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narziss auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 21939
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(#1697127) Verfasst am: 16.10.2011, 18:12 Titel: Widerspricht der Gefangenenaustausch in Nahost dem Rechtsstaat? |
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http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,792086,00.html
Ist ein solcher Gefangenenaustausch, bei dem Gerichtsurteile je nach politischer Wetterlage modifiziert werden können, mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu vereinen?
PS: Die Frage ist ernst gemeint, nicht rhetorisch.
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AdvocatusDiaboli Öffentlicher Mobber
Anmeldungsdatum: 12.08.2003 Beiträge: 26397
Wohnort: München
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(#1697133) Verfasst am: 16.10.2011, 18:33 Titel: Re: Widerspricht der Gefangenenaustausch in Nahost dem Rechtsstaat? |
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Gerecht finde ich es nicht, juristisch mehr als fragwürdig, moralisch falsch. Und dies von beiden Seiten. Gilad Schalit - der Jude - ist 1000 Palästinenser wert. Für mich stimmen die Verhältnisse nicht. Die Hamas erpresst Israel und die Israelis gehen darauf ein. Wenn es einen 1:1-Austausch gegeben hätte, würde mir das weniger Magengrimmen verursachen.
Andererseits - jede Annäherung, sei es durch einen Austausch oder was auch immer, ist für das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern von Vorteil. Kurzfristig sollte diese Entscheidung dumm erscheinen, langfristig kann sie ein Weg zum Frieden sein... (Solange die Hamas jetzt nicht auf die Idee kommt, wieder einen Soldaten zu entführen oder Israel versucht, mit gezielten Tötungen die Amnestierten auf andere Weise zu eliminieren).
Es kommt immer wieder vor, dass Straftäter amnestiert werden. Auch die RAF-Terroristen wurden letztendlich begnadigt. Einige der Hamas-Mörder waren schon 30 Jahre in Haft, von daher kann man (obwohl sie keine Reue zeigen) die Entscheidung für ihre Freilassung zumindest akzeptieren.
_________________ Triggerwarnung: Der toxische Addi hat gepostet. Oh, zu spät, Sie haben das schon gelesen.
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unquest auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.10.2010 Beiträge: 3326
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(#1697204) Verfasst am: 17.10.2011, 01:17 Titel: |
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AdvocatusDiaboli hat folgendes geschrieben: | (Solange die Hamas jetzt nicht auf die Idee kommt, wieder einen Soldaten zu entführen oder Israel versucht, mit gezielten Tötungen die Amnestierten auf andere Weise zu eliminieren). |
Das sieht die Hamas Führung anders; diese Erpressung wird als Sieg gewertet. Sie werden es wie angekündigt als grosses Fest feiern. Und in der Logik eines Terroristen heisst es eben genauso weitermachen.
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Critic oberflächlich
Anmeldungsdatum: 22.07.2003 Beiträge: 16338
Wohnort: Arena of Air
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(#1697205) Verfasst am: 17.10.2011, 03:13 Titel: |
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Persönlich kann man natürlich den Eindruck haben, Israel wollte damit etwas kommunizieren: Daß man eben keinen Krieg wolle - wenn man soviel einsetzt, um eine Geisel freizubekommen, man werde wohl auch vor Gewalt zurückscheuen werde, weil selbst wenn man beständig siege, man immer noch Opfer zu beklagen hätte. Oder daß man für Frieden bereit sei, auch gegenüber älteren Ansprüchen oder dem, was man hat, zurückzustecken - ähnlich wie seinerzeit mit der Räumung des Gazastreifens ("Land für Frieden"). Oder eben auch, daß man bereit sei, von dem abzugehen, was einem von Gesetzes wegen zustehe, und es durch Gnade und Vergebung ersetzen wolle .
Allerdings gehe ich auch davon aus, daß die Propaganda der Gegenseite das erstmal als einen großen Sieg verkaufen wird. (Zum Teil ist es das allerdings wohl auch, weil es Israel ggf. Schritte abgenötigt hat, die es ohne die Gefangennahme auch nicht gegangen wäre.)
_________________ "Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"
Dann bin ich halt bekloppt.
"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1697455) Verfasst am: 18.10.2011, 10:44 Titel: |
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Hunderte palästinensischer Familien freuen sich über zurückgekehrte Familienmitglieder. Israelische Unterbringungsanstalten leeren sich, ein Konfliktpotential vermindert sich dort. Mag das die Hamas als Sieg interpretieren, mögen sie in gewohnter Weise prahlen, unblutige Erfolge sind besser als kurzfristige militärische "Erfolge" in einer nicht endenden Gewaltspirale. Es wird angedeutet, in welcher Richtung es in diesem vertracktesten aller Konflikte weitergehen kann: nur durch Verhandlungen, nicht durch neue Kampfhandlungen.
Die "nachrevolutionäre" ägyptische Führung ist in den Deal eingebunden. Die Ereignisse des Frühjahrs hatten die israelische Regierung weitgehend unvorbereitet getroffen. Jetzt kann bei einer humanitären Regelung ausgelotet werden, wie weit man wieder zusammenarbeiten kann, auch wenn das vergleichsweise hohe Niveau der Kooperation mit dem Mubarak-Regime wohl nicht wieder erreicht werden kann.
Schließlich wird der israelischen Bevölkerung signalisiert, für wie wertvoll die Regierung ein Menschenleben hält (ein Außenstehender mag das anders beurteilen).
Sicher springt das zahlenmäßige Mißverhältnis sofort ins Auge. Manch hartgesottener Verfechter der Auserwähltheit der eigenen Schar fühlt sich bestätigt.
Die meisten Bürger Israels aber werden sich sagen: besser wir haben einen zwar fünf lange Jahre eingesperrten, letztlich jedoch lebenden Soldaten wieder, als einen ermordeten. Die Überführungen Getöteter drücken mehr auf das Gemüt.
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sehr gut dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 05.08.2007 Beiträge: 14852
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(#1697463) Verfasst am: 18.10.2011, 11:19 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | Sicher springt das zahlenmäßige Mißverhältnis sofort ins Auge. Manch hartgesottener Verfechter der Auserwähltheit der eigenen Schar fühlt sich bestätigt. |
Allerdings, dem denken in "Herrenrasse" und "Untermensch" dürfte dieser 1:1000 Tausch wie Dünger wirken.
Und das ein Palästinenser kaum Wert hat, ein Jude aber ein tausendfaches, wird mit diesem Tausch weltweit in den Medien vermittelt.
Ein Schelm wer ...
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Sermon panta rhei
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 18430
Wohnort: Sine Nomine
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(#1697467) Verfasst am: 18.10.2011, 11:46 Titel: Re: Widerspricht der Gefangenenaustausch in Nahost dem Rechtsstaat? |
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Interessant ist, dasz in der Debatte hier gar nicht auf Deine durchaus sehr berechtigte Frage eingegangen wird, sondern statt dessen die politischen Implikationen eroertert werden. Dies kann man wohl als Eingestaendnis werten, dasz die Freilassung von ueber 1000 verurteilten Straftaetern zwecks Erreichung der Freilassung eines einzelnen widerrechtlich Entfuehrten, die Dimension einer rechtlichen Betrachtung weit uebersteigt. Das kann man nur politisch erklaeren. Ob diese Erklaerung zu ueberzeugen vermag, welche Botschaften von dem Ereignis ausgehen und wie die Folgewirkungen dieses Austausches sein moegen, sind dann die Streitpunkte.
_________________ "Der Typ hat halt so seine Marotten" (Sermon über Sermon)
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Landei Gesinnungspolizist
Anmeldungsdatum: 27.02.2011 Beiträge: 1180
Wohnort: Sandersdorf-Brehna
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(#1697468) Verfasst am: 18.10.2011, 12:10 Titel: |
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Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich sehe hier keinen großen Unterschied z.B. zu einer Amnestie. Ob man diese wiederum für vereinbar mit der Rechtsstaatlichkeit hält, steht auf einem anderen Blatt. Es ist jedenfalls ein Grenzfall.
_________________ Der Islam gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Diese Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet. (Kemal Atatürk)
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26439
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1697481) Verfasst am: 18.10.2011, 13:14 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | Hunderte palästinensischer Familien freuen sich über zurückgekehrte Familienmitglieder. Israelische Unterbringungsanstalten leeren sich, ein Konfliktpotential vermindert sich dort. Mag das die Hamas als Sieg interpretieren, mögen sie in gewohnter Weise prahlen.... |
Ich habe jetzt keinen Link dafür, aber ich vermute auch eine längerfristige Strategie dabei. Es ist eine eindeutige Erfahrung für die Israelis, dass derartige Erfahrungen auf Seite der palestinensischen Aktivisten besänftigend wirken - die "Rückfallquote" der Freigelassenen ist relativ gering und dieser Umgang mit Gefangenen ist nicht dazu geeignet, das Feindbild weiter ins Unmenschliche zu drängen. Das bedeutet, dass dieses Verhalten sich auszahlt, auch wenn es rechnerisch nach einer grotesken Ungleichbewertung aussieht und das Gerechtigkeitsgefühl teilweise sagt, dass das so nicht geht.
Um die Rechtstaatlichkeit bewerten zu können, müssten wir die genaue Rechtslage in Israel besser kennen und das genaue formale Procedere eines solchen Vorganges: Wenn es formal als Begnadigung geregelt wird: Wer ist berechtigt die auszusprechen, wer fällt hier die Entscheidung usw.. Rechtstaatlichkeit bedeutet ja nicht, dass unsere gefühlte Gerechtigkeit bedient wird, sondern dass wir ein klares, einklagbares Regelwerk vor uns haben, das sich an den allgemeinen Menschenrechten orientiert.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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