notkerbakker Proud member of the EAC
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(#10234) Verfasst am: 10.08.2003, 21:13 Titel: Ein wenig Historie |
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In den letzten Wochen hatte ich mich mal etwas näher mit den Verhandlungsprotokollen zur Weimarer Verfassung 1919 beschäftigt. Diese sind auch deswegen heute noch interessant und relevant, weil ja entscheidende Bestimmungen des Staatskirchenrechtes, die fünf Artikel 136 bis 139 und 141, über Artikel 140 auch Bestandteil des Grundgesetzes geworden sind.
In der heutigen juristischen Literatur wird auf die Entstehungsgeschichte dieser Artikel praktisch überhaupt nicht eingegangen oder wenn, dann mE tendenziös verzerrend.
Diese Protokolle sind meines Wissens nicht im Internet einsehbar, auch nicht in Buchform lieferbar und auch nicht in sonderlich vielen Bibliotheken erhältlich, z.B. nicht ein mal im juristischen Seminar der Uni Köln (dafür aber in der Unibibliothek, wo ich mir die Sachen kopierte).
Vielleicht interessiert es ja den ein oder anderen ein wenig hieraus zu lesen. Zu diesem Zweck unten ein paar Zitate, die sich hauptsächlich um das Thema Staatsleistungen drehen.
Der Abgeordnete Mausbach gehörte zum Zentrum, der Abgeordnete Kahl zur DVP.
Naumann und Ende zur liberalen DDP.
Quarck und Meerfeld zur größten Fraktion, der SPD.
Kunert zur USPD und Veidt war wohl (?) ein Rechtsnationaler.
“Man betrachtete es als eine Folgerung des Trennungsgedankens auch in seiner gemäßigten, relativen Form, daß die bisherige gesetzliche Einrichtung finanzieller Staatsleistungen an die Kirchen so nicht bleiben könne; ...” (Mausbach, 328, 1645C)
“Mir werden Klagen aus verschiedenen Einzelstaaten zugestellt, in denen man in der Zwischenzeit die Staatsleistungen von kurzer Hand für den Staatssäckel eingezogen hat.” (Kahl, 328, 1649A)
“Aber was wir nicht mitmachen und abzuändern bitten, ist, daß die Gewährung der Korporationsrechte, nachdem sie denen, die bisher öffentliche Körperschaften waren, das heißt also den beiden großen Kirchen, der evangelischen und der katholischen, eo ipso gegeben sind, für andere noch an besondere Bedingungen geknüpft wird.” (Quarck, 328, 1649B)
“Noch eigentümlicher ist aber der Zusatzantrag, den der Herr Kollege Dr. Kahl gestellt hat, in Art. 135 [wurde dann 138] die Ablösungsnotwendigkeit zu erweitern, die ja schon außerordentlich große Lasten für unseren hart mitgenommenen Geldbeutel bringen wird und für deren Objekte manches gilt, was der Herr Minister Preuß in der Begründung zu seiner ersten Vorlage von der Entstehung der Einzelstaaten gesagt hat. Zufälligkeiten des Besitzes, auch Gewalt und andere Dinge haben in der Geschichte der Kirche eine große Rolle gespielt und ihr Vermögen vergrößert. Nun aber dem noch hinzuzufügen, daß auch alles was auf Herkommen begründet ist, abgelöst werden muß, das würde die Ablösung ins Uferlose erweitern.” (Quarck, 328, 1649D/1650A)
“Der Staat will nichts mehr von den Machtmitteln der Kirche borgen, er hat vollkommen verzichtet auf irgendeine Degradierung der Kirche zu seinem Gehilfen. Die Kirche soll aber auch nichts vom Staat mehr borgen, sie sollen beide friedlich-schiedlich nebeneinander den Weg der Kulturförderung zu gehen versuchen.” (Quarck, 328, 1650B)
“Wir hätten zu der reinlichen Scheidung ohne jeden Kulturkampf kommen können. Aber wir haben erlebt, daß die Kirche mit Unterstützung sämtlicher bürgerlicher Parteien auf ihrer öffentlich-rechtlichen, privilegierten Stellung um jeden Preis bestehen blieb.” (Quarck, 328, 1650C)
“Dies alles hat es zu einer reinlichen Trennung nicht kommen lassen, vielmehr zu einem ganz einseitigen Verhältnis, bei dem zwar die Kirche vollkommen frei ist von staatlichen Einflüssen, aber der Staat nicht frei ist von kirchlichen Forderungen und sogar geldlichen Verpflichtungen an die Kirche.” (Quarck, 328, 1650C)
“Man darf die privilegierte Staatskirche nicht unter der Hand fortführen wollen, nachdem man sie öffentlich aufgegeben hat.” (Naumann, 328, 1653C)
“Ein schwieriger Punkt sind die Zahlungen an die Kirchen, die im Staatshaushalt bisher enthalten waren. Sie beziehen sich zunächst auf Gehälter von Kirchenbeamten, auf Unterstützung armer Gemeinden und insbesondere auf den Pensionsfonds. Diese Leistungen sind gegenwärtig ein Recht, aber Leistungen, die durch den Haushaltsplan immer neu beschlossen werden müssen, sind selbstverständliche keine ewigen Rechte.” (Naumann, 328, 1654D)
“Bei der Trennung von Staat und Kirche haben wir es mit einem geschichtlichen Prozeß zu tun, der außerordentlich große Zeiträume umfaßt.” (Veidt, 328, 1657C)
“Da ich annehme, daß der Antrag Ihnen nicht übermäßig bekannt ist, gebe ich seinen Inhalt wieder: ´Es besteht keine Staatskirche. Staat und Kirche sind staatsrechtlich und vermögensrechtlich voneinander zu trennen.” (Kunert, 328, 1658D)
“Ähnlich liegen die Dinge mit Art. 135 [138]. Da haben Sie die Sicherstellung des Eigentums der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlfahrtszwecke. Um was für ein Eigentum handelt es sich dabei ? Es sind das ererbte, erschlichene Riesenvermögen, Vermögen der toten Hand, mobiles und immobiles Kapital nach Millionen und Milliarden. Im Hinblick auf die furchtbare Finanzlage der deutschen Republik ist es angebracht, daß hier die höchsten Steuersätze eintreten, (...), daß eventuell die Konfiskation verlangt und durchgesetzt wird. Das wäre gerechtfertigter, als eine so laxe Bestimmung in die Verfassung aufzunehmen.” (Kunert, 328, 1659C/D)
“Wirkliche Befreiung der Kirche von der Staatskontrolle, die geradezu skandalös war und noch ist, bedingt eben die restlose Trennung von Kirche und Staat. Aber wenn die Kirche damit einverstanden ist, wenn sie diesen Satz für einen moralischen hält, dann hat sie auch die Verpflichtung, keinerlei Backschisch, keinerlei fette Trinkgelder vom Staate in Gestalt von Subventionen, Gehältern usw. anzunehmen. (...) Also wir verlangen: Keine Kirchensteuer, dafür Mitgliederbeiträge und kräftigste Heranziehung des Kirchenvermögens. (...) Kein Pfennig darf der Kirche aus kommunalen oder aus staatlichen Kassen zugute kommen.” (Kunert, 328, 1660A)
“Wir wünschen ferner die Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen und religiösen Zwecken.” (Kunert, 328, 1660B)
“Ich spreche für mich persönlich, und zwar zugleich im Namen vieler Tausende religiöser Menschen, die der festen Überzeugung sind, daß religiöse, überhaupt geistige Bewegungen am besten auf dem Boden absoluter Gleichberechtigung gedeihen, auf dem Boden des freiesten Wettbewerbes.” (Ende, 328, 1660D)
“Ich habe mich bemüht, einen Weg zu finden, um die Bahnen zur reinlichen Entstaatlichung der Kirche freizumachen. Aber ich bin auf Schwierigkeiten gestoßen, die wohl daran lagen, daß es untunlich erschien, an den mühsam zustande gekommenen Vereinbarungen eine Änderung zu treffen. Ich stelle deshalb auch keinen Antrag. Aber ich möchte um der Steuer der Wahrheit willen es wenigstens in der Nationalversammlung ausgesprochen haben, daß es nicht bloß die sozialdemokratischen Parteien auf Grund ihrer Parteidoktrin sind, die die reinliche Entstaatlichung der Kirche fordern, sondern daß es viele Tausende in allen religiösen Lagern auf der Rechten wie auf der Linken sind, die es fordern aus Religion und zur Sicherung der Gewissensfreiheit.” (Ende, 328, 1661A/B)
“Die christliche Volkspartei will die Kirche vom Staat völlig befreien, aber alle Rechte der Kirche gegenüber dem Staat gewahrt wissen; man will also die freie Kirche im unfreien Staat. Nach meiner Auffassung ist davon auszugehen, daß der bisherige Zustand der Gemeinsamkeit von Kirche und Staat geschichtlich bedingt ist und keinen Anspruch auf ewige Gültigkeit hat. Die sozialdemokratische Partei fordert in ihrem Programm ausdrücklich die Erklärung der Religion zur Privatsache, ferner, daß für die Kirche keine öffentlichen Mittel aufgewandt werden und daß die Kirchen private Gesellschaften sind, ...” (Meerfeld, 336, 188)
“Auch die Leitsätze in dem Programm des Zentrums lassen erkennen, daß es der Frage der Trennung abwartend gegenübersteht, also keine ausgesprochene Gegnerin der Trennung ist.” (Meerfeld, 336, 188)
“Meine Partei ist dabei zu einem weitgehenden Entgegenkommen bereit; wir vermissen aber ein solches Entgegenkommen bei der Rechten und der christlichen Volkspartei.” (Meerfeld, 336, 188)
“Das Problem lautet daher nicht: absolute Zerreißung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, sondern Festlegung des gesetzlichen Mindestmaßes von Berührungen.” (Kahl, 336, 189)
“Nun zur Finanzfrage. Die Konsequenz des Antrages Gröber Nr. 91 ist die, daß der Staat in Zukunft, nachdem einmal Inventur gemacht und Ablösung erfolgt ist, keine Mittel mehr für die Kirchen aufzuwenden hat. Diese Konsequenz ist unser aller Wunsch.” (Naumann, 336, 191)
“Es muß ferner dafür Sorge getragen werden, daß die Religionsgesellschaften auch weiterhin bestehen können und dazu müssen sie das Besteuerungsrecht erhalten.” (Naumann, 336, 205)
_________________ "[Die Kirchen versuchen] ... das, was sie an unmittelbarem Einfluß auf die moderne Gesellschaft verloren haben, mittelbar durch staatskirchenrechtliche Institutionalisierung zurückzugewinnen" Der Staatsrechtler Konrad Hesse 1965.
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notkerbakker Proud member of the EAC
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 1474
Wohnort: Rheinland
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(#10260) Verfasst am: 10.08.2003, 23:13 Titel: |
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max hat folgendes geschrieben: | Verstehe ich das richtig? Nur der USPD-Abgeordnete war für die komplette Trennung, während die SPD uns mit einem "Kompromiss" mit den Liberalen und Rechten die heutige Situation eingebrockt hat? |
Jein.
Die SPD war - jedenfalls seinerzeit, das Erfurter Programm von 1891 galt noch (siehe Aussage Meerfeld: "Die sozialdemokratische Partei fordert in ihrem Programm ausdrücklich die Erklärung der Religion zur Privatsache, ferner, daß für die Kirche keine öffentlichen Mittel aufgewandt werden und daß die Kirchen private Gesellschaften sind, ...” ) - auch für eine "reinliche" Trennung.
Nur waren die Mehrheitsverhältnisse so, dass auch beide sozialdemokratischen Parteien und Liberale zusammen nicht die Verfassung hätten bestimmen können.
Entweder zumindest Teile der Rechten stimmten mit oder - keine Verfassung.
Zentrum, christliche Volkspartei, DVP etc stellten sich insbesondere in den Fragen Körperschaft, Kirchensteuererhebungsrecht, Staatsleistungen etc bockig an und sukzessive bewegten sich die Sozialdemokraten auf die Position der Rechten zu: “Meine Partei ist dabei zu einem weitgehenden Entgegenkommen bereit; wir vermissen aber ein solches Entgegenkommen bei der Rechten und der christlichen Volkspartei.” (Meerfeld)
In der Öffentlichkeit wäre - soweit ich das zu überschauen vermag - eine vollständige TSK seinerzeit durchsetzbar, ja gewünscht gewesen. Und zwar bewußt auch von Religiösen.
Die SPD ist dann auf einen "historischen Kompromiß" in diesen Fragen eingeschwenkt, manche haben diesen Kompromiß aktiv betrieben, wie wohl der Abgeordnete Meerfeld, andere haben wohl eher zähneknirschend aus Parteiräson mitgemacht, wie der Abgeordnete Quarck.
Das ändert aber nichts daran, dass die heutige Situation und die heutige Interpretation der Weimarer Kirchenartikel weit entfernt vom Geist dieses "historischen Kompromisses" liegt.
Man kann sich über das seinerzeitige Verhalten von Leuten wie Meerfeld mokieren, heute wäre es indes ein enormer Fortschritt, wenn auch nur ansatzweise TSK - Politik wieder im Sinne des damaligen Kompromisses betrieben würde.
_________________ "[Die Kirchen versuchen] ... das, was sie an unmittelbarem Einfluß auf die moderne Gesellschaft verloren haben, mittelbar durch staatskirchenrechtliche Institutionalisierung zurückzugewinnen" Der Staatsrechtler Konrad Hesse 1965.
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