zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#1026991) Verfasst am: 18.06.2008, 21:05 Titel: Arno Sterns Mal-Orte |
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Arno Stern, von dem ich noch nie gehört hatte, hat, aus dem Krieg heraus, könnte man wohl sagen (als jüdischer Flüchtling) eine Mal-"Schule" gegründet, in der was die Malenden tun, unbewertet bleibt. Stern verwirft den Gedanken, Bilder (auch die von Kindern) ließen Rückschlüsse auf deren Lebensumstände zu.
Zitat: | Stern gab den Kindern Farbe und Papier und stellte fest: Das genügt. Die Kinder malten, wollten nichts anderes, "den ganzen Tag lang". Die Schule brauchte mehr Raum, er zog mit seinen Utensilien in den benachbarten Stall. Um mehr Malraum zu gewinnen, verhängte er die Fenster mit Brettern; die Kinder malten im Stehen, nebeneinander, sie holten sich aus der Palette in des Raumes Mitte Farbe auf ihre Pinsel und legten die, wenn sie die Farbe wechselten, sorgsam wieder ab. |
Zitat: | Und damit der Ausgangspunkt für eine Forschung, die bis heute im Garten der Wissenschaften quer liegt wie ein Findling. Stern entwickelte, ausgehend vom Material der Kinderzeichnungen, eine revolutionäre Theorie der zeichnerischen Ursprache des Menschen. Expeditionen in schriftlose Gesellschaften und Vergleiche der frappierenden Übereinstimmungen der Bildsymbole von Kindern in aller Welt brachten ihn zu erstaunlichen Thesen über die Conditio humana: Das Reservoir der ersten Zeichen sei unabhängig von Kultur, Ethnie und Geschichte. |
Zitat: | Gespräche sind erlaubt, solange sie ein Thema meiden - die Spur auf dem Blatt. Stern gibt keine Themen vor, er regt nichts an. Niemand begeht eine der drei Todsünden im Reich der Sternschen Ausdruckslehre, die er "Ausdruckssemiologie" nennt: Niemand wundert sich, bewertet oder deutet. Wenn ein Junge zwei Jahre lang an einem Kriegsschiff malt, wird das ebenso wenig kommentiert, wie wenn ein Mädchen viertelstündlich nach einem neuen Blatt verlangt, um rote Kreise zu ziehen. Ein Pariser kommt seit 40 Jahren jeden Sonntagmorgen. "Wir sprechen über Bücher, Musik und Politik. Ich weiß nicht, wie er lebt, ich kenne ihn nur als Malspielenden. Und so wünsche ich es." |
Zitat: | Es gibt eine quasitherapeutische Enthaltsamkeit in Arno Sterns Tun, und so wird das Geschehen im Mal-Ort gern verwechselt mit Kunsttherapie - ein krasses Missverständnis. Denn Stern ist der Auffassung, dass schon die Waisenkinder damals im Heim nicht ihre Traumata zu Papier brachten, um sich so mitzuteilen. Es gehe bei der spontanen Malerei kaum um Kommunikation, nicht um Ästhetik, nicht um eine Botschaft: "Die Malkinder sind nicht künstlerisch tätig. Und sie teilen nichts mit. Sie legen eine Spur, die für niemanden bestimmt ist, die nur zu geschehen hat." |
Zitat: | Besonders brisant sind seine Forschungen allerdings auf einem Gebiet, das gerade in der Bundesrepublik floriert: der Kunsttherapie. Die Überzeugung, dass Kinder mit ihren Bildern Aufschluss über ihr Seelenleben geben, ist für ihn in jedem Falle unzulässig. "Es gibt Kriegskinder, die Bomben malen, und andere, die Prinzessinnen zeichnen. Die Gestaltung eines Bildes folgt Gesetzen, die sich zur inhaltlichen Deutung nicht eignen." |
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument-druck.html?id=57223356&top=SPIEGEL
_________________ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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