caballito zänkisches Monsterpony
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 12112
Wohnort: Pet Sematary
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(#236356) Verfasst am: 01.01.2005, 19:37 Titel: Betroffenheit |
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Aus gegebenem Anlass mal ein paar unausgegorene Gednken zum Thema "Betroffenheit" und wieso sich mir bei dem allfälligen betroffen sein was kräuselt ...
Zuallererst mal die Frage: Was soll das denn für ein Gefühl sein, diese "Betroffenheit"? Was heißt es, wenn jemand sagt "Ich bin von XYZ betroffen"? Und was ist der Unterschied zu Mitleid? Und was hat beides mit Empathie zu tun? Und siehe da, ein Unterschied springt ins Auge: Denn wenn ich in der Angelegenheit XYZ Mitleid habe, dann habe ich dieses mit der Person P, die von XYZ betroffen (wirklich betroffen!) ist. Zeugt nun aber nicht Betroffenheit von größerer Empathie als bloßes Mitleid? Ich denke nicht - im Gegenteil! Den Mitleid heißt ja, mit dem Leidenden Mit-Leiden, sein Leid (das nach wie vor das des anderen ist!) teilen - und lindern!
Betroffen sein dagegen heißt, das Leid zu seinem eigenen machen ... Wie Bitte? Nehmen wir mal als Beispiel, XYZ sei, dass Ps Großmutter gestorben ist - ich kann mit P mitfühlen, kann nachvollziehen, wie ihn der Tod seiner Großmutter schmerzt, kann seine Trauer teilen, ihm Trost spenden, was immer - aber wie sollte ich um sie trauern, wie sollte ich selber einen Verkust empfinden, wo ich doch gar nichts verloren habe? Es ist und bleibt Ps Großmutter, Ps Schmerz, Ps Trauer, Ps Verlust. Wie um alles in der Welt könnte ich behaupten, dass es meine Trauer sei, das ich betroffen sei ... hieße dass nicht, Ps Emotionen zu stehlen? Das Einzige, wovon ich betroffen sein kann, ist doch Ps Trauer -z.B. wenn er sich bei mir ausheult-, aber nie und nimmer der Tod seiner Großmutter.
Ich habe hier bewusst einen Trauerfall als Beispiel genommen, weil dabei etwas ganz besonders deutlich wird: Ps Trauer gilt seiner Großmutter, aber mein Mitleid gilt P - nicht seiner Großmutter!
Wem gilt die Betroffenheit? "Ich habe Mitleid mit P, der von XYZ betroffen ist", aber "Ich bin betroffen von XYZ" - Die Betroffenheit gilt dem Ungklück selbst, der Leidende wird überflüssig und kann aus der Gleichung eliminiert werden. Und genau an der Stelle kräuselt es sich ... Mitleid setzt immer beim Leidenden an, ist etwas persönliches - Betroffenheit aber kann wunderschön unpersönlich abstrakt sein. Und das ist unerhört praktisch - denn einerseits ist Betroffenheit so, anders als Mitleid, für jeden zu haben, und anderseits, weil es ja ein eigenes Gefühl ist, reicht es auch, einfach nur betroffen zu sein, man braucht sich nicht, wie der Mitleidene, um den Leidenden zu kümmern. Steckt das hinter der allfälligen Mitleidsrhethorik? Betroffenheit als entpersonalisiertes, abstrahiertes Instant-Mitleid-Surrogat-Extrakt, schnell, billig und schmerzarm? Dafür aber, eben wegen des fehlenden persönlichen Bezugs, leicht von jedermann und in Massen praktizierbar? Quantität statt Qualität?
Nun, vielleicht würde das sogar die Intoleranz gegen jene erklären, die sich dieser kollektiven Betroffenheitsshow verweigern, wer weiß ...
Oder ist es völlig anders. Vielleicht hat Betroffenheit ja auch überhaupt nichts mit Mitleid zu tun? Denn wenn ichs recht überlege - selbstverständlich bin ich, und zwar zutiefst persönlich, von jedweder Katastrophe betroffen, nämlich in meiner eigenen Verletzlichkeit, in dem unvermeidlichen Gedanken: Du könntest einer von denen sein. Ich denke, dieses Gefühl trifft wirklich jeden angesichts einer solchen Katastrophe. Aber natürlich ist das eine ganz und gar egoistische Empfindung: der Horror vor der eigenen Verwundbarkeit, die Angst vor der eigenen Sterblichkeit ...
Kann es sein, dass in Wirklichkeit diese Empfindung hinter all der Betroffenheit steckt? Und dass sie nur als vermeintliche Trauer erscheint als Ergebnis einer zweifachen Verdrängung? Einmal der Verdrängung eben der eigenen Verwundbarkeit, indem man die Angst vor der eigenen Sterblichkeit zur Trauer um die Toten uminterpretiert? Und zum Zweiten der Verdrängung dessen, dass man an sich selber gedacht hat, weil man sich dessen schämt, angesichts des Unglücks anderer - indem man diese Scham zum Mitgefühl uminterpretiert?
Ist vor diesem Hintetrgrund womöglich das zelebrieren dieser Betroffenheit eine Art "Reinigungsritual" zur Bewältigung unbewusster Schuldgefühle? Und rührt die Intoleranz gegen Verweigerer daher? Wer weiß ...
_________________ Die Gedanken sind frei.
Aber nicht alle Gedanken wissen das.
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Ralf Rudolfy Auf eigenen Wunsch deaktiviert.
Anmeldungsdatum: 11.12.2003 Beiträge: 26674
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(#236371) Verfasst am: 01.01.2005, 20:22 Titel: |
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Noseman hat folgendes geschrieben: | Am schlimmsten und kontraproduktivsten finde ich Betroffenheit in Form von verordnetet "Betroffenheitspädagogik". |
Und vor allem in Form öffentlicher Zurschaustellung, sei es durch Betroffenheitsreden von Politikern, sei es durch Schweigeminuten. Ich empfand das gerade anläßlich des WTC-Anschlags als eine besondere Zumutung. Am meisten sind da ja Peter Struck verbal die Sicherungen rausgeknallt mit seinem "Heute sind wir alle Amerikaner".
_________________ Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk. (Carl Schmitt)
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Nordseekrabbe linker Autist
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 31152
Wohnort: Dresden
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(#236394) Verfasst am: 01.01.2005, 21:17 Titel: Re: Betroffenheit |
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caballito hat folgendes geschrieben: |
Wem gilt die Betroffenheit? "Ich habe Mitleid mit P, der von XYZ betroffen ist", aber "Ich bin betroffen von XYZ" - Die Betroffenheit gilt dem Ungklück selbst, der Leidende wird überflüssig und kann aus der Gleichung eliminiert werden. |
Betroffenheit, so wie ich sie verstehe, is ein Gedankengang, der sich gerade an den/diejenigen richtet, der von einer bestimmten Sache, einem bestimmten Vorgang direkt und am allermeisten betroffen ist.
_________________ Autismus macht kein Urlaub.
"Seid unbequem. Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt." (Günter Eich)
"Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir für die Welt wünschst." (Mahatma Gandhi)
"Soldaten sind Mörder." (Kurt Tucholsky)
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