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Können Tiere denken?
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2159909) Verfasst am: 15.12.2018, 20:08    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Übrigens ist auch der KI letztlich nicht wirklich kategorisch, aber das wäre doch zu sehr OT hier.
Wenn man ihn utilitaristisch deutet natürlich nicht, in dem Fall wäre er einfach ein hypothetischer Imperativ und damit recht uninteressant - wie der Utilitarismus eben auch.
Tja, ich dagegen finde Metaphysik total unspannend - und vor allem gefährlich.
Also, wenn du mit "Metaphysik" sowas die lieben Englein meinst: die sind nicht die einzige Alternative zur englischen Krämermoral...

Nee, mit "Metaphysik" meine ich hier das, was eine "Prüfinstanz" für menschengemachte Maximen zu etwas prinzipiell Anderem machen soll als einer menschengemachten Obermaxime. Kants deontologische Restkontamination sozusagen.


Ach so, also quasi Kants Pflichtbegriff. Ja, da muss man, denke ich, drei Aspekte unterscheiden: Zum einen die Frage, was allein "moralische Pflicht" heißen kann (nämlich kategorische Imperative) dann, was allein die Inhalte kategorischer Imperative sein können (die unterschiedlichen Formulierungen des KIs) und schließlich dann die Frage nach der Möglichkeit und Realität derartiger Pflichten. Die ersten beiden Punkte sind eher analytischer Natur, sodass sich deine Kritik eigentlich nur auf den letzten Punkt beziehen kann. Ja und da geht’s dann ans eingemachte, indem sehr grundsätzlich die Zusammenhänge von Handeln, Willen, Freiheit, Subjektivität etc. behandelt werden, also tatsächlich Kernthemen der neuzeitlichen Metaphysik. Mag man im Detail einiges dran kritisieren können, aber dass das in anderen Moral- und Handlungstheorien jetzt wesentlich plausibler oder gründlicher, gar undogmatischer geschehen wäre, würde ich dann doch mal in Zweifel ziehen.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2159923) Verfasst am: 15.12.2018, 21:54    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Man könnte vielleicht dafür argumentieren, dass sich die genannten Forderungen, umformuliert als Maximen (also z.B.: "Wenn ich Auto fahre, dann bemühe ich mich stets so zu fahren, dass...") für Verkehrsteilnehmer aus dem KI ergeben müssten, aber umgekehrt kann aus einer konkreten Maxime nicht der Inhalt des KI erschlossen werden ...

Daß aus einer konkreteren Maxime nicht deduktiv auf eine allgemeinere geschlossen werden kann, ist trivial. Das ist natürlich auch im Utilitarismus so.

Umgekehrt geht es allerdings vor allem beim KI nicht: um von "jeder soll so handeln, daß er wollen kann, daß etwas allgemeines Gesetz wird" deduktiv zu einer brauchbaren Maxime zu kommen, muß man wesentliche Zusatzannahmen machen - unter anderem über so Dinge wie Interessensausgleich, Natur, Kultur usw. Letztlich muß man vorschlagen, wie sich eine Gesellschaft auf eine Ethik einigen soll - nur Kant lesen/verstehen reicht nicht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... was allein "moralische Pflicht" heißen kann ... was allein die Inhalte kategorischer Imperative sein können ... Möglichkeit und Realität derartiger Pflichten. ...

Nach meinem Verständnis begründet Kant überhaupt nicht aus heutiger Sicht überzeugend, warum er diese Imperative für "kategorisch" hält bzw. inwiefern das bedeutet, daß sie in irgendeiner Weise fundamental sind.

Um mal wieder auf die KI (nicht den KI) zurückzukommen: Ich denke, die werden von selbst Ethiken ausbilden, die auf fundamentaleren Prinzipien beruhen: Extremwertanalyse, Gesetz der großen Zahl, direkte und indirekte Reziprozität, Gleichgewicht ... klingt natürlich alles ganz böse und ähnelt, wen wunderts, dem Utilitarismus.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2159938) Verfasst am: 16.12.2018, 10:53    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Umgekehrt geht es allerdings vor allem beim KI nicht: um von "jeder soll so handeln, daß er wollen kann, daß etwas allgemeines Gesetz wird" deduktiv zu einer brauchbaren Maxime zu kommen,...


Man soll ja auch aus dem KI keine Maximen ableiten, sondern überprüfen, ob die, die man hat, mit dem KI kompatibel sind, also als Grundlage eines allgemeinen Gesetzes möglich sind und gewollt werden können. "Gewollt werden" aber nicht im utilitaristischen Sinne der Art: "das kann doch kein Mensch ernsthaft wollen", sondern in dem Sinne, dass die handlungsleitende Maxime, als allgemeines Gesetz gedacht, nicht die Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit unterminieren darf. Es geht also um Widerspruchsfreiheit im Wollen und Handeln, nicht um einen vorgestellten Idealzustand der empirischen Welt. Letzteres kommt schon deshalb nicht als Form moralischen Handelns in Betracht, weil dieser Wunsch ja von Individuum zu Individuum und auch innerhalb eines Individuums von Zeit zu Zeit etwas völlig anderes beinhalten kann. Die Idee des KIs ist daher, dass Gesetze widerspruchsfreien Handelns angegeben werden müssen, die von jedem konkreten Inhalt unabhängig sind. Denn nur solche können das ausmachen, was man eben mit dem Begriff der "Moral" meint, im Unterschied zu Forderungen, die eben nicht für die Form des Handelns nach Maximen überhaupt gelten, sondern bloß für bestimmtes Handeln und bestimmten Bedingungen.

Wohin das führt, wenn man letzteres zur Grundlage der Moral macht, sieht man ja an diesem ganzen Interessenethikkram: Man kann zwischen Moral und bloßem Pragmatismus letztlich gar nicht mehr unterscheiden. Der ursprüngliche Utilitarismus konnte das übrigens durchaus noch, indem er zumindest eine universelle Werttheorie vertrat. Das streben nach Glückseligkeit ist zwar auch bloß ein "hypothetischer Imperativ", aber zumindest einer, dem man noch halbwegs plausibel allen Menschen als notwendigen Bestandteil ihres Wollens unterstellen kann. Und das brauchts schon, damit etwas als "Moral" überhaupt auch nur in Betracht gezogen werden kann.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
mal wieder auf die KI (nicht den KI) zurückzukommen: Ich denke, die werden von selbst Ethiken ausbilden, die auf fundamentaleren Prinzipien beruhen: Extremwertanalyse, Gesetz der großen Zahl, direkte und indirekte Reziprozität, Gleichgewicht ... klingt natürlich alles ganz böse und ähnelt, wen wunderts, dem Utilitarismus.


Klingt nicht "böse", hat bloß nichts mit Ethik/Moral zu tun, einfach deshalb, weil hier jeder dem bloßen Pragmatismus enthobene Wertmaßstab fehlt.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2159941) Verfasst am: 16.12.2018, 12:00    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die Idee des KIs ist daher, dass Gesetze widerspruchsfreien Handelns angegeben werden müssen, die von jedem konkreten Inhalt unabhängig sind. ... Es geht also um Widerspruchsfreiheit im Wollen und Handeln, nicht um einen vorgestellten Idealzustand der empirischen Welt.

Genau, das ist auch mein Verständnis. Diese Widerspruchsfreiheit als Prüfinstanz hat aber wie gesagt den Nachteil, daß sie nicht zur Ausbildung einer Ethik taugt (sie ist, je nachdem wie man "Wollen", "Handeln" und "allgemeines Gesetz" auslegt, extrem unterdeterminiert). Ich denke, das war Kant auch bewußt, allerdings macht er sich dann eher einen schlanken Fuß beziehungsweise versucht den notwendig folgenden Relativismus zu verschleiern.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Denn nur solche können das ausmachen, was man eben mit dem Begriff der "Moral" meint, im Unterschied zu Forderungen, die eben nicht für die Form des Handelns nach Maximen überhaupt gelten, sondern bloß für bestimmtes Handeln und bestimmten Bedingungen. Wohin das führt, wenn man letzteres zur Grundlage der Moral macht, sieht man ja an diesem ganzen Interessenethikkram: Man kann zwischen Moral und bloßem Pragmatismus letztlich gar nicht mehr unterscheiden.

1. Auch in anderen Ethiken / Moralsystemen hat man mit dem KI nichts gewonnen, sondern muß Maximen aufstellen und kann "zwischen Moral und Pragmatismus letztlich gar nicht mehr unterscheiden". Für dieses pragmatische Aufstellen von Maximen braucht man, s.o., erheblich mehr als nur eine unterdeterminierte Widerspruchsfreiheit, nämlich eine Art Zielvereinbarung, eine Methode für den Interessensausgleich und Diskurs - wenn man keine Steintafeln mit Geboten will.

2. Ich denke, wir müssen lernen, daß an einer praktischen Ethik nichts Verwerfliches ist, daß Moral nichts weiter ist als eine Gestaltungstechnik für das Zusammenleben von Personen, und daß die Prüfinstanzen dafür selbst wiederum menschengemacht sind. Das mag für Idealisten eine Kränkung darstellen und zu Verunglimpfungen wie "britische Krämermoral" verleiten, aber dieser Schluß ist aus meiner Sicht unausweichlich.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der ursprüngliche Utilitarismus konnte das übrigens durchaus noch, indem er zumindest eine universelle Werttheorie vertrat.

Auch hier stimme ich zu, allerdings sehe ich das eher als Nachteil - denn man erkannte schon bald, daß "Glück" nicht auf einen universellen Wert abbildbar war, u.a. da man es nicht eindeutig messen kann und seine Definition auch subjektiv ist. So kam man zum Präferenzutilitarismus.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Das streben nach Glückseligkeit ist zwar auch bloß ein "hypothetischer Imperativ", ...

Ja, aus Sicht des theoretischen Utilitaristen is es ein hypothetischer Imperativ. Aber siehe den nächsten Abschnitt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... aber zumindest einer, dem man noch halbwegs plausibel allen Menschen als notwendigen Bestandteil ihres Wollens unterstellen kann. Und das brauchts schon, damit etwas als "Moral" überhaupt auch nur in Betracht gezogen werden kann.

Der Witz ist aber, daß die Zeiten vorbei sind (bzw. sein sollten), in denen Philosophen mittels "Unterstellungen" Imperative festlegen. Das bedeutet, daß eine Ethik bzw. ethische Theorie heutzutage ganz wesentlich eine Methode beinhalten muß, wie Menschen ihr Wollen in die Maximen einbringen - ähnlich wie auch der Schritt vom Absolutismus zur Demokratie vollzogen werden muß. Auch darum sind Diskursethiken (und der damit verwandte Präferenzutilitarismus) ein Fortschritt gegenüber deontologischen Ethiken. Diskursethiken haben natürlich Nachteile, wie auch die Demokratie: In ihren Niederungen wird oft Mittelmaß produziert, da kann ich schon verstehen, daß sich der Eine oder Andere statt der "britischen Krämermoral" eine ehrwürdige und mächtige geistige Kathedrale zurückwünscht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Um mal wieder auf die KI (nicht den KI) zurückzukommen: Ich denke, die werden von selbst Ethiken ausbilden, die auf fundamentaleren Prinzipien beruhen: Extremwertanalyse, Gesetz der großen Zahl, direkte und indirekte Reziprozität, Gleichgewicht ... klingt natürlich alles ganz böse und ähnelt, wen wunderts, dem Utilitarismus.
Klingt nicht "böse", hat bloß nichts mit Ethik/Moral zu tun, einfach deshalb, weil hier jeder dem bloßen Pragmatismus enthobene Wertmaßstab fehlt.

Nein. Jeder Wertmaßstab muß letztlich aus der Realität gebildet werden und sich an ihr messen. Auch ein Preis der Aufklärung.
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smallie
resistent!?



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Beiträge: 3613

Beitrag(#2159943) Verfasst am: 16.12.2018, 12:13    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Mit der Hebung ins Faktische wird der Versuch unternommen, die konstituierende Bedeutung für unsere Gesellschaft zu betonen. Das finde ich eigentlich nicht schlecht.

Auch wenn die Intention nachvollziehbar ist, finde ich die Vorgehensweise intellektuell unredlich, und auch nicht ganz ungefährlich, weil Metaphysisches heutzutage (zurecht) Gefahr läuft, gar nicht mehr ernstgenommen zu werden.

Wenn man die konstituierende bzw. zentrale Rolle der zugemessenen Würde für unser Konzept des Zusammenlebens hervorheben will, dann sollte man das genau so formulieren. Noch besser wäre, gleich zu definieren, worin die zugemessene Würde besteht, nämlich in (ebenfalls zugewiesenen) Grundrechten.

Zum Beispiel so in der Art:

"Im Bewußtsein der zentralen Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben legen wir fest: Jeder Person soll unter allen Umständen Personenwürde zukommen. Diese besteht in ihren Grundrechten ..."


Aber... das ist jetzt mehr Stilkritik, oder? Die armen Mütter und Väter des GG konnten ja nicht ahnen, welche Ansprüche an sie gestellt werden.

Ich hätte die konstituierende Bedeutung des §1 mit einer Warnung versehen. Damit sich eine Gesellschaft nicht so leicht auf die Schulter klopfen und sagen kann: "Wir sind ja so großartig, humanistisch und würdevoll."

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Hahn braucht nur dreimal zu krähen, dann werdet ihr diesen Satz schon gebrochen haben.

Tja, das war jetzt nicht stilsicher... Pfeifen
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
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Beitrag(#2159945) Verfasst am: 16.12.2018, 12:28    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Hebung ins Faktische
zelig hat folgendes geschrieben:
Aber... das ist jetzt mehr Stilkritik, oder?

"Hebung ins Faktische" - dieses erhabene Stilelement muß ich mir unbedingt merken. Erinnert mich irgendwie an ... https://de.wikipedia.org/wiki/Alternative_Fakten#Vergleich_mit_Manipulationstechniken_in_Orwells_Roman_1984

smallie hat folgendes geschrieben:
Ich hätte die konstituierende Bedeutung des §1 mit einer Warnung versehen. Damit sich eine Gesellschaft nicht so leicht auf die Schulter klopfen und sagen kann: "Wir sind ja so großartig, humanistisch und würdevoll." ...

Um nicht zu sagen: "unantastbar".
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2159949) Verfasst am: 16.12.2018, 12:47    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Genau, das ist auch mein Verständnis. Diese Widerspruchsfreiheit als Prüfinstanz hat aber wie gesagt den Nachteil, daß sie nicht zur Ausbildung einer Ethik taugt (sie ist, je nachdem wie man "Wollen", "Handeln" und "allgemeines Gesetz" auslegt, extrem unterdeterminiert). Ich denke, das war Kant auch bewußt, allerdings macht er sich dann eher einen schlanken Fuß beziehungsweise versucht den notwendig folgenden Relativismus zu verschleiern.


Den Vorwurf halte ich nicht für berechtigt. Kant, egal was man sonst von ihm halten mag, gehört m.E. zu den wenigen Moraltheoretikern, die einen wirklich aufgeräumten Begriffsapparat haben. Diese ganze Sache mit dem "prozesshaften demokratischen Aushandeln" kommt bei ihm ja durchaus auch vor, nur eben nicht in der Tugend- sondern in der Rechtslehre. Und diese Unterscheidung halte ich auch für sehr berechtigt, "äußere" Legalität ist eben etwas anderes als "innere" Legitimität, diese beiden Dinge einfach in eins zu werfen, wird der Sache schlicht nicht gerecht. Was wir auf Grundlage des allgemeinen Rechtsprinzips konkret für den Verkehr miteinander aushandeln ist nicht dasselbe wie Gewissensentscheidungen, vor die uns die Moral stellt. Und diese beiden Sachen blind zu vermengen, wie das heute üblich ist, gereicht weder der Moral, noch dem Recht zum Vorteil.

Man mag der Meinung sein, dass das Kantische "Vernunftwesen" für den Menschen zu viel der Ehre ist und man betreffs der Moral eher auf die psychologischen Voraussetzungen blicken sollte, aber die Nützlichkeitsmoral dürfte dadurch kaum plausibler werden.

step hat folgendes geschrieben:
Nein. Jeder Wertmaßstab muß letztlich aus der Realität gebildet werden und sich an ihr messen. Auch ein Preis der Aufklärung.


Fragt sich nur, ob das, was man als "Realität" behauptet, nicht am Ende viel mehr vom mitgebrachten Wertmaßstab abhängt, als man anderen und sich selbst eingesteht - und der behauptete "Nutzen" mehr ist als ein Taschenspielertrick.
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zelig
Kultürlich



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Beiträge: 25404

Beitrag(#2159951) Verfasst am: 16.12.2018, 13:29    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Hebung ins Faktische
zelig hat folgendes geschrieben:
Aber... das ist jetzt mehr Stilkritik, oder?

"Hebung ins Faktische" - dieses erhabene Stilelement muß ich mir unbedingt merken. Erinnert mich irgendwie an ... https://de.wikipedia.org/wiki/Alternative_Fakten#Vergleich_mit_Manipulationstechniken_in_Orwells_Roman_1984


"Die Erde ist rund" und "Du räumst jetzt das Zimmer auf." auch?



step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich hätte die konstituierende Bedeutung des §1 mit einer Warnung versehen. Damit sich eine Gesellschaft nicht so leicht auf die Schulter klopfen und sagen kann: "Wir sind ja so großartig, humanistisch und würdevoll." ...

Um nicht zu sagen: "unantastbar".


Kann ich nicht nachvollziehen. Es ist ja vor dem Hintergrund des NS die Würde des anderen gemeint, nicht die eigene "Großartigkeit". Ich klebe ja nicht an dem Begriff, aber man muss ihn auch nicht so grundfalsch interpretieren.
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step
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Beiträge: 22767
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Beitrag(#2159952) Verfasst am: 16.12.2018, 13:44    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Was wir auf Grundlage des allgemeinen Rechtsprinzips konkret für den Verkehr miteinander aushandeln ist nicht dasselbe wie Gewissensentscheidungen, vor die uns die Moral stellt. Und diese beiden Sachen blind zu vermengen, wie das heute üblich ist, gereicht weder der Moral, noch dem Recht zum Vorteil.

Es gibt aber nun mal keine innere Moral oder Legitimation. All unsere konkreten moralischen Überzeugungen kommen aus der Realität: Bedürfnisse (eigene und die der Anderen), Biologie, Prägung und Erziehung ..., da ist das "miteinander aushandeln" noch eine gute Methode, verglichen etwa mit verschiedenen Sorten der Herrschaftsmoral.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Man mag der Meinung sein, dass das Kantische "Vernunftwesen" für den Menschen zu viel der Ehre ist und man betreffs der Moral eher auf die psychologischen Voraussetzungen blicken sollte, aber die Nützlichkeitsmoral dürfte dadurch kaum plausibler werden.

Das verstehe ich nicht - Vernunft, Diskurs und Interessensausgleich passen doch hervorragend zueinender.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Nein. Jeder Wertmaßstab muß letztlich aus der Realität gebildet werden und sich an ihr messen. Auch ein Preis der Aufklärung.
Fragt sich nur, ob das, was man als "Realität" behauptet, nicht am Ende viel mehr vom mitgebrachten Wertmaßstab abhängt, als man anderen und sich selbst eingesteht ...

Es ist ein iterativer Prozeß, der natürlich geprägt wird von äußeren Bedingungen. Und der auch ständiger Hinterfragung durch die Realitätswissenschaften bedarf.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... und der behauptete "Nutzen" mehr ist als ein Taschenspielertrick.

Schlimmer als beim behaupteten "Gotteslohn" kann es ja kaum kommen. Idealerweise kontrollieren den "Nutzen" die Interessebegabten selbst, wozu sie natürlich eines gewissens Ausgangs aus ihrer Unmündigkeit bedürfen.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#2159953) Verfasst am: 16.12.2018, 13:53    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Hebung ins Faktische
zelig hat folgendes geschrieben:
Aber... das ist jetzt mehr Stilkritik, oder?
"Hebung ins Faktische" - dieses erhabene Stilelement muß ich mir unbedingt merken. Erinnert mich irgendwie an ... https://de.wikipedia.org/wiki/Alternative_Fakten#Vergleich_mit_Manipulationstechniken_in_Orwells_Roman_1984
... "Du räumst jetzt das Zimmer auf." auch?

Auf jeden Fall ein schlimmer Fall von manipulativer Rhetorik. zwinkern

zelig hat folgendes geschrieben:
Es ist ja vor dem Hintergrund des NS die Würde des anderen gemeint, nicht die eigene "Großartigkeit".

Natürlich nicht die Großartigkeit des Einzelnen, aber die Moral wird zu etwas Göttlichem/Absoluten erhoben, obwohl es gleichzeitig eine Leerformel beibt. Das haben wie oben erwähnt auch einige GG-Väter als irgendwie heuchlerisch empfunden.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich klebe ja nicht an dem Begriff, aber man muss ihn auch nicht so grundfalsch interpretieren.

Da stimme ich zu, es zeigt aber auch, daß klare Ausdrucksweise wichtig ist, ohne metaphysische Hebung.
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Zumsel
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Beiträge: 4667

Beitrag(#2159955) Verfasst am: 16.12.2018, 14:24    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Es gibt aber nun mal keine innere Moral oder Legitimation. All unsere konkreten moralischen Überzeugungen kommen aus der Realität: Bedürfnisse (eigene und die der Anderen), Biologie, Prägung und Erziehung ...,


Wie gesagt, wenn man das Kantische "Vernunftwesen" nicht schluckt, bleibt für die Moral eigentlich nur noch die Psychologie.



step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Man mag der Meinung sein, dass das Kantische "Vernunftwesen" für den Menschen zu viel der Ehre ist und man betreffs der Moral eher auf die psychologischen Voraussetzungen blicken sollte, aber die Nützlichkeitsmoral dürfte dadurch kaum plausibler werden.

Das verstehe ich nicht - Vernunft, Diskurs und Interessensausgleich passen doch hervorragend zueinender.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Nein. Jeder Wertmaßstab muß letztlich aus der Realität gebildet werden und sich an ihr messen. Auch ein Preis der Aufklärung.
Fragt sich nur, ob das, was man als "Realität" behauptet, nicht am Ende viel mehr vom mitgebrachten Wertmaßstab abhängt, als man anderen und sich selbst eingesteht ...

Es ist ein iterativer Prozeß, der natürlich geprägt wird von äußeren Bedingungen. Und der auch ständiger Hinterfragung durch die Realitätswissenschaften bedarf.


Das Ergebnis eines beliebigen Diskurses erfasst aber ja nicht das, was wir "Moral" nennen, Nützlichkeit und Interessenausgleich begründetet eben keine Wertung im moralischen Sinne. Moralische Wertung hat viel mehr mit dem zu tun, welches Bild wir von uns und anderen in der Welt haben, also mit der Frage, als was für Wesen wir uns selbst verstehen. Entwicklungsmoralische Interpretationen bspw., die den Menschen als ein durch die Evolution geformtes mitfühlendes Wesen bestimmen, kommen eben von Leuten, die das Bild des Menschen als mitfühlendes Wesen bereits voraussetzen und seine Entwicklung als Moralwesen dann genau in diesem Sinne deuten. Dem Kern der moralischen Empfindung ist man damit noch nicht näher gekommen. Die moralische Empfindung prägt zweifelsfrei den Diskurs, umgekehrt geht sie selbst aber nicht im Diskurs auf bzw. höchstens dann, wenn man die gesamte psychologische Entwicklung des Menschen als Diskurs versteht, außerhalb dessen sich zu stellen aber dann beinahe unmöglich wird.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... und der behauptete "Nutzen" mehr ist als ein Taschenspielertrick.

Schlimmer als beim behaupteten "Gotteslohn" kann es ja kaum kommen. Idealerweise kontrollieren den "Nutzen" die Interessebegabten selbst, wozu sie natürlich eines gewissens Ausgangs aus ihrer Unmündigkeit bedürfen.


Ich meinte das nicht im Sinne einer Übervorteilung durch klügere Interessenvertreter, sondern eher in dem eines Selbstbetruges, also man deutet sein moralisches Empfinden als durch die Nützlichkeit begründet, weil man die Forderung nach Zweckrationalität im Handeln bereits derart verinnerlicht hat, dass man sich das eigene Handeln gar nicht mehr anders begründet vorstellen kann
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step
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Beitrag(#2159960) Verfasst am: 16.12.2018, 16:14    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Das Ergebnis eines beliebigen Diskurses ...

Es ist kein beliebiger Diskurs, sondern einer über die Frage, was allgemeines Gesetz bzw. Handlungsmaxime sein soll. Er ist allerdings ergebnisoffen, davor haben Paternalisten Angst.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... erfasst aber ja nicht das, was wir "Moral" nennen, Nützlichkeit und Interessenausgleich begründetet eben keine Wertung im moralischen Sinne.

Doch, natürlich. Moral ist de facto so etwas wie die "Gesamtheit von ethisch-sittlichen Normen, Grundsätzen, Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren" (wikipedia), und zwar egal, ob diese durch Steintafeln, Kant, Biologie, Tradition, Erziehung, den Papst oder Interessendiskurs entsteht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Moralische Wertung hat viel mehr mit dem zu tun, welches Bild wir von uns und anderen in der Welt haben, also mit der Frage, als was für Wesen wir uns selbst verstehen. Entwicklungsmoralische Interpretationen bspw., die den Menschen als ein durch die Evolution geformtes mitfühlendes Wesen bestimmen, kommen eben von Leuten, die das Bild des Menschen als mitfühlendes Wesen bereits voraussetzen und seine Entwicklung als Moralwesen dann genau in diesem Sinne deuten. Dem Kern der moralischen Empfindung ist man damit noch nicht näher gekommen. Die moralische Empfindung prägt zweifelsfrei den Diskurs, umgekehrt geht sie selbst aber nicht im Diskurs auf bzw. höchstens dann, wenn man die gesamte psychologische Entwicklung des Menschen als Diskurs versteht, außerhalb dessen sich zu stellen aber dann beinahe unmöglich wird.

Keine Ahnung, wo das argumentativ hinführen soll. Der "Kern der moralischen Empfindung" ist für mich nicht irgendein durch Kant erkennbares teleologisches Geheimnis, sondern ihre Funktionsweise, und damit reiner Gegenstand der Naturwissenschaften. Da kann man etwa untersuchen, wie Moral anerzogen wird oder wieso Leute Vergeltung als gerecht empfinden. Und natürlich ist die aktuelle Moral kontingent und spielt in die individuellen Interessen hinein. Aber das ändert alles nichts daran, daß ich die Interessen der Leute diskutieren und berücksichtigen muß, wenn es um die Frage geht: "Auf welchen Regeln und Werten soll unsere Gesellschaft basieren?" - da will jeder gemäß seiner Interessen mitbestimmen, ob die nun von tradierten Werten bestimmt sind oder nicht. Und was dabei rauskommt, ist eben die nächste Version der Moral.

Ich würde ja noch verstehen, wenn jemand im ethischen Diskurs ein anderes Ziel vorschlägt als das typische utilitaristische. Aber aufgeklärte Menschen suchen, hinterfragen, ändern, definieren, vereinbaren ihre höchsten Werte und Ziele selbst und glauben nicht an eine irgendwie fixe höhere Moral.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... also man deutet sein moralisches Empfinden als durch die Nützlichkeit begründet, weil man die Forderung nach Zweckrationalität im Handeln bereits derart verinnerlicht hat, dass man sich das eigene Handeln gar nicht mehr anders begründet vorstellen kann

Aber wie sonst sollte man seine moralischen Entscheidungen überprüfen / rechtfertigen, wenn nicht durch Messung an den allgemein vereinbarten Maximen? Genau diese sind es ja, die die Gesellschaft im "Gewissen" des Einzelnen zu verankern versucht, damit sie sich möglichst drauf verlassen kann. Niemand will ernsthaft, daß eine Kontaktperson sich in wichtigen moralischen Fragen nichtkonform (= unmoralisch) verhält. Das ist in deontologischen Systemen genauso wie im Utilitarismus.

Mal anders gefragt: Was ist sonst der Nutzen von Moral, wenn nicht das verläßlich konforme Handeln und der dadurch erzielte Vertrauensvorschuß und Sicherheit im Zusammenleben?
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Skeptiker
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Beitrag(#2159962) Verfasst am: 16.12.2018, 17:00    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... also man deutet sein moralisches Empfinden als durch die Nützlichkeit begründet, weil man die Forderung nach Zweckrationalität im Handeln bereits derart verinnerlicht hat, dass man sich das eigene Handeln gar nicht mehr anders begründet vorstellen kann


Aber wie sonst sollte man seine moralischen Entscheidungen überprüfen / rechtfertigen, wenn nicht durch Messung an den allgemein vereinbarten Maximen? Genau diese sind es ja, die die Gesellschaft im "Gewissen" des Einzelnen zu verankern versucht, damit sie sich möglichst drauf verlassen kann. Niemand will ernsthaft, daß eine Kontaktperson sich in wichtigen moralischen Fragen nichtkonform (= unmoralisch) verhält. Das ist in deontologischen Systemen genauso wie im Utilitarismus.

Mal anders gefragt: Was ist sonst der Nutzen von Moral, wenn nicht das verläßlich konforme Handeln und der dadurch erzielte Vertrauensvorschuß und Sicherheit im Zusammenleben?


Ohne dass ich jetzt auf deinen letzten Beitrag an mich eingegangen bin, kurz mal zwei Zwischenbemerkungen:

Deine Gleichung "nichtkonform (= unmoralisch)" ist verhängnisvoll. (Nicht-)Konformität und Moral/Ethik haben zunächst mal gar nichts miteinander zu tun. Nichtkonformes Verhalten kann moralischer/ethischer sein als Konformismus.

1. Wenn, dann würde ich es anders sagen: Sofern abweichendes Verhalten moralisch/ethisch ist, ist es legitim. Daraus folgt, dass man Moral/Ethik unabhängig von der Frage der Konformität verstehen muss. Und da sind wir wieder bei der Kant'schen Unterscheidung. Aus der kommt man nicht einfach so heraus, indem man den Unterschied zwischen pragmatischem Recht und dem moralischen/ethischen Wert von Entscheidungen und Handlungen nicht berücksichtigt.

2. Was der Wert von Moral/Ethik ist, lässt sich nicht einfach per Diskussion und Vereinbarung klären, auch dann nicht, wenn der Prozess der Verhandlung iterativ erfolgt. Denn - ich erinnere an Sam Harris - über Menschenrechte kann man nicht diskutieren, weil sie quasi einen objektiven Charakter haben, den niemand per Deklamation setzen oder außer Kraft setzen kann.

Gegen Metaphysik und Religion zu argumentieren, ist sicherlich gut und - nützlich! Aber man sollte nicht das Kind der Moral/Ethik mit dem metaphysischen Bade ausschütten ...-
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Beitrag(#2159963) Verfasst am: 16.12.2018, 17:35    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Deine Gleichung "nichtkonform (= unmoralisch)" ist verhängnisvoll. (Nicht-)Konformität und Moral/Ethik haben zunächst mal gar nichts miteinander zu tun. Nichtkonformes Verhalten kann moralischer/ethischer sein als Konformismus.

Das hatten wir schon mehrfach. Immer wenn Du den Wortstamm "konform-" liest, kommst Du mir mit Konformismus = "Haltung, die durch Angleichung der eigenen Einstellung an die herrschende Meinung, durch Anpassung an die bestehenden Verhältnisse gekennzeichnet ist" (wikipedia) - das vertrete ich jedoch überhaupt nicht. Meine Behauptung war nur, daß Gesellschaften möchten, daß sich Individuen bei moralischen Fragen des Alltags verläßlich / voraussagbar verhalten - und zwar gemäß den Übereinkünften.

In der nichtalltäglichen Situation, auf die Du anspielst, zum Beispiel Juden verstecken im Dritten Reich oder ein RAF-Anschlag, handelt jemand nicht konform zur geltenden Gesetzgebung bzw. Moral, jedoch konform zu einem anderen moralischen System, dem er/sie sich stärker zugehörig fühlt, z.B. dem Humanismus, dem Christentum, dem Sozialismus, oder dem was seine Eltern oder Freunde ihm eingeprägt haben.

Dazu kommt, daß Deine Verwendung des Wortes "moralisch" z.B. in "Verhalten kann moralischer sein ..." zeigt, daß Du an eine absolute Moral bzw. das absolut Gute glaubst (das vermutlich gerade Deinen eigenen Werten und Zielen entspricht), an dem Du mißt, wie "moralisch" jemand gehandelt hat. Da war aber sogar Kant schon vorsichtiger.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
über Menschenrechte kann man nicht diskutieren, weil sie quasi einen objektiven Charakter haben, den niemand per Deklamation setzen oder außer Kraft setzen kann.

Nein, Menschenrechte sind, wie Tierrechte, weder göttliche noch Naturrechte, sondern menschengemacht und in ihrer Ausprägung und Gewichtung zu diskutieren. Was als Menschenrecht gilt, ändert sich im Laufe der Zeit.
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Zumsel
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Beitrag(#2159985) Verfasst am: 17.12.2018, 10:37    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Das Ergebnis eines beliebigen Diskurses ...

Es ist kein beliebiger Diskurs, sondern einer über die Frage, was allgemeines Gesetz bzw. Handlungsmaxime sein soll. Er ist allerdings ergebnisoffen, davor haben Paternalisten Angst.


Eine Maxime zeichnet sich durch Subjektivität aus, ein allgemeines (d.i. universelles) Gesetz durch Objektivität. Bei Kant ist der Punkt an der Moral ja gerade, dass dort (subjektive) Maxime und (allgemeines) Gesetz in Übereinstimmung gebracht werden, das ist für ihn gewissermaßen die Definition des Begriffs "Moral". Das setzt natürlich voraus, dass das allgemeine Gesetz durch Vernunft erkennbar ist, andernfalls ginge es ja nur um eine Geschmacksfrage darüber, welche Maxime anderen vorzuziehen sei, dann könnte man den Punkt mit dem allgemeinen Gesetz gleich streichen und einfach vom "Gesetz der stärksten Maxime" oder dgl. reden.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... erfasst aber ja nicht das, was wir "Moral" nennen, Nützlichkeit und Interessenausgleich begründetet eben keine Wertung im moralischen Sinne.

Doch, natürlich. Moral ist de facto so etwas wie die "Gesamtheit von ethisch-sittlichen Normen, Grundsätzen, Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren" (wikipedia), und zwar egal, ob diese durch Steintafeln, Kant, Biologie, Tradition, Erziehung, den Papst oder Interessendiskurs entsteht.


Dass sie das zwischenmenschliche Miteinander regulieren, würde ich noch unterschreiben, dass diese Regulierungsfunktion aber ihr Wesen und den Grund ihrer Existenz ausmachen, ziehe ich dagegen in Zweifel.

step hat folgendes geschrieben:
Keine Ahnung, wo das argumentativ hinführen soll. Der "Kern der moralischen Empfindung" ist für mich nicht irgendein durch Kant erkennbares teleologisches Geheimnis,...


Also um Kant geht's hier schon sowieso nicht mehr, denn obige Fragen stellen sich ja nur, wenn man sich von der Idee einer Erkenntnis des praktischen Vernunftgesetzes schon verabschiedet hat und stattdessen auf die empirischen (psychologischen) Umstände guckt, was kaum unkantischer sein könnte.


step hat folgendes geschrieben:
...sondern ihre Funktionsweise, und damit reiner Gegenstand der Naturwissenschaften. Da kann man etwa untersuchen, wie Moral anerzogen wird oder wieso Leute Vergeltung als gerecht empfinden.


Wie etwas anerzogen wird oder wodurch sich Werte vererben klingt jetzt allerdings nicht nach originär naturwissenschaftlichen Fragen. Aber grundsätzlich stimme ich dir durchaus zu. Wo ich widerspreche ist, dass sich diese Fragen so ohne Weiteres über eine Funktionszuschreibung moralischer Werte beantworten lassen. Denn was moralische Regeln von beliebigen anderen Regeln des sozialen Miteinanders unterscheidet, ist ihr stark wertender Charakter. Und in dieser Wertung kommt eben etwas anderes zum Ausdruck als der Wunsch, das Zusammenleben effektiv zu gestalten und Interessen auszugleichen. Nehmen wir zum Beispiel die moralische Verpflichtung, ein Versprechen zu halten. Sicher kann man hier auch irgendwie mit dem gesellschaftlichen Nutzen argumentieren, den die Institution des Versprechens hat, der Punkt ist aber, dass dieser Nutzen nicht das zum Ausdruck bringt, was den moralischen Wert des Versprechens ausmacht. Der echte Utilitarist könnte gar nicht versprechen, denn er müsste genau genommen sowas sagen wie: "Wenn unterm Strich am Ende der Nutzen von dieser oder jener Handlung ihren Schaden überwiegt, werde ich entsprechend handeln", was aber ja, so formuliert, eben gar kein Versprechen mehr wäre. Was den moralischen Charakter des Versprechens ausmacht ist also nicht irgendein vorgestellter, gesamtgesellschaftlicher Nutzen, sondern ein Verpflichtungsgefühl. Und bei diesem Verpflichtungsgefühl kann man redlicherweise nicht einfach von vornherein behaupten, dass es den Menschen aus Gründen irgendeiner bestimmten Nützlichkeit antrainiert worden wäre. Natürlich hat die Existenz dieser Institution Auswirkungen auf soziale Miteinander, aber irgendeine dieser Auswirkungen einfach als die eigentliche Ursache dieser Institution zu setzen, ist nicht mehr als eine Spekulation. Ebenso gut könnte man umgekehrt argumentieren, dass diese Auswirkungen bloß Nebenprodukte sind, die dann durch den Wunsch nach zweckrationalen Erklärungen des Verhaltens einfach in diesem Sinne zurechtinterpretiert werden.


step hat folgendes geschrieben:
Mal anders gefragt: Was ist sonst der Nutzen von Moral, wenn nicht das verläßlich konforme Handeln und der dadurch erzielte Vertrauensvorschuß und Sicherheit im Zusammenleben?


Na ja, allein die Frage nach dem Nutzen der Moral setzt die Richtigkeit des Utilitarismus ja bereits in sich voraus. Für den Nichtutilitaristen ist ja gar nicht ausgemacht, dass es da immer einen konkreten Nutzen geben muss. Der Wert des Versprechens z.B. könnte auch in dem stolzen Gefühl begründet sein, seine Willensbekundung über längere Zeiträume hinweg stabil zu halten und damit überhaupt erst so etwas wie ein bleibendes Ich-Bewusstsein zu erschaffen. Der gesellschaftliche Nutzen daraus wäre bloß ein überinterpretierter Kollateralnutzen.
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Beitrag(#2160006) Verfasst am: 17.12.2018, 17:44    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wie etwas anerzogen wird oder wodurch sich Werte vererben klingt jetzt allerdings nicht nach originär naturwissenschaftlichen Fragen.

Naja, Soziologie rechne ich mal dazu. Jedenfalls geht es um prüfbare Hypothesen über die Funktionsweise.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... der Punkt ist aber, dass dieser Nutzen nicht das zum Ausdruck bringt, was den moralischen Wert des Versprechens ausmacht. Der echte Utilitarist könnte gar nicht versprechen, denn er müsste genau genommen sowas sagen wie: "Wenn unterm Strich am Ende der Nutzen von dieser oder jener Handlung ihren Schaden überwiegt, werde ich entsprechend handeln", was aber ja, so formuliert, eben gar kein Versprechen mehr wäre.

Nein, dieser Einwand ist mE falsch. Die meisten Utilitaristen würdem dem Einhalten von Versprechen einen hohen Gemeinnutzen zuweisen, daher würden sie i.a. nur etwas versprechen, von dem sie glauben, daß sie es auch einhalten, und damit also auch nur etwas, das ihrer Ansicht nach nicht schädlich ist. Natürlich kann es Dilemmasituationen geben, zum Beispiel wenn unklar ist, ob der Schaden bei einem falschen Versprechen möglicherweise kleiner wäre als bei einem nicht gegebenen. Dieses Problem haben allerdings auch Nichtutilitaristen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was den moralischen Charakter des Versprechens ausmacht ist also nicht irgendein vorgestellter, gesamtgesellschaftlicher Nutzen, sondern ein Verpflichtungsgefühl.

Das liegt daran, daß Moral eingeübt wird und man aus Effizienzgründen nicht immer wieder neu darüber nachdenkt. Das ist auch bei Utilitaristen so.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und bei diesem Verpflichtungsgefühl kann man redlicherweise nicht einfach von vornherein behaupten, dass es den Menschen aus Gründen irgendeiner bestimmten Nützlichkeit antrainiert worden wäre.

Natürlich nicht, denn die meisten Eltern, Lehrer, Pfarrer usw. sind erstens keine Utilitaristen, und zweitens wissen wir ja alle, daß viele nützliche (und auch schädliche) Dinge nicht "designt" sind, sondern sich iterativ gebildet haben, sowohl in der Biologie als auch in der Kultur. Daß die Werte von Kindern i.a. vergleichsweise stark mit denen ihrer Eltern, Lehrer usw. korrelieren, kannst Du aber schlecht leugnen, sie werden also - mehr oder weniger bewußt - anerzogen. Das Verpflichtungsgefühl wird z.B. recht offensichtlich dadurch gestärkt, daß Enttäuschung und Vorwürfe zurückgespiegelt werden.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mal anders gefragt: Was ist sonst der Nutzen von Moral, wenn nicht das verläßlich konforme Handeln und der dadurch erzielte Vertrauensvorschuß und Sicherheit im Zusammenleben?
Na ja, allein die Frage nach dem Nutzen der Moral setzt die Richtigkeit des Utilitarismus ja bereits in sich voraus.

Äh ... nein - es ist erstmal nur die Frage nach dem Nutzen der Moral. Es wäre selbstverständlich absolut legitim zu antworten, daß Moral gar keinen Nutzen habe, also völlig nutzlos sei.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Für den Nichtutilitaristen ist ja gar nicht ausgemacht, dass es da immer einen konkreten Nutzen geben muss.

Das ist richtig und übrigens auch beim Utilitaristen so - aber meist stellt sich dann doch heraus, daß wie durch ein Wunder all die Dinge, die der Nichtutilitarist wichtig findet, seiner Ansicht nach auch einen Nutzen haben. Nur hat er eben so eine Abneigung gegen die Profanität dieser Tatsache und dieser Bezeichnung, weil er sie mit englischem Krämertum assoziiert, wo er lieber etwas Erhabenes, einen Götterfunken hätte.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der Wert des Versprechens z.B. könnte auch in dem stolzen Gefühl begründet sein, seine Willensbekundung über längere Zeiträume hinweg stabil zu halten und damit überhaupt erst so etwas wie ein bleibendes Ich-Bewusstsein zu erschaffen. Der gesellschaftliche Nutzen daraus wäre bloß ein überinterpretierter Kollateralnutzen.

Nehmen wir mal einen Moment an, das wäre tatsächlich so. Dann müßte es Dir ja eher unwichtig sein, ob Andere ihre Versprechen einhalten. Und es wäre dann auch sinnlos, Menschen mit Vorwürfen zu begegnen, wenn sie ihre Versprechen brechen. Und Kinder zu belehren, Versprechen einzuhalten. Und gäbe es dann überhaupt Betrüger mit Ich-Bewußtsein? Und wäre Moral dann nicht eher so etwas Ähnliches wie Essen oder Sehen: essentiell wichtig für das Individuum, kollateral nützlich für die Gemeinschaft?
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Skeptiker
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Beitrag(#2160024) Verfasst am: 17.12.2018, 21:41    Titel: Die Übereinkunft Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Deine Gleichung "nichtkonform (= unmoralisch)" ist verhängnisvoll. (Nicht-)Konformität und Moral/Ethik haben zunächst mal gar nichts miteinander zu tun. Nichtkonformes Verhalten kann moralischer/ethischer sein als Konformismus.


Das hatten wir schon mehrfach. Immer wenn Du den Wortstamm "konform-" liest, kommst Du mir mit Konformismus = "Haltung, die durch Angleichung der eigenen Einstellung an die herrschende Meinung, durch Anpassung an die bestehenden Verhältnisse gekennzeichnet ist" (wikipedia) - das vertrete ich jedoch überhaupt nicht. Meine Behauptung war nur, daß Gesellschaften möchten, daß sich Individuen bei moralischen Fragen des Alltags verläßlich / voraussagbar verhalten - und zwar gemäß den Übereinkünften.


"Übereinkünfte" sagst du.

Nehmen wir doch mal eine realistische Situation:

Das Unternehmen xy ist unter Druck, die Kosten zu senken. Es gibt eine große Betriebsversammlung, wo alle dabei sind - CEOs, Managerriege, Fachabteilungsleiter, Angestellte, Arbeiter, Betriebsräte, Gewerkschaften.

Jetzt kommt die Frage, mit welcher "Übereinkunft" das Unternehmen gerettet werden kann und wieder in die Gewinnzone kommt.

Wie es immer so ist bei solchen "Diskussionen", kommt es irgendwann zu einer ... ähm ... "Übereinkunft", der alle mehr oder weniger "zustimmen", so dass sich keiner mehr heraus reden kann. Sonst heisst es: "hey, du hast doch auch zugestimmt, zu der Übereinkunft!"

Man braucht nicht erst solche Beispiele, um sich vorzustellen, wie die "Übereinkünfte" in anderen Bereichen der Gesellschaft aussehen.

Trotz vermeintlicher Freiwilligkeit, erreicht man so genau den gewünschten Konformismus. Woran das liegt, ist ja kein Geheimnis. Ich denke, ich brauche das nicht auszuführen.

step hat folgendes geschrieben:
In der nichtalltäglichen Situation, auf die Du anspielst, zum Beispiel Juden verstecken im Dritten Reich oder ein RAF-Anschlag, handelt jemand nicht konform zur geltenden Gesetzgebung bzw. Moral, jedoch konform zu einem anderen moralischen System, dem er/sie sich stärker zugehörig fühlt, z.B. dem Humanismus, dem Christentum, dem Sozialismus, oder dem was seine Eltern oder Freunde ihm eingeprägt haben.


Es kann halt eine Gesellschaft durch verschiedene Formen des Zwangs oder der beschriebenen Methoden der "Zustimmung" als Ganzes unmoralisch/unethisch sein. Dann kann ein Nonkonformismus richtiger sein als Konformismus, aber nicht in jedem Fall. Sondern nur dann, wenn dem unmoralischen/unethischen Ganzen etwas Moralisches und Ethisches entgegen gesetzt wird.

Das kann man so skizzieren, indem man die Menschenrechte anführt oder Sam Harris und seine Überlegungen:

https://www.zeit.de/2013/02/Glueck-ohne-Gott-Moral/komplettansicht

Ich hatte schon früher in einigen Beiträgen auf ihn Bezug genommen. Die Ketzerei heisst: "objektive Ethik". Viel Spaß beim Lesen (am besten der Originalquellen).

step hat folgendes geschrieben:
Dazu kommt, daß Deine Verwendung des Wortes "moralisch" z.B. in "Verhalten kann moralischer sein ..." zeigt, daß Du an eine absolute Moral bzw. das absolut Gute glaubst (das vermutlich gerade Deinen eigenen Werten und Zielen entspricht), an dem Du mißt, wie "moralisch" jemand gehandelt hat. Da war aber sogar Kant schon vorsichtiger.


Kant war ein Stück weit auf dem richtigen Weg. Er wusste nur nicht, wie es weiter gehen könnte. Also beendete er das mit dem kategorischen Imperativ. Aber seine Überlegungen knüpfen auch an die Griechische Philosophie von Aristotels an mit dessen Unterscheidung zwischen "Ethos" und "Ethik". Zumsel hat dazu etwas geschrieben, wie das bei Kant aussah.

Die Frage ist nicht "absolut" oder "relativ", sondern die Frage in der Wissenschaft ist immer: "Wie gut begründet man etwas?"

Bezüglich deinem Ansatz der Moral und Ethik als Ergebnis eines Diskurses habe ich die Befürchtung, hier wieder nur neue Herrschaftsformen in neuem Gewande und dazu noch unter Berufung auf die Aufklärung zu etablieren. Diskurse in der realen Gesellschaft sind immer noch Herrschaftsdiskurse. Wenn sie es irgendwann nicht mehr sind, dann kann man auf deinen Ansatz zurück kommen.

Aber unter diesen Verhältnissen?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
über Menschenrechte kann man nicht diskutieren, weil sie quasi einen objektiven Charakter haben, den niemand per Deklamation setzen oder außer Kraft setzen kann.


Nein, Menschenrechte sind, wie Tierrechte, weder göttliche noch Naturrechte, sondern menschengemacht und in ihrer Ausprägung und Gewichtung zu diskutieren. Was als Menschenrecht gilt, ändert sich im Laufe der Zeit.


Die Menschenrechte sind nicht willkürlich, wenn du das damit sagen willst.

Es steckt in ihnen viel objektive Wahrheit.

Anders gesagt: Sie sind nicht einfach willkürlich so und nicht anders gesetzt worden.

Will man über Menschenrechte so diskutieren, dass sie in wesentlichen Teilen zur Disposition stehen - und genau dies geschieht ja heute im Zuge des internationalen Rechtsrucks - dann trägt ein solcher Diskurs alles andere als freiheitliche oder aufgeklärte Züge, auch wenn er sich mit großem Gestus den Anschein geben mag. Im Gegenteil.

edit: Das Alles gilt für Tierrechte im Prinzip auch, wobei diese noch bei weitem nicht so elaboriert sind wie die Menschenrechte. Die Tierrechte wären vielleicht der Bogen zurück zum Thema: "Können Tiere denken?". (Oder man nimmt diesen Teil hier heraus.)
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Beitrag(#2160025) Verfasst am: 17.12.2018, 23:03    Titel: Re: Die Übereinkunft Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
über Menschenrechte kann man nicht diskutieren, weil sie quasi einen objektiven Charakter haben, den niemand per Deklamation setzen oder außer Kraft setzen kann.
Nein, Menschenrechte sind, wie Tierrechte, weder göttliche noch Naturrechte, sondern menschengemacht und in ihrer Ausprägung und Gewichtung zu diskutieren. Was als Menschenrecht gilt, ändert sich im Laufe der Zeit.
Die Menschenrechte sind nicht willkürlich, wenn du das damit sagen willst.

Nein, ich will damit sagen, was ich geschrieben habe.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es steckt in ihnen viel objektive Wahrheit. Anders gesagt: Sie sind nicht einfach willkürlich so und nicht anders gesetzt worden.

Natürlich nicht völlig willkürlich. Sie spiegeln u.a. biologische und kulturelle Umstände wieder. Das Recht etwa, nicht zu hungern, hängt damit zusammen, wie unser Organismus funktioniert. Aber selbst ein so selbstverständliches Recht hat der Mensch (anders als den Hunger) nicht von Natur, sondern eine kulturell hochstehende Gemeinschaft gewährt es ihm, weil es ihr ein Bedürfnis ist oder sie vernünftige Gründe dafür hat.
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Beitrag(#2160192) Verfasst am: 19.12.2018, 23:23    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Also, wenn du mit "Metaphysik" sowas die lieben Englein meinst: die sind nicht die einzige Alternative zur englischen Krämermoral...

Englische Krämermoral. Schneidig formuliert. Mr. Green

Allerdings sagt mir persönlich die englische Denktradition - John Stuart Mill, Adam Smith, Darwin - mehr als die kontinentale, insbesondere die deutsche.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Es gibt aber nun mal keine innere Moral oder Legitimation. All unsere konkreten moralischen Überzeugungen kommen aus der Realität: Bedürfnisse (eigene und die der Anderen), Biologie, Prägung und Erziehung ...,


Wie gesagt, wenn man das Kantische "Vernunftwesen" nicht schluckt, bleibt für die Moral eigentlich nur noch die Psychologie.

Hilft Vernunft bei folgendem Problem?

Menschen in unterschiedlichen Gesellschaften kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was gesellschaftlich wünschenswert ist. Schon die skandinavischen Länder setzen andere Schwerpunkte als die mitteleuropäischen, als die Visegrad-Staaten, die Briten oder die US-Amerikaner. Global gesehen sind die Unterschiede noch größer.

Wenn ich das Vernunftwesen schlucke, muß ich annehmen, daß die Skandinavier vernünftiger sind, als der Rest der Welt, oder die Polen, oder die Amis, oder die Chinesen ... Der jeweilige Rest der Welt ist dann schlicht unvernünftig oder wird unterdrückt oder verführt. Das mag im Einzelfall zutreffen, birgt aber auch die Gefahr der Selbstgefälligkeit.

"Vernunft" läßt sich schnell behaupten. Die Diskussion, was was vernünftig ist, bleibt einem jedoch nicht erspart.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wie gesagt, wenn man das Kantische "Vernunftwesen" nicht schluckt, bleibt für die Moral eigentlich nur noch die Psychologie.

Psychologie ist zu kurz gesprungen. Das geht tiefer. Eine englische Krämerseele hat vor 150 Jahren folgendes zum Thema geschrieben.



Neben der Vernunft spielt auch Nachahmung (vermeintlich) erfolgreichen Verhaltens eine Rolle:

Zitat:
Charles Darwin - Die Abstammung des Menschen
Kapitel 5 - Über die Entwickelung der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten während der vorgeschichtlichen und zivilisierten Zeiten


Es verdient Beachtung, daß, sobald unsere Vorfahren sozial wurden ..., der Nachahmungstrieb, die Überlegung [reason] und die Erfahrung einen immer breiteren Raum einnahmen und die intellektuellen Fähigkeiten in einer Weise stark modifizierten, von der wir nur Spuren bei den Tieren bemerken können.



Reziprozität:

Darwin hat folgendes geschrieben:
Erstens wird jeder Mensch bei der zunehmenden Vervollkommnung seines Verstandes und seiner Voraussicht bald einsehen lernen, daß er, wenn er seinen Mitmenschen hilft, auch ein Anrecht auf ihre Hilfe erwirbt.



Gruppendruck:

Darwin hat folgendes geschrieben:
Ein anderer, viel wirksamerer Antrieb zur Entwickelung der sozialen Tugenden ist das Lob und der Tadel unserer Mitmenschen.



Eine Prise Fortschrittsskepsis ist auch dabei:

Darwin hat folgendes geschrieben:
Wie Bagehot bemerkt hat, sind wir leicht geneigt, die fortschreitende Entwickelung als das Normale in der Geschichte der Menschheit anzusehen. Die Geschichte selbst widerlegt diese Annahme.

Ob die Skepsis berechtigt ist, lasse ich an dieser Stelle offen. Steven Pinker und andere bestreiten das. Wer hier einen argumentativen Stich machen will, muß eine Metrik des Fortschritts haben. Womit wir wieder bei Krämermoral sind.
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Beitrag(#2160204) Verfasst am: 20.12.2018, 07:55    Titel: Re: Die Übereinkunft Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
über Menschenrechte kann man nicht diskutieren, weil sie quasi einen objektiven Charakter haben, den niemand per Deklamation setzen oder außer Kraft setzen kann.
Nein, Menschenrechte sind, wie Tierrechte, weder göttliche noch Naturrechte, sondern menschengemacht und in ihrer Ausprägung und Gewichtung zu diskutieren. Was als Menschenrecht gilt, ändert sich im Laufe der Zeit.
Die Menschenrechte sind nicht willkürlich, wenn du das damit sagen willst.

Nein, ich will damit sagen, was ich geschrieben habe.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es steckt in ihnen viel objektive Wahrheit. Anders gesagt: Sie sind nicht einfach willkürlich so und nicht anders gesetzt worden.

Natürlich nicht völlig willkürlich. Sie spiegeln u.a. biologische und kulturelle Umstände wieder. Das Recht etwa, nicht zu hungern, hängt damit zusammen, wie unser Organismus funktioniert. Aber selbst ein so selbstverständliches Recht hat der Mensch (anders als den Hunger) nicht von Natur, sondern eine kulturell hochstehende Gemeinschaft gewährt es ihm, weil es ihr ein Bedürfnis ist oder sie vernünftige Gründe dafür hat.


Nein, du verstehst die Menschenrechte völlig falsch.

Sie sind historisch entstanden, "gewachsen", wenn man so will aus den früheren Kämpfen der Menschen um menschliche Rechte und menschliche Würde. Diese Kämpfe und Forderungen, aber auch alle entsprechenden Repressionen und Unterdrückungen spiegeln sich darin wieder.

Das ist der Grund, weshalb sie alles andere als beliebig oder einfach hingesetzt sind.

Es wäre nur folgerichtig, sie um ökologische Kämpfe und Forderungen zu ergänzen und zu erweitern.

Was Sam Harris betrifft: Der liefert eine wissenschaftliche Matrize, auf dessen methodischer Basis man durch entsprechende Forschungen angeben kann, welche Verhaltensweisen und welche Verhältnisse das "well-being" der einzelnen Menschen beeinflussen und in welcher Weise genau. Mehr in seinem Werk "The Moral Landscape", das dir ein Begriff sein dürfte.

Der Utilitarismus mit seiner "großen Zahl" als Querschnittssumme über Alles, ist ein kompletter Unsinn und ist auch in jeder Variante gescheitert.

Und in der Tat lugt da der gesellschaftliche Konformismus heimlich hervor. Dies war schon ursprünglich der untergründige Ansatz von Bentham:

Zitat:
Eine europäische Aufgabe bei der Diskussion des Cyberspace könnte es deshalb sein, daran zu erinnern, daß unsere westliche Kultur neben den Menschenrechten auch ein effektives System der Disziplinierung des Menschen hervorgebracht hat, dessen Kernidee der französische Philosoph Michel Foucault in der sozialen Maschine des Panoptikums lokalisierte. Eine Reflektion der Problematik sollte zunächst den Zusammenhang dieses Panoptikums mit den von Barlow vertretenen Idealen diskutieren, um sein „politisches Unbewußtes“ aufzudecken sowie die daraus resultierenden Probleme aufzuzeigen.

Trifft der deutschsprachige Leser auf das Wort Panoptikum, so denkt er an ein Wachsfigurenkabinett. Ursprünglich bezeichnete „panopticon“ jedoch eine spezielle Gefängnisarchitektur Jeremy Benthams, des Begründers des Utilitarismus. Benthams architektonische Erfindung besteht aus einem Rundbau, welcher durch einen Beobachtungsturm im Zentrum die nach innen hin einsehbaren Zellen der permanenten Überwachung aussetzt. Die Gefangenen des Panoptikums sehen den Wächter nicht, sind aber ständig einer potentiellen Überwachung ausgesetzt, die ein andauernd diszipliniertes Verhalten erzwingen soll. Diese Konstruktion erinnert nicht zufällig an George Orwells Dystopie vom totalen Überwachungsstaat. Der Orwellsche „Televisor“ wirkt heute freilich, angesichts von Internet- und Sensortechnik, nicht weniger anachronistisch als das von Bentham empfohlene Lauschröhrensystem zum Abhören der Zellen.

Michel Foucaults 1977 präsentierte Analyse der Disziplinargesellschaft sieht im Panoptikum den Kern des utilitaristisch-demokratischen Gesellschaftsmodells und betrachtet es gleichzeitig als Metapher der bürgerlichen Gesellschaft.


https://inversepanopticon.wordpress.com/tag/utilitarismus/




Benthams Panoptikum

Man versteht den Utilitarismus miss, wenn man ihn als in der Tradition der Aufklärung stehend ansieht. Er ist das Gegenteil und einfach nur eine ganz raffinierte Legitimationsmethode von Herrschaft. Bei diesen Ausführungen belasse ich es erst einmal, aber man kann noch einiges mehr dazu anmerken ...-
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Beitrag(#2160377) Verfasst am: 21.12.2018, 20:25    Titel: Re: Die Übereinkunft Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es steckt in ihnen viel objektive Wahrheit. Anders gesagt: Sie sind nicht einfach willkürlich so und nicht anders gesetzt worden.
Natürlich nicht völlig willkürlich. Sie spiegeln u.a. biologische und kulturelle Umstände wieder. Das Recht etwa, nicht zu hungern, hängt damit zusammen, wie unser Organismus funktioniert. Aber selbst ein so selbstverständliches Recht hat der Mensch (anders als den Hunger) nicht von Natur, sondern eine kulturell hochstehende Gemeinschaft gewährt es ihm, weil es ihr ein Bedürfnis ist oder sie vernünftige Gründe dafür hat.

Nein, du verstehst die Menschenrechte völlig falsch.

Sie sind historisch entstanden, "gewachsen", wenn man so will aus den früheren Kämpfen der Menschen um menschliche Rechte und menschliche Würde. Diese Kämpfe und Forderungen, aber auch alle entsprechenden Repressionen und Unterdrückungen spiegeln sich darin wieder.

In der Höhle von Shanidar fand man in den 70er-Jahren Neandertaler-Skelette, grob 50 000 Jahre alt.

Ein Skelett hatte nur einen Armstummel - Unterarm und Hand fehlten. Auch ein Bein war deformiert. Weiter wies der Kopf auf einer Seite eine schwere Verletzung auf. Vermutlich war der Mann auf dieser Seite mehr oder weniger blind und mehr oder weniger taub. Diese Verletzungen hat sich der Mann lange vor seinem Tod zugezogen.

Das wird Indiz gewertet, die Neandertaler hätten sich um ihre Kranken und Alten gekümmert. Die Würde des Neanderthalers - war sie unantastbar?

Falls das stimmt, woher hatten die Neandertaler ihren Sinn für Menschenrechte?



https://de.wikipedia.org/wiki/Shanidar
https://en.wikipedia.org/wiki/Shanidar_Cave
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Beitrag(#2160379) Verfasst am: 21.12.2018, 20:42    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was Sam Harris betrifft: ... "The Moral Landscape"

Kannte ich noch nicht. Hab' ein bisschen dazu 'rumgelesen. Der Grundgedanke ist in Ordnung, insgesamt gefällt's mir nicht.


1) die Mogelpackung! Was Harris schreibt ist nur eine Absichtserklärung, ein Manifest. Liefern kann er nicht, siehe das fette.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Der liefert eine wissenschaftliche Matrize, auf dessen methodischer Basis man durch entsprechende Forschungen angeben kann, welche Verhaltensweisen und welche Verhältnisse das "well-being" der einzelnen Menschen beeinflussen und in welcher Weise genau.


Harris hat folgendes geschrieben:
“My claim is that there are right and wrong answers to moral questions, just as there are right and wrong answers to questions of physics, and such answers may one day fall within reach of the maturing sciences of mind”

https://medium.com/@jakubferencik/quotes-from-sam-harris-moral-landscape-300463aaf5e3

One day - eines Tages. Was schlägt Harris vor - daß die Menschheit eine Pause einlegt, bis die Ergebnisse da sind?



2) Wenn man sich durch Argumentieren nicht einig wird, wie soll eine Berechnung helfen? Dem Saudischen Prinzen in den Mund gelegt:
    "Ich war immer der Meinung, es sei in Ordnung, jemanden in einer Botschaft zu meucheln und zu zersägen, aber seit ich Harris' Berechnungen gesehen habe, bin ich anderer Meinung."




3) Die Landschaft ist nicht berechenbar. Harris sagt, daß es verschiedene Pfade und Gipfel gibt, bestenfalls findet man ein lokales Maximum.

Harris. Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Just like at the scale of the individual, there may be multiple different paths and "peaks" to flourishing for societies - and many more ways to fail.

https://en.wikipedia.org/wiki/The_Moral_Landscape


Harris spricht von Landschaft und tut so, als hätte er gerade das zugehörige Navi erfunden. Nein

Immerhin ist er ehrlich genug, das Problem zu benennen:

Harris hat folgendes geschrieben:
One of the problems with consequentialism in practice is that we cannot always determine whether the effects of an action will be bad or good. . . .

Ach nee. Ohnmacht
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Beitrag(#2160380) Verfasst am: 21.12.2018, 20:43    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus mit seiner "großen Zahl" als Querschnittssumme über Alles, ist ein kompletter Unsinn und ist auch in jeder Variante gescheitert.

Damit wirst du weder step noch Harris gerecht. Harris selbst sagt, sein Ansatz gleiche dem Utilitarismus:

Harris-Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Harris says a science of morality may resemble Utilitarianism, but that the science is, importantly, more open-ended because it involves an evolving definition of well-being.




Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Benthams Panoptikum

Man versteht den Utilitarismus miss, wenn man ihn als in der Tradition der Aufklärung stehend ansieht. Er ist das Gegenteil und einfach nur eine ganz raffinierte Legitimationsmethode von Herrschaft.

Harris hat sein eigenes Panoptikum entworfen. Pfeifen

Zitat:
Harris looks forward, for instance, to the day that governments and corporations will be able to use brain scanning technology to detect whether people are lying, thereby creating “zones of obligatory candour” and enabling an entirely truthful public life. “Thereafter, civilised men and women might share a common presumption,” he writes, “that whenever important conversations are held, the truthfulness of all participants will be monitored.” This would no more be a deprivation of freedom than currently it is to be denied “the right to remove our pants in the supermarket”.

https://newhumanist.org.uk/2538/test-tube-truths

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vrolijke
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Beitrag(#2160381) Verfasst am: 21.12.2018, 20:56    Titel: Antworten mit Zitat

Man könnte durchaus überlegen, ob die "humanitäre" Ader der Homo Sapiens nicht eher vonseiten der Neandertaler kommt.
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Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.

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step
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Beitrag(#2160382) Verfasst am: 21.12.2018, 20:57    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Man könnte durchaus überlegen, ob die "humanitäre" Ader der Homo Sapiens nicht eher vonseiten der Neandertaler kommt.

Oder von noch früher.
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step
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Beitrag(#2160383) Verfasst am: 21.12.2018, 21:08    Titel: Antworten mit Zitat

Die Aussage "in den Menschenrechten spiegeln sich historische Erfahrungen wieder" und "sie sind entstanden aus dem früheren Kampf darum" sind kein Beleg dafür, daß ich die Menschenrechte "völlig falsch" verstanden hätte. Es bleibt ja trotzdem dabei, daß die Menschen nicht den Hunger, aber das Recht auf Essen erfunden haben, auch wenn dieses "Erfinden" natürlich kein singulärer Akt war.

smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus mit seiner "großen Zahl" als Querschnittssumme über Alles, ist ein kompletter Unsinn und ist auch in jeder Variante gescheitert.

Damit wirst du weder step noch Harris gerecht. Harris selbst sagt, sein Ansatz gleiche dem Utilitarismus:
Harris-Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Harris says a science of morality may resemble Utilitarianism, but that the science is, importantly, more open-ended because it involves an evolving definition of well-being.

Und natürlich erlaubt auch der Utilitarismus eine "evolving definition of well-being" - in einigen Spielarten, etwa dem Präferenzutilitarismus, ist sie sogar abhängig von der individuellen Disposition.
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Zumsel
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Beitrag(#2160384) Verfasst am: 21.12.2018, 21:18    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wie etwas anerzogen wird oder wodurch sich Werte vererben klingt jetzt allerdings nicht nach originär naturwissenschaftlichen Fragen.

Naja, Soziologie rechne ich mal dazu. Jedenfalls geht es um prüfbare Hypothesen über die Funktionsweise.


Was aber auch schon in der Soziologie notwendig anders läuft als in den Naturwissenschaften. Zumindest überall dort, wo Hypothesen nicht rein statistisch überprüft werden können.

step hat folgendes geschrieben:
Nein, dieser Einwand ist mE falsch. Die meisten Utilitaristen würdem dem Einhalten von Versprechen einen hohen Gemeinnutzen zuweisen,...


Wie gesagt: Der Gesamtnutzen ist beim Versprechen einfach nicht der springende Punkt. Ebenso wenig übrigens wie bspw. bei der Gerechtigkeit.


step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was den moralischen Charakter des Versprechens ausmacht ist also nicht irgendein vorgestellter, gesamtgesellschaftlicher Nutzen, sondern ein Verpflichtungsgefühl.

Das liegt daran, daß Moral eingeübt wird und man aus Effizienzgründen nicht immer wieder neu darüber nachdenkt.


Ja, so wird das von Konsequentialisten oft verstanden, erscheint mir aber kaum plausibel. Dass zu Versprechen auch einen Nutzen hat, steht zum Beispiel völlig außer Frage und dieser Nutzen ist auch für jeden jederzeit offensichtlich. Wenn das alles auf diese Nützlichkeit reduzierbar wäre, gäbe es für die Art moralische Überhöhung, die der Utilitarist annehmen muss, umd überhaupt sowas wie eine Moraltheorie zu habe, überhaupt keine Notwendigkeit. Gerade WEIL das Nützliche immer schon für sich spricht, bedarf es dafür keiner Beweggründe, die nicht vollständig im erkennbar Nützlichen aufgingen.

step hat folgendes geschrieben:
...und zweitens wissen wir ja alle, daß viele nützliche (und auch schädliche) Dinge nicht "designt" sind, sondern sich iterativ gebildet haben, sowohl in der Biologie als auch in der Kultur.


Ja, sehr gut, jetzt kommen wir dem entscheidenden Punkt näher. Denn was heißt das eigentlich? Es heißt doch, dass der festgestellte Nutzen bloß eine sinngebende Interpretation von etwas Vorgefundenem ist, dessen Ursache in etwas von dieser interpretierten Nützlichkeit völlig Verschiedenen, vielleicht gar Zufälligen liegen kann. Wären die Dinge anders gelaufen, hätten wir ein anderes Selbstverständnis mit einer anderen Moral ausgebildet und würden dieser anderen Moral dann eben auch andere Nützlichkeiten als Ursachen und Rechtfertigungen unterschieben. Ursächlich für das moralische Bewusstsein sind diese Nützlichkeitserwägungen aber gerade nicht. Wenn man anfängt von Nützlichkeiten zu reden, redet man gerade am Kern der Moral vorbei.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Für den Nichtutilitaristen ist ja gar nicht ausgemacht, dass es da immer einen konkreten Nutzen geben muss.

Das ist richtig und übrigens auch beim Utilitaristen so - aber meist stellt sich dann doch heraus, daß wie durch ein Wunder all die Dinge, die der Nichtutilitarist wichtig findet, seiner Ansicht nach auch einen Nutzen haben. Nur hat er eben so eine Abneigung gegen die Profanität dieser Tatsache und dieser Bezeichnung, weil er sie mit englischem Krämertum assoziiert, wo er lieber etwas Erhabenes, einen Götterfunken hätte.


Natürlich finden sich da je nach Perspektive immer diverse Nutzen, wer wollte das bestreiten? Was bestritten wird ist erstens, dass Moral in ihren Nützlichkeiten aufgehet und zweitens, dass sie (hauptsächlich) um eines konkret anzugebenden Nutzens Willen überhaupt erst besteht.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der Wert des Versprechens z.B. könnte auch in dem stolzen Gefühl begründet sein, seine Willensbekundung über längere Zeiträume hinweg stabil zu halten und damit überhaupt erst so etwas wie ein bleibendes Ich-Bewusstsein zu erschaffen. Der gesellschaftliche Nutzen daraus wäre bloß ein überinterpretierter Kollateralnutzen.

Nehmen wir mal einen Moment an, das wäre tatsächlich so. Dann müßte es Dir ja eher unwichtig sein, ob Andere ihre Versprechen einhalten. Und es wäre dann auch sinnlos, Menschen mit Vorwürfen zu begegnen, wenn sie ihre Versprechen brechen. Und Kinder zu belehren, Versprechen einzuhalten.


Na ja, der Vorwurf könnte ja auch Ausdruck von Enttäuschung über den offensichtlichen Mangel an edler Empfindung sein; der andere entspricht nicht dem, wie wir denken, dass Menschen sein sollten. Dass wir das denke, und das ist der entscheidende Punkt, liegt aber nicht in erster Linie daran, dass wir uns um eines konkreten Nutzens betrogen fühlten, sondern daran, dass der andere sich selbst und damit auch einen Teil der Welt, zu der wir gehören, niedriger, kleiner und erbärmlicher macht.

step hat folgendes geschrieben:
Und gäbe es dann überhaupt Betrüger mit Ich-Bewußtsein?


Ja, gut, "Ich-Bewusstsein" war vielleicht zu hoch gegriffen. Sagen wir vielleicht besser: "Erhalt der eigenen Persönlichkeit durch die Fähigkeit, sich selbst und seine Impulse unter den Einflüssen der äußeren Welt zu kontrollieren" oder etwas in der Art.


step hat folgendes geschrieben:
Und wäre Moral dann nicht eher so etwas Ähnliches wie Essen oder Sehen: essentiell wichtig für das Individuum, kollateral nützlich für die Gemeinschaft?


Ja, könnte man eventuell so sehen. Wobei der jeweilige "Nutzen" ja durchaus flexibel interpretierbar ist und auch immer verschieden interpretiert wurde und wird.
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Zumsel
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Beitrag(#2160388) Verfasst am: 21.12.2018, 21:29    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Also, wenn du mit "Metaphysik" sowas die lieben Englein meinst: die sind nicht die einzige Alternative zur englischen Krämermoral...

Englische Krämermoral. Schneidig formuliert. Mr. Green

Allerdings sagt mir persönlich die englische Denktradition - John Stuart Mill, Adam Smith, Darwin - mehr als die kontinentale, insbesondere die deutsche.


Nietzsche hat i.d.Z. mal von der "Mittelmäßigkeit" englischen Denkens gesprochen, womit er den Engländern die Richtigkeit vieler ihrer Erkenntnisse keineswegs absprechen wollte, nur seien manche Wahrheiten eben derart, dass sie nur von mittelmäßigen Geistern gefunden werden könnten. Das bezog er, glaube ich, ausdrücklich auch auf Darwin. So vermessen wie Nietzsche bin ich in meinem Urteil ganz gewiss nicht, aber ich glaube zumindest zu verstehen, was er da in der ihm nun mal eigenen Neigung zur Polemik ausdrücken wollte. Denn:

smallie hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Charles Darwin - Die Abstammung des Menschen
Kapitel 5 - Über die Entwickelung der intellektuellen und moralischen Fähigkeiten während der vorgeschichtlichen und zivilisierten Zeiten


Es verdient Beachtung, daß, sobald unsere Vorfahren sozial wurden ..., der Nachahmungstrieb, die Überlegung [reason] und die Erfahrung einen immer breiteren Raum einnahmen und die intellektuellen Fähigkeiten in einer Weise stark modifizierten, von der wir nur Spuren bei den Tieren bemerken können.



Reziprozität:

Darwin hat folgendes geschrieben:
Erstens wird jeder Mensch bei der zunehmenden Vervollkommnung seines Verstandes und seiner Voraussicht bald einsehen lernen, daß er, wenn er seinen Mitmenschen hilft, auch ein Anrecht auf ihre Hilfe erwirbt.



Gruppendruck:

Darwin hat folgendes geschrieben:
Ein anderer, viel wirksamerer Antrieb zur Entwickelung der sozialen Tugenden ist das Lob und der Tadel unserer Mitmenschen.


das alles leuchtet auf den ersten Blick irgendwie schon ein, ist aber ja im Grunde jetzt auch nicht sonderlich originell. Und irgendwie kann man sich dann auf den zweiten Blick auch des Verdachtes nicht erwehren, dass damit bezüglich einer Erklärung des Phänomens Moral noch nicht das wichtigste gesagt ist.

smallie hat folgendes geschrieben:
Darwin hat folgendes geschrieben:
Wie Bagehot bemerkt hat, sind wir leicht geneigt, die fortschreitende Entwickelung als das Normale in der Geschichte der Menschheit anzusehen. Die Geschichte selbst widerlegt diese Annahme.

Ob die Skepsis berechtigt ist, lasse ich an dieser Stelle offen. Steven Pinker und andere bestreiten das. Wer hier einen argumentativen Stich machen will, muß eine Metrik des Fortschritts haben. Womit wir wieder bei Krämermoral sind.


Na ja, dass die Menschheit fortschreitend, kann man doch schlecht leugnen. Die Frage ist doch eher, ob es dabei er auf- oder abwärts geht. Lachen

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wie gesagt, wenn man das Kantische "Vernunftwesen" nicht schluckt, bleibt für die Moral eigentlich nur noch die Psychologie.

Hilft Vernunft bei folgendem Problem?

Menschen in unterschiedlichen Gesellschaften kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was gesellschaftlich wünschenswert ist. Schon die skandinavischen Länder setzen andere Schwerpunkte als die mitteleuropäischen, als die Visegrad-Staaten, die Briten oder die US-Amerikaner. Global gesehen sind die Unterschiede noch größer.

Wenn ich das Vernunftwesen schlucke, muß ich annehmen, daß die Skandinavier vernünftiger sind, als der Rest der Welt, oder die Polen, oder die Amis, oder die Chinesen ... Der jeweilige Rest der Welt ist dann schlicht unvernünftig oder wird unterdrückt oder verführt. Das mag im Einzelfall zutreffen, birgt aber auch die Gefahr der Selbstgefälligkeit.

"Vernunft" läßt sich schnell behaupten. Die Diskussion, was was vernünftig ist, bleibt einem jedoch nicht erspart.


Nun, es ist ja nicht so, dass Kant nicht argumentieren würde. Und zwar sowohl beim Kategorischen Imperativ als auch beim allgemeinen Rechtsprinzip. Und wenn Kant von Vernunft spricht, meint erdamit auch nicht so etwas wie brauchbare Ideen zur Organisation eines Gemeinwesens (das gehört bei ihm zum Verstand), sondern eher so was wie die Prinzipien bzw. die Form des Denkens überhaupt. Denn nur über derartige Prinzipien kann man zur Allgemeingültigkeit kommen. Der Kategorische Imperativ oder das allgemeine Rechtsprinzip abstrahieren daher auch völlig von jedem konkreten Inhalt und geben nur an, welche Form jedes moralische oder rechtliche Urteil notwendig haben müsse.
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step
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Beitrag(#2160390) Verfasst am: 21.12.2018, 22:02    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wenn das alles auf diese Nützlichkeit reduzierbar wäre, gäbe es für die Art moralische Überhöhung, die der Utilitarist annehmen muss, umd überhaupt sowas wie eine Moraltheorie zu habe, überhaupt keine Notwendigkeit.

Der Utilitarist muß keine moralische Überhöhung betreiben, es reicht eine vernünftige Einigung auf dieses Ziel. Der Utilitarist schlägt diese Maxime sozusagen vor und hofft darauf, daß sie vernünftig einleuchtet. Vielleicht kann er auch argumentativ überzeugen, etwa spieltheoretisch.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Gerade WEIL das Nützliche immer schon für sich spricht, bedarf es dafür keiner Beweggründe, die nicht vollständig im erkennbar Nützlichen aufgingen.

Da würde ich zustimmen. Es bedarf keiner weiteren Beweggründe, nur Interessen und Vernunft.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Es heißt doch, dass der festgestellte Nutzen bloß eine sinngebende Interpretation von etwas Vorgefundenem ist, dessen Ursache in etwas von dieser interpretierten Nützlichkeit völlig Verschiedenen, vielleicht gar Zufälligen liegen kann.

Ja, würde ich so sehen. Die Ursache dafür, was genau nützlich ist, könnte etwa letztlich in der Physik liegen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wären die Dinge anders gelaufen, hätten wir ein anderes Selbstverständnis mit einer anderen Moral ausgebildet und würden dieser anderen Moral dann eben auch andere Nützlichkeiten als Ursachen und Rechtfertigungen unterschieben.

Ja, auch hier stimme ich zu. Mit der kleinen Einschränkung, daß etwa Aliens derselben Physik unterliegen wie wir und daher einige Aspekte der Nützlichkeit wohl ähnlich aussähen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ursächlich für das moralische Bewusstsein sind diese Nützlichkeitserwägungen aber gerade nicht. Wenn man anfängt von Nützlichkeiten zu reden, redet man gerade am Kern der Moral vorbei.

Hier wird es aus meiner Sicht echt spooky. Setzt Du etwa hier einfach voraus, daß "Moral" etwas Heiligeres sein MUSS als etwas Nützlichkeitsbasiertes? Sonst verstehe ich nicht, was Du mir sagen willst.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was bestritten wird ist erstens, dass Moral in ihren Nützlichkeiten aufgehet und zweitens, dass sie (hauptsächlich) um eines konkret anzugebenden Nutzens Willen überhaupt erst besteht.
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... der Vorwurf könnte ja auch Ausdruck von Enttäuschung über den offensichtlichen Mangel an edler Empfindung sein; der andere entspricht nicht dem, wie wir denken, dass Menschen sein sollten.

Diese Kombi ist aber schon mutig - Du bietest mir "Edelmut" als alternative Ursache für Moral an, weil Du möchtest, daß Moral etwas Edles ist?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Dass wir das denke, und das ist der entscheidende Punkt, liegt aber nicht in erster Linie daran, dass wir uns um eines konkreten Nutzens betrogen fühlten, sondern daran, dass der andere sich selbst und damit auch einen Teil der Welt, zu der wir gehören, niedriger, kleiner und erbärmlicher macht.

Um eine Welt in Deiner Perzeption erbärmlicher zu machen, mußtest Du sie zuvor erst einmal überhöhen. Wenn Du an eine "erhabene" Welt ohne Betrug denkst, warum genau empfändest Du denn eine solche Welt als erhaben? Doch wohl weil man in ihr Menschen vertrauen und friedlich und ohne Argwohn zusammenleben kann.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und gäbe es dann überhaupt Betrüger mit Ich-Bewußtsein?
Ja, gut, "Ich-Bewusstsein" war vielleicht zu hoch gegriffen. Sagen wir vielleicht besser: "Erhalt der eigenen Persönlichkeit durch die Fähigkeit, sich selbst und seine Impulse unter den Einflüssen der äußeren Welt zu kontrollieren" oder etwas in der Art.

Impulskontrolle ist verdächtig nützlich. Schlag doch mal was Unnützes vor, das würde mich vielleicht mehr überzeugen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und wäre Moral dann nicht eher so etwas Ähnliches wie Essen oder Sehen: essentiell wichtig für das Individuum, kollateral nützlich für die Gemeinschaft?
Ja, könnte man eventuell so sehen. Wobei der jeweilige "Nutzen" ja durchaus flexibel interpretierbar ist und auch immer verschieden interpretiert wurde und wird.

Natürlich, ich bin auch weit davon entfernt zu behaupten, der Nutzen sei eine einfach objektiv erkennbare Größe. Das ist auch ein Problem vor allem im frühen Utilitarismus.
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VanHanegem
Weltmeister



Anmeldungsdatum: 24.04.2006
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Beitrag(#2160428) Verfasst am: 22.12.2018, 11:42    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Man könnte durchaus überlegen, ob die "humanitäre" Ader der Homo Sapiens nicht eher vonseiten der Neandertaler kommt.

Au weia! Wie war das gleich wieder mit der Inzidenz von Neandertaler Genen bei Nordafrikanern/Eurasiern einerseits und Südafrikanern andererseits? Dürfte die Phantasie einiger komischer Menschen durchaus anregen.
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Hup Holland Hup, Oranje winnt de cup (2022)
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