staarmie registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.11.2003 Beiträge: 71
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(#211544) Verfasst am: 12.11.2004, 18:16 Titel: Koeppelgeklöppel: 18x Stuß |
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(kopiert aus dem telepolis-Forum, ich finde hier paßt es auch rein)
Wenn das kein guter Witz ist: ein Springer-Redakteur, der beim
Broder-Lesen Biermann hört. Anders kriegt man so einen Deluxe-Stuß
wohl kaum hin.
http://www.welt.de/data/2004/11/08/357435.html?search=Roger+Koeppel&searchHILI=1
Der Koeppel meint:
"Für die Einheitsfront der aufgeklärten euro-amerikanischen
Intellektuellen war die Sachlage schon kurz nach Bekanntgabe des
Erdrutschsiegs der Bush-Republikaner klar: "
#Stuß 1: ein "Erdrutschsieg" sieht anders aus. "Erdrutschsiege"
konnte vielleicht die SED verbuchen, aber keine Partei, die bis in
den späten Morgen auf ihren 51:49-Zittersieg warten mußte.
"und in der redaktionellen Berichterstattung darf sich der kanadische
Soziologe Richard Sennett widerspruchsfrei darüber verbreiten, daß er
in den USA doch tatsächlich einen "sanften Faschismus" aufkeimen
sieht. "
#Stuß 2: Warum sollte ein intelligenter Mensch dem widersprechen,
abgesehen von Profilierungsgründen und dem Gefühl, gegen den
"Mainstream" zu sein, wie es bei den Herren Koeppel und Biermann der
Fall sein dürfte. Eine Regierung, die die Todesstrafe fördert und die
Evolutionstheorie in Schulen verbieten will, hat so einiges an
faschistischen Tendenzen an sich.
"Mit anderen Worten: Die amerikanische Mehrheit hätte vor der Wahl
nur eingehend psychotherapiert werden müssen, um das falsche
Bewußtsein abzustreifen, "
#Stuß 3: diese Aussage geht sowohl in ihrem platt-ironischen Sinn an
der Realität vorbei, der unterstellt, daß die Bushwähler allesamt
gute, rational abgewogene Gründe hatten, als auch dann wenn sie ernst
gemeint wäre (was bei so einigen Gutmenschen der Fall sein dürfte).
Tiefverwurzelte tradierte Überzeugungen und zunehmendes Lagerdenken
lassen sich weder auf logisch-argumentative noch auf "therapuetische"
Weise so ohne weiteres erklären und beeinflussen.
"das sie daran hinderte, im Sinne von Richard Sennett, Michael Moore,
Bruce Springsteen, Hollywood, Osama Bin Laden, der "New York Times"
und einem überwiegenden Teil des linken Ost- und
Westküstenestablishments abzustimmen."
Och wie süß. Alle Pöhsen schön fein zusammen. Da merkt man den
Springer-Stallgeruch;). Natürlich gehört dazu das Bashing des
"Establishments" (soll den "kleinen Mann" ansprechen), die Erwähnung
OBLs (der von Bush viel eher profitiert als von Kerry --> #Stuß 4)
und im gleichen Atemzug Moore und Springsteen (die allerdings blöd
genug waren, nur diejenigen anzusprechen, die sowieso gegen Bush sind
- klar dasß das in die Hose gehen mußte) sowie Hollywood (dem
Ideologien und Präsidenten solange gepflegt am Arsch vorbeisurfen,
wie es Kohle zu machen gibt).
"Vielleicht zeigt sich im Duktus dieser gehässigen bis
durchgeknallten Analysen am anschaulichsten, warum das
Anti-Bush-Lager am Ende so deutlich verlieren mußte:"
#Stuß 5: Gehässiges und Durchgeknalltes gabs auf beiden Seiten, das
gehört zum Wahlkampf nun mal dazu wie das Rumgeprolle vor einem
Boxkampf. Wer Springsteen und Moore als "gehässig" basht und dabei
Kid Rock und Lynyrd Skynyrd auf der anderen Seite vergißt, hat
irgendwas nicht mitbekommen.
Daß die Behauptung, das "Anti-Bush-Lager" hätte "deutlich verloren"
Blödsinn ist, siehe unter #Stuß 1.
"Weil es einfach unerträglich ist, sich diesen selbstgerechten,
herablassenden und an den Realitäten vorbeidröhnenden Tonfall auf
Dauer anzuhören. "
Für eine Hälfte der US-Bevölkerung sowie den einen oder anderen
profilierungsbedürftigen Intellektuellen sind die Aussagen bestimmter
Leute in der Tat unerträglich. Für die andere Hälfte der
US-Bevölkerung waren die selbstgerechten, herablassenden und an den
Realitäten vorbeidröhnenden Lügen der Bush-Regierung und die
Jubelperserei von Fox und Co. unerträglich.
Aber das ist eigentlich klar.
#Stuß6 dagegen ist die Behauptung, daß eben deshalb soviele Leute
Bush gewählt haben, weil sie die "unerträglichen" Äußerungen der
Bushgegner nicht mehr hören konnten. Wer Bush wählen will, für den
sind solche Äußerungen per se unerträglich, während sie für
Kerry-Fans Ohrenzucker sind. Wahlen haben nun mal selten etwas mit
kritischem, rationalem Abwägen aller Fakten zu tun, ansonsten wären
Wahlkämpfe auf solche Fakten zugeschnitten und nicht plakativ.
Eigentlich ein guter Grund, das Wahlrecht ab 10 einzuführen.
"Allein mit ihren Kommentaren zur Niederlage dokumentierte die
säkulare Ost- und Westküstenelite, wie weit sie sich vom Common Sense
der gewöhnlichen Amerikaner entfernt hat. "
#Stuß 7: um "gewöhnlich" zu sein und einen allgemeingültigen "common
sense" zu haben, muß eine deutliche Mehrheit herrschen. 51:49 ist
nicht deutlich genug, um die 51 als "gewöhnlich" und die 49 als
"Elite" zu bezeichnen.
Interessant übrigens auch der negative Kontext von "säkular" in
Koeppels Aussage.
"Was hier als Extremismus gedeutet wird, ist im Grunde nichts anderes
als ein Triumph des Realismus in weiten Kreisen der Bevölkerung. "
#Stuß 8: Realismus wäre es, wenn Bush innenpolitisch die Lage der
Mehrheit der Bürger verbessern würde. In den Umfragen waren aber
"moralische Werte" ausschlaggebend. Und eine Wählerschaft, die
zunehmende Verschuldung des Staates, eine kränkelnde Wirtschaft und
eine katastrophale Außendarstellung ihres Landes in Kauf nimmt, wenn
der Präsident nur gegen Abtreibung und Schwulenehe und für die
Todesstrafe ist, würde ich nicht als realistisch bezeichnen.
"Die Amerikaner trauen Bush, weil er im Einklang mit ein paar
bewährten Traditionen der Realpolitik handelt und weil er sich so
verhält, wie sich andere vernünftige Menschen in vergleichbaren
Situationen verhalten würden."
#Stuß 9: Ein Realpolitiker sorgt für innenpolitische und
wirtschaftliche Stabilität und für eine sichere Einbindung seines
Staates in die internationale Gemeinschaft. Keinesfalls übernimmt er
sich außen mit Alleingängen, die seine Kapazitäten überfordern und
ihn in den Augen weiter Teile der Weltbevölkerung unbeliebt machen.
Keinesfalls setzt er "moralische Werte" über reale Werte, es sei denn
ihm geht es allein um Machterhalt. Und keinesfalls lügt er auf so
inkonsequente Weise, wie Bush es bei den wechselnden Begründungen des
Irakkrieges getan hat. Vernünftige Menschen verhalten sich anders.
Machiavelli würde über Bush den Kopf schütteln.
"Er hat auf die Terroranschläge vom 11. September, die das Land in
seinen Herzkammern trafen, mit Entschlossenheit und Härte reagiert."
#Stuß 10: Interessanterweise wählten die Leute in den "Herzkammern"
zu über 80% Kerry. Dagegen wählten diejenigen, die vom Terror nicht
betroffen waren, nämlich die ländliche Bevölkerung, überwiegend Bush.
Sowie
#Stuß 11: Durch den schlechten Witz von einem Irakkrieg wurde ein
Staat, der vorher mit Terroristen nichts am Hut hatte, zu einem
Übungs- und Rekrutierungsgebiet von Al Quaida. Anstatt den
Terroristen den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Bush ihnen noch
einen Spinnaker gesetzt (für Laien: zusätzliches Segel, das die
Geschwindigkeit des Bootes erhöht).
" Er hat das Risiko weder eingehen können noch wollen, daß sich der
Staatsterrorist Saddam Hussein und der Schwerverbrecher Osama Bin
Laden zu einer Zweckallianz gegen die USA verbünden mit unabsehbaren
Folgen. "
#Stuß 12: Saddam und Bin Ladens einzige Beziehung war ihre herzliche
Verachtung füreinander. Saddam war ein stinknormaler Diktator, dem es
um Macht, Kohle und Paranoia ging - ein säkularer Herrscher. Bin
Laden investiert seine Kohle in Fanatismus und koranduselige
Rachefantasien. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist, daß sie beide mal für
die USA arbeiteten - ansonsten waren ihre Interessen nahezu
entgegengesetzt. Wie unter #Stuß 11 gezeigt, wurde der Irak erst zur
Al Quaida-Spielwiese, als Saddam weg war.
"Seine Außenpolitik ist von ehrbaren Motiven getragen, von der Idee
der Freiheit und der Selbstbestimmung der Völker."
#Stuß 13: Es gibt viele Völker, die weder frei noch selbstbestimmt
leben. In Afrika z.b. Oder in Saudi-Arabien. Allein ehrbare Motive
können es also nicht sein, daß Bush ausgerechnet Irak und Afghanistan
auserwählt hat zur Befreiung. Und so richtig geklappt hat es auch
nicht, denn der Irak ist, wie erwähnt, zur Terroristensandkiste
geworden, und in Afghanistan herrschen außerhalb von Kabul
weitestgehend die gleichen strengen Sitten wie vor dem Krieg.
Außerdem hätte die Bushregierung wohl kaum Pipeline-Geschäfte mit den
Taliban angeleiert oder ihnen auch ur zugestimmt, wenn sie aus
altruistischen Motiven handelte, so wie Koeppel es unterstellt.
"Wobei die Frage, wann der Ernstfall vorliegt, nicht an
internationale Organisationen delegiert werden kann, denn diese sind
nur ein Derivat jener Friedensordnung, als deren Urheber sie sich
mißverstehen."
#Stuß 14: Koeppel will sagen, daß es besser sei, wenn die USA sich um
Probleme kümmerten, als wenn die UNO dies tun würde. Eine einzelne
Kriegspartei kann aber nicht objektiv feststellen, was ein Ernstfall
ist und was nicht. Daher kann das weltpolitisch für die Mehrheit der
Menscheit wichtigste Ziel in den nächsten 50 Jahren nur sein, die UNO
zu stärken und gleichzeitig von Lobbyisten soweit wie möglich
unabhängig zu machen. Eine Weltpolizei wird gebraucht, das ist schon
klar. Aber Polizei muß unabhängig und überparteilich sein. Das hat
Herr Koeppel nicht begriffen.
"Bush wurde gewählt, weil sich ein Großteil der Amerikaner mit seinen
Prinzipien identifizieren kann. Mit Extremismus hat das nichts zu
tun, und die Amerikaner sind nicht daran, zu einer
fundamentalistischen Nation zu werden."
#Stuß 15: Es kommt darauf an, was für eine Qualität diese Prinzipien
haben. Sind sie realistischer oder abstrakter Natur? Und wenn
moralische Werte für eine Hälfte der Bevölkerung wichtiger sind als
die Beschäftigung mit realen Problemen, dann halte ich das für
bedenkliche Prinzipien. Die USA sind sicher nicht so extremistisch
wie Saudi-Arabien, aber eine Gesellschaft, in der tendenziell
fundamental-religiöse Strömungen einen derartigen Einfluß haben, ist
von einer fundamentalistischen Entwicklung eher bedroht als zb das
"alte Europa".
"Sie halten es für wichtig, ein paar Traditionen hochzuhalten, von
denen sich die säkulare Elite Europas mit Vehemenz entfernen will."
Wieder eine psychologisch interessante Aussage: Koeppel spielt mit
dem gerade bei "Alteuropäern" verpönten Begriff "Elite", um erneut
den Begriff "säkular" in einem negativen Kontext erscheinen zu
lassen.
"Im übrigen ist Bush kein Gegner der Homosexuellen, nur weil er das
Konzept der Homo-Ehe kritisiert und statt dessen die zivile Bindung
als Rechtsschutz für ausreichend hält."
# Stuß 16: aus welchen Gründen sollte er die Homoehe zugunsten der
weitaus unsichereren "zivilen Bindung" ablehnen, wenn nicht aus
Gründen der Gegnerschaft? Davon ab ist es ziemlich egal, ob Bush
tatsächlich gegen Homosexuelle ist - wichtig ist, daß seine Wähler
diese nicht mögen und er das berücksichtigen muß.
"Wie sehr sich das medialgouvernementale Establishment Europas
mittlerweile um die gesellschaftspolitischen Dogmen der 68er-Bewegung
schart,"
Und wieder psychologisch interessant: Koeppel verwendet den von den
68ern als Totschlagargument geprägten Begriff des Establishments, um
genau diese in einem negativen Licht erscheinen zu lassen - logisch
eigentlich, denn die unterschwellige Ablehnung des "kleinen Mannes"
gegen das Establishment bleibt - "die da oben" sind immer die Bösen,
selbst wenn sie mal 68er waren. Jetzt sind sie selber oben und
vertreten genau die Positionen, gegen die sie früher mal waren - aber
Koeppel wirft ihnen immer noch ihre früheren Ideale vor. Schon
clever, sowas.
(dazu die negative Erwähnung von "Dogmen", obwohl Dogmen nichts
anderes sind als Prinzipien. Und diese lobte Koeppel weiter oben
noch. Man braucht nur zwei Begriffe für einen Sachverhalt, und schon
läßt er sich mal positiv, mal negativ rüberbringen.).
"Statistiken belegen zweifelsfrei, daß ein fehlgeleiteter politischer
Interventionismus die Familie als Kernzelle erfolgreicher
Gesellschaften auszuhöhlen droht. Es hat doch überhaupt nichts mit
Frauenfeindlichkeit zu tun, wenn man daran erinnert, daß es ein Ziel
staatlicher Tätigkeit sein sollte, nicht zusätzliche Anreize für
auseinanderbrechende Lebensgemeinschaften zu schaffen. "
#Stuß 17: Statistiken belegen ebenso zweifelsfrei, daß Kinder aus
"Patchwork-Familien" oder von Alleinerziehenden früher selbständig
und selbstbewußt werden, was für spätere berufliche und soziale
Erfolge von großer Bedeutung ist. Weiterhin halte ich es für besser,
wenn ein Kind bei einer ausgeglichenden Alleinerziehenden aufwächst
als in einer zerrütteten, nur durch finanzielle Zweckmäßigkeit
zusammengehaltenen Ehe. Das hat weniger etwas mit Frauenfeindlichkeit
als mit Kinderfeindlichkeit zu tun. Das Phänomen "schnell
auseinanderbrechende Lebensgemeinschaften", das in den letzten
Jahrzehnten in der sog. westlichen Welt aufgekommen ist, ist sicher
nichts Schönes. Aber die Holzhamermethode des finanziellen Zwangs ist
besonders für die Kinder einer solchen Zweckgemeinschaft genau die
falsche. Und wir wollen doch alle an die Kinder denken, nicht wahr?
"Wer die jüngsten Wertedebatten auf europäischem Parkett verfolgt,
muß zu gegenteiligen Schlüssen kommen. Die Gerichtshöfe der Moral
funktionieren in Europa härter als in Amerika."
#Stuß 18: Nein. Sie funktionieren nur nach anderen Prinzipien. Wer
wie Buttiglione Prinzipien des europäischen Konsens angreift, oder
wer die Berechtigung von Betriebsräten oder die Zuwanderung
kritisiert, muß in Europa mit teilweise übers Ziel hinausschießenden
Reaktionen rechnen, das ist wahr. Aber Amerika reagiert ähnlich. Die
Ausbrüche von Fernsehpredigern, Talkmastern oder Fox-Kommentatoren
sind in ihrer Heftigkeit der europäischen "Wut der Ertrinkenden" sehr
ähnlich. Beide berufen sich auf Moral und Ethik. Aber die europäische
Moral und die europäische Ethik (und die von 49% der Amerikaner), bei
all ihren vorläufigen Schwächen und Widersprüchen, sind für mich
realistischer und berechenbarer als die der amerikanischen
Nahezu-Fundamentalisten - einfach weil sie säkularer (was für Koeppel
etwas Negatives zu sein scheint) sind und stärker an humanistischen
Gesichtspunkten wie der Ablehnung der Todesstrafe orientiert.
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