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Kartoffel Utilitarismus
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Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2217722) Verfasst am: 14.07.2020, 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und setzt man das, was die Leute hier und jetzt an Interessen bekunden, als den wesentlichen ethischen Maßstab an, kann das doch zu gar nichts anderen führen als einer Affirmation der Umstände, unter denen sich diese Interessen gebildet und ausgeprägt haben.

Das kann ich leicht mit Gegenbeispielen widerlegen: Der Kampf um Rechte von Frauen, Schwarzen, Proletariern, Schwulen ... offensichtlich kämpfen die für ihre Interessen und offensichtlich reproduziert das Ergebnis nicht automatisch die Umstände.


Na ja, ganz so leicht dann vielleicht doch nicht. Man könnte z.B. darauf verweisen, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen emanzipatorische Bewegungen jeder Art gar keine andere Möglichkeit haben, als die Form der "Interessenvertretung" anzunehmen, einfach auf Grund der Totalität der bürgerlichen Interessenideologie, die andere Ausdrucksformen im Grunde gar nicht zulässt. Dagegen kann man natürlich mit gewissem Recht einwenden, dass das ein Totschlagargument sei, das von vorneherein jeden Widerspruch, kaum ist er ausgesprochen, mit dem Verdikt "ideologisch verblendet" versehe. Ich will das auch gar nicht beschönigen, aber ein wenig konkretisieren lässt sich der Punkt dann glücklicherweise doch: Die Emanzipation der Frau zum Beispiel wurde zwar gegen große gesellschaftliche Widerstände erkämpft, der bürgerlich-kapitalistischen Verwertungslogik steht sie aber ja nun keineswegs entgegen. Das "brachliegende weibliche Potenzial" für die Volkswirtschaft wird gar nicht mal so selten sogar explizit als Argument für die Frauenemanzipation angeführt. Andererseits wird gerne darauf verwiesen, dass die kapitalistische Gesellschaft überhaupt nur durch die Rolle der Frau in der Familie stabil bleiben kann. Unter anderem deshalb, weil eine solche (Leistungs-)Gesellschaft an sich anachronistische Fluchtpunkte wie die Familie (die letztlich ja ein Relikt aus feudaler Zeit ist) dulden muss, um für ihre Mitglieder überhaupt erträglich zu sein. Und so bleibt das Ziel der beruflichen "Selbstverwirklich" für Frauen ja auch tatsächlich ein ambivalentes. Der Ausbruch aus der Rolle als Hausfrau und Mutter führt eher selten ins Paradies der Freiheit sondern oft genug eher ins Fegefeuer der Arbeitswelt, was außerhalb von irgendwelchen tough-women-Serien so toll und erfüllend am Ende dann halt meistens auch nicht ist.

Also: Veränderung ja, in ihrer Ausprägung am Ende dann aber halt doch gefesselt an die bestehenden Verhältnissen, deren Ideologie eine echte Emanzipation gar nicht erst vorsieht, indem "Emanzipation" hier praktisch gar keine andere Bedeutung hat, als ein produktiver Teil des Verwertungsprozesses zu werden.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Schon der Wille, weniger Mächtigen in diesem Ausgleichspiel durch was auch immer zu einer stärkeren Position zu verhelfen zeugt ja übrigens von einem Ideal, das über die Idee des bloßen Interessenausgleich hinausweist.

Es ist eben nicht der (moralische) Wille, das zu tun, sondern die Einsicht, daß nur so ein für alle akzeptabler Ausgleich zustandekommt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Man sieht es in etwas weniger drastischer Form ja auch an gewissen Argumenten während der Corona-Krise: "Ist es wirklich angemessen, der Gesamtgesellschaft diese Zumutungen aufzubürden, nur damit ein paar Alte und Kranke noch etwas länger leben können?" usw.

Ich würde Dich daher erstmal bitten zu zeigen, inwiefern das Sterbenlassen der Alten und Kranken wirklich zu mehr Glück / weniger Leid führt.


Das geht ja gar nicht, u.a. deshalb, weil hier etwas gegeneinandersteht, das in dieser Weise gar nicht abgewogen werden kann. Wie viele Jahre addierter Arbeitslosigkeit sind das Leben eines Heimbewohners wert? Wie viele ausgefallene Schulstunden ein paar Nachmittage bei Oma? Wie viele Biere am Ballermann ein Abend im Seniorentreff? Diese Fragen sind doch offensichtlich absurd, Bilanzen dieser Art lassen sich nicht aufstellen. Daher ja auch die Sache mit den Präferenzen. Und welche Präferenzen eine hinreichend faschisierte Gesellschaft ausbilden kann, habe ich ja nun verlinkt.

step hat folgendes geschrieben:
In den meisten solcher Beispiele sind zudem die sekundären Folgen nicht bedacht. Das kann man am "Poor-Jones"-Dilemma sehr gut zeigen - Jones geht zu Besuch ins Krankenhaus, wird ergriffen und ausgeschachtet, weil seine Organe gerade 5 Andere retten können. Wenn jedoch die Leute vor dem Krankenhaus Angst haben müssen, würde insgesamt nicht mehr Glück erzeugt.


Das Argument ist mir durchaus bekannt. Allerdings lässt sich das Beispiel leicht so variieren, dass es hinfällig wird, z.B. indem man die Umstände su konstruiert, dass der Fall singulär bleibt, weil niemand etwas davon mitbekommen kann als eben der ethisch abwägende Arzt selbst. Die ethische Unannehmbarkeit des Ausschlachtens würde dadurch aber keinesfalls verschwinden. Und ich wette, auch die allermeisten Utilitaristen würden in einer solchen Situation nicht zum Skalpell greifen, wenn sie in der Ärzterolle wären.

step hat folgendes geschrieben:
Dazu kommen Effekte der indirekten Reziprozität, etwa daß man selbst in die Situation der Alten/Kranken kommen kann/wird und in bezug auf diese Situation Interessen und Sicherheitsbedürfnisse hat.


Auch das lässt sich leicht so variiere, dass der Einwand hinfällig wird. Denn die richtige ethische Entscheidung in einer gegebenen Situation hängt ja offensichtlich nicht vom Grad der Wahrscheinlichkeit ab, in welchem der Handelnde selbst mal in diese Situation kommen kann. Flüchtlingen aus Syrien zu helfen, weil auch in Deutschland mal Krieg sein könnte, ist z.B. kein sonderlich überzeugendes Argument. Denn ginge es wirklich nur darum, würden die Allermeisten wohl sagen: "Die Wette nehme ich an." Da kennt das Leben nun wirklich größere Risiken.

Plausibler wird das Argument, wenn man tiefer ansetzt, also nicht das ethische Verhalten in einer bestimmten Situation an die Möglichkeit knüpft, selbst mal in eine vergleichbare Situation zu geraten, sondern stattdessen die allgemeine Neigung zu ethischem Verhalten aus der dem Menschen "als Wesen" nun einmal notwendig zukommenden Hilfsbedürftigkeit erklärt. Denn diese Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit eines Jeden von anderen, ist ja nun wirklich nicht zu leugnen. Selbst ein absolutistischer Herrscher ist in seiner Existenz davon abhängig, dass ihm sein Koch kein Gift ins Essen mischt und der Architekt seines Palastes bei der Statik nicht schludert. Das ist aber tatsächlich ein qualitativ anderes Argument als das utilitaristische der (zweck-)rationalen Wahl und eher schon dem kantischen Vernunftbegriff des kategorischen Imperativs verwandt.
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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3613

Beitrag(#2217759) Verfasst am: 14.07.2020, 23:04    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
2)Die Amis schicken 200 000 (?) Jungs nach Europa (und damit möglicherweise in den Tod), um die Lebensverhältnisse von Millionen Europäern zu verbessern.[/list]


Dass das wirklich das vordringliche Motiv der amerikanischen Regierung war, darf begründet bezweifelt werden, ...

Die Deutschen haben Amerika den Krieg erklärt. Wahrscheinlich das vordringlichste Motiv.

Theoretisch hätten die Amerikaner den Krieg auch aussitzen können, denn unmittelbare Invasionsgefahr durch die Deutschen bestand nicht. England verteidigen, ja. Aber warum Omaha Beach und die alliierte Landung?

Wo siehst du das vordringlichste Motiv?


Zumsel hat folgendes geschrieben:
... trotzdem finde ich, dass das Beispiel einen entscheidenden Aspekt sehr gut verdeutlicht. Denn man erkennt daran, dass bei Grundrechten gerade nicht "gezählt" wird. Kaum jemand hier fände es doch z.B. zu befürworten oder auch nur zu tolerieren, hierzulande Leute zwangszurekrutieren, um sie bspw. zur Beendigung des syrischen Bürgerkrieges einzusetzen.

Heute würde das niemand mehr tolerieren. 1939 wurde es toleriert. 1914 wurde gejubelt.

Grundrechte und Zählungen scheinen zeitabhängig zu sein. Zu anderen Zeiten galten andere Rechte und es wurde anders "gezählt". (War so ungefähr schon Thema zwischen dir und step.)



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die Welt ist eben offensichtlich nicht so strukturiert, dass konsequent ethisches Verhalten möglich wäre, ...

Ja, hier meine Erklärung, warum das so ist.

    4) Trolleyproblem. Du arbeitest bei VW und hast dich gerade verschuldet, um in Wolfsburg ein Haus für deine Familie zu bauen. Machst du den Whistleblower in der Dieselaffäre?


Wem bin ich verpflichtet? In unterschiedlicher Stärke:

    Mir selbst.
    Meiner Familie.
    Meiner Sippschaft, meiner Stadt, meinem Landstrich
    Meinem Arbeitgeber.
    Meinem Land.
    Der Menschheit.


step hat vorgeschlagen, bei solchen Problemen von der individuellen Entscheidung auf die Ebene von Maximen zu gehen. Ich denke, damit sieht man schon etwas klarer, welche Parteien den Nutzen haben und welche die Kosten tragen.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Weil Fehler gemacht werden, sollte es niemandem gestattet sein, seine "ethischen Fall-Konstanten" durchzusetzen, außer es liegen sehr gute Gründe vor.


... Es ist vermutlich eher so, dass die Schätzung der Konstante sehr oft von anderen Interessen abhängt.

Welche Interessen denn?



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was du ansprichst ist letztlich die Unmöglichkeit, objektive und v.a. manipulationsresistente Berechnungsformeln aufzustellen.

Ja, so ungefähr.

Obwohl. Jede Formel läßt sich auch in natürlicher Sprache ausdrücken, nur ungenauer. Folglich wäre es erst recht unmöglich, objektiv und v.a. manipulationsresistent über etwas in natürlicher Sprache zu sprechen.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Oben beschriebene Zwangsrekrutierung wäre auch dann ethisch fragwürdig, wenn man der Regierung beste utilitaristische Motive unterstellen könnte und die utilitaristisch positive Bilanz dieser Maßnahme wahrscheinlich wäre. Und warum das so ist, kann aus der utilitaristischen Logik heraus nicht erklärt werden.

Geht schon.

Den Rekrutierten steht ein Recht auf Werdienstverweigerung zu - weil auch die vorgeblich besten utilitaristischen Motive falsch sein können. Nochmal Mill:

    Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist, ist ein Individuum souverän. - John Stuart Mill

Das schließt Zwangsrekrutierung aus.
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"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2217800) Verfasst am: 15.07.2020, 09:10    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
2)Die Amis schicken 200 000 (?) Jungs nach Europa (und damit möglicherweise in den Tod), um die Lebensverhältnisse von Millionen Europäern zu verbessern.[/list]


Dass das wirklich das vordringliche Motiv der amerikanischen Regierung war, darf begründet bezweifelt werden, ...

Die Deutschen haben Amerika den Krieg erklärt. Wahrscheinlich das vordringlichste Motiv.

Theoretisch hätten die Amerikaner den Krieg auch aussitzen können, denn unmittelbare Invasionsgefahr durch die Deutschen bestand nicht. England verteidigen, ja. Aber warum Omaha Beach und die alliierte Landung?

Wo siehst du das vordringlichste Motiv?


Nun ja, die Invasion in der Normandie wird ja gerne als ein Schlüsselpunkt des Krieges dargestellt, während die zeitgleich und unabhängig davon erfolgte Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte und der damit verbundene faktischen Zusammenbruch der Ostfront nicht annähernd diese Beachtung findet. Dabei war der mindestens ebenso bedeutsam, eher noch bedeutsamer.
https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Bagration

Im Zweifel hätten die Russen auch allein gewonnen. Was ich damit sagen will? Die Amis wollten Europa halt nicht komplett den Sowjets überlassen. Die Eröffnung der Westfront erfolgte quasi in letzter Minute. Dass es in der Regierung auch Philanthropen gab, will ich nicht mal ausschließlich, die wesentlichen militärischen Motive aber waren machtpolitischer und geostrategischer Natur.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... trotzdem finde ich, dass das Beispiel einen entscheidenden Aspekt sehr gut verdeutlicht. Denn man erkennt daran, dass bei Grundrechten gerade nicht "gezählt" wird. Kaum jemand hier fände es doch z.B. zu befürworten oder auch nur zu tolerieren, hierzulande Leute zwangszurekrutieren, um sie bspw. zur Beendigung des syrischen Bürgerkrieges einzusetzen.

Heute würde das niemand mehr tolerieren. 1939 wurde es toleriert. 1914 wurde gejubelt.

Grundrechte und Zählungen scheinen zeitabhängig zu sein. Zu anderen Zeiten galten andere Rechte und es wurde anders "gezählt". (War so ungefähr schon Thema zwischen dir und step.)


"Zeitabhängig" ist eher die Frage, ob man überhaupt bereit ist, Grundrechte anzuerkennen und durchzusetzen und in welchem Ausmaß man unter welche Bedingungen bereit ist, sie wieder einzuschränken.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die Welt ist eben offensichtlich nicht so strukturiert, dass konsequent ethisches Verhalten möglich wäre, ...

Ja, hier meine Erklärung, warum das so ist.

    4) Trolleyproblem. Du arbeitest bei VW und hast dich gerade verschuldet, um in Wolfsburg ein Haus für deine Familie zu bauen. Machst du den Whistleblower in der Dieselaffäre?


Wem bin ich verpflichtet? In unterschiedlicher Stärke:

    Mir selbst.
    Meiner Familie.
    Meiner Sippschaft, meiner Stadt, meinem Landstrich
    Meinem Arbeitgeber.
    Meinem Land.
    Der Menschheit.


Man könnte auch sagen: Es ist die verdammte Empirie. Lachen Dass man sich nahen Angehörigen mehr verbunden fühlt als Fremden, ist ja auch menschlich. Aber das z.B. die Loyalität zu einem Arbeitgeber ggf. der Förderung des Gemeinwohls entgegensteht und daraus ein moralischer Konflikt werden kann, kann man dann vielleicht schon unter dem Begriff der "sozialen Pathologie" fassen.

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat vorgeschlagen, bei solchen Problemen von der individuellen Entscheidung auf die Ebene von Maximen zu gehen. Ich denke, damit sieht man schon etwas klarer, welche Parteien den Nutzen haben und welche die Kosten tragen.


Ja, das ist ja im Grunde der Kantische Ansatz. Bei dem es aber dann halt auch die Unterscheidung von "Legalität" und "Moralität" der Handlung gibt. Das Whistleblowen kann richtig oder falsch sein und es kann richtig oder falsch motiviert sein. Utilitaristisch ist es ja zunächst mal so, dass die Motive keine Rolle spielen: was unterm Strich mehr nützt, war richtig, ganz gleich, wie es motiviert war. Bei Kant ist es eher umgekehrt.


smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Weil Fehler gemacht werden, sollte es niemandem gestattet sein, seine "ethischen Fall-Konstanten" durchzusetzen, außer es liegen sehr gute Gründe vor.


... Es ist vermutlich eher so, dass die Schätzung der Konstante sehr oft von anderen Interessen abhängt.

Welche Interessen denn?


Politische z.B. Oder wirtschaftliche. Und die können natürlich auch irgendwie als ""Gemeinwohl verkauft werden, na ja, die verdammte Empirie halt zwinkern

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was du ansprichst ist letztlich die Unmöglichkeit, objektive und v.a. manipulationsresistente Berechnungsformeln aufzustellen.

Ja, so ungefähr.

Obwohl. Jede Formel läßt sich auch in natürlicher Sprache ausdrücken, nur ungenauer. Folglich wäre es erst recht unmöglich, objektiv und v.a. manipulationsresistent über etwas in natürlicher Sprache zu sprechen.


Ja, das ist korrekt, ich sagte deswegen ja auch schon, dass Moral nicht nach dem Schema formaler Logik hergeleitet werden kann. Und das ist halt letztlich auch der Grund, warum ich ein Problem damit habe, Ethik als ein "Rezept" zu verstehen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Den Rekrutierten steht ein Recht auf Werdienstverweigerung zu - weil auch die vorgeblich besten utilitaristischen Motive falsch sein können. Nochmal Mill:

    Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist, ist ein Individuum souverän. - John Stuart Mill

Das schließt Zwangsrekrutierung aus.


Ja, aber das Zitat ist jetzt auch schon verdächtig nah am "ewigen und unveräußerlichen Menschenrecht", oder?
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step
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Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2217811) Verfasst am: 15.07.2020, 11:06    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
step hat vorgeschlagen, bei solchen Problemen von der individuellen Entscheidung auf die Ebene von Maximen zu gehen. Ich denke, damit sieht man schon etwas klarer, welche Parteien den Nutzen haben und welche die Kosten tragen.
Ja, das ist ja im Grunde der Kantische Ansatz. Bei dem es aber dann halt auch die Unterscheidung von "Legalität" und "Moralität" der Handlung gibt. Das Whistleblowen kann richtig oder falsch sein und es kann richtig oder falsch motiviert sein. Utilitaristisch ist es ja zunächst mal so, dass die Motive keine Rolle spielen: was unterm Strich mehr nützt, war richtig, ganz gleich, wie es motiviert war. Bei Kant ist es eher umgekehrt.

Gesinnungsethik scheint mir vor allem eine pragmatische Vereinfachung zu sein: Wenn man die Leute erfolgreich moralisch "determiniert" (Erziehung usw.), kann man einigermaßen gut voraussagen, daß sie die gesellschaftlich erwünschten Maximen weiterhin befolgen, auch wenn sie mit den Konsequenzen im Einzelfall mal grob danebenliegen. Mit Gesinnungsurteilen wird also vor allem geprüft, ob jemand der moralischen Denknorm entspricht. Für den vorgelagerten ethischen Diskurs dagegen erscheint mir dieses Vorgehen heutzutage eher primitiv. Unter anderem übrigens auch, weil es ohne kosequentialistischen ethischen Diskurs gar nicht möglich ist, anders als willkürlich festzulegen, was "richtig/falsch motiviert" denn sein soll.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step
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Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2217831) Verfasst am: 15.07.2020, 14:44    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die Emanzipation der Frau zum Beispiel wurde zwar gegen große gesellschaftliche Widerstände erkämpft, der bürgerlich-kapitalistischen Verwertungslogik steht sie aber ja nun keineswegs entgegen.

Das mag zwar sein, aber Du hattest behauptet, die Bekundung solcher Interessen führe nur zu einer "Affirmation der Umstände, unter denen sich diese Interessen gebildet und ausgeprägt haben" - und diese Umstände sind hier das Patriarchat oder von mir aus Seßhaftwerdung und Biologie, nicht jedoch der Kapitalismus. Ebenso beim Rassismus.

Disclaimer: Ich lasse mich nicht auf die These ein, daß sämtliche Mißtstände in der Welt und der Geschichte durch den Kapitalismus bedingt seien.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... gewissen Argumenten während der Corona-Krise: "Ist es wirklich angemessen, der Gesamtgesellschaft diese Zumutungen aufzubürden, nur damit ein paar Alte und Kranke noch etwas länger leben können?" usw.
Ich würde Dich daher erstmal bitten zu zeigen, inwiefern das Sterbenlassen der Alten und Kranken wirklich zu mehr Glück / weniger Leid führt.
Das geht ja gar nicht ...

Wenn das Sterbenlassen nicht offensichtlich zu mehr Gesamtglück führt, solltest Du es dem Utilitarismus dieses Beispiel auch nicht als Strohmann hinstellen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wie viele Jahre addierter Arbeitslosigkeit sind das Leben eines Heimbewohners wert? Wie viele ausgefallene Schulstunden ein paar Nachmittage bei Oma? Wie viele Biere am Ballermann ein Abend im Seniorentreff? Diese Fragen sind doch offensichtlich absurd, Bilanzen dieser Art lassen sich nicht aufstellen.

Das geht in der Tat nicht immer, aber absurd finde ich die Fragen keineswegs. Und auch deontologische Ethiken haben dafür keine Lösung, da ihre Werte und Rechte ganz ähnlich konkurrieren wie die Konsequenzen in einer solche Bilanz. Eine Strategie besteht typischerweise darin, sich an Regeln zu halten, die in den meisten Fällen eine ziemlich positive Bilanz haben und zudem die Konfrontation mit dem Abwägen der Konsequenzen vermeiden helfen.

Aber: Es gibt genügend Situationen, in denen solche konsequentialistischen Bilanzen relativ eindeutig sind, mit denen könnte man ja mal anfangen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Allerdings lässt sich das Beispiel leicht so variieren, dass es hinfällig wird, z.B. indem man die Umstände su konstruiert, dass der Fall singulär bleibt, weil niemand etwas davon mitbekommen kann als eben der ethisch abwägende Arzt selbst.

Ein singulär konstruierter Fall ist relativ irrelevant. Und im Utilitarismus würde man natürlich auch zumindest allgemeine Regeln (basierend auf dem größten Glück) festlegen für diesen Fall, damit nicht jeder Arzt neu abwägen muß.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die ethische Unannehmbarkeit des Ausschlachtens würde dadurch aber keinesfalls verschwinden. Und ich wette, auch die allermeisten Utilitaristen würden in einer solchen Situation nicht zum Skalpell greifen, wenn sie in der Ärzterolle wären.

Natürlich nicht - ich habe es ja utilitaristisch begründet.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Flüchtlingen aus Syrien zu helfen, weil auch in Deutschland mal Krieg sein könnte, ist z.B. kein sonderlich überzeugendes Argument.

Hier reichen ja schon die direkten Konsequenzen, die Verminderung des Gesamtleidens etwa.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... diese Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit eines Jeden von anderen, ist ja nun wirklich nicht zu leugnen.

Das ist aus meiner Sicht ziemlich eindeutig ein Nutzenmaximierungsargument: Bedürftigkeit ist Interesse, und im Durchschnitt geht es allen besser, wenn sie kooperieren und sich helfen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Das ist aber tatsächlich ein qualitativ anderes Argument als das utilitaristische der (zweck-)rationalen Wahl und eher schon dem kantischen Vernunftbegriff des kategorischen Imperativs verwandt.

Sehe ich anders. Kant's KI wäre evtl. als eine Faustregel in einem (Regel-)Utilitarismus zu gebrauchen - immerhin vermeidet er moralische Setzungen. Es fehlen mir aber vor allem 2 Dinge:

- er funktioniert nicht bei Gruppen mit unterschiedlichen Grundwerten. So könnte z.B. ein Katholik Frauen unterdrücken und der Meinung sein, dies könne gut und gern allgemeines Gesetz werden. Vielmehr als der Utilitarismus riskiert dieser Ansatz, herrschende Verhältnisse zu reproduzieren, da die Konsequenzen hinter der Ideologie zurücktreten.

- er referenziert selbst wieder auf das Wollen des Einzelnen (ähnlich Tit for Tat) und begründet nicht, was das Ziel hinter dem Ganzen sein soll.
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smallie
resistent!?



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Beiträge: 3613

Beitrag(#2217844) Verfasst am: 15.07.2020, 16:21    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die ethische Kraft der Menschenrechte speist sich wohl nicht zuletzt daraus, dass sie eben der Tendenz der Verdinglichung etwas entgegensetzen, denn eine verdinglichte Welt ist keine lebenswerte Welt.

Wenn ich deinen Satz in meine Denkwelt verschiebe, lese ich:

    Der Weg, den man nennen kann, ist nicht der wahre Weg - Lao Tse


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Im Sinn des "Gemeinwohls" zu entscheiden kann übrigens auch sowas bedeuten:
https://calisphere.org/clip/500x500/c1fab7d298afe41aa07cb62405fdee99

Das magst du jetzt als Strohmann, Verunglimpfung oder Nazikeule bezeichnen, aber dass es so etwas gibt ist eben keinesfalls bloß irgendein abstraktes Horrorszenario.

Für solche Bezeichnungen fehlt mir meist die Zeit. zwinkern

Hier ein anderes, ebenfalls reales Szenario:

smallie hat folgendes geschrieben:
In der Höhle von Shanidar fand man in den 70er-Jahren Neandertaler-Skelette, grob 50 000 Jahre alt.

Ein Skelett hatte nur einen Armstummel - Unterarm und Hand fehlten. Auch ein Bein war deformiert. Weiter wies der Kopf auf einer Seite eine schwere Verletzung auf. Vermutlich war der Mann auf dieser Seite mehr oder weniger blind und mehr oder weniger taub. Diese Verletzungen hat sich der Mann lange vor seinem Tod zugezogen.

Das wird Indiz gewertet, die Neandertaler hätten sich um ihre Kranken und Alten gekümmert.

Die Neandertaler kannten weder Kant noch Mill, sie kannten kein Christentum und keine Altruismustheorien. Trotzdem haben die Neandertaler den Mann am Leben gelassen und durchgefüttert.

Ich weiß nicht, was die schwierigere Frage ist.

    - warum haben die Neandertaler das gemacht?
    - warum hat man aufgehört, es wie die Neandertaler zu machen?

Meine Antwort: damals war es einfacher. Meine Liste von oben schrumpft auf:

    Mir selbst.
    Meiner Familie.
    Meinem Stamm.

Interessenausgleich ist einfacher, wenn es weniger Ebenen von Interessen gibt. So als ein Ansatz, andere Ansätze nicht ausgeschlossen.


PS: Bitte fragt mich jetzt nicht, wie ich das mit Berichten zusammenbringe, die von Eskimos erzählen, die ihre Alten auf die Eisscholle setzen.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was das Zitat betrifft: Ich habe Mill gelesen und zweifel auch an seinen edlen Motiven nicht. Aber so wie Mill Kant indirekt unterstellt hat, insgeheim doch irgendwie Utilitarist gewesen zu sein, unterstelle ich Mill, es insgeheim zumindest nicht völlig gewesen zu sein.

Mill: Kant ist insgeheim ein wahrer Schotte.
Zumsel: Mill ist insgeheim ein falscher Schotte.

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vrolijke
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Beitrag(#2217847) Verfasst am: 15.07.2020, 16:40    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:

PS: Bitte fragt mich jetzt nicht, wie ich das mit Berichten zusammenbringe, die von Eskimos erzählen, die ihre Alten auf die Eisscholle setzen.



Weil in der Welt der Inuit nicht genügend Ressourcen vorhanden sind, um jemand, der selber nichts beitragen kann, durchzufüttern.
Die Alten gehen angeblich freiwillig auf der Eisscholle.
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Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.

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Zumsel
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Beitrag(#2217865) Verfasst am: 15.07.2020, 19:21    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die Emanzipation der Frau zum Beispiel wurde zwar gegen große gesellschaftliche Widerstände erkämpft, der bürgerlich-kapitalistischen Verwertungslogik steht sie aber ja nun keineswegs entgegen.

Das mag zwar sein, aber Du hattest behauptet, die Bekundung solcher Interessen führe nur zu einer "Affirmation der Umstände, unter denen sich diese Interessen gebildet und ausgeprägt haben" - und diese Umstände sind hier das Patriarchat oder von mir aus Seßhaftwerdung und Biologie, nicht jedoch der Kapitalismus. Ebenso beim Rassismus.

Disclaimer: Ich lasse mich nicht auf die These ein, daß sämtliche Mißtstände in der Welt und der Geschichte durch den Kapitalismus bedingt seien.


Ich ja gerade auch nicht, denn wenn ich sage, dass die Frauenemanzipation der Logik des Kapitalismus gerade nicht entgegensteht, impliziert das ja gewissermaßen schon, dass die Ursachen diesbezüglicher Ungleichheiten wohl nicht vollumfänglich im Kapitalismus gefunden werde können. Die bürgerlichen Revolutionen wiederrum, die ja nun die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft und damit auch der diversen bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen waren, waren argumentativ ausgesprochen naturrechtlich unterwegs - was übrigens bei Revolutionen fast notwendig der Fall ist, da das bereits positiv Gesetzte ja nun mal aus naheliegenden Gründen eben auf Seite des Bestehenden steht.

Runtergebrochen auf unseren Fall: Interessen, die sich unter den Bedingungen des Kapitalismus bilden, sind für sich genommen kaum geeignet, diese Bedingungen zu überwinden. Erst die Reflexion dieser Interessen selbst in einem größeren Referenzrahmen ermöglichen eine echte Kritik. Das geht aber nicht, wenn die Interessen selbst schon der entscheidende ethische Maßstab sind. Das war es, was ich gemeint habe, nicht, dass es innerhalb einer ideologisch verformten Gesellschaft gar keine Möglichkeiten zur Veränderung gäbe. Die gibt es natürlich sehr wohl, zum einen, weil auch der Ideologie Fremdes trotz der widrigen Umstände zumindest in Ansätze existieren kann, zum anderen, weil Ideologien nie frei von Widersprüchen sind und durch die dadurch notwendig Kritik an ihren jeweiligen Erscheinungsformen provozieren, wodurch zumindest eine gewisse innere Beweglichkeit garantiert ist.

step hat folgendes geschrieben:
Wenn das Sterbenlassen nicht offensichtlich zu mehr Gesamtglück führt, solltest Du es dem Utilitarismus dieses Beispiel auch nicht als Strohmann hinstellen.


Wieso Strohmann? Es ging doch i.d.Z. doch eigentlich nur um die ausgedrückten Präferenzen. Bitte argumentativ im Kontext bleiben.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wie viele Jahre addierter Arbeitslosigkeit sind das Leben eines Heimbewohners wert? Wie viele ausgefallene Schulstunden ein paar Nachmittage bei Oma? Wie viele Biere am Ballermann ein Abend im Seniorentreff? Diese Fragen sind doch offensichtlich absurd, Bilanzen dieser Art lassen sich nicht aufstellen.

Das geht in der Tat nicht immer, aber absurd finde ich die Fragen keineswegs. Und auch deontologische Ethiken haben dafür keine Lösung,...


Müssen sie je nach Ausprägung auch gar nicht haben, weil sie unter "Moral" halt schon etwas völlig anderes verstehen als die Beantwortung derartiger Fragen. Es ergibt ja nun auch wirklich wenig Sinn, mit den Maßstäben des Utilitarismus Kritik an den Maßstäben des Utilitarismus zurückzuweisen. Was wir hier machen ist ja mehr Metaethik als Ethik, das sollte im Sinne einer fruchtbaren Diskussion schon im Auge behalten werden.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Allerdings lässt sich das Beispiel leicht so variieren, dass es hinfällig wird, z.B. indem man die Umstände su konstruiert, dass der Fall singulär bleibt, weil niemand etwas davon mitbekommen kann als eben der ethisch abwägende Arzt selbst.

Ein singulär konstruierter Fall ist relativ irrelevant.


Situationen wie die hier beschriebene, sind immer singulär konstruiert, oder wie oft musstest du schon einen dicken Mann vor einen Zug schubsen, um 5 Kinder zu retten? Es geht bei sowas doch nur um die Sichtbarmachung genereller Ungereimtheiten und dafür kann man konstruieren, wie man lustig ist. Ich habe hier übrigens nicht angefangen, mit den konstruierten Beispielen, ich reagiere nur drauf.

step hat folgendes geschrieben:
Und im Utilitarismus würde man natürlich auch zumindest allgemeine Regeln (basierend auf dem größten Glück) festlegen für diesen Fall, damit nicht jeder Arzt neu abwägen muß.


Das ist aber nicht der Punkt. Denn der Arzt ist ja nicht nur Befehlsempfänger, sondern selbst ein ethisch reflektierendes Subjekt. Eine abstrakte Regel hier über den konkreten Nutzen zu stellen, selbst wenn klar ist, dass der Regelbruch in diesem Fall keine negativen Auswirkungen hätte, weil das, was die Regel ausschließen soll, auf Grund der Umständen ohnehin ausgeschlossen ist, ist eben keine konsistente utilitaristische Handlungsmaxime.


step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Flüchtlingen aus Syrien zu helfen, weil auch in Deutschland mal Krieg sein könnte, ist z.B. kein sonderlich überzeugendes Argument.

Hier reichen ja schon die direkten Konsequenzen, die Verminderung des Gesamtleidens etwa.


Auch hier: Bitte argumentativ im Kontext bleiben. Es ging um dein Argument dafür, warum es im Interesse eines von einer bestimmten Notsituation nicht Betroffenen liegen sollte, Betroffenen zu helfen. Und da war dein Vorschlag: Weil er ja selbst mal in eine solche Situation kommen könnte. Das ist ja wohl eine völlig andere Ebene als: Weil er als Utilitarist halt das Gesamtleid reduzieren will.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... diese Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit eines Jeden von anderen, ist ja nun wirklich nicht zu leugnen.

Das ist aus meiner Sicht ziemlich eindeutig ein Nutzenmaximierungsargument: Bedürftigkeit ist Interesse, und im Durchschnitt geht es allen besser, wenn sie kooperieren und sich helfen.


Aber sie ist in dieser Allgemeinheit eben auch sehr unkonkret und erklärt mehr eine generelle Neigung, eine wesensmäßige Eigenschaft, wenn man so will, als eine Anleitung für konkrete Situationen.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Das ist aber tatsächlich ein qualitativ anderes Argument als das utilitaristische der (zweck-)rationalen Wahl und eher schon dem kantischen Vernunftbegriff des kategorischen Imperativs verwandt.

Sehe ich anders. Kant's KI wäre evtl. als eine Faustregel in einem (Regel-)Utilitarismus zu gebrauchen - immerhin vermeidet er moralische Setzungen.


Nein, die Grundidee ist nämlich eine völlig andere.

step hat folgendes geschrieben:
- er funktioniert nicht bei Gruppen mit unterschiedlichen Grundwerten. So könnte z.B. ein Katholik Frauen unterdrücken und der Meinung sein, dies könne gut und gern allgemeines Gesetz werden.


Mal davon abgesehen, dass das so einfach nicht geht mit dem KI. Inwiefern hat der Präferenzutilitarismus dieses Problem nicht?

step hat folgendes geschrieben:
- er referenziert selbst wieder auf das Wollen des Einzelnen (ähnlich Tit for Tat) und begründet nicht, was das Ziel hinter dem Ganzen sein soll.


Das wäre auch recht merkwürdig, da er ja kein Konsequentialist ist. Mit Tit for Tat hat das bei ihm übrigens nichts zu tun.
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Zumsel
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Beitrag(#2217867) Verfasst am: 15.07.2020, 19:24    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die ethische Kraft der Menschenrechte speist sich wohl nicht zuletzt daraus, dass sie eben der Tendenz der Verdinglichung etwas entgegensetzen, denn eine verdinglichte Welt ist keine lebenswerte Welt.

Wenn ich deinen Satz in meine Denkwelt verschiebe, lese ich:

    Der Weg, den man nennen kann, ist nicht der wahre Weg - Lao Tse


Das hätte noch besser unter meine Ausführungen zur Unmöglichkeit einer (technischer) Definition gepasst, aber hier kann ich auch gut damit leben. zwinkern Der Punkt ist halt tatsächlich, dass es sich nicht auf den Punkt bringen lässt...
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step
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Beitrag(#2217887) Verfasst am: 15.07.2020, 21:42    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Interessen, die sich unter den Bedingungen des Kapitalismus bilden, sind für sich genommen kaum geeignet, diese Bedingungen zu überwinden.

Du meinst, die Ausbildung eines proletarischen Bewußtseins würde gar nicht helfen?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn das Sterbenlassen nicht offensichtlich zu mehr Gesamtglück führt, solltest Du es dem Utilitarismus dieses Beispiel auch nicht als Strohmann hinstellen.
Wieso Strohmann? Es ging doch i.d.Z. doch eigentlich nur um die ausgedrückten Präferenzen. Bitte argumentativ im Kontext bleiben.

Du hast suggeriert, daß Sterbenlassen der Alten könnte ein Ergebnis utilitaristischer Abwägungen sein - das wäre aber nur dann so, wenn es offensichtlich zu mehr Gesamtglück führen würde, denn sonst würde kein Utilitarist es befürworten. Das ist doch ein klassischer Strohmann.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Es ergibt ja nun auch wirklich wenig Sinn, mit den Maßstäben des Utilitarismus Kritik an den Maßstäben des Utilitarismus zurückzuweisen.

Die Kritik nehme ich an und gebe sie Dir zurück in bezug auf Deine Maßstäbe zur Bewertung mystischer Grundwerte. Die Frage ist also - welche unabhängigen Maßstäbe sollten wir anlegen zur Kritik an unseren Maßstäben?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Was wir hier machen ist ja mehr Metaethik als Ethik, das sollte im Sinne einer fruchtbaren Diskussion schon im Auge behalten werden.

Ja, richtig. Der gesamte Utilitarismus hat stark meta-ethische Aspekte, weil es dort wichtig ist, wie eine Ethik entsteht bzw. auf welches Ziel hin.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich habe hier übrigens nicht angefangen, mit den konstruierten Beispielen, ich reagiere nur drauf.

Das werfe ich Dir auch gar nicht vor, aber Du solltest dann auch akzeptieren, daß es nicht wirklich stellvertretend für eine klassische Entscheidung steht, sondern nur zur Herausarbeitung der Methode.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... der Arzt ist ja nicht nur Befehlsempfänger, sondern selbst ein ethisch reflektierendes Subjekt.

In dem Moment wendet er vermutlich eine gelernte Maxime an, ist also weder nur Befehlsempfänger, noch ist sein aktueller Fokus auf der reflektierenden Hinterfragung seiner Maximen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Eine abstrakte Regel hier über den konkreten Nutzen zu stellen, selbst wenn klar ist, dass der Regelbruch in diesem Fall keine negativen Auswirkungen hätte, weil das, was die Regel ausschließen soll, auf Grund der Umständen ohnehin ausgeschlossen ist, ist eben keine konsistente utilitaristische Handlungsmaxime.

Das hat auch niemand behauptet.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Flüchtlingen aus Syrien zu helfen, weil auch in Deutschland mal Krieg sein könnte, ist z.B. kein sonderlich überzeugendes Argument.
Hier reichen ja schon die direkten Konsequenzen, die Verminderung des Gesamtleidens etwa.
Auch hier: Bitte argumentativ im Kontext bleiben. Es ging um dein Argument dafür, warum es im Interesse eines von einer bestimmten Notsituation nicht Betroffenen liegen sollte, Betroffenen zu helfen. ...

Du hast als Beleg für "indirekte Erwägungen sind nicht überzeugend" ein Beispiel gewählt, in dem es ein viel stärkeres direktes Argument gibt. Und die Behauptung war ja nicht, daß es immer ein starkes indirektes Argument gebe. Das hat zumindest ein manipulatives Gschmäckle.

Aber wo wir schonmal dabei sind: Warum genau erscheint in Deinem Beispiel das Argument denn "nicht sonderlich überzeugend"? Vielleicht weil wir es für unwahrscheinlich halten, daß es in D Krieg gibt und Syrien uns aufnehmen könnte? Oder weil es aussähe, als ignorierten wir das direkte Argument? Oder ...?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... eine wesensmäßige Eigenschaft ...

Damit kann ich leben, so ähnlich geht es ja auch in der Spieltheorie. Allemal besser als eine mystische Vorgabe.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- [der KI] funktioniert nicht bei Gruppen mit unterschiedlichen Grundwerten. So könnte z.B. ein Katholik Frauen unterdrücken und der Meinung sein, dies könne gut und gern allgemeines Gesetz werden.
... Inwiefern hat der Präferenzutilitarismus dieses Problem nicht?

Weil dort alle Subjekte ihre Interessen gleichberechtigt einbringen (also insbesondere auch die Frauen), so daß der o.g. Kerl als Maxime nicht das hat, was er selbst für ein gutes Gesetz hielte, sondern das, von dem er meint, daß es die selbstgeäußerten Interessen Aller am besten bediente. Natürlich sind Manipulationen der Nutzenfunktion, Marginalisierung von kleinen Minderheiten usw. auch im U. noch eine Gefahr, aber die ganz platten Dinger gehen nicht mehr.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- [der KI] referenziert selbst wieder auf das Wollen des Einzelnen ... und begründet nicht, was das Ziel hinter dem Ganzen sein soll.
Das wäre auch recht merkwürdig, da er ja kein Konsequentialist ist.

Dadurch wird Moral aber zu etwas sehr Individuellem - und im Prinzip der gleichberechtigten Aushandlung und Abstimmung in der Gesellschaft entzogen. Zudem wäre sie schwer auf neue Situationen skalierbar und neigt zur Traditionalisierung, da sie an einer deutlich zeitgeistigeren Beurteilung hängt als eine abstrakte "greater good" Leitidee.
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Beitrag(#2217907) Verfasst am: 16.07.2020, 07:48    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zum Sozialen.

- Ist rituelle Kindstötung ein Trolley-Problem? Bei einigen Naturvölkern gab es Kindstötungen. Eine These sagt, daß geschah auf Grund von Resourcenknappheit. Falls die These stimmt, liegt sie nahe am Trolley-Problem liegt, das Elizier Yudkowsky in Tarvocs Link angesprochen hat.


Rituelle Kindstötungen lagen i.d.R. nicht am Trolley-Problem, sondern waren in der Regel religiös begründet.

... und die Religionen sind einfach so aus dem Vakuum entstanden? Stell dir vor:

Die lebst in einem steinzeitlichen Stamm. Du bringst im Schnitt sechs Kinder zur Welt, von denen 2 durchkommen. Jetzt haben ein paar Stämme diese Religion: zeuge so viele Kinder, wie du willst. Andere Stämme haben eine andere Religion, die sagt, töte dein Erstgeborenes. Dieser Stamm bringt 2,2 Kinder durch.

Welcher Stamm und welche Religion wird sich durchsetzen?


Rituelle Kindstötungen sind Menschenopfer, um die *Götter* gnädig zu stimmen. Nichtrituelle Kindstötungen gab es in der Geschichte - bis heute - ebenfalls sehr häufig, snd aber davon abzugrenzen, weil bedingt durch ökonomische Verhältnisse und/oder entsprechende Traditionen, die sich ggf. davon abgelöst haben. Ökonomische Gründe sowie Traditionen können ihren Niederschlag in Religionen finden oder auch nicht.

Dabei muss man beachten, dass Religionen in fast allen Fällen der Herrschaftssicherung dienen. Das ist ihre zweite weltliche Wurzel. Die erste besteht wie gesagt ursprünglich in ökonomischen Verhältnissen und ggf. verselbständigten Traditionen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mit Menschenopfern wurde in rückständigen Gesellschaften versucht, die *Götter der Natur* u.a. gnädig zu stimmen, aber auch soziale Aggressionen von herrschaftlichen Verhältnissen umzulenken (und so zum Machterhalt der herrschenden Gruppen heimlich beizutragen).


Herrschende Gruppen - in der Steinzeit? Die hatten damals keine gesellschaftlichen Schichten sondern waren egalitär.


Erste Ansätze von Religion als Herrschaftsmittel zeigten sich auch schon damals, so wenn der eine oder andere Hordenführer sich Geschichten ausdachte über seinen besonderen Draht zu unsichtbaren, mächtigen Kräften der Natur und verborgenen Mechanismen hinter dem Sichtbaren.

Mit der sich in der Folge heraus bildenden Klassenstrukturen haben sich solche religiöse Techniken mehr und mehr etabliert. Gruppen von Menschen wurden zu Objekten der Herrschaft. Man konnte sie auf Befehl der Herrschenden opfern.

smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es wird hier zum Teil formuliert, dass die Gemeinschaft, der Staat oder wer auch immer den Individuen Rechte zuweisen.


Freiwillig wurden Rechte in den letzten paar tausend Jahren eher selten zugestanden. Die mußten meist erstritten werden. Gibt es Gegenbeispiele?

(Gorbatschow und Glasnost, fällt mir ein. Geschockt Wie ironisch.)


Wenn jemand formuliert, dass man/die Gemeinschaft/der Staat Individuen Rechte zuweist, dann ist damit bereits ein Machtverhältnis impliziert. Neusprachlich nennt man das "Reformen". Reformen sind Zugeständnisse der Herrschenden an die Nichtherrschenden, also Wohltaten von oben. Dass da meist ein Druck von unten besteht - siehe die Bismarckschen Sozialreformen - ist richtig. Aber Reformen von oben schaffen Herrschaft an sich nicht ab, sondern bestätigen sie letzten Endes sogar. Und just diesen Zweck hatten sie auch bei Bismarck oder auch später bei der SPD usw.

Wenn utilitaristische Philosophen also davon sprechen, dass Menschen Rechte zugewiesen werden, dann gestehen sie undirekt ein, dass dies unter Bedingungen der Herrschaft und ihrer Aufrechterhaltung geschieht. Es ist so, dass Moralphilosophen gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur in konkreten Ausprägungen, sondern auch in abstrakter Form ausblenden, so als wäre Moral unabhängig von sozietären Verhältnissen.

Das Einbringen von mathematischen Optimierungsformeln zur Maximierung des präferenzorientierten Wohlergehens der großen Zahl abstrahiert zusätzlich von den einzelnen Individuen, welche als gleichmächtig vorgestellt werden. Und nicht nur das: Individuen haben nicht einfach Präferenzen - welche die Gebundenheit an ihre Lebensverhältnisse und die gesamten Verhältnisse wiederspiegeln, wie Zumsel richtig feststellt - sondern Individuen haben zunächst mal allgemeine Bedürfnisse, von denen sie gar nicht abgehen können, wie Essen, Trinken, Wohnen, sozial interagieren, produzieren, usw., ohne letzten Endes nicht nur ihr Wohlergehen, sondern ihr Leben zu verlieren. Der Begriff "Präferenz" verweist auf Schachcomputer. Die haben Präferenzen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus sieht objektiv aus, aber im Grunde genommen lautet seine Formel: "Du bist nichts, die große Präferenzkennziffer des großen Ganzen ist Alles!"

Zitat bitte, oder es ist nicht wahr. nee


Die Zitate finden sich hier im thread, sogar in dem Vorbeitrag.

smallie hat folgendes geschrieben:
Gegenzitat:

    Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist, ist ein Individuum souverän. - John Stuart Mill


Eine unverschämte Aufforderung an dich: Lies On Liberty, ist nicht lang. Dann reden wir weiter.


Hausaufgabe? Auf den Arm nehmen

Souveränität heisst, dass Individuen nicht nur über ihren Körper und Geist verfügen. Souveränität heißt, dass sie über die nötigen Mittel verfügen, um herzustellen, was sie brauchen. Außerdem heißt Souveränität nicht, etwas zugewiesen zu bekommen.
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Zumsel
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Beitrag(#2217951) Verfasst am: 16.07.2020, 17:53    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Interessen, die sich unter den Bedingungen des Kapitalismus bilden, sind für sich genommen kaum geeignet, diese Bedingungen zu überwinden.

Du meinst, die Ausbildung eines proletarischen Bewußtseins würde gar nicht helfen?


Tja, gute Frage, dass die seit langem prognostizierte Revolution zumindest in den entwickelten Industrieländern beharrlich ausbleibt, könnte allerdings durchaus zu denken geben. Und auch die realexistierenden sozialistischen Experimente scheinen ja die bürgerliche Produktions-, Arbeits- und Leistungsideologie im Grunde nur unter anderen Vorzeichen reproduziert zu haben. Die bis zum Kitsch gehende Glorifizierung des Arbeitertypus, Symbole wie Hammer und Sichel, exzessiver Drill im Leistungssport (inklusive Dopingeinsatzes), das alles taugt jetzt nicht direkt als Ausbruchsutopie.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn das Sterbenlassen nicht offensichtlich zu mehr Gesamtglück führt, solltest Du es dem Utilitarismus dieses Beispiel auch nicht als Strohmann hinstellen.
Wieso Strohmann? Es ging doch i.d.Z. doch eigentlich nur um die ausgedrückten Präferenzen. Bitte argumentativ im Kontext bleiben.

Du hast suggeriert, daß Sterbenlassen der Alten könnte ein Ergebnis utilitaristischer Abwägungen sein - das wäre aber nur dann so, wenn es offensichtlich zu mehr Gesamtglück führen würde, denn sonst würde kein Utilitarist es befürworten. Das ist doch ein klassischer Strohmann.


Die Pointe am Präferenzutilitarismus ist doch gerade, dass das "Glück" durch die "Präferenzen" ersetzt wird. Und dass es Gesellschaften mit mehrheitlich faschistischen Präferenzen gibt, ist doch jetzt nicht von mir ausgedacht.

Der Kernpunkt dieser Kritik ist, dass einer auf Interessen basierenden Ethik gerade das kritische Element hinsichtlich eben dieser Interessen abgeht. Man muss dafür auch nicht bis zum Schicklgruber gehen, unsere Gegenwart reicht ja schon: "Die Leute präferieren Konsumnippes, Ballermannurlaub und Dieter Bohlen? Ja nu, dann ist das halt so." Aber Interessen und Präferenzen sind doch nichts, was apriori einfach so gegeben wäre. Gerade bei der Fragen nach deren Ursachen, wird es (auch ethisch) doch erst richtig interessant.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Es ergibt ja nun auch wirklich wenig Sinn, mit den Maßstäben des Utilitarismus Kritik an den Maßstäben des Utilitarismus zurückzuweisen.

Die Kritik nehme ich an und gebe sie Dir zurück in bezug auf Deine Maßstäbe zur Bewertung mystischer Grundwerte...


Der noch mal worin besteht? Da kann ich nur hierauf verweisen:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die ethische Kraft der Menschenrechte speist sich wohl nicht zuletzt daraus, dass sie eben der Tendenz der Verdinglichung etwas entgegensetzen, denn eine verdinglichte Welt ist keine lebenswerte Welt.

Wenn ich deinen Satz in meine Denkwelt verschiebe, lese ich:

    Der Weg, den man nennen kann, ist nicht der wahre Weg - Lao Tse


Das hätte noch besser unter meine Ausführungen zur Unmöglichkeit einer (technischer) Definition gepasst, aber hier kann ich auch gut damit leben. zwinkern Der Punkt ist halt tatsächlich, dass es sich nicht auf den Punkt bringen lässt...


step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ich habe hier übrigens nicht angefangen, mit den konstruierten Beispielen, ich reagiere nur drauf.

Das werfe ich Dir auch gar nicht vor, aber Du solltest dann auch akzeptieren, daß es nicht wirklich stellvertretend für eine klassische Entscheidung steht, sondern nur zur Herausarbeitung der Methode.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... der Arzt ist ja nicht nur Befehlsempfänger, sondern selbst ein ethisch reflektierendes Subjekt.

In dem Moment wendet er vermutlich eine gelernte Maxime an, ist also weder nur Befehlsempfänger, noch ist sein aktueller Fokus auf der reflektierenden Hinterfragung seiner Maximen.


Hmm... sofern er intelligent genug ist, die Situation in ihrer Komplexität zu überblicken, benötigt er ja gar keine erlernten Faustregeln als Hilfsmaximen mehr und kann unmittelbar im Sinne des Nützlichkeitsprinzips handeln, alles andere jedenfalls käme mir dann doch etwas inkonsequent vor. Aus dem Grund finde ich auch den "Regelutilitarismus" etwas merkwürdig, denn für einen Utilitaristen können Regeln eigentlich nie etwas anderes sein als Faustregeln, die aber in dem Moment, in dem man den vollständigen Überblick über eine Situation hat, stante pede hinfällig werden müssten.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Eine abstrakte Regel hier über den konkreten Nutzen zu stellen, selbst wenn klar ist, dass der Regelbruch in diesem Fall keine negativen Auswirkungen hätte, weil das, was die Regel ausschließen soll, auf Grund der Umständen ohnehin ausgeschlossen ist, ist eben keine konsistente utilitaristische Handlungsmaxime.

Das hat auch niemand behauptet.


Aber was dann?

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Flüchtlingen aus Syrien zu helfen, weil auch in Deutschland mal Krieg sein könnte, ist z.B. kein sonderlich überzeugendes Argument.
Hier reichen ja schon die direkten Konsequenzen, die Verminderung des Gesamtleidens etwa.
Auch hier: Bitte argumentativ im Kontext bleiben. Es ging um dein Argument dafür, warum es im Interesse eines von einer bestimmten Notsituation nicht Betroffenen liegen sollte, Betroffenen zu helfen. ...

Du hast als Beleg für "indirekte Erwägungen sind nicht überzeugend" ein Beispiel gewählt, in dem es ein viel stärkeres direktes Argument gibt. Und die Behauptung war ja nicht, daß es immer ein starkes indirektes Argument gebe. Das hat zumindest ein manipulatives Gschmäckle.


"Indirekt", "direkt"? Nein, das sind hier nicht die richtigen Kategorien. In dem einen Fall geht es um die Frage, was überhaupt zu utiliaristischem Handeln motivieren sollte und in dem anderen darum, was utilitaristisch korrekt ist. Das ist offensichtlich nicht dasselbe. Zu sagen: "Es sollte Norm sein, in diesen oder jenen Situationen zu helfen, weil ich selbst in eine solche Situationen kommen könnte und es dann gut für mich wäre, wenn mir geholfen wird" stellt ein für den Einzelnen zweckrationales Motiv dar. "Ich möchte, dass das Gesamtleid reduziert wird" stellt kein solches Motiv dar, sondern eine ethische Grundüberzeugung. Man kann aber das zweite nicht durch das erste begründen und damit auch den Utilitarismus (sofern er ein universalistisches ethisches Prinzip abgeben soll) nicht aus dem Prinzip der rationalen Wahl, so ehrlich sollte man schon sein.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- [der KI] funktioniert nicht bei Gruppen mit unterschiedlichen Grundwerten. So könnte z.B. ein Katholik Frauen unterdrücken und der Meinung sein, dies könne gut und gern allgemeines Gesetz werden.
... Inwiefern hat der Präferenzutilitarismus dieses Problem nicht?

Weil dort alle Subjekte ihre Interessen gleichberechtigt einbringen (also insbesondere auch die Frauen), so daß der o.g. Kerl als Maxime nicht das hat, was er selbst für ein gutes Gesetz hielte, sondern das, von dem er meint, daß es die selbstgeäußerten Interessen Aller am besten bediente. Natürlich sind Manipulationen der Nutzenfunktion, Marginalisierung von kleinen Minderheiten usw. auch im U. noch eine Gefahr, aber die ganz platten Dinger gehen nicht mehr.


Na ja, was heißt "ganz platt"? Gerade die "Rolle der Frau" zeigt ja nun, wie viel an Interessen gerade über soziale Erwartungen, gesellschaftliche Strukturen, Sozialisation usw. gesteuert wird.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- [der KI] referenziert selbst wieder auf das Wollen des Einzelnen ... und begründet nicht, was das Ziel hinter dem Ganzen sein soll.
Das wäre auch recht merkwürdig, da er ja kein Konsequentialist ist.

Dadurch wird Moral aber zu etwas sehr Individuellem - und im Prinzip der gleichberechtigten Aushandlung und Abstimmung in der Gesellschaft entzogen. Zudem wäre sie schwer auf neue Situationen skalierbar und neigt zur Traditionalisierung, da sie an einer deutlich zeitgeistigeren Beurteilung hängt als eine abstrakte "greater good" Leitidee.


Tja, mit ethischen "Leitbildern" habe ich ähnliche Probleme wie mit ethischen "Rezepten" aber wenn schon, scheint mir die Selbstzweckformel des KIs als Leitbild doch noch mindestens eine Nummer zeitgeistenthobener zu sein als das "greater good".


Zuletzt bearbeitet von Zumsel am 16.07.2020, 19:03, insgesamt einmal bearbeitet
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Beitrag(#2217959) Verfasst am: 16.07.2020, 18:44    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

PS: Bitte fragt mich jetzt nicht, wie ich das mit Berichten zusammenbringe, die von Eskimos erzählen, die ihre Alten auf die Eisscholle setzen.


Weil in der Welt der Inuit nicht genügend Ressourcen vorhanden sind, um jemand, der selber nichts beitragen kann, durchzufüttern.

Danke. Das könnte meine argumentative Lücke schließen.


vrolijke hat folgendes geschrieben:
Die Alten gehen angeblich freiwillig auf der Eisscholle.

Harte Zeiten für Warmduscher. Brr. Moderne Zivilisation hat schon was.

----------------------------------------------------

Eine ganz gegenteilige Geschichte fällt mir ein.

Neben meinem (Quasi-)Schwiegervater wohnte ein alter Mann in einem alten Bauernhaus. Er war nicht mehr springfidel, aber einige Jahre hätte er es nach Aussage des Schwiegervaters noch gemacht. Dann ist der Mann gestürzt, hat sich verletzt, wurde entmündigt und ins Heim gesteckt. Statt dem alten Bauernhaus steht dort jetzt ein schmuckes Reihenhaus.

    5) Trolleyproblem: steckst du deinen Opa ins Altersheim, wenn die Mieteinnahmen die Heimkosten übersteigen?

Die Moderne hat die Tradition des Austragshäusels wohl aufgegeben. Wer das Haus erbt, muß sich um die Alten kümmern. So war das früher in meiner Gegend.
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Beitrag(#2218054) Verfasst am: 17.07.2020, 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

Hab schon lange keine Tao-Geschichte mehr erzählt. Falls sie authentisch ist - was ist nicht weiß - stammt sie so aus 800 - 1100 AD.

Zitat:
Ein Bauer war so alt geworden, daß er zu nichts mehr taugte. Das war seinem Sohn ein Dorn im Auge. Er zimmerte einen Sarg, zwang den Alten hinein und zog den Sarg zu einem Abgrund.

Da klopfte der Alte im Sarg und sagte: "Sohn, wirf mich in den Abgrund, wenn du willst. Aber heb' dir diesen guten Sarg auf, deine Kinder könnten ihn eines Tages brauchen."

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Skeptiker
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Beitrag(#2218098) Verfasst am: 18.07.2020, 12:24    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es wird hier zum Teil formuliert, dass die Gemeinschaft, der Staat oder wer auch immer den Individuen Rechte zuweisen. Guckt man sich das mal näher an, läuft diese Vorstellung darauf hinaus, dass es Zuweiser und Zuweisungsempfänger gibt, d.h. es handelt sich hier um einen aktiven und einen passiven Part von - zwei verschiedenen Gruppen inklusive diverser Zwischengruppen vielleicht.


Falls Du hier von der jetzigen Gesellschaft redest, stimme ich zu - es haben ja nicht alle am Grundgesetz oder den Ausführungsbestimmungen mitgeschrieben bzw. es wurde nicht alles zur Diskussion gestellt, sondern war eine Eliten-Aktion. In sozialistischen Gesellschaften übrigens ebenso.


Nein, ich spreche von gar keiner Gesellschaft, sondern beziehe mich nur ganz abstrakt auf die Vorstellung, dass Individuen der Gruppe A Rechte von anderen Individuen der Gruppe B zugewiesen werden. Das ist ein Webfehler, der grundsätzlich inakzeptabel ist.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Anders formuliert: Würden Alle über sämtliche Mittel verfügen, die nötig sind, um Rechte zu produzieren (Recht auf Nahrung, Wohnung, Mobilität, Kommunikation, Information usw. etc.), dann wäre die Kategorie des "Zuweisens" überflüssig. Denn die Menschen würden sich dann quasi selbst alle Rechte (= Mittel und Möglichkeiten) zuweisen, die nötig sind, um ihre Menschenrechte zu erfüllen.


In einem Paradies mit unendlichen Ressourcen vielleicht. In allen realen Gesellschaften wird es aber immer Interessenkonflikte geben, und man benötigt einen Ausgleichsprozeß dafür.


Es geht darum, die bestehenden Ressourcen als gemeinsamen Pool gemeinsam zu nutzen. Warum deiner Meinung nach dafür unendliche Ressourcen existieren müssen, erschließt sich mir nicht.

Wahrscheinlich beziehst du dich auf irgend eine ökonomistische *Knappheitstheorie* bzw. hast so was in der Richtung mal gehört.

Ansonsten sehe ich, dass du mit deiner Naturalisierung von ökonomischen Interessenkonflikten deren gesellschaftlichen Charakter mal eben mit einem Federstreich negierst. "Das ist immer so." ist leicht daher gesagt, um die spezifischen Interessenkonflikte hier und heute als *gottgegeben* abzusegnen.

"Natürlich" gibt es im Leben immer Konflikte. So weit kann ich dir ganz allgemein zustimmen. Dass es aber unmöglich sei, Interessengegensätze auf smarte, also demokratische Weise aufzulösen anstatt auf deren ständigem Köcheln einen "Ausgleichsprozess" zu setzen, so wie einen Deckel auf einen Kochtopf, das halte ich für ideologisch. Bei so einem Ausgleichsprozess kommen wieder Staat und Platzanweiser ins Spiel und Demokratie und Kommunikation fallen hinten runter.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus sieht objektiv aus, aber im Grunde genommen lautet seine Formel: "Du bist nichts, die große Präferenzkennziffer des großen Ganzen ist Alles!"


Die große Glücksziffer setzt sich aber aus nichts anderem zusammen als aus vielen kleinen Glücksziffern. Würde der Einzelne objektiv mehr zählen als das, wäre dies unweigerlich mit einem höheren Leiden für Andere verbunden.


Die große Glücksziffer ist ein Fetisch, bei der die Individuen hinter einer großen Rechenmaschine verschwinden. Der Präferenzutilitarismus ist somit anti-individuell und philosophischer Ausdruck von Ökonomismus, bei dem es stets um "Kosten-Nutzen-Kalkulationen" geht und der keine Qualitäten kennt, auch keine individuellen Lebensqualitäten.

step hat folgendes geschrieben:
Nein, ich schreibe jetzt nichts über kollektivistische Ideologien ...


Ich ebenfalls nicht. Ich schreibe heute über individuelle Lebensqualitäten, so wie es ja auch die Menschenrechte tun, die sich nicht auf irgend ein Kennziffer-Kollektiv bzw. auf eine Kollektiv-Kennziffer beziehen ...- Cool
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Beitrag(#2218107) Verfasst am: 18.07.2020, 15:50    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Im Zweifel hätten die Russen auch allein gewonnen. Was ich damit sagen will? Die Amis wollten Europa halt nicht komplett den Sowjets überlassen. Die Eröffnung der Westfront erfolgte quasi in letzter Minute. Dass es in der Regierung auch Philanthropen gab, will ich nicht mal ausschließlich, die wesentlichen militärischen Motive aber waren machtpolitischer und geostrategischer Natur.

Hört sich plausibel an.

Und führt - etwas arg zugespitzt - zur Frage, wo hier der Unterschied ist:

    - Die Deutschen schicken ihre Soldaten in den Tod, um Lebensraum im Osten zu gewinnen.
    - Die Amis schicken ihre Soldaten in den Tod, um sich Europa als Absatzmarkt zu erhalten.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Dass man sich nahen Angehörigen mehr verbunden fühlt als Fremden, ist ja auch menschlich.

Ok, aber wie erklärst du das? Deine Erklärung würde ich gerne hören, obwohl das Problem bereits erklärt ist. W.D. Hamilton 1965, zum Beispiel.

https://en.wikipedia.org/wiki/Inclusive_fitness
https://de.wikipedia.org/wiki/Verwandtenselektion

Seine Erklärung enthält ziemlich viel Algebra. Das hat meine Denkwelt geprägt. Für dich ist es vielleicht neu.

Du sprichst vom manischen Denken in den Kategorien von "Verwertung", "Nutzen", "Maximierung". Und vermischst dabei zwei Ebenen. Als Physiker kommt man um "Maximierungsdenken" nicht herum. Ohne das Prinzip der kleinsten Wirkung, das Hamilton-Prinzip (ein anderer Hamilton), sähe die Physik anders aus. Ein Evolutionsbiologe kommt auch nicht darum herum.

Daraus wird dann ein Vorwurf, neoliberalen Ideen anzuhängen, weil man in formalen Minimax-Kategorien denkt. Ich brauche jedoch nur dem Hedonismus oder der Faulenzerei einen Wert zuzuweisen, dann sind die ebenfalls Teil der Rechnung. Als die individuellen Lebensqualitäten, die Skeptiker gerade gefordert hat.

Ein sinnvollerer Vorwurf wäre gewesen: step, smallie, grenzt Utilitarismus mal von Konfuzianismus ab. Oh Mann, jetzt muß ich schon die Gegenargumente vorsagen. Zustimmung

EDIT: step hat bereits gefragt, wie man sich als Kommunist vom Utilitarismus abgrenzt.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Aber das z.B. die Loyalität zu einem Arbeitgeber ggf. der Förderung des Gemeinwohls entgegensteht und daraus ein moralischer Konflikt werden kann, kann man dann vielleicht schon unter dem Begriff der "sozialen Pathologie" fassen.

Die Menschenrechte werden die Pathologie schon richten. Eines Tages. Pfeifen

Ein Kollege hat kürzlich erzählt:

    CHEF: Wenn der Oberchef sagt, das Wasser fließt bergauf, dann fließt es bergauf.
    KOLLEGE: Aber, naja, Wasser fließt nicht bergauf.
    CHEF: *Anschiß*

Ich kann eine weitere Geschichte dieser Art erzählen. War selbst dabei:
    (anderer) CHEF: Wenn ich sage, der Schnee ist schwarz, dann ist er schwarz.

Was du "soziale Pathologie" nennst - scheint ein chronischer Fall zu sein.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist korrekt, ich sagte deswegen ja auch schon, dass Moral nicht nach dem Schema formaler Logik hergeleitet werden kann. Und das ist halt letztlich auch der Grund, warum ich ein Problem damit habe, Ethik als ein "Rezept" zu verstehen.

Ein fiktiver Dialog zwischen zelig und mir.

    smallie: Hamilton hat gezeigt, warum Vetternwirtschaft funktioniert.
    zelig: Nur weil Vetternwirtschaft ein erfolgreiches Modell ist, kommt ihr noch lange kein ethischer Wert zu.
    smallie: Richtig. Immerhin verstehen wir jetzt die Ursachen besser.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
    Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist, ist ein Individuum souverän. - John Stuart Mill

Ja, aber das Zitat ist jetzt auch schon verdächtig nah am "ewigen und unveräußerlichen Menschenrecht", oder?

Lasse ich durchgehen. zwinkern Wenn dir "langfristig stabile" Menschenrechte ausreichen, ist das für mich und für alle praktischen Zwecke das selbe.

Du hast noch nichts zu den Neandertalern aus der Höhle von Shanidar gesagt. Woher hatten die ihre Version der Neandertaler-Rechte?



Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

    Der Weg, den man nennen kann, ist nicht der wahre Weg - Lao Tse

... Der Punkt ist halt tatsächlich, dass es sich nicht auf den Punkt bringen lässt...

Womit du es paradoxer Weise auf den Punkt gebracht hast. Mr. Green

Metha-Ethik halt.
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Zumsel
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Beitrag(#2218153) Verfasst am: 19.07.2020, 11:02    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Im Zweifel hätten die Russen auch allein gewonnen. Was ich damit sagen will? Die Amis wollten Europa halt nicht komplett den Sowjets überlassen. Die Eröffnung der Westfront erfolgte quasi in letzter Minute. Dass es in der Regierung auch Philanthropen gab, will ich nicht mal ausschließlich, die wesentlichen militärischen Motive aber waren machtpolitischer und geostrategischer Natur.

Hört sich plausibel an.

Und führt - etwas arg zugespitzt - zur Frage, wo hier der Unterschied ist:

    - Die Deutschen schicken ihre Soldaten in den Tod, um Lebensraum im Osten zu gewinnen.
    - Die Amis schicken ihre Soldaten in den Tod, um sich Europa als Absatzmarkt zu erhalten.


Da fallen mir so einige ein, der wohl Wichtigste: Der Faschismus ist die erheblich widerwärtigere Ideologie.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Dass man sich nahen Angehörigen mehr verbunden fühlt als Fremden, ist ja auch menschlich.

Ok, aber wie erklärst du das?


Na ja, irgendwie anthropologisch, würde ich sagen Smilie


smallie hat folgendes geschrieben:
Deine Erklärung würde ich gerne hören, obwohl das Problem bereits erklärt ist. W.D. Hamilton 1965, zum Beispiel.

https://en.wikipedia.org/wiki/Inclusive_fitness
https://de.wikipedia.org/wiki/Verwandtenselektion


Z.B. so, genau. Aber damit ist ja nun die ethische Reflektion nicht abgeschlossen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Seine Erklärung enthält ziemlich viel Algebra. Das hat meine Denkwelt geprägt. Für dich ist es vielleicht neu.


Also Algebra ist mir jetzt nicht neu zwinkern
Auch formalisiertes Denken ist mir durchaus vertraut, damals im Studium (Nebenfach Philosophie) habe ich mal Kurse zur Prädikatenlogik und zum formalen Beweisen belegt. Anfänglich hielt ich das für eine Art Offenbarung, muss aber gestehen, dass die Begeisterung recht schnell verflogen ist. Ich kann Texten, die vollgepackt sind mit irgendwelchen Formeln, heute wenig abgewinnen und bevorzuge eher solche, die gut geschrieben sind. Und diese letzteren sind es, die mein Denken geprägt haben.

smallie hat folgendes geschrieben:
Du sprichst vom manischen Denken in den Kategorien von "Verwertung", "Nutzen", "Maximierung". Und vermischst dabei zwei Ebenen. Als Physiker kommt man um "Maximierungsdenken" nicht herum. Ohne das Prinzip der kleinsten Wirkung, das Hamilton-Prinzip (ein anderer Hamilton), sähe die Physik anders aus. Ein Evolutionsbiologe kommt auch nicht darum herum.

Daraus wird dann ein Vorwurf, neoliberalen Ideen anzuhängen, weil man in formalen Minimax-Kategorien denkt. Ich brauche jedoch nur dem Hedonismus oder der Faulenzerei einen Wert zuzuweisen, dann sind die ebenfalls Teil der Rechnung. Als die individuellen Lebensqualitäten, die Skeptiker gerade gefordert hat.


Klar, wenn man die umfassende Verdinglichung der Welt als negativ für die "Leidbilanz" definiert, kann man das natürlich alles utilitaristisch einfangen. Nur beißt sich die Katze da halt in den Schwanz, da die Neigung zum krämerischen Bilanzieren schon eine Form des verdinglichten Denkens darstellt. Oder anders gesagt: Hätten wir menschenwürdige Verhältnisse, würde man nicht buchhalterisch um Interessenausgleich, Nutzenabwägung usw. ringen müssen. Meine Freundschaften jedenfalls funktionieren nicht nach diesem Prinzip. Und dass ich in anderen Kontexten gezwungen bin, nach diesem Prinzip zu handeln (die bürgerliche Gesellschaft macht halt jeden irgendwie zur Krämerseele) empfinde ich als Zumutung. Und eben Zumutungen dieser Art sind eigentlich der Punkt, an dem (ethische) Gesellschaftskritik meiner Meinung nach ansetzen sollte, anstatt die Aufgabe der Ethik darin zu sehen, die Welt überhaupt in eine Art riesigen Krämerladen mit lauter Fair-Trade-Produkten zu verwandeln.

smallie hat folgendes geschrieben:
Ein sinnvollerer Vorwurf wäre gewesen: step, smallie, grenzt Utilitarismus mal von Konfuzianismus ab. Oh Mann, jetzt muß ich schon die Gegenargumente vorsagen. Zustimmung

EDIT: step hat bereits gefragt, wie man sich als Kommunist vom Utilitarismus abgrenzt.


Niemand muss da irgendwas abgrenzen, wozu sollte das gut sein? So etwas führt doch nur zu unnötigen Verkürzungen. Man sollte sich nicht in fruchtlosen Abgrenzungskämpfen ergehen, sondern stattdessen einfach das, was uns die Menschheit bisher an Ideen hinterlassen hat, kritisch weiterdenken. Die Urheber der meisten Gedanken, die wir hier diskutieren, waren ja keine Kretins. Nur waren sie eben, wie alle Menschen, sehr wohl geprägt und zugerichtet von den Zuständen, unter denen sie nun einmal ihr Leben zu fristen hatten.

smallie hat folgendes geschrieben:
Die Menschenrechte werden die Pathologie schon richten. Eines Tages. Pfeifen


Ich sehe die Menschenrechte keinesfalls als Allheilmittel (du erinnerst dich, die Sache mit Ethik als "Rezept" und so), ich habe hier ja auch schon gesagt, dass deren Konzeption gravierende Schwierigkeiten aufweist. Nur scheinen sie mir im Vergleich zu den Alternativen ethisch tatsächlich unverzichtbar zu sein, indem sie der Verwirklichung lebenswürdigen Verhältnisse noch am Nächsten kommen - zumindest im Vergleich zu allem anderen, was da gegenwärtig auf dem Tisch liegt.

smallie hat folgendes geschrieben:
Du hast noch nichts zu den Neandertalern aus der Höhle von Shanidar gesagt. Woher hatten die ihre Version der Neandertaler-Rechte?


Keine Ahnung, ich glaube, da kennst du dich besser aus, ich bin kein Experte für Vorgeschichte. Ich will auch nicht behaupten, dass das Verhalten der Neanderthaler völlig uninteressant für unsere Reflexion auf menschliches Verhalten im Allgemeinen wäre, nur haben wir heute dann vermutlich doch mit etwas anderen sozialen Umständen (und Zurichtungen) zu kämpfen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

    Der Weg, den man nennen kann, ist nicht der wahre Weg - Lao Tse

... Der Punkt ist halt tatsächlich, dass es sich nicht auf den Punkt bringen lässt...

Womit du es paradoxer Weise auf den Punkt gebracht hast. Mr. Green

Metha-Ethik halt.


Nee, Dialektik halt Lachen
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Beitrag(#2218176) Verfasst am: 19.07.2020, 15:35    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der Kernpunkt dieser Kritik ist, dass einer auf Interessen basierenden Ethik gerade das kritische Element hinsichtlich eben dieser Interessen abgeht.

Das scheint mir falsch: Zum einen kann jedes ethische Subjekt diese Kritik jederzeit in den ethischen Diskurs einbringen - a la "Ihr denkt nicht nachhaltig ..." - diese Kritik ist letztlich wiederum ein Plausibelmachen der Nachteile für Alle. Zum zweiten sollten wir das Gegenmodell zum Vergleich anschauen: Dort werden Interessen nicht nur nicht kritisch hinterfragt (da die Werte mystisch sind), sondern letztlich gar nicht berücksichtigt, da sie nicht zählen. In einer Sitation, in der die Nutzenfunktion (also der Weg zum Glück) völlig unbekannt ist, ist das mE die noch schlechtere Methode.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
"Die Leute präferieren Konsumnippes, Ballermannurlaub und Dieter Bohlen? Ja nu, dann ist das halt so."

Du scheinst jetzt gar nicht mehr gegen den Utilitarismus zu argumentieren, sondern dagegen, Entscheidungen einer dummen Mehrheit mit völlig naiv-unreflektierten Präferenzen zu überlassen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Interessen und Präferenzen sind doch nichts, was apriori einfach so gegeben wäre. Gerade bei der Fragen nach deren Ursachen, wird es (auch ethisch) doch erst richtig interessant.

Das habe ich weiter oben bereits bestätigt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In dem Moment wendet [der Arzt] vermutlich eine gelernte Maxime an, ist also weder nur Befehlsempfänger, noch ist sein aktueller Fokus auf der reflektierenden Hinterfragung seiner Maximen.
Hmm... sofern er intelligent genug ist, die Situation in ihrer Komplexität zu überblicken, benötigt er ja gar keine erlernten Faustregeln als Hilfsmaximen mehr ...

Soch. So intelligent ist niemand, daß er in komplexen Situation ohne Gelerntes, Maximen, Routinen usw. auskommt. Dieses "Überblicken" und Einschätzen selbst ist ja auch letztlich nichts anderes als gelernte Routinen, denen Situationsmuster und erfahrungsbasierte oder antrainierte Regeln im Gehirn entsprechen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... finde ich auch den "Regelutilitarismus" etwas merkwürdig, denn für einen Utilitaristen können Regeln eigentlich nie etwas anderes sein als Faustregeln, die aber in dem Moment, in dem man den vollständigen Überblick über eine Situation hat, stante pede hinfällig werden müssten.
Ja, es sind in etwa Faustregen. Und in der Tat, im Prinzip könnten sie durch neue Erkenntnisse stante pede hinfällig werden. Das ist wie bei der Wissenschaft: Auch eine gute Theorie könnte plötzlich falsifiziert werden. Der Punkt is aber, daß dies mit zunehmender Erfahrung und Überprüfung der Konsequenzen eher selten passiert. Die Regeln im Regelutilitarismus sind daher so etwas wie eine temporäre Best-Practice, auf die man sich im ethischen Diskurs geeinigt hat.

Ein Beispiel ist Umweltverschmutzung / Klimawandel: In dem Moment wo klar wird, welche Konsequenzen unsere derzeitige Praktik kat, fällt die ethische Legitimität aus utilitaristischer Sicht stante pede weg.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Zu sagen: "Es sollte Norm sein, in diesen oder jenen Situationen zu helfen, weil ich selbst in eine solche Situationen kommen könnte und es dann gut für mich wäre, wenn mir geholfen wird" stellt ein für den Einzelnen zweckrationales Motiv dar.

Nicht nur - er sieht auch ein, daß es etwas allgemein Einigungsfähiges wäre.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
"Ich möchte, dass das Gesamtleid reduziert wird" stellt kein solches Motiv dar, sondern eine ethische Grundüberzeugung.

Nicht nur - es scheint auch etwas allgemein Einigungsfähiges zu sein.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Man kann aber das zweite nicht durch das erste begründen ...

Das tue ich nicht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... und damit auch den Utilitarismus (sofern er ein universalistisches ethisches Prinzip abgeben soll) nicht aus dem Prinzip der rationalen Wahl ...

Doch, das geht, wenn man nicht so verkürzt auf die rein selbstbezogenen Interessen schaut, sondern auf die Einigungsfähigkeit, also die universelle Überzeugungskraft für ethische Subjekte.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Natürlich sind Manipulationen der Nutzenfunktion, Marginalisierung von kleinen Minderheiten usw. auch im U. noch eine Gefahr, aber die ganz platten Dinger gehen nicht mehr.
Na ja, was heißt "ganz platt"? Gerade die "Rolle der Frau" zeigt ja nun, wie viel an Interessen gerade über soziale Erwartungen, gesellschaftliche Strukturen, Sozialisation usw. gesteuert wird.

Ja, aber man sieht auch, daß genau das mit zunehmender Bildung und Mitsprache eben nicht mehr geht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
mit ethischen "Leitbildern" habe ich ähnliche Probleme wie mit ethischen "Rezepten" aber wenn schon, scheint mir die Selbstzweckformel des KIs als Leitbild doch noch mindestens eine Nummer zeitgeistenthobener zu sein als das "greater good".

Hmm ... das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
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Beitrag(#2218178) Verfasst am: 19.07.2020, 15:55    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
ich spreche von gar keiner Gesellschaft, sondern beziehe mich nur ganz abstrakt auf die Vorstellung, dass Individuen der Gruppe A Rechte von anderen Individuen der Gruppe B zugewiesen werden. Das ist ein Webfehler, der grundsätzlich inakzeptabel ist.

Keine Ahnung, wo Du die Gruppen A und B her hast, die gibt es ja unter den ethischen Subjekten im Utilitarismus gar nicht (wohl aber in Deiner Klassentheorie). Im Utilitarismus wäre es ja eher so: Es gibt nur Gruppe A, und die weist sich selbst Rechte zu.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In allen realen Gesellschaften wird es aber immer Interessenkonflikte geben, und man benötigt einen Ausgleichsprozeß dafür.
Es geht darum, die bestehenden Ressourcen als gemeinsamen Pool gemeinsam zu nutzen.

Das ist doch sehr utilitaristisch.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum deiner Meinung nach dafür unendliche Ressourcen existieren müssen, erschließt sich mir nicht. Wahrscheinlich beziehst du dich auf irgend eine ökonomistische *Knappheitstheorie* ...

Nee. Ich vermute, Du denkst zu sehr in den alten Kategorien von primären Produktionsmitteln und Weizenernte. Ich dachte hier aber eher an Interessenskonflikte, die dadurch zustandekommen, daß jemand immer dasselbe oder mehr will als sein Nachbar. Seien es Ballermannflüge, die größere Yacht oder mehr Likes.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Dass es aber unmöglich sei, Interessengegensätze auf smarte, also demokratische Weise aufzulösen ...

Wie bitte? Genau darum gehts doch bei ethischen Diskurs. Dieses "Auflösen" braucht doch, neben universellem Mitaspracherecht, vor allem ein Kriterium. Was bitteschön soll das denn sein, wenn nicht ein Optimierungsproblem für the Greater Good?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Bei so einem Ausgleichsprozess kommen wieder Staat und Platzanweiser ins Spiel und Demokratie und Kommunikation fallen hinten runter.

Im Gegenteil, genau das ist der Fall, wenn Du (als sozialistischer Kader) entscheidest, wie die proletarische Bedürfnispyramide aussieht.
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Beitrag(#2218183) Verfasst am: 19.07.2020, 17:29    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
ich spreche von gar keiner Gesellschaft, sondern beziehe mich nur ganz abstrakt auf die Vorstellung, dass Individuen der Gruppe A Rechte von anderen Individuen der Gruppe B zugewiesen werden. Das ist ein Webfehler, der grundsätzlich inakzeptabel ist.

Keine Ahnung, wo Du die Gruppen A und B her hast, die gibt es ja unter den ethischen Subjekten im Utilitarismus gar nicht (wohl aber in Deiner Klassentheorie). Im Utilitarismus wäre es ja eher so: Es gibt nur Gruppe A, und die weist sich selbst Rechte zu.

Noch dazu:

Ich verstehe ja, daß Euch der Ausdruck "zuweisen" unsympathisch ist. Von mir aus können wir auch "verleihen" oder "garantieren" sagen. Das ist hier eine rein funktionale Vokabel und beinhaltet, wie ich ja schon x-mal erklärt habe, keinerlei Klasseneinteilung oder Machtgefälle, sondern sagt nur aus, daß die Rechte nicht aus dem Nichts kommen, sondern erdacht, formuliert und beschlossen werden.

Es ist mir völlig schleierhaft, wie irgendeine verfaßte Gesellschaft - sei sie nun christlich, kommunistisch, liberal, faschistisch, demokratisch, kantianisch oder was auch immer - ohne Zuweisung von Rechten auskommen sollte. Es ist ja nun mal faktisch so, daß Rechte und Pflichten von der Gesellschaft oder von Mächtigen zugestanden werden:
- Im Geltungsbereich des Grundgesetzes und weiterer Gesetze werden den Bürgern Rechte durch dieses zugewiesen, und das GG ist, wie jeder weiß, nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von einer Elite geschrieben und bis heute modifiziert: Juristen, Theologen, Politiker, Ökonomen, Historiker usw.
- im Sowjetstaat werden dem Bürger Rechte zugestanden vom Partei- und Staatsführer und den lokalen Sowjets, z.B. wieviel Kilo Mehl ein Arbeiter zugewiesen bekommt oder ob jemand ausreisen darf.
- im Gottesstaat werden Männern nur bestimmte sexuelle Praktiken erlaubt und Frauen noch weniger.
- einzig in einer völlig anarchischen Gesellschaft würde man wohl auf die Zuweisung von Rechten und Pflichten verzichten.

Da man also Rechte braucht und diese nicht vom Himmel fallen, ist es das Beste, wenn sie von eine möglichst breiten, am besten sogar universellen Gemeinschaft ethischer Subjekte verhandelt/festgelegt werden und dann sich selbst zugewiesen / garantiert werden.
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Zumsel
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Beitrag(#2218243) Verfasst am: 20.07.2020, 09:58    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der Kernpunkt dieser Kritik ist, dass einer auf Interessen basierenden Ethik gerade das kritische Element hinsichtlich eben dieser Interessen abgeht.

Das scheint mir falsch: Zum einen kann jedes ethische Subjekt diese Kritik jederzeit in den ethischen Diskurs einbringen - a la "Ihr denkt nicht nachhaltig ..." -


Ja, sofern es sich im Rahmen dessen bewegt, was an Interessen halt so vorhanden. Aber mir scheint, hier drehen wir uns im Kreis.

step hat folgendes geschrieben:
Zum zweiten sollten wir das Gegenmodell zum Vergleich anschauen...


Welches Gegenmodell?

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
"Die Leute präferieren Konsumnippes, Ballermannurlaub und Dieter Bohlen? Ja nu, dann ist das halt so."

Du scheinst jetzt gar nicht mehr gegen den Utilitarismus zu argumentieren, sondern dagegen, Entscheidungen einer dummen Mehrheit mit völlig naiv-unreflektierten Präferenzen zu überlassen.


In diesem Diskussionszweig argumentiere ich v.a., dass Menschen Interessen und Präferenzen für alles mögliche haben können, daraus aber noch kein ethisches Verhalten folgt und daher an der Vorstellung, Ethik und funktionaler Interessenausgleich seien im Grunde dasselbe, etwas nicht stimmen kann.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Interessen und Präferenzen sind doch nichts, was apriori einfach so gegeben wäre. Gerade bei der Fragen nach deren Ursachen, wird es (auch ethisch) doch erst richtig interessant.

Das habe ich weiter oben bereits bestätigt.


Aber was folgt für dich daraus? Ballermannflüge z.B. können doch sinnvollerweise nicht nur als singulär geäußertes Interessen abgehandelt werden, die mit den Interessen anderer entweder im Einklang stehen oder nicht und dadurch dann als entweder "ethisch korrekt" oder "ethisch inkorrekt" klassifiziert werden. Interessant sind hier doch v.a. die Umständen, unter denen sich das Bedürfnis nach so etwas wie Ballermannurlauben überhaupt erst bildet. Und eine solche Analyse wiederrum kann doch nicht im Rahmen der nun einmal geäußerten Präferenzen bleiben.

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In dem Moment wendet [der Arzt] vermutlich eine gelernte Maxime an, ist also weder nur Befehlsempfänger, noch ist sein aktueller Fokus auf der reflektierenden Hinterfragung seiner Maximen.
Hmm... sofern er intelligent genug ist, die Situation in ihrer Komplexität zu überblicken, benötigt er ja gar keine erlernten Faustregeln als Hilfsmaximen mehr ...

Soch. So intelligent ist niemand, daß er in komplexen Situation ohne Gelerntes, Maximen, Routinen usw. auskommt.


Aber nicht jede Situation ist hochkomplex. Das in Rede stehende Beispiel war ein Arzt, der sich aus gewissen Gründen innerhalb bestimmter Umstände sicher sein kann, dass der Mord an einem gesunden Patienten, mit dessen Organen er fünf Kranke retten kann, nicht auffliegen wird, in diesem Fall also kein Vertrauensverlust der Gesellschaft in das Gesundheitswesen zu befürchten ist (welcher hier ja der Grund für die Faustregel sein soll). Wie gesagt, das Beispiel kam nicht von mir, ich habe es nur weitergesponnen.

step hat folgendes geschrieben:
Ja, es sind in etwa Faustregen.


Faustregeln gibt es aber doch schon im herkömmlichen Utilitarismus, die können also nicht dasselbe sein wie jene Regeln, die dem Regelutilitarismus vorschweben.

step hat folgendes geschrieben:
Und in der Tat, im Prinzip könnten sie durch neue Erkenntnisse stante pede hinfällig werden. Das ist wie bei der Wissenschaft: Auch eine gute Theorie könnte plötzlich falsifiziert werden. Der Punkt is aber, daß dies mit zunehmender Erfahrung und Überprüfung der Konsequenzen eher selten passiert. Die Regeln im Regelutilitarismus sind daher so etwas wie eine temporäre Best-Practice, auf die man sich im ethischen Diskurs geeinigt hat.


Ich bitte dich, man hat sich doch nicht in irgendeinem Diskurs darauf geeinigt, dass man einen Gesunden nicht töten darf, um fünf Kranke zu retten, weil man spieltheoretisch zu dem Ergebnis kam, dass das dadurch erodierende Vertrauen ins Gesundheitswesen am Ende mehr Schaden bringen würde als die Einzeltat nützen würde. Überhaupt ist Ethik eher selten das Ergebnis eines Diskurses als vielmehr eines seiner Elemente. Dass durch den Diskurs selbst auch die ethischen Überzeugungen der Diskursteilnehmer Änderungen erfahren, ist klar, aber doch nicht in der Art, dass man sagt: "So, nachdem nun alle ihre Interessen bekundet haben, können wir daraus als Ergebnis folgende verbindliche ethische Richtlinien ableiten: 1...2...." Ethik ist doch keine Vereinssatzung. Dass die Berücksichtigung der Interessen aller Bestandteil dessen ist, was man Ethik nennt, bestreite ich ja gar nicht, dass diese Begriffe letztlich zusammenfallen, hingegen sehr wohl.

Aber wie schon gesagt, ich glaube, wir drehen uns hier im Kreis, die Argumente wiederholen sich.
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Zumsel
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Beitrag(#2218244) Verfasst am: 20.07.2020, 10:03    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
...Es ist ja nun mal faktisch so, daß Rechte und Pflichten von der Gesellschaft oder von Mächtigen zugestanden werden...


Klar, ethisch interessant sind dann ja auch mehr die Prinzipien, nach denen sie zugestanden werden, also letztlich die Reflexion auf das, was Leute unter gewissen Umständen aus gewissen Gründen für "richtig" halten

step hat folgendes geschrieben:
Da man also Rechte braucht und diese nicht vom Himmel fallen, ist es das Beste, wenn sie von eine möglichst breiten, am besten sogar universellen Gemeinschaft ethischer Subjekte verhandelt/festgelegt werden und dann sich selbst zugewiesen / garantiert werden.


Was ethische Subjekte in einem Diskurs für "richtig" halten, fällt nun aber leider auch nicht vom Himmel.
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smallie
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Beitrag(#2218872) Verfasst am: 27.07.2020, 19:16    Titel: Antworten mit Zitat

Diese Antwort war schwierig zu schreiben.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
... etwas arg zugespitzt ...:
    - Die Deutschen schicken ihre Soldaten in den Tod, um Lebensraum im Osten zu gewinnen.
    - Die Amis schicken ihre Soldaten in den Tod, um sich Europa als Absatzmarkt zu erhalten.

Da fallen mir so einige ein, der wohl Wichtigste: Der Faschismus ist die erheblich widerwärtigere Ideologie.

Stalins Ideologie war kaum besser. Die West-Alliierten hätten weitermarschieren und auch noch Stalin ausschalten können.

Wurde aber nicht gemacht, ging militärisch auch nicht, nicht vor der Atombombe. Pragmatismus in Reinform.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Dass man sich nahen Angehörigen mehr verbunden fühlt als Fremden, ist ja auch menschlich.

Ok, aber wie erklärst du das?

Na ja, irgendwie anthropologisch, würde ich sagen Smilie

Was falsch wäre, denn das gibt es auch bei Tieren.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Deine Erklärung würde ich gerne hören, obwohl das Problem bereits erklärt ist. W.D. Hamilton 1965, zum Beispiel.

https://en.wikipedia.org/wiki/Inclusive_fitness
https://de.wikipedia.org/wiki/Verwandtenselektion


Z.B. so, genau. Aber damit ist ja nun die ethische Reflektion nicht abgeschlossen.

Nein, natürlich nicht, das sollte mein fiktives zelig-Zitat zeigen. Damit beginnt die Reflektion. Damit sieht man vielleicht Zusammenhänge, die man vorher nicht gesehen hat.

Apropos, Stichwort: Monogamie. Was haben Kant & Co. dazu gesagt?


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Also Algebra ist mir jetzt nicht neu zwinkern
Auch formalisiertes Denken ist mir durchaus vertraut

Algebra ist dir sicher nicht neu. Der Gedanke, der hinter dieser einen Algebra vielleicht schon.

    n Benachteiligte * ethische Fall-Konstante < m Bevorteilte

Der Gedanke braucht natürlich einen empirischen Bezug. Sonst ist das eine Leerformel.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Du sprichst vom manischen Denken in den Kategorien von "Verwertung", "Nutzen", "Maximierung". Und vermischst dabei zwei Ebenen. ... Daraus wird dann ein Vorwurf, neoliberalen Ideen anzuhängen, weil man in formalen Minimax-Kategorien denkt. Ich brauche jedoch nur dem Hedonismus oder der Faulenzerei einen Wert zuzuweisen, dann sind die ebenfalls Teil der Rechnung.

Klar, wenn man die umfassende Verdinglichung der Welt als negativ für die "Leidbilanz" definiert, kann man das natürlich alles utilitaristisch einfangen. Nur beißt sich die Katze da halt in den Schwanz, da die Neigung zum krämerischen Bilanzieren schon eine Form des verdinglichten Denkens darstellt.

Theorien setzen "Dinge", besser: Größen, zueinander in Beziehung.

Leid mag ebenso wie Glück in manchen Fällen schwer zu quantifizieren sein. Leztbegründungen sind in Extremfällen schwer zu finden. Bei meinen Trolleyproblemen kommen jedoch alle hier zum tendenziell gleichen Ergebnis. (?!) Richtig? Warum ist das so?

    Wir sind ethisch gleichgeschaltet.
    Wir sind ethisch gleich geschaltet.

Was so ein Leerzeichen ausmachen kann. zwinkern

PS: wenn's um Frondienst und Dienstpflicht geht, hört die Gleichschaltung auch schon wieder auf.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Oder anders gesagt: Hätten wir menschenwürdige Verhältnisse, würde man nicht buchhalterisch um Interessenausgleich, Nutzenabwägung usw. ringen müssen.

Erich Fromm hat mal geschrieben, jede Zeit und jede Gesellschaft hätte innere Widersprüche. Damit wären menschenwürdige Verhältnisse nur in mehr oder weniger guter Näherung möglich. Irgendwer, irgendwas fällt immer durchs Raster.


Zumsel hat folgendes geschrieben:
Meine Freundschaften jedenfalls funktionieren nicht nach diesem Prinzip.

Wie wählst du deine Freunde aus? Danach, ob dir die Zeit, die du mit ihnen verbringst, etwas wert ist? (Und nein, ich benutze keinen Taschenrechner, um diesen Wert auszurechnen, sondern mein Gefühl.)



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und dass ich in anderen Kontexten gezwungen bin, nach diesem Prinzip zu handeln (die bürgerliche Gesellschaft macht halt jeden irgendwie zur Krämerseele) empfinde ich als Zumutung.

Du meinst, das liegt an der bürgerlichen Gesellschaft? War es im Feudalismus besser?

Aber hast schon Recht - es gibt eine Menge Zumutungen. Einige davon erscheinen nur mir als Zumutung, während andere Menschen keine Zumutung sehen. Hier beißt sich auch für mich die Katze in den Schwanz, wie du sagtest.



Zumsel hat folgendes geschrieben:
Und eben Zumutungen dieser Art sind eigentlich der Punkt, an dem (ethische) Gesellschaftskritik meiner Meinung nach ansetzen sollte, anstatt die Aufgabe der Ethik darin zu sehen, die Welt überhaupt in eine Art riesigen Krämerladen mit lauter Fair-Trade-Produkten zu verwandeln.

Ich sehe da keinen Widerspruch. Fair-Trade = Ende der Zumutung So vielleicht?

    7) Trolleyproblem: Freust du dich, wenn dein Lieblingsfußballklub gewinnt wegen eines zu Unrecht gegebenen Elfmeters?

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smallie
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Beiträge: 3613

Beitrag(#2218874) Verfasst am: 27.07.2020, 19:35    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Du hast noch nichts zu den Neandertalern aus der Höhle von Shanidar gesagt. Woher hatten die ihre Version der Neandertaler-Rechte?

... Ich will auch nicht behaupten, dass das Verhalten der Neanderthaler völlig uninteressant für unsere Reflexion auf menschliches Verhalten im Allgemeinen wäre, nur haben wir heute dann vermutlich doch mit etwas anderen sozialen Umständen (und Zurichtungen) zu kämpfen.

Laß mich die Shanidar-Neandertaler-Sache in die Gegenwart versetzen. Bitte sagen, ob ich mir dieses Beispiel für "Soziale Umstände (und Zurichtungen)" einbilde, oder ob ihr ähnliche Fälle kennt.


In meiner Heimat, im Nachbardorf mit 2100 Einwohnern, gab es den "Charly". Ich kenne weder seinen richtigen Namen, noch seine Diagnose - er war im weitesten Sinne geistig behindert. Charly lief oft im Dorf herum und hat geschaut, was die Leute so treiben. Wenn er in einen Betrieb lief wurde das geduldet - falls er zu sehr im Weg stand, hat man ihn freundlich verscheucht. Ich hab' nie ein Wort verstanden, das er gesagt hat - wer ihn kannte, hätte es vermutlich verstanden.

Der Mann lief im Alltag des Dorfes einfach so mit.

Jetzt lebe ich in einer Stadt mit 120 000 Einwohnern. So einer wie Charly ist mir hier noch nicht untergekommen, dabei sollte es Dutzende seiner Art geben. Wo sind die alle? Im Heim?

Wild spekuliert: heute hätte Charlie keine Chance mehr. Ginge er in einen Betrieb, hieße es: Raus!. Wenn du hier zu Schaden kommst, ist der Betrieb haftbar. Kommt er im Straßenverkehr zu Schaden, kriegt sein Vormund auf den Deckel, weil er keine Heimverwahrung angeordnet hat.


    8 ) Trolleyproblem: läßt du Charly frei laufen, weil er damit "glücklich" zu sein scheint? Oder steckst du ihn ins Heim, um deinen Arsch vor rechtlichen Verwicklungen zu retten?

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Wohnort: Arena of Air

Beitrag(#2218883) Verfasst am: 28.07.2020, 01:52    Titel: Antworten mit Zitat

Ad Beitrag:

smallie hat folgendes geschrieben:
In meiner Heimat, im Nachbardorf mit 2100 Einwohnern, gab es den "Charly". Ich kenne weder seinen richtigen Namen, noch seine Diagnose - er war im weitesten Sinne geistig behindert. Charly lief oft im Dorf herum und hat geschaut, was die Leute so treiben. Wenn er in einen Betrieb lief wurde das geduldet - falls er zu sehr im Weg stand, hat man ihn freundlich verscheucht. Ich hab' nie ein Wort verstanden, das er gesagt hat - wer ihn kannte, hätte es vermutlich verstanden.

Der Mann lief im Alltag des Dorfes einfach so mit.

Jetzt lebe ich in einer Stadt mit 120 000 Einwohnern. So einer wie Charly ist mir hier noch nicht untergekommen, dabei sollte es Dutzende seiner Art geben. Wo sind die alle? Im Heim?



Das ist eine von vielen Fragen: Würden unsere entfernten Vorfahren und Verwandten heute leben, würden sie mit uns leben (könnte also der Arbeitskollege nicht nur von der Physiognomie, sondern auch von der genetischen Ausstattung her Neandertaler sein?) oder würden wir sie in den Zoo stecken oder in irgendwelchen Reservaten beherbergen? Und wo läge jeweils die Grenze für das Eine oder das Andere? (Ja nun, die Sentinelesen dürften ja z.B. auch der einzigen rezenten Menschenart angehören.)
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"Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"

Dann bin ich halt bekloppt. Mit den Augen rollen

"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)
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Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
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Beitrag(#2218896) Verfasst am: 28.07.2020, 15:50    Titel: Freiheit, Gleichheit, Bentham! Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
ich spreche von gar keiner Gesellschaft, sondern beziehe mich nur ganz abstrakt auf die Vorstellung, dass Individuen der Gruppe A Rechte von anderen Individuen der Gruppe B zugewiesen werden. Das ist ein Webfehler, der grundsätzlich inakzeptabel ist.


Keine Ahnung, wo Du die Gruppen A und B her hast, die gibt es ja unter den ethischen Subjekten im Utilitarismus gar nicht (wohl aber in Deiner Klassentheorie). Im Utilitarismus wäre es ja eher so: Es gibt nur Gruppe A, und die weist sich selbst Rechte zu.


Dann nehme ich mal wohlwollend an, dass du vom Präferenzutilitarismus unter den Bedingungen einer klassenlosen Gesellschaft sprichst. (Diese allerdings existiert jedoch nicht, was aber nicht an irgend einer Klassentheorie liegt, sondern an der Realität der Klassengesellschaft.)

Wie gesagt, spreche ich im Sinne des Präferenz-Utilitarismus von einer abstrakten Gesellschaft. Aber auch in einer solchen, nicht näher festgelegten Gesellschaft stellt sich doch die Frage, was es heißt, wenn man sagt, "den Individuen" werden Rechte zugewiesen. Welchen Individuen? Und von welchen Individuen erhalten diese ihre Rechte?

Es muss doch Institutionen der "Rechte-Zuweisung" geben und dennoch sprichst du von einer Gruppe A, die sich selbst Rechte zuweist, so als würde die Gesamtheit aller Individuen zu einem Gesamtindividuum verschmelzen. So ein fiktives Meta-Individuum könnte sich dann selbst freiwillig seinen eigenen Präferenzen unterwerfen, um bestimmte Ziele zu erreichen - so wie etwa ein Einzelindividuum sich selber antreibt, Sport zu treiben, um fitter zu werden.

Nun ist aber die Gesamtgesellschaft kein Gesamtindividuum, sondern es sind nach wie vor viele einzelne Individuen, so dass die Widerprüche zwischen intraindividuellen Präferenzvorstellungen und interindividuellen Präferenzzuweisungen nun mal existieren. Und wie löst der Präferenzutilitarismus diese Widersprüche?

step hat folgendes geschrieben:
Ich verstehe ja, daß Euch der Ausdruck "zuweisen" unsympathisch ist. Von mir aus können wir auch "verleihen" oder "garantieren" sagen. Das ist hier eine rein funktionale Vokabel und beinhaltet, wie ich ja schon x-mal erklärt habe, keinerlei Klasseneinteilung oder Machtgefälle, sondern sagt nur aus, daß die Rechte nicht aus dem Nichts kommen, sondern erdacht, formuliert und beschlossen werden.


Und berechnet, kann man hinzufügen. Doch egal, wie die zugestandenen Rechte für die Einzelnen zustande kommen - die Widersprüche zwischen Selbssteuerung und Außensteuerung bleiben, zumal für die Individuen ja nie voraus zu sehen ist, welche Ergebnisse hinsichtlich der zugebilligten indivuellen Rechte die gesammelten Einzelpräferenzen ergeben.

Die zugewiesenen Rechte entsprechen ja nicht direkt dem, was die Einzelnen wollen oder brauchen, sondern dem, was "das große Ganze" braucht oder will. Und das ist nicht das Gleiche.

Außerdem: Die Individuen müssen auch gewissermaßen verpflichtet werden auf die Präferenzen, die sie als kleine Eingangsvariable der großen Formel geäußert hatten. Somit werden ihnen also nicht nur ihre Rechte zugewiesen, sondern auch ihre ursprünglichen Präferenzen. Sie werden auf beides fixiert bis zur Neuberechnung quasi.

step hat folgendes geschrieben:
Es ist mir völlig schleierhaft, wie irgendeine verfaßte Gesellschaft - sei sie nun christlich, kommunistisch, liberal, faschistisch, demokratisch, kantianisch oder was auch immer - ohne Zuweisung von Rechten auskommen sollte.

Je ungleichberechtigter die Menschen in einer Gesellschaft sind, desto mehr sind viele Menschen darauf angewiesen, dass man ihnen irgend etwas zuweist, zugesteht, garantiert - und zwar durch diejenigen, welche die Macht haben, dies zu tun.
Aber je gleichberechtigter eine Gesellschaft ist, desto geringer ist die Notwendigkeit, dass mächtigere Gruppen den weniger mächtigen Gruppen etwas zuweisen. Denn gleiche Macht heißt auch immer gleicher Zugang zu den Ressourcen, also zu dem, was die Menschen brauchen. Dadurch wird das Zuweisen von Rechten tendenziell überflüssig.

step hat folgendes geschrieben:
Es ist ja nun mal faktisch so, daß Rechte und Pflichten von der Gesellschaft oder von Mächtigen zugestanden werden:


Ja, wenn es Mächtige gibt, dann ja. Dann können Rechte zugewiesen, aber auch jederzeit weder entzogen werden. In einer gleichberechtigten / gleich bemächtigten Gesellschaft ist das nicht möglich.

step hat folgendes geschrieben:
- Im Geltungsbereich des Grundgesetzes und weiterer Gesetze werden den Bürgern Rechte durch dieses zugewiesen, und das GG ist, wie jeder weiß, nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von einer Elite geschrieben und bis heute modifiziert: Juristen, Theologen, Politiker, Ökonomen, Historiker usw.


Im Grundgesetz sind die Menschenrechte zu einer undefinierten "Menschenwürde" abgemagert. Die Ökologie fehlt völlig. Da haben die so genannten Eliten noch nicht einmal halbe Arbeit geleistet. Etwas mehr könnte es schon sein.
Aber zugewiesen wird etwas, das stimmt.

step hat folgendes geschrieben:
- im Sowjetstaat werden dem Bürger Rechte zugestanden vom Partei- und Staatsführer und den lokalen Sowjets, z.B. wieviel Kilo Mehl ein Arbeiter zugewiesen bekommt oder ob jemand ausreisen darf.


Der Sowjetstaat hatte auch seine Verfassungen, welche sich aber vorwiegend mit institutionellen und organisatorischen Punkten sowie dem Selbstverständnis befassten. In der Tat hatten Partei- und Staatsführer gegenüber der Bevölkerung die Macht, Rechte zu gewähren, da die Räte (= Sowjets) ja relativ früh beseitigt wurden.

step hat folgendes geschrieben:
- im Gottesstaat werden Männern nur bestimmte sexuelle Praktiken erlaubt und Frauen noch weniger.


Das kommt auf den Gottesstaat an. Es gibt zwischen den Religionen einige Unterschiede bis hin zu "Sex-Sekten" wie in Ashram (Poona). Generell geht es in jeder konservativen Gesellschaft aber wohl um Fortpflanzung und (Familien-)Ordnung.

Religionen hinken in der Regel der Zeit hinterher und stehen meist für eine Herrschaftsmoral vergangener Gesellschaften.

step hat folgendes geschrieben:
- einzig in einer völlig anarchischen Gesellschaft würde man wohl auf die Zuweisung von Rechten und Pflichten verzichten.


Anarchia (griechisch) - Herrschaftslosigkeit. Ähnlich dem Kommunismus - Klassenlosigkeit.

In beiden Gesellschaften sind die Menschen allesamt souverän und benötigen keinen Souverän (Herrscher, Führer, Staat) über sich und - auch keine Zuweisung von Rechten und Pflichten.

step hat folgendes geschrieben:
Da man also Rechte braucht und diese nicht vom Himmel fallen, ist es das Beste, wenn sie von einer möglichst breiten, am besten sogar universellen Gemeinschaft ethischer Subjekte verhandelt/festgelegt werden und dann sich selbst zugewiesen / garantiert werden.


Die Aufklärung hat bereits eine Reihe ethischer Produkte auf den sich entwickelnden Markt geworfen. Seit einiger Zeit ist die alte Aufklärung mit immer dominanteren ökonomischen Nutzenkalkülen konfrontiert und es entstand - der Utilitarismus. Eine Moral des optimierten Wohlergehens und Nutzens für Alle und Jede/n.

Man sollte die gesellschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts einbeziehen, um zu verstehen, warum es Bestrebungen gibt, die deontologischen Moralkonzepte abzulösen.

Es scheint ein eleganter Ansatz zu sein, den Grenznutzen verschiedener Handlungsoptionen bis zur 99. Stelle hinter dem Gleitkomma zu berechnen.

Vielleicht ist auch die alte Moral ein ständiges Ärgernis für die bürgerliche Gesellschaft, ein chronischer Stachel, der schon deshalb nervt, weil diese Gesellschaft ihre eigenen moralischen Versprechen nicht einlösen kann - obwohl sie dazu locker die Mittel hätte.
Der Utilitarismus kommt sozusagen als die neue Moral daher, wobei ich immer schmunzeln muss, wenn ich an das Marx'sche Bonmot denke, das da lautet:

"Freiheit, Gleichheit, Bentham!" Smilie

Ja, ich weiß, Bentham heißt jetzt Twix. Aber die Präferenz ändert doch fast nix, oder?

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In allen realen Gesellschaften wird es aber immer Interessenkonflikte geben, und man benötigt einen Ausgleichsprozeß dafür.


Es geht darum, die bestehenden Ressourcen als gemeinsamen Pool gemeinsam zu nutzen.


Das ist doch sehr utilitaristisch.


Du meinst wegen der erforderlichen Koordination der gemeinsamen Ressourcennutzung, oder?

Dann müsste aber der Utilitarismus auch die ökonomische Realität mit einbeziehen, etwa den Widerspruch zwischen Maximalprofit und nachhaltiger Produktion. Und schon wäre man von der abstrakten Gesellschaft weg und die Sache wird plötzlich sehr komplex.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Warum deiner Meinung nach dafür unendliche Ressourcen existieren müssen, erschließt sich mir nicht. Wahrscheinlich beziehst du dich auf irgend eine ökonomistische *Knappheitstheorie* ...


Nee. Ich vermute, Du denkst zu sehr in den alten Kategorien von primären Produktionsmitteln und Weizenernte. Ich dachte hier aber eher an Interessenskonflikte, die dadurch zustandekommen, daß jemand immer dasselbe oder mehr will als sein Nachbar. Seien es Ballermannflüge, die größere Yacht oder mehr Likes.


Ok, ich muss sagen, da bin ich optimistisch. Meiner Ansicht nach handelt es sich hierbei gar nicht um eine Frage des (unethischen) Konsums, sondern um eine des undemokratischen Produzierens. Die optimale Koordination des Ressourcenverbrauchs lässt sich nicht durch weniger, sondern durch mehr Mitbestimmung in Sachen sozialer Produktion erreichen.

Das ist natürlich eine Diskussion für sich. Utilitaristische Kennziffern und Zuweisungen sind aber hier mE nicht nötig.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Dass es aber unmöglich sei, Interessengegensätze auf smarte, also demokratische Weise aufzulösen ...


Wie bitte? Genau darum gehts doch bei ethischen Diskurs. Dieses "Auflösen" braucht doch, neben universellem Mitspracherecht, vor allem ein Kriterium. Was bitteschön soll das denn sein, wenn nicht ein Optimierungsproblem für the Greater Good?


Solange Profit ---> Max! alle übrigen Kriterien dominiert, kann man optimieren, soviel man will. Es wird nicht viel helfen.
Die natürlichen Bedürfnisse der Menschen stehen an sich nicht wirklich zueinander im Widerspruch, solange die Erde genug für Alle bietet, also man z.B. Ressourcen recyclen und regenerieren kann. Mittlerweile ist das Ziel der Nachhaltigkeit auch mehrheitsfähig; FFF ist ja nicht zufällig aus dem Boden geschossen.

So elegant mathematische Optimierungsmethoden auch sein können, so wenig interessieren sich die Eliten dafür, wenn es ihren nichtnatürlichen Bedürfnissen entgegen steht. Dies gilt auch für einen Elon Musk oder einen Joe Kaeser, die doch bei einigen schon als Hoffnungsträger galten.

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Bei so einem Ausgleichsprozess kommen wieder Staat und Platzanweiser ins Spiel und Demokratie und Kommunikation fallen hinten runter.

Im Gegenteil, genau das ist der Fall, wenn Du (als sozialistischer Kader) entscheidest, wie die proletarische Bedürfnispyramide aussieht.


Bin ich Maslow?

Die wissenschaftliche Bedürfnispyramide ist keine Frage der Entscheidung oder gar Willkür, sondern das Ergebnis wissenschaftlicher Erforschung des Menschen:



Die Maslow'sche Bedürfnispyramide
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.


Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 28.07.2020, 15:53, insgesamt einmal bearbeitet
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Anmeldungsdatum: 05.08.2007
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Beitrag(#2218897) Verfasst am: 28.07.2020, 15:51    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Stalins Ideologie war kaum besser. Die West-Alliierten hätten weitermarschieren und auch noch Stalin ausschalten können.

Wurde aber nicht gemacht, ging militärisch auch nicht, nicht vor der Atombombe. Pragmatismus in Reinform.

Sie hatten lange gewartet mit einer West-Front, in der Zeit wurde die Zahl der Deutschen als auch Sowjets dezimiert, ohne eigene Bodentruppen zu verlieren. Und den Russen wurde sehr viel Rüstung geliefert, mit Erzen und Gold bezahlt.

Und intakte Infrastruktur die auf schon verhandeltem Sowjet-Gebiet war, Dresden, wurde vor Kriegsende von Briten/USA noch zerstört.

"If we see that Germany is winning we ought to help Russia and if Russia is winning we ought to help Germany, and that way let them kill as many as possible, although I don't want to see Hitler victorious under any circumstances."
Harry S. Truman 1941


Hat schon einen Grund wieso der 2. WK in Russland auch heute noch so ein Thema ist, weil da so viel zerstört und gestorben wurde.
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zelig
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Beitrag(#2218898) Verfasst am: 28.07.2020, 16:05    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Ein fiktiver Dialog zwischen zelig und mir.

    smallie: Hamilton hat gezeigt, warum Vetternwirtschaft funktioniert.
    zelig: Nur weil Vetternwirtschaft ein erfolgreiches Modell ist, kommt ihr noch lange kein ethischer Wert zu.
    smallie: Richtig. Immerhin verstehen wir jetzt die Ursachen besser.


Das Gute am Bösen ist, daß man ihm etwas Gutes abgewinnen kann. Das ist nicht so bitter gemeint, wie es sich liest.


smallie hat folgendes geschrieben:
Du hast noch nichts zu den Neandertalern aus der Höhle von Shanidar gesagt. Woher hatten die ihre Version der Neandertaler-Rechte?


Als evolutionäre Fortentwicklung sozialen Verhaltens vielleicht.
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Beitrag(#2218900) Verfasst am: 28.07.2020, 16:16    Titel: Antworten mit Zitat

Critic hat folgendes geschrieben:



Das ist eine von vielen Fragen: Würden unsere entfernten Vorfahren und Verwandten heute leben, würden sie mit uns leben (könnte also der Arbeitskollege nicht nur von der Physiognomie, sondern auch von der genetischen Ausstattung her Neandertaler sein?) oder würden wir sie in den Zoo stecken oder in irgendwelchen Reservaten beherbergen?

Neandertaler :



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step
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Wohnort: Germering

Beitrag(#2218901) Verfasst am: 28.07.2020, 17:50    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun ist aber die Gesamtgesellschaft kein Gesamtindividuum, sondern es sind nach wie vor viele einzelne Individuen, so dass die Widerprüche zwischen intraindividuellen Präferenzvorstellungen und interindividuellen Präferenzzuweisungen nun mal existieren. Und wie löst der Präferenzutilitarismus diese Widersprüche?

Im Utilitarismus generell wird dieser Widerspruch (den Du im selben Beitrag leugnest) nicht gelöst, sondern nur zu minimieren versucht. Der Präferenzutilitarismus unterschiedet sich in bezug auf die Methode, wie man feststellt, was die Wesen brauchen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die zugewiesenen Rechte entsprechen ja nicht direkt dem, was die Einzelnen wollen oder brauchen, sondern dem, was "das große Ganze" braucht oder will.

Nein, das "Große Ganze" ist nur ein Ausdruck für die Gesamtoptimierung der Einzelglücke - also ein Ausdruck für eine Methode der großen Zahl.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Außerdem: Die Individuen müssen auch gewissermaßen verpflichtet werden auf die Präferenzen, die sie als kleine Eingangsvariable der großen Formel geäußert hatten. ... bis zur Neuberechnung quasi.

Ja, es muß ja auch einen verläßlichen Umgang geben. Das ist nicht anders bei deontologischen Rechten, Gesetzen usw. - ein Gesetz gilt so lange, bis wir es ändern.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
je gleichberechtigter eine Gesellschaft ist, desto geringer ist die Notwendigkeit, dass mächtigere Gruppen den weniger mächtigen Gruppen etwas zuweisen.

Das ist richtig, aber ein Strohmann.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Denn gleiche Macht heißt auch immer gleicher Zugang zu den Ressourcen, also zu dem, was die Menschen brauchen. Dadurch wird das Zuweisen von Rechten tendenziell überflüssig.

Nein. Auch wenn alle gleich mächtig sind, müssen sie sich Rechte zuweisen. Denn gleiche Macht heißt keineswegs kompatible Interessen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- einzig in einer völlig anarchischen Gesellschaft würde man wohl auf die Zuweisung von Rechten und Pflichten verzichten.
Anarchia (griechisch) - Herrschaftslosigkeit. Ähnlich dem Kommunismus - Klassenlosigkeit. In beiden Gesellschaften sind die Menschen allesamt souverän und benötigen keinen Souverän (Herrscher, Führer, Staat) über sich und - auch keine Zuweisung von Rechten und Pflichten.

Laut Wikipedia "wollen Anarchisten die Gesellschaft sich selbst regeln lassen" - das finde ich gut und entspricht dem, was ich oben über Utilitarismus gesagt habe. Und nach welchem Leitkriterium regelt sich die Gesellschaft selbst? Doch wohl nach einem Interessensausgleich und indem sie Rechte vereinbart.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Man sollte die gesellschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts einbeziehen, um zu verstehen, warum es Bestrebungen gibt, die deontologischen Moralkonzepte abzulösen.

Die deontologischen Moralkonzepte dienten - auch Deiner eigenen Weltsicht gemäß - sehr klar der Machterhaltung. Auch davon wegzukommen hat den Utilitarismus befördert.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Du meinst wegen der erforderlichen Koordination der gemeinsamen Ressourcennutzung, oder? Dann müsste aber der Utilitarismus auch die ökonomische Realität mit einbeziehen, etwa den Widerspruch zwischen Maximalprofit und nachhaltiger Produktion. Und schon wäre man von der abstrakten Gesellschaft weg und die Sache wird plötzlich sehr komplex.

Nur Du redest ständig vom Maximalprofit, nicht ich.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
... Die optimale Koordination des Ressourcenverbrauchs ... Utilitaristische Kennziffern und Zuweisungen sind aber hier mE nicht nötig.

Ein unlogischer Kampf um Worte und gegen Zahlen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Solange Profit ---> Max! alle übrigen Kriterien dominiert ... Elon Musk ...

Schon wieder. Such Dir nen Neoliberalen zum Spielen.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die wissenschaftliche Bedürfnispyramide ist keine Frage der Entscheidung oder gar Willkür, sondern das Ergebnis wissenschaftlicher Erforschung des Menschen

Bißchen veraltet, aber OK. Und, wie baut man jetzt darauf einen Ausgleichsprozeß individueller Interessen auf? Z.B. indem man die unteren Schichten stärker gewichtet, oder? Auch Du brauchst letztlich eine Art "Nutzenfunktion".
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