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neinguar Blue Note
Anmeldungsdatum: 04.02.2008 Beiträge: 3088
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(#1380546) Verfasst am: 22.10.2009, 13:59 Titel: BVerfG: Gleiche Hinterbliebenenversorgung im ÖD für eingetr. Lebenspartner |
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Das Bundesverfassungsgericht hat die Diskriminierung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten bei der Hinterbliebenenversorgung im öffentlichen Dienst durch die Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) für verfassungswidrig erklärt.
Die Begründung, soweit man sie der Presseerklärung entnehmen kann (die schriftliche Urteilsbegründung gibt's wie immer erst im Laufe der nächsten Wochen), ist nicht uninteressant. Ich muss zwar gestehen, dass ich nicht sagen kann, inwieweit sie in der Sache oder in der Deutlichkeit der Formulierung neu ist - ich habe die Rechtsprechung dazu nicht im Einzelnen verfolgt - , aber sie ist ganz gut dazu geeignet, sie Leuten unter die Nase zu reiben, die a) mit dem Schutz der Ehe (Art. 6 I GG) verfassungsrechtlich gegen jeden Schritt zur Gleichberechtigung von homosexuellen Partnerschaften, und b) mit dem Faktor
"Kinder" argumentieren.
Ich versuche mal, kurz zusammen zufassen:
1. Der Schutz der Ehe bedeutet nicht, dass sie gegenüber anderen Lebensformen begünstigt werden muss.
2. Jede Bevorzugung muss sachlich gerechtfertigt sein. Der bloße Verweis auf Art. 6 I GG ist kein sachlicher Grund.
3. Im speziellen Fall der Hinterbliebenenversorgung gibt es keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung.
Insbesondere zum Thema "Kinder":
4. Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder, andererseits gibt es sie auch in homosexuellen Lebenspartnerschaften.
5. Kindererziehungszeiten können bei der Berechnung von Versorgungsansprüchen unabhängig vom Familienstand konkreter berücksichtigt werden.
Zu 1./2. (Hervorhebung von mir):
Presseerklärung des BVerfG hat folgendes geschrieben: | (...)
Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und
Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Um dem
Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates,
alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt,
und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.[/b] Dem Gesetzgeber ist es
grundsätzlich nicht verwehrt, sie gegenüber anderen Lebensformen zu
begünstigen. Die ehebegünstigenden Normen bei Unterhalt, Versorgung und
im Steuerrecht können ihre Berechtigung in der gemeinsamen Gestaltung
des Lebensweges der Ehepartner und in der auf Dauer übernommenen, auch
rechtlich verbindlichen Verantwortung für den Partner finden.
Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer
Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten
Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe
vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot
der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Denn aus der Befugnis, in
Erfüllung und Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Förderauftrags
die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu privilegieren, lässt sich kein
in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenes Gebot herleiten, andere Lebensformen
gegenüber der Ehe zu benachteiligen. Es ist verfassungsrechtlich nicht
begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere
Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit
geringeren Rechten zu versehen sind. Hier bedarf es jenseits der bloßen
Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes,
der gemessen am jeweiligen Regelungsgegenstand und -ziel die
Benachteiligung anderer Lebensformen rechtfertigt. |
Zu 4./5.:
Presseerklärung des BVerfG hat folgendes geschrieben: | (...)
Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe und eingetragener
Lebenspartnerschaft kann auch nicht darin gesehen werden, dass
typischerweise bei Eheleuten wegen Lücken in der Erwerbsbiographie
aufgrund von Kindererziehung ein anderer Versorgungsbedarf bestünde als
bei Lebenspartnern. Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder. Es ist auch nicht
jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Ebenso wenig kann unterstellt werden,
dass in Ehen eine Rollenverteilung besteht, bei der einer der beiden
Ehegatten deutlich weniger berufsorientiert wäre. Das in der
gesellschaftlichen Realität nicht mehr typusprägende Bild der
„Versorgerehe“, in der der eine Ehepartner den anderen unterhält, kann
demzufolge nicht mehr als Maßstab der Zuweisung von
Hinterbliebenenleistungen dienen.
Umgekehrt ist in eingetragenen Lebenspartnerschaften eine
Rollenverteilung dergestalt, dass der eine Teil eher auf den Beruf und
der andere eher auf den häuslichen Bereich einschließlich der
Kinderbetreuung ausgerichtet ist, ebenfalls nicht auszuschließen. In
zahlreichen eingetragenen Lebenspartnerschaften leben Kinder,
insbesondere in solchen von Frauen. Der Kinderanteil liegt bei
eingetragenen Lebenspartnerschaften zwar weit unter dem von Ehepaaren,
ist jedoch keineswegs vernachlässigbar.
Zudem können etwaige Kindererziehungszeiten oder ein sonstiger
individueller Versorgungsbedarf unabhängig vom Familienstand konkreter
berücksichtigt werden, wie es sowohl im Recht der gesetzlichen
Rentenversicherung als auch in der Satzung der VBL bereits geschieht. |
_________________ Woran du dein Herz hängest, das ist dein Gott - Martin Luther -
Wenn ich Gott wäre, würde ich mich nicht von jedem anbeten lassen wollen - Hilde Ziegler -
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nocquae diskriminiert nazis
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 18183
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(#1380561) Verfasst am: 22.10.2009, 14:11 Titel: |
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Und wieder einmal musste wie so oft in den vergangenen Jahren das BVerfG einschreiten, um dem seltsamen Rechtsverständnis der Politik einen Verweis zu erteilen.
_________________ In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, als viel gefährlicher, als derjenige, der den Schmutz macht.
-- Kurt Tucholsky
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Evilbert auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.09.2003 Beiträge: 42408
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(#1380572) Verfasst am: 22.10.2009, 14:33 Titel: |
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Das ist dann ja ein gleich doppelt gutes Urteil, weil nicht nur in der Sache selbst gut entschieden wurde, sondern die Begründung zu 4./5. ja auch für andere Bereiche mE sehr gute Implikationen aufwerfen könnte.
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neinguar Blue Note
Anmeldungsdatum: 04.02.2008 Beiträge: 3088
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(#1380638) Verfasst am: 22.10.2009, 16:52 Titel: |
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Noseman hat folgendes geschrieben: | Das ist dann ja ein gleich doppelt gutes Urteil, weil nicht nur in der Sache selbst gut entschieden wurde, sondern die Begründung zu 4./5. ja auch für andere Bereiche mE sehr gute Implikationen aufwerfen könnte. |
Eben wegen der grundsätzlichen Aussagen und Implikationen (nicht nur zu 4./5.) habe ich der Nachricht einen eigenen Thread gegönnt. Das spezielle Thema "Hinterbliebenenversorgung im öffentlichen Dienst" hätte das kaum gerechtfertigt.
Es zeigt wieder mal, dass die ganz fundamentalistischen Warner in einem Punkt Recht hatten: Wenn man Diskriminierungen teilweise abbaut, kann man die übrig gebliebenen Diskriminierungen schlecht aufrechterhalten. Die bisherigen Schritte waren ja politisch jeweils nur durchsetzbar, weil es immer hieß, die Sonderstellung der Ehe werde nicht angegriffen. Bei der Beseitigung der letzten Sondertatbestände im Strafrecht hieß es, es gehe nur um negative Diskriminierung, in den Debatten v.a. vor der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft dann, es gebe immer einen deutlichen Abstand zur Ehe, und nein, auf keinen Fall sei das ein "Dammbruch" hin zur völligen Gleichstellung (ich erinnere mich gut an diverse Politiker, "gemäßigte" Kirchenvertreter u.a.).
Jetzt sagt das BVerfG: Nein, ein solcher Abstand aus Prinzip ist verfassungswidrig. Auch Diskriminierung light ist verboten. Der rein formelle Rückzug auf Art. 6 GG zieht nicht mehr. Jede einzelne Ungleichbehandlung muss spezifisch gerechtfertigt werden.
Inhaltlich sind, soweit ich das sehe, nur noch Argumente übrig, die mit Kindern zu tun haben, und ein paar ganz wichtige davon hat das BVerfG jetzt auch verworfen. V.a. das oben unter 5. genannte, das, allgemeiner formuliert, heißt: Kinder kann und muss man dort schützen und fördern, wo sie tatsächlich sind, und nicht, indem man ein Konstrukt privilegiert, in dem sie irgendwie ganz abstrakt vorgesehen sind. Die Reduzierung auf den Aspekt der physischen Zeugung, unabhängig von der Fortpflanzungsfähigkeit und dem Fortpflanzungswillen der Beteiligten, dürfte verfassungsgerichtlich gegessen sein, wenn das Gericht sich selbst ernst nimmt.
Tatsächlich wird es wohl noch viele kleine mühsame Schritte geben, aber es geht voran.
_________________ Woran du dein Herz hängest, das ist dein Gott - Martin Luther -
Wenn ich Gott wäre, würde ich mich nicht von jedem anbeten lassen wollen - Hilde Ziegler -
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Rasmuss Kroemker auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 09.07.2008 Beiträge: 387
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(#1380734) Verfasst am: 22.10.2009, 18:53 Titel: |
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Welch ein großer Tag!
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