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Essay über die Erbsünde (Vorsicht, langer Text!)

 
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Autor Nachricht
Volker
Bekennender Atheist



Anmeldungsdatum: 29.07.2003
Beiträge: 190
Wohnort: Würzburg

Beitrag(#95254) Verfasst am: 24.02.2004, 00:09    Titel: Essay über die Erbsünde (Vorsicht, langer Text!) Antworten mit Zitat

Hallo,

ab und zu veröffentliche ich Texte, die für meine Website gedacht sind, vorab in einigen Diskussionsgruppen. Falls Ihr nichts dagegen habt, werde ich dies auch im Freigeisterhaus machen - hier ist ein (leider langer Text) über die Erbsünde und das Sühneopfer Jesu. Viel Spaß beim Lesen und Diskutieren!

Zentral für die christliche Religion sind zwei Konzepte, das der Erbsünde (aus verschiedenen Gründen auch Ursünde genannt, vergleiche auch den Eintrag Erbsünde aus einem katholischen Morallexikon) und das des stellvertretenden Opfers. Zu beiden Konzepten möchte ich Ihnen hier meine überlegungen darlegen.

Nach christlichem Glauben sind wir alle mit der Erbsünde "befleckt". Sünde ist ein Verstoß gegen moralische Gebote und stellt zugleich ein Ungehorsam gegen Gott dar (zu dem Konzept der Sünde siehe auch Was ist eigentlich "Sünde"?). Wenn ich also gegen eines der Gebote Gottes verstoße, bin ich ungehorsam und sündige. Ich habe Schuld auf mich geladen. Was aber ist Erbsünde? Dies ist der erste Ungehorsam von Menschen gegen Gott - Adam und Eva haben das einzige Gebot, welches Gott ihnen gegeben hat, übertreten und von der verbotenen Frucht gegessen. Daraufhin wurden beide aus dem Paradies verstoßen. Seitdem sind die Menschen sterblich. "Der Tod ist der Sünde Sold" wie die Christen sagen. Oder, anders gesagt, der Tod ist die Strafe Gottes für die übertretung seines Gebotes (siehe auch Wie Eva und Adam ausgetrickst wurden und Adam - die wahre Geschichte?).

Aber warum sind alle Menschen davon betroffen? Keiner von uns hat die Frucht gegessen, sicher gibt es auch genug Menschen, die unter vergleichbaren Umständen dies niemals getan hätten. Aus gutem Grund kennen wir in unserer Moral das Konzept der stellvertretenden Schuld nicht. Schuld ist nicht übertragbar. Schuld entsteht, wenn jemand gegen ein Gebot verstößt und er dafür verantwortlich ist. Gibt es keine Verantwortung, dann gibt es auch keine Schuld. Wir kennen sogar die verminderte Schuldfähigkeit, wenn jemand für seine Handlung nicht voll verantwortlich ist. Und wir benutzen den Begriff "unschuldig" für jemanden, der für die Konsequenzen einer Handlung nicht verantwortlich ist. Also trifft niemanden von uns die Schuld für das Versagen von Adam und Eva außer Adam und Eva selbst. Wir kennen auch die Idee einer Sippenhaftung nicht mehr, ebenfalls aus gutem Grund. Aber jemanden für etwas verantwortlich zu machen, für dass dieser nichts kann, woran er nicht bereiligt war, das empfinden wir als ungerecht. Nicht umsonst verwenden wir vor Gericht viel Mühe darauf, den Verantwortlichen für ein Verbrechen herauszufinden, und lieber lassen wir einen Schuldigen laufen, weil wir ihm seine Verantwortung nicht nachweisen können, als dass wir es zulassen, einen Unschuldigen für etwas zu bestrafen, was er nicht getan hat.

Warum fällt Christen nicht auf, dass das Konzept der Erbsünde falsch ist? Nun, die Erbsünde wird für etwas anderes benötigt, für die Erlösung. Niemand, der unschuldig ist, wäre erlösungsbedürftig. Man kann nur jemanden von einer Schuld erlösen, für die dieser auch verantwortlich ist. Keine Verantwortung, keine Schuld, keine Erlösung.

Aus diesem Grund wurde das Konzept der Erbsünde auch ersetzt durch die Idee der Ursünde. Demnach wurde durch die ersten Menschen, durch ihren Ungehorsam gegen Gott, ein Niedergang der Schöpfung eingeleitet, der uns Verhältnisse beschert, die zwangsläufig dazu führen, dass wir sündigen. Anders gesagt, die menschliche Natur wurde verdorben, was dazu führt, dass wir sündigen. Aber wiederum können wir für diesen Niedergang nichts, wir leiden zwar darunter, aber wir sind nicht ursächlich dafür verantwortlich. Denn der Niedergang beschert uns Verhältnisse, die notwendig dazu führen, dass wir sündigen werden, dies macht uns natürlich zwar verantwortlich für das, was wir selbst tun, aber nicht für das, was Andere getan haben. Ja, der Umstand, dass wir für diese Verhältnisse nichts können, vermindert sogar unsere eigene Schuldfähigkeit! Denn auch in der Rechtssprechung ist es so, dass wenn wir jemanden in eine Situation bringen, in der dieser nicht anders kann als ein Gesetz zu brechen, wir hier eine Schuld teilweise oder sogar ganz verneinen. Und wir können auch nicht rückwirkend für die Taten anderer Menschen verantwortlich gemacht werden. Jeder würde es ablehnen, eine Strafe für die Untaten seiner Vorfahren zu akzeptieren, vor allem, wenn diese vor Jahrtausenden gelebt haben. Es liegt in der menschlichen Natur zu sündigen, die wir aufgrund der Taten unserer Vorfahren haben (laut christlichem Glauben).

Jede schlechte Tat begründet deswegen eine Schuld, weil wir eine Entscheidung getroffen haben. Wann haben Sie oder ich mich dazu entschieden, ein Mensch mit dieser Natur zu werden? Wenn wir uns aber nicht dazu entschieden haben und wir keine andere Wahl hatten, dann trifft uns auch keine Schuld. Niemand hält es für gerecht, jemanden für eine Handlung zu bestrafen, die dieser unter keinen Umständen hätte vermeiden können.

In Diskussionen mit Christen wird von Atheisten oftmals von der Inquisition oder den Kreuzzügen gesprochen und dies quasi als Vorwurf den heutigen Christen vorgehalten. Das ist natürlich Unsinn, denn kein heute lebender Christ kann etwas dafür, dass Christen vor Jahrhunderten Hexen verbrannt haben. Aber halt, wenn das Konzept der Ursünde gerechtfertigt ist, hat dann nicht der Christ mit dem Christentum die Verantwortung für diese Taten mit übernommen, ist folglich schuldig an der Ermordung Unschuldiger? Der Christ, der dieses Ansinnen zu Recht zurückweist, weist eigentlich auch das Konzept der Ursünde zurück! Alle Argumente, die er aufwendet, um diese Schuld zurückzuweisen, kann man auch auf die Erb- oder Ursünde anwenden.

Wenn Gott gerecht ist, dann gibt es keine Erbsünde. Wenn Gottes Gerechtigkeit sich aber fundamental von unserer Gerechtigkeit unterscheiden sollte (ein Ausweg, den Christen wählen, wenn man sie auf den konzeptionellen Fehler in der Erbsündentheorie aufmerksam macht), dann sollte man sie nicht als "Gerechtigkeit" bezeichnen, sondern einen anderen Ausdruck dafür verwenden, um keine Verwechslung heraufzubeschwören. Dann wäre das Etikett "gerecht" bei Gott ein Etikettenschwindel oder eine irreführende Wortverwendung.

Nun sind wir also für die Taten der ersten Menschen so wenig verantwortlich wie ein heute lebender Christ für die Inquisition oder die Kreuzzüge. Verantwortlich sind wir nur für unsere eigenen Taten. Und die meisten dieser Taten der meisten Menschen verdienen auf keinen Fall die Todestrafe - schon überhaupt nicht für kleine Kinder, die viel zu oft sterben, bevor sie überhaupt die Gelegenheit hatten, etwas Böses zu tun. Wir können auch nichts dafür, dass die menschliche Natur verdorben ist. Das macht uns allenfalls weniger schuldig, nicht mehr. Wenn die Eltern eines Täters Alkoholiker waren, die ihn oft schlugen und vernachlässigten, dann werden wir bei einem Urteil ehermilde gestimmt sein als bei jemandem, der in "geordneten" Verhältnissen aufgewachsen ist und aus Spaß Diebstähle begeht.

Wenn es aber keine Erbsünde gegeben hat, wozu dann der Opfertod Christi? Wozu Erlösung? Und damit stoßen wir gleich schon auf die nächsten Probleme - erlöst werden kann man erstens nur von seiner eigenen, individuellen Schuld, und zweitens kann niemand stellvertretend für uns diese Schuld übernehmen. Und drittens - welche der Sünden, die Sie jemals in ihrem Leben getan haben, würden den grausamen Tod der Kreuzigung als eine angemessene Strafe rechtfertigen?

Fangen wir mit ersten Problem an: Angenommen A hat jemanden umgebracht, und an seiner Schuld besteht kein Zweifel. Würden Sie es für gerechtfertigt halten, wenn B, ein Unbeteiligter und Unschuldiger, nun für diese Tat büßen soll? Sicher würde dies Ihr Gerechtigkeitsempfinden verletzen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn B damit einverstanden ist. Wir empfinden es als Barbarei, jemand Anderen für etwas büßen zu lassen, was dieser nicht getan hat. Was ruft in Kriegen die größte Empörung hervor? Nicht einmal, dass Soldaten andere Soldaten töten, sondern wenn - selbst durch Versehen - Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, dabei ums Leben kommen. Was empört uns daran? Dass Frauen und Kinder für etwas büßen müssen, für das sie nichts können.

Aber Jesus, so wird behauptet, war nicht nur moralisch vollkommen (was seine Schuld an irgendwelchen Geschehnissen positiv ausschließt), er ist auch noch angeblich für unsere Sünden gestorben. Nun könnte man das durchaus als heroische Tat werten. Angenommen, Sie wären zum Tode verurteilt, und ich würde mich anbieten, an ihrer Stelle diese Strafe auf mich zu nehmen. Dann wären Sie durch eine solche Tat sicherlich beeindruckt. Aber angenommen, ich wäre unsterblich und würde nach drei Tagen wieder von den Toten auferstehen, wäre dann meine Tat immer noch so heroisch? Wäre es nicht vielmehr so, dass ich unter diesen Umständen geradezu dazu verpflichtet wäre, an ihrer Stelle zu sterben? Was also ist so besonders daran, dass ein unsterblicher Gott sich für uns opfert? Heroisch und vorbildlich wäre diese Tat nur dann, wenn damit tatsächlich alle Menschen gerettet würden, aber dies ist nach christlicher Vorstellung nicht der Fall. Nur wenn man diese Tat besonders lobpreist, bekommt man das ewige Leben (nach Ansicht der Katholiken werden Menschen, die Jesus in vollem Bewusstsein ablehnen, dereinst nicht ewig weiterleben, nach Ansicht der meisten anderen Christen werden diese auch noch ewige Qualen erdulden müssen, was noch viel schlimmer ist als der Tod - wenn Sie und ich die Wahl zwischen "ewigen Qualen" und "endgültigem Tod" hätten, wir würden beide vermutlich den Tod wählen).

Wir sind aber, nach christlichem Glauben, nicht nur zum Tode verurteilt worden wegen einer Tat, für die uns keine Schuld treffen kann, wir müssen auch noch denjenigen, der für unseren Tod letztlich verantwortlich ist, für moralisch perfekt halten, damit wir Hoffnung haben, nicht endgültig zu sterben oder ewig gequält zu werden. Für mich ist es untragbar, Gott, der mich zum Tode verurteilt hat für meine Sünden, auch noch für moralisch vollkommen halten zu müssen, damit das Todesurteil revidiert wird. Es mag sein, dass wir begrenzte Dankbarkeit für einen Tyrannen empfinden, der uns zum Tode verurteilt (wegen Taten, die kein Todesurteil verdienen) und der uns dann davon erlöst. Aber wir würden ihn immer noch für einen Tyrannen halten und jede Lobpreisung, die wir leisten sollen, für erzwungen und abgepresst halten. Wie sollten wir auf die Idee kommen, diesen Tyrannen für "moralisch vollkommen" zu halten? Und so sehe ich es auch bei Gott, mit will einfach nicht einleuchten, warum Gott als besonders verehrungswürdig zu gelten hat, wo er uns doch für unsere Sünden zum Tode verurteilt hat. Ich habe nichts getan, was dieses Todesurteil rechtfertigen würde, wie die meisten Menschen auch.

Nein, die Idee der Erb- oder Ursünde ist falsch, der Tod dafür als Strafe überzogen, das Sühneopfer von Jesus dafür ist ebenfalls falsch, es steht auch in keinem Verhältnis zu den Taten - viele Menschen sind für nichts und wieder nichts schlimmeren Qualen ausgesetzt worden als Jesus, und sie sind nicht wieder auferstanden, sondern haben nur eine vage Hoffnung darauf gehabt, sofern sie bereit waren, diese Unlogik hinzunehmen (und viele, die grausam umgekommen sind, wussten nicht einmal etwas von dieser Hoffnung). Und eine Erlösung von der Ursünde - angeblich durch das Sühneopfer von Jesus bewirkt - können wir weit und breit nichts bemerken, die Verhältnisse sind nach wie vor schlecht. Es scheint, die Opferung war vergeblich - zumindest, was diese Welt betrifft. Und die nächste, bessere Welt werden - laut christlichem Glauben - nicht alle von uns erreichen.

Jesus, so scheint es, hat sich nicht für unsere Sünden geopfert, sondern für sie allgemeine Schlechtigkeit der Welt, für die wir nichts können, für die Verhältnisse, in die wir hineingeboren werden. Dafür ist - letztlich - Gott verantwortlich, also hat Gott sich selbst für seine eigene Schuld geopfert - d. h. wirklich geopfert hat er sich nicht, ein Opfer beruht auf einem Verzicht, ich sehe aber nicht, worauf Gott verzichtet hat - angesichts der Ewigkeit kann man kaum von Verzicht reden. Vielleicht "verzichtet" er darauf, uns alle endgültig sterben zu lassen? Das Gott einmal erfahren hat, wie es ist, als Mensch zu leben und zu sterben erscheint mir auch eher eine Art Katastrophenvoyeurismus zu sein.

Wenn Gottes Gerechtigkeit sich so weit von dem entfernt, was wir für gerecht halten, dann weigere ich mich, dafür den Begriff "Gerechtigkeit" zu benutzen, ich halte das sogar für zynisch. Und doch ist das alles der Kern der christlichen Welt- und Wertvorstellung, die für mich damit völlig unakzeptabel wird. Abgesehen davon kann man nicht einmal beim besten Willen behaupten, dass der in der Bibel dargelegte Heilsplan in irgendeiner Weise logisch nachvollziehbar oder transparent ist (siehe auch die Texte zum Heilsplan I und Heilsplan II). Das Christentum erscheint mir hier eher als eine traurige Abirrung von Vernunft, Logik und menschlicher Moral. Ich jedenfalls kann nicht glauben, dass das richtig ist. Wie beim Heilsplan auch - Widersprüche und Ungereimtheiten. wohin man auch sieht.
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Die erste Sünde der Menschheit war Glauben, ihre erste Tugend war Zweifel.
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Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 21939

Beitrag(#95264) Verfasst am: 24.02.2004, 00:31    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
In Diskussionen mit Christen wird von Atheisten oftmals von der Inquisition oder den Kreuzzügen gesprochen und dies quasi als Vorwurf den heutigen Christen vorgehalten. Das ist natürlich Unsinn, denn kein heute lebender Christ kann etwas dafür, dass Christen vor Jahrhunderten Hexen verbrannt haben. Aber halt, wenn das Konzept der Ursünde gerechtfertigt ist, hat dann nicht der Christ mit dem Christentum die Verantwortung für diese Taten mit übernommen, ist folglich schuldig an der Ermordung Unschuldiger? Der Christ, der dieses Ansinnen zu Recht zurückweist, weist eigentlich auch das Konzept der Ursünde zurück! Alle Argumente, die er aufwendet, um diese Schuld zurückzuweisen, kann man auch auf die Erb- oder Ursünde anwenden.


Das Argument hab ich so auch schon gebracht und es dann noch mit dem Balken im eigenen Auge unterstrichen. Mr. Green

Seitdem will sie mit mir nicht mehr über ihren Glauben reden. zwinkern

Mir gefällt der Text sehr gut. Smilie
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