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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1044374) Verfasst am: 14.07.2008, 17:23 Titel: O. G. Klein: Ost - West reden aneinander vorbei |
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Nach einigen Jahren nahm ich wieder einmal aus aktuellem Anlaß ein Büchlein zur Hand, das in dieser Rezension vorgestellt wird.
http://www.newsatelier.de/html/ost-west.html
Seit Jahren als nahezu einziger Bewohner aus den neuen Bundesländern in Einrichtungen tätig, in denen die Bewohner der alten Bundesländer absolut vorherrschen, ist für mich der Umgang miteinander zu einem Problem geworden, das nicht nur "theoretisch" von Interesse ist, sondern auch meinen Alltag beeinflusst. Es gibt einen gewissen "Leidensdruck", wenn man sich immer wieder damit beschäftigen muss: Probleme können entstehen, wenn man in einer Gruppe (in West genannt: Team; im Osten: Kollektiv) gemeinsam Projekte bearbeitet, Verhandlungen führt, einen Konsens aushandelt, wenn der Leiter aus dem jeweils anderen Teil kommt.
Am einfachsten ließen sich entsprechende Betrachtungen mit dem Hinweis abwehren, "wir seien doch alles Deutsche" und die Unterschiede zwischen Bayern und Holsteinern seien eventuell größer als die zwischen Ost- und Westdeutschen.
Wir sprechen zwar die gleiche Sprache, und bis auf ganz wenige Ausnahmen (den Goldbroiler) sind es die gleichen Wörter. Aber man ist jeweils mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund aufgewachsen.
Sodann werden - nehme ich an - Vertreter der jüngeren Generationen kommen und sagen, dass sie im Alltag kaum merken, wer woher kommt und das ohnehin kaum noch von Belang sei.
Ich habe jedenfalls schon oft die Erfahrung gemacht, dass sich im Umgang miteinander Kommunikationsprobleme ergeben, deren Ursachen eben nicht so ohne weiteres sichtbar werden.
Was den Autor Olaf Georg Klein betrifft, Jahrgang 1955, Berlin-Ost, Theologe aus dem Widerstand, der mehrfach inhaftiert war, der als Coach auftritt und dann auch noch ein Buch über den Umgang mit der Zeit geschrieben hat (was einen nicht so brennend interessiert, wenn einem nicht aus eigener Wahl, sondern ganz objektiv von außen Zeitmangel aufgedrängt wird), so hat er Feldforschungen betrieben, Beobachtungen gemacht.
von denen ich sehr viele für verblüffend zutreffend halte. Manchem kann ich aber nicht zustimmen. Ob das daran liegt, dass ich mich seit Jahren zu wenig unter meinen ehemaligen "Landsleuten" aus dem Osten aufhalte?
Österreicher und Schweizer mögen sich zurücklehnen. Sie können sich in bezug auf das, was von mir zu ihren Ländern kommen könnte, beruhigt zurücklehnen : mir hat es in beiden Ländern, wo ich nach der Wende jeweils nur kurz war, sehr gut gefallen, und sie mögen sich bisher aus gutem Grund mit den speziellen Befindlichkeiten von Ostdeutschen nicht zu sehr befasst haben.
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1044391) Verfasst am: 14.07.2008, 17:51 Titel: |
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1,5 Millionen sind allein nach 1989 nach dem Westen gegangen. Einige Hunderttausend aus dem Westen begannen im Osten zu arbeiten, oft aufopferungsvoll.
Dutzende Millionen von Leuten brauchten sich allerdings mit der Kommunikation Ost - West in den seltensten Fällen zu befassen. Es interessierte oft viel mehr, was in Frankreich oder Spanien passierte, als im Fernen Osten - nicht als Vorwurf sei es gebracht!
Luise Endlich, die es aus dem Westen in die Mark Brandenburg verschlug, erfasste das blanke Entsetzen angesichts der Dumpfheit und Rohheit ihrer Trainingshosen tragenden "Landsleute", sie schrieb darüber ein Buch und entfloh.
Oft kommen die Unterschiede als "Schuldzuweisungen" daher: Ihr seid egoistische Selbstdarsteller! Ihr seid weinerliche Selbstbemitleider!
Nenne mal als Ostler in einer Bewerbung Deine wichtigsten Schwächen, und Du wirst sehen, wie das ausgeht (vor 1989 bewarb man sich in der DDR nicht um einen Posten, sondern wurde auf ihn delegiert).
Mal sehen, ob das jemand auch so empfindet:
- Wenn Ostler jemandem aus dem Westen zu lange in die Augen schaut, wird das oft als zudringlich empfunden.
- Über Kleidung wird in den alten Bundesländern vielfach der Status bestimmt, der Ostler interessiert sich für den Menschen unter der Kleidung (nicht nur im erotischen Sinne ). Wenn jemand viele Statussymbole trägt, hat er auch besonders viele Unzulänglichkeiten zu verbergen, denkt Ost ??
- Pausen im Redefluß. Sind auf Westseite viel kürzer, was nichts mit der Sprechgeschwindigkeit zu tun hat. Er gibt Ost eine kurze Chance, sich ebenfalls zu äußern, redet aber weiter. Die Pause ist zu kurz. Ost denkt: der hält ununterbrochen Monologe und merkt es gar nicht, dass er den anderen nicht zu Wort kommen lässt.
- In der Versammlung. Leiter West: "Hat noch jemand einen Einwand?" Die Westkollegen äußern sie, die aus dem Osten schweigen. Westleiter wundert sich maßlos, daß Ostleute die vereinbarungen mitunter nicht einhalten oder sabotieren. Sie hatten keine speziellen Einwände geäußert, signalisieren aber durch ihr schweigen, dass sie auch nicht zugestimmt haben. Schweigen West bedeutet häufig: Einverstanden! Schweigen Ost häufig: Nein!
Das "Nein" wird von seiten Ost selten deutlich gesagt (wegen der Machtverhältnisse). Den Westler "auflaufen" lassen, keinen Streit suchen.
- Gesprächseröffnung a la small talk: West - die schönen und guten Seiten am Anfang zu betonen, um eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Ost: "Wir-Gefühl" herstellen, indem man erst einmal auf die jetzigen "schlechten Zeiten" verweist, dann wird es zunehmend besser.
- Es gibt auch amerikanisch-englische "Kommunikationsschocks" - kann ich nichts zu aus eigener Erfahrung sagen. Klein untersucht, ab wann es im Kontakt zwischen amerikanischen Soldaten und englischen Mädchen zum ersten Kuß und dann zur Sache (oder auch nicht) geht; Selbst- und Fremdwahrnehmung sind enorm verschieden.
- Versuch, Konsens herzustellen - bei Ost von vornherein und auch noch dann, wenn West meint, dass durch Abstimmung eigentlich alles entschieden ist. Ost denkt: "Mehrheitsentscheidung oft fauler Kompromiß und nicht gut. Hätten wir nicht noch länger Konsens suchen können?" West denkt: "Sind die aber demokratieunfähig, wenn Mehrheitsbeschlüsse nicht bindend sind, auch wenn sie idiotisch sind!"
Wichtig erscheint mir: Es geht bei diesen kommunikativen Besonderheiten nicht um "besser" oder "schlechter", sondern die haben sich eben so in Jahrzehnten entwickelt, beide haben ihre Vorteile und Nachteile, wenn es denn zum Kontakt kommt.
Diese Unterschiede müssen nicht als notwendiges Übel angesehen werden, sondern bieten auch eine gewisse Chance!
Das alles war auch von Anfang meines Hierseins im FGH zu beobachten.
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Torsten dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 25.09.2003 Beiträge: 3456
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(#1044399) Verfasst am: 14.07.2008, 17:56 Titel: |
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"Ost - West reden aneinander vorbei"
Atheisten und Theisten doch auch.
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astarte Foren-Admin

Anmeldungsdatum: 13.11.2006 Beiträge: 46545
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(#1044419) Verfasst am: 14.07.2008, 18:24 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: |
- Über Kleidung wird in den alten Bundesländern vielfach der Status bestimmt, der Ostler interessiert sich für den Menschen unter der Kleidung (nicht nur im erotischen Sinne ). Wenn jemand viele Statussymbole trägt, hat er auch besonders viele Unzulänglichkeiten zu verbergen, denkt Ost ?? |
Och, da bin ich ein wenig "ost".
Zitat: | - In der Versammlung. Leiter West: "Hat noch jemand einen Einwand?" Die Westkollegen äußern sie, die aus dem Osten schweigen. Westleiter wundert sich maßlos, daß Ostleute die vereinbarungen mitunter nicht einhalten oder sabotieren. Sie hatten keine speziellen Einwände geäußert, signalisieren aber durch ihr schweigen, dass sie auch nicht zugestimmt haben. Schweigen West bedeutet häufig: Einverstanden! Schweigen Ost häufig: Nein! |
Ohne die Frage naja gut, aber wenn man schon nach Einwänden fragt, finde ich das ja auch ...ähm...bekloppt. (weißt du ja schon)
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart
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(#1044423) Verfasst am: 14.07.2008, 18:27 Titel: |
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Oh; es gibt da jede Menge Gruppen die aneinander vorbeireden. Männer und Frauen sind das klassische Beispiel. Die haben ein völlig anderes Kommunikationsverständniss. Aber auch Nordländer - Südländer, Europäer - Asiaten, usw usw.
Ein diesbezüglich interresantes Buch ist von Paul Watzlawicks: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" Kann ich jeden empfehlen der immer meint "er drücke sich ja richtig aus, die andern jedoch nicht".
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1044462) Verfasst am: 14.07.2008, 18:53 Titel: |
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Zitat: | Telliamed hat folgendes geschrieben:
- Über Kleidung wird in den alten Bundesländern vielfach der Status bestimmt, der Ostler interessiert sich für den Menschen unter der Kleidung (nicht nur im erotischen Sinne ). Wenn jemand viele Statussymbole trägt, hat er auch besonders viele Unzulänglichkeiten zu verbergen, denkt Ost ?? |
@astarte
Zitat: | Och, da bin ich ein wenig "ost". |
Der Autor gibt dann den Ratschlag, im Westen nicht gerade paradiesvogelmäßig in Klamotten zu erscheinen, die in schreiendem Widerspruch zum eigentlichen Wesen als Persönlichkeit stehen, sich also nicht zu "verkleiden".
Ich gehe im allgemeinen auch nicht nach der Kleidung (von dem erotisch Anziehenden der Frauen einmal abgesehen ), wenn einem einer nicht allzu "abgefahren" daherkommt. Man hat schon die tollsten Leute in völlig abgeschabten Klamotten kennengelernt. Hab das wohl nur der Vollständigkeit halber gebracht.
Zitat Telliamed:
Zitat: | - In der Versammlung. Leiter West: "Hat noch jemand einen Einwand?" Die Westkollegen äußern sie, die aus dem Osten schweigen. Westleiter wundert sich maßlos, daß Ostleute die vereinbarungen mitunter nicht einhalten oder sabotieren. Sie hatten keine speziellen Einwände geäußert, signalisieren aber durch ihr schweigen, dass sie auch nicht zugestimmt haben. Schweigen West bedeutet häufig: Einverstanden! Schweigen Ost häufig: Nein! |
@astarte Zitat: | Ohne die Frage naja gut, aber wenn man schon nach Einwänden fragt, finde ich das ja auch ...ähm...bekloppt. (weißt du ja schon) |
Das wichtigste Wort ist da wohl: spezielle Einwände - haben sie nicht. Das heißt aber noch nicht, daß nicht unter Umständen überhaupt das ganze Projekt abgelehnt würde. Ich bin mir da nicht ganz sicher, ob das meistens so abläuft und ob man hier überhaupt etwas verallgemeinern kann.
Ein weiteres Kapitel ist: Gilt Schriftliches - gilt mündliche Verabredung. Warum haben so viele aus dem Osten überaus schädliche Verträge unterschrieben. Nicht nur weil sie das "Kleingedruckte" nicht lasen bzw. deuten konnten, sondern auch weil sie die schriftliche Vertragsform falsch bewerteten.
Und da @vrolijke auch noch auf die anderen Felder der Kommunikationsprobleme hinwies:
Es gibt da ein Kapitel: "Du bist anders, und das ist wunderbar. Spezielle Verständnisprobleme zwischen Männern und Frauen in Ost und West", das von anderen Rezensenten wiederum als das am meisten mißlungene hingestellt wurde. Will ich Dir, @astarte, aber nichts daraus antun, weil es anderso genügend Beziehungsthreads gibt, die Dir nicht so behagen dürften . Eines vielleicht dennoch: Westmann fängt an, seine Seriosität zu unterstreichen: meine Karriere, mein Einkommen, erwartet vielleicht auch keinen großen Beifall, aber vielleicht wohlwollende Kenntnisnahme, erntet jedoch von Ostfrau spöttische, skeptische Blicke ... nun ja, vielleicht wird es hier mehr "spielerisch", weil Klein auf den Gebieten auch keine Feldforschungen mehr anstellte ...
Und den noch: "Lieber trockenes Brot in Frieden als Gesottenes im Streit." (Ost)
Es gilt also einen Mittelweg zu finden: die Unterschiede nicht überbewerten, und in jedem "Lager" dürfte es auch typische Exemplare des jeweils anderen "Lagers" geben, aber auch nicht so tun, als gäbe es diese Probleme nicht.
Sie haben in der Wirtschaft unter Umständen große Bedeutung. Schon so mancher gemischte Kleinbetrieb ist an so etwas zugrunde gegangen, der bei besserer Kommunikation hätte munter überleben können.
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Peter H. dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 24.06.2007 Beiträge: 9751
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(#1044463) Verfasst am: 14.07.2008, 18:56 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | 1,5 Millionen sind allein nach 1989 nach dem Westen gegangen. Einige Hunderttausend aus dem Westen begannen im Osten zu arbeiten, oft aufopferungsvoll.
Dutzende Millionen von Leuten brauchten sich allerdings mit der Kommunikation Ost - West in den seltensten Fällen zu befassen. Es interessierte oft viel mehr, was in Frankreich oder Spanien passierte, als im Fernen Osten - nicht als Vorwurf sei es gebracht!
Luise Endlich, die es aus dem Westen in die Mark Brandenburg verschlug, erfasste das blanke Entsetzen angesichts der Dumpfheit und Rohheit ihrer Trainingshosen tragenden "Landsleute", sie schrieb darüber ein Buch und entfloh.
Oft kommen die Unterschiede als "Schuldzuweisungen" daher: Ihr seid egoistische Selbstdarsteller! Ihr seid weinerliche Selbstbemitleider!
Nenne mal als Ostler in einer Bewerbung Deine wichtigsten Schwächen, und Du wirst sehen, wie das ausgeht (vor 1989 bewarb man sich in der DDR nicht um einen Posten, sondern wurde auf ihn delegiert).
Mal sehen, ob das jemand auch so empfindet:
- Wenn Ostler jemandem aus dem Westen zu lange in die Augen schaut, wird das oft als zudringlich empfunden.
- Über Kleidung wird in den alten Bundesländern vielfach der Status bestimmt, der Ostler interessiert sich für den Menschen unter der Kleidung (nicht nur im erotischen Sinne ). Wenn jemand viele Statussymbole trägt, hat er auch besonders viele Unzulänglichkeiten zu verbergen, denkt Ost ??
- Pausen im Redefluß. Sind auf Westseite viel kürzer, was nichts mit der Sprechgeschwindigkeit zu tun hat. Er gibt Ost eine kurze Chance, sich ebenfalls zu äußern, redet aber weiter. Die Pause ist zu kurz. Ost denkt: der hält ununterbrochen Monologe und merkt es gar nicht, dass er den anderen nicht zu Wort kommen lässt.
- In der Versammlung. Leiter West: "Hat noch jemand einen Einwand?" Die Westkollegen äußern sie, die aus dem Osten schweigen. Westleiter wundert sich maßlos, daß Ostleute die vereinbarungen mitunter nicht einhalten oder sabotieren. Sie hatten keine speziellen Einwände geäußert, signalisieren aber durch ihr schweigen, dass sie auch nicht zugestimmt haben. Schweigen West bedeutet häufig: Einverstanden! Schweigen Ost häufig: Nein!
Das "Nein" wird von seiten Ost selten deutlich gesagt (wegen der Machtverhältnisse). Den Westler "auflaufen" lassen, keinen Streit suchen.
- Gesprächseröffnung a la small talk: West - die schönen und guten Seiten am Anfang zu betonen, um eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Ost: "Wir-Gefühl" herstellen, indem man erst einmal auf die jetzigen "schlechten Zeiten" verweist, dann wird es zunehmend besser.
- Es gibt auch amerikanisch-englische "Kommunikationsschocks" - kann ich nichts zu aus eigener Erfahrung sagen. Klein untersucht, ab wann es im Kontakt zwischen amerikanischen Soldaten und englischen Mädchen zum ersten Kuß und dann zur Sache (oder auch nicht) geht; Selbst- und Fremdwahrnehmung sind enorm verschieden.
- Versuch, Konsens herzustellen - bei Ost von vornherein und auch noch dann, wenn West meint, dass durch Abstimmung eigentlich alles entschieden ist. Ost denkt: "Mehrheitsentscheidung oft fauler Kompromiß und nicht gut. Hätten wir nicht noch länger Konsens suchen können?" West denkt: "Sind die aber demokratieunfähig, wenn Mehrheitsbeschlüsse nicht bindend sind, auch wenn sie idiotisch sind!"
Wichtig erscheint mir: Es geht bei diesen kommunikativen Besonderheiten nicht um "besser" oder "schlechter", sondern die haben sich eben so in Jahrzehnten entwickelt, beide haben ihre Vorteile und Nachteile, wenn es denn zum Kontakt kommt.
Diese Unterschiede müssen nicht als notwendiges Übel angesehen werden, sondern bieten auch eine gewisse Chance!
Das alles war auch von Anfang meines Hierseins im FGH zu beobachten. |
Interessanter Bericht und ganz gewiss nicht verkehrt. Anzumerken ist in dem Zusammenhang noch, dass im Westen/der Wessi oft von einem hypertrophierten Individualismus auszugehen ist, sprich Ausdruck einer/seiner Wirtschaftsordnung, deren Ableger er mehr oder minder ist.
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astarte Foren-Admin

Anmeldungsdatum: 13.11.2006 Beiträge: 46545
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(#1044475) Verfasst am: 14.07.2008, 19:11 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: |
@astarte
Zitat: | Och, da bin ich ein wenig "ost". |
Der Autor gibt dann den Ratschlag, im Westen nicht gerade paradiesvogelmäßig in Klamotten zu erscheinen, die in schreiendem Widerspruch zum eigentlichen Wesen als Persönlichkeit stehen, sich also nicht zu "verkleiden". |
Ach was... sorry, ein "Insider"-Witz, hat nichts mit dem Thema an sich zu tun
Zitat: | Und da @vrolijke auch noch auf die anderen Felder der Kommunikationsprobleme hinwies:
Es gibt da ein Kapitel: "Du bist anders, und das ist wunderbar. Spezielle Verständnisprobleme zwischen Männern und Frauen in Ost und West", das von anderen Rezensenten wiederum als das am meisten mißlungene hingestellt wurde. Will ich Dir, @astarte, aber nichts daraus antun, weil es anderso genügend Beziehungsthreads gibt, die Dir nicht so behagen dürften | .
Ohweh, nein du musst dich nicht nach mir richten!
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1044849) Verfasst am: 15.07.2008, 10:06 Titel: |
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Vor mehr als zwei Jahren kam ich, zwar schon vorher im Westen arbeitend, aber ursprünglich aus dem Osten, in eine "Mittelkleinstadt" der alten Bundesländer.
Zweifellos gibt es auch schon Kontaktzonen, wie das Berliner Zentrum und ehemals grenznahe Gebiete, wo die Durchmischung und Anpassung schon weit vorangeschritten sind und eine Spezies, eine Mischform wie "Wossis", entstanden ist.
Trotzdem wurde selbstverständlich erwartet, dass sich die Ostleute an die im Westen geltenden Standards anpassen, war doch auch das gesamte ökonomische und juristische System nach Einigungsvertrag übernommen worden und stellten die Ostler nur nahezu ein Viertel der Gesamtbevölkerung dar.
Sich selbst brauchte man ja nicht zu ändern. Die Bereitschaft zur Anpassung war im Osten in den ersten Jahren denn auch groß, wollten sich doch viele der Pauschalvorwürfe erwehren, nicht flexibel, mobil und weltläufig genug, zu obrigkeitshörig zu erscheinen.
Macht man sich nichts vor: wir waren die "Verlierer", so wie Deutschland insgesamt 1945 als "Verlierer" dastand. Während in den westlichen Zonen amerikanischer Stil und Lebensweise durchdrangen, lebten die Angehörigen der sowjetischen Besatzungsmacht weitgehend unter sich. Die Zahl der Ostdeutschen, die sich vorwiegend auf die Sowjetunion orientierten, dort arbeiteten oder studierten, denen die amerikanische Lebensweise völlig fremd blieb und die bei der Erwähnung der USA bis 1975 als erstes Stichwort an Vietnam dachten, blieb auf einige hunderttausend, vielleicht eine Million Menschen beschränkt, die meisten hatten das prosperierende Vorbild im Westen vor Augen.
Es stellte sich heraus, dass es ein Trugschluß wäre, anzunehmen, dass die Beseitigung der ökonomischen und sozialen Strukturunterschiede auch einen Wandel der Mentalitäten mit sich gebracht hätte, die sich in Jahrzehnten herausgebildet hatten. Man könnte sagen: zu vernachlässigende Größe - wenn die Kommunikationsprobleme nicht auch praktische Folgen hätten.
Da ich der einzige war, der noch bis 1989 in der DDR gelebt hatte (andere sind vor Jahrzehnten übergewechselt), musste ich naturgemäß gut beobachten, wie ich mit den Kollegen zurechtkam. Die ersten Klippen, die Olaf Georg Klein beschreibt, wurden, denke ich, erfolgreich umschifft.
Die Kollegin, die sagte "Bei uns gibt man sich nicht die Hand", war dann aber auch ursprünglich aus den USA. Dass der Körperabstand zwischen zehn und dreißig Zentimeter verschieden empfunden wurde, wusste ich schon aus dem mir vertrauten Schlangestehen in Moskau, wo man sich arg auf die Pelle rückt. Andere Körperberührungen "auf fremdem Gebiet", wie sie bei O. G. Klein erwähnt werden, leiste ich mir sowieso nicht. Einige Kapitel sind also abgehakt.
@Vrolijke Paul Watzlawick kenne ich auch, das greift dann schon in allgemeinere Bereiche der Kommunikation. Du bist ja auch in Deinem Buch darauf eingegangen. Wobei z.B. Dein Teil über den "Neid"-Komplex eher auf ein über einen gewissen Zeitraum statisches Verhältnis der Menschen zueinander bezogen ist, nicht auf eine verlängerte "Wohnwagen"- und ICE-Situation (das war jetzt - für Dich als Belgier - nicht auf die benachbarten Niederländer speziell gemünzt, sondern auf viele Ost-West-Pendler )
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1044854) Verfasst am: 15.07.2008, 10:22 Titel: |
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@Peter H.
Zitat: | Interessanter Bericht und ganz gewiss nicht verkehrt. Anzumerken ist in dem Zusammenhang noch, dass im Westen/der Wessi oft von einem hypertrophierten Individualismus auszugehen ist, sprich Ausdruck einer/seiner Wirtschaftsordnung, deren Ableger er mehr oder minder ist. |
Das heisst, man ist im Westen gezwungen, sich selbst gut darzustellen, weil die Verhältnisse einen dazu zwingen. Das "Sichkleinmachen" bei vielen Ostlern hatte, ganz im Gegenteil, die Funktion, ja nicht aus der Masse herauszuragen und als ausgeprägtes Individuum (der aus der Schulzeit bekannte "Streber") zu erscheinen, weil man entweder a) neue Aufgaben übertragen bekommen hätte ("Dann kann der das ja auch noch machen!") oder b) allmählich ins Visier der Staatsmacht geraten wäre, denn wenn einer originell ist, dann muss er das ja irgendwo her, aus irgendeiner dunklen, verbotenen, westlichen Quelle haben.
Bei den Frauen aus dem Osten spielte eine enorme Rolle, dass wohl 93 Prozent der arbeitsfähigen von ihnen in der Produktion, in mehr oder weniger stabilen Arbeitsverhältnissen standen.
Die Vereinbarung von Kinderwunsch und Arbeit brachte zwar viele, zum Teil schwere Probleme
mit sich, wurde aber als Normalfall empfunden.
Das heisst, die materielle Abhängigkeit der Frauen von einem gut verdienenden Ehemann spielte in der Regel keine Rolle. Wenn der Mann einer Frau zu komisch kam, konnte sie ohne weiteres wieder gehen. "Feministinnen" (*sich vorsichtig umguck, wer noch in der Nähe ist*) haben in der Regel die "weiblichen" Gesten von Ostfrauen als "Unterwerfungs-Gesten" mißverstanden, die zu DDR-Zeiten in den Betrieben und Institutionen in enormem Umfange auf das Klima einwirkten, auch wenn auf den höheren Posten dennoch wieder Männer saßen. Man könnte dem Autor allerdings tatsächlich zum Vorwurf machen, wie das auch eine Rezensentin tat, dass er alles auf der psychologischen, therapeutischen Schiene beließ und zu wenig den sozialen Verhältnissen als Ursache für die Unterschiede nachging.
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