Freigeisterhaus Foren-Übersicht
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   NutzungsbedingungenNutzungsbedingungen   BenutzergruppenBenutzergruppen   LinksLinks   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Schaut her: die bösen, bösen Kinder sind schuld!

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Politik und Geschichte
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
Prometeus
registrierter User



Anmeldungsdatum: 30.07.2003
Beiträge: 34

Beitrag(#250852) Verfasst am: 27.01.2005, 20:08    Titel: Schaut her: die bösen, bösen Kinder sind schuld! Antworten mit Zitat

Sechzig Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die vorrückende „rote Armee“ versammeln sich Berufspolitiker und hauptberufliche Verbandsfunktionäre aller Couleur zum symbolträchtigen „Gedenken“ an die Opfer. Besonders die Gedenkveranstaltungen, die im öffentlich- rechtlichen Fernsehen ihren Widerhall finden sind besonders gefragt. Und wie immer bei solchen zelebrierten Anlässen sitzen Kardinal Lehmann, der Zentralratsvorsitzende Spiegel und Bischof Huber mit ernsten Minen einträchtig nebeneinander in der ersten Reihe, von den Fernsehkameras in Nahaufnahme eindrucksvoll bestätigt. Was sollen uns diese Bilder sagen? Etwa, dass 60 Jahre „danach“ das Thema „Schuld & Sühne“ nebst der zugehörigen politisch korrekten Sprachregelung von allen Beteiligten auf der rhetorischen Tastatur fehlerfrei beherrscht wird? Ausrutscher werden gnadenlos bestraft: Jenninger und Hohmann stehen noch immer wie bedrohliche Kometen am Himmel.

Insofern verwundert es nicht dass ausgefeilte Erklärungen aller Art diesen bedeutungsschwangeren Tag begleiten. Verbandsjuristen feilen wochenlang an ebenso brillanten wie nichtssagenden Texten, die dann durch sich zu diesem Zweck eigens versammelte Gremien abgenickt den Printmedien und den Nachrichtenagenturen zum Fraß vorgeworfen werden. Das Interesse der Bevölkerungsmehrheit an diesen Erklärungen hält sich angesichts eines gleichzeitig durch die Medien beachteten Schiedsrichter- Skandals beim DFB in engen Grenzen.

Dennoch versäumt es die katholische deutsche Bischofskonferenz nicht auch ihre eigene „Erklärung“ abzugeben. Rechtzeitig zum 27. Januar 2004 ist dieses in 4 Kapitel aufgeteilte Dokument auch auf kath.-net (1) zu bestaunen. Der interessierte Beobachter denkt sich seinen Teil und liest ihn aufmerksam durch um festzustellen inwieweit sich die Kirche zu ihrer eigenen Rolle und ihrer Mitschuld bezüglich der „Shoah“ bekennt. Im zweiten Absatz des dritten Kapitels glaubt er endlich fündig zu werden:

<i>„Die Frage von Mitverantwortung stellt sich auch unserer Kirche. Wir sind gehalten, uns über eine lange Tradition des Antijudaismus unter den Christen und in unserer Kirche Rechenschaft abzulegen.“</i>

Das macht Hoffnung! Wir wollen geflissentlich darüber hinwegsehen, dass die innerkirchliche Sprachregelung unterscheidet zwischen (politischem und gesellschaftlichen) „Antisemitismus“ und (religiösem) „Antijudaismus“. Dieser in kirchlichen und kirchenhistorischen Verlautbarungen sehr beliebten Vivisektion widerspricht die gesamte moderne Antisemitismusforschung, die auf die fortdaurnde Wirkung des religiösen „Antijudaismus“ auch im politisch und rassisch motivierten Antisemitismus hinweist. Aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten und lesen weiter:

<i> „So hat das vatikanische Dokument „Wir erinnern“ im März 1998 die Frage aufgeworfen, „ob die Verfolgung der Juden nicht doch auch von antijüdischen Vorurteilen begünstigt wurde, die in den Köpfen und Herzen einiger Christen lebendig waren“. </i>

Aha! Der Antijudaismus“ fand also statt in den „Köpfen und Herzen einiger Christen“. Was bitte schön hat dann die „Kirche“ damit zu tun? Etwa gar nichts? War da nicht die katholische Kirche schon mal weiter? Die Erklärung der deutschsprachigen Bischofskonferenzen 1988 besagte:

<i>„Wir müssen die Last der Geschichte annehmen...Denn die Geschichte ist nicht etwas Äußerliches, sie ist Teil der eigenen Identität der Kirche und kann uns daran erinnern, daß die Kirche, die wir als heilig bekennen und als Geheimnis verehren, auch eine sündige und der Umkehr bedürftige ist".</i>

Hier wird eindeutig die „heilige Kirche“ als „sündig“ bezeichnet und man versucht nicht die Schuld auf die „Gläubigen“, die „Kinder der Kirche“ abzuwälzen. Aber offensichtlich weht nun ein anderer Wind aus Rom. Deshalb auch der folgende Rückzug auf die päpstliche Position:

<i>„Das Schuldbekenntnis der Katholischen Kirche, vor aller Welt am 12. März 2000 von Papst Johannes Paul II. ausgesprochen, enthält auch das „Schuldbekenntnis im Verhältnis zu Israel“: „Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Verheißungen begangen haben“. </i>

„Leiden“ die dem „Volk Israel auferlegt wurden“ ist eine nicht nur falsche, sondern eine widerliche und zynische Umschreibung für einen geschichtlich einmaligen organisierten Massenmord. Und schuld ist etwa die Kirche? Mitnichten! Also „die Christen“! Das gemeine „Christenvolk“ trägt also die Verantwortung, während sich der Klerus „die Hände in Unschuld wäscht“? Entspricht das den Tatsachen? Das erinnert doch sehr stark an sektentypische Verhaltensweisen. Als im Jahr 1975 das prophezeite „Harmaggeddon“ nicht eintraf, verlagerten die Verantwortlichen der „Wachtturm-Gesellschaft“ der „Zeugen Jehovas“ auch kurzerhand die Verantwortung für den Mißgriff auf „die falsche Erwartungshaltung einiger Brüder“, als ob sie nicht selbst in ihrer eigenen Literatur jahrelang „das Ende“ gepredigt hätten.

War der Klerus also nicht beteiligt? Bezeichnenderweise urteilte der Freiburger Erzbischof Gröber noch im März 1941 als die „Endlösung“ schon zur Perfektion heranreifte in einem Hirtenbrief:“ Über Jerusalem gellt indessen der wahnsinnige, aber wahre Selbstfluch der Juden: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!« Der Fluch hat sich furchtbar erfüllt. Bis auf den heute laufenden Tag.“ Die Katholische Kirchenzeitung der Erzdiözese Köln urteilte einen Monat später (2): "Es gibt nur wenige Männer und zu diesen großen Männern gehört unstreitig der Mann, der heute seinen 52Geburtstag feiert - Adolf Hitler - Am heutigen Tag versprechen wir ihm, daß wir alle Kräfte zur Verfügung stellen, damit unser Volk den Platz in der Welt gewinnt, der ihm gebührt.“ Kardinal Faulhaber meinte dazu: „Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott. Er anerkennt das Christentum als den Baumeister der abendländischen Kultur“. Papst Pius XII ergänzte: „Ich wünsche dem Führer nichts sehnlicher als einen Sieg.“ Daher konnte Katholik Hitler auch in zynischer Selbstgerechtigkeit feststellen: „Ich tue nur, was die Kirche seit fünfzehnhundert Jahren tut, allerdings gründlicher“ und: „Indem ich mich des Juden erwehre, vollbringe ich das Werk des Herrn“

Im Jahr 1998 veröffentlichte die vatikanische "Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden" das Dokument „Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah" in der die Schuld an der „Shoah“ etwa einem „typisch neuheidnischen Regime“ angelastet wird, als ob die Täter nicht fast ausnahmslos getaufte Christen gewesen wären. Der jüdische Gelehrte Richard L. Rubenstein, der im Angesicht der Shoah seinen Gottesglauben verlor meinte dementgegen:<i> „Der Nazismus kann nicht als neues Heidentum angesehen werden...Der Nazismus war dialektisch verneintes häretisches Christentum. Wären die Deutschen echte Heiden gewesen, die alten heidnischen Tugenden der Mäßigung und Beschränkung wären bei ihnen stärker ausgeprägt gewesen, als das tatsächlich der Fall war." </i>(3)

Der Theologe und Schriftsteller Herbert Jochum zieht in seiner Analyse zur vatikanischen Stellungnahme unter dem Titel: „Die Mutter Kirche, die ihre Kinder schuldig spricht“ folgendes vernichtende Fazit:

<i>„Die Kirche muß ihre Schuldgeschichte eines Jahrhunderte langen kirchlichen Antijudaismus, der wesentliche Voraussetzung der Shoah wurde, wahrnehmen und aufarbeiten (1. Schuld).
Die Kirche muß ihre Schuldgeschichte aus der Zeit des Nationalsozialismus, ihr Versagen, ihren fehlenden Mut, ihre Selbstbezogenheit u.a. wahrnehmen und aufarbeiten (2. Schuld).
Die Kirche muß ihre Schuldgeschichte aus der Zeit nach der Shoah wahrnehmen und aufarbeiten, wie sie mit der Schuld umging, wie sie ihr Heil im Verschweigen und Verdrängen, im Aufrechnen und Relativieren suchte, daß sie als Kirche keine Liturgie, kein Ritual, kein Formular schuf, das ein Schuldbekenntnis ihr und denjenigen ermöglicht hätte, die gerne ihre Schuld bekannt hätten, aber keine Sprache fanden. Das Judentum hat sich den Jom HaShoah , die Synagoge eine Jom HaShoah-Liturgie geschaffen, die Namen der großen Vernichtungslager erscheinen plötzlich im ergreifenden Gesang des El Male Rachamim. Kirche, die ein Amt als Gemeinschaft der Vergebung erhalten hat, lehren soll, wie man vergibt und Vergebung erbittet, hat auch hier wieder versagt. (3. Schuld).
Der Kirche dieses Vatikanischen Dokuments kann nicht vergeben werden.“ </i>(4)

In nahezu unverschämten und realitätsfernem Kontrast dazu die Einschätzung der katholischen Bischofskonferenz in ihrer „Erklärung“: <i>„Dieser Akt von Papst Johannes Paul II. ist zu einer Quelle der Erneuerung geworden. Entschlossen schreitet der Papst im Bemühen um eine Verbesserung des Verhältnisses zum Judentum voran und ermutigt die ganze Kirche, gemeinsame Wege mit unseren "älteren Brüdern im Glauben" zu finden.“</i>

Hätte die deutsche katholische Bischofskonferenz auf dieses Papier verzichtet, es hätte niemand vermisst. Den „Kindern der Kirche“ die Schuld in die Schuhe zu schieben und sich selbst als „heilige Kirche“ von Schuld freizusprechen wird das Ansehen der katholischen Kirche in Europa nicht stärken, sondern dazu führen, dass solcherlei Uneinsichtigkeit einfach mit Nichtbeachtung bestraft wird.
(pt2005)


Gruß v. Prometeus
_________________
Wer den Knüppel in der Hand hält schreibt auch die Geschichtsbücher!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Website dieses Benutzers besuchen
Quéribus
Eretge



Anmeldungsdatum: 21.07.2003
Beiträge: 5947
Wohnort: Avaricum

Beitrag(#250889) Verfasst am: 27.01.2005, 21:38    Titel: Antworten mit Zitat

1. trifft der Begriff "Befreiung" eigentlich nicht richtig zu, da sich die SS vor dem Eintreffen der Roten Armee längst aus dem Staub gemacht hatte und auch einen Großteil der Häftlinge in andere Lager "verlegt" hatte. In Auschwitz selbst verblieben nur etwa 7000, überwiegend Kranke, zum Transport zu Schwache und ein paar Kinder

2. war es keineswegs eine Priorität der Roten Armee gewesen, das Lager zu befreien, sondern es lag halt sozusagen auf dem Weg nach Berlin. Das war nämlich das eigentliche Ziel: Berlin einnehmen und den Krieg gewinnen

3. falls du die Übertragung der Gedenkfeierlichkeiten aus Auschwitz gesehen hast, wirst du festgestellt haben, daß es eben keineswegs nur eine von Breufspolitikern abgehaltene Pflichtveranstaltung war.
z.b. Simone Veil ist zwar Politikerin, sie war aber auch ca. 18 Monate lang Deportierte, unter anderem in Auschwitz (allerdings bei dessen Befreiung vorher nach Bergen-Belsen gebracht worden).
_________________
"He either fears his fate too much
or his deserts are small
That dares not put it to the touch
To gain or lose it all."
James Graham
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Quéribus
Eretge



Anmeldungsdatum: 21.07.2003
Beiträge: 5947
Wohnort: Avaricum

Beitrag(#250892) Verfasst am: 27.01.2005, 21:42    Titel: Antworten mit Zitat

nachtrag:
der Erzbischof von Paris, Lustiger, der auch unter den Rednern war, hat durch die Shoah mehrere Familienmitglieder verloren.

also auch unter den anwesenden Klerikern (na gut, zu dem Zeitpunkt war er noch keiner...) nicht nur Heuchler und Pflichtübung-abziehende.
_________________
"He either fears his fate too much
or his deserts are small
That dares not put it to the touch
To gain or lose it all."
James Graham
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Prometeus
registrierter User



Anmeldungsdatum: 30.07.2003
Beiträge: 34

Beitrag(#251112) Verfasst am: 28.01.2005, 13:10    Titel: Antworten mit Zitat

Guten Morgen Quéribus,

ich stimme dir in allen Punkten zu. Allerdings hatte ich auch nicht unterstellt, dass ausschließlich(!) die falschen Leute an solchen Events teilnehmen. Im Gegenteil. Dass es noch Zeitzeugen gibt, die in der Lage sind dort teilzunehmen ist ein deutliches Zeichen an all diejenigen die das Unaussprechliche zu relativieren, zu verharmlosen und die religiösen Wurzeln des Antisemitismus verleugnen wollen.

Gruß Prometeus
_________________
Wer den Knüppel in der Hand hält schreibt auch die Geschichtsbücher!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden E-Mail senden Website dieses Benutzers besuchen
Quéribus
Eretge



Anmeldungsdatum: 21.07.2003
Beiträge: 5947
Wohnort: Avaricum

Beitrag(#251126) Verfasst am: 28.01.2005, 14:27    Titel: Antworten mit Zitat

Nun, Simone Veil meinte in einem Interview, daß dies für viele Zeitzeugen wohl das letzte Mal gewesen sein daß sie an einer solchen Gedenkfeier teilgenommen haben, sie werden schließlich nicht jünger.....
Deshalb sei es umso wichtiger, daß die nachkommenden generationen erfahren, was da passiert ist, damit es nicht wieder vorkommt. Allerdings sei es weniger ein "devoir de mémoire" (Pflicht zur Erinnerung, in etwa), das oft und gern angeführt werde, es gehe eher um ein "devoir d'éducation" (eine Pflicht zur Bildung, Erziehung).

Sie und eine ihrer Schwestern haben Auschwitz überlebt, allerdings ihre Mutter dann in Bergen-Belsen verloren (die dritte der Schwestern war ebenfalls deportiert worden, da in der Résistance und hat es ebenfalls überlebt), sowie ihren Bruder und den Vater, die an eine anderen Ort deportiert worden waren.
_________________
"He either fears his fate too much
or his deserts are small
That dares not put it to the touch
To gain or lose it all."
James Graham
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Politik und Geschichte Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.



Impressum & Datenschutz


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group