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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1016887) Verfasst am: 07.06.2008, 08:57 Titel: Ist die Relativitätstheorie eine Erweiterung der Newtonschen Mechanik? |
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In einem 'Interview' (ich habe irgendwo gelesen, dass Berlinski [DB] sich selber die Fragen stellt) fand ich folgende Darstellung zum Vergleich Newton-Mechanik und Relativitätstheorie:
Berlinski hat folgendes geschrieben: | DB: Let's try and be just a little bit more precise. What's a theory, for example? Now I'm an old logic hand and the only answer I know is that a theory in the physical sciences is just like a theory in mathematical logic - a consistent set of sentences satisfied in a model. Not the best way of putting things, but so far as I know, the only good way. Now take Newtonian mechanics and compare it to general relativity. Is it true that GR is a consistent extension of Newtonian mechanics?
... Surely many physicists would say so ...
DB: Yes, and they would be wrong. Newtonian mechanics is committed to the view that the spatial structure of the universe is classically Euclidean. Not so GR. Newtonian mechanics holds that if you accelerate a rigid rod, neither its length nor certain temporal intervals will change. GR holds the opposite. But why am I telling you all this. It's obvious.
... But Mr. Berlinski, no one would deny these points? GR is an extension of Newtonian mechanics. It goes further and because it does, we see better ...
DB: An extension, maybe, but a consistent extension? Never. Consistent? If so, then Newtonian mechanics and GR must be satisfied in the same model by the compactness theorem. But how can a single mathematical model satisfy the postulates of both theories? It just can't be done. No, no, I'm not appealing to anything like a paradigm shift. It's perfectly possible to compare Newtonian mechanics and GR. One theory is better than the other. It explains more. It reaches for deeper principles. It is more elegant. I';m talking about Newtonian mechanics, of course. But the intersection of the set of sentences in both theories is inconsistent and so satisfied in no model whatsoever. If this is so, then the whole image of science as a cumulative structure breaks down. What one really has is a collection of cathedrals on a kind of fruited plane. Some are taller and grander than others, others are smaller and more elegant. No one cathedral is really built on top of the other. |
Berlinski stellt das in einen größeren Zusammenhang: er behauptet, dass die These, dass neue Theorien auf alten aufbauen und diese 'nur' erweitern, eine Immunisierungsstrategie ist. Denn in diesem Fall müsste man nicht nur die neueste Theorie widerlegen, sondern alle Theorien, auf denen diese aufbaut. Nun meint Berlinski, durch dieses Beispiel ein Argument gegen ein Wachstum des Wissens zu haben, das auf Erweiterung aufbaut.
Ich kenne mich in Physik nicht besonders aus. Kann jemand den kopierten Abschnitt beurteilen?
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1016891) Verfasst am: 07.06.2008, 09:23 Titel: |
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mE hat B im wesentlichen recht. Die gennanten Theorien bauen im axiomatischen Sinne keineswegs aufeinander auf, sodern sind unterschiedliche "Gebäude".
Das Einzige, was kumuliert, ist die Breite und Tiefe der guten Voraussagen.
Ein Problem stellt das nach meiner Erfahrung vor allem für Leute da, die hinter der Theorie oder gar hinter der Formel etwas angenähert Reales sehen.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele, etwa die Entwicklung der QED aus QM, ED und SRT.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1016900) Verfasst am: 07.06.2008, 09:40 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | mE hat B im wesentlichen recht. Die gennanten Theorien bauen im axiomatischen Sinne keineswegs aufeinander auf, sodern sind unterschiedliche "Gebäude".
Das Einzige, was kumuliert, ist die Breite und Tiefe der guten Voraussagen.
Ein Problem stellt das nach meiner Erfahrung vor allem für Leute da, die hinter der Theorie oder gar hinter der Formel etwas angenähert Reales sehen.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele, etwa die Entwicklung der QED aus QM, ED und SRT. |
danke für Deine Antwort.
Für mich ist das aus dem Grund interessant, weil man in der Evolutionsliteratur seit einigen Jahren immer wieder die Bemerkung findet, dass die modernen Theorien die Selektionstheorie zu dem machen würden, was die RT die Newton-Mechanik gemacht hat. Dazu muss ich natürlich erst mal wissen, wie das Verhältnis der beiden physikalischen Theorien zueinander ist.
Genauso interessant ist Folgendes, was man eher selten findet: Kants Philosophie fußt auf der Newton-Mechanik. Kant ging, wie viele Menschen damals, davon aus, dass nun das letzte Wort hinsichtlich bestimmter Themen ('Raum', 'Zeit') gesprochen sei. Ähnlich war es mit der Selektionstheorie. Evolution galt mechanismisch als geklärt.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
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Jan registrierter User
Anmeldungsdatum: 29.10.2004 Beiträge: 440
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(#1016901) Verfasst am: 07.06.2008, 09:42 Titel: |
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Übersieht Berlinski nicht total den geschichtlichen Aspekt? Ohne Newtonscher Mechanik (und Elektrodynamik) wäre nie die ART entstanden. Die Theorien bauen also nicht logisch aufeinander auf, sondern geschichtlich. Man könnte sagen: Newtons Kathedrale wurde abgerissen um am selben Ort eine größere zu bauen. (Die aber natürlich an die alte erinnert.)
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Wraith diskordianischer Papst
Anmeldungsdatum: 24.06.2007 Beiträge: 3189
Wohnort: Regensburg
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(#1016906) Verfasst am: 07.06.2008, 09:53 Titel: |
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Jan hat folgendes geschrieben: | Übersieht Berlinski nicht total den geschichtlichen Aspekt? Ohne Newtonscher Mechanik (und Elektrodynamik) wäre nie die ART entstanden. Die Theorien bauen also nicht logisch aufeinander auf, sondern geschichtlich. Man könnte sagen: Newtons Kathedrale wurde abgerissen um am selben Ort eine größere zu bauen. (Die aber natürlich an die alte erinnert.) |
Eine viel größere, aber der Teil der den Platz der ursprünglichen Kathedrale einnimm sieht (für das menschliche Auge) genauso aus wie diese, auch wenn sie aus anderen Materialien gefertigt wurde.
_________________ "Das ganze Problem ignorieren. Wenn man so tut, als ob es nicht existiert, glaubt es das vielleicht auch."
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1016909) Verfasst am: 07.06.2008, 09:57 Titel: |
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Jan hat folgendes geschrieben: | Übersieht Berlinski nicht total den geschichtlichen Aspekt? Ohne Newtonscher Mechanik (und Elektrodynamik) wäre nie die ART entstanden. Die Theorien bauen also nicht logisch aufeinander auf, sondern geschichtlich. Man könnte sagen: Newtons Kathedrale wurde abgerissen um am selben Ort eine größere zu bauen. (Die aber natürlich an die alte erinnert.) |
Das ist sicher richtig. Die Ideengeschichte ist im allgemeinen sogar hoch interdisziplinär.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1017133) Verfasst am: 07.06.2008, 14:48 Titel: |
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Jan hat folgendes geschrieben: | Übersieht Berlinski nicht total den geschichtlichen Aspekt? Ohne Newtonscher Mechanik (und Elektrodynamik) wäre nie die ART entstanden. Die Theorien bauen also nicht logisch aufeinander auf, sondern geschichtlich. Man könnte sagen: Newtons Kathedrale wurde abgerissen um am selben Ort eine größere zu bauen. (Die aber natürlich an die alte erinnert.) |
hmmm, das mit Abreißen und neu bauen trifft es nicht, denn man verwendet, um in Deinem Bild zu bleiben, ja beide Kathedralen.
Man kann auch behaupten, dass die Entzauberung der Natur durch das Christentum (streng genommen, sogar schon durch das AT) die Grundlage der modernen Naturwissenschaft ist. Selbst wenn man das anerkennt, heißt das noch lange nicht, dass wir heute noch einen Gott in den Naturwissenschaften benötigen.
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Der Christengott ist immens schwach!
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1017155) Verfasst am: 07.06.2008, 16:00 Titel: |
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Eben, aber da sind wir uns wohl alle einig. Obwohl Einsteins Mutter in der Kausalkette der Entstehung der ART eine Rolle spielte, benötigt die ART nicht Einsteins Mutter.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
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(#1018155) Verfasst am: 08.06.2008, 21:26 Titel: |
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Ich hätte noch nie gehört, dass irgendwer die RT als Erweiterung der NM auffassen würde.
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1018920) Verfasst am: 09.06.2008, 15:35 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | mE hat B im wesentlichen recht. Die gennanten Theorien bauen im axiomatischen Sinne keineswegs aufeinander auf, sodern sind unterschiedliche "Gebäude".
Das Einzige, was kumuliert, ist die Breite und Tiefe der guten Voraussagen. |
Es gibt doch aber semantische und begriffliche Überschneidungen zwischen beiden "Gebäuden". Man kann auch sagen, die Newtonsche Physik ist ein Spezialfall der QM/RT. Die Aussage, dass hier zwei völlig verschiedene Theorien-"Gebäude" vorliegen, die nichts miteinander zu tun haben, scheint daher nicht zutreffend zu sein.
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1018926) Verfasst am: 09.06.2008, 15:42 Titel: |
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Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich hätte noch nie gehört, dass irgendwer die RT als Erweiterung der NM auffassen würde. |
Nun, man kann damit alles erklären, was man mit der NM ebenfalls erklären kann und eben noch etwas mehr
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1018932) Verfasst am: 09.06.2008, 15:48 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | mE hat B im wesentlichen recht. Die gennanten Theorien bauen im axiomatischen Sinne keineswegs aufeinander auf, sodern sind unterschiedliche "Gebäude".
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Was meinst du jetzt wieder mit "axiomatisch"? Die Newtonsche Physik und die Quantenphysik bauen sehr wohl aufeinander auf. Die Allgemeine Relativitätstheorie kommt ohne die newtonsche Gravitationstheorie nicht aus.
Zuletzt bearbeitet von Argáiþ am 09.06.2008, 15:55, insgesamt einmal bearbeitet |
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1018933) Verfasst am: 09.06.2008, 15:49 Titel: |
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Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich hätte noch nie gehört, dass irgendwer die RT als Erweiterung der NM auffassen würde. |
Das scheint mir aber eher ein begriffliches bzw. ein Definitions-Problem zu sein...
Interessanterweise war die klassische Quantentheorie durchaus ein "Hybid-Modell"; es enthielt sowohl Elemente der Newtonschen Physik als auch der Quantenphysik. Denk' z. B. an das 1. Bohrsche Postulat (Auswahlbedingung) oder an die deBroglie-Wellenlänge. Die Wellenfunktion lässt sich klassisch deuten. Auch wenn der Bahnbegriff schlussendlich auf der Strecke blieb, führt sie zu korrekten Vorhersagen. Berlinski zufolge sollte es das nicht geben.
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1018943) Verfasst am: 09.06.2008, 15:58 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Interessanterweise war die klassische Quantentheorie durchaus ein "Hybid-Modell" |
wo wird hier die Grenze zwischen klassisch und nicht-klassisch gezogen? Basierend auf der Verwendung des Lagrange-Formalismus? Ich sehe hier keine reelle Chance, irgendwas sinnvoll abzutrennen. Moderne Schreibweisen stellen eigentlich nichts grundlegend Neues dar.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1018948) Verfasst am: 09.06.2008, 16:02 Titel: |
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Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich hätte noch nie gehört, dass irgendwer die RT als Erweiterung der NM auffassen würde. |
ich muss hier ein wenig ausholen. Berlinski hat in dem 'Interview', auf das ich im Eingangsposting verlinkt habe, auf die Frage, ob er ein 'crank scientist' sei, wie folgt geantwortet:
Zitat: | But that is not how the term crank science has come to be used. Look at someone like Jeremy Bernstein – a good physicist and a very good writer about physics. He means something quite specific by the term crank science, and that is a willingness to deny the cumulative structure of modern physics, the fact that each great physical theory represents an enlargement of its predecessors. This is terrifically important as a rhetorical strategy because it means that the burden of skepticism becomes impossibly high with each new theory. This is just another way of protecting the sciences from criticism. To go on the attack, it is not enough to say, hey look, this particular theory is wrong, or absurd, or preposterous. You must instead take on the entire history of a tradition. Not quite sporting, I say. |
Als Argument gegen diese Auffassung, dass alle Theorien aufeinander aufbauen, hat Berlinski dann das über Newton-Mechanik und Relativitätstheorie geschrieben, was ich im Eingangsposting zitiert habe.
Für mich ist die Frage noch einen Tick anders, weil es mir mehr ums Weltbild geht. Wenn eine Theorie von einem euklidischen Raum und absoluter Zeit ausgeht, was in einer anderen Auffassung explizit verneint wird, ist es dann noch möglich, ontologische Aussagen zu machen, die in beiden Theorien gelten?
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1018963) Verfasst am: 09.06.2008, 16:20 Titel: |
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Wer jedenfalls behauptet, die Relativitätstheorie baue nicht auf der newtonschen Mechanik auf und stelle keine Verallgemeinerung oder 'Erweiterung' derselben dar, der versteht nicht wirklich etwas von Physik.
Eine Immunisierung stellt die Kumulativität jedoch schon deshalb nicht dar, weil es sogar eventuell erzwingt, den Gesamtzusammenhang in Frage zu stellen. Dadurch wird eher mehr Aufwand betrieben und Selbstkritik geübt, als Immunisierung ermöglicht.
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1018972) Verfasst am: 09.06.2008, 16:29 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Jan hat folgendes geschrieben: | Übersieht Berlinski nicht total den geschichtlichen Aspekt? Ohne Newtonscher Mechanik (und Elektrodynamik) wäre nie die ART entstanden. Die Theorien bauen also nicht logisch aufeinander auf, sondern geschichtlich. Man könnte sagen: Newtons Kathedrale wurde abgerissen um am selben Ort eine größere zu bauen. (Die aber natürlich an die alte erinnert.) |
Das ist sicher richtig. Die Ideengeschichte ist im allgemeinen sogar hoch interdisziplinär. |
Dann kannst du mir sicher erklären, wie die Begriffe "Energie" und "Impuls" in die Einsteingleichungen geschmuggelt wurden, ohne dass dadurch eine newtonsche Basis zugrundegelegt wird
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1018983) Verfasst am: 09.06.2008, 16:40 Titel: |
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Argaith hat folgendes geschrieben: | Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Interessanterweise war die klassische Quantentheorie durchaus ein "Hybid-Modell" |
wo wird hier die Grenze zwischen klassisch und nicht-klassisch gezogen? Basierend auf der Verwendung des Lagrange-Formalismus? Ich sehe hier keine reelle Chance, irgendwas sinnvoll abzutrennen. Moderne Schreibweisen stellen eigentlich nichts grundlegend Neues dar. |
Sorry, ich kenne mich mit der Mathematik nicht hinreichend aus, um Deine Frage zu beantworten. Die Grenze zur klassischen Physik deutet sich im Postulat der Wellenfunktion, in der Quantelung von Energie und der Unschärferelation an.
Wichtig erscheint mir nur, dass der Wissensforschritt (entgegen Berlinski) kumulativ zu sein scheint. Selbst "wissenschaftliche Revolutionen" sind meist konservativ dergestalt, dass begriffliche und semantische Überschneidungen zwischen der neuen Theorie und dem Theorienvorgänger existieren: die Schlüsselterme (z. B. Geschwindigkeit, [Dreh-] Impuls, Energie, Zeit) erfahren keine radikale Bedeutungsverschiebung. Auch die "Richtung", in die man die QM entwickelte, wurde maßgeblich durch den kanonischen Formalismus mitbestimmt. So schrieb P. Jordan, ein Schüler von Born und Franck:
Zitat: | Die Quantenmechanik war in ihrer historischen Entstehung wesentlich durch die korrespondenzmäßige Anlehnung an den Formalismus der klassischen Theorie bestimmt. Das entscheidende, der mathematischen Theorie der Matrizen entsprechende Multiplikationsgesetz symbolischer quantenmechanischer Größen wurde yon HEISENBERG korrespondenzmäßig aus der Analogie yon "Übergangsamplituden" mit klassischen FOURIER-Koeffizienten erschlossen; die kanonischen Vertauschungsregeln korrespondieren mit den Gesetzen der klassischen POISSON-Klammern. Diese Analogien wiesen den einzuschlagenden Weg; sie gaben auch die überzeugende Rechtfertigung der versuchten Ansätze. |
Jordan, P. (1952) Zur axiomatischen Begründung der Quantenmechanik. Zeitschrift für Physik, Bd. 133, S. 21-29.
http://www.springerlink.com/content/x57j92h3p0092012/fulltext.pdf
Dies wirft natürlich eine interessante Frage auf: Wenn beide Theoriengebäude "inkommensurabel" sind, wie kommt es dann, dass die historische Entstehung der QM wesentlich durch die Anlehnung an die klassische Theorie bestimmt werden konnte, und trotzdem richtige Ergebnisse liefert? Wie kann es sein, dass die klassische Theorie als Spezialfall aus der QM folgt? Die Erklärung kann hier nur ontologischer Natur sein...
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Zuletzt bearbeitet von Darwin Upheaval am 09.06.2008, 16:49, insgesamt einmal bearbeitet |
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1018989) Verfasst am: 09.06.2008, 16:48 Titel: |
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Zitat: | Wichtig erscheint mir nur, dass der Wissensforschritt (entgegen Berlinski) kumulativ ist. Selbst wissenschaftliche "Revolutionen" konservativ zu verlaufen, und zwar dergestalt, dass begriffliche und semantische Überschneidungen zwischen der neuen Theorie und dem Theorienvorgänger existieren: die Schlüsselterme (z. B. Geschwindigkeit, [Dreh-] Impuls, Energie, Zeit) erfahren keine radikale Bedeutungsverschiebung. |
Ich stimme dir völlig zu, aber das war mir eben noch zu zurückhaltend. Man kann aus meiner Sicht beim besten Willen keine Grenze zwischen klassischer und nicht-klassischer QM ziehen, die QM beruht vollständig auf der klassischen theoreitschen Physik. Noch enger ist die Beziehung zwischen RT und der newtonschen Physik, es ist mir ein Rätsel, wie jemand mit tieferer Kenntnis darüber etwas anderes behaupten kann.
Auf den engen Zusammenhang zwischen klassischer Physik und Quantenphysik habe ich ebenfalls schon früher ausführlich hingewiesen. Man könnte theoretisch die klassische Physik auf dem formalismus der QM aufbauend darstellen und auch die Unschärfe ist, zB in Form der Bestimmung von Einzelfrequenzen in einem Wellenpaket, klassisch gegeben. Diese Unterscheidungen erscheinen mir einfach irgendwie gefühlt, blickt man nämlich auf die Details, stellt man sehr wohl eine komplette Kumulativität fest.
editiert
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1019012) Verfasst am: 09.06.2008, 17:17 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: |
Dies wirft natürlich eine interessante Frage auf: Wenn beide Theoriengebäude "inkommensurabel" sind, wie kommt es dann, dass die historische Entstehung der QM wesentlich durch die Anlehnung an die klassische Theorie bestimmt werden konnte, und trotzdem richtige Ergebnisse liefert? Wie kann es sein, dass die klassische Theorie als Spezialfall aus der QM folgt? Die Erklärung kann hier nur ontologischer Natur sein... |
Sie sind eigentlich nicht inkommunserabel, warum sollten sie das denn genau sein? Die Schrödingergleichung folgt aus der klassischen Energie-Impuls-Beziehung E=p²/2m und sogenannten "Ersetzungsregeln", die tatsächlich intuitiv hergeleitet wurden und zwar einfach in dem Bemühen, die Maxwellgleichungen für Überträgerteilchen mit reller Masse aufzustellen. Wie du schon sagtest, ist die kanonische Quantisierung eine Anwendung der klassischen Poissonklammern, aus der sich dann die quantenmechanischen Kommutationsrelationen unter Berücksichtigung der Ersetzungsregeln ergeben. Ich würde überhaupt nicht sagten, dass QM und KM inkommunserabel sind, die QM hat einfach ein heuristisches Problem. Sie ist eigentlich das Resultat mathematischer Bastelei.
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Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
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(#1019021) Verfasst am: 09.06.2008, 17:31 Titel: |
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Argaith hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich hätte noch nie gehört, dass irgendwer die RT als Erweiterung der NM auffassen würde. |
Nun, man kann damit alles erklären, was man mit der NM ebenfalls erklären kann und eben noch etwas mehr |
Dann ist also die Evolutionstheorie auch eine Erweiterung des Kreationismus und das Auto eine Erweiterung des Pferdes?
Y erweitert X bedeutet für mich X⊂Y, nicht f(X)⊂f(Y).
Und selbst das gilt nicht, da die Vorhersagen der NM keine Teilmenge der RT sind, sondern sich die Vorhersagen für geringe Geschwindigkeiten decken. Die NM macht Vorhersagen für Geschwindigkeiten, die es laut RT gar nicht geben kann.
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1019029) Verfasst am: 09.06.2008, 17:48 Titel: |
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Sokrateer hat folgendes geschrieben: |
Dann ist also die Evolutionstheorie auch eine Erweiterung des Kreationismus und das Auto eine Erweiterung des Pferdes? |
Quatsch, wieso das denn?
Zitat: | Y erweitert X bedeutet für mich X⊂Y, nicht f(X)⊂f(Y). |
Zitat: | Und selbst das gilt nicht, da die Vorhersagen der NM keine Teilmenge der RT sind, sondern sich die Vorhersagen für geringe Geschwindigkeiten decken. Die NM macht Vorhersagen für Geschwindigkeiten, die es laut RT gar nicht geben kann. |
Das kann man zwar so sehen, das ist aber eine Einschränkung. Die Erweiterung der RT bezieht sich vor allem auf eine Einbeziehung der Konstanz der Lichtgewschwindigkeit, das ist die einzig wesentliche Ergänzung der Relativitättheorie. Die Erweiterung, die sie leistet bezieht sich nicht auf große Parameterbereiche, bzw kann man ebenso sagen, dass die RT für kleine Geschwindigkeiten Vorhersagen leistet, die mit der NM ebenfalls möglich sind. Die RT geht für kleine Relativgeschwindigkeiten und für kleine schwere Massen in die NM über, die Erweiterung lässt sich aber nicht quantifizieren, bzw. eine formale Untersuchung der geleisten Erweiterung ist in diesem Fall deckungsgleich mit dem Formalismus der Erweiterung.
Das Y hier X erweitert, bedeutet nicht, dass alle zahlenmäßigen Lösungen der Theorie Y auch in X enthalten sein müssen, sondern das ein Aspekt hinzugenommen wurde, der in X bisher überhaupt nicht berücksichtigt ist.
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Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
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(#1019065) Verfasst am: 09.06.2008, 18:21 Titel: |
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Argaith hat folgendes geschrieben: | Das Y hier X erweitert, bedeutet nicht, dass alle zahlenmäßigen Lösungen der Theorie Y auch in X enthalten sein müssen, sondern das ein Aspekt hinzugenommen wurde, der in X bisher überhaupt nicht berücksichtigt ist. |
So sehe ich das prinzipiell auch. Die Ellipsoidgleichung ist für mich eine Erweiterung der Kreisgleichung.
Aber E=mv²/2 und E=vc²/√(1-(v/c)²) sehen einfach ganz anders aus. Ersteres approximiert zweiteres nur stellenweise.
Auf einer konzeptuellen Ebene ergibt sich die Relativitätstheorie aus der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, zumindestens ergab es sich so für Einstein. Aber die resultierende Theorie selbst, also das was man formal mathematisch aufschreiben kann, sieht mir nicht nach Erweiterung aus. Man kann eher sagen, dass die RT eine Ableitung oder Anpassung der NM ist. Nagut, dass ist wohl alles semantische Geschmackssache.
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1019075) Verfasst am: 09.06.2008, 18:26 Titel: |
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Was gilt denn dann als Verallgemeinerung oder Erweiterung überhaupt? Haben diese Begriffe denn keine Existenzberechtigung im wissenschaftlichen Sprachgebrauch?
Was macht das denn, dass die anders aussehen? Die Wurzel in der relativistischen Energie-Impuls-Beziehung ergibt sich, wenn man die Komponente -ict im Minkovskiraum berücksichtigt. Wenn man das weiss, dann kommt einem das wegen der Wurzel nicht fremdartig vor, ausserdem IST das ein Isomorphismus! Es tut doch nichts zur Sache, dass durch die Differenz im Radikanden die Wurzel nicht verschwindet?!
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1019104) Verfasst am: 09.06.2008, 19:09 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | mE hat B im wesentlichen recht. Die gennanten Theorien bauen im axiomatischen Sinne keineswegs aufeinander auf, sodern sind unterschiedliche "Gebäude". Das Einzige, was kumuliert, ist die Breite und Tiefe der guten Voraussagen. | Es gibt doch aber semantische und begriffliche Überschneidungen zwischen beiden "Gebäuden". |
Ja, das stimmt. Der Impuls beispielsweise.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Man kann auch sagen, die Newtonsche Physik ist ein Spezialfall der QM/RT. |
Ja, ein Grenzwert bei bestimmten Bedingungen. Andererseits muß man, wenn man aus Newtons Axiomen die der RT oder QM machen will, einige Dinge radikal abschaffen bzw. neudefinieren.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Die Aussage, dass hier zwei völlig verschiedene Theorien-"Gebäude" vorliegen, die nichts miteinander zu tun haben, scheint daher nicht zutreffend zu sein. |
Ich habe auch nur behauptet, daß sie im axiomatischen Sinne nicht aufeinander aufbauen. Zudem kannte ich nur das von El Schwalmo ursprünglich gebrachte Belinski-Zitat, das offensichtlich auslegungsfähig ist. Mit B.'s weiteren Folgerungen stimme ich keineswegs überein.
Argaith hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Die gennanten Theorien bauen im axiomatischen Sinne keineswegs aufeinander auf, sodern sind unterschiedliche "Gebäude". | Was meinst du jetzt wieder mit "axiomatisch"? Die Newtonsche Physik und die Quantenphysik bauen sehr wohl aufeinander auf. Die Allgemeine Relativitätstheorie kommt ohne die newtonsche Gravitationstheorie nicht aus. |
Ich meinte das so, daß einige Axiome nicht mehr gelten. Beispiel: Masse, Kraft und Geschwindigkeit sind in RT und QM nicht mehr einfach so verwendbar, der Impuls hingegen bleibt sinnvoll. Das dritte Newton-Axiom gilt gar überhaupt nicht mehr.
Oder nehmen wir die ART: Deren Axiome lassen sich so formulieren:
1. Gleichrangigkeit aller Bewegungszustände für physikalische Gesetze
2. Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in allen Bewegungszuständen
Beide sind nicht mit Newton kompatibel. Ebenso ist auch das (axiomatische) Konzept des euklidischen Raums oder der Massenkonstanz nicht mehr haltbar.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Wichtig erscheint mir nur, dass der Wissensforschritt (entgegen Berlinski) kumulativ zu sein scheint. Selbst "wissenschaftliche Revolutionen" sind meist konservativ dergestalt, dass begriffliche und semantische Überschneidungen zwischen der neuen Theorie und dem Theorienvorgänger existieren: die Schlüsselterme (z. B. Geschwindigkeit, [Dreh-] Impuls, Energie, Zeit) erfahren keine radikale Bedeutungsverschiebung. |
Letzteres ist tatsächlich der Fall, schon weil es Begriffe sind, die eine empirisch abgesicherte Bedeutung in unserer mesokosmischen Umgebung haben. Radikaler Wissensfortschritt wie etwa bei der RT oder QM besteht aber dennoch darin, daß das Modell eines Phänomens sich radikal ändert, beispielsweise
- die Natur der Raumzeit
- der Zusammenhang zwischen Masse und Raumgeometrie
- die Diskontinuität von Meßgrößen
- die mikrostatistische Erklärung thermodynamischer Zusammenhänge
Das meiste davon widerpricht Ansichten, die zuvor axiomatischen Charakter hatten.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | ... Dies wirft natürlich eine interessante Frage auf: Wenn beide Theoriengebäude "inkommensurabel" sind, wie kommt es dann, dass die historische Entstehung der QM wesentlich durch die Anlehnung an die klassische Theorie bestimmt werden konnte, und trotzdem richtige Ergebnisse liefert? |
Wenn man z.B. Energie-Eigenwerte mißt, und die herkömmliche Theorie + Quantisierung verwendet, verletzt man keine weiteren Axiome und erhält daher das richtige Ergebnis. Beim Doppelspaltexperiment mit Elektronen wäre das nicht so einfach gewesen, ebenso beim berühmten Michelson-Morley-Experiment. In der "Übergangszeit" der SRT waren folglich eininge der radikaleren Schlüsse nicht akzeptiert - auch von Einstein nicht.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Wie kann es sein, dass die klassische Theorie als Spezialfall aus der QM folgt? Die Erklärung kann hier nur ontologischer Natur sein... |
Der Grund ist, daß ein Modell ein anderes beinhaltet, als Näherung bei bestimmten Parameterwerten. Das spiegelt also nur selbst die Beobachtung wieder, daß unsere Umwelt von bestimmten Parameterwerten beschrieben werden kann. Ich weiß nicht, was daran schon wieder ontologisch sein soll, außer man definiert alles mögliche als ontologisch.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Y erweitert X bedeutet für mich X⊂Y, nicht f(X)⊂f(Y). Und selbst das gilt nicht, da die Vorhersagen der NM keine Teilmenge der RT sind, sondern sich die Vorhersagen für geringe Geschwindigkeiten decken. Die NM macht Vorhersagen für Geschwindigkeiten, die es laut RT gar nicht geben kann. |
Sehr richtig!
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1019117) Verfasst am: 09.06.2008, 19:21 Titel: |
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@Step
Zitat: | Ich meinte das so, daß einige Axiome nicht mehr gelten. Beispiel: Masse, Kraft und Geschwindigkeit sind in RT und QM nicht mehr einfach so verwendbar, der Impuls hingegen bleibt sinnvoll. Das dritte Newton-Axiom gilt gar überhaupt nicht mehr.
Oder nehmen wir die ART: Deren Axiome lassen sich so formulieren:
1. Gleichrangigkeit aller Bewegungszustände für physikalische Gesetze
2. Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in allen Bewegungszuständen
Beide sind nicht mit Newton kompatibel. Ebenso ist auch das (axiomatische) Konzept des euklidischen Raums oder der Massenkonstanz nicht mehr haltbar. |
Energie, Ort und Zeit bleiben auch noch sinnvoll. Dir erscheint es offenbar opportun, zu vergessen, dass Kräfte und Bahnkurven bereits innerhalb der klassischen Physik durch die klassische Feldtheorie (Lagrange-Formalismus, Hamiltonprinzip, Variationsrechnung) sozusagen 'erledigt' werden. Der Lagrangeformalismus ist ein komplett klassisch-physikalisches Erzeugnis und ist aber Grundlage der kompletten QFT und auch die Gravition in der ART kann durch eine Lagrangefunktion erfasst werden und die Einsteinschen Feldgleichungen können aus dem Variationsprinzip hergeleitet werden. Die relativistische Klein-Gordon-Gleichung ist völlig analog zur nichtrelativistischen Schrödingergleichung, was willst du noch für Beispiele? Offenbar reduzierst du die klassische Physik auf Schulphysik.
Wie erhält man denn in der Schwarzschildmetrik die metrischen Koeffizienten (1- 2GM/c²r) und 1/(1- 2GM/c²r)? Der komplette klassische Formalismus ist in den allgemeineren Formalismen der Physik enthalten und kann durch schlichtes Umformen und durch Grenzwertbetrachtungen (v<<c, r gegen unendlich) gewonnen werden. Das Gros der Physik ist ein einziger, zusammenhängender mathematischer Komplex, lediglich die Ersetzungsregeln der Quantenmechanik sind ein Zusatz, der nicht system-intern abgeleitet werden kann.
step hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Y erweitert X bedeutet für mich X⊂Y, nicht f(X)⊂f(Y). Und selbst das gilt nicht, da die Vorhersagen der NM keine Teilmenge der RT sind, sondern sich die Vorhersagen für geringe Geschwindigkeiten decken. Die NM macht Vorhersagen für Geschwindigkeiten, die es laut RT gar nicht geben kann. |
Sehr richtig! |
Was ändert das daran, dass die RT eine Verallgemeinerung ist? Du kannst alle Antworten von mir oben an Sokrateer auch auf dich beziehen.
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Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
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(#1019140) Verfasst am: 09.06.2008, 19:40 Titel: |
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Argaith hat folgendes geschrieben: | Was gilt denn dann als Verallgemeinerung oder Erweiterung überhaupt? Haben diese Begriffe denn keine Existenzberechtigung im wissenschaftlichen Sprachgebrauch? |
Doch, wieso nicht?
Ein Beispiel für etwas, das ich als Erweiterung auffassen würde, fällt mir momentan nicht ein. Vielleicht die komplexen Zahlen, da sie über das undefinierte √-1 eine widerspruchsfreie Erweiterung zu den reellen Zahlen bilden.
Argaith hat folgendes geschrieben: | Was macht das denn, dass die anders aussehen? Die Wurzel in der relativistischen Energie-Impuls-Beziehung ergibt sich, wenn man die Komponente -ict im Minkovskiraum berücksichtigt. Wenn man das weiss, dann kommt einem das wegen der Wurzel nicht fremdartig vor, ausserdem IST das ein Isomorphismus! Es tut doch nichts zur Sache, dass durch die Differenz im Radikanten die Wurzel nicht verschwindet?! |
Ein Isomorphismus funktioniert per Definition in beide Richtungen. Die vierdimensionale euklidische Raumzeit der NM wird nicht erweitert, um auf die RZ der RT zu kommen, sondern durch den Isomorphismus verändert.
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#1019157) Verfasst am: 09.06.2008, 19:50 Titel: |
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Die Physik im euklidischen Raum ist ein Spezialfall der Physik im riemannschen Raum, ebenso wie cartesische Koordinaten ein Spezialfall von Riemannkoordnaten sind. Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist natürlich keine Information, die man durch Umformungen aus dem bisherigen Formalismus gewinnt, das ändert aber nichts daran, dass es sich nach wie vor um ein mathematisch zusammenhängendes Gebilde handelt. Du verwechselst das mit der Ideengeschichte von physikalischen Vorstellungen. Das Resultat ist aber ein integrierter, formaler Zusammenhang.
Zitat: | Ein Isomorphismus funktioniert per Definition in beide Richtungen. Die vierdimensionale euklidische Raumzeit der NM wird nicht erweitert, um auf die RZ der RT zu kommen, sondern durch den Isomorphismus verändert. |
Die relativistische E-P-Beziehung wird aber durch Anwendung desselben mathematischen Prinzips gewonnen, wie die klassische E-P-Beziehung. Man erhält den Betrag des Impulses im Euklidischen Raum genauso durch ein Skalarprodukt, wie man den Betrag des Viererimpulses im Minkovskiraum gewinnt. Das kann man nach wie vor tun, weil sich im Wesentlich an der Auffassung von Impuls nichts geändert hat, dasselbe gilt auch für Energie. Das in der vorrelativistischen Physik die Konstanz der LS nicht berücksichtigt wurde ist schlicht ein Fehler gewesen, der in der Überarbeitung nun korrigiert ist. Dennoch ist die newtonsche Mechanik formal in der SRT enthalten und zwar als Grenzwertbetrachtung (v gegen Null).
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step registriert
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(#1019184) Verfasst am: 09.06.2008, 20:08 Titel: |
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@Argaith: Es steht außer Frage, daß es viele physikalisch-mathematische Formalismen gibt, die sehr allgemein sind und z.B. auf klassische und relativistische Mechanik anwendbar sind. Es steht ebenso außer Frage, daß oft neue Theorien aus bestehenden entwickelt wurden, indem man sie schrittweise zu verändern versuchte. Manchmal klappte das, und man fand dann erst im Nachhinein, daß gewisse Axiome nicht mehr gelten.
Ich bleibe aber dabei, daß QM und RT mehrere Axiome der newton'schen Physik geschleift haben. Als "Erweiterung" würde ich das höchstens in dem Sinne bezeichnen, als die Abdeckung größer / genauer wird.
Man kann sich natürlich fragen, warum diese pinzipielle Unterscheidung? Vielleicht, um nicht auf ontologische Fehlschlüsse hereinzufallen, oder vielleicht, um die Voraussetzung der Axiome (z.B. euklidischer Raum) nicht zu vergessen.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ein Beispiel für etwas, das ich als Erweiterung auffassen würde, fällt mir momentan nicht ein. |
Ein paar Beispiele:
- Newton'sche Mechanik : Ellipsenbahnen werden erweitert auf hyperbolische Bahnen (Axiome bleiben gültig)
- Chemie: Periodensystem wird um neue Elemente erweitert
- Mathematik: Volumenberechnung einer 3D-Kugel wird auf n Dimensionen erweitert.
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step registriert
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(#1019226) Verfasst am: 09.06.2008, 20:40 Titel: |
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Nachtrag: Man kann klassische Formulierungen aus den Newtonschen Axiomen ableiten, die tatsächlich in der QM und RT gültig bleiben, z.B. die Erhaltung von Impuls, Energie und Drehimpuls.
In der QM z.B. sind "Kräfte" nur noch Folgen der Erhaltungssätze, und in modernen Eichtheorien hat man nur noch Erhaltungssätze und virtuelle Teilchen, und die Mathematik verschob sich ebenfalls in Richtung Gruppentheorie.
Das letzte Beispiel zeigt sehr schön, daß die Bedeutungsträger in unseren Theorien (einige würden sagen "die Ontologie") sich zum Teil fundamental ändern.
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