufgeklärten Gesellschaft immer noch Leute gibt, die ernsthaft daran glauben, daß z.B. Adam und Eva historische Personen waren, und daß das Leid in der Welt sich nicht etwa durch Zwangsläufigkeiten der Evolution, sondern durch die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies erklären läßt, daß also auch die sogenannte Erbsündenlehre der Kirche als historisches Faktum zu betrachten ist.
An dieser Stelle muß ich persönlich werden und bekennen, daß es sich bei derartigen Überzeugungen meiner Meinung nach nicht mehr nur um eine Art kindlichen Aberglaubens, sondern um eine geradzu groteske Form der Geistesschlichtheit handelt, so etwas noch für möglich zu halten.
Diese Bemerkung ist auch deshalb wichtig, da wir seit ein paar Jahren erleben müssen, daß z.B. in bestimmten Regionen in den USA der sogenannte „Kreationismus“, also die „reine“ Schöpfungslehre, wieder fester Bestandteil des Schulunterrichtes gworden ist, und daß dafür bestimmte, ganz simple Grundtatsachen der Biologie Schritt für Schritt wieder aus dem Unterricht verbannt werden sollen. Man beachte: Der Kreationismus soll nicht etwa in den Religionsunterricht gehören, er soll allen Ernstes das Fundament im Biologieunterricht darstellen! (Übrigens, nur als kleine Nebenbemerkung, der derzeitige Präsident der USA ist ein glühender Verfechter dieses ganzen Unfugs.)
Ich glaube nicht, daß es religiös, pädagogisch oder einfach rein menschlich irgendwie zu rechtfertigen ist, daß zunehmend auch in Europa hochgestellte „Persönlichkeiten“ in Kirche und Gesellschaft verstärkt dazu übergehen, eine Pädagogik anzustreben, die dazu führt, unser biologisches Erbe aus der Evolution zu verleugnen, und damit also weiterhin das immer schon falsche, oder zumindest stark verkürzte Menschenbild der Kirche zu vermitteln.
Es ist wahrlich kein Spaß, worum es in der Konsquenz geht, denn es stehen nicht weniger als wichtige Errungenschaften der Humanität auf dem Spiel. Je mehr Anhänger des Kreationismus gesellschaftliches und kirchliches Ansehen, und darüber hinaus auch politische Macht erringen, umso bedrohlicher wird die Situation für alle, die nicht dem konservativ vermittelten Werteverständnis dieser Kreise entsprechen. Um es nicht noch weiter auszuführen, reicht ein einziger Blick in den Weltkatechismus der katholischen Kirche aus dem Jahre 1993: Vor- oder außereheliche Sexualität ist schwere Sünde; Ehescheidung ist schwere Sünde; Homosexualität ist schwere Sünde; die Todesstrafe entspricht unter bestimmten Voraussetzungen göttlichem Willen, ebenso der Krieg, wenn er denn den eigenen Interessen nützt...
Was sich getarnt unter Oberfläche theologischer und religiöser Scheindebatten wirklich verbirgt, kann an dieser Stelle offen ausgesprochen werden, es geht in Wirklichkeit darum, die Gesellschaft so zu manipulieren, daß das sehr eng gefaßte Menschenbild bestimmter Kreise wieder die Grundlage für die Gesetzgebung ganzer Staaten bilden kann.
Also im Endeffekt die USA als weltweiter Verfechter des mosaischen Gesetzes in seiner schlimmsten Form!
Wem dies übetrieben scheint, der braucht z.B. nur zu sehen, wie hohe Vertreter der katholischen Kirche sich auch in den USA als Vortragsredner profilieren, indem sie gerade den Kreationismus als Bollwerk gegen die Evolutionslehre auffahren, so wie es zwischen den Zeilen Kardinal Schönborn in einem Artikel für die New York Times getan hat.
Der immer wieder neu aufflammende Kampf des Katholizismus gegen die Evolutionslehre hat auch in Westeuropa längst Einzug gehlten. Und es wäre höchst naiv zu glauben, daß es nur darum geht, bestimmte „religiöse Werte“ zu erhalten, nein, das Ziel wurde soeben angedeutet, der militante Kampf gegen eine offene, humane und tolerante Gesellschaft wird ganz offen ausgetragen, das Ziel iet eine moderne Form eines Gottesstaates, indem jede Abweichung von bestimmten Normen mindestens mit dem Ausschluß aus der „guten“ Gesellschaft bestraft wird, wobei die Anwendung jeder Form der Ächtung, bzw. Bestrafung, von der öffentlichen Diffarmierung bis hin zur Todesstrafe, in immer mehr Gebieten „religiöser“ oder „sozialer“ „Abnormitäten“ nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern als reiner göttlicher Wille propagiert und exekutiert wird.
Wie darauf zu reagieren sei, ist klar, was wir zunächst dringend brauchen, ist nicht etwa eine Verstärkung des Werteempfindens, z.B. im Sinne eines Papstes Ratzinger auf dem Weltjungendtag, was wir brauchen, ist eine neue Form der Aufklärung, in der keine Erkenntnis der modernen Wissenschaft dem Katholizismus oder dem „Mosaismus“ in seiner schlimmsten Form ganz öffentlich zum Fraß vorgeworfen werden darf.
Was würde sich als Maxime im Engagement gegen die wieder aufkeimende falsche und inhumane Form der Religiösität besser eignen als der allbekannte Satz „Wehret den Anfängen“... - V.B.
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