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Titos Jugoslawien

 
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Nergal
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11433

Beitrag(#1270860) Verfasst am: 18.04.2009, 13:24    Titel: Titos Jugoslawien Antworten mit Zitat

War Titos Jugoslawien besser als andere sozialistische Systeme, hat es besser funktioniert, hat es den Menschen mehr freiheiten gelassen?
War der Mangel an "nazionalen" Freiheiten der Grund für den Untergang Jugoslawiens?
Welchen Eindruck haben die von Euch gehabt die dort vor 1990 gewesen sind?
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narziss
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Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 21939

Beitrag(#1270882) Verfasst am: 18.04.2009, 13:45    Titel: Antworten mit Zitat

Im Inneren war Jugoslawien immer eine Diktatur. Vllt etwas weniger härter als andere Staaten, aber immer noch verurteilenswert.

Nach außen hin hat Jugoslawien einen respektablen Kurs der Neutralität gefahren. Es hatte gute Handelsbeziehungen zum Westen, es schottete sich nicht gegenüber Touristen und ausländischen kulturellen Einflüssen ab. Es konnte Stalin trotzen, was es dem Wesen im kalten Krieg bestimmt ein wenig einfacher gemacht hat und es hat innerhalb der Dritten Welt eine Führungsrolle einnehmen können.
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beachbernie
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Anmeldungsdatum: 16.04.2006
Beiträge: 45792
Wohnort: Haida Gwaii

Beitrag(#1271168) Verfasst am: 18.04.2009, 21:54    Titel: Re: Titos Jugoslawien Antworten mit Zitat

Nergal hat folgendes geschrieben:
War Titos Jugoslawien besser als andere sozialistische Systeme, hat es besser funktioniert, hat es den Menschen mehr freiheiten gelassen?
War der Mangel an "nazionalen" Freiheiten der Grund für den Untergang Jugoslawiens?
Welchen Eindruck haben die von Euch gehabt die dort vor 1990 gewesen sind?


Ich sehe das eher so, dass Jugoslawien daran zugrunde gegangen ist, dass nach dem Tod Titos durch Milosevic der Nationalismus wieder salonfaehig gemacht wurde. Milosevic schuerte und instrumentalisierte den serbischen Nationalismus aus machtpolitischem Kalkuel. Dadurch weckte er auch die anderen blutruenstigen Zombies, z.B. den kroatischen Nationalismus, wieder auf und zerstoerte so letztlich nicht nur Jugoslawien, sondern auch Serbien.

Ich halte den letzten Balkankonflikt geradezu fuer ein Lehrstueck darueber, dass es "nationale Freiheiten" gar nicht geben kann, weil sich Nationalismus und Freiheit gegenseitig ausschliessen. Tito hatte dies begriffen und mit ziemlich harter Knute jede Art von Nationalismus unterdrueckt, wofuer ihm der friedliebende Teil seiner Landsleute noch heute dankbar sein kann. Man kann eigentlich bloss hoffen, dass dem europaeischen Einigungsprozess letztlich das gelingen wird, was Tito leider nicht ganz fertigbrachte, naemlich jede Art von nationalem Schwachsinn (und der bedeutete bisher immer zehntausendfach Tod und Vertreibung!) auf dem Balkan endgueltig auszurotten! Beim Tode Titos wurde klar, dass die nationalen Daemonen noch nicht ganz tot waren, dazu fehlten wohl noch ein oder zwei Generationen.

Gruss, Bernie
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Defund the gender police!! Let's Rock
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#1271206) Verfasst am: 18.04.2009, 22:45    Titel: Antworten mit Zitat

Hier wird sichtbar, wie es auch in Kroatien langsam mit der Bearbeitung der Geschichte voran geht und welche Hindernisse es noch gibt. Man kann sich vorstellen, wie lange es dauern wird, bis sich auch im allgemeinen Geschichtsbild mehr Differenzierung durchsetzt.

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=12475
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narziss
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Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 21939

Beitrag(#1271220) Verfasst am: 18.04.2009, 22:52    Titel: Antworten mit Zitat

Telliamed hat folgendes geschrieben:
Hier wird sichtbar, wie es auch in Kroatien langsam mit der Bearbeitung der Geschichte voran geht und welche Hindernisse es noch gibt. Man kann sich vorstellen, wie lange es dauern wird, bis sich auch im allgemeinen Geschichtsbild mehr Differenzierung durchsetzt.

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=12475
Bei Steindorff hab ich dieses Semester ne Vorlesung.
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#1271412) Verfasst am: 19.04.2009, 11:57    Titel: Antworten mit Zitat

In dem gleichen Jahr 1968, als es in Westeuropa Massenproteste und Demonstrationen gab und sich viele Jugendliche von Zwängen zu befreien suchten, während man im Osten, in der Sowjetunion und der DDR, gespannt auf den Versuch in der Tschechoslowakei schaute, aus dem sozialistischen Lager auszuscheiden,

machte in Titos Jugoslawien eine Gruppe kritischer marxistischer Intellektueller von sich reden, die als die Praxis-Gruppe bezeichnet wurde. Ausgehend von der Entfremdungs-Theorie, wurden auch die Verhältnisse im eigenen Land kritisch betrachtet.

http://www.praxisphilosophie.de/praxisgruppe.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Praxis-Gruppe

Selbstredend war der Einfluß solchen Gedankengutes in der Sowjetunion und der DDR von offizieller Seite unerwünscht, so daß wir erst mit gehöriger zeitlicher Verzögerung davon hörten.

Josip Broz Tito reagierte mit dosierter Repression, weil er die Grundlagen der Ordnung in Jugoslawien für gefährdet sah.

In der DDR blickte man auf Jugoslawien mit einer gewissen Achtung und Bewunderung. Es hatte den Weg der Blockfreiheit gewählt, und seine Bewohner genossen Reisefreiheiten, an die bei uns nicht zu denken war. Jugoslawische Gastarbeiter bauten zum Beispiel Hotels im thüringischen Oberhof, einem Vorzeige-Projekt Ulbrichts.
Ich durfte damals nicht nach Jugoslawien reisen, das wurde wie kapitalistisches Ausland angesehen. Wir aber hatten Gäste aus der nach Tito benannten Stadt Titograd in Mazedonien, die durften reisen.

Und nun noch etwas, was im Zusammenhang mit Tito, wie auch mit Stalin erwähnenswert ist. Stalin war nach 1956 zu einer "Unperson" geworden, so daß in den 1960/70er Jahren nirgendwo etwas über ihn zu lesen war. Seine einstigen Verehrer hüllten sich gegenüber den jüngeren Generationen in Schweigen, und wer keinen Zugang zu westlicher Literatur hatte, war verloren - Information = Null. So ist es für Vertreter der nach 1953-1956 Geborenen auch schwer nachvollziehbar, nach der Wende von 1989/90 mit "Stalinismus" in Verbindung gebracht zu werden.

Und Tito? Ich hatte in den Jahren 1972/73 als Praktikant in einer Bibliothek gearbeitet, und da fiel mir ein Titel aus dem Parteiverlag der DDR, dem Dietz Verlag, aus dem Jahre 1952 in die Hände:
"Tito, der faschistische Henker Jugoslawiens". Was'n jetzt los! Geschockt
Die Generation meiner Eltern wusste etwas damit anzufangen: Nachdem Tito einen eigenen Weg, den der Blockfreiheit gewählt hatte bzw. von Stalin dazu gezwungen, ausgesperrt wurde, beschimpften nun die "Bruderparteien" auf Geheiß Moskaus ungehemmt den jugoslawischen Führer in den übelsten Tönen. In den 1960er Jahren war dieser Spuk vorbei, und eine freundliche Wiederannäherung setzte ein.

Im Herbst 1974 trat in Berlin ein Jugoslawien-Kenner auf, der über den Bischof Stroßmajer als Hauptvertreter des "Illyrismus" (nationale Erweckung bei den Kroaten in der ersten Hälfte des 19. Jh.) gearbeitet und 1965 den "Fall 7", den Geiselmordprozeß im Zusammenhang mit der Ermordung jugoslawischer Zivilisten durch SS und Wehrmacht nach 1941, dokumentiert hatte. Als Chefdolmetscher zwischen Tito und Ulbricht/Honecker wurde er von der berühmten Jovanka, der Frau Titos, mit einem goldenen Zigarettenetui beehrt. Und dieser Mann warnte, zu unserem damaligen Erstaunen:
"Wenn Tito stirbt, dann besteht in Jugoslawien die Gefahr eines Bürgerkrieges, der unvorstellbare Ausmaße annehmen kann."


@Narciss
noch zu Ludwig Steindorff - er bewegt sich als Mediävist, vor seiner Kieler Zeit wohl in Münster tätig, wohl vor allem auf zwei Schienen: er hat zu kroatischen Städten im Mittelalter gearbeitet, zum anderen zu Begräbnisriten und Totenkult im mittelalterlichen Russland, damit kulturgeschichtliche Forschungen betrieben.
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Cyborg
Eukaryot



Anmeldungsdatum: 28.08.2008
Beiträge: 136
Wohnort: Wien

Beitrag(#1272390) Verfasst am: 20.04.2009, 23:50    Titel: Re: Titos Jugoslawien Antworten mit Zitat

Nergal hat folgendes geschrieben:
War Titos Jugoslawien besser als andere sozialistische Systeme, hat es besser funktioniert, hat es den Menschen mehr freiheiten gelassen?
War der Mangel an "nazionalen" Freiheiten der Grund für den Untergang Jugoslawiens?
Welchen Eindruck haben die von Euch gehabt die dort vor 1990 gewesen sind?


Es war auf jeden Fall besser, hat besser funktioniert und den Menschen weitaus mehr Freiheiten gelassen als davon im Ostblock die Rede war. Die jugoslawische Epoche war das einzige Stück Freiheit, dass die Südslawen jemals gehabt haben. Nationale Freiheiten hatten sie selbstverständlich auch, aber als sie darin zu frei wurden, veranstalteten sie dann in den 90ern genau das, was Tito verhindern wollte.
Die Gesellschaften der jugoslawischen Hirtenvölker sind faschistisch und reaktionär und Tito gelang es leider nicht, diese armen Bauern davon zu befreien. Es ist ihm höchstens gelungen, den Nationalismus unter dem Teppich zu kehren. Der Grund, warum sich der Sozialismus in Jugoslawien letzendlich nicht erhalten konnte war der, dass die jugoslawischen Kommunisten einen ganzen epochalen Sprung gemacht haben. In den Teilrepubliken hat sich davor niemals eine kapitalistisch-bürgerliche Gesellschaft etablieren können, die quasi ein Vorkriterium auf dem Weg zum Sozialismus stellt. Das Land war weder industrialisiert, noch urbanisiert. Die Analphabetenquote war sehr hoch, die Völker ultrakonservativ und dann kommen die Kommunisten und versuchen einen gewissen Fortschritt voranzutreiben, was ihnen leider nicht gelungen ist.
Der Nationalismus entflammte dann Ende der 60er Jahre und gewann während der 80er die Oberhand als sich Jugoslawien in einer Wirtschaftskrise befand. Es war, um präzise zu sein, das meistverschuldete Land in Europa. Auch äußere Faktoren haben zum Zerfall beigetragen und diesen sogar gefördert, obwohl sie ganz genau wussten, dass ein blutiger Krieg vor der Türe stand. Doch, um sich den jugoslawischen Markt zu sichern, waren sie bereits dies in Kauf zu nehmen. Dabei denke ich vor allem an die mächtigsten Staaten der EU und natürlich die USA, die sich während des Krieges als nette Helfer in Not und Friedenstauben präsentiert haben.
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