Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen |
Autor |
Nachricht |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1062746) Verfasst am: 11.08.2008, 21:38 Titel: |
|
|
Ich sehe in Österreich auch keine praktischen Probleme mit der politischen Immunität. Die wird sofort aufgehoben, wenn ein Parlamentarier betrunken Auto fährt, oder wie der Westentaler in der Prügelaffäre. Mir wäre da keine Fehlentscheidung aus meiner Sicht bekannt.
|
|
Nach oben |
|
 |
Hornochse Orthographiefetischist
Anmeldungsdatum: 22.07.2007 Beiträge: 8223
Wohnort: Bundeshauptstadt
|
(#1062793) Verfasst am: 11.08.2008, 22:14 Titel: |
|
|
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Hornochse hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Berücksichtigen und Herleiten ist nicht das gleiche. |
Wie werden denn die Menschenrechte hergeleitet? Kommen sie aus dem Nichts? Was soll "berücksichtigen" hier überhaupt bedeuten, wenn letztlich nicht "als Grundlage zur Herleitung nehmen"? |
Es ist eine schwachere Kopplung an die Natur des Menschen, da letztere noch nicht endgültig erkannt wurde.
Den Begriff Naturrecht lehne ich deswegen ab, weil diejenigen, die ihn propagieren, meistens schon ganz bestimmte Gesetze im Sinn haben und mit der Berufung auf die Natur/Gott weitere Diskussionen unterbinden wollen. z.B: Ehe = Mann+Frau
In Wahrheit haben wir gerade im späten 19. und 20. Jhdt. jede Menge dazu gelernt und wir haben unsere Rechtsnormen entsprechend adaptiert, also menschengerechter gemacht. |
Die Tatsache, dass es heißt, dass die Menschenrechte jedem Menschen von Natur aus zukommen, sie also ein überpositives Recht darstellen, soll ja gerade jede weitere Diskussion (zumindest was ihren Wesensgehalt angeht) unterbinden.
Die Sache mit der "schwachen Koppelung" kannst du gleich vergessen. Letztlich stehen hinter den Menschenrechten Moral- und Wertvorstellungen, die durch eine naturrechtliche Begründung in die Sphäre des Unantastbaren gehoben wurden.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: |
Hornochse hat folgendes geschrieben: | Eine andere Argumentation: Es liegt in der Natur der Frau, dem Manne untertan zu sein. Eine Gleichstellung ist widernatürlich. Von daher kann einer Frau nicht grundsätzlich das gleiche Recht zukommen wie einem Mann. |
Ich teile die Annahme nicht. Du etwa? Und wie lehnst du diese Herleitung ab, wenn nicht durch den Zweifel an der Annahme? |
Ergo: Du kannst nicht zeigen, dass diese "natürliche" Begründung falsch ist sondern kannst nur sagen, dass du die Annahme nicht teilst. Nichts anderes wollte ich zeigen.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Weiters würde auch aus deiner Annahme nicht folgen, dass Frauen nicht die gleichen Rechte haben sollten. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau schreibt keiner Frau vor, dass sie nicht zu ihrem Mann aufschauen darf und die freie Berufswahl schreibt ihr nicht vor, dass sie einen Beruf ausüben muss. |
Man kann ihr mittels dieser Annahme z.B. ihr Recht auf Selbstbestimmung nehmen, bzw. es ihr verwähren, da sie dem Willen ihres Mannes verpflichtet ist.
_________________ Alles könnte anders sein - und fast nichts kann ich ändern.
- Niklas Luhmann -
|
|
Nach oben |
|
 |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1062832) Verfasst am: 11.08.2008, 22:48 Titel: |
|
|
Hornochse hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Hornochse hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Berücksichtigen und Herleiten ist nicht das gleiche. |
Wie werden denn die Menschenrechte hergeleitet? Kommen sie aus dem Nichts? Was soll "berücksichtigen" hier überhaupt bedeuten, wenn letztlich nicht "als Grundlage zur Herleitung nehmen"? |
Es ist eine schwachere Kopplung an die Natur des Menschen, da letztere noch nicht endgültig erkannt wurde.
Den Begriff Naturrecht lehne ich deswegen ab, weil diejenigen, die ihn propagieren, meistens schon ganz bestimmte Gesetze im Sinn haben und mit der Berufung auf die Natur/Gott weitere Diskussionen unterbinden wollen. z.B: Ehe = Mann+Frau
In Wahrheit haben wir gerade im späten 19. und 20. Jhdt. jede Menge dazu gelernt und wir haben unsere Rechtsnormen entsprechend adaptiert, also menschengerechter gemacht. |
Die Tatsache, dass es heißt, dass die Menschenrechte jedem Menschen von Natur aus zukommen, sie also ein überpositives Recht darstellen, soll ja gerade jede weitere Diskussion (zumindest was ihren Wesensgehalt angeht) unterbinden.
Die Sache mit der "schwachen Koppelung" kannst du gleich vergessen. Letztlich stehen hinter den Menschenrechten Moral- und Wertvorstellungen, die durch eine naturrechtliche Begründung in die Sphäre des Unantastbaren gehoben wurden. |
Niemand unterbindet eine Diskussion über die Menschenrechte. Ich fordere sogar hier im FGH häufig dazu auf. Offenbar gibt es keine inhaltlichen Beanstandungen von den aufgebrachten Kritikern.
Hornochse hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: |
Hornochse hat folgendes geschrieben: | Eine andere Argumentation: Es liegt in der Natur der Frau, dem Manne untertan zu sein. Eine Gleichstellung ist widernatürlich. Von daher kann einer Frau nicht grundsätzlich das gleiche Recht zukommen wie einem Mann. |
Ich teile die Annahme nicht. Du etwa? Und wie lehnst du diese Herleitung ab, wenn nicht durch den Zweifel an der Annahme? |
Ergo: Du kannst nicht zeigen, dass diese "natürliche" Begründung falsch ist sondern kannst nur sagen, dass du die Annahme nicht teilst. Nichts anderes wollte ich zeigen. |
Wie wäre es, wenn du eine Einführung in die Logik lesen würdest? Begründungen, die auf falschen Annahmen basieren, sind ungültig.
Du hast vergessen zu erklären, warum du persönlich diese Begründung ablehnst.
Hornochse hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Weiters würde auch aus deiner Annahme nicht folgen, dass Frauen nicht die gleichen Rechte haben sollten. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau schreibt keiner Frau vor, dass sie nicht zu ihrem Mann aufschauen darf und die freie Berufswahl schreibt ihr nicht vor, dass sie einen Beruf ausüben muss. |
Man kann ihr mittels dieser Annahme z.B. ihr Recht auf Selbstbestimmung nehmen, bzw. es ihr verwähren, da sie dem Willen ihres Mannes verpflichtet ist. |
Nein, denn eine Frau, die auf Selbstbestimmung pochen würde, würde die Annahme wiederlegen. Und weiters ist auch deine wiederholte Behauptung ein non sequitur.
Bitte erkläre, wie aus der Annahme "Frauen wollen sich ihren Männern unterwerfen" die Schlussfolgerung folgt, dass Frauen prinzipiell kein Recht auf Selbstbestimmung haben sollten.
Beispiel: Aus "Männer können nicht schwanger werden" folgt nicht "Männer dürfen nicht schwanger werden".
|
|
Nach oben |
|
 |
Haiduk Weißgardist
Anmeldungsdatum: 18.05.2008 Beiträge: 1058
Wohnort: Bayern
|
(#1062840) Verfasst am: 11.08.2008, 22:59 Titel: |
|
|
Hornochse hat folgendes geschrieben: |
Die Tatsache, dass die Menschenrechte als "naturgegeben" dargestellt werden, dient nur dazu, sie zu einem überpositiven, d.h. der Änderung entzogenem Recht zu machen. Das Problem des Naturrechts besteht darin, dass es letztlich immer willkürlich ist. |
Die Frage, ob die MR als Naturrecht oder positives Recht einzuordnen sind, hat nicht mal deren Verfasser Charles Malik eindeutig beantworten können. Hier der entscheidende Abschnitt aus einer Radioansprache aus dem Jahr 1948, in der Malik die Menschenrechte erklärte:
Zitat: | Und doch erkennen wir in der Lehre der Deklaration, einen teilweises schließen und eine unausgedrückte Rückkehr zum Naturrecht. Eine sorgsame Untersuchung der Präambel und von Artikel I wird ergeben, daß die Lehre des Naturgesetzes immerhin in die Absicht der Erklärung hineingewoben ist. Somit ist es kein Zufall, daß das allererste Substantiv des Textes das Wort "anerkennen" ist: "Wohingegen die Anerkennung der ihm zu eigenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte, etc." Nun kann man ja nur das "anerkennen", was schon vorher da gewesen sein muß und was schon da ist, kann in diesem Kontext daher nichts anderes sein, als das was die Natur hierher gebracht hat. Weiters, wird Würde als dem Menschen anhaftend bezeichnet, seine Rechte als "unveräußerlich", und es ist schwer, in der englischen Sprache bessere Bezeichnungen zu finden, um die Lehre von Naturgesetz zu belegen. Dann heißt es in Artikel I von menschlichen Wesen, daß sie "frei geboren und gleich an Würde und Rechten" sind. Natürlich bedeutet das Wort "geboren", daß unsere Freiheit, Würde und Rechte die Natur unsere Wesens sind und nicht von einer äußerlichen Macht freigebig gewährt werden. Und zuletzt fährt Artikel I fort zu sagen, das menschliche Wesen "ist mit Vernunft und Gewissen ausgestattet". Das Wort "ausgestattet" kann offensichtlich nur bedeuten, daß unsere Natur so ist, daß wir diese Rechte und Freiheit ursprünglich besitzen. Ich kann daher damit abschließen, daß reichlich Platz vorhanden ist, die Lehre des Naturrechts in die Lehre dieser Deklaration hineinzulesen. |
Davon ab, daß es sich um eine Übersetzung handelt, stammt der Text direkt von den Seiten der Vereinten Nationen. Charles Malik war orthodoxer Christ aus dem Libanon und Schüler Heideggers.
Nach meinem persönlichen Verständnis handelt es sich bei den MR um positives Recht, trotzdem bzw. weil Malik sagte, daß man Naturrecht "hineinlesen" kann.
Quellen: http://www.politikstube.de/forum/blogs/haiduk/charles_malik_erklaert_die_menschenrechte_teil_i-116/
http://www.politikstube.de/forum/blogs/haiduk/charles_malik_erklaert_die_menschenrechte_teil_ii-117/
http://www.politikstube.de/forum/blogs/haiduk/charles_malik_erklaert_die_menschenrechte_teil_iii-118/
_________________ Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Ein Gesetz ist erst dann legitim, wenn selbst der letzte Schweinehirte in Galizien es verstehen kann. (Kaiserin Maria Theresia)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)
|
|
Nach oben |
|
 |
Jossele anerkannter Nichtsnatz
Anmeldungsdatum: 01.05.2008 Beiträge: 352
Wohnort: Freiburg
|
(#1063596) Verfasst am: 13.08.2008, 06:01 Titel: |
|
|
Haiduk zitierte Malik:
Zitat: | ... Nun kann man ja nur das "anerkennen", was schon vorher da gewesen sein muß und was schon da ist, kann in diesem Kontext daher nichts anderes sein, als das was die Natur hierher gebracht hat. ... | Ich wiederspreche der Vorstellung dass die MR naturrechtlich interpretiert werdenkönnen, aber die oben zitierte Setzung ist nicht haltbar. Diese würde bedeuten, dass es nichts neues gibt, das durch die Menschen anerkannt werden kann. Das möchte ich bezweifeln.
Sozialwissenschaftliche Überlegungen gepaart mit Erkenntnissen der Sozialpsychologie und der Anthropologie lassen auch den Schluss zu, dass das, was wir heute Menschenrechte nennen, ein Ergebnis sozialer Evolution ist. Wir sind auf das Team in viel stärkerem Maße angewiesen (dürftige individuelle körperliche Ausstattung im Vergleich zu allen spezialisierten Tieren), als alle anderen Lebewesen auf dieser Welt. Da wir aber im Gegensatz zu anderen Tieren die Möglichkeit der Entscheidung basierend auf kognitiven Prozessen haben, muss es ein Regulativ dafür geben, dass wir nicht unsere je individuellen Interessen so weit über die unserer Mitmenschen stellen, dass diese uns die Kooperation aufkündigen. Da gab es sicher lange keine Formulierung von allgemeinen Rechten sondern ein Handeln nach der Prämisse, ich behandele dich so, dass der andere keinen Anlass hast mich schlechter zu behandeln.
Eine Interpretation der Grundlage der Menschenrechte schließt andere nicht automatisch aus.
Aber um auf den Threadtitel nochmals anzusprechen, die Würde des Menschen (und auch des Islam, des Christentums, des Judentums und aller anderer Religionen) wird ständig angetastet. die Formulierung sollte ehrlicherweise lauten:Die Würde des Menschen sollte unantastbar sein und die Menschen sollten alles tun, dies in der Realität auch umzusetzten.
Jossele
_________________ Also wenn sie meinen sie müssen, dann sollen sie doch, wenn sie können ...
|
|
Nach oben |
|
 |
Botschafter Kosh auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 26.11.2007 Beiträge: 3972
|
(#1063819) Verfasst am: 13.08.2008, 15:24 Titel: |
|
|
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich sehe in Österreich auch keine praktischen Probleme mit der politischen Immunität. Die wird sofort aufgehoben, wenn ein Parlamentarier betrunken Auto fährt, oder wie der Westentaler in der Prügelaffäre. Mir wäre da keine Fehlentscheidung aus meiner Sicht bekannt. |
Kennst du einen Polizisten, der den Kanzler beim Autofahren überhaupt zur Kenntnis nimmt?
Die paar ähnliche Vorzeigefälle, wo das probiert wurde, sind mit Topanwälten gerade gerückt worden oder im Nirgendwo der Justiz versandet.
mfg Kosh
|
|
Nach oben |
|
 |
rk72 gesperrt
Anmeldungsdatum: 09.04.2008 Beiträge: 2462
|
(#1063847) Verfasst am: 13.08.2008, 16:00 Titel: |
|
|
Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich sehe in Österreich auch keine praktischen Probleme mit der politischen Immunität. Die wird sofort aufgehoben, wenn ein Parlamentarier betrunken Auto fährt, oder wie der Westentaler in der Prügelaffäre. Mir wäre da keine Fehlentscheidung aus meiner Sicht bekannt. |
Kennst du einen Polizisten, der den Kanzler beim Autofahren überhaupt zur Kenntnis nimmt?
Die paar ähnliche Vorzeigefälle, wo das probiert wurde, sind mit Topanwälten gerade gerückt worden oder im Nirgendwo der Justiz versandet.
mfg Kosh |
Der Kanzler steht nicht über dem Gesetz. Wenn es ein Fall vor Gericht gab und der gewonnen wurde, dann wird es wohl seine Richtigkeit haben. Es passiert schon gelegentlich, daß Leute vor Gericht ihren Fall gewinnen. Und Top-Anwalt bedeutet nicht, daß er das Gesetz aushebeln kann, sondern alle Möglichkeiten ausschöpft. Außerdem ist Kanzler der Bundesrepublik Deutschland der Regierungschef. Ich weiß, daß es dich wahrscheinlich freuen würde wenn man den Kanzler für zwei Tage in den Knast sperren würde, weil er zu schnell gefahren ist, aber er hat eine Aufgabe bei der er unabkömmlich ist. D. h. egal was er auch macht, entweder wird er abgewählt, ein Neuer gewählt, verliert seine Immunität und landet vor Gericht, oder das Gericht muß warten bis er nach vier Jahren mit dem Job fertig ist. Hat schon seine Richtigkeit. Ode ist es dir lieber, daß der Kanzler im Knast sitzt während es im Land eine Kriese gibt?
|
|
Nach oben |
|
 |
Zumsel registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.03.2005 Beiträge: 4667
|
(#1063885) Verfasst am: 13.08.2008, 16:38 Titel: |
|
|
@ Sokrateer
Der Begriff der "Natur des Menschen" ist schwammig. Das hat was von "Gott gewollt". Letztlich entspricht jedes Verhalten der Natur des Menschen, denn ansonsten würde es ja gar nicht existieren. Wer also anderen Menschen ihre "natürlichen Bedürfnisse" verwehrt, tut das ebenfalls auf der Grundlage "natürlicher Bedürfnisse", wie zum Beispiel Rachsucht oder Machtstreben Das, was wir Recht und Moral nennen, ist daher gewissermaßen bloß die Bedürfnishierarchie, die sich innerhalb einer gegebenen Gesellschaft herausgebildet hat. Um diese Ordnung bewerten zu können, muss man bereits selbst wieder Präferenzen, sprich: eine Moral haben. Bei dir drückt sich das beispielsweise in dem Dogma aus, die Bedürfnisse aller Menschen seien gleich zu bewerten.
Übrigens: Warum verstößt es nach deinem Verständnis eigentlich gegen die Menschrechte, einen Verbrecher zu steinigen oder ihm die Hände abzuhacken, nicht aber, ihn seiner Freiheit zu berauben? Ist die Diskrepanz bei der Bewertung dieser Strafen anderer als ästhetischer Natur?
|
|
Nach oben |
|
 |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1064013) Verfasst am: 13.08.2008, 19:27 Titel: |
|
|
Zumsel hat folgendes geschrieben: | @ Sokrateer
Der Begriff der "Natur des Menschen" ist schwammig. Das hat was von "Gott gewollt". |
Nein, hat es nicht. "Das Universum" oder "das Immunsystem" sind auch keine schwammigen Begriffe, sondern sie sind unterbestimmt, da man noch nicht alle Sterne kennt.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Letztlich entspricht jedes Verhalten der Natur des Menschen, denn ansonsten würde es ja gar nicht existieren. |
Im weltanschaulichen Sinne ist für einen Materialisten alles Natur. In ethischen Fragestellungen verwendet man eine andere Semantik. In diesem Sinne wäre es absurd, beispielsweise Pokerspielen als Natur des Menschen zu betrachten. Gemeint sind freilich unmittelbare Eigenschaften des Menschen und nicht seine fast unendlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Es gibt freilich auch im Poker Regeln, aber die haben in einer Grundrechtserklärung nichts verloren.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Wer also anderen Menschen ihre "natürlichen Bedürfnisse" verwehrt, tut das ebenfalls auf der Grundlage "natürlicher Bedürfnisse", wie zum Beispiel Rachsucht oder Machtstreben Das, was wir Recht und Moral nennen, ist daher gewissermaßen bloß die Bedürfnishierarchie, die sich innerhalb einer gegebenen Gesellschaft herausgebildet hat. |
Wieso "bloß" und warum sollte diese gesellschaftsspezifisch sein? Wenn du die meisten Menschen vor eine Wahl stellst, z.B. zwischen Tod, Hunger, dem Verlust der Kinder und Rache oder ein bisschen Geld, dann würde man meistens die gleichen Antworten bekommen. Wenn man von den Menschenrechten abweichende Antworten bekommt, dann eher, wenn es religiöse Gurus geschafft haben, den Menschen eine falsche Darstellung der Beschaffenheit unserer Welt einzureden, in denen absurde und unnatürliche Verhaltensweisen plötzlich sinnvoll erscheinen. Selbstmordattentate, Zölibat für Gott z.B.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Bei dir drückt sich das beispielsweise in dem Dogma aus, die Bedürfnisse aller Menschen seien gleich zu bewerten. |
Von mir hast du dieses angebliche Dogma sicher nicht. Gewisse Grundbedürfnisse sind fast allen Menschen zueigen. Das ist keine Bewertung, sondern eine Feststellung.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Übrigens: Warum verstößt es nach deinem Verständnis eigentlich gegen die Menschrechte, einen Verbrecher zu steinigen oder ihm die Hände abzuhacken, nicht aber, ihn seiner Freiheit zu berauben? Ist die Diskrepanz bei der Bewertung dieser Strafen anderer als ästhetischer Natur? |
Logischerweise impliziert ein Recht, dass diejenigen, die anderen ihre Rechte nehmen wollen, irgendwie daran gehindert oder davon abgeschreckt werden müssen. Das steht auch in den Menschenrechten.
Niemand will die Hand abgehackt bekommen oder gesteinigt werden. Das steht bei den meisten Menschen sicher ganz oben in der Bedürfnishierarchie. Und ein Verurteilter würde in der Regel einen Freiheitsentzug vorziehen und da letzterer erfahrungsgemäß hinreichend ist, wäre es ungerechtfertigt, seine Rechte in einem unnötigen Maß zu beschneiden.
|
|
Nach oben |
|
 |
Jossele anerkannter Nichtsnatz
Anmeldungsdatum: 01.05.2008 Beiträge: 352
Wohnort: Freiburg
|
(#1064039) Verfasst am: 13.08.2008, 20:03 Titel: |
|
|
Zu den Grundbedürfnissen und ihrer scheinbaren Beliebigkeit ist das Grundgesetz ein Stütze.
Zitat: | Artikel 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. | Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/grundgesetz/gg_01.html
Die persönliche Freiheit des einen endet da, wo sie die persönliche Freiheit des anderen einschränkt.
Dieses Gesetz ist als "Verzichtserklärung" zu verstehen. Es gilt nicht primär die eigene Freiheit grenzenlos auszudenen, sondern sie so einzuschränken, dass die Freiheit der Mitmenschen gewährleistet ist. Unter diesen Aspekt fällt auch die Deckung der sog. Grundbedürfnisse: Nahrung, Kleidung, Wohnraum, Bildung und Zugang zum öffentlichen Leben.
Noch elementarere Aspekte (Freiheit, körperliche Unversehrtheit) sind gesondert geregelt.
Es ist mAn einleuchtend, dass Freiheitsentzug als gesellschaftlicher Regress für Straftaten, eher in Frage kommt, als die Verstümmelung oder die Tötung des Straftäters. Alleine, weil derartige Strafmaßnahmen im Gegensatz zum Freiheitsentzug unumkehrbar sind, ist diesem der Vorzug zu geben.
Jossele
_________________ Also wenn sie meinen sie müssen, dann sollen sie doch, wenn sie können ...
|
|
Nach oben |
|
 |
Zumsel registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.03.2005 Beiträge: 4667
|
(#1064701) Verfasst am: 14.08.2008, 16:23 Titel: |
|
|
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Im weltanschaulichen Sinne ist für einen Materialisten alles Natur. |
Das hat mit Materialismus zunächst mal nichts zu tun. "Natur" ist eigentlich per definition alles. Der Materialist hängt, genau wie der Idealist, nur dem Aberglauben an, der Natur müsse eine Substanz zu Grunde liegen.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | In ethischen Fragestellungen verwendet man eine andere Semantik. |
Ja, weil die Ethik eine vereinfachende Darstellung menschlicher Neigungen ist. Deswegen ist es angebracht, eben nicht von der "wahren und verfälschten Natur" u.ä. zu reden. Denn damit erklärte man eine bestimmte Art der vereinfachten Wirklichkeit zur Wirklichkeit überhaupt.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Wieso "bloß" und warum sollte diese gesellschaftsspezifisch sein? |
Weil sich gezeigt hat, dass sie in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich gewichtet werden. Die Hierarchie wird ja nicht von den Präferenzen eines Individuums erstellt, sondern ergibt sich aus den widerstreitenden Interessen innerhalb der Gemeinschaft. Die Herausbildung einer Ethik ist ein gesellschaftlicher Vorgang. Die "natürlichen Bedürfnisse" des Einzelnen treffen von Geburt an auf eine bereits vorgegebene Hierarchie. In den meisten Kulturen, die es bisher gab, wurde etwa das Bedürfnis der Gesellschaft nach Rache an als niederträchtig oder schädlich empfundenen Verbrechern höher bewertet als deren Bedürfnis zu leben. In der Ethik dieser Kulturen drückt sich sodann genau diese Gewichtung aus. Warum sollte sie der menschlichen Natur widersprechen?
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Wenn du die meisten Menschen vor eine Wahl stellst, z.B. zwischen Tod, Hunger, dem Verlust der Kinder und Rache oder ein bisschen Geld, dann würde man meistens die gleichen Antworten bekommen. |
Mag sein, aber eine Ethik zielt nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Gesellschaft als ganzes. Du setzt stillschweigend die goldene Regel als selbstverständlichen Grundsatz jeder Ethik voraus. Das ist sie aber nicht. Man kann doch ohne weiteres Praktiken befürworten, die man an sich selbst nicht praktiziert sehen will. Selbst wenn die abstrakte Gefahr besteht, selbst einmal davon betroffen zu sein. Davon abgesehen ist es ja nun wirklich keine neue Erkenntnis, dass Menschen ungern gesteinigt werden oder verhungern. Daraus dann ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Nahrung für alle abzuleiten, ist aber offensichtlich alles andere als zwingend. Denn sonst müsste es diese Rechte ja schon seit Menschengedenken und überall auf der Welt geben.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Von mir hast du dieses angebliche Dogma sicher nicht. Gewisse Grundbedürfnisse sind fast allen Menschen zueigen. Das ist keine Bewertung, sondern eine Feststellung. |
Aber du benötigst eine Bewertung, um zu der Forderung zu gelangen, allen Menschen müsste die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse zugestanden werden. Es bedarf keiner "falschen Weltbilder", um das anders sehen zu können. Es reicht u.U. aus, nicht dem ethischen Grundsatz anzuhängen, alle Menschen müssten prinzipiell die gleichen Rechte habe. Wieso sollte diese Ansicht überhaupt zwingend sein, wenn nicht, weil die Gleichwertigkeit aller Menschen bereits dogmatisch voraussetzt wird?
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Wenn man von den Menschenrechten abweichende Antworten bekommt, dann eher, wenn es religiöse Gurus geschafft haben, den Menschen eine falsche Darstellung der Beschaffenheit unserer Welt einzureden, in denen absurde und unnatürliche Verhaltensweisen plötzlich sinnvoll erscheinen. |
Nein, Religionen sind nicht nötig, um abweichende Antworten zu bekommen. Bereits gesellschaftliche Ehrbegriffe können dazu ausreichen. Und auch das hat nichst mit einem "falschen Bild unserer Welt" zu tun. Der Wille, der Konvention zu entsprechen, kann stärker sein als jedes deiner "natürlichen Bedürfnisse.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Logischerweise impliziert ein Recht, dass diejenigen, die anderen ihre Rechte nehmen wollen, irgendwie daran gehindert oder davon abgeschreckt werden müssen. |
Demnach dürften Strafen, die natürtliche Grundbedürfnisse beschneiden, aber nur bei Verbrechen ausgesprochen werden, die sich selbst gegen Grundbedürfnisse, ergo Menschrechte richten. Du könntest damit nicht rechtfertigen, warum etwa ein Steuerhinterzieher seiner Freiheit beraubt werden sollte. Und wo ist die Grenze? Wenn sich herausstellte, dass gegen bestimmte Verbrechen die Todesstrafe oder gar Folter das probatere Mittel wären, stünde die Anwendung dieser Strafen bei entsprechenden Straftätern dann im Einklang mit den Menschrechten?
|
|
Nach oben |
|
 |
Jossele anerkannter Nichtsnatz
Anmeldungsdatum: 01.05.2008 Beiträge: 352
Wohnort: Freiburg
|
(#1064805) Verfasst am: 14.08.2008, 18:11 Titel: |
|
|
Zumsel schrieb:
Zitat: | Ja, weil die Ethik eine vereinfachende Darstellung menschlicher Neigungen ist. Deswegen ist es angebracht, eben nicht von der "wahren und verfälschten Natur" u.ä. zu reden. Denn damit erklärte man eine bestimmte Art der vereinfachten Wirklichkeit zur Wirklichkeit überhaupt. | Ich denke nicht, dass Ethik eine vereinfachte Darstellung menschlicher Neigungen ist, sondern der Versuch, diese in sehr umfassender Form allgemeingültig zu formulieren. Sie ist im Grunde komplexer, als individuelle Neigungen. Diese lassen sich klar formulieren. Aber der hiesige Diskurs, zeigt wie schwer es ist, so etwas in allgemeingültige Form zu gießen.
Zitat: | … Die Herausbildung einer Ethik ist ein gesellschaftlicher Vorgang. … | Die Herausbildung von Gesellschaft ist ein Vorgang bei dem die Herausbildung von Ethik, vor allem einer immer universeller formulierten, eine wichtig Rolle spielt.
Zitat: | In den meisten Kulturen, die es bisher gab, wurde etwa das Bedürfnis der Gesellschaft nach Rache an als niederträchtig oder schädlich empfundenen Verbrechern höher bewertet als deren Bedürfnis zu leben. In der Ethik dieser Kulturen drückt sich sodann genau diese Gewichtung aus. Warum sollte sie der menschlichen Natur widersprechen? | Weil die menschliche Natur vor allem eines bedeutet, die Fähigkeit sich anzupassen. Die Vorgehensweisen unserer Ahnen sind bei gegebener Technologie und Bevölkerungsdichte nicht angemessen. Die Möglichkeit des Einzelnen großen Schaden für viele anzurichten, sind rapide gestiegen. Deshalb muss die Reaktion der Gemeinschaft gemäßigter werden, um das Signal an den Einzelnen zu senden: Zurückhaltung ist geboten!
Zivilisation ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Neben dem untrüglichen Merkmal Bleibendes zu Schaffen, ist Zivilisation vor allem durch den konträren Aspekt geprägt, dass ja kein Steinchen auf dem anderen gelassen wird. Alles muss verändert, angepasst und perfektioniert werden.
Zitat: | Mag sein, aber eine Ethik zielt nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Gesellschaft als ganzes. Du setzt stillschweigend die goldene Regel als selbstverständlichen Grundsatz jeder Ethik voraus. Das ist sie aber nicht. Man kann doch ohne weiteres Praktiken befürworten, die man an sich selbst nicht praktiziert sehen will. Selbst wenn die abstrakte Gefahr besteht, selbst einmal davon betroffen zu sein. Davon abgesehen ist es ja nun wirklich keine neue Erkenntnis, dass Menschen ungern gesteinigt werden oder verhungern. Daraus dann ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Nahrung für alle abzuleiten, ist aber offensichtlich alles andere als zwingend. Denn sonst müsste es diese Rechte ja schon seit Menschengedenken und überall auf der Welt geben. | Rechte sind ein abstraktes Gebilde. Sie sind ständig in Entwicklung und Veränderung begriffen. Dass es eine universelle Formulierung der Menschenrechte erst jetzt gibt, hat auch damit zu tun, dass die Welt schlicht kleiner geworden ist. Die Menschen sind erst jetzt in der Lage zu erkennen, dass ihre je individuellen Bedürfnisse, auch für Antipoden gelten. Das verändert langsam das Denken der Menschen. Die Formulierung der Menschenrechte sind nur ein erster Schritt zur “Menschwerdung“ der Gesellschaft.
Zitat: | Demnach dürften Strafen, die natürliche Grundbedürfnisse beschneiden, aber nur bei Verbrechen ausgesprochen werden, die sich selbst gegen Grundbedürfnisse, ergo Menschrechte richten. Du könntest damit nicht rechtfertigen, warum etwa ein Steuerhinterzieher seiner Freiheit beraubt werden sollte. Und wo ist die Grenze? Wenn sich herausstellte, dass gegen bestimmte Verbrechen die Todesstrafe oder gar Folter das probatere Mittel wären, stünde die Anwendung dieser Strafen bei entsprechenden Straftätern dann im Einklang mit den Menschrechten? | Ich denke er meinte etwas wie den Gedanken der wehrhaften Demokratie. Die eigentlich nicht direkt interveniert, aber sog, antidemokratische Kräfte (was immer auch als solches betrachtet wird) bekämpfen darf. (Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass dir das klar ist. Sollte ich nur den Gag verpasst haben – Sorry!)
Jossele
_________________ Also wenn sie meinen sie müssen, dann sollen sie doch, wenn sie können ...
|
|
Nach oben |
|
 |
Volker Bekennender Atheist
Anmeldungsdatum: 29.07.2003 Beiträge: 190
Wohnort: Würzburg
|
(#1064812) Verfasst am: 14.08.2008, 18:28 Titel: |
|
|
Kleine Anmerkung zum Naturrecht:
Die Menschenrechte können nicht auf dem Naturrecht beruhen, weil Naturrechte einen logischen Widerspruch enthalten (sie beruhen meist auf dem naturalistischen Fehlschluss - aus dem Sein folgt kein Sollen). Vielleicht kennen viele den naturalistischen Fehlschluss dem Namen nach, aber nicht die Gründe, warum der Schluss fehlerhaft ist. Ich erkläre das anhand eines Beispiels, dem Sozialdarwinismus.
Nehmen wir an, ich sei der Meinung, dass in der Natur vor allem der Starke überlebt, und dass daher die Gesetze so beschaffen sein sollten, dass sie den Stärkeren bevorzugen. Lassen wir einmal alle anderen Einwände beiseite, wie etwa, dass in der Natur nicht der Stärkere überlebt, sondern der, der die meisten sich fortpflanzenden Nachkommen hat, erfolgreicher seine Gene weitergibt etc. pp., oder dass der Begriff "der Stärkere" schlecht definiert ist, oder dass sich eben nicht immer der Stärkere durchsetzt (manchmal der Schnellere, der mit der besseren Ausdauer, der mit der besseren Tarnung etc. pp.). Konzentrieren wir uns lieber auf den dann immer noch vorhandenen Fehlschluss.
Ich behaupte also, dass der Stärkere, weil er sich in der Natur durchsetzt, deswegen auch mehr Rechte haben soll als der Schwächere. Wo steckt da der Widerspruch?
Was ich behaupte, ist Folgendes: Der Stärkere sollte sich, ebenso wie in der Natur, auch in der Gesellschaft besser durchsetzen. D. h., ich setze "Natur" und "Gesellschaft" analog. Nun ist es in der Natur so, dass sich dort der Stärkere faktisch durchsetzt (wir wollten ja alle Einwände dagegen im Moment ignorieren). Nun gibt es zwar keinen Grund, warum wir mit der Gesellschaft unbedingt die Natur imitieren sollten (von deren groben Fesseln wir uns wenigstens teilweise befreit haben), aber ignorieren wir auch diesen Einwand. Es gibt in der Gesellschaft zwei Möglichkeiten:
1. Die Stärkeren setzen sich, wie in der Natur, auch in der Gesellschaft durch.
2. Die Stärkeren setzen sich, anders als in der Natur, in der Gesellschaft nicht durch.
Sollte 1. zutreffen, dann ist ein Recht, dass den Stärkeren dazu verhilft, sich durchzusetzen, überflüssig - denn das tun sie ja ohnehin schon, aufgrund ihrer "Überlegenheit". Warum sollte man propagieren, dass sich die Stärken durchsetzen sollten, wenn sie das ohnehin schon tun?
Aber man propagiert so ein Recht ja genau deswegen, weil es in der Gesellschaft kein Fakt ist. Ich sage ja, dass "die Stärkeren sich in der Gesellschaft durchsetzen sollten", weil das offensichtlich nicht der Fall ist. Ich will aber an dem bestehenden Zustand etwas ändern, ich verteidige keinen Status Quo, sondern ich will, dass sich der Status so ändert, dass sich die Stärkeren durchsetzen. Um so ein Recht zu propagieren, muss man also eingestehen, dass 2. der Fall ist. Die Stärkeren setzen sich nicht durch, aber sie sollten sich durchsetzen. Aber warum setzen sie sich nicht durch, wie in der Natur auch? Ganz einfach deswegen, weil sie offensichtlich nicht die Stärkeren sind.
Was ich also letztlich sage ist: Ich will, dass sich die Stärkeren, die aber momentan noch die Schwächeren sind, durchsetzen sollten, damit sie dann die Stärkeren sind. "Sollen" bedeutet immer, dass ein Zustand anzustreben ist. Das bedeutet aber, dass der Zustand nicht erreicht ist. Was ich also auch sage, ist: Der Zustand A ist ein Faktum, und daraus, dass er Fakt ist, lese ich ab, dass wir den Zustand A auch anstreben sollten. Aber damit widerspreche ich mir selbst - wieso sollte ich einen Zustand anstreben, der schon besteht? Und wieso behaupte ich, dass der Zustand schon besteht, um mir dann gleich zu widersprechen, dass er nicht besteht? Besteht der Zustand nun oder nicht?
Dieser Grundwiderspruch existiert in allen naturrechtlichen "Argumenten". Und genau das ist der Kern des naturalistischen Fehlschlusses: Ich behaupte, dass etwas so sein soll, wie es ist, weil es nicht so ist, wie es angeblich ist. Das reicht als Argument völlig aus, um so etwas die den Sozialdarwinismus auszuhebeln - neben den anderen Argumenten, die ich ausgeblendet habe. Aus dem, was ist, folgt nicht, dass es auch so sein soll. Oder knapper, aus dem Sein folgt kein Sollen.
Das gilt, wie man leicht sehen kann, für alle naturrechtlichen Argumente. Immer wird letztlich gesagt, dass etwas so werden soll, wie es ist, weil es nicht so ist, wie es sein sollte. Und damit widerspricht man sich selbst, man äußert eine Meinung, sagt aber gleichzeitig, dass man gegenteiliger Meinung ist und dass man nicht beide Meinungen gleichzeitig haben kann. Niemand kann daraus ablesen, welcher Meinung ich nun tatsächlich bin, was ich sage, hat den logischen Gehalt von Nichts - oder ist eben sinnfrei (frei von jedem Sinn).
Logisch gesehen ist die Konjunktion "A und Nicht-A" immer falsch, und es lassen sich keine Umstände denken, unter denen sie wahr sein kann. Übrigens: Da die Logik keinerlei ontologische Voraussetzungen hat, gilt sie selbstverständlich auch für transzendentale Wesen.
_________________ Die erste Sünde der Menschheit war Glauben, ihre erste Tugend war Zweifel.
|
|
Nach oben |
|
 |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1064873) Verfasst am: 14.08.2008, 19:58 Titel: |
|
|
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Im weltanschaulichen Sinne ist für einen Materialisten alles Natur. |
Das hat mit Materialismus zunächst mal nichts zu tun. "Natur" ist eigentlich per definition alles. Der Materialist hängt, genau wie der Idealist, nur dem Aberglauben an, der Natur müsse eine Substanz zu Grunde liegen. |
Strohmann und Semantikspielchen. Gibt es deiner Meinung nach eine Substanz? Wenn ja, wäre das relevant? Wenn nicht, warum sprichst du es an?
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | In ethischen Fragestellungen verwendet man eine andere Semantik. |
Ja, weil die Ethik eine vereinfachende Darstellung menschlicher Neigungen ist. Deswegen ist es angebracht, eben nicht von der "wahren und verfälschten Natur" u.ä. zu reden. Denn damit erklärte man eine bestimmte Art der vereinfachten Wirklichkeit zur Wirklichkeit überhaupt. |
Die Wirklichkeit ist jedenfalls der Maßstab an die wir uns halten müssen. Kategorisierungen, Regelmäßigkeiten, Häufigkeiten, Ursache und Wirkung sind notwendig, um die Wirklichkeit begreifen zu können und Modelle zu erstellen. Die Beschreibung der Welt ist nicht die Wirklichkeit. Niemand behauptet das.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Wieso "bloß" und warum sollte diese gesellschaftsspezifisch sein? |
Weil sich gezeigt hat, dass sie in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich gewichtet werden. Die Hierarchie wird ja nicht von den Präferenzen eines Individuums erstellt, sondern ergibt sich aus den widerstreitenden Interessen innerhalb der Gemeinschaft. Die Herausbildung einer Ethik ist ein gesellschaftlicher Vorgang. Die "natürlichen Bedürfnisse" des Einzelnen treffen von Geburt an auf eine bereits vorgegebene Hierarchie. In den meisten Kulturen, die es bisher gab, wurde etwa das Bedürfnis der Gesellschaft nach Rache an als niederträchtig oder schädlich empfundenen Verbrechern höher bewertet als deren Bedürfnis zu leben. In der Ethik dieser Kulturen drückt sich sodann genau diese Gewichtung aus. Warum sollte sie der menschlichen Natur widersprechen? |
Das Opfer der Rache will sein Leben behalten und auch diejenigen, die die Rache ausüben bewerten ihr Leben höher als die Rache eines anderen.
Kein Widerspruch zu meiner Auffassung der menschlichen Bedürfnishierarchie.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Wenn du die meisten Menschen vor eine Wahl stellst, z.B. zwischen Tod, Hunger, dem Verlust der Kinder und Rache oder ein bisschen Geld, dann würde man meistens die gleichen Antworten bekommen. |
Mag sein, aber eine Ethik zielt nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Gesellschaft als ganzes. |
Eine Feststellung menschlicher Bedürfnishierarchien zielt nicht auf eine Gesellschaft, sondern ist eine empirisch Aussage über Menschen.
Mit Gesellschaften beschäftigt sich die Soziologie.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Du setzt stillschweigend die goldene Regel als selbstverständlichen Grundsatz jeder Ethik voraus. Das ist sie aber nicht. Man kann doch ohne weiteres Praktiken befürworten, die man an sich selbst nicht praktiziert sehen will. Selbst wenn die abstrakte Gefahr besteht, selbst einmal davon betroffen zu sein. |
Was man kann ändert nichts daran, was richtig ist. Die goldene Regel, als auch Bestrafung und altruistische Bestrafung sind den Menschen, sowie vielen anderen Spezies, nachweislich angeboren und ergeben sich auch in Modellen der Spieletheorie als sinnvolle Strategien für von einander abhängige, vergleichbar mächtige Individuen ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Dass ein König sich nicht an die goldene Regel hält, ist klar, aber für seine Untertanen wäre es die beste Strategie, sich den Königs zu entledigen und die Menschenrechte einzuführen.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Von mir hast du dieses angebliche Dogma sicher nicht. Gewisse Grundbedürfnisse sind fast allen Menschen zueigen. Das ist keine Bewertung, sondern eine Feststellung. |
Aber du benötigst eine Bewertung, um zu der Forderung zu gelangen, allen Menschen müsste die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse zugestanden werden. Es bedarf keiner "falschen Weltbilder", um das anders sehen zu können. Es reicht u.U. aus, nicht dem ethischen Grundsatz anzuhängen, alle Menschen müssten prinzipiell die gleichen Rechte habe. Wieso sollte diese Ansicht überhaupt zwingend sein, wenn nicht, weil die Gleichwertigkeit aller Menschen bereits dogmatisch voraussetzt wird? |
Ich bewerte Menschen nicht. Ich erkläre ihnen, dass es uns allen besser geht, wenn wir die Menschenrechte akzeptieren und danach handeln.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Logischerweise impliziert ein Recht, dass diejenigen, die anderen ihre Rechte nehmen wollen, irgendwie daran gehindert oder davon abgeschreckt werden müssen. |
Demnach dürften Strafen, die natürtliche Grundbedürfnisse beschneiden, aber nur bei Verbrechen ausgesprochen werden, die sich selbst gegen Grundbedürfnisse, ergo Menschrechte richten. Du könntest damit nicht rechtfertigen, warum etwa ein Steuerhinterzieher seiner Freiheit beraubt werden sollte. |
Wie willst du denn das Recht auf Bildung und vieles andere ohne Steuern ermöglichen? Dass es gemeinschaftliche Pflichten gibt folgt aus den Menschenrechten und steht auch drin.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Und wo ist die Grenze? Wenn sich herausstellte, dass gegen bestimmte Verbrechen die Todesstrafe oder gar Folter das probatere Mittel wären, stünde die Anwendung dieser Strafen bei entsprechenden Straftätern dann im Einklang mit den Menschrechten? |
Folter ist laut Menschenrechten verboten. Das ergibt sich daraus, dass Menschen nicht gefoltert werden wollen und es weder ein probates noch ein notwendiges Mittel ist.
Todesstrafe wäre Okay, wenn es keine anderen Möglichkeiten gäbe. Da letzteres in einem modernen Rechtsstaat nicht der Fall ist, enthält die europäische Menschenrechtscharta auch ein Verbot der Todesstrafe.
Zuletzt bearbeitet von Sokrateer am 14.08.2008, 20:23, insgesamt einmal bearbeitet |
|
Nach oben |
|
 |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1064887) Verfasst am: 14.08.2008, 20:14 Titel: |
|
|
Volker hat folgendes geschrieben: | Kleine Anmerkung zum Naturrecht:
Die Menschenrechte können nicht auf dem Naturrecht beruhen, weil Naturrechte einen logischen Widerspruch enthalten (sie beruhen meist auf dem naturalistischen Fehlschluss - aus dem Sein folgt kein Sollen). Vielleicht kennen viele den naturalistischen Fehlschluss dem Namen nach, aber nicht die Gründe, warum der Schluss fehlerhaft ist. Ich erkläre das anhand eines Beispiels, dem Sozialdarwinismus.
Nehmen wir an, ich sei der Meinung, dass in der Natur vor allem der Starke überlebt, und dass daher die Gesetze so beschaffen sein sollten, dass sie den Stärkeren bevorzugen.
[...]
Dieser Grundwiderspruch existiert in allen naturrechtlichen "Argumenten". |
Nein. Es ist ein Fehlschluss aus einem naturalistischen Fehlschluss zu schließen, dass alle naturalistischen Schlüsse Fehlschlüsse wären.
Zeige einen derartigen Fehlschluss in meiner Argumentation auf und nicht in diesem Sozialdarwinismus.
Dieser Sozialdarwinismus ist ohnehin eine Erfindung, die eher von Kritikern Herbert Spencers erfunden wurde. Herbert Spencer kannte den Darwinismus gar nicht als er seine Ideen zu publizieren begann. Er war noch lamarckistisch beeinflusst. Er war der Ansicht, dass sich die Gesellschaften im lamarckistischen Sinne weiterentwickeln würden, von einem barbarischen Urzustand hin zu einem fast schon anarchistischen Zustand in dem die Menschen sich bereitwillig und gegenseitig helfen würden. Er befürwortete auch die Wohlfahrt und sah sie auch gerade als Zeichen des Fortschritts hin zu einer humaneren Welt. Er lehnte nur die Wohlfahrt für Asoziale ab, die nicht selbst bereit sind, einen Betrag zur Gesellschaft zu leisten.
|
|
Nach oben |
|
 |
UnsichtbarerGeist Bekennender Pastafari
Anmeldungsdatum: 22.03.2007 Beiträge: 487
|
(#1065136) Verfasst am: 15.08.2008, 09:08 Titel: |
|
|
Aktuell zum Thema ein Kommentar, den ich soeben auf Youtube erhalten habe:
Ankebut89 auf Youtube hat folgendes geschrieben: |
Solange es Menschen wie dich gibt, solange werden wir als Märtyrer sterben. Dank abschäumen wie dich haben wir die gelegenheit, als Märtyrer zu sterben in dem wir euch das selbe antun, was ihr uns antut! Nimm ALLAHs name nicht in dein dreckiges Mund du ignoranter Hund! Möge ALLAH dich verdammen dafür dass du meine Religiöse Werte verletzt hast...! Das also ist dein Lebensmotto: Andere Religionen beleidigen, Ignorant sein...nein ich möchte aufkeinenfall einer wie du sein du SCHARLATAN
|
Womit habe ich den armen Mann nur so beleidigt?
Hiermit:
Zitat: |
Die Erklärung hat zwei Haken:
- Erstens steht im Koran, dass "Allah selbst Herzen der Ungläubigen versiegelt, damit sie nicht glauben" (z.B. Sure 2).
- Zweitens bedeutet "blinder Glaube unbewiesener Behauptungen", dass man dem erstbesten Hochstapler auf den Leim geht. Eine solche Forderung macht für einen güten Gott keinerlei Sinn, weil sonst jeder skeptische Mensch zum Sünder würde. Aber ein Scharlatan muss natürlich blinden Glauben verlangen - weil er ja sonst nichts bieten kann.
|
UG
_________________ Für Aufklärung, Menschenrechte und Freiheit. Gegen Dogmatismus, Lügen und Ingnoranz
|
|
Nach oben |
|
 |
Volker Bekennender Atheist
Anmeldungsdatum: 29.07.2003 Beiträge: 190
Wohnort: Würzburg
|
(#1065379) Verfasst am: 15.08.2008, 14:03 Titel: |
|
|
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Volker hat folgendes geschrieben: | Kleine Anmerkung zum Naturrecht:
Die Menschenrechte können nicht auf dem Naturrecht beruhen, weil Naturrechte einen logischen Widerspruch enthalten (sie beruhen meist auf dem naturalistischen Fehlschluss - aus dem Sein folgt kein Sollen). Vielleicht kennen viele den naturalistischen Fehlschluss dem Namen nach, aber nicht die Gründe, warum der Schluss fehlerhaft ist. Ich erkläre das anhand eines Beispiels, dem Sozialdarwinismus.
Nehmen wir an, ich sei der Meinung, dass in der Natur vor allem der Starke überlebt, und dass daher die Gesetze so beschaffen sein sollten, dass sie den Stärkeren bevorzugen.
[...]
Dieser Grundwiderspruch existiert in allen naturrechtlichen "Argumenten". |
Nein. Es ist ein Fehlschluss aus einem naturalistischen Fehlschluss zu schließen, dass alle naturalistischen Schlüsse Fehlschlüsse wären. |
Alle Schlüsse, die vom Sein aufs Sollen schließen, sind Fehlschlüsse. Das ist unabhängig vom Inhalt, diese Argumente sind bereits formal falsch. Es führt immer zu dem Widerspruch, dass man möchte, dass etwas so wird, wie es schon ist, weil es nicht so ist, wie es ist.
Fehlschluss bedeutet aber nur, dass sich die Schlussfolgerung nicht aus den Voraussetzungen ergibt - nicht, dass die Schlussfolgerung selbst falsch ist.
Das heißt übrigens nicht, dass Moral nichts mit dem Sein zu tun hat: Im Gegenteil, ohne Bezug auf ein Sein gibt es auch keine Moral. Es heißt nur, dass man es sich nicht so einfach machen kann, aus einem Status Quo abzuleiten, wie es sein soll. Wenn man mit dem Sein argumentiert, dann braucht man Brückenprinzipien, und die Argumentation muss anders aussehen.
Beispiel: Man kann (ohne das jetzt näher zu erläutern) aus dem Aufbau der männlichen Spermien schließen, dass es in der menschlichen (und vormenschlichen) Paarbeziehung seit Jahrhunderttausenden so etwas wie "serielle Monogamie" und Fremdgehen gab. Kurz, man kann begründen, dass serielle Monogamie plus Fremdgehen "in der Natur des Menschen" liegen (das gilt selbstverständlich für Frauen wie auch für Männer gleichermaßen).
Daraus kann man aber nicht schließen, dass das auch gut so ist. Aber man kann etwa gegen die katholische Morallehre einwenden, dass diese unpraktikabel und kaum durchzusetzen sein wird, weil sie von einem falschen Menschenbild ausgeht. Es sei denn, man wollte eine Moral konstruieren, an die sich die wenigsten Menschen halten können (etwas, was ich für einen durchaus korrekten Vorwurf an die katholische Morallehre halte).
Zitat: | Zeige einen derartigen Fehlschluss in meiner Argumentation auf und nicht in diesem Sozialdarwinismus. |
Es war nicht auf Dich bezogen, sondern darauf, dass die Menschenrechte irgendwie aus dem Naturrecht abgeleitet worden seien. Ich bestreite, dass das überhaupt möglich ist, und wenn, dann nur durch falsche Ableitungen. Ich habe Deine Postings vielleicht nicht sorgfältig genug gelesen, ich habe aber auch keinen naturalistischen Fehlschluss bei Dir gefunden. Wie kommst Du eigentlich darauf, dass es auf Dich bezogen war? Ich wollte eigentlich nur Jossele zustimmen ...
Zitat: | Dieser Sozialdarwinismus ist ohnehin eine Erfindung, die eher von Kritikern Herbert Spencers erfunden wurde. Herbert Spencer kannte den Darwinismus gar nicht als er seine Ideen zu publizieren begann. Er war noch lamarckistisch beeinflusst. Er war der Ansicht, dass sich die Gesellschaften im lamarckistischen Sinne weiterentwickeln würden, von einem barbarischen Urzustand hin zu einem fast schon anarchistischen Zustand in dem die Menschen sich bereitwillig und gegenseitig helfen würden. Er befürwortete auch die Wohlfahrt und sah sie auch gerade als Zeichen des Fortschritts hin zu einer humaneren Welt. Er lehnte nur die Wohlfahrt für Asoziale ab, die nicht selbst bereit sind, einen Betrag zur Gesellschaft zu leisten. |
Die ganzen Ideen zum Sozialdarwinismus gab es schon lange vor dem Darwinismus, nur hieß es da nicht "Sozialdarwinismus". Der Begriff ist (relativ) neu, der Inhalt uralt.
_________________ Die erste Sünde der Menschheit war Glauben, ihre erste Tugend war Zweifel.
|
|
Nach oben |
|
 |
Zumsel registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.03.2005 Beiträge: 4667
|
(#1065498) Verfasst am: 15.08.2008, 16:49 Titel: |
|
|
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Strohmann und Semantikspielchen. Gibt es deiner Meinung nach eine Substanz? Wenn ja, wäre das relevant? Wenn nicht, warum sprichst du es an? |
Weil ich deine Aussage für unvollständig und irreführend hielt.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Die Wirklichkeit ist jedenfalls der Maßstab an die wir uns halten müssen. Kategorisierungen, Regelmäßigkeiten, Häufigkeiten, Ursache und Wirkung sind notwendig, um die Wirklichkeit begreifen zu können und Modelle zu erstellen. Die Beschreibung der Welt ist nicht die Wirklichkeit. Niemand behauptet das. |
Eine Ethik ist aber kein wissenschaftliches Modell. Sie ist bloß die vereinfachende Wiedergabe der in einer Gemeinschaft herrschenden Interessen- und Bedürfnisordnung.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Das Opfer der Rache will sein Leben behalten und auch diejenigen, die die Rache ausüben bewerten ihr Leben höher als die Rache eines anderen. |
Aber nicht das Leben desjenigen, an dem sie Rache üben. Das ist doch bloß eine Frage der Betrachtung. Die Rachebefürworter bewerten das Rachebedürfnis eben höher als ihr Bedürfnis, möglichst umfangreich vor Racheakten geschützt zu werden. Wird man dann selbst Opfer dieser Rache, ist das Kind eben in den Brunnen gefallen. Wie schon gesagt versteifst du dich viel zu sehr auf die Empathie als Grundlage der Moral. Sie ist aber nur ein Element und m.E. noch nicht einmal das wichtigste.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Eine Feststellung menschlicher Bedürfnishierarchien zielt nicht auf eine Gesellschaft, sondern ist eine empirisch Aussage über Menschen.
Mit Gesellschaften beschäftigt sich die Soziologie. |
Der Mensch ist keine Monade und Ethik ist ein gesellschaftliches Phänomen. Natürlich muss eine Beschreibung ethischer Prinzipien soziologische Aspekte berücksichtigen.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Die goldene Regel, als auch Bestrafung und altruistische Bestrafung sind den Menschen, sowie vielen anderen Spezies, nachweislich angeboren... |
Da widerspreche ich nicht. Sie müssen aber nicht der Maßstab aller ethischen Dinge sein. Sie lassen sich auch weniger radikal in ein Wertesystem einbauen. Auch wenn es Menschen, die im christlichen Kulturkreis sozilisiert wurden, schwer fällt, das zu glauben.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Dass ein König sich nicht an die goldene Regel hält, ist klar, aber für seine Untertanen wäre es die beste Strategie, sich den Königs zu entledigen und die Menschenrechte einzuführen. |
Du simplifizierst schon wieder in ungerechtigter Weise. In einer Gesellschaft gibt es nicht nur den König auf der einen und die Untertanen auf der anderen Seite. Es gibt in der Regel auch einen Adel oder eine Oberschicht, eine malochende Unterschicht usw. Die Untertanen und ihre Interessen sind durchaus nicht homogen. Davon abgesehen könnte das Volk natürlich höchstens Bürgerrechte einführen. Auch so 'ne christliche Marotte, sich immer gleich für die ganze Spezies verantwortlich zeichnen zu müssen.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Ich bewerte Menschen nicht. Ich erkläre ihnen, dass es uns allen besser geht, wenn wir die Menschenrechte akzeptieren und danach handeln. |
Das ist wirklich rührend. Nur bezweifle ich erstens, dass es dann wirklich allen besser ginge und zweitens, dass das Glück oder Wohlbefinden der Menschen vordringliches Ziel einer jeden Ethik ist.
Utilitarismus ist schlechter Geschmack.
|
|
Nach oben |
|
 |
AntagonisT Master of Disaster
Anmeldungsdatum: 28.09.2005 Beiträge: 5587
Wohnort: 2 Meter über dem Boden
|
(#1065517) Verfasst am: 15.08.2008, 17:17 Titel: |
|
|
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | dass es uns allen besser geht, wenn wir die Menschenrechte akzeptieren und danach handeln. |
Das ist wirklich rührend. Nur bezweifle ich erstens, dass es dann wirklich allen besser ginge |
Warum? Bring mal bitte ein paar Beispiele, warum nicht...
_________________ “Primates often have trouble imagining an universe not run by an angry alpha male.”
|
|
Nach oben |
|
 |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1065547) Verfasst am: 15.08.2008, 17:56 Titel: |
|
|
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Eine Ethik ist aber kein wissenschaftliches Modell. Sie ist bloß die vereinfachende Wiedergabe der in einer Gemeinschaft herrschenden Interessen- und Bedürfnisordnung. |
Jede Ethik beschäftigt sich mit der Realität des Menschen und hat somit einen empirischen und damit möglichst wissenschaftlichen Anspruch.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Das Opfer der Rache will sein Leben behalten und auch diejenigen, die die Rache ausüben bewerten ihr Leben höher als die Rache eines anderen. |
Aber nicht das Leben desjenigen, an dem sie Rache üben. Das ist doch bloß eine Frage der Betrachtung. Die Rachebefürworter bewerten das Rachebedürfnis eben höher als ihr Bedürfnis, möglichst umfangreich vor Racheakten geschützt zu werden. Wird man dann selbst Opfer dieser Rache, ist das Kind eben in den Brunnen gefallen. |
Und um zu Verhindern, dass man Opfer von Rache wird, kann man auf ordentliche Gerichtsverfahren bestehen. Und wir können uns gegenseitig einigen, dass das so gehandhabt werden soll. Dann fällt auch nichts in den Brunnen.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Wie schon gesagt versteifst du dich viel zu sehr auf die Empathie als Grundlage der Moral. Sie ist aber nur ein Element und m.E. noch nicht einmal das wichtigste. |
Auch ein Psychopath pocht auf seine eigenen Menschenrechte und kann erkennen, dass es aus praktikablen Gründen nützlich ist, diese zu unterstützen. Zum Glück hat die Evolution den meisten Menschen diese sinnvolle Strategie bereits eingebrannt.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Eine Feststellung menschlicher Bedürfnishierarchien zielt nicht auf eine Gesellschaft, sondern ist eine empirisch Aussage über Menschen.
Mit Gesellschaften beschäftigt sich die Soziologie. |
Der Mensch ist keine Monade und Ethik ist ein gesellschaftliches Phänomen. Natürlich muss eine Beschreibung ethischer Prinzipien soziologische Aspekte berücksichtigen. |
Grundbedürfnisse kommen fast ohne Soziologie aus. Ausnahme wäre das Recht von Eltern, ihre eigenen Kinder behalten zu dürfen.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Die goldene Regel, als auch Bestrafung und altruistische Bestrafung sind den Menschen, sowie vielen anderen Spezies, nachweislich angeboren... |
Da widerspreche ich nicht. Sie müssen aber nicht der Maßstab aller ethischen Dinge sein. Sie lassen sich auch weniger radikal in ein Wertesystem einbauen. |
Werte sind keine Prinzipien. Goldene Regel&Co sind die besten bekannten Methoden zur Erfüllung der Bedürfnisse, die die Menschen haben.
Wenn du was besseres hast, lass hören.
Zumsel hat folgendes geschrieben: |
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Dass ein König sich nicht an die goldene Regel hält, ist klar, aber für seine Untertanen wäre es die beste Strategie, sich den Königs zu entledigen und die Menschenrechte einzuführen. |
Du simplifizierst schon wieder in ungerechtigter Weise. In einer Gesellschaft gibt es nicht nur den König auf der einen und die Untertanen auf der anderen Seite. |
Für meine Argumentation ist irrelevant, in welche privilegierten oder verfeindeten Gruppen eine Gesellschaft gespalten ist.
Zumsel hat folgendes geschrieben: | Utilitarismus ist schlechter Geschmack. |
Eine feindliche Einstellung gegenüber der Nützlichkeit ist schlechter Geschmack.
|
|
Nach oben |
|
 |
Sokrateer souverän
Anmeldungsdatum: 05.09.2003 Beiträge: 11649
Wohnort: Wien
|
(#1065575) Verfasst am: 15.08.2008, 18:47 Titel: |
|
|
Volker hat folgendes geschrieben: | Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Volker hat folgendes geschrieben: | Kleine Anmerkung zum Naturrecht:
Die Menschenrechte können nicht auf dem Naturrecht beruhen, weil Naturrechte einen logischen Widerspruch enthalten (sie beruhen meist auf dem naturalistischen Fehlschluss - aus dem Sein folgt kein Sollen). Vielleicht kennen viele den naturalistischen Fehlschluss dem Namen nach, aber nicht die Gründe, warum der Schluss fehlerhaft ist. Ich erkläre das anhand eines Beispiels, dem Sozialdarwinismus.
Nehmen wir an, ich sei der Meinung, dass in der Natur vor allem der Starke überlebt, und dass daher die Gesetze so beschaffen sein sollten, dass sie den Stärkeren bevorzugen.
[...]
Dieser Grundwiderspruch existiert in allen naturrechtlichen "Argumenten". |
Nein. Es ist ein Fehlschluss aus einem naturalistischen Fehlschluss zu schließen, dass alle naturalistischen Schlüsse Fehlschlüsse wären. |
Alle Schlüsse, die vom Sein aufs Sollen schließen, sind Fehlschlüsse. Das ist unabhängig vom Inhalt, diese Argumente sind bereits formal falsch. Es führt immer zu dem Widerspruch, dass man möchte, dass etwas so wird, wie es schon ist, weil es nicht so ist, wie es ist. |
Du rezitierst hier die tradierte Argumentation, die ich kenne, aber schlicht und einfach ablehne.
Es ist schon prinzipiell inkorrekt, das Sollen und das Sein als unabhängige Komponenten der Logik aufzufassen. Das sollen ist ein Prädikat, das wie alle anderen Prädikate dem Sein untergeordnet ist.
Das Sollen ist ein Prädikat, das eine Handlung benennt, die einen gewollten zukünftigen Zustand herbeiführt.
Beispiel:
Das Baby ist hungrig. Es ist so, dass die Mutter will, dass das Baby satt ist. Es ist so, dass hungrige Babys satt werden, wenn man sie füttert. Folglich ist es so, dass die Mutter das Baby füttern soll.
hungrig, satt, wollen, sollen sind Prädikate. Das Sein steckt hingegen implizit in jeder logischen Aussage. Eine logische Aussage ist eine Aussage über das Sein, auch über das Sein von Zusammenhängen und potentiellen zukünftigen Zuständen.
Es ist einfach falsch zu unterstellen, dass das Sein sich nur auf gegenwärtige Zustände beziehen kann und somit weiters zu unterstellen der einzige naturalistische Schluss aus den obigen Prämissen wäre: "Das Baby ist hungrig, folglich soll das Baby hungrig sein."
|
|
Nach oben |
|
 |
Zumsel registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.03.2005 Beiträge: 4667
|
(#1066253) Verfasst am: 16.08.2008, 12:59 Titel: |
|
|
AntaginisT hat folgendes geschrieben: | Warum? Bring mal bitte ein paar Beispiele, warum nicht... |
Wer priviligiert ist verbessert seine "Lebensqualität" nicht durch gleiche Rechte für alle.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Jede Ethik beschäftigt sich mit der Realität des Menschen und hat somit einen empirischen und damit möglichst wissenschaftlichen Anspruch. |
Natürlich kann man untersuchen, welche Teile der Realität möglicherweise zu welchen ethischen Prämissen geführt haben, aber derartige Untersuchungen sind nur selten wertneutral, sondern präferieren bereits bestimmte Aspekte, die in der eigenen Ethik dominierend sind.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Und um zu Verhindern, dass man Opfer von Rache wird, kann man auf ordentliche Gerichtsverfahren bestehen. Und wir können uns gegenseitig einigen, dass das so gehandhabt werden soll. |
Richtig. Und das nennt man dann institutionalisierte Rache. Sie ist ein Kompriss aus dem Bedürfnis nach Rache und dem Bedürfnis danach, vor Rache und Willkür geschützt zu werden.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Dann fällt auch nichts in den Brunnen. |
Es ging darum, dass die Spielregeln der Ethik bereits festgelegt sind, wenn entsprechende Konsequenzen eintreten. Die Mehrheit einer Gesellschaft entscheidet sich dafür, Rache in institutionalisierter Form zu befürworten. Dafür ist sie auch bereit, dass Risiko in Kauf zu nehmen, selbst einmal an Stelle desjenigen zu stehen, an dem Rache geübt wird. Da widerspricht nichts der menschlichen Natur. Menschen mit weniger strark ausgeprägtem Sicherheits- und umso stärkerem Rachebedürfnis könnten sogar die nichtinstitutionalisierte Form befürworten - völlig im Einklang mit ihrer Bedürfnishierarchie.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Grundbedürfnisse kommen fast ohne Soziologie aus. |
Ethik beinhaltet aber den Widerstreit der Bedürfnisse verschiedener Menschen. Der ist umso komplexer, je komplexer die Gesellschaft ist. Deswegen kommt man auf dieser Ebene ohne Gesellschafts- und Kulturkritik nicht aus.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Werte sind keine Prinzipien. Goldene Regel&Co sind die besten bekannten Methoden zur Erfüllung der Bedürfnisse, die die Menschen haben.
Wenn du was besseres hast, lass hören. |
Konventionen. Nichts vermag eine Gesellschaft stabiler zu halten. Und die Konvention ergibt sich aus der in einem Gemeinwesen herrschenden Ordnung der Triebe und Instinkte. Die Ethik oder Moral ist die vereinfachte, sichtbare Darstellung dieser Ordnung.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Für meine Argumentation ist irrelevant, in welche privilegierten oder verfeindeten Gruppen eine Gesellschaft gespalten ist. |
Wieso nicht? Die priviligierte Klasse hätte ja wohl eher weniger Interesse an gleichen Rechten für alle.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Eine feindliche Einstellung gegenüber der Nützlichkeit ist schlechter Geschmack. |
Da kannste mal sehen, wie unterschiedlich Geschmäcker sein können. Ich kann mein Geschmacksurteil allerdings auch begründen. Ich glaube nämlich, dass die Utilitarier das genaue Gegenteil von dem tun, was du vorgibst zu tun: Sie vereinfachen menschliches Verhalten und ignorieren dabei wesentliche Aspekte der menschlichen Natur. Ich bestreite, dass Menschen in ihrem Handeln allein oder auch nur vornehmlich nach Glücksoptimierung streben. Glücksoptimierung ist eigentlich nur eine Verlegenheitsidee derjenigen, die sich nicht damit abfinden können, die Ursachen menschlichen Verhaltens nicht in ihrer Gesamtheit erfassen und verstehen zu können. All denjenigen, die sich nicht so verhalten, wie es ihnen logisch erscheint (also ihrer Ethik gemäß), wird einfach ein Mangel an Erkenntnis unterstellt.
Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Es ist schon prinzipiell inkorrekt, das Sollen und das Sein als unabhängige Komponenten der Logik aufzufassen. Das sollen ist ein Prädikat, das wie alle anderen Prädikate dem Sein untergeordnet ist.
Das Sollen ist ein Prädikat, das eine Handlung benennt, die einen gewollten zukünftigen Zustand herbeiführt. |
Ja, man nennt es auch hypothetischer Imperativ. Nun lassen sich aber aus hypothetischen Imperativen keine allgemeingültigen Gesetze ableiten lassen. Denn sie zielen immer nur auf individuelle Zwecke. Eine Ethik verfolgt kein bestimmtes Ziel, sondern setzt die konkurierenden Interessen verschiedener Individuen zueinander ins Verhältnis. Was du versuchst ist, einen individuellen hypothetischen Imperativ als allgemeinen kategorischen zu verkleiden.
|
|
Nach oben |
|
 |
|