ateyim registrierter User
Anmeldungsdatum: 21.05.2007 Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul
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(#1254891) Verfasst am: 27.03.2009, 14:14 Titel: Laudatio für ... |
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...Suzan, meine Putzfrau.
Sie erfüllt optisch alle "Erwartungen", die man an eine anatolische Frau vom Dorf stellt.
Buntes Kopftuch, langer Mantel, sehr weite Pluderhose, dunkler Teint, aelter wirkend als sie tatsaechlich ist, schwer verstaendlicher Akzent und falscher Gebrauch des Türkischen... also eigentlich geeignet, um in Deutschland die türkische Landnahme voranzubringen.
Sie hat nur die Grundschule besucht und mit 17 haben ihre Mutter und Tanten drei Maenner vorgeschlagen, unter denen sie ihren zukünftigen waehlen sollte. Das tat sie und heiratete und bekam innerhalb von 8 Jahren 3 Kinder.
Dann starb ihr Mann an einer Krankheit, die sie irgendwie nicht benennen kann, aber ich vermute mal, dass es laut ihren Erzaehlungen Darmkrebs war, der im Dorf natürlich in keinster Weise früherkennbar und dann auch nicht behandelbar war.
Was tun? Ab nach Istanbul. Dort gab sie die Kinder zur Betreuung ins Heim, um sich ganz der Arbeit widmen zu können.
Putzen... jeden Tag von morgens bis abends in Haushalten putzen.
Jetzt ist sie 42
ihren Kindern hat sie eine solide Schulbildung und zweien sogar ein teures Studium finanziert, nachdem sie die Kinder nach 2 Jahren Heim wieder zu sich holen konnte
wohnt in ihrem eigenen Apartment, in einem Stadtteil, wo ich nicht unbedingt wohnen wollen würde, aber was ich mir durchaus vorstellen könnte (ist also keines der schlechten Viertel am Stadtrand)
arbeitet an 6 Tagen die Woche für 70 Lira (32 Euro), und hat ausser dies niemals einen ander Taetigkeit ausgeübt.
Ach ja ... Kopftuch = islamistisch?
Da sie von morgens 9 bis ca. 17 Uhr da ist (Frühstück und Mittagessen gibts bei mir) habe ich ihr anfangs angeboten, entweder zur Moschee rüberzugehen oder bei mir in der Wohnung zu beten.
Wollte sie nicht... sie bete immer nur abends.
Ramadan haelt sie ein, und über die Kirchen, von denen es in meinem Stadtteil einige gibt, sagt sie beim Gebimmel nur: "Sind doch auch Gottes Haeuser. Was solls"
Schreibe ich das, um überheblich zu wirken, weil eine Putzfrau jede Woche kommt? Nein, denn vom Mittelstand angefangen findet man in İstanbul wohl kaum jemanden, der das nicht wöchentlich/2wöchentlich macht.
Mir geht es eher darum, meine Bewunderung für sie zum Ausdruck zu bringen.
Nach dem Tod ihres Mannes gab es keinen Staat der ihr zu Hilfe kam, es gab für sie nur die Möglichkeit zu arbeiten und Geld zu verdienen, oder unterzugehen.
Wenn ich manchmal überlege, was für banale Probleme ich aufbausche, mich darüber derart aergere, dass ich eine gewisse Zeit brauche, um wieder herunterzukommen. Wenn ich überlege, wie sehr ich manchmal ins Abstrakte abweiche, führt sie mich zum hier und jetzt zurück
Und immer wenn sie mich zum Abschied bittet, dass ich auf meine "Rechte verzichte", tu ich das gerne, obwohl dies für mich nicht mehr als eine muslimische Tradition ist
(Anmerkung: dieser Verzicht aufs Recht ist ein Spruch, denn die Trauergemeinde bei Beerdigungen dreimal ausspricht. Damit verzichtet man auf Kompensationen jeglicher Art durch den Toten, sei es für im Leben begangene Verletzugen, Kraenkungen oder für Schulden. Somit soll der Tote nur für seine "islamischen" Taten von Gott zur Rechenschaft gezogen werden, die "roten Bücher" die Mitmenschen über ihn führen, werden damit endgültig ohne Forderungen geschlossen. Öffentlich über einen Verstorbenen zu sagen, dass man dies nicht tut, ist die höchste Form der möglichen Bestrafung, da man, so die Denkart der Glaeubigen, die Verfehlungen des Toten, die an einem selbst begangen wurden, Allah zur Urteilsfindung mitübergibt, sozusagen als Nebenklaeger auftritt.)
In dem ich das zur Putzfrau sage, hat sie in ihrer Denkweise, die Gewissheit, dass sie, wenn sie bis zur naechsten Begegnung sterben sollte, ich ihr nichts irdisches Nachtrage... sie bei mir absolut "schuldrei" ist.
Und dann geht sie... nimmt ihre kleine Welt, in der globale Themen keinen Platz haben wieder mit, und steht weiterhin mit beiden Beinen selbstbewusst im Leben, in dem Glauben, dass dies halt ihr Schicksal ist, bis der für sie bestimmte Tag kommt....
es ist seltsam, diese andere Welt jede Woche vorgelebt zu bekommen.
Haette ich mir das auch für mich gewünscht? Würde ich das gern auch für mich haben, wenn ich könnte... eine so kleine Welt?
Nein... aber ich finde es nicht schlecht sie jede Woche bewusst zu leben, sei es auch nur von meinem Arbeitszimmer... (home office klingt besser
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Hornochse Orthographiefetischist
Anmeldungsdatum: 22.07.2007 Beiträge: 8223
Wohnort: Bundeshauptstadt
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(#1255141) Verfasst am: 27.03.2009, 19:42 Titel: Re: Laudatio für ... |
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ateyim hat folgendes geschrieben: | Buntes Kopftuch, langer Mantel, sehr weite Pluderhose, dunkler Teint, aelter wirkend als sie tatsaechlich ist, schwer verstaendlicher Akzent und falscher Gebrauch des Türkischen... also eigentlich geeignet, um in Deutschland die türkische Landnahme voranzubringen. |
Ansonsten: Gut geschrieben.
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- Niklas Luhmann -
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