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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#223416) Verfasst am: 04.12.2004, 02:20 Titel: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET) |
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Hi,
aufgrund gewisser Anfragen hier nun die Eröffnung eines Threads zu W. F. Gutmann (*1935 - †1997) und die von ihm wesentlich mitgestaltete ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET).
Als Vorbemerkung zunächst: Auch wenn ich ursprünglich dieser FET-Crew entstamme, vertrete ich doch meine eigene Sicht der Dinge (Evolution auf systembiologischer Grundlage); an der FET habe ich also erhebliches in negativer Hinsicht zu kritisieren, aber gleichwohl auch erhebliches zu propagieren.
In seinen Schriften neigte Gutmann zu einem aggressiven Stil, der doch manchen Leser verstört zurückließ; dieser Stil konnte halbwegs üblicherweise nur durch das Vorhandensein eines mäßigenden Coautors gebändigt werden. Ich habe das immer als Symptom für das Vorliegen einer Depression gehalten, was aus dieser Sicht möglicherweise einiges zu erklären vermag.
Überwiegend werden in der Life-Science-Forschung anatomische und physiologische Funktionen betrachtet; dies ist verständlich, hat doch dieser Standpunkt offensichtlich seine Ursachen in einem anthropozentrischen Blick auf das korrekte Funktionieren der organischen Leistung des Lebendigen: So kreiert Medizin in erster Linie nicht, sondern repariert. Genau deswegen ist für einen adäquaten evolutionären Blick eine Konstruktionsmorphologie erforderlich. Nach der FET werden demnach Organismen als Konstruktionen betrachtet, die in Maschinenanalogie untersucht werden.
Zu diesem hieraus nun entwickelten Methodenset zur Rekonstruktion der biologischen Evolution in Form von Ableitungsmodellen gehört zentral die Berücksichtigung der mechanischen Gegebenheiten im Organismus und hier in erster Linie das Konzept des Hydroskeletts. So wird bsw. eine hydraulische Konstruktion Kugelform annehmen, falls die äußere Membranhülle keine unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften (Zugspannung) aufweist. Diese Art der Theoriestringenz war und ist ein Novum (wenngleich hier etwa Weiss, von Bertalanffy, Koestler, Bohm, Thom oder Waddington als indirekte Vorläufer gelten können).
Letztlich ist so ein neuer Ansatz einer historisch-rekonstruktiven Evolutionsforschung entstanden, die ihre Leistungsfähigkeit mit der Entwicklung von konstruktionsmorphologischen Transformationsmodellen unter Beweis gestellt hat. Der Organismus wird als mechanisches Ganzes betrachtet und nicht nur einzelne, letztlich anthropozentrisch induzierte Merkmale. So konnte als eines der einfacheren Beispiele hierzu die volle Überkreuzung der Augennervenbahnen bei den niederen Wirbeltieren unter Evolutionsgesichtspunkten erklärt werden:
Antrieb wird bei freischwimmenden Chordaten durch die abwechselnde Verkürzung der Muskeln beider Körperseiten erzeugt; eine Richtungsänderungen wird eingeleitet durch eine verstärkte Verkürzung einer Seite. Die Möglichkeit einer schnellen Abwendung von einer Reizquelle wird offensichtlich bei Bedrohungen von immensen Vorteil sein. Und die schnellste und einfachste Innervierung der für ein Wegbiegen verantwortlichen Muskelgruppen gestaltet sich eben auf die genannte Weise. Wenn im weiteren Entwicklungsverlauf nun der Kopfbereich versteift wird, können nun die die Wegbiegung bewirkenden Muskeln zurückgebildet werden. Die optischen Informationen werden aber nach wie “gekreuzt” abgeliefert und so können die das Bildsehen ermöglichenden nervösen Zentren in seitenverkehrter Anordnung entstehen. Durch die weiteren Fragen - hier etwa nach der erforderlichen Versteifung im Kopfbereich - entsteht schließlich ein Hypothesengeflecht mit beliebiger Begründungstiefe, das nun zur Falsifikation vorliegt.
Da dergleichen Modelle sehr schnell recht komplex werden können, ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, das bei Gutmann das zeichnerische Element eine wesentliche Rolle spielt, welche, vielleicht zunächst ungewohnt, doch sehr ‘technisch’ aussehen. Auf der Basis dieser Modelle hat’s bisher noch jeden Opponenten zerlegt:
So gesehen, kann Evolution von organismischen Konstruktionen selbstverständlich nicht sprunghaft verlaufen.
Nun, Gutmann hatte im Laufe der Zeit wohl fast jedes Konzept der vorherrschenden STE (synthetische Theorie der Evolution) auf’s Korn genommen. Ob dieses Ansinnen erfolgreich war? - Schauen wir mal ... .
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#223461) Verfasst am: 04.12.2004, 10:38 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (F |
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Hi Lamarck,
danke für diesen Beitrag. Hinsichtlich FET habe ich einige Fragen, die mich schon länger umtreiben.
Lamarck hat folgendes geschrieben: |
Als Vorbemerkung zunächst: Auch wenn ich ursprünglich dieser FET-Crew entstamme, vertrete ich doch meine eigene Sicht der Dinge (Evolution auf systembiologischer Grundlage); an der FET habe ich also erhebliches in negativer Hinsicht zu kritisieren, |
Die beste kurze, aber umfassende Kritik, die ich kenne, ist
Mahner, M. (1995) 'Hydraulischer Dies irae in Frankfurt' Ethik und Sozialwissenschaften 6:336-339
Ist die Deiner Meinung nach berechtigt?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | aber gleichwohl auch erhebliches zu propagieren. |
Meiner Meinung nach hat die FET vollkommen Recht damit, dass sie der STE aufzeigt, den Organismus aus dem Blick verloren zu haben. Dort 'rechnet' man vor allem mit der Veränderung von Allelfrequenzen im Lauf der Zeit unter verschiedenen Bedingungen, was diese Gene aber machen, wird selten betrachtet. Ich hoffe, dass sich durch EvoDevo hier etwas ändern wird.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | In seinen Schriften neigte Gutmann zu einem aggressiven Stil, der doch manchen Leser verstört zurückließ; dieser Stil konnte halbwegs üblicherweise nur durch das Vorhandensein eines mäßigenden Coautors gebändigt werden. Ich habe das immer als Symptom für das Vorliegen einer Depression gehalten, was aus dieser Sicht möglicherweise einiges zu erklären vermag. |
Interessanter Gesichtspunkt. Ich muss offensichtlich
Gutmann, W.F.; Bonik, K. (1981) 'Kritische Evolutionstheorie. Ein Beitrag zur Überwindung altdarwinistischer Dogmen' Hildesheim, Gerstenberg
und
Edlinger, K.; Gutmann, W.F. (2002) 'Organismus, Evolution, Erkenntnis. Grundzüge und Konsequenzen der Kritischen Evolutionstheorie und der Organismischen Konstruktionslehre' Frankfurt; mult., Peter Lang
diesbezüglich mit
Gutmann, W.F. (1995) 'Die Evolution hydraulischer Konstruktionen. Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung' Frankfurt am Main, Kramer
vergleichen. Bisher ist mir das noch nicht aufgefallen.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Überwiegend werden in der Life-Science-Forschung anatomische und physiologische Funktionen betrachtet; dies ist verständlich, hat doch dieser Standpunkt offensichtlich seine Ursachen in einem anthropozentrischen Blick auf das korrekte Funktionieren der organischen Leistung des Lebendigen: So kreiert Medizin in erster Linie nicht, sondern repariert. Genau deswegen ist für einen adäquaten evolutionären Blick eine Konstruktionsmorphologie erforderlich. Nach der FET werden demnach Organismen als Konstruktionen betrachtet, die in Maschinenanalogie untersucht werden. |
Konstruktionsmorphologie hat ja beispielsweise auch Seilacher betrieben (ehemaliger Chef von Reif, den ich Dir in einem anderen Thread genannt habe), okay, Maschinenanalogien findet man dort seltener.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Zu diesem hieraus nun entwickelten Methodenset zur Rekonstruktion der biologischen Evolution in Form von Ableitungsmodellen gehört zentral die Berücksichtigung der mechanischen Gegebenheiten im Organismus und hier in erster Linie das Konzept des Hydroskeletts. So wird bsw. eine hydraulische Konstruktion Kugelform annehmen, falls die äußere Membranhülle keine unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften (Zugspannung) aufweist. Diese Art der Theoriestringenz war und ist ein Novum (wenngleich hier etwa Weiss, von Bertalanffy, Koestler, Bohm, Thom oder Waddington als indirekte Vorläufer gelten können). |
Was verstehst Du hier unter 'Theoriestringenz' und vor allem was meinst Du mit den genannten Autoren? Koestler beispielsweise ist mir vor allem durch seinen Lamarckismus aufgefallen, Bohm oder Thom haben irgendwelche Katastrophentheorien ('Katastrophe' im mathematischen Sinn) vertreten, von Bertalanffy scheint mir eher Systemtheoretiker gewesen zu sein, Waddington ist wieder eine Klasse für sich. Was haben die mit der FET gemeinsam? Oder eint die nur, dass sie die STE in ähnlicher Weise kritisiert haben wie die FET?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Letztlich ist so ein neuer Ansatz einer historisch-rekonstruktiven Evolutionsforschung entstanden, die ihre Leistungsfähigkeit mit der Entwicklung von konstruktionsmorphologischen Transformationsmodellen unter Beweis gestellt hat. Der Organismus wird als mechanisches Ganzes betrachtet und nicht nur einzelne, letztlich anthropozentrisch induzierte Merkmale. So konnte als eines der einfacheren Beispiele hierzu die volle Überkreuzung der Augennervenbahnen bei den niederen Wirbeltieren unter Evolutionsgesichtspunkten erklärt werden: |
[ ... ]
Du kennst sicher auch
Mayr, E. (1982) 'Darwinistische Mißverständnisse' Dialektik 5:44-57
Da Mayr das Buch von Bonik und Gutmann (s.o.) zwar erwähnt, aber nicht kennt, ist die Kritik sicher nicht allzu ernst zu nehmen. Auf jeden Fall zutreffend fand ich aber:
Mayr, E. (1982) 'Darwinistische Mißverständnisse' Dialektik 5:44-57
<cite S.46>
In keinem Land bestand ein größeres Interesse an der Konstruktion von Stammesgeschichten als in Deutschland, angeregt durch Haeckels Begeisterung und die grundlegende Arbeit von Gegenbaur und mehreren anderen vergleichend-anatomischen Schulen. In der Tat waren viele deutsche Biologen so voreingenommen für vergleichende Anatomie und Stammesgeschichte, daß das Wort Evolution für sie gleichbedeutend war mit Phylogenie. W. Zimmermanns (1953 <lit 1367>) großartige Geschichte der evolutionären Biologie z. B. befaßt sich hauptsächlich mit der Geschichte der Phylogenie und beinahe überhaupt nicht mit der Geschichte der Erforschung der Evolutionsmech[a?]nismen. Die Schriften von Gutmann und seiner Gruppe gehören zu dieser Tradition, und in etwa der Hälfte aller Fälle, in denen er das Wort Evolution benutzt, meint er in Wirklichkeit Phylogenie.
</cite>
Ich habe viele Arbeiten von Autoren der FET gelesen, aber so gut wie nie einen _Mechanismus_ gefunden. Wenn man von _Selektion_ (innerer oder äußerer) redet, muss man doch auch die _Faktoren_ aufzeigen. Genauer: die Faktoren, die eine _Evolution_ bedingen. Also wie man von einer Konstruktion zur nächsten gelangt.
Bisher sehe ich in der FET 'nur' einen stringenten Ansatz, Lesrichtungen in Phylogenien zu entscheiden. IIRC war das auch der Ansatz, der Gutmann in die Radikalität trieb. Mit Evolution im mechanismischen Sinn hat das aber wenig zu tun.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Da dergleichen Modelle sehr schnell recht komplex werden können, ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, das bei Gutmann das zeichnerische Element eine wesentliche Rolle spielt, welche, vielleicht zunächst ungewohnt, doch sehr 'technisch’ aussehen. Auf der Basis dieser Modelle hat’s bisher noch jeden Opponenten zerlegt: ;-) |
Warum? Als _Ableitung_ recht interessant, als _Mechanismus_ unzureichend. Sind die einzelnen Konstruktionen sozusagen 'cluster im genospace', die zwangsläufig erreicht werden müssen (auf vorgegebenen Wegen, weil das ja angeblich nicht sprunghaft geschehen kann)? Oder wie kommen diese Formen (die ja wohl keine 'echten' Lebewesen darstellen sollen) zustande?
[ ... ]
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Nun, Gutmann hatte im Laufe der Zeit wohl fast jedes Konzept der vorherrschenden STE (synthetische Theorie der Evolution) auf’s Korn genommen. Ob dieses Ansinnen erfolgreich war? - Schauen wir mal ... . |
Ich vermute, dass wir noch erleben werden, dass sich herumspricht, was an der STE alles nicht so plausibel ist. Aber da sie, je nach Autor, ein 'moving target' oder ein 'Schwamm, der alles aufsaugen kann, ohne zu platzen' ist, fällt das meist nicht so direkt auf. Wenn sich die 'Hoxologie' etablieren kann, sehe ich allerdings gute Chancen, dass sich etwas ändert. Was die FET dabei beitragen kann, vermag ich nicht zu beurteilen.
Grüßle
Thomas
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#223560) Verfasst am: 04.12.2004, 16:54 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET) |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: | aufgrund gewisser Anfragen hier nun die Eröffnung eines Threads zu W. F. Gutmann (*1935 - †1997) und die von ihm wesentlich mitgestaltete ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET). |
Schön, daß Du Dich daran erinnert hast...
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=5471&start=72
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?t=5471&start=89
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Als Vorbemerkung zunächst: Auch wenn ich ursprünglich dieser FET-Crew entstamme, vertrete ich doch meine eigene Sicht der Dinge (Evolution auf systembiologischer Grundlage); an der FET habe ich also erhebliches in negativer Hinsicht zu kritisieren, aber gleichwohl auch erhebliches zu propagieren. |
Wenn Du nichts dagegen hast, greife ich den Faden im o.g. Posting wieder auf. Wie dort erwähnt, bin ich auf dem Gebiet nicht besonders belesen. Neben ein paar Zusammenfassungen kenne ich vor allem:
Gudo, M. (2002): The development of the critical theory of evolution: The scientific career of Wolgang F. Gutmann. Theory Biosci. 121, 101-137.
Die Arbeit enthält auch die Abbildung von Gutmanns "biomechanischer Rekonstruktion" der Chordatenevolution, auf die Du Dich beziehst. Nun sind wir uns darüber einig, daß die STE unvollständig ist und konstruktionsmorphologische, entwicklungsbiologische Aspekte so gut wie nicht berücksichtigt. Die Frage ist allerdings, welche neuen Einsichten die FET in die Faktorenfrage der Evolution liefert. Und vor allem: Würdest Du Dich meiner Kritik anschließen, daß eine internalistische Theorie wie die FET, die die Rolle der Umwelt weitgehend ignoriert, zu einseitig ist? Wie schon einmal gesagt: sie scheint weder die historische Kontingenz der Abstammung (Homologien) anzuerkennen, noch die Rekaptulationsidee, noch die Bedeutung der Milieuselektion in der Evolution noch die Methode der Kladistik. Und auch die Rekonstruktion der Stammesgeschichte anhand der chronologischen Abfolge der Formen im Fossilienbestand hält sie für verfehlt. Die "Lesrichtung" soll sich ausschließlich unter biomechanischen Aspekten ergeben. Das halte ich für wenig überzeugend.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Überwiegend werden in der Life-Science-Forschung anatomische und physiologische Funktionen betrachtet; dies ist verständlich, hat doch dieser Standpunkt offensichtlich seine Ursachen in einem anthropozentrischen Blick auf das korrekte Funktionieren der organischen Leistung des Lebendigen: So kreiert Medizin in erster Linie nicht, sondern repariert. Genau deswegen ist für einen adäquaten evolutionären Blick eine Konstruktionsmorphologie erforderlich. |
Wie gesagt, in dem Punkt sind wir uns einig. Was ist kritisiere, ist lediglich die Einseitigkeit dieses Ansatzes. Außerdem sehe ich nicht so recht, wie man auf dessen Grundlage eine Kausalerklärung liefern könnte. Im Gegensatz zur FET scheint Riedls Systemtheorie in diesem Punkt etwas mehr geleistet zu haben, ich erinnere z.B. an das Modell der "schrittweisen Merkmalsfixierung" oder an die Auflistung in:
Riedl R, Krall P (1994) Die Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen Wandel. In: Wieser W (Hrsg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, S. 234-266
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Letztlich ist so ein neuer Ansatz einer historisch-rekonstruktiven Evolutionsforschung entstanden, die ihre Leistungsfähigkeit mit der Entwicklung von konstruktionsmorphologischen Transformationsmodellen unter Beweis gestellt hat. Der Organismus wird als mechanisches Ganzes betrachtet und nicht nur einzelne, letztlich anthropozentrisch induzierte Merkmale. |
Stimmt, das haben systemtheoretische Ansätze so an sich. Warum sollte ich aber die FET Riedls Systemansatz vorziehen? Ersterer ist (wie man so schön sagt) "extern inkonsistent", Riedls Systemtheorie versteht sich dagegen eher als Weiterentwicklung der STE. Liegt es da nicht auf der Hand, daß man geneigt ist, erst einmal die konsistentere Lösung zu bevorzugen, anstatt gleich "alles über Bord zu schmeißen", was wir bislang erreicht haben?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | So konnte als eines der einfacheren Beispiele hierzu die volle Überkreuzung der Augennervenbahnen bei den niederen Wirbeltieren unter Evolutionsgesichtspunkten erklärt werden: Antrieb wird bei freischwimmenden Chordaten durch die abwechselnde Verkürzung der Muskeln beider Körperseiten erzeugt; eine Richtungsänderungen wird eingeleitet durch eine verstärkte Verkürzung einer Seite (...) |
Alles schön und gut. Wie erklärt man jedoch über die "biomechanischen constraints" hinaus die Realisierung solcher Neuheiten? Um die (eventuell sogar vielfach unabhängig erfolgte) Entstehung solcher "Lösungen" zu gewährleisten, muß ja (wie Riedl sich ausdrückt) der "Abbau der möglichen Anpassungsrichtungen (...) durch den Aufbau der Anpassungschancen kompensiert" werden.
Hierzu muß man sich aber Betrachtungen annähern, die die Struktur des epigenetischen Systems, dessen Geschichte sowie die entwicklungsbiologischen Verflechtungen mit berücksichtigen. Der Aufgabe haben sich jedoch schon "gemäßigte Systemtheoretiker" angenommen, ohne daß hierfür ein radikaler Umsturz der STE notwendig wäre. Daher noch einmal: Weshalb sollte man die FET vorziehen?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Nun, Gutmann hatte im Laufe der Zeit wohl fast jedes Konzept der vorherrschenden STE (synthetische Theorie der Evolution) auf’s Korn genommen. Ob dieses Ansinnen erfolgreich war? - Schauen wir mal ... . |
Kritik an der Unvollständigkeit der STE ist höchst willkommen (das hatten außer Gutmann auch ein paar andere vor ihm getan). Allerdings nicht Fundamentalkritik. Falls Dir jedoch zur Entstehung der Saugfalle von Utricularia einen Vorschlag zu machen hättest, möchte ich Dich hiermit noch einmal herzlich einladen - vielleicht würde dies ein paar Evolutionsgegner etwas in die Defensive bringen.
Grüße
Martin
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
www.ag-evolutionsbiologie.de
www.facebook.com/AGEvolutionsbiologie
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#223569) Verfasst am: 04.12.2004, 17:21 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (F |
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Hi Martin,
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: |
Kritik an der Unvollständigkeit der STE ist höchst willkommen (das hatten außer Gutmann auch ein paar andere vor ihm getan). Allerdings nicht Fundamentalkritik. |
wenn wir für 'was ist die STE'
Reif, W.-E.; Junker, T.; Hoßfeld, U. (2000): The Synthetic Theory of Evolution: General Problems and the German Contribution to the Synthesis. Theory Biosci. 119, 41-91
zugrunde legen, würde mich interessieren, wie Du 'höchst willkommene' von 'Fundamentalkritik' unterscheiden möchtest.
So gut wie alle Autoren, die ich kenne, die die STE als _unvollständig_ bezeichneten, erkannten die _Mikro_evolutionsmechanismen an, welche die STE vertritt, zweifeln aber den Extrapolationismus an.
Ist nun ein Ansatz, der den _Extrapolationismus_ angreift, willkommene Ergänzung oder Fundamentalkritik? Ist die STE ohne den Extrapolationismus noch STE (tm)? Ist Riedl nicht genauso ein Radikalkritiker wie Schindewolf?
Grüßle
Thomas
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#223592) Verfasst am: 04.12.2004, 18:58 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (F |
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Hi Thomas,
Laß mich vielleicht mal so anfangen: „Die“ STE setzt vorausssetzt, daß („irgendwie“) Mutationen entstehen, die zunächst nicht adaptiv sind und erst im zweiten Schritt der Umwelt zur Bewertung dargeboten werden. Man könnte vereinfachend vielleicht auch sagen, daß sich die STE vorrangig auf den „Milieuaspekt“ bzw. auf die Frage konzentriert, wie und nach welchen Regeln sich neue Gene und Merkmale in der Population ausbreiten und welchen Einfluß die Umwelt auf die Entstehung neuer Arten hat, während sie den „Innenaspekt“ bzw. Frage, wie die Mutationen (denen zufolge evolutionäre Neuheiten auftreten) entstehen, als „black box“ behandelt und allzuoft nur mit dem bloßen „Zufall“ kaschiert.
Nach meinen Begriffen wird in systemtheoretischen Ansätzen versucht, die Lücke zu schließen, d.h. man geht hier vor allem der Frage nach, welche Mutationen wie entstehen bzw. welche Systembedingungen bei ihrem zustandekommen eine Rolle spielen. Dadurch füllt sie die „black box“ der STE mit Inhalt und drängt den „Zufall“ bei der Entstehung von Mutationen zurück. Hier hast Du natürlich völlig recht, wenn Du feststellst, daß a.) die Milieuselektion nicht mehr die pralle Rolle bei der Erklärung des evolutionärer Geschehens spielt, daß b.) der naive Adaptionismus sich als nicht haltbar herausstellt und daß c.) dadurch auch die Einfachheit der Erklärung verloren geht. Ungeachtet der Tatsache, daß somit der Anwendungsbereich der STE stark eingeschränkt wird, bleibt doch aber der allgemeine Rahmen stehen: Nach wie vor treten Mutationen auf, nach wie vor wirkt die Milieuselektion (natürlich nicht mehr als dominierender Faktor), es gibt "punctuated equilibria" usw.
Wissenschaftstheoretisch könnte man sagen, daß zwar bei der (wie bei fast jeder) „Revolution“ eine Reihe von Begrifflichkeiten des alten Paradigmas über Bord gehen, trotzdem aber zwischen dem „Theorienvorgänger“ sowie dem Nachfolger eine Reihe von semantischen und begrifflichen Überschneidungen existieren und damit eine gewisse Kontinuität im Wissensforschritt gewährleistet bleibt. Ein Fundamentalkritiker besteht dagegen auf einer mehr oder minder vollständigen Abkehr vom alten Paradigma und installiert somit einen Theorie-Nachfolger, der (so gut wie) keine Überschneidungen zum Vorgänger aufweist und demzufolge mit der STE „inkommensurabel“ ist. Das scheint mir bei der FET der Fall zu sein.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | So gut wie alle Autoren, die ich kenne, die die STE als _unvollständig_ bezeichneten, erkannten die _Mikro_evolutionsmechanismen an, welche die STE vertritt, zweifeln aber den Extrapolationismus an. |
Ja, da magst Du recht haben. Mir fehlt leider der Hintergrund, um zu beurteilen, ob und wie sinnvoll es ist, die Frage der Unvollständigkeit der STE an der Definition „Mikro-/Makro-Evolution“ festzuzurren. Vermutlich müßte zunächst geklärt werden, welche der drei Dutzend Definitionen, die Du im Rahmen Deiner Arbeit recherchiert hast, man überhaupt als Grundlage verwenden soll. Dann müßte eventuell geklärt werden, inwieweit die Definition eine ontologische Berechtigung hat, sprich: ob die zusätzlichen Faktoren wirklich „Makro-“Mechanismen in dem Sinne verkörpern, daß sie ausschließlich einem bestimmten „Typ Evolution“ zuzuordnen sind, während sie bei dem „anderen Typ“ Evolution keine Rolle spielen (und umgekehrt). Ob es wirklich einen „Sonderprozeß“ im Sinne zweier grundlegend verschiedenen Evolutions-Phasen gibt, scheint mir auch im Rahmen einer Systemtheorie noch nicht abschließend geklärt worden zu sein.
Vielleicht kann Lamarck etwas zur Klärung dieser Frage beisteuern?
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Ist nun ein Ansatz, der den _Extrapolationismus_ angreift, willkommene Ergänzung oder Fundamentalkritik? Ist die STE ohne den Extrapolationismus noch STE (tm)? Ist Riedl nicht genauso ein Radikalkritiker wie Schindewolf? |
Hmmm, gute Frage... Sicher insofern, als er die Dominanz der Milieuselektion überwunden und den Anwendungsbereich der STE stark eingeschränkt hat. Interessanterweise sieht Riedl seine Theorie aber ebenfalls als Fortentwicklung der STE. (Hab’ die Bücher g’rade nicht zur Hand, ich muß das Zitat zuhause erst heraussuchen). Ob er seine Theorie als „Zweiphasenlehre“ (im Sinne zweier „gesonderter Evolutionsprozesse“) bezeichnen würde, ist eine spannende Frage, der man mal nachgehen müßte. (Ich vermute, eher nicht.) Ganz sicher ist seine Kritik aber nicht so weitgehend, wie die Kritik der FET.
Grüße
Martin
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#223608) Verfasst am: 04.12.2004, 19:38 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (F |
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Hi Martin,
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: |
Laß mich vielleicht mal so anfangen: "Die" STE setzt vorausssetzt, daß ("irgendwie") Mutationen entstehen, die zunächst nicht adaptiv sind und erst im zweiten Schritt der Umwelt zur Bewertung dargeboten werden. Man könnte vereinfachend vielleicht auch sagen, daß sich die STE vorrangig auf den "Milieuaspekt" bzw. auf die Frage konzentriert, wie und nach welchen Regeln sich neue Gene und Merkmale in der Population ausbreiten und welchen Einfluß die Umwelt auf die Entstehung neuer Arten hat, während sie den "Innenaspekt" bzw. Frage, wie die Mutationen (denen zufolge evolutionäre Neuheiten auftreten) entstehen, als "black box" behandelt und allzuoft nur mit dem bloßen "Zufall" kaschiert. |
so in etwa sehe ich das auch. Aber es geht noch einen Tick weiter: die Frage ist, was man _einbauen_ kann, ohne dass man eine _neue_ Theorie hat. Also _Fundamental_kritik betreibt.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Nach meinen Begriffen wird in systemtheoretischen Ansätzen versucht, die Lücke zu schließen, d.h. man geht hier vor allem der Frage nach, welche Mutationen wie entstehen bzw. welche Systembedingungen bei ihrem zustandekommen eine Rolle spielen. |
Das verstehe ich nicht so ganz. Wie willst Du das _Entstehen_ von Mutationen _systemtheoretisch_ erklären? Was verstehst Du unter 'Mutation'?
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Dadurch füllt sie die "black box" der STE mit Inhalt und drängt den "Zufall" bei der Entstehung von Mutationen zurück. |
Ich sehe nicht, dass die STE ein Problem bei der Erklärung der _Entstehung_ von Mutationen hat, das die Systemtheorie _lösen_ könnte. Meinst Du eventuell 'Mutanten'?
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Hier hast Du natürlich völlig recht, wenn Du feststellst, daß a.) die Milieuselektion nicht mehr die pralle Rolle bei der Erklärung des evolutionärer Geschehens spielt, daß b.) der naive Adaptionismus sich als nicht haltbar herausstellt und daß c.) dadurch auch die Einfachheit der Erklärung verloren geht. Ungeachtet der Tatsache, daß somit der Anwendungsbereich der STE stark eingeschränkt wird, bleibt doch aber der allgemeine Rahmen stehen: Nach wie vor treten Mutationen auf, nach wie vor wirkt die Milieuselektion (natürlich nicht mehr als dominierender Faktor), es gibt "punctuated equilibria" usw. |
Ich fürchte, dass das, was Du hier als STE bezeichnest, in etwa das ist, was vom Christentum übrig bleibt, wenn man Bultmann und Konsorten darauf loslässt.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Wissenschaftstheoretisch könnte man sagen, daß zwar bei der (wie bei fast jeder) "Revolution" eine Reihe von Begrifflichkeiten des alten Paradigmas über Bord gehen, trotzdem aber zwischen dem "Theorienvorgänger" sowie dem Nachfolger eine Reihe von semantischen und begrifflichen Überschneidungen existieren und damit eine gewisse Kontinuität im Wissensforschritt gewährleistet bleibt. |
Vor Darwin unterschied man Phylogenese und Adaptatiogenese (es gibt verschiedene Begriffspaare, ich nehme mal das von Heberer, weil Du den ja öfters zitierst und daher kennen solltest). Darwins Leistung war, durch die Adaptatiogenese angeblich die Phylogenese erklärt zu haben, also einen _einheitlichen_ Evolutionsmechanismus vorgeschlagen zu haben. Die STE vertritt dasselbe. Wenn Du nun systemtheoretische Elemente einführst, die dem _einheitlichen_ Mechanismus widersprechen, ist das nicht Fundamentalkritik?
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Ein Fundamentalkritiker besteht dagegen auf einer mehr oder minder vollständigen Abkehr vom alten Paradigma und installiert somit einen Theorie-Nachfolger, der (so gut wie) keine Überschneidungen zum Vorgänger aufweist und demzufolge mit der STE "inkommensurabel" ist. Das scheint mir bei der FET der Fall zu sein. |
Das sehe ich nicht so deutlich. Auch Gutmann erkennt das an, was Riedl anerkennt.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | So gut wie alle Autoren, die ich kenne, die die STE als _unvollständig_ bezeichneten, erkannten die _Mikro_evolutionsmechanismen an, welche die STE vertritt, zweifeln aber den Extrapolationismus an. |
Ja, da magst Du recht haben. Mir fehlt leider der Hintergrund, um zu beurteilen, ob und wie sinnvoll es ist, die Frage der Unvollständigkeit der STE an der Definition "Mikro-/Makro-Evolution" festzuzurren. Vermutlich müßte zunächst geklärt werden, welche der drei Dutzend Definitionen, die Du im Rahmen Deiner Arbeit recherchiert hast, man überhaupt als Grundlage verwenden soll. Dann müßte eventuell geklärt werden, inwieweit die Definition eine ontologische Berechtigung hat, sprich: ob die zusätzlichen Faktoren wirklich "Makro-"Mechanismen in dem Sinne verkörpern, daß sie ausschließlich einem bestimmten "Typ Evolution" zuzuordnen sind, während sie bei dem "anderen Typ" Evolution keine Rolle spielen (und umgekehrt). Ob es wirklich einen "Sonderprozeß" im Sinne zweier grundlegend verschiedenen Evolutions-Phasen gibt, scheint mir auch im Rahmen einer Systemtheorie noch nicht abschließend geklärt worden zu sein. |
Ich vermute, dass Du, wenn Du genauer analysierst, was Du unter 'Systembedingungen' verstehen möchtest, durchaus viele Antworten auf Deine oben gestellten Fragen finden könntest.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Vielleicht kann Lamarck etwas zur Klärung dieser Frage beisteuern? |
Wäre schön.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Ist nun ein Ansatz, der den _Extrapolationismus_ angreift, willkommene Ergänzung oder Fundamentalkritik? Ist die STE ohne den Extrapolationismus noch STE (tm)? Ist Riedl nicht genauso ein Radikalkritiker wie Schindewolf? |
Hmmm, gute Frage... Sicher insofern, als er die Dominanz der Milieuselektion überwunden und den Anwendungsbereich der STE stark eingeschränkt hat. Interessanterweise sieht Riedl seine Theorie aber ebenfalls als Fortentwicklung der STE. (Hab’ die Bücher g’rade nicht zur Hand, ich muß das Zitat zuhause erst heraussuchen). |
Würde mich wirklich interessieren, inwiefern Riedl seine Auffassung relativ zur STE einschätzt. Wäre nett, falls Du die entsprechenden Stellen zitieren würdest.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Ob er seine Theorie als "Zweiphasenlehre" (im Sinne zweier "gesonderter Evolutionsprozesse") bezeichnen würde, ist eine spannende Frage, der man mal nachgehen müßte. (Ich vermute, eher nicht.) |
Nun, wenn er Systemprozesse in den Vordergrund rückt, ist es kaum vorstellbar, dass er das ohne Zweiphasen-Lehre hinbekommt, _solange_ er die Basics der STE anerkennt. Aber Du scheinst Riedl genauer zu kennen als ich (aufgrund der relativ geringen Rezeption von Riedl habe ich mich bisher nicht näher mit ihm befasst).
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Ganz sicher ist seine Kritik aber nicht so weitgehend, wie die Kritik der FET. |
Kann sein, dass er _verbal_ nicht so ausfallend war. Vermutlich hat er aber auch so geschwurbelt geschrieben, dass die wenigsten Menschen merkten, was er eigentlich behauptet.
Grüßle
Thomas
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#223661) Verfasst am: 04.12.2004, 21:02 Titel: |
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Hi Thomas,
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Laß mich vielleicht mal so anfangen: "Die" STE setzt vorausssetzt, daß ("irgendwie") Mutationen entstehen, die zunächst nicht adaptiv sind und erst im zweiten Schritt der Umwelt zur Bewertung dargeboten werden. Man könnte vereinfachend vielleicht auch sagen, daß sich die STE vorrangig auf den "Milieuaspekt" bzw. auf die Frage konzentriert, wie und nach welchen Regeln sich neue Gene und Merkmale in der Population ausbreiten und welchen Einfluß die Umwelt auf die Entstehung neuer Arten hat, während sie den "Innenaspekt" bzw. Frage, wie die Mutationen (denen zufolge evolutionäre Neuheiten auftreten) entstehen, als "black box" behandelt und allzuoft nur mit dem bloßen "Zufall" kaschiert. |
so in etwa sehe ich das auch. Aber es geht noch einen Tick weiter: die Frage ist, was man _einbauen_ kann, ohne dass man eine _neue_ Theorie hat. Also _Fundamental_kritik betreibt. |
Wir sind uns darüber einig, daß Systemtheorien gegenüber "der" STE neue Theorien und nicht etwa nur leichte Modifikationen des alten Schemas sind. Vielleicht ist die STE im Verhältnis zu einer Systemtheorie das, was Newtons Gravitationstheorie im Verhältnis zu Einsteins ART darstellt. Nur scheint blöderweise noch niemand in allgemein anerkannter Weise definiert zu haben, ab welchem Grad der Modifikation eine Theorie x aufhört, Theorie x zu sein bzw. ab wann eine "Revolution" einsetzt und wie umfassend diese sein muß, um von "inkommensurablen Weltbildern" zu sprechen.
Wichtig scheint mir nur zu sein, daß zwischen der STE und den meisten Systemtheorien begriffliche und semantische Überschneidungen existieren, die die Behauptung rechtfertigen, daß zwar eine "Revolution" stattfindet, der allgemeine Erklärungsrahmen der Vorgängertheorie (zumindest als Fragment) jedoch erhalten geblieben ist. Solange Vorgänger und Nachfolger also nicht völlig inkommensurabel sind, sehe ich keinen rechten Sinn, von einer fundamentalen Revision zu reden. Die Grenzen sind halt fließend. In gewisser Weise ist daher auch die QM eine "Fortentwicklung" der Newtonschen Physik, die ja immerhin eingeschränkt Geltung hat. Sie ist IMAO eben unvollständig, aber nicht (völlig) falsch.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Nach meinen Begriffen wird in systemtheoretischen Ansätzen versucht, die Lücke zu schließen, d.h. man geht hier vor allem der Frage nach, welche Mutationen wie entstehen bzw. welche Systembedingungen bei ihrem zustandekommen eine Rolle spielen. |
Das verstehe ich nicht so ganz. Wie willst Du das _Entstehen_ von Mutationen _systemtheoretisch_ erklären? Was verstehst Du unter 'Mutation'? |
Leider habe ich keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs "Mutation" parat (denk an Lönnig's Streiterei). Ich behaupte daher einfach, daß man i.w. Sinn jede erbliche Veränderung des Genoms als Mutation bezeichnen könnte. War vielleicht blöd ausgedrückt, die Entstehung von Mutationen ist natürlich immer zufällig. Aber die Auswirkungen auf den Phänotyp werden durch die Systembedingungen (mit-)bestimmt. Je besser man hier die Zusammenhänge kennt, desto eher kann man auch erklären, warum welche Veränderungen (gehäuft) auftreten.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Dadurch füllt sie die "black box" der STE mit Inhalt und drängt den "Zufall" bei der Entstehung von Mutationen zurück. |
Ich sehe nicht, dass die STE ein Problem bei der Erklärung der _Entstehung_ von Mutationen hat, das die Systemtheorie _lösen_ könnte. |
OK, dann ersetz' "Mutationen" durch "Mutanten" oder "evolutive Neuheiten".
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Hier hast Du natürlich völlig recht, wenn Du feststellst, daß a.) die Milieuselektion nicht mehr die pralle Rolle bei der Erklärung des evolutionärer Geschehens spielt, daß b.) der naive Adaptionismus sich als nicht haltbar herausstellt und daß c.) dadurch auch die Einfachheit der Erklärung verloren geht. Ungeachtet der Tatsache, daß somit der Anwendungsbereich der STE stark eingeschränkt wird, bleibt doch aber der allgemeine Rahmen stehen: Nach wie vor treten Mutationen auf, nach wie vor wirkt die Milieuselektion (natürlich nicht mehr als dominierender Faktor), es gibt "punctuated equilibria" usw. |
Ich fürchte, dass das, was Du hier als STE bezeichnest, in etwa das ist, was vom Christentum übrig bleibt, wenn man Bultmann und Konsorten darauf loslässt. |
S.o.
Die Frage ist doch immer, ob man im Zuge wissenschaftlichen Fortschritts behaupten kann, daß die der jeweiligen Theorievorgänger in toto falsch bzw. widerlegt wurden. Wenn das stimmen würde, gäbe es keine Kumulation von Wissen, sondern bestenfalls ein unkoordiniertes "Hin- und Herhüpfen" zwischen radikal verschiedenen Lösungsansätzen. Ob man gewillt ist, dies zu unterschreiben, hängt vermutlich wesentlich davon ab, was man von Kuhn und Feyerabend bzw. deren "Inkommensurabilitätsthese" hält. Dieser Streit geht aber über die biologische Seite hinaus.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Vor Darwin unterschied man Phylogenese und Adaptatiogenese (es gibt verschiedene Begriffspaare, ich nehme mal das von Heberer, weil Du den ja öfters zitierst und daher kennen solltest). Darwins Leistung war, durch die Adaptatiogenese angeblich die Phylogenese erklärt zu haben, also einen _einheitlichen_ Evolutionsmechanismus vorgeschlagen zu haben. Die STE vertritt dasselbe. |
Hierin sind wir uns doch einig. Wie gesagt, der Streit läuft eher auf der "Meta-Ebene"
[...]
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Ein Fundamentalkritiker besteht dagegen auf einer mehr oder minder vollständigen Abkehr vom alten Paradigma und installiert somit einen Theorie-Nachfolger, der (so gut wie) keine Überschneidungen zum Vorgänger aufweist und demzufolge mit der STE "inkommensurabel" ist. Das scheint mir bei der FET der Fall zu sein. |
Das sehe ich nicht so deutlich. Auch Gutmann erkennt das an, was Riedl anerkennt. |
Eben. Aber vermutlich nicht umgekehrt. AFAIK hält Riedl Gutmanns Kritik für zu weitgehend. Ich vermute, Du auch, oder täusche ich mich da?
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Ich vermute, dass Du, wenn Du genauer analysierst, was Du unter 'Systembedingungen' verstehen möchtest, durchaus viele Antworten auf Deine oben gestellten Fragen finden könntest. |
Hmmm, wie meinst Du das? Würde es dem Grundgedanken der STE radikal widersprechen, wenn man davon ausgeht, daß es Systembedingungen gibt, welche das evolutionäre Geschehen streckenweise in "bestimmte Bahnen lenken"? (OK, man kann sich natürlich wieder darüber streiten, was man unter "radikal" verstehen möchte...) Aber die Frage war hier eher, ob es zwei grundlegend verschiedene "Prozeßwirklichkeiten" gibt, wie dies Schindewolf vermutet hat. Hierzu konnte ich noch zu keiner abschließenden Meinung gelangen.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Vielleicht kann Lamarck etwas zur Klärung dieser Frage beisteuern? |
Wäre schön. |
Bin gespannt...
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Würde mich wirklich interessieren, inwiefern Riedl seine Auffassung relativ zur STE einschätzt. Wäre nett, falls Du die entsprechenden Stellen zitieren würdest. |
Mach ich...
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Nun, wenn er Systemprozesse in den Vordergrund rückt, ist es kaum vorstellbar, dass er das ohne Zweiphasen-Lehre hinbekommt, _solange_ er die Basics der STE anerkennt. |
Hmmm... das kommt vermutlich wieder darauf an, was man unter "der STE" versteht
Mal anders gefragt: Beschreiben die Systemtheorien in der Regel nicht insofern einen einheitlichen Prozeß, als die Systembedingungen einen Rahmen abstecken, innerhalb dessen alle Veränderungen ablaufen? Wie tiefgreifend die Veränderungen sind, hinge dann halt von der Art der Randbedingungen ab. Oder was meinst Du?
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Ganz sicher ist seine Kritik aber nicht so weitgehend, wie die Kritik der FET. |
Kann sein, dass er _verbal_ nicht so ausfallend war. Vermutlich hat er aber auch so geschwurbelt geschrieben, dass die wenigsten Menschen merkten, was er eigentlich behauptet. |
Grüße
Martin
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
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(#224290) Verfasst am: 06.12.2004, 03:31 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (F |
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Hi Thomas!
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Die beste kurze, aber umfassende Kritik, die ich kenne, ist
Mahner, M. (1995) 'Hydraulischer Dies irae in Frankfurt' Ethik und Sozialwissenschaften 6:336-339
Ist die Deiner Meinung nach berechtigt? |
Mmh, ich müßte den Artikel für eine genauere Betrachtung doch noch mal hervorkramen, aber allgemein glaube ich eher, Mahner war nicht so ganz klar, was Gutmann eigentlich gemeint hatte. Die Wahl des Titels ist aber sehr gut!
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Meiner Meinung nach hat die FET vollkommen Recht damit, dass sie der STE aufzeigt, den Organismus aus dem Blick verloren zu haben. Dort 'rechnet' man vor allem mit der Veränderung von Allelfrequenzen im Lauf der Zeit unter verschiedenen Bedingungen, was diese Gene aber machen, wird selten betrachtet. Ich hoffe, dass sich durch EvoDevo hier etwas ändern wird. |
Noch deutlicher: Bei der FET steht die Morphologie im Vordergrund, die Genetik ist ein Nebenaspekt, bei der STE ist es umgekehrt. In diesem Sinne ist EvoDevo (für Interessierte: evolutionary developmental biology (= 'Evolutionäre Entwicklungsbiologie', machmal aber auch spezieller: 'Evolutionsgenetik') auch schon von Gutmann betrieben worden.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Interessanter Gesichtspunkt. Ich muss offensichtlich [...] mit
Gutmann, W.F. (1995) 'Die Evolution hydraulischer Konstruktionen. Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung' Frankfurt am Main, Kramer
vergleichen. |
"Es besteht kein Anlaß, den Darwinismus und die synthetische Theorie wohlwollend zu kritisieren und sie in ihren argumentativen Verästelungen zu verfolgen. Es ist nötig, sie als grundlegend fehlkonzipiert darzustellen und durch zwingende Grundtheoreme zu ersetzen. Rationalität ist so überhaupt erst zu begründen." [a. a. O., S. 10]
"Gegenüber dem Revisionsbedarf sind alle heute vorliegenden Lehrbücher, KAESTNER, HADORN & WEHNER, REMANE, STORCH & WELSCH u. a. Hindernisse. Viele neuere Schriften, die Zellenlehre und Zellaggregation im Sinne von Haeckel, biogenetisches Grundgesetz, Homologienforschung und Reihung von einfacher zur komplexen Höhlen-Organisation vertreten, bleiben als Indoktrinationen sehr wirksam, ja stringent, um das Verständnis der organismisch-konstruktiven Natur von Lebewesen zu verdecken und den evolutiven Wandel der organismischen Konstruktion nicht verständlich werden zu lassen. Die Hindernisse für ein angemessenes Organismus- und Evolutionsverständnis sind im Aufbau des biologischen Wissens, seiner Grundtheorien und Methoden selbst zu sehen. Die Revision der Evolutionstheorie bedeutet Neustrukturierung der Biologie insgesamt" [a. a. O., S. 30-31]
Etc. , etc. ... .
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Konstruktionsmorphologie hat ja beispielsweise auch Seilacher betrieben (ehemaliger Chef von Reif, den ich Dir in einem anderen Thread genannt habe), okay, Maschinenanalogien findet man dort seltener. |
Ja. In der Paläontologie wird aus meiner Sicht unter Konstruktionsmorphologie etws anderes verstanden als bei Gutmann. Stelle Dir etwa Skelette vor, die in bestimmter Weise angeordnet werden müssen, um bsw. als Museumsexponat dienen zu können. Gutmann hat hier dynamischer gedacht.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Zu diesem hieraus nun entwickelten Methodenset zur Rekonstruktion der biologischen Evolution in Form von Ableitungsmodellen gehört zentral die Berücksichtigung der mechanischen Gegebenheiten im Organismus und hier in erster Linie das Konzept des Hydroskeletts. So wird bsw. eine hydraulische Konstruktion Kugelform annehmen, falls die äußere Membranhülle keine unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften (Zugspannung) aufweist. Diese Art der Theoriestringenz war und ist ein Novum (wenngleich hier etwa Weiss, von Bertalanffy, Koestler, Bohm, Thom oder Waddington als indirekte Vorläufer gelten können). |
Was verstehst Du hier unter 'Theoriestringenz' und vor allem was meinst Du mit den genannten Autoren? Koestler beispielsweise ist mir vor allem durch seinen Lamarckismus aufgefallen, Bohm oder Thom haben irgendwelche Katastrophentheorien ('Katastrophe' im mathematischen Sinn) vertreten, von Bertalanffy scheint mir eher Systemtheoretiker gewesen zu sein, Waddington ist wieder eine Klasse für sich. Was haben die mit der FET gemeinsam? Oder eint die nur, dass sie die STE in ähnlicher Weise kritisiert haben wie die FET? |
Die Autoren eint aus meiner Sicht ein explizites theoriegeleitetes und methodisches Vorgehen (im Gegensatz zu etwa den 'deskriptiven' "Borstenzählern"). Von Bertalanffy hat ja auch einen Zweibänder mit dem Titel "Theoretische Biologie" vorgelegt. Mit 'Theoriestringenz' meine ich vor allem den gesamten Kontext von (Teil-) Theorien, die letztlich die spezifische organismische Konstruktion 'erklären'. Die entsprechenden Konstruktionszeichnungen lassen im Ergebnis bestenfalls nur noch wenigen Alternativen Raum.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [ ... ]
Du kennst sicher auch
Mayr, E. (1982) 'Darwinistische Mißverständnisse' Dialektik 5:44-57
Da Mayr das Buch von Bonik und Gutmann (s.o.) zwar erwähnt, aber nicht kennt, ist die Kritik sicher nicht allzu ernst zu nehmen. Auf jeden Fall zutreffend fand ich aber:
Mayr, E. (1982) 'Darwinistische Mißverständnisse' Dialektik 5:44-57
<cite S.46>
In keinem Land bestand ein größeres Interesse an der Konstruktion von Stammesgeschichten als in Deutschland, angeregt durch Haeckels Begeisterung und die grundlegende Arbeit von Gegenbaur und mehreren anderen vergleichend-anatomischen Schulen. In der Tat waren viele deutsche Biologen so voreingenommen für vergleichende Anatomie und Stammesgeschichte, daß das Wort Evolution für sie gleichbedeutend war mit Phylogenie. W. Zimmermanns (1953 <lit 1367>) großartige Geschichte der evolutionären Biologie z. B. befaßt sich hauptsächlich mit der Geschichte der Phylogenie und beinahe überhaupt nicht mit der Geschichte der Erforschung der Evolutionsmech[a?]nismen. Die Schriften von Gutmann und seiner Gruppe gehören zu dieser Tradition, und in etwa der Hälfte aller Fälle, in denen er das Wort Evolution benutzt, meint er in Wirklichkeit Phylogenie.
</cite>
Ich habe viele Arbeiten von Autoren der FET gelesen, aber so gut wie nie einen _Mechanismus_ gefunden. Wenn man von _Selektion_ (innerer oder äußerer) redet, muss man doch auch die _Faktoren_ aufzeigen. Genauer: die Faktoren, die eine _Evolution_ bedingen. Also wie man von einer Konstruktion zur nächsten gelangt.
Bisher sehe ich in der FET 'nur' einen stringenten Ansatz, Lesrichtungen in Phylogenien zu entscheiden. IIRC war das auch der Ansatz, der Gutmann in die Radikalität trieb. Mit Evolution im mechanismischen Sinn hat das aber wenig zu tun. |
Die Lesrichtungen waren auch hier wesentliche Probleme. Diese sollten zunächst mit Hilfe des Ökonomieprinzips gelöst werden. Dies wurde allerdings später wieder herausgenommen. Anfänglich redete Gutmann von "innerer" und "äußerer" Selektion; davon blieb im Laufe der Zeit als Evolutionsmechanismus nur die konstruktive Stringenz übrig: Formenwandel kommt demnach sozusagen durch ein unvermeidliches (!) "Fließen" der organismischen Konstruktion zustande. Die Verringerung der Freiheitsgrade, die letztlich auch eine vollständige "Dissoziation" (= Metapher) verhindert, sind bedingt durch Zwänge, die hier "innere Selektion" genannt werden. Die organismische Konstruktion ist also in diesem Sinne eine Form von dissipativer Struktur (vgl. von Bertalanffys Fließgleichgewicht!). Der Rest ist Thermodynamik.
Die STE kann als Milieutheorie aufgefasst werden, die FET dagegen als Determinationstheorie. Phylogenie ist für mich übrigens synonym mit Evolution.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Da dergleichen Modelle sehr schnell recht komplex werden können, ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, das bei Gutmann das zeichnerische Element eine wesentliche Rolle spielt, welche, vielleicht zunächst ungewohnt, doch sehr 'technisch’ aussehen. Auf der Basis dieser Modelle hat’s bisher noch jeden Opponenten zerlegt: |
Warum? Als _Ableitung_ recht interessant, als _Mechanismus_ unzureichend. Sind die einzelnen Konstruktionen sozusagen 'cluster im genospace', die zwangsläufig erreicht werden müssen (auf vorgegebenen Wegen, weil das ja angeblich nicht sprunghaft geschehen kann)? Oder wie kommen diese Formen (die ja wohl keine 'echten' Lebewesen darstellen sollen) zustande? |
Ich hoffe, ich habe den von Gutmann vertretenen Mechanismus der Evolution oben hinreichend dargelegt. Der 'cluster im genospace' entfällt, dafür gibt es einen Konstruktionsraum. Die Modelle sind natürlich Ausdruck von Hypothesen.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Nun, Gutmann hatte im Laufe der Zeit wohl fast jedes Konzept der vorherrschenden STE (synthetische Theorie der Evolution) auf’s Korn genommen. Ob dieses Ansinnen erfolgreich war? - Schauen wir mal ... . |
Ich vermute, dass wir noch erleben werden, dass sich herumspricht, was an der STE alles nicht so plausibel ist. Aber da sie, je nach Autor, ein 'moving target' oder ein 'Schwamm, der alles aufsaugen kann, ohne zu platzen' ist, fällt das meist nicht so direkt auf. Wenn sich die 'Hoxologie' etablieren kann, sehe ich allerdings gute Chancen, dass sich etwas ändert. Was die FET dabei beitragen kann, vermag ich nicht zu beurteilen. |
Da fällt mir als Analogie der Name Willi Hennig ein.
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#224292) Verfasst am: 06.12.2004, 03:42 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET) |
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Hi Martin!
In meiner Umgebung kann ich den Spruch "Ich hab's vergessen" nicht bringen, weil dann sofort klar ist, das ich schwindele ... .
Aber ich darf mich für jetzt zunächst entschuldigen, ich habe doch noch einiges an Schlafdefiziten zu bewältigen.
Cheers,
Lamarck
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#224360) Verfasst am: 06.12.2004, 13:15 Titel: |
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Hi Thomas,
ich hab' gestern ein paar Stellungnahmen von Systemtheoretikern zu ihrem Verhältnis zur STE bzw. Mikro-/Makroevolution zusammengesucht. Vermutlich kennst Du sie alle schon, aber ich liste sie trotzdem mal auf.
Zitat: | Wie dieses Geflecht von Beziehungen aussieht und wie die zuvor angesprochenen offenen Fragen daraus zu beantworten sind, ist in einem Forschungsprogramm herauszufinden, das zu einer Systemtheorie der Evolution führen soll, die aus dieser Perspektive als eine konsistente Erweiterung der synthetischen Theorie gesehen werden kann. Die Notwendigkeit, die synthetische Theorie zu einer Systemtheorie der Evolution zu erweitern, bedeutet allerdings, daß die synthetische Theorie selbst nur als Fragment einer erst in Teilen entwickelten Evolutionstheorie anzusehen ist und nicht als ein verbindlicher allgemeiner Rahmen, der nur noch mit empirischen Fakten zu füllen wäre. |
Riedl, R.; Krall, P. (1994): Die Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen Wandel. In: Wieser, W. (Hrsg.): Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, 234-266 (254).
Zitat: | Rechenberg, Frazzetta and Riedl recognized independently that certain conditions have to be met by the organization of the epigenetic system in order to permit the evolution of complex organisms. This conclusion led to the prediction that we can discern between two levels of evolutionary processes: (1) The evolution of the character expressions in order to reach maximal fitness, and (2) the evolution of the epigenetic organization in order to obtain an optimal adaptive versatility (...) Selection for adaptation speed can be considered as an ordinary selection process with time-dependent selection value and can thus be treated within the framework of current population genetic theory (...) The two levels of evolution are cyclically coupled because adaptation speed affects the rate of character evolution, and character evolution feeds back on the evolution of the epigenetic system via selection for adaptation speed. So far, the system theory of evolution is a straightforward extension of the synthetic theory. |
Wagner, G.P. (1983): On the necessity of a systems theory of evolution and its population biologic foundation: Comments on Dr. Regelmann's article. Acta Biotheoretica 32, 223-226 (224).
Zitat: | Aus der Perspektive der Systemtheorie der Evolution besteht kein grundsätzlicher Bruch zwischen mikro- und makroevolutiven Vorgängen (...) Man kann sich vorstellen, daß genetische Wechselwirkungen, spezifisch für jeden Organismus bzw. seine Population und/oder Spezies, so weit abwandelbar sind, daß ein breites Spektrum von Möglichkeiten entsteht. |
Wuketits, F.M. (1988): Evolutionstheorien. Historische Voraussetzungen, Positionen, Kritik. Dimensionen der modernen Biologie, Bd. 7. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 151.
Zitat: | Es ist nochmals zu betonen, daß die Systemtheorie der Evolution kein Konkurrenzunternehmen zur Synthetischen Theorie ist (...) Daher stehen die Synthetische Theorie und die Systemtheorie der Evolution keineswegs im Widerspruch zueinander (siehe auch den kritischen Kommentar von Wagner 1983 zu Regelmanns Arbeit). Vielmehr standen einer ersten Formulierung der Systemtheorie der Evolution (bei Riedl 1975) die Erkenntnisse beider, der Synthetischen Theorie und der allgemeinen Systemtheorie zur Verfügung. |
Wuketits, F.M. (a.a.O), 152. [Einschübe von Wuketits]
Zitat: | Die Systemtheorie der Evolution verträgt sich nach allem nicht mit einem strikt verstandenen Adaptationismus. Sie verträgt sich aber durchaus mit dem Gradualismus, läßt jedoch die Lehre von den unterbrochenen Gleichgewichten, also den Punktualismus (...) als Möglichkeit einer Erklärung der Evolutionsabläufe in speziellen Stammesreihen offen. |
Wuketits, F.M. (a.a.O), 152.
Grüße
Martin
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#224847) Verfasst am: 07.12.2004, 03:41 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET) |
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Hi Martin!
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Gudo, M. (2002): The development of the critical theory of evolution: The scientific career of Wolgang F. Gutmann. Theory Biosci. 121, 101-137.
Die Arbeit enthält auch die Abbildung von Gutmanns "biomechanischer Rekonstruktion" der Chordatenevolution, auf die Du Dich beziehst. Nun sind wir uns darüber einig, daß die STE unvollständig ist und konstruktionsmorphologische, entwicklungsbiologische Aspekte so gut wie nicht berücksichtigt. Die Frage ist allerdings, welche neuen Einsichten die FET in die Faktorenfrage der Evolution liefert. Und vor allem: Würdest Du Dich meiner Kritik anschließen, daß eine internalistische Theorie wie die FET, die die Rolle der Umwelt weitgehend ignoriert, zu einseitig ist? Wie schon einmal gesagt: sie scheint weder die historische Kontingenz der Abstammung (Homologien) anzuerkennen, noch die Rekaptulationsidee, noch die Bedeutung der Milieuselektion in der Evolution noch die Methode der Kladistik. Und auch die Rekonstruktion der Stammesgeschichte anhand der chronologischen Abfolge der Formen im Fossilienbestand hält sie für verfehlt. Die "Lesrichtung" soll sich ausschließlich unter biomechanischen Aspekten ergeben. Das halte ich für wenig überzeugend. |
Hierzu habe ich weiter oben schon angemerkt:
STE = Milieutheorie
FET = Determinationstheorie
Demnach verfolgt die STE einen Top-Down-Ansatz, die FET hingegen orientiert sich an ihrem Bottom-Up-Ansatz. In diesem Sinne ist die FET mit der STE gleichwertig. Die Rekapitulations-Hypothese wird ja auch innerhalb der STE nun nicht mehr so undifferenziert betrachtet. Auch die anderen von Dir aufgezählten Fälle sind konstruktive Probleme bzw. wirken sich konstruktiv aus. Und für eine "Lesrichtung" benötigst Du eine Hypothese. Auch mit einem systemtheoretischen Ansatz bist Du diesbezüglich nicht einen Schritt weiter!
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Überwiegend werden in der Life-Science-Forschung anatomische und physiologische Funktionen betrachtet; dies ist verständlich, hat doch dieser Standpunkt offensichtlich seine Ursachen in einem anthropozentrischen Blick auf das korrekte Funktionieren der organischen Leistung des Lebendigen: So kreiert Medizin in erster Linie nicht, sondern repariert. Genau deswegen ist für einen adäquaten evolutionären Blick eine Konstruktionsmorphologie erforderlich. |
Wie gesagt, in dem Punkt sind wir uns einig. Was ist kritisiere, ist lediglich die Einseitigkeit dieses Ansatzes. Außerdem sehe ich nicht so recht, wie man auf dessen Grundlage eine Kausalerklärung liefern könnte. Im Gegensatz zur FET scheint Riedls Systemtheorie in diesem Punkt etwas mehr geleistet zu haben, ich erinnere z.B. an das Modell der "schrittweisen Merkmalsfixierung" oder an die Auflistung in:
Riedl R, Krall P (1994) Die Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen Wandel. In: Wieser W (Hrsg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, S. 234-266 |
Gut, ich hoffe, das ich zum Verständnis der konstruktiven Kausalerklärung in der Diktion von Gutmann nun etwas beitragen konnte. Riedls "Weg in Bürde und Fixierung" (Riedl, R. (1975): Die Ordnung des Lebendigen. Systembedingungen der Evolution. S. 233ff) kommt Gutmann schon ziemlich nahe. Gar nicht so schlecht für das Jahr 1975. Aber "Eine Theorie der Systembedingungen" (a.a.O., S. 347-355) ist nicht so sonderlich tauglich zu einer Kausalerklärung. Allein schon das hier:
"Der gesamte Informationsgehalt jedes begrenzten Systems setzt sich aus seinem Determinations- und Indeterminationsgehalt zusammen (II = ID + D); das heißt, die Summe aus Zufall und Notwendigkeit ist konstant." (a.a.O., S. 348)
Aber ich will nun nicht in übertriebener Weise hier den Advocatus Diaboli spielen.
Zu Gutmanns Konstruktionen könnte man sagen: Alles fließt. Und der statische Aspekt ist nicht minder zu begründen wie der dynamische.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Letztlich ist so ein neuer Ansatz einer historisch-rekonstruktiven Evolutionsforschung entstanden, die ihre Leistungsfähigkeit mit der Entwicklung von konstruktionsmorphologischen Transformationsmodellen unter Beweis gestellt hat. Der Organismus wird als mechanisches Ganzes betrachtet und nicht nur einzelne, letztlich anthropozentrisch induzierte Merkmale. |
Stimmt, das haben systemtheoretische Ansätze so an sich. Warum sollte ich aber die FET Riedls Systemansatz vorziehen? Ersterer ist (wie man so schön sagt) "extern inkonsistent", Riedls Systemtheorie versteht sich dagegen eher als Weiterentwicklung der STE. Liegt es da nicht auf der Hand, daß man geneigt ist, erst einmal die konsistentere Lösung zu bevorzugen, anstatt gleich "alles über Bord zu schmeißen", was wir bislang erreicht haben? |
Gutmann vertrat ganz sicherlich keinen Systemansatz. Ob Riedl wirklich eine Systemtheorie vertritt, wäre noch zu klären. Die Konsistenz erfolgt nur aus der Argumentation. Und Innovationen müssen natürlich subversiv sein:
"Eine Theorie ohne neue Konsequenzen hätte keinen Sinn; ja selbst Konsequenzen, böten sie keine einfachere oder umfassendere Erklärung, hätten keinen Wert." (a.a.O., S. 347)
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | So konnte als eines der einfacheren Beispiele hierzu die volle Überkreuzung der ugennervenbahnen bei den niederen Wirbeltieren unter Evolutionsgesichtspunkten erklärt werden: Antrieb wird bei freischwimmenden Chordaten durch die abwechselnde Verkürzung der Muskeln beider Körperseiten erzeugt; eine Richtungsänderungen wird eingeleitet durch eine verstärkte Verkürzung einer Seite (...) |
Alles schön und gut. Wie erklärt man jedoch über die "biomechanischen constraints" hinaus die Realisierung solcher Neuheiten? Um die (eventuell sogar vielfach unabhängig erfolgte) Entstehung solcher "Lösungen" zu gewährleisten, muß ja (wie Riedl sich ausdrückt) der "Abbau der möglichen Anpassungsrichtungen (...) durch den Aufbau der Anpassungschancen kompensiert" werden.
Hierzu muß man sich aber Betrachtungen annähern, die die Struktur des epigenetischen Systems, dessen Geschichte sowie die entwicklungsbiologischen Verflechtungen mit berücksichtigen. Der Aufgabe haben sich jedoch schon "gemäßigte Systemtheoretiker" angenommen, ohne daß hierfür ein radikaler Umsturz der STE notwendig wäre. Daher noch einmal: Weshalb sollte man die FET vorziehen? |
Wegen der constraints': Wer hat's erfunden?
Wie ich schon aufzuzeigen versucht habe: Die FET ist schon sehr konsistent begründet.
Anpassung gibt es ja bei Gutmann nicht. Aber was erklärt den hier Riedls Kompensation von "Abbau durch Aufbau? Und wie wäre es mit einer Umkehrung, nämlich, wenn der Abbau der Anpassungschancen durch den Aufbau der möglichen Anpassungsrichtungen (...) kompensiert wird? Ist damit irgendetwas erklärt? Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Nun, Gutmann hatte im Laufe der Zeit wohl fast jedes Konzept der vorherrschenden STE (synthetische Theorie der Evolution) auf’s Korn genommen. Ob dieses Ansinnen erfolgreich war? - Schauen wir mal ... . |
Kritik an der Unvollständigkeit der STE ist höchst willkommen (das hatten außer Gutmann auch ein paar andere vor ihm getan). Allerdings nicht Fundamentalkritik. Falls Dir jedoch zur Entstehung der Saugfalle von Utricularia einen Vorschlag zu machen hättest, möchte ich Dich hiermit noch einmal herzlich einladen - vielleicht würde dies ein paar Evolutionsgegner etwas in die Defensive bringen. |
Die STE muß natürlich auch auch Fundamentalkritik aushalten können. Zu Utricularia habe ich Dir doch schon ein paar Eckpunkte für eine Hypothese geliefert - das dürfte für Lönnig mehr als ausreichend sein. Aber in der Tat: Vielleicht sollte ich das ausbauen.
Cheers,
Lamarck
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#224900) Verfasst am: 07.12.2004, 11:35 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (F |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Die beste kurze, aber umfassende Kritik, die ich kenne, ist
Mahner, M. (1995) 'Hydraulischer Dies irae in Frankfurt' Ethik und Sozialwissenschaften 6:336-339
Ist die Deiner Meinung nach berechtigt? |
Mmh, ich müßte den Artikel für eine genauere Betrachtung doch noch mal hervorkramen, aber allgemein glaube ich eher, Mahner war nicht so ganz klar, was Gutmann eigentlich gemeint hatte. |
ob das der Fall ist oder nicht, ist ein Thread. Der andere Thread ist, ob die FET etwas gegen seine kritischen Einwände vorbringen kann. Der wesentlichste scheint mir zu sein:
Mahner, M. (1995) 'Hydraulischer Dies irae in Frankfurt' Ethik und Sozialwissenschaften 6:336-339
<cite S. 338>
Wenn man aber Anpassung und Selektion selbst als Teilerklärung des Evolutionsgeschehens ablehnt, was veranlaßt dann eine "Konstruktion" zur Umkonstruktion? Ein innerer Transformationsdrang? (Dies wäre ein teleologisch-vitalistisches Konzept.) Mutationsdruck [ ... ]? (Das wäre partiell darwinistisch oder zumindest kompatibel damit.) Die bloße Aktivität der Organismen [ ... ]? (Aktivität allein ruft allenfalls quantitative Unterschiede in der "Konstruktion" hervor, nicht qualitative, d.h. ontogenetische oder evolutive Transformation.) Wie und warum können sich "Entwicklungsbahnen" in eine "Vielfalt konstruktiver Lösungen" aufspalten [ ... ]? Und, wenn Anpassung ausgeschlossen ist, wofür ist dann konstruktiver Umbau eine Lösung? Doch für den inneren Drang nach Optimierung? Schlußendlich, wenn es so etwas wie optimalen Energiewandlerstatus unabhängig von selektiven Bedingungen geben sollte, warum ist dieser Zustand dann nicht längst erreicht und Evolution damit beendet? Wenn Umwelt und Anpassung keine Rolle spielen, sollte man nach mehr als 3 Milliarden Jahren Evolution anstelle von Millionen unterschiedlicher Arten nicht eine gleichförmige Weltpopulation optimaler Energiewandler erwarten dürfen? (Oder zumindest eine vergleichsweise kleine Zahl unterschiedlicher aber äquioptimaler Formen bzw. Arten?) 'Evolutionäres' Geschehen dürfte nach Erreichen dieses Stadiums nur darin bestehen, die durch inneren Varianzdruck [ ... ] erzeugten Abweichungen vom Optimum auszugleichen.
</cite>
Auch wenn Mahner die FET vollkommen falsch interpretieren sollte, solange sie keine Antwort auf diese Fragen weiß, gehe ich davon aus, dass sie keine Evolutionstheorie ist, die einen Anspruch auf eine _Erklärung_ der Evolution liefern kann und daher in einer vollkommen anderen Liga spielt als die STE.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Wahl des Titels ist aber sehr gut! ;-) |
Stimmt. In dem Leitartikel hätte Gutmann ein Ko-Autor sehr hilfreich zur Seite stehen können ;-)
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Meiner Meinung nach hat die FET vollkommen Recht damit, dass sie der STE aufzeigt, den Organismus aus dem Blick verloren zu haben. Dort 'rechnet' man vor allem mit der Veränderung von Allelfrequenzen im Lauf der Zeit unter verschiedenen Bedingungen, was diese Gene aber machen, wird selten betrachtet. Ich hoffe, dass sich durch EvoDevo hier etwas ändern wird. |
Noch deutlicher: Bei der FET steht die Morphologie im Vordergrund, die Genetik ist ein Nebenaspekt, bei der STE ist es umgekehrt. |
Dann könnte es natürlich sein, dass sich die FET mit einer _Facette_ der Evolution befasst, die neben vielen anderen derartigen Facetten im Rahmen der STE irgendwann eingebaut werden müssten. Die FET hätte dann aber keinerlei Anspruch, mehr als eine Kritik im Sinne von 'Ihr vernachlässigt einen wesentlichen Aspekt' anzubringen. Der Anspruch, die STE nur deshalb aufzugeben, weil sei gerade diesen Aspekt (noch?) nicht berücksichtigt, ist bestenfalls Konstrastverschärfung, aber eher Hybris.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | In diesem Sinne ist EvoDevo (für Interessierte: evolutionary developmental biology (= 'Evolutionäre Entwicklungsbiologie', machmal aber auch spezieller: 'Evolutionsgenetik') auch schon von Gutmann betrieben worden. |
Natürlich. Aber das haben auch schon Menschen vor Gutmann getan. Und man kann EvoDevo auch ganz ohne die Konzepte der FET treiben, möglicherweise sogar stringenter.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Interessanter Gesichtspunkt. Ich muss offensichtlich [...] mit
Gutmann, W.F. (1995) 'Die Evolution hydraulischer Konstruktionen. Organismische Wandlung statt altdarwinistischer Anpassung' Frankfurt am Main, Kramer
vergleichen. |
[ ... ]
Etc. , etc. ... . ;-) |
Der Punkt wäre, ob man nicht derartige Aussagen auch in den mit Ko-Autoren geschriebenen Arbeiten findet. Ich mache mir jetzt aber nicht die Mühe, meine Exzerpt-Datenbank zu flöhen oder gar die Bücher nochmals auf 'Holzereien' durchzugehen. Wir sind uns ja darüber einig, dass Gutmann ein Problem damit hatte, seine Ideen so darzustellen, dass die Form nicht vom Inhalt abschreckte. Wenn der wirklich so revolutionär wäre, wie Gutmann das meinte, hätte er viel mehr Wert darauf legen müssen, die _Inhalte_ in den Vordergrund zu stellen und nicht die Polemik.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Konstruktionsmorphologie hat ja beispielsweise auch Seilacher betrieben (ehemaliger Chef von Reif, den ich Dir in einem anderen Thread genannt habe), okay, Maschinenanalogien findet man dort seltener. |
Ja. In der Paläontologie wird aus meiner Sicht unter Konstruktionsmorphologie etws anderes verstanden als bei Gutmann. Stelle Dir etwa Skelette vor, die in bestimmter Weise angeordnet werden müssen, um bsw. als Museumsexponat dienen zu können. Gutmann hat hier dynamischer gedacht. |
Darf ich aus Deiner Schilderung schließen, dass Du Dich nie mit Konstruktionsmorphologie im Sinne Seilachers befasst hast, oder darf ich das als Späßchen werten? Äquivalent wäre, dass Gutmann immer schon vorhatte, aus seinen hübschen Bildchen einen netten Trickfilm zu basteln, aber leider nicht lange genug lebte.
[ ... ]
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [ ... ]
Ich habe viele Arbeiten von Autoren der FET gelesen, aber so gut wie nie einen _Mechanismus_ gefunden. Wenn man von _Selektion_ (innerer oder äußerer) redet, muss man doch auch die _Faktoren_ aufzeigen. Genauer: die Faktoren, die eine _Evolution_ bedingen. Also wie man von einer Konstruktion zur nächsten gelangt.
Bisher sehe ich in der FET 'nur' einen stringenten Ansatz, Lesrichtungen in Phylogenien zu entscheiden. IIRC war das auch der Ansatz, der Gutmann in die Radikalität trieb. Mit Evolution im mechanismischen Sinn hat das aber wenig zu tun. |
Die Lesrichtungen waren auch hier wesentliche Probleme. Diese sollten zunächst mit Hilfe des Ökonomieprinzips gelöst werden. Dies wurde allerdings später wieder herausgenommen. Anfänglich redete Gutmann von "innerer" und "äußerer" Selektion; davon blieb im Laufe der Zeit als Evolutionsmechanismus nur die konstruktive Stringenz übrig: |
Vielleicht reden wir aneinander vorbei. 'Konstruktive Stringenz' ist das _Ergebnis_ dessen, was, wenn das, was man als Evolutions_mechanismen_ bezeichnen könnte, gewirkt _hat_.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Formenwandel kommt demnach sozusagen durch ein unvermeidliches (!) "Fließen" der organismischen Konstruktion zustande. |
Und ein _Mechanismus_ würde genau darin bestehen, zu zeigen, _wie_ dieses 'Fließen' zustande kommt. Ohne diese Mechanismen scheint mir gar nicht begründbar zu sein, was 'unvermeidlich' ist. Von Banalitäten wie 'ein Organismus kann nicht mehr Energie verbrauchen, als er aufnimmt' oder 'ein Membranschluss ist erforderlich, damit eine Zelle nicht ausläuft' abgesehen.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Verringerung der Freiheitsgrade, die letztlich auch eine vollständige "Dissoziation" (= Metapher) verhindert, sind bedingt durch Zwänge, die hier "innere Selektion" genannt werden. |
Ein _Mechanismus_ wäre zu zeigen, _worin_ diese Zwänge _bestehen_.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die organismische Konstruktion ist also in diesem Sinne eine Form von dissipativer Struktur (vgl. von Bertalanffys Fließgleichgewicht!). Der Rest ist Thermodynamik. |
Streng genommen müsste sich dann, wenn sich irgendwo im Weltall Leben entwickeln würde, selbiges genauso aussehen wie das bei uns? Oder spielt die Umwelt doch eine Rolle? Gibt es vielleicht mehr dissipative Strukturen, als es auf den ersten Blick aussieht?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die STE kann als Milieutheorie aufgefasst werden, die FET dagegen als Determinationstheorie. Phylogenie ist für mich übrigens synonym mit Evolution. |
Das ist natürlich stringent. Wenn man keine _Mechanismen_ diskutiert, bleibt einem nur die Betrachtung der Geschichte. Ob man das anhand von Knochen oder DNA-Sequenzen macht, ist Hose wie Jacke.
Die Frage ist natürlich dann, woher man die _Berechtigung_ nimmt, einen Ansatz, der eben die _Mechanismen_ in den Vordergrund rückt, und für den Evolution eben _nicht_ Phylogenie, sondern die _Mechanismen_ derselben bedeutet, zu kritisieren. Ist das nicht schlicht ein Kategorien-Fehler? Kann man nicht bestenfalls fordern, dass der eigenen Ansatz berücksichtigt werden sollte?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Da dergleichen Modelle sehr schnell recht komplex werden können, ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, das bei Gutmann das zeichnerische Element eine wesentliche Rolle spielt, welche, vielleicht zunächst ungewohnt, doch sehr 'technisch? aussehen. Auf der Basis dieser Modelle hat?s bisher noch jeden Opponenten zerlegt: ;-) |
Warum? Als _Ableitung_ recht interessant, als _Mechanismus_ unzureichend. Sind die einzelnen Konstruktionen sozusagen 'cluster im genospace', die zwangsläufig erreicht werden müssen (auf vorgegebenen Wegen, weil das ja angeblich nicht sprunghaft geschehen kann)? Oder wie kommen diese Formen (die ja wohl keine 'echten' Lebewesen darstellen sollen) zustande? |
Ich hoffe, ich habe den von Gutmann vertretenen Mechanismus der Evolution oben hinreichend dargelegt. |
Sorry, einen _Mechanismus_ konnte ich nicht erkennen. Eher die Begründung dafür, warum es gar keinen Mechanismus gibt, weil 'Evolution' wieder im Wortsinn verstanden wird: die Entfaltung einer Potenzialität auf einer vorgegebenen Bahn. Es gibt gar nichts zu erklären, man kann nur beschreiben, wie es abläuft.
Im Hinterkopf taucht bei mir da immer 'Sprungtheorie' auf. Evolution ist möglicherweise doch ein Zwei-Stufen-Mechanismus. Auf der einen Seite entstehen Neuheiten, auf der anderen Seite werden sie angepasst. Kann sein, dass der erste Schritt von der Außenwelt unabhängig ist. Kann sein, dass die FET hier angesiedelt ist und sozusagen die Bedingungen der Möglichkeit einer bestimmten Lebensform untersucht, die 'irgendwie' entsteht. Kann sein, dass sich die STE eher damit befasst, wie die dann 'feingetunt' wird.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Der 'cluster im genospace' entfällt, dafür gibt es einen Konstruktionsraum. Die Modelle sind natürlich Ausdruck von Hypothesen. |
Aber wenn die Konstruktionen durch _Gene_ aufgebaut werden, ist der Konstruktionsraum gleichzeitig ein 'genospace'. Die Cluster sind schlicht und ergreifend die Konstruktionen. Und die Frage ist, durch welche _Mechanismen_ eine Population in einem Cluster sich so verändern kann, dass sie den nächsten Cluster 'erreicht' (AKA Evolution).
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Nun, Gutmann hatte im Laufe der Zeit wohl fast jedes Konzept der vorherrschenden STE (synthetische Theorie der Evolution) auf?s Korn genommen. Ob dieses Ansinnen erfolgreich war? - Schauen wir mal ... . |
Ich vermute, dass wir noch erleben werden, dass sich herumspricht, was an der STE alles nicht so plausibel ist. Aber da sie, je nach Autor, ein 'moving target' oder ein 'Schwamm, der alles aufsaugen kann, ohne zu platzen' ist, fällt das meist nicht so direkt auf. Wenn sich die 'Hoxologie' etablieren kann, sehe ich allerdings gute Chancen, dass sich etwas ändert. Was die FET dabei beitragen kann, vermag ich nicht zu beurteilen. |
Da fällt mir als Analogie der Name Willi Hennig ein. ;-)
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Nun, Hennig hatte ein Problem: er hat seine Methode explizit für _synchrone_ Arten aufgestellt, und den Menschen, die sich nach dem Erscheinen der englischen Ausgabe auf seinen Ansatz bezogen, 'missbrauchten' diesen sozusagen, indem sie ihn auf _diachrone_ Arten anwendeten. Das kann prinzipiell nicht funktionieren. Kann sein, dass sich das irgendwann herumspricht. Kann sein, dass sich irgendwann herumspricht, dass die STE ein Problem hat. Aber die FET ist _prinzipiell_ nicht in der Lage, in die Bresche zu springen, weil sich sich mit der Problematik, um die es der STE geht, gar nicht befasst. Sie kann bestenfalls einen _Rahmen_ aufzeigen.
Grüßle
Thomas
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
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(#224922) Verfasst am: 07.12.2004, 13:36 Titel: Re: W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET) |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: |
STE = Milieutheorie
FET = Determinationstheorie |
Die Determination des Evolutionsgeschehens findest Du auch bei Riedl. Der Punkt ist, daß bei der FET nicht klar wird, durch welche Mechanismen die Veränderungen "angestoßen" werden.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Demnach verfolgt die STE einen Top-Down-Ansatz, die FET hingegen orientiert sich an ihrem Bottom-Up-Ansatz. In diesem Sinne ist die FET mit der STE gleichwertig. Die Rekapitulations-Hypothese wird ja auch innerhalb der STE nun nicht mehr so undifferenziert betrachtet. Auch die anderen von Dir aufgezählten Fälle sind konstruktive Probleme bzw. wirken sich konstruktiv aus. Und für eine "Lesrichtung" benötigst Du eine Hypothese. Auch mit einem systemtheoretischen Ansatz bist Du diesbezüglich nicht einen Schritt weiter! |
Ich denke, Mahner hat die Kritik an der FET ganz gut auf den Punkt gebracht. Bei Systemtheorien, die sich als Erweiterung der STE verstehen, ist dagegen das Mutations-/Selektions-Erklärungsschema der STE nicht obsolet, es wird sogar um innere Aspekte erweitert.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Wie gesagt, in dem Punkt sind wir uns einig. Was ist kritisiere, ist lediglich die Einseitigkeit dieses Ansatzes. Außerdem sehe ich nicht so recht, wie man auf dessen Grundlage eine Kausalerklärung liefern könnte. Im Gegensatz zur FET scheint Riedls Systemtheorie in diesem Punkt etwas mehr geleistet zu haben, ich erinnere z.B. an das Modell der "schrittweisen Merkmalsfixierung" oder an die Auflistung in:
Riedl R, Krall P (1994) Die Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen Wandel. In: Wieser W (Hrsg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, S. 234-266 |
Gut, ich hoffe, das ich zum Verständnis der konstruktiven Kausalerklärung in der Diktion von Gutmann nun etwas beitragen konnte. Riedls "Weg in Bürde und Fixierung" (Riedl, R. (1975): Die Ordnung des Lebendigen. Systembedingungen der Evolution. S. 233ff) kommt Gutmann schon ziemlich nahe. Gar nicht so schlecht für das Jahr 1975. |
So sehe ich das auch; ein brillianter Kopf ist er. Man muß ihn nur verstehen
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Aber "Eine Theorie der Systembedingungen" (a.a.O., S. 347-355) ist nicht so sonderlich tauglich zu einer Kausalerklärung. Allein schon das hier:
"Der gesamte Informationsgehalt jedes begrenzten Systems setzt sich aus seinem Determinations- und Indeterminationsgehalt zusammen (II = ID + D); das heißt, die Summe aus Zufall und Notwendigkeit ist konstant." (a.a.O., S. 348) |
Kein Wunder, wenn Du die falschen Stellen zitierst. Riedl Systemtheorie erklärt in erster Linie, wie sich das epigenetische System organisiert und welche Bedingungen dessen Struktur der weiteren Entwicklung der Lebewesen auferlegt. Hierzu ist die schrittweise Kopplung ("Systemisierung") der Gene zu einem hierarchischen Gen-Netzwerk ein ganz konkreter Mechanismus (der erwartungsgemäß immer dann vielversprechend sein wird, wenn das epigenetische System die Merkmalshierarchie "kopiert"). Und weil das Konzept der Milieuselektion bzw. Anpassung nicht aufgegeben, sondern auf das Binnenmilieu ausgedehnt wird, wird auch die Kausalerklärung vertieft. Deine oben stehende Aussage, wonach Riedls Theorie dafür nicht tauge, bleibt mir daher kryptisch.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Gutmann vertrat ganz sicherlich keinen Systemansatz. Ob Riedl wirklich eine Systemtheorie vertritt, wäre noch zu klären. |
Ups...
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Wie ich schon aufzuzeigen versucht habe: Die FET ist schon sehr konsistent begründet. Anpassung gibt es ja bei Gutmann nicht. |
Das scheint mir das zentrale Problem dieser Theorie zu sein. (Siehe Mahners Kritik). Nochmals: In einer Systemtheorie der Evolution gehen die Prinzipien der Variation und Selektion nicht über Bord.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Aber was erklärt den hier Riedls Kompensation von "Abbau durch Aufbau? |
Sie erklärt, wie mit zunehmender Genkopplung nicht nur die Zahl der erfolgversprechender Anpassungen eingeschränkt wird (Stichwort: genetische und funktionelle Bürde), sondern auch die Anpassungschancen rapide steigen. (Eben, weil sich die "Loszahl" möglicher Mutationen durch Genkopplung entsprechend verringert, womit die Wahrscheinlichkeit steigt, einen "Haupttreffer" zu landen, wenn sich darunter einer befindet.)
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Und wie wäre es mit einer Umkehrung, nämlich, wenn der Abbau der Anpassungschancen durch den Aufbau der möglichen Anpassungsrichtungen (...) kompensiert wird? Ist damit irgendetwas erklärt? Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist. |
Es geht doch darum, die Chancen zu erhöhen, einen adaptiven Vorteil zu erlangen! Wenn die Individuen einer Population drei Quintillionen Jahre lang warten müßten, bis alle Gene unabhängig voneinander "richtig" mutieren, kannst Du transspezifische Evolution abschreiben. Folglich wird immer der im Vorteil sein, dessen Gene hierarchisch miteinander verkoppelt werden. Die Umkehrung des Szenarios funktioniert also nicht.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die STE muß natürlich auch auch Fundamentalkritik aushalten können. Zu Utricularia habe ich Dir doch schon ein paar Eckpunkte für eine Hypothese geliefert - das dürfte für Lönnig mehr als ausreichend sein. Aber in der Tat: Vielleicht sollte ich das ausbauen. |
Ja, mach mal. Vielleicht kommt ja etwas Brauchbares dabei heraus. Auch wenn in der FET nicht klar ist, wie die Umkonstruktionen eigentlich zustandekommen...
Grüße
Martin
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
www.ag-evolutionsbiologie.de
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#225303) Verfasst am: 08.12.2004, 02:36 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Thomas!
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [...] Der andere Thread ist, ob die FET etwas gegen seine kritischen Einwände vorbringen kann. Der wesentlichste scheint mir zu sein:
Mahner, M. (1995) 'Hydraulischer Dies irae in Frankfurt' Ethik und Sozialwissenschaften 6:336-339
<cite S. 338>
Wenn man aber Anpassung und Selektion selbst als Teilerklärung des Evolutionsgeschehens ablehnt, was veranlaßt dann eine "Konstruktion" zur Umkonstruktion? Ein innerer Transformationsdrang? (Dies wäre ein teleologisch-vitalistisches Konzept.) Mutationsdruck [ ... ]? (Das wäre partiell darwinistisch oder zumindest kompatibel damit.) Die bloße Aktivität der Organismen [ ... ]? (Aktivität allein ruft allenfalls quantitative Unterschiede in der "Konstruktion" hervor, nicht qualitative, d.h. ontogenetische oder evolutive Transformation.) Wie und warum können sich "Entwicklungsbahnen" in eine "Vielfalt konstruktiver Lösungen" aufspalten [ ... ]? Und, wenn Anpassung ausgeschlossen ist, wofür ist dann konstruktiver Umbau eine Lösung? Doch für den inneren Drang nach Optimierung? Schlußendlich, wenn es so etwas wie optimalen Energiewandlerstatus unabhängig von selektiven Bedingungen geben sollte, warum ist dieser Zustand dann nicht längst erreicht und Evolution damit beendet? Wenn Umwelt und Anpassung keine Rolle spielen, sollte man nach mehr als 3 Milliarden Jahren Evolution anstelle von Millionen unterschiedlicher Arten nicht eine gleichförmige Weltpopulation optimaler Energiewandler erwarten dürfen? (Oder zumindest eine vergleichsweise kleine Zahl unterschiedlicher aber äquioptimaler Formen bzw. Arten?) 'Evolutionäres' Geschehen dürfte nach Erreichen dieses Stadiums nur darin bestehen, die durch inneren Varianzdruck [ ... ] erzeugten Abweichungen vom Optimum auszugleichen.
</cite>
Auch wenn Mahner die FET vollkommen falsch interpretieren sollte, solange sie keine Antwort auf diese Fragen weiß, gehe ich davon aus, dass sie keine Evolutionstheorie ist, die einen Anspruch auf eine _Erklärung_ der Evolution liefern kann und daher in einer vollkommen anderen Liga spielt als die STE. |
Vielen Dank, da brauch ich jetzt nicht größer umräumen ... . Denn genau diesen Absatz habe ich in erster Linie gemeint! Über die vitalistische Polemik lässt sich aufgrund des Stils von Gutmann sicherlich hinwegsehen. Und Mutationsdruck gibt es bei Gutmann auch nicht. Wer drückt denn da? Sicherlich ist hier nicht der Stempeldruck P gemeint.
Und verstehst Du, was quantitative oder qualitative Konstruktionsunterschiede sind? Und was ist bei Mahner Anpassung? Etwa ein äußerer Transformationsdrang? Wäre hier nach 3 Milliarden Jahren dann nicht auch eine “gleichförmige Weltpopulation” zu erwarten? Ich darf in diesem Zusammenhang auch an meine Bemerkung zur ‘Analogie der Schneeflocke’ erinnern:
http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=170883#170883
Bei Romer/Parsons (1991: Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere) findet sich gar eine Formulierung von einer “Anpassung an die tetrapode Lebensweise.” Will Mahner Anpassung hier ähnlich sehen?
Bei Gutmann findet sich als Evolutionsmotor ein “mechanistischer Mechanismus” und das ist letztlich die Thermodynamik. Unter Entropieproduktion werden zwangsweise (!) lokale Strukturen ausgebildet, die komplexer sind als ihre Umgebung. Organismen sind dann ‘nur’ eine besondere Form von Komplexität. Mehr wird hier auch nicht benötigt. Und genau dies wird bei Gutmann mit dem Begriff ‘Energiewandler’ berücksichtigt. Vielleicht würde Mahner hier gar von Konstruktions- oder Komplexitäts”druck” reden wollen ... .
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Wahl des Titels ist aber sehr gut! |
Stimmt. In dem Leitartikel hätte Gutmann ein Ko-Autor sehr hilfreich zur Seite stehen können. |
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Meiner Meinung nach hat die FET vollkommen Recht damit, dass sie der STE aufzeigt, den Organismus aus dem Blick verloren zu haben. Dort 'rechnet' man vor allem mit der Veränderung von Allelfrequenzen im Lauf der Zeit unter verschiedenen Bedingungen, was diese Gene aber machen, wird selten betrachtet. Ich hoffe, dass sich durch EvoDevo hier etwas ändern wird. |
Noch deutlicher: Bei der FET steht die Morphologie im Vordergrund, die Genetik ist ein Nebenaspekt, bei der STE ist es umgekehrt. |
Dann könnte es natürlich sein, dass sich die FET mit einer _Facette_ der Evolution befasst, die neben vielen anderen derartigen Facetten im Rahmen der STE irgendwann eingebaut werden müssten. Die FET hätte dann aber keinerlei Anspruch, mehr als eine Kritik im Sinne von 'Ihr vernachlässigt einen wesentlichen Aspekt' anzubringen. Der Anspruch, die STE nur deshalb aufzugeben, weil sei gerade diesen Aspekt (noch?) nicht berücksichtigt, ist bestenfalls Konstrastverschärfung, aber eher Hybris. |
Bedenke aber: Aus der Sicht der FET spielt die STE bestenfalls die Facettenrolle! Aber wenn Dir der evolutive Mechanismus der FET klar geworden ist, dann siehst Du das ja.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | In diesem Sinne ist EvoDevo (für Interessierte: evolutionary developmental biology (= 'Evolutionäre Entwicklungsbiologie', machmal aber auch spezieller: 'Evolutionsgenetik') auch schon von Gutmann betrieben worden. |
Natürlich. Aber das haben auch schon Menschen vor Gutmann getan. Und man kann EvoDevo auch ganz ohne die Konzepte der FET treiben, möglicherweise sogar stringenter. |
Gutmann hat das aber möglicherweise ganz anders gesehen ... .
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [...] Der Punkt wäre, ob man nicht derartige Aussagen auch in den mit Ko-Autoren geschriebenen Arbeiten findet. Ich mache mir jetzt aber nicht die Mühe, meine Exzerpt-Datenbank zu flöhen oder gar die Bücher nochmals auf 'Holzereien' durchzugehen. Wir sind uns ja darüber einig, dass Gutmann ein Problem damit hatte, seine Ideen so darzustellen, dass die Form nicht vom Inhalt abschreckte. Wenn der wirklich so revolutionär wäre, wie Gutmann das meinte, hätte er viel mehr Wert darauf legen müssen, die _Inhalte_ in den Vordergrund zu stellen und nicht die Polemik. |
Absolut.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Konstruktionsmorphologie hat ja beispielsweise auch Seilacher betrieben (ehemaliger Chef von Reif, den ich Dir in einem anderen Thread genannt habe), okay, Maschinenanalogien findet man dort seltener. |
Ja. In der Paläontologie wird aus meiner Sicht unter Konstruktionsmorphologie etws anderes verstanden als bei Gutmann. Stelle Dir etwa Skelette vor, die in bestimmter Weise angeordnet werden müssen, um bsw. als Museumsexponat dienen zu können. Gutmann hat hier dynamischer gedacht. |
Darf ich aus Deiner Schilderung schließen, dass Du Dich nie mit Konstruktionsmorphologie im Sinne Seilachers befasst hast, oder darf ich das als Späßchen werten? Äquivalent wäre, dass Gutmann immer schon vorhatte, aus seinen hübschen Bildchen einen netten Trickfilm zu basteln, aber leider nicht lange genug lebte. |
Nichts dergleichen. Aber Trickfilme zumindest sind in Arbeit (hier 4,8 MB):
http://www.senckenberg.de/files/content/forschung/projekte/km_fet/evoluzzer-film.mpg
Wenn ich mir bsw.
Seilacher, A. (1970): Arbeitskonzept zur Konstruktionsmorphologie. Lethaia 3, 393-396.
Seilacher, A. (1972): Divaricate Patterns In Pelecypod Shells. Lethaia 5: 325-343.
betrachte, sehe ich doch gewisse Unterschiede zu Gutmann. Seilachers “triangle of constructional morphology” finde ich recht interessant. Kennst Du übrigens folgendes:
Schmidt-Kittler, N. & Vogel, K., eds. (1991): Constructional Morphology and Evolution.
Hier finden sich Artikel von Gutmann, Seilacher und Reif in interessanter Zusammenstellung.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [...] Ich habe viele Arbeiten von Autoren der FET gelesen, aber so gut wie nie einen _Mechanismus_ gefunden. Wenn man von _Selektion_ (innerer oder äußerer) redet, muss man doch auch die _Faktoren_ aufzeigen. Genauer: die Faktoren, die eine _Evolution_ bedingen. Also wie man von einer Konstruktion zur nächsten gelangt.
Bisher sehe ich in der FET 'nur' einen stringenten Ansatz, Lesrichtungen in Phylogenien zu entscheiden. IIRC war das auch der Ansatz, der Gutmann in die Radikalität trieb. Mit Evolution im mechanismischen Sinn hat das aber wenig zu tun. |
Die Lesrichtungen waren auch hier wesentliche Probleme. Diese sollten zunächst mit Hilfe des Ökonomieprinzips gelöst werden. Dies wurde allerdings später wieder herausgenommen. Anfänglich redete Gutmann von "innerer" und "äußerer" Selektion; davon blieb im Laufe der Zeit als Evolutionsmechanismus nur die konstruktive Stringenz übrig. |
Vielleicht reden wir aneinander vorbei. 'Konstruktive Stringenz' ist das _Ergebnis_ dessen, was, wenn das, was man als Evolutions_mechanismen_ bezeichnen könnte, gewirkt _hat_. |
Evolutionsmechanismus ist hier allein das komplexitätsbildende Resultat der Thermodynamik; ein Spezialfall liegt hier in der Form von Leben vor. Die sich herausbildende 'konstruktive Stringenz' (= Constraints) bestimmen hingegen die Spielregeln für die zu realisierenden organismischen Konstruktionen.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Formenwandel kommt demnach sozusagen durch ein unvermeidliches (!) "Fließen" der organismischen Konstruktion zustande. |
Und ein _Mechanismus_ würde genau darin bestehen, zu zeigen, _wie_ dieses 'Fließen' zustande kommt. Ohne diese Mechanismen scheint mir gar nicht begründbar zu sein, was 'unvermeidlich' ist. Von Banalitäten wie 'ein Organismus kann nicht mehr Energie verbrauchen, als er aufnimmt' oder 'ein Membranschluss ist erforderlich, damit eine Zelle nicht ausläuft' abgesehen. |
Kannst Du nun “Gutmann nachvollziehen”? Mit Membranschluss wird bei Gutmann auf Hydraulik rekuriert. Daraus resultieren gewisse Constraints. Und die kennt die STE nicht!
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Verringerung der Freiheitsgrade, die letztlich auch eine vollständige "Dissoziation" (= Metapher) verhindert, sind bedingt durch Zwänge, die hier "innere Selektion" genannt werden. |
Ein _Mechanismus_ wäre zu zeigen, _worin_ diese Zwänge _bestehen_. |
Vgl. o. g.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die organismische Konstruktion ist also in diesem Sinne eine Form von dissipativer Struktur (vgl. von Bertalanffys Fließgleichgewicht!). Der Rest ist Thermodynamik. |
Streng genommen müsste sich dann, wenn sich irgendwo im Weltall Leben entwickeln würde, selbiges genauso aussehen wie das bei uns? Oder spielt die Umwelt doch eine Rolle? Gibt es vielleicht mehr dissipative Strukturen, als es auf den ersten Blick aussieht? |
Nach Gutmann ähnlich, aber nicht genauso. Die Spielregeln für die Konstruktionen ändern sich nicht, aber das Ergebnis wird demnach anders aussehen.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die STE kann als Milieutheorie aufgefasst werden, die FET dagegen als Determinationstheorie. Phylogenie ist für mich übrigens synonym mit Evolution. |
Das ist natürlich stringent. Wenn man keine _Mechanismen_ diskutiert, bleibt einem nur die Betrachtung der Geschichte. Ob man das anhand von Knochen oder DNA-Sequenzen macht, ist Hose wie Jacke.
Die Frage ist natürlich dann, woher man die _Berechtigung_ nimmt, einen Ansatz, der eben die _Mechanismen_ in den Vordergrund rückt, und für den Evolution eben _nicht_ Phylogenie, sondern die _Mechanismen_ derselben bedeutet, zu kritisieren. Ist das nicht schlicht ein Kategorien-Fehler? Kann man nicht bestenfalls fordern, dass der eigenen Ansatz berücksichtigt werden sollte? |
Die FET diskutiert keine Knochen. Es werden Hypothesen in Form von Modellen hergestellt, die dann zur Überprüfung vorliegen. Hierzu gehören nicht Knochen oder DNA, sondern der Organismus in seiner Ganzheit unter maschinenanaloger Betrachtung. Ist für Dich denn folgendes richtig:
Evolution = Evolutionsmechanismen + Phylogenie ?
Ich vermute, Evolution synonym zu Phylogenie zu setzen, ist die herrschende Meinung und keineswegs nun Gutmann-spezifisch.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [...] Sorry, einen _Mechanismus_ konnte ich nicht erkennen. Eher die Begründung dafür, warum es gar keinen Mechanismus gibt, weil 'Evolution' wieder im Wortsinn verstanden wird: die Entfaltung einer Potenzialität auf einer vorgegebenen Bahn. Es gibt gar nichts zu erklären, man kann nur beschreiben, wie es abläuft.
Im Hinterkopf taucht bei mir da immer 'Sprungtheorie' auf. Evolution ist möglicherweise doch ein Zwei-Stufen-Mechanismus. Auf der einen Seite entstehen Neuheiten, auf der anderen Seite werden sie angepasst. Kann sein, dass der erste Schritt von der Außenwelt unabhängig ist. Kann sein, dass die FET hier angesiedelt ist und sozusagen die Bedingungen der Möglichkeit einer bestimmten Lebensform untersucht, die 'irgendwie' entsteht. Kann sein, dass sich die STE eher damit befasst, wie die dann 'feingetunt' wird. |
Kausalität bedeutet noch nicht eine vorgegebene Bahn. Wegen Deinen Äußerungen zu den Evolutionsmechanismen auch an anderer Stelle würde ich Dir eine nähere Beschäftigung mit Conway's Game of Life empfehlen, falls Du dies noch nicht kennst; bsw. hier: http://psoup.math.wisc.edu/Life32.html
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Der 'cluster im genospace' entfällt, dafür gibt es einen Konstruktionsraum. Die Modelle sind natürlich Ausdruck von Hypothesen. |
Aber wenn die Konstruktionen durch _Gene_ aufgebaut werden, ist der Konstruktionsraum gleichzeitig ein 'genospace'. Die Cluster sind schlicht und ergreifend die Konstruktionen. Und die Frage ist, durch welche _Mechanismen_ eine Population in einem Cluster sich so verändern kann, dass sie den nächsten Cluster 'erreicht' (AKA Evolution). |
Für die FET gilt: Konstruktionen werden nicht durch Gene aufgebaut, vielmehr sind Gene Teil der organismischen Konstruktion! Populationen spielen eine untergeordnete Rolle. Wie geht bei Conway's Game of Life ein Muster in ein anderes über?
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | [...] Nun, Hennig hatte ein Problem: er hat seine Methode explizit für _synchrone_ Arten aufgestellt, und den Menschen, die sich nach dem Erscheinen der englischen Ausgabe auf seinen Ansatz bezogen, 'missbrauchten' diesen sozusagen, indem sie ihn auf _diachrone_ Arten anwendeten. Das kann prinzipiell nicht funktionieren. Kann sein, dass sich das irgendwann herumspricht. Kann sein, dass sich irgendwann herumspricht, dass die STE ein Problem hat. Aber die FET ist _prinzipiell_ nicht in der Lage, in die Bresche zu springen, weil sich sich mit der Problematik, um die es der STE geht, gar nicht befasst. Sie kann bestenfalls einen _Rahmen_ aufzeigen. |
Um welche Problematik geht es hier den bezüglich der STE? Die ist doch nicht auf die Kladistik angewiesen.
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
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(#225350) Verfasst am: 08.12.2004, 10:15 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Bei Gutmann findet sich als Evolutionsmotor ein “mechanistischer Mechanismus” und das ist letztlich die Thermodynamik. Unter Entropieproduktion werden zwangsweise (!) lokale Strukturen ausgebildet, die komplexer sind als ihre Umgebung. Organismen sind dann ‘nur’ eine besondere Form von Komplexität. Mehr wird hier auch nicht benötigt. Und genau dies wird bei Gutmann mit dem Begriff ‘Energiewandler’ berücksichtigt. Vielleicht würde Mahner hier gar von Konstruktions- oder Komplexitäts”druck” reden wollen ... |
Mal ein paar saublöde Fragen von einem Menschen, für den die FET noch immer ein Böhmisches Dorf ist und der nicht so ganz kapiert hat, was "der Knaller" daran eigentlich ist: Weshalb verzichtet man nicht auf das Geschwurbel ("Energiewandler") und sagt schlichtweg "Mutation" dazu? Weshalb verzichtet man nicht auf die unsägliche Fundamentalkritik am Selektionsprinzip der STE und erweitert das Konzept um "mehrere Ebenen" (Stichwort: "Mehrschichtenselektion"). Was sind denn "biomechanische constraints" in letzter Konsequenz anderes, als eine infolge innerer Selektion zustandegekommene Determination des Evolutionsgeschehens? Und was sind die Umwandlungen anderes, als Anpassungen an das Binnenmilieu, die halt durch Umweltselektion flankiert werden? Weshalb muß ich das Anpassungsparadigma, die Selektion des Außenmilieus und alles, was mit der STE erreicht worden ist, auf die Müllkippe hauen?
Grüße
Martin
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
www.ag-evolutionsbiologie.de
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#225374) Verfasst am: 08.12.2004, 11:18 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Weshalb verzichtet man nicht auf das Geschwurbel ("Energiewandler") und sagt schlichtweg "Mutation" dazu? |
Ohne Geschwurbel sind des Kaisers neue Kleider unverkäuflich. Ich denke, ich habe in diesem Thread genug über FET gelernt, um sagen zu können: "Der Kaiser ist nackt". Oder kurz: FET ist eine Kombination aus FKK und ET, sozusagen eine Freikörper-Evolutionstheorie.
Gruss
KP
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#225395) Verfasst am: 08.12.2004, 11:52 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Klaus-Peter,
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Weshalb verzichtet man nicht auf das Geschwurbel ("Energiewandler") und sagt schlichtweg "Mutation" dazu? |
Ohne Geschwurbel sind des Kaisers neue Kleider unverkäuflich. Ich denke, ich habe in diesem Thread genug über FET gelernt, um sagen zu können: "Der Kaiser ist nackt". Oder kurz: FET ist eine Kombination aus FKK und ET, sozusagen eine Freikörper-Evolutionstheorie. |
in meinen Augen bietet die FET durchaus wesentliche Einsichten, aber eben nicht in _Mechanismen_ der Evolution.
In
Dawkins, R. (1982) 'The Extended Phenotype' Oxford; San Francisco, W. H. Freeman
stellt Dawkins seinen Standpunkt explizit als neue Sicht auf die Welt dar und plädiert dafür, diese Sicht einfach mal zu probieren. Wenn die FET so argumentieren würde, wäre das vollkommen in Ordnung. Sie kann durchaus eine _strukturalistische_ Sicht liefern, die wertvolle Ansätze enthält. Klar, dass die mit einer _funktionalistischen_ Auffassung wie der STE kollidiert. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte.
Aber im Gegensatz zu Dawkins machte Gutmann den Fehler, die Radikalität seines Ansatzes in den Vordergrund zu stellen und explizit zu fordern, sozusagen alles einzureißen, was man bisher aufgebaut hatte, _ohne_ einen Ersatz bieten zu können. Es ist ein sicheres Zeichen für das Überziehen eine Ansatzes, wenn ein Detail in den Vordergrund gerückt wird, ohne zu erkennen, dass der Ansatz Grenzen hat.
Nun ist Gutmann seit einiger Zeit verstorben und es wird an seinen Nachfolgern sein, zu zeigen, ob der Ansatz das Wasser hält. Die internationale Rezeption scheint mir sehr gering zu sein. Vor kurzem ist ein Sammelband erschienen, der sich mit heterodoxen Evolutionstheorien befasst, unter anderen mit einem Beitrag von FET-Anhängern. Interessanterweise in russischer Sprache. Das sagt eigentlich alles.
BTW, falls es Dich interessiert, den Beitrag der FET gibt es auch in einer englischen Fassung aus dem Web.
Grüßle
Thomas
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#225446) Verfasst am: 08.12.2004, 13:03 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Thomas,
[...]
nochmals meine Frage: was ist "der Knaller" an der FET? Weshalb die radikale Kritik am Anpassungsparadigma, wenn doch klar ist, daß auch sie ohne (sagen wir mal:) "innere Selektion" (sprich: Anpassung an das Binnenmilieu) nicht auskommt, die überhaupt erst für die "biomechanischen constraints" verantwortlich ist? Daran gemessen, ist es doch IMAO gar niemandem verständlich zu machen, weshalb sie alles bislang Erreichte in die Tonne haut. Wie siehst Du das? (Daß die FET zuviel "einreißt", darüber sind wir uns ja einig.)
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Klar, dass die mit einer _funktionalistischen_ Auffassung wie der STE kollidiert. |
Ups, wieso ist das klar? Systemtheorien der Evolution bieten doch auch strukturalistische Ansätze, integrieren die aber in den "funktionalistischen" Gesamtrahmen der STE.
Grüße
Martin
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Zuletzt bearbeitet von Darwin Upheaval am 08.12.2004, 13:21, insgesamt einmal bearbeitet |
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
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(#225450) Verfasst am: 08.12.2004, 13:13 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Klaus-Peter,
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Weshalb verzichtet man nicht auf das Geschwurbel ("Energiewandler") und sagt schlichtweg "Mutation" dazu? |
Ohne Geschwurbel sind des Kaisers neue Kleider unverkäuflich. |
Klar, sie muß sich halt interessant machen. Riedl hat seine Systemtheorie mit mindestens genauso viel Geschwurbel an den Mann gebracht (wobei man sich darüber streiten kann, inwieweit ihm das [ohne das Zutun anderer] eigentlich gelungen ist). Im Gegensatz zur FET sehe ich aber auch das Substanzielle hinter der hochgestochenen Aussagen bzw. den "empirischen Gehaltsüberschuß" im Vergleich mit der STE.
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Ich denke, ich habe in diesem Thread genug über FET gelernt, um sagen zu können: "Der Kaiser ist nackt". Oder kurz: FET ist eine Kombination aus FKK und ET, sozusagen eine Freikörper-Evolutionstheorie. |
Stimmt. Wobei die FET ja durchaus interessante konstruktionsmorphologische Aspekte liefert, die die STE leider aus dem Blick verloren hat. Nur die Radikalität ihres Ansatzes ist verquer. IMAO bietet der gegenüber der STE keinen Erklärungsüberschuß, ja er scheint mir fast noch ärmlicher zu sein, als der Ansatz der STE...
Grüße
Martin
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
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(#225461) Verfasst am: 08.12.2004, 13:32 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Klaus-Peter!
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Weshalb verzichtet man nicht auf das Geschwurbel ("Energiewandler") und sagt schlichtweg "Mutation" dazu? |
Ohne Geschwurbel sind des Kaisers neue Kleider unverkäuflich. Ich denke, ich habe in diesem Thread genug über FET gelernt, um sagen zu können: "Der Kaiser ist nackt". Oder kurz: FET ist eine Kombination aus FKK und ET, sozusagen eine Freikörper-Evolutionstheorie. |
Nett, dass Du auch Deine Krümel mittels Deiner Standardvorlage mit einbringst. Aber vielleicht könntest Du es das nächste Mal ein klein wenig konstruktiver versuchen? Dann hast Du vielleicht auch was davon.
Cheers,
Lamarck
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
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(#225462) Verfasst am: 08.12.2004, 13:33 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Martin!
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Bei Gutmann findet sich als Evolutionsmotor ein “mechanistischer Mechanismus” und das ist letztlich die Thermodynamik. Unter Entropieproduktion werden zwangsweise (!) lokale Strukturen ausgebildet, die komplexer sind als ihre Umgebung. Organismen sind dann ‘nur’ eine besondere Form von Komplexität. Mehr wird hier auch nicht benötigt. Und genau dies wird bei Gutmann mit dem Begriff ‘Energiewandler’ berücksichtigt. Vielleicht würde Mahner hier gar von Konstruktions- oder Komplexitäts”druck” reden wollen ... |
Mal ein paar saublöde Fragen von einem Menschen, für den die FET noch immer ein Böhmisches Dorf ist und der nicht so ganz kapiert hat, was "der Knaller" daran eigentlich ist: Weshalb verzichtet man nicht auf das Geschwurbel ("Energiewandler") und sagt schlichtweg "Mutation" dazu? Weshalb verzichtet man nicht auf die unsägliche Fundamentalkritik am Selektionsprinzip der STE und erweitert das Konzept um "mehrere Ebenen" (Stichwort: "Mehrschichtenselektion"). Was sind denn "biomechanische constraints" in letzter Konsequenz anderes, als eine infolge innerer Selektion zustandegekommene Determination des Evolutionsgeschehens? Und was sind die Umwandlungen anderes, als Anpassungen an das Binnenmilieu, die halt durch Umweltselektion flankiert werden? Weshalb muß ich das Anpassungsparadigma, die Selektion des Außenmilieus und alles, was mit der STE erreicht worden ist, auf die Müllkippe hauen? |
Mutationen spielen nur bei Sequenzen eine Rolle. Und der genetische Aspekt wird nach Gutmann eben durch die Konstruktion "versklavt".
Energiewandler ist zwar ein Begriff, den Gutmann erfunden hat (und den er vielleicht auch im Stil von Hennig leicht verklausulieren hätte können ), spricht aber doch damit gewisse Prinzipen an - ich will hierzu nur mal das Stichwort 'Elektronentransportkette' fallen lassen. Bei Gutmann findest Du kein Geschwurbel, sondern absichtlich nur klare Hypothesen, die Du möglicherweise widerlegen kannst. Also: These (Gutmann) - Organismen sind Energiewandler.
Während sich die STE fast ausschließlich mit dem Mutations- und Selektionsgeschehen auf Sequenzebene befasst, beschäftigte sich dagegen Gutmann fast ausschließlich mit der Sicht auf die Konstruktionsebene. Würdest Du als Chemiker bei der Beschreibung von Kristallbildungsprozessen von Mutation, Selektion oder Anpassung reden?
Der "Knaller" bei Gutmann: Ein holistischer Ansatz, begründet durch ein reduktionistisches Konzept und unterlegt mit einem expliziten Hypothetiko-Deduktivismus.
Cheers,
Lamarck
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#225472) Verfasst am: 08.12.2004, 13:53 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Martin,
ich antworte noch irgendwann auf das längere Posting von Lamarck. Vielleicht wird Dir dann manches klarer. Allerdings muss ich erst meine Kiste wieder heile kriegen oder BackUps flöhen.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: |
[...]
nochmals meine Frage: was ist "der Knaller" an der FET? |
Dazu hat Lamarck gerade etwas gesagt. Beachte, dass die Begründung analog zu seiner Begründung für den RK ist.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Weshalb die radikale Kritik am Anpassungsparadigma, wenn doch klar ist, daß auch sie ohne (sagen wir mal:) "innere Selektion" (sprich: Anpassung an das Binnenmilieu) nicht auskommt, die überhaupt erst für die "biomechanischen constraints" verantwortlich ist? Daran gemessen, ist es doch IMAO gar niemandem verständlich zu machen, weshalb sie alles bislang Erreichte in die Tonne haut. Wie siehst Du das? (Daß die FET zuviel "einreißt", darüber sind wir uns ja einig.) |
Ich bezog mich auf die _positiven_ Elemente der FET. Und die sehe ich durchaus.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Klar, dass die mit einer _funktionalistischen_ Auffassung wie der STE kollidiert. |
Ups, wieso ist das klar? |
Weil eine explizit funktionalistische Theorie mit explizit strukturalistischen Elementen wenig anfangen kann.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Systemtheorien der Evolution bieten doch auch strukturalistische Ansätze, integrieren die aber in den "funktionalistischen" Gesamtrahmen der STE. |
Ich sprach von STE. Systemtheorien der Evolution sind noch im Stadium von 'Wortgeklingel', aber mit positiver Prognose.
Grüßle
Thomas
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#225485) Verfasst am: 08.12.2004, 14:20 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Thomas!
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | ich antworte noch irgendwann auf das längere Posting von Lamarck. Vielleicht wird Dir dann manches klarer. Allerdings muss ich erst meine Kiste wieder heile kriegen oder BackUps flöhen. |
Was ist passiert?
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | [...] nochmals meine Frage: was ist "der Knaller" an der FET? |
Dazu hat Lamarck gerade etwas gesagt. Beachte, dass die Begründung analog zu seiner Begründung für den RK ist. |
Ich darf daran erinnern: Ich vertrete (nicht mehr) die FET! Und Gutmann kannte selbstverständlich den Radikalen Konstruktivismus, hat aber davon nichts gehalten (zufälligerweise weiß ich das nun recht genau ). Aber was meinst Du hier mit analoger Begründung?
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Weshalb die radikale Kritik am Anpassungsparadigma, wenn doch klar ist, daß auch sie ohne (sagen wir mal:) "innere Selektion" (sprich: Anpassung an das Binnenmilieu) nicht auskommt, die überhaupt erst für die "biomechanischen constraints" verantwortlich ist? Daran gemessen, ist es doch IMAO gar niemandem verständlich zu machen, weshalb sie alles bislang Erreichte in die Tonne haut. Wie siehst Du das? (Daß die FET zuviel "einreißt", darüber sind wir uns ja einig.) |
Ich bezog mich auf die _positiven_ Elemente der FET. Und die sehe ich durchaus. |
Yep.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Klar, dass die mit einer _funktionalistischen_ Auffassung wie der STE kollidiert. |
Ups, wieso ist das klar? |
Weil eine explizit funktionalistische Theorie mit explizit strukturalistischen Elementen wenig anfangen kann.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Systemtheorien der Evolution bieten doch auch strukturalistische Ansätze, integrieren die aber in den "funktionalistischen" Gesamtrahmen der STE. |
Ich sprach von STE. Systemtheorien der Evolution sind noch im Stadium von 'Wortgeklingel', aber mit positiver Prognose. |
Ein interessanter Ansatzpunkt hierzu scheint mir die Systemische Biologie zu sein: http://www.bmbf.de/press/528.php
Cheers,
Lamarck
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#225501) Verfasst am: 08.12.2004, 15:01 Titel: |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Mutationen spielen nur bei Sequenzen eine Rolle. Und der genetische Aspekt wird nach Gutmann eben durch die Konstruktion "versklavt". |
Ja, letztlich muß halt die Tauglichkeit von Konstruktionen und deren Funktionen bewertet werden. Aber die Funktionszusammenhänge werden doch aufgrund der vernetzten Kausalität wiederum durch die Struktur des epigenetischen System mitbedingt und in ihm letztlich auch "kopiert". Warum also der (zugegebenermaßen simplistische und reduktionistische) Ansatz der STE rundweg falsch sein soll, erschließt sich mir nicht.
Mich erinnert die FET immer irgendwie an Hertwigs entwicklungsmechanischen Standpunkt und den darauf beruhenden "Entwicklungsstrukturalismus" (wie ihn z.B. Blechschmidt vertreten hat). Darin wird glamourös über "morphogenetische Entwicklungsfelder" schwadroniert, die als "Formgesetze" eine funktionelle Interpretation erfahren und somit Haeckels "Biogenetische Grundregel ablösen sollen. Dabei wird - wie Osche in:
Osche, G. (1982) 'Rekapitulationsentwicklung und ihre Bedeutung für die Phylogenetik - Wann gilt die 'Biogenetische Grundregel'?' Verh. naturwiss. Ver. Hamburg 25:5-31
sehr schön zeigt - bloß konsequent an der Tatsache vorbeigeredet, daß diese "Stoffwechselfelder" nur auf genetischer Grundlage verstanden werden können, so daß eben auch das epigenetische System, dessen Geschichte und die in ihr stattgehabten Anpassungsschritte als "ultimate cause" für diese Formgesetze und "biomechanischen constraints" anzusehen sind. Was also erklärt eine Theorie, die dies zu vergessen scheint und dem (Mikro-) Reduktionismus der STE nur einen strukturalistischen (Makro-) Reduktionismus" gegenüberstellt? Ist es nicht vielleicht doch so, daß
Zitat: | die Ablehnung von Anpassung und Selektion von Evolutionsbiolog(inn)en nur als ein Fall von Realitätsblindheit interpretiert werden [kann], weil Selektion experimentell nachweisbar ist. Es kann heute nur noch darum gehen, den Anteil adaptiv-selektiver Evolution von Merkmalen, der zwischen 0 und 1 schwanken kann, im Verhältnis zur Rolle von Zufall und historischen bzw. organisatorischen constraints zu ermitteln (Travisano et al. 1995). |
Mahner (a.a.O.)
Grüße
Martin
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#225505) Verfasst am: 08.12.2004, 15:14 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: |
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | ich antworte noch irgendwann auf das längere Posting von Lamarck. Vielleicht wird Dir dann manches klarer. Allerdings muss ich erst meine Kiste wieder heile kriegen oder BackUps flöhen. |
Was ist passiert? |
keine Ahnung. Nachdem ich mit Hilfe eines Technikers am Telefon eine Stunde an dem Ding herumgeschraubt habe ('was passiert, wenn sie alle Stecker abziehen?', 'löschen Sie mal das CMOS', 'bauen Sie mal die Grafikkarte aus', 'haben Sie noch eine alte Graphikkarte herumliegen, die Sie einbauen könnten?', 'was passiert, wenn Sie diesen Jumper auf diese Pins stecken?' ...) habe ich seinen letzten Vorschlag ('wenn wir Ihnen jetzt eine neue Platine schicken, würden Sie diese mal versuchsweise einbauen?') doch dankend abgelehnt, weil es ein Garantiefall ist. Gerade war UPS da, bin mal gespannt.
Glücklicherweise habe ich noch den einen oder anderen Zweitrechner.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | [...] nochmals meine Frage: was ist "der Knaller" an der FET? |
Dazu hat Lamarck gerade etwas gesagt. Beachte, dass die Begründung analog zu seiner Begründung für den RK ist. |
:shock: Ich darf daran erinnern: Ich vertrete (nicht mehr) die FET! Und Gutmann kannte selbstverständlich den Radikalen Konstruktivismus, hat aber davon nichts gehalten (zufälligerweise weiß ich das nun recht genau ;-) ). Aber was meinst Du hier mit analoger Begründung? |
Etwas sehr viel Wert auf Wissenschaftstheorie gelegt. Gutmann ließ auch keine Chance aus, das hohe Lied des Popperianismus etc. zu singen und seinen Fachkollegen unter die Nase zu reiben, dass sie erst ihre Hausaufgaben in Theoriestringenz zu machen hätten. Wirkt aber etwas weniger beeindruckend, wenn man die schon gemacht hat.
[ ... ]
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Ich sprach von STE. Systemtheorien der Evolution sind noch im Stadium von 'Wortgeklingel', aber mit positiver Prognose. |
Ein interessanter Ansatzpunkt hierzu scheint mir die Systemische Biologie zu sein: :wink: http://www.bmbf.de/press/528.php |
Schau ich mir gleich mal an.
Grüßle
Thomas
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#225506) Verfasst am: 08.12.2004, 15:22 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: |
Ich sprach von STE. Systemtheorien der Evolution sind noch im Stadium von 'Wortgeklingel', aber mit positiver Prognose. |
Ein interessanter Ansatzpunkt hierzu scheint mir die Systemische Biologie zu sein: :wink: http://www.bmbf.de/press/528.php |
es hat geklingelt ;->
Grüßle
Thomas
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#225541) Verfasst am: 08.12.2004, 18:05 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Lamarck,
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Thomas Waschke hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Systemtheorien der Evolution bieten doch auch strukturalistische Ansätze, integrieren die aber in den "funktionalistischen" Gesamtrahmen der STE. |
Ich sprach von STE. Systemtheorien der Evolution sind noch im Stadium von 'Wortgeklingel', aber mit positiver Prognose. |
Ein interessanter Ansatzpunkt hierzu scheint mir die Systemische Biologie zu sein: http://www.bmbf.de/press/528.php |
Abgesehen davon, daß ich Thomasens Auffassung in dieser Form nicht teilen kann, wissen wir doch nun endlich, auf welchem Nährboden gewisse Aktivitäten gewisser (System-) Biologen, die sich mit Vorliebe im FGH tummeln, gedeihen.
BTW, führe doch Riedls Ansatz fort - dürfte mit Sicherheit lohnend sein...
Grüße
Martin
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#225954) Verfasst am: 09.12.2004, 16:28 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Abgesehen davon, daß ich Thomasens Auffassung in dieser Form nicht teilen kann, ... |
Welche meintest Du? Die Auffassung, dass Systemtheorien Wortgeklingel seien, oder bezüglich der positiven Prognose? (Ich stimme der Auffassung zur Hälfte zu: Ich sehe die positive Prognose nicht )
Gruß
KP
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#226014) Verfasst am: 09.12.2004, 19:03 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Klaus-Peter,
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Abgesehen davon, daß ich Thomasens Auffassung in dieser Form nicht teilen kann, ... |
Welche meintest Du? Die Auffassung, dass Systemtheorien Wortgeklingel seien, oder bezüglich der positiven Prognose? (Ich stimme der Auffassung zur Hälfte zu: Ich sehe die positive Prognose nicht ) |
Komisch, Du wirst doch nicht ernsthaft annehmen, daß Molekularbiologie, Populationsgenetik und ein bißchen Allelverschiebung - gepaart mit Umweltselektion - schon alles ist? Selbst einige Vertreter der STE, wie z.B. Mayr, sehen ein, daß der eigentliche interessante Aspekt der Evolution - nämlich die Art und Weise, wie qualitative Neuheiten in der Evolution und Ontogenese entstehen - durch die Systembedingungen determiniert wird. Wenn wir schon bei Gutmann und dessen Kritikern sind:
Zitat: | Gewiß, einige Dinge gehören zurechtgerückt - da kann man Gutmann nur zustimmen (...) Vielleicht wird sogar gerade das Human Genome Project dazu beitragen, indem es endlich auch eingefleischten Genfreaks deutlich werden läßt, daß wir nach Vollendung des Projekts nicht wesentlich mehr über den Menschen wissen als zuvor und schon gar nicht mehr darüber, wie sich aus einer Zygote, die in ihrem Kern eine bestimmte DNA-Sequenz enthält, ein Mensch entwickelt (...) Kurzum: Das meiste, was interessant ist, ist in der Tat epigenetisch. |
Mahner, M. (1995): Hydraulischer Dies irae in Frankfurt. Ethik und Sozialwissenschaften 6, S. 336-339.
Und was der abfällige Begriff "Wortgeklingel" anbelangt, sind wir uns doch einig, daß der höchstens im Wortschatz von Empiristen auftaucht, im postpositivistischen Wissenschaftszeitalter aber keine Überzeugungskraft haben kann. Was wären denn sonst all die postulierten Sachverhalte, die die Wissenschaft überhaupt erst interessant machen (wie z.B. "Raumkrümmung", "Farbladung" oder "Superstrings") anderes als „Wortgeklingel“? Man sollte es also mit der empiristischen Kritik (die vor allem und fast nur noch in Kreationistenkreisen en vogue zu sein scheint), nicht zu sehr übertreiben.
Daß freilich die constraints aufgrund der komplexen Randbedingungen im Einzelnen noch nicht in dem Ausmaß erforscht worden sind, wie dies wünschenswert wäre, ist natürlich unstrittig. Das ist IMAO aber für alle anderen Wissenschaftsbereiche, in denen das Weltbild gegenwärtig aktiv erweitert wird, nicht anders.
Grüße
Martin
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#226173) Verfasst am: 09.12.2004, 23:07 Titel: Re: W. F. Gutmann und die 'Frankfurter Evolutionstheorie' (FET) |
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Hi Martin,
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: |
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Abgesehen davon, daß ich Thomasens Auffassung in dieser Form nicht teilen kann, ... |
Welche meintest Du? Die Auffassung, dass Systemtheorien Wortgeklingel seien, oder bezüglich der positiven Prognose? (Ich stimme der Auffassung zur Hälfte zu: Ich sehe die positive Prognose nicht ;)) |
Komisch, Du wirst doch nicht ernsthaft annehmen, daß Molekularbiologie, Populationsgenetik und ein bißchen Allelverschiebung - gepaart mit Umweltselektion - schon alles ist? Selbst einige Vertreter der STE, wie z.B. Mayr, sehen ein, daß der eigentliche interessante Aspekt der Evolution - nämlich die Art und Weise, wie qualitative Neuheiten in der Evolution und Ontogenese entstehen - durch die Systembedingungen determiniert wird. |
aber wenn Du zu dem, was die STE (und vermutlich auch Du) nicht weißt, nur sagst, 'das System wird's schon richten', hast Du auch nichts zur Erklärung beigetragen. Das meine ich mit 'Wortgeklingel'.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Wenn wir schon bei Gutmann und dessen Kritikern sind:
Zitat: | Gewiß, einige Dinge gehören zurechtgerückt - da kann man Gutmann nur zustimmen (...) Vielleicht wird sogar gerade das Human Genome Project dazu beitragen, indem es endlich auch eingefleischten Genfreaks deutlich werden läßt, daß wir nach Vollendung des Projekts nicht wesentlich mehr über den Menschen wissen als zuvor und schon gar nicht mehr darüber, wie sich aus einer Zygote, die in ihrem Kern eine bestimmte DNA-Sequenz enthält, ein Mensch entwickelt (...) Kurzum: Das meiste, was interessant ist, ist in der Tat epigenetisch. |
Mahner, M. (1995): Hydraulischer Dies irae in Frankfurt. Ethik und Sozialwissenschaften 6, S. 336-339. |
Nun ja, das kannst Du mutatis mutandis auch bei Gutmann (IIRC im selben Heft) lesen, nur sagt der nicht unbedingt 'epigenetisch'.
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben: | Und was der abfällige Begriff "Wortgeklingel" anbelangt, sind wir uns doch einig, daß der höchstens im Wortschatz von Empiristen auftaucht, im postpositivistischen Wissenschaftszeitalter aber keine Überzeugungskraft haben kann. Was wären denn sonst all die postulierten Sachverhalte, die die Wissenschaft überhaupt erst interessant machen (wie z.B. "Raumkrümmung", "Farbladung" oder "Superstrings") anderes als ?Wortgeklingel?? Man sollte es also mit der empiristischen Kritik (die vor allem und fast nur noch in Kreationistenkreisen en vogue zu sein scheint), nicht zu sehr übertreiben. :wink:
Daß freilich die constraints aufgrund der komplexen Randbedingungen im Einzelnen noch nicht in dem Ausmaß erforscht worden sind, wie dies wünschenswert wäre, ist natürlich unstrittig. Das ist IMAO aber für alle anderen Wissenschaftsbereiche, in denen das Weltbild gegenwärtig aktiv erweitert wird, nicht anders. |
Formuliere einfach mal sauber durch, was Du unter 'System', 'Wechselwirkung' etc. verstehst, verbinde das mit 'Fleisch' im Sinne von Mechanismen und präsentiere das. Das kommt besser als irgendwelche Fachbegriffe, die nicht unbedingt in den Kontext passen. Das große Fass 'Kreationismus' hier aufzumachen ist wirklich nicht angebracht. Genauso wenig wie 'postpositivistisch' und so weiter. Das klingelt nur.
Grüßle
Thomas
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